Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, June 03, 1898, Sonntags-Blatt., Image 11

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    « Yie Frucht «
Roman von Jda Von - Eh.
« (l. FortsesungJ
Und in diesem unaetvitsen Schein
ab Felix, wie sein Hund sich aufrich
«-.«te und schweiiwedelnd auf ihn zu
jim. Es war ein arvsier Neusunds
standen mit einem tadellvien. schnar
zen lockiaen Fell, das freilich von sei
nem Seidenalanz schon viel verloren
hatte. Nobbv war ein alter Herr, fast
zehn Jahre alt und ausch er hatte, seit
sie in Berlin waren. wie fein Herr,
nicht oft satt bekommen.
Felix schloß feine Thür nnd setzte
sich dann ans Fenster· Mit betteln
deni Gewinsel rieb Rot-ihn seine
Schnauze an seines Herrn Knie. Fe
lix legte feine Hand auf den Kopf des
Thieres-.
»Es ist aus« mein alter Nobka ganz
aug,« saate er leise.
Als er nach Berlin ahreiite, hatten
sie es in seiner Oeimaibsstadt »ver
eiicit" acnannt daß er den alten Hund
neitnahm er, der selber nichts zu leben
hatte. Man rieth ihm. das Thier ers
schießrn Zu lassen, und bedauerte, daß
eg nicht mehr iuna aenua sei, urn vor
tbeilixaft verkauft Ju werden. Felix
schwiea dazu. Der Hund hatte noch
seiner Mutter aehört —- nichts hätte
ian kerveaen können, sich von demThie
re zu trennen.
vtun ianen tre itiu tm Dator-unten
Herr und Hund. Der Herr dachte
nach, und der Hund wartete, die tril
ben Auaen wachsam auf seinen Herrn
aerichtet.
Felix wunderte sich darüber, daß in
feinem Herzen keine Unruhe war, nicht
einmal Beklommenbeit.
»Es wird die absolute Gewißheit
sein,'« dachte er, »die dem Menschen
diese Klarheit aiebt.«
me fiel ein, was er aeleaentlich
von der standliaften oder aleichqulti
aen Haltuna zum Totde Verurtiieilter
pelesern Er beariff das ietzt völlia.
Wo es kein Entrinnen aiebt, giebt es
auch kein Aufbäumen mehr. Selbst
die Verzweifluna hört auf.
Er versuchte, sich den Bortheil vor
zustellen, den er aebabt, wenn er noch
in den letzten Taan einen Verdienst
oder eine Stelluna aefunden hätte. Es
wäre wahrscheinlich nur eine Hinzöaei
rnna seines unabwendbaren Geschickes
newesen. Und überdies: nur leben um
nicht Zu sterben —- nein. dies brutale
Leben batte er satt. Er fiisblte ganz
deutlich, daß neben der Gewißheit,
oerbunekrn oder betteln zu müssen,
krenn nicht über Nacht ein Wunder ge
schähe, noch eine andere Erkenntniß
beraina, die ibm das Leben zum Etel
machte.
Er kam sich vor wie ein Mensch obne
Boden. Er hätte ein reicher, aroszer
«Mann sein möan mit allen Kenntnis
sen, die sich in berttiaer Zeit durch Be
qabuna und Fleisr aneianen lassen, um
mit allem Golde sich edelfte Lebensar
nlisfe zu verschaffen und mit immer
offenen Händen wobltbätia wirken zu
können. Oder er bätte ein Arbeiter
fein msaen. der den Hammer schwingt,
ein Mann. der bart und raub ums
Brot arbeitet. keine lastenden Tradi
tionen von aesellschastlichen Vorur
theilen an sich bänaen bat. durch keine
ästhetischen Bedürfnisse aeauält wird,
ein Mann mit toben Sinnen Und ro
dem Geschmack. mit dem Recht, die
Fäuste zu brauchen, wo man ihm zu
noli tritt, mit der schweren. schönen.
geiser Müdigkeit nach körperlicher Ar
Felix dachte. es müßte nur zwei
Stände neben: vielleicht käme damit
Friedsn und Ordnuna in die Welt. Er
elbft aedörte keinem an. Und wie ihn
mochte es Tausende und leertansende
Eben: sorasam erioaen, in besten Ma
nieren, mit allen Bedürfnissen des au
ferc Geschmeide-Z Und der veinlichsten
Sanberkeit aebildet. durch Unterricht
und durch die Atmosphäre des Eltern
hausesx aber obne die Mittel, diesen
Gewchnbeiten Befriediauna zu ver
schaffen, in einem Beruf. der allen
schlimmen Zufälliakeiten ausaesetzt
war, ohne die Fäbiakeit, ja ohne die
Körperkraft diesen Beruf wechseln zu
Sinnen und einfach in die Klasse des
Areiters hinabzusteiaen
An dem Willen dazu fehlte es Felix
richt. Er wünschte inbrünstig ein
Proletarier sein und den aanzeri Bal
last feiner Erziehuna abwersen zu
können
Deus er um einmal seinem Wirte-, ec
Icm Fabtitatbeiten anvertraut. hatte
der ihn ausgelacht Schließlich war
est-CI das ein Beruf. der von der Bitt
an aesernt sein will. Und ausserdem
fühlst Felix nur en deutlich, daß er
durch die Jahre der Webetimnq und
Uebelafbessuna um die Kraft midni
nsen set. die er seinen mernndszanziq
Ins-ten nach haben müßte-.
Von allen schrecklichen Beobachtun
gen. vie er im Laus der letzten Wochen
ges-echt. erschien diese fast die grau
samsthdasz etnIssensch.der arbeiten will
einsaan nur mit aebunbenerMatsdp
touse Arbeit suchen kann. und daß
obendrein noch der sittliche Wille ein
can-« werthloses Moment ist« dem, der
ihn has. weder zur Ehre noch zum Ver
ksensi. Denn was half ihm alletWille
nnd alles Streben. wenn et keine Ar
lesj sand?
Dies alles waren aans naive Be
trachte-neun in ihrer Einfachheit ledig
åch aus seinem eianen Schicksal het
Nessus-am
enn et seither in den Zeitungen
its-, dahin-me Menschen sich ethän i
oder ertränkt hatten. weil die Noth Ae
dazu seit-selten dachte er immer ver
« 1MW,».-«« .-.. -s -
he et es am eiaren Leib, daß man11
ich zualetch vor Arsbeiiswunfch und»
hunger- verzebren kann. !
Vielleicht hatte er auch in all den trit-l
ben Jahren, die ee sich so freudlos hin
gequält, nach und nach seinen Muth
verbraucht, so daß jetzt, wo er den stärk
sten brauchte, keiner mehr da war. Er
dachte darüber nicht nach. Er zog nur
lnoch einmal die Summe feines bishe
rigen Lebens und fragte sich, ob ihm
wohl ein Schmerz, eine Sorge, eine
Enttäuschung erspart geblieben. Nein!
Keine!
Robby leckte ihm bescheidentlich die
lHand, der Hund war des stummen
jWgrtenJ enüdr.
Die seruorung oieier warmen sur-i
kge ließ Felix zusammenschreclen Ihm,
der sich schon innerlich ganz von der
lWeit geschieden, war das alte Thier
das einzige Lebendige in seiner Nähe.
Zugleich auch das einzige Wesen, das
noch einen Anspruch an ihn erhob.
Er stand rasch auf und machte Licht
Die ganze Dürsiigkeit des Raumes
ward nun beleuchtet. Felix ließ die
Rouleaux von grauer Sackleinwand
I erab, damit von drüben keinAuge sein
hun überblicken konnte. Das eiserne
Wett, inii seinem wenigen Bettzeug, der
kleine eiserne Ofen und der Blechtovs
zum Kasfeekochen daraus, der Tisch
und der Rohrstuhl, ja selbst die Nägel
san der Wand gehörten seinen Wirths
leuien. Er selbst besaß nichts mehr
wie den Anzug an seinem Leibe, den
Ring an seiner Hand und den gelade
nen Revolver seines Vaters.
Der Ring, ein altes Familienerb
stück der Familie, sollte mit ihm in das
fGrab gehen. Die Versuchung, ihn zu
Everiausem war ihm kaum ekommen;
denn die Gewißheit musite sig ihm aus
sdriingem daß, wenn der Erlös desRin
ges verbraucht sei, die Lage dieselbe
sgeblieben sein würde. Und es gewähr
sie ihm eine phantastische Genugthu
ung, sich mit diesem Ring an der Hand
inoch immer als der Mensch von guter
IFamiiie zu fühlen, als einer, der nicht
bis zur letzten elenden Bettlerarmselig
Ikeit gewartet hatte, sondern stol und
ergeben davon ging von der Gasttafel
des Lebens, bevor der lefte BissenBrot
verzehrt war. Robbh ah schweiswe
delnd zu, tvie sein gerr im Zimmer
aqu und abging. -r erwartete siir
sich irgend ein Resultat von dieser Be
wegung: vielleicht einen Trunk oder
ein wenig zu fressen.
Die kleine Lampe blakte; mit der
merkwürdigen Wachsamkeit, die Men
schen in den wichtigsten Augenblicken
fiir die unwichtigsten Dinge haben kön
nen, sah Felix das und schraubte sie
Esorgsam zurecht. Dann nahm er aus
seiner Brustkasche eine Photographie
Hund hielt sie iiber die Flamme. Sie
Zwar nicht stark genug, das dicke Blatt
in Brand zu ssetzen, aber das Angesicht
der blonden ore verschwelte langsam
hinter dunklen Rußflecken
Felix setzte sich danach aus denStuhl.
Der Revolver lag bereit auf den Tisch.
,,«Robbrs , sagte er leise
Der Hund drängte sich zwischen die
Kniee des Herrn. Felix ersaszte die
hängenden Ohren un sah dem Thier
gerade in die Augen. s
Aus dem Hause und dem hose her
klan en die Stimmen des Lebens, das
Geräusch der Welt umbrandetc gleich-»
sam diese stille, kleine Zelle. Wie von
fern her drang es an Felix Ohr.
Er saß unbeweglich und sah unbe
weglich in
Dem alten Thier war es eine n
Itrengung die Aufmerksamkeit lange
o gespannt zu erwidern. Es sing an
zu blinzeln, ewegte den-Kopf und wollsl
te seinem Herrn wieder die and be
lecken. Da nahm Felix den Jievolver
mit kurzem, hartem Griff, setzte er ihnl
dem Hund an das Ohr — schnell entss
schlossen, wie in einer Zwangsvorsielis
lung handelnd, drückte er ab.
Es gab einen ganz kleinen dumpfen
KnalL Robbv fiel aus die Seite« reck
te sich und verendete.
Mit Sekundenschnelle war das vor
i.bergegangen.
Neben dem Hund am Boden kniete
Felix Seine Stirn war naß, seine
Oiinde waren kalt. s
Das Schwerste war gethan. -
Er wartete, ob der Hund sich nicht
noch rühre. Er hätte gewünscht, daß
das Thier ihm noch einen letzten, treuen
Blick geschentt hätte. Er sehnte sich da
nach, noch einmal die warme Zunge
aus seiner Hand zu fühlen. Aber lang,
schwer, schwarz und stumm lag das
»Thier. j
i Miihsam stand Felix auf. Er seyte
’sich wieder aus den Stuhl und dachte,.
trag er nun noch zu thun habe. Einen
lZettel schreiben an seine Wirthsleute,(
Idenen er nichts schuldig war. die ers
iaber nrn Verzeihung bitten wollte. Undj
idann — nicht-«- weiter.
I Irgend ein Gefühl zwang ihn. wie-;
ider und immer wieder auf den todten
sßund niederzudlicten i
i Ein Lächeln ging dabei bitter und
Tschmerzlich über sein Gesicht: gewiß«
tder da lag, war nur ein aller, todten
bunt-. Aber es war noch der Gefährte»
isciner Jugend gewesen« die Hand der
sMutter hatte noch dieses schwarze Fell
estreichelt, der gallige Mann. der as
er sogar hatte mit ihm geschmeicheli.
und Lare that schön mit ihm. Und m!
dem tiesen Elend der lehten Wochen
war das sreudige Winseln des Thieres.
wenn er hetmtam, der einzige Laut der
T eilnahrne gewesen, der an sein Ohr,
.ne n, an sein Herz schlug.
Plötzlich wars Felix sich auf denErdi
baden nieder, bara sein Gesicht in dem
Fell des verstummten Thieres und
weinte. Lange lag er so.
Lan sarn tro etwas an ihn heran
nun-ht» t, uni» »Tai-»und doch um«-i
« i
friert: das Gefühl der siirchterlichen
Einsamkeit.
Er sprang aus und blieb bebend ste
hen. Obgleich er wußte, daß Niemand
da war, meinte et, er müsse sich rund
umsehen voll Furcht.
Es war ihm, als sei Jemand eingrs
treten. Nein —- nichts. Aber morgen
früh, wenn es so still bei ihm blieb,
oder morgen Mittag, wenn der Wir
thin es endlich auffiel, daß er sich nicht
zeiae dann würde man hier eintre
ten ......
Jhn überfiel plötzlich eine ganz ba
nale Neugier, brennend, unüberwind
lich. Er hätte ganz genau wissen mö
gen, was morgen geschah, wenn man
seinen Tod entdeckte, ob der Mann oder
die Frau zuerst l)ereinkäme, ob die
Polizei ihn sortschasfen wiirde, und
aus welche Weise und auf welchem
Kirchhof man ihn beerdigen mußte.
Min schien beinahe, er könne sich nicht
tödten, ehe er sich über alle diese Dinge
nicht vorher genau unterri tet habe.
Dann lam er sich verächtli vor, daß
er, der so ganz mit dem Leben abge
schlossen hatte, noch an diese elenden
Aeußerlichleiten denken mochte· Er
suchte seine Gedanken aus die Vergan
genheit zu richten, auf das Liebste
darin, auf seine Mutter.
Ihre letzteStunde erstand ganz deut
lich vor ihm. Sie hatte nicht gewußt,
daß es sum Tode gin» Jn ihrem
schweren Leiden war sie getröstet, daß
ihr lieber Sohn neben ihrem Bette saß.
Ihre hand in seinen beiden, sah sie ihn
n und athmete schwer und war frei
von aller Furcht nnd aller Noth. Zu
letzt hatte er sie in seinen Armen gehal
ten und ihr letzter Liebesblick ruhte in
feinen Augen; er sah es wohl, er fühl
te es wohl: sie hatte sich beschützt ge
deucht, und kein bangeg Ahnen oon
Einsamkeit, von einem dunklen Weg,
den sie nun allein gehen sollte, war ihr
angeflogen.
O, welch ein schönes Sterben in Lic
besarmen, unter Liebesblickent
Und er sollte so einsam, so stumm,
so derlassen in letzten Nöthen davonge
pell
Er dachte anch an seinen Vater und
an de en Sterben. Das war mit dem
Vewu tsein ewigen Scheidens erfolgt.
Und in diesem Bewußtsein hatte selbst
er, der Egoist und Quälgeist der Sei
nen, in seinem Herzen noch Wärme auf
flactern gefühlt. Seine letzten Worte
waren der Wunsch eines besseren-Schick
sals fiir den Sohn, sein letzter Blick
ein Dankes-blick, weil der Sohn ihm
leise die feuchte Stirn getrocknet.
Und mtt immer größeren Schrecken
umwuchs ihn die Einsamkeit.
Nur einen Zeugen haben bei dem
Tod! Nur eine Menschenhand, welche
die seine mit letztern Druck warm um
schloß! Nur ein Auge, ihn tröstlich an
zublickent Nur eine Stimme, die da
fragte: »Ist dir wohl?!«
Ein unsiiglich Heimweh kam in sein
gerz nach allem, was einer verlassenen
-eele wohlthun kann. So war es
ihm denn wirklich beschieden, stumm
hinwegzugehen und das Geheimnis; sei
ner Leiden mit sich zu nehmen«-? Ganz
umsonst war sein Dasein gewesen?
Selbst sein Hund hatte ein barm
herzigeres Los gefunden, als er selbst
inden würde
Schauer durchrannen ihn. Er hörte
mit dem Ohr der entse ten Phantasie
noch einmal den kleinen umpfen Anall
-- aber diesmal war die Kugel
in sein eigenes Herz gedrungen —- er
fah sich neben dem Thier auf dem Bo
den liegen —— vielleicht nicht so angen
blictlich todt wie dieses — würde eine
Fand, egen sich selbst gerichtet, auch
o fest Pein? Er sah sieh im .ualvollen
Kampf, und wieder sah er die fürch
terliche Einsamkeit.
Sie schien Gestalt gewonnen zu ha
ben: sie stand da, baaer und groß mit
einem schönen, bluilosen Gesicht, darin
ein leeres Auge starr in ungewisse Fer
nen sah, und einem bitterem grausa
nsen Lächeln um« die blassen Lippen.
Diese schreckliche Gestalt würde seine
Genossin sein in seinen letzten Minis
teri, und noch sein brechendes Auge
würde ihr eisernesJ Angesicht erblicken!
Von dem reglosen Thiertörper ging
ettras Unheimliches aus: eine große
Kälte und ein großes Schweigen. Es
nirtie hin durch den ganzen Raum und
drang dem Bebendrn durch alle Po
ren und füllte sein ganze-H Wesen mit
Entsetzen.
Seine Blicke irrten umher. Sein Ohr
hrrchte lech end. Nur ein Laut, nur ein
Rus, der igm galt! Nur ein Ton aus
warmer Menschenbrust, der nach ihm
ries. Vergebens. Von fern, in gediimpsi
iem Geräusch erklangen die Stimmen
fremden Menschenlebens.
sän der Stube blieb es still. Hier
wo nte der Tod, und ungehört und
ungesehen fiel ihm anheim, was hier
noch lebte.
Felix that einen Schritt vorwärts.
Er ergriff den Revolver. Das lalte
Metall erfchreckte ihn, er ließ die Waffe
fallen.
Hart und laut fiel see hin. Und die
fer Ton, der erfte feit dein Schuf-« ent
fetzte Felix so, daß er auffchrir.
Eg war, als halle der Schrei wie
tcbender Lärm von denWänden wieder.
Felix wollte sich bücken. um die
Waffe wieder aufzuheben. Da fuhr er
zt«riick. Und finan die Stirn naß,
mit zitternden Knieen ging er rück
wärts, rückwärts —- das Auge ftier auf
den todten Hund und den blanken Re
volver daneben geheftet.
Und dann stürzte er zur Thür hin
aus —- auf der Flucht vor dem Tode
in das Leben hinein.
2.
rang. Jhen schien immer, als habe sich
die Wendung seines Geschicks unmittel
bar an jene dunkle Stunde geschlossen,
als sei er aus tiefster Nacht iiih in den
hellsten Mittagsglanz getreten. Aber
jetzt, da er sie buichlebte, waren diese
Tage schwerer noch als alle Vorher
qegangenen. Denn zu dem unverändert
crtdauernden äußeren Elend, zu der
ksrenzcnlosen Sorge »was wird mor
en sein?« trat noch ein neues Ge
Fiihh welches fast Selbstverachtung
schien.
Bis dahin halte der Entschluß in
ihm festgcsianden, zu sterben, wenn die
Welt denn durchaus keinen Gebrauch
von seinem Willen, sich zu bethätigen,
wachen wollte. Er hatte dem Tod als
einem sriedebringenden Erlöser entge
glngesehem
Nun wußte er, dasi er ihn fürchtete!
Paß es ihm an Muth gefehlt hatte,
freiwillig in die große Ungewißheit des
Sterbens zu oersinlen. Daß noch ein
Verlangen in ihm war, nach Antl)eil
nahme von Menschenherzen! Daß er
zu feig gewesen, sich stumm und unbe
irrt der großen Stille des Todes ent
gegen zu werfen.
tat sing an, sich eine schwere Krank
heit zu wünschen, die ihm ein friedli
ches Sterbelager in einem öffentlichen
.F·krantenhaus verschaffen würde; oder
Teinen Unfall, der ihn jäh hinwegnähme.
l Das Bewußtsein der Feigheit durch
zschredte ihn stiindlich mit Verzweif
lung. Denn mußte er nicht denngch
diesen schrecklichen Weg gehen, wenn
Idie neuerdings rastlos betriebenen Ber
fsuche, Arbeit zu finden, erfolglos blic
lben und der Erlös des Ringes ver
lbraucht war?
, Diesen hatte er gleich am folgenden
LMorgen zu einem der allerersten Ju
sweliere Berlins getragen. Er fürch
.tete, bei einem Trödler in den Verdacht
)unrechtmäßigen Besi es zu kommen
fund überdies zu wenig Geld zu erhal
sten. Das Herz klopfte ihm aber den
noch. als er die Schwelle des eleganten
lLadens betrat; er fühlte, daß seine
Idiirflige Kleidung nnd der fchöneRing
kin einem verdächtigen Gegensatz zu ein
tander standen. nnd es lag überdies in
Iseiner Natur, immer Mißtrauen zu·er
warten
; Er verlangte Den cshef selbst zu spre
cksen nnd wunderte sich fast, daß man
höflich, sehr höflich gegen ihn war, denn
jer war sich nicht bewußt, daß der Adel
seiner Erscheinung ihm von selbst Auf
Ymerlsamteit verschafftr.
I Der Chef, ein rundlich-H wahnsin
,lender Herr mit weißer Weste und
tscliwarzem Gehrock, einem goldgefaß
lten Kneifer auf ter fleischigen Nase
’,und einem- großartigen Solitär am
stleinen Finger der schneeweißen Rech
Iten, hörte Feltr« zögernden Antrag
Efreundlich an. Felix wiinschte denlfting,
Ivon dem er glaubte, daß der Smaragd
steinen Werth habe, daß hingegen die
zFrsrm des Geldes sehr selten und schön
Jsei, wrhl zu verlaufen, bat inoeß um
eine Frist, während welcher ihnr der
Riicllauf zu dem gleichen Preis, der
heute gezahlt würde, gestattet sein mö
ge, wobei der Firma ja immer der Vor
tlseil blieb, den Ring als Modell ver
werthen zu können.
Der Juwelier fand das Muster köst
lich und sehr originell, den Stein wür
digte er taum eines Blickes, hingegen
berief er seinen ersten Vertaufer, daß
der ihm die edle Zeichnung der Re
naissanceform bewundern helfe. Felix
fishlte, daß man ihm- seine Wünsche
erffiillen werde. Er athmete erleichtert
au .
» Jn diesem Augenblick ward die La
denthiir schnell geöffnet. Man sah eine
Faust in weißem Handschuh auf dem
sThiirllopfer und einen straff ausge
Istreclten Arm, mit braunem Tuch be
’tleidet, das eine Goldtresse ziertr. Und
ian dem Diener vorbei, der ihr die Thiir
Iförmlich ausgerissen hatte. kam eine
Dame herein, deren Erscheinung be
swisrztth daß der Juwelier Felix stehen
lie .
Er verstand, daß das eine wichtige
Kundin sein mochte, und wartete ruhig.
Die Dame wollte ein Armband ho
len, ans dessen Bund sie einen von den
fiinf Steinen verloren gehabt, und ver
iglich nun genau, ob der neu eingefügte
auch in der Farbe zu den andern vier
passe. Dazwischen sprach sie allerlei
mit dem Juwelier, trie vertraute Kuz!
den mit einem bewährten und geschätz
ten Geschäftsmann thun. Daß sie doch
strohl noch länger in Berlin werde bleis
iben müssen, daß ihr gewohntesPech mit
ihren Leuten sie wieder verfolge, daß
sit- sich halbtodt langweile in Berlin
iund eigentlich unterwegs nach Venedig
ssei. und allerlei andere Dinge, die
itaum gehört an Jelirf Ohr vorüber
;gingen«,«uzeilspsein V uge·ganz beschäftigt
Hm r ocsee skuizcnususkutunq zu ve
trachten.
j Sie war gros-, nnd schlank und hatt-e
sehr ausfallende Haare: mattblond,
lohne jeden Glanz, rauh und voll Dies
lHaar war aus griechische Weise geord
snet der starke Knoten kam unter der
Kante des kleinen Filzhuies hervor
Den dunkeln Hut zierten ein paar steife
Federn· Die Kleidung der Dame war
ikberaus einfach dunkelgriin Rock wie
eng ankiegende Jacke: aber bei jeder
Bewegung derTriigerin rauschte es von
seideneni Futter und seidenenUnterklei
dein.
Felix bemühte sich, in der Spiegel
tvand drüben das Gesicht der Dame
zu erkennen Endlich gliickte es ihm,
und er erschaut
» Das Gesicht war sehr schön hatte re
;gelmäszi e Züge. wenig Farbe, dunkel
graue, ehr lebha te A-,ngen darüber
dunkle Brauen, ippen von wunder
boflsøs AJUM soo- Lsss nos-«
iige war der einer außerordentlichem!
Zeroischen Vornehmheit.
Dazu paßte auch das Gebahren der
Dame. Sie that, als wenn der ganze
lLaden ihr gehöre und alle Anwesenden
inur zu dem einzigen Zweck vorhanden
,seien, sie zu bedienen. Doch wirkte dies
EcLesen nicht wie ein Anspruch, sondern
wie eiwas Unwilliiirliches und war
mit einer großen Höflichkeit, ja, Lie
benswsiirdiakeit verbunden.
Das Amt-and lies: sie sich gleich um
leaen ifs habe ihr sehr gefehlt, sie sei
aewohnt, es alle Tage zu tragen.
Dann fraate sie:
»Haben Sie was fiir mich . . . Sie
wissen ja -— das Genre von Madame
Q«
linctc.
Der Juweiier iiicheiie und holte aus
einein Fach ein Kästchen.
Die Dame sah hinein und lachte.
»Seht scheußlichl Aber alt? Sehr
alt? Nun, wenn Sie mir einen an
nehmbaren Preis machen, nehme ich’s.«
Der Juwelier ging hinter dem La
dentisch heran-. in dem Kastenqiierbau,
vor welchem Felix stand.
»Sie erleiiiben?« sagte er höflich und
nahm den Ring.
»Aber — bitte —« stammelte Felix.
Der Juwelier Jiiaihte eine beruhigen
de Handbewegung.
»Sehen Sie, gnädige Frau," sagte
er, »das ist einmal etwas wirklich
Stilbolles.«
Felix folgte unwillkürlich seinem
Ring und kam so in die Nähe der
Deme.
Sie, die schon früher ihren linken
Handschuh ausgezogen hatte, ergriff
den Ring und steckte ihn an ihrenGold
fingen Der Reif war zu weit.
»Seht schön,« sprach sie und hob die
Hand auf.
Felix sah, daß es sehr lange, feine
Finger waren, und daß der alterthüm
liche Ring die Hand trefflich kleidete.
Botticellifinger, dachte er. Zu dem
Wesen der Frau hätte besser eine an
dere, festere Hand gepaßi.
»Kann man den Ring haben? Was
kostet er?« fragte sie. Felix machte eine
Bewegung. «
»Der Ring ist vorerst nicht verläuf
lich. Dieser junge Herr vertraut ihn
uns eine Weile an, für das Recht ihn
nachzuahmen,« sagte der Juwelier mit
Einem verbindlichen Lächeln zu Felix
in.
Felix wurde dunkelroth.
Die Dame sah flüchtig und gleich
gültig auf den jungen Menschen.
,,Schade,« sprach sie und legte den
Ring wieder hin.
Dann begann sie wegen desSchmucl
stücks im Kästchen zu unterhandeln·
Felix sah nun, dafz es eine Brosche aus
Silber mit sehr vielen alten Steinen
und Binrnenperlen war.
Er sah dann wieder auf die Spie
geln-and. Vor ihr standen auf Vorder-.
silberne Prunlgefäße, zwischen ihr und
dem Ladentisch betregte sich der Jn
welier. Dennoch aber glückte es Felix
zuweilen, un ehindert einen vollen Blick
iii das stolze rauengeficht thun zu tön
nen. Daß fein Hinstarren auf das
Spiegelbild unschicklich sei, fiel ihm
nicht ein.
Zufällig erhob auch sie einmal den
Blick und sah dies dunkle, auf sich ge
richtete Auge im Glase. Weder wandte
sie den Blick ab noch wurden ihre Mie
iien streng ode: elf-weisend Nur ihr
Auge öffnete sich weiter, wie bei einer
Erstanntem
Sie stockte in ihrer Rede, nahm sie
wieder auf, sagte etwas Zusammen
lhangleses und sah immer noch auf die
»Spiegelwand, Ins welcher ihr Felix’
Au en entgegenleuchteten.
l lötzlich schien sie sich zu ärgern,
ein hochmüthiger Zug lagerte sich uni
ihren Mund.
»Was haben Sie da für nette Ther
gliifer,« sagte sie und deutete auf eine
Reihe solcher, die auf dein Bord vor
der Spiegelwand standen, als habe sie
die verflossenen Selunden diese be
trachtet.
Man wollte sie ihr herunterlangen.
,,Lassei·. Sie nur —- ein andermal.
Also sechshundert der Stein und hun
dertfijnfzig die Brusche. Jch weiß nicht,
ob ich so viel da habe.«
Sie zog ein Portemonnaie ans ih
rer Kleidertafche.
»Ach ja —- tch hab’ einen Tausend
.mr.rtscliein eingesteckt s— wegen des
Isuxmhandea Bitte!«
Felix war zur Besinnung gekommen,
als er den Hochniuth in ihrem Gesicht
erwachen fah.
Bescheiden trat er zurück und war
tete, bis dic stolze Dame den Laden
verlassen haben würde-.
Auf der Schwelle lehrte sie rasch uni.
»Ich habe, alaub’ ich, mein Notizbuch
liegen lassen.«
Man stürzte an den Ladentisch, da
wo sie gestanden. Das Notiszch war
nicht zu finden.
»So? Pardon. dann hab’ ich’s wohl
nicht mitgehath
Jhr Blick ging langsam suchend
durch den ganzen Raum, auch iibet Fe
llx hin und traf noch einmal seine Au
gen.
Mit state-n Heezllopfen fühlte et,
tust dies ganze Maniivet mit dem No
tiszch nur gemacht war, um ihn noch
mals anzusehen.
Seint Geschäft mit dem Juwelier
war dann in zwei Minuten beendet.
Er hatte zweihundert Matt in der Ta
sche und einen Schein, daß er das
Recht habe, sich innerhalb eines Jahres
den Ringmgegen Etstattung der zwei
hundert ark wieder zu holen.
Felix Zins2 mit dem Gefühl eines
königlichen uthes die Straßen ent
Das ganze Erlebniß war freilich
nur ein Blickwechsel gewesen. Eine
wunderschöne und vornehme Frau hat
te ihr Auge wieder und wieder in das
seine versenkt.
Er träumen so fängt die Liebe an,
die große, elementare Liebe auf den er
sten Blick. Wenn es im Bereich der
Möglichkeit läge, daß sie sich wieder
beacgneten, wenn er zu ihrem Kreis ge
hörte, dann, gewiß, dann wurde sie
ihn lieben und er sie . . .
Aber der Rausch Verslog bald. Er be
sann sich, daß er ein armer Teule sei,
laß er mit richiigem Takt nicht ein
mal gewagt hatte,sil1 nich ihren ) a
men zu erkundiaem Er ward sich be
wußt, das; das Geld in seiner Tasche
nur zweihundert Mark waren, und daß
er genau rechnen mußte, wenn er zwei
Monate davon leben wollte. Denn er
hatte viel Ausgaben siir Papier und
Freimariem auch mußte er jeden Tag
fiinfundzwanzig Pfennig sur die Tasse
Koffee ausgeben, um im Kassehauz
alle Zeitungen auf ,,Gesuchie männli
che Personen« durchsehen zu können.
Diese jämmerlichen Erwägungen
stürzten ihn Von der romantischenHöhe,
die sein Gefühl eben erklommen, wies
der tief, tief hinab in’s Elend.
Dazu prasselte dicjsirähnig einMärzi
regen nieder und der Biirgersteig wie
Tie Fahrdämme waren in zwei Ninu
ten von blankem Nas-; iiberivascheu. Fe
lix sror.
Eine unsinnige Sehnsucht kam uver
ihn nachTrockenheit, Sonnenschein und
freier Natur.
Vor seiner Phantasie erstanden
sanfte Wiesengeliinde, mit dem Früh
denin deJ noch sonnenlosen Morgens
darüber, und einer reinen, herben, un
endlichen Frische der Luft. Und stille
Wälder, dunkel und dicht. Und ein
Acker, durch den ein Pflüger tiefbraune
Furchen zog, indes; fern mit ihrem
Trillieren eine Lerche schräg himmelan
stieg.
! So leben dürfen! Der Pflüger sein!
Da seine Kräfte bethätigen dürfen.
Ja, das wäre das Leben!
I Aber für jetzt ging er über nasse
»Straßen, durch die der Wind heulte,
zwischen hohen Mauerschranken end
lcser Häuserzeilen dahin und würde
ihnen vielleicht nie, nie entrinnen, wür
de noch dankbar anfjauchzen, wenn das
iGeschick ihm ein lohnendes Geschäft an
swies, das ihm- gestattete, sei es auch im
engsten, dumpfsien Raum, Brot und
TsObdach zu finden. Denn er war ein
Sklave geworden, der allerprimitivsten
Lust zum Leben! Zunächst bloß Leben.
Er brachte feine Tage nun wieder
wie in den letzten Wochen zu. Jm
Cafe füllte er sein Notizbuch mit Ad
lschriften von Gesuchen. Jn seinem
Zimmer schrieb er täglich zehn, zwan
zig Briefe. in denen er sich als Corn
mis, als Lehrer für Nachhiilsestun
den, als Setretär, als Reisebegleiter,
als Fabritaufseher meldete. Das eine
oder andre Mal kam die Aufforde
rung, sich persönlich Vorzustellm Er
hatte jedesmal die ersten fünf Minu
ten lang Hoffnung, denn es tam ihm
vor, als gefalle er. Dann stejltse es sich
heraus, daß er entweder die spe«s"-elle
Waarenbranche nicht kannte, oder daß
Kaution gefordert ward, oder daß
seine Zeugnisse nicht genügten, oder
daß man schon Erfahrung in der be
treffenden Thätigkeit forderte.
! Entsetzung folgt.)
, - - -- ,
—- Adresse. Richter: »Wo wohnen
"c-ie?« —- Vagabund: »Im Stadt
waldl unter die ch’.« —- Richter
Lizuin Zweiten): »Und Sie?« « Va
Egabundt »J woan dem Herrn grad
’vis3-a-vis.«
, —— Poste restante. »·Sie, Herr Post
!Beamter, ist vielleicht em Brief da un
«ter »Gann-:r«?« —- »Jawvl)l, aber wie
kommen Sie zu dieser Bezeichiiuna?«—
s«Wie? Ganz einfach! Friiher wurden
meine poste restante - Briese stets durch
Andere erhoben, diesen Titel aber, den
imöchte sich doch keiner gerne beilegen.«
z —- Anch eine Diagnose. Baden
!,,L«llso a Kopfweh hast, Körbelbauer?«
——- Körbelbauer: »Ja, mi reißt’s und
.sticl)t’s im« Kopf drin.« — Baden »Da
Thast v’leicht z’viel gessa?« --— Kötbeli
»dann-: »Nix is.« —- Bader: »Dort
ibast v’leicht an Rausch g’l;-abt?« —
-Zlörbelbaiier: ,.Nir is.« — Baden
—- Gnter Rath. Maler: »Nun, wie
finden Sie mein neuestes Vile« —
Atelierbesucher: »Ich weiß nicht —- es
jmacht einen etwas fleckiaen Eindruck.«
— Maler-: »Ob« ich bin ia auch noch
nicht fertia, mit ist nur das Terpem
tin cusaeaanaen.« —- Atelierbesu r:
»Dann benutzen Sie doch Benzin, as
Inimmt Oelsarbenilecke ebensogut sort.«
—-— Billiaet WinterausenthalL Arzt:
»Ich würde Ihnen rathen, den Win et
inMeran zuzubrinsngatient (scheoer
.höriq): »Jn Gera? Was soll ich denn
Ida?« Arzt: »Ich sage ja nicht in Gen-.
sondern in Meran!« Patient: »Ach. an
ider Rivieral Das ist mir zu tbeuer.«
Arzt: »Na, da fahren Sie doch meinet
ztveqen nach Venedig, da werden die
Tauben auf Staatstoften verpflegt!«
—- Ein Neuling des Weit-weils
Der Here Professor war sur Lautn
ichenjoad eingeladen und wird vom al
sten Obersörster Schnauz mit dem Be
merken, alsolut nichts zu sprechen« auf
sseinen Stand gestellt. Da sieht der
jProsessor gleich darauf eine größere
»Menge Kaninchen auf sich zuhoppelrr.
,Vlnstatt zu schießen tust er dem davon
aehenden Oberförster zu: »Ecce cunts
cnli multit« Die Kaninchen verschwin
den und der Oberiörster donnert dem
»sehr-dehnen Peosessor entgegen: »Sie
jsollten doch den Mund halten!" —
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