Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, February 04, 1898, Sonntags-Blatt., Image 9

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    YrbeitskraJ
Roman von Zerlin non Spättgrn.
GortiesunaJ
Dabei hatte er es ich aber streng
»und gewissenhast zur flicht gemacht,
weder den ahnungslosen Eltern, noch
dem Ischterlein selbst etwas von den
« Empfindungen seines Innern zu ver
rathen. Er wollte fich und ihnen die
« harmlose Unbefangenheit nicht rauhen.
Allein dem ungeachtet trat die Frage
immer gringender an ihn heran, wie
die Zukunft sich gestalten sollte.
Durste er in seiner vom Vater noch
völlig angängigen Stellung schon an
die Grün nng eines eigenen herdes
denken? Und würde Diejenige, welche
er sich zur Lebensgefährtin erloren,
den Eltern als Schwiegertochter auch
genehm sein?
Wufzie er doch genau, mit welch
« weren Kämpfen Lorle sich ihr Gliick »
f erringen müssen. Nun sollte auch z
" er vor Vater und Mutter hintreten !
« s, und seine Liebe zu der «Maus« beten
« nen. Dabei mußte selbstverständlich
der kümmerlichen Bermögenslage der
s- Waldenftödt’s Erwähnung gethan
werden. Klangen Ria’z harte, lieblose
, . orte doch noch immer an sein Ohr:
-· .Leute, welche Zimmer vermiethen,
- - " find nicht gesellschastsherechtigt!"
Aber auch der Vater würde ihm
sicher ernste Vorstellungen machen, ihn
an seine Karriere, an Stand, Namen
und Gott weiß was noch erinnern.
Ja, wenn nur ein einziger Mensch
einmal tiefer in die häuslichteit der
’- Waldenstädki zu blicken vermöchte!
s Wie bald würde man erkennen, daß
hier ein Bauch von schönster Eintracht,
Friede und Poesie durch diese beschei
denen Raume wehe.
Ader halt, wie war ihm denn: Johft
wollte ja kommen und ihn besuchen. »
«- Sollqte er den lieben, prächtigen Johst, j
den welterfahrenen Mann mit dem j
warmen Her en, etwa iu’s Vertrauen ?
sieheni Bie encht lonnte er ihm einen ?
Rath ertheilen, oh er sich hoffnungen
hingeben dürfe, oder oh die Pflicht ge
gen Eltern und Geschwister im gebote, »
rein schönen Gliickstraum zu entsagen. »
Nein, nein-, er hangte auch vor Johir. »
Trostloken Blickes schaute fTassilo
aus dein enster. Jegt wirbelten die
ersten Schneeslocken daran vorbei; aber
das von hulda angefachte Feuer pras
selte lustig und ließ es dopelt gemiith- »
lich im Zimmer erscheinen.
Wenn die Verhältnisse ihn wirklich
·zwangen, den vortrefflichen Menschen«
deren Umgang, wie er nur Zu wohl;
fühlte-, veredelnd aus seinen Character »
wirlte, mit liihlem Dante Lebewohl zu -
sagen — diese trauten vier Pfähle zu
verlassenl Wie beglückend erschien ihm
jen; stille Sorgfalt, die ihn hier um
ga .
Und er, der in Wohlstand und Corn
sort ausgewachsene junge Mann —
lebte und wehte mit Leuten, die in har
tee Arbeit das tägliche Brod erringen
mußten!
Eine peinigende Unruhe hatte Tas
silo Brandes-ist« erfaßt.
Er wars sein Manuskript zusam-»
« men. griff nach dein hute und verließ
das Gemach.
Bei-n Betreten des meist dämmeri
gen Entrees schlugen die Laute eines
wohlbekannten melodischen Organs an
sein Ohr. Wie gebannt siußte er.
»Ja, Papa, ich sagte dem herrn,
Mama sei augenblicklich nicht daheim.
Da er durchaus seinen Namen nicht
nennen wollte, so glaubte ich in Dei
nem Sinne gehandelt zu haben, als ich
ckhn aber-ist«
I
P
;
i
I
Maurma, welche in der Thur von
ihres Vaters Zimmer stand, sprach mit
gedämpster Stimme:
»Wie sah der Mann aus? Kannst
Du Dich besinnen, ihn jemals gesehen
zu haben, Kind? War es etwa einer
jener Leute, denen —- wir — Geld
schulden?« sragte here von Wachen
städt im hastigen Flüstertone, indesz
laut genug, um von Tassilo verstanden
zu werden. Dieser blieb --— aus die
Gefahr hin, eine Jndiscretion zu be
gehen, wie angewurzelt stehen.
»Der Fremde war groß und sah
äußerst distinguirt aus« Ausgesallen
sind mir nur seine dunklen, sprechen
den Augen und ein sin geschnittener
Bollbarn J bin thni nie vorher be
gegnei,« gab « aus« ensttich zurück.
»hrn —- und er bestand daraus,
Mama zu sprechens«
»Ja, er will in einer Stunde wieder
kommen, Papa«
«Sonderbar! Jch wüßte nicht« wer
ein Interesse haben könnte, uns hier zu
besuchen-« sagte der hausherr und
Msz hinter sich und »Maus« die
k.
W erst vermochte Tasitb die Wah
nemg unbemerkt zu verlassen Ganz
etssartijre Gedanken durchtreuzten
sein Seh rn. Paßte die Beschreibung
des Unbeiannten nicht genau aus
e
IM- . .
Nun, vielleicht irrte er sich. seine
Phantasie war heute krankhast erregt.
Da ei hohe Zeit für ihn geworden
war, nach dem Gerichtigebiiude zu
kommen, so winkte er rasch eine
Droschke heran und suhr von dannen.
II I I
Frau von Waldenstttdt, etne hochge
wachsene, noch jugendlich schlanke Er
scheinung, stand inmitten ihres zwar
W
Beilage deS ,,Anz—eiger und Herold«.
I J- B· Windle Vekqasqeveks
1 - -
Gram Junius-, Nein-, vku 4 Februar 1893 f
No 22, Jst-r ans ts-—
anspruchslos einfachen, allein doch mit
zarter Sinnlichkeit und peinlicher At
iuratefse eingerichteten lleinen Salons.
Gutgepflegte Blattgewächse und eine
grofze Bonere mit allerdings nicht last
baren, doch niedlichen kleinen Vögeln
belebten den anheimelnden Raum.
« Jm Moment prägten sich Unruhe
und innere Erregung auf den fein ge
schnittenen Zügen der etwa 39jährigen ;
Dame aus und in ängstlicher Span
nung hafteten ihre Augen an der Thür.
Als sie von einem kleinen Ausgange
nach Hause zurückgekehrt war, hatte »
Hulda ihr gemeldet, daß der nämliche
Herr, welcher schon einmal da gewesen -
sei, nun vorgelasfen zu werden bitte.
Für Selunden dachte Frau von’
Waldenstädt daran, den Fremden
iurzweg abzuweisen. Das seltsame
Verschweigen feines Namens dünlte
ihr auffällig. Man pflegt unter gebil
deten Leuten bei Besuchen doch auf ge
wisse Formen zu halten.
Allein durch die harte Schule des
Lebens war ihr auch andererseits wie
der ein besonderer Muth verliehen wor
den und daher bemühte sie sich, stets
jeder Sache auf den Grund zu gehen.
Jn der ihr eigenen liihl refervirten
Art, welche ihr ungeachtet des mehr wie
einfachen Kleides, das sie trug, eine
vornehme Würde verlieh. empfing sie
fest den angeiiindigten Gast.
Beim Anblick des großen, kraftvol
len Mannes, dessen Haupt so stolz und
sicher aus den breiten Schultern saß,
war ei ihr plötzlich, als schwebten halb
verwischte Erinnerungen stiichtig an
ihrem Geiste vorüber.
Wo in aller Welt hatte sie dieses
Rassegesicht mit den ausvtucksvollrn
Augen schon einmal gesehen? Gewahrte
der Unbekannte, daß sie siutztef
Nein! Ernst, fremd und lalt trat
er ihr entgegen; dann verneigte er sich
beinahe ehrfurchtsvoll und sagte höf
lich:
»Mein dringendes Geweh, welches
faft den Charakter einer Taltlosigleit
an sich trägt, mag Ihnen, gnädige
Frau, zum Beweise dienen, wie viel
mir daran lag, von Ihnen empsangen
zu werden«
Allerdings —--— ich nehme an, daß es
eine ganz besondere Angelegenheit ist,
welche Sie hierher führt, mein Herr,
nnd ich muß mein Befremden darüber
eingestehen,« erwiderte die Dame, ohne
einen Schritt von ihrem Platze zu
weichen, ohne ihn zum Näherlreten
aufzufordern
,,Und dennoch liegt diesem sonder
baren Benehmen meinerseits ein wohi
iiberlegte Absicht zu Grunde, gnädige
Frau. Jch wollte Jhnen meinen Na
men selbst nennen, weil ich in Erfah
rung gebracht habe, dasz Sie in man
chen Punlten unbarmherzig schroff
find. Ja, Sie würde auch Solche zu
rückweisen, denen die Bande des Blu
tes ein Recht geben, sich Jhnen theil
nehmend zu nahen!«
Fest und voll klang des fremden
Mannes ionores Organ durch das
kleine Gemach.
Mit energischem Ruck slog der Ange
redeten Kon blißfchnell in den Nacken,
während sich ein herber, strenger Zug
um ihre Lippen lagerte. Eigenthüm- «
lich tonlas brachte sie hervor:
»Die einzigen Menschen, auf welche
die Worte ,,Bande des Blutes« Bezug
haben könnten, sind mein Gatte und
meine Kinder. Sonst giebt eö Nie- -
manden in der weiten Welt, der sich .
das Nechi, mir Theilnahme entgegen s
zu bringen« anmaßen dürfte. Jch be- I
darf derselben, Gott Lob, nicht, mein ;
herr!« s
Ueber die offenen Züge des statt-«
lichen Mannes slog ein Schatten hin,
während er das schmale, abgehiirmte,
einst gewiß sehr anziesende Fraueuanti
lis wehmüthig betrachtete.
Sie wollte —- drauchte teine Theil
nahme! Dies war ein Ausspruch, der
in seiner eigenen Brust wunderbar
sympathische Saiten erklingen ließ.
Noch strassek richtete er sich empor
und sagte nachdriidliche
»Als einzige Antwort hierauf lassen
Sie mich Jhnen belennem gnädige
Frau, daß ich Jobst Rheinbderg bin!'«
Regungslog, ohne einen Zug von
Ueberraschung oder Freude zu ver
rathen, verharrie Frau von Waben
stiidt aus ihrem Plahr. Nur halb
mechanisch hatte ihre Recht-e nach der
Lehne eines Stuhleö gegrissen, die sie
jeht sese umschlossen hielt.
»Das ändert in meinen Ansichten
durchaus nichts . Die Verwandten des
Vaters haben der seligen Mutter und
mir stets so seen gestanden, daß ich
auch jeht lein Bedtlrsniß nach ihrer se
tanntschast fühle,« entgegnete sie hart.
»Gewiß, gnädise Frau, ich verstehe
und degreise das nur u wohl; ja, ich
war aus einen solchen mvsang vorbe
reitet. Trost-ein aber muss ich die
dringende Bitte aussprechen, mir we
nigstens einige Minuten Gehör zu
schenken!«
Frau von Waldenstädt hatte bereits
eine halbe Wendung nach der Thiir ge
macht.
,,Wozu?« fragte sie nur kurz.
»Um Sie davon zu überzeugen, daß
ich, der Sohn jenes Mannes, welcher
Sie und Jhre Mutter hart und lieblos
behandelt bat, daß ich nur deshalb her
gekommen bin, um Jhnen meine Hoch
achtung zu süßen zu legen!«
Mehrere Sekunden ruhten die noch
immer schönen Augen der Dame durch
dringend auf des Gasteg merklich er
regten Ziigen und zögernd fragte sie:
,,Wollen Sie mir dann vielleicht auch
verrathen, welche Motive Sie leiteten
—- zu einer so plötzlichen Sinneöiindes
rung, zu diesem Besuch?«
Wie innere Befriedigung zuckte es
jeht urn des Grafen Mund. Er ver
beugte sich noch einmal und entgegnete
rasch:
»Der einzige Beweggrund ist fiir
mich nur der, das wieder gut zu ma
chen, was mein Vater versäumt hat-«
Nach diesem Auzspruch blieb ez eine
Weile todtenstillz nur ab und zu drang
ein feines Piepen und Zwitschern aus
der Voliere nach den Anwesenden hin.
Graf Rheinöberg gewahrte deutlich,
lvie Frau von Waldenstiidt jäh erblaßte
und sich fester an das harte Holz des
Stuhles anzutlammern schien. End
lich hob sie den bisher gesenkten Kon
und sagte in bewundernswerthey fast
eisiger Ruhe:
»Wollen Sie, bitte, Platz nehmen,
Graf, weil ich jetzt auch meine Ansicht
iiber eine Sache aussprechen muß, die
ich längst — ach, so lange schon, als
überwundenen Standpunkt betrachtet
habe. Da Sie nun aber einmal hier
sind, so liegt meines Erachtens eine
Art moralischer Nothwendigteit darin,
sich gegenseitig zu verständigen«
Ver Angereoere steure den Vut dei
Seite und setzte sich der Hausfrau
gegenüber aus ein kleines Tahouret.
Erst seit war er nahe genug, das
» bleiche Frauenantlitz einer schärfer-en
Musterung zu unterwerfen.
Das war also Eisa von Walden
städt, deren Mädchennaine gelegentlich,
freilich nicht oft, zu Lebzeiten seines
Vaters in Roftersheim genannt wor
den war? Darauf hatte er lange
Jahre nichts mehr oon ihr gehört, ihre
Existenz fast vergessen. Auch über ihn
waren des Lebens Stürme hinwegge
brauft; er war zum Manne gereist.
Da wurde er durch Nia Brandenfels'
unfreundlichen Ausspruch in Alt
Steine plötzlich wieder daran gemahnt.
»Waldenftadt —- Waldenstädt!«' schoß
es ihm während der hochzeitlichen Fest
tage fortgesetzt durch den Sinn und
nach seiner Heimlehr bemühte er sich
sofort, Crlundigungen ilber jene Fa
milie einzuziehen.
Das hatte Monate in Anspruch ge
nommen und nun saß er hier vor der
ernsten Frau und kam sich ihr gegen
über fast schillerhaft unbeholfen vor.
Solch’ ablehnede Kälte dünkte ihm ver
sehend.
»Bitte, sprechen Sie getrost, Gna
dige,« sagte er zuvorlonunend
Wie unter einem schweren Drucke
hob und senkte sich Frau von Waldesr
städt’s Brust, dann schaute sie ihm voll
und forschend in die Augen und ent
gegnete mit fester Stimme:
« ch kann wirklich nur annehmen,
daß all jene schmerzlichen Angelegen
heiten der Vergangenheit Ihnen, Gras
Rheinsderg unbekannt sind; sonst
würden Sie sich wohl kaum dazu her
abgelassen haben, mich zu besuchen!«
«Bttte — weiter —- tveiter, meine
Gnädige, sagen Sie Alles srei vom
Herzen herunter. Was ich weiß oder
nicht weiß, kommt hierbei gar nicht in
Betracht; darüber wollen wir später
reden. Jch möchte jeht nur genau wis
sen, in welcher Weise mein verstorbener
Vater sich damals Jhrer Mutter gegen
über verhalten hat.«
Gleich Zorn und Verachtung blitzte
es über der Dame Gesicht und ausfal
iend geprest gab sie zur Antwort:
»Nun gut, ich werde Ihnen nichts
verhehlen, Gras. Jhr Vater hat die
eiaenhändig von ihm geschriebene Er
klärung, worin er sich verpflichten,
nach seines Bruders Tod gewissenhast
für dessen Wittwe nnd Kind zu sorgen,
ihnen eine jährliche Rente von zweitau
iend Thalern zu geben versprach, ein
sach dementirtl Er hat diesen leider
nicht notariell beglaubigten Reverö als
aesiilscht erklärt und meiner armen
Mutter mit beleidigenden Ausdrückcn
die Thüre gewiesen. Ferner ließ er
ihr durch seinen Anwalt sagen, daß der
Bruder mit einer namhasten Geld
sumnie vollständig abgefunden nnd
entschiidigt gewesen sei, dessen hinter
»- -.
bliebenen daher keine Änspriiche an ihn
selbst zu erheben berechtigt wären!«
Finsteren Blickes, die Arme unterge
schlagen, starrte der Gras zu Boden.
Nach einer Pause fragte er:
»Und Jhre Frau Mutter hat nie den
Versuch gemacht, aus ihrem vermeint
lichen Rechte zu bestehen, diesen pein
lichen Fall niemals einer höheren Jn
stan23« zur Entscheidung anheim gege
ben
»Meine Mutter trug ebenfalls den
Namen Nheinsberg und gerade um die
ses edlen Namens willen brachte sie es
nicht über’s Herz, des Gatten Bruder
einer unredlichen Handlung zu beschul
digen Was hätte es ihr auch wohl ge
nühti Er war der reiche, vornehme
Mann, dem mächtige Berbiindeie zur
Seite standen; sie, das arme Weib, die
Tochter eines schlichten franzssischen
Sprachlehrers, welches der Verstorbene
an feine Seite emporgezogen, eine nur
.Geduldete· Bereits Jahre hindurch
hatte sie Mißaaågurg und scheele Blicke
von Seiten der milie zu ertragen ge
habt. Voll demiitbiger Ergebung in den
Willen Gottes schwieg sie. Der Mund,
welcher allein fiir sie zu sprechen ver
mochte, er swnr ja verstummt. Ihr fehl
ten die Gegenbeweise.«
»Nein, Graf Rheinsdera, daß weiß
ich nicht, da ich zu jener Zeit noch Kind
war-. Jch weiß nur von der langen
Krankheit meines Vaters welche Un
sumnien ewstet hat, und daß wir nach
seinem ode beinahe mittelloö zurück
geblieben sind. « - .
»und dann?« Der große Mann war
aufgesprunqen und athmete tief und
er, während Frau von Mulden
stadt leise fortfuhr-:
.,:Urama nat mir eine aeoregene »Ju
- duna zu Theil werden lassen, und mit
; 19 Jahren war ich so glücklich, eine
? Stellung als Gesellschafterin und Rei
! ebegleiterin im Hause der der Gräfin
s L annhcim zu erhalten« deren Besitz in
» de. Rheinprovinz lieat. Allein es war
z mir nicht vergönnt, länaer als andert
i lb Jahre bei dieser liebenswürdigen
i ame zu verweilen. Anläßlich einer
s Gesellschaft in der Nachbarschaft lernte
I ichherrn von Waldenstädt, meinen
Gatten, kennen, welcher damals als
Lieutenant bei dem in X ..... garnisoni:
renden ArtillerieMegiment stand.Grii
fin Tannheim ist länaft todt, aber sie
hat stets wie eine mütterliche Freundin
an mir gehandelt. Meine eigene Mut
ter zog zu uns in den junaen Haus
stand, wo die Edle noch viele Jahre se
genspendend unter Kind und Enleln
gewaltet hat« bis der liebe Gott sie
heimrief. Nachdem Waldenftädt tränk
t lichkeitshalber den Abschied aenommen,
zogen wir hierher nach Berlin-«
Die Erzählerin verstummte plötzlich.
Mit im Schoqu acfalteien Händen
lehnte sie im Sessel und schaute triisbe
sinnend vor sich bin.
»Ich danke Ihnen, anädige Frau.
Jhr gütiges Vertrauen ehrt mich tief,
weil ich genau weiß, wie schmerzlich es
» Ihnen ist, über jene Dinge zu sprechen,
uberwundencg Leid noch einmal wach
zurufen und kaum verharschte Wunden
; wieder aufzureißen! Allein« ich mußte
- den ganzen Sachverhalt aus Ihrem
s Munde hören, da mein Vater diese
i Peinliche Angelegenheit stets nur ober
i flächlich gegen mich erwähnte, und erst
f nach seinem Tode gelana es mir, mich
i eingehender damit zu befassen,« saqte
) der Graf in der ihm anhaftenden ruhig
s freundlichen Weise.
s Sinnend hatte Frau von Walden
s städt den Gast eine Weile betrachtet,
« nun warf sie ebenfalls aesammelter
hin:
I »Es ist auffalleiid, ioie Sie Ihrem
E Vater leichen. Jch hätte sie sofort als
E einen heinsbera ertannt.'«
»Aeußerlich vielleicht,« erwiderte er
merkbar schroff. »Seine Ansichten, Jn
ieressen und Passionen liefen den mei
nigen schnurstracks entgegen«
Die Dame schwieg, und haftiger, als
oh eine innerellnruhe ihn dazu antrieb,
fuhr Graf Rheinshera fort:
»Gnädiae Frau, wir find jetzt an ei
nem Punkt angelangt, der noch mehr
Vertrauen und Offenheit Zwischen uns
erheischt. Zwar soll der Sohn sich nie
mals zum Richter wider den Vater
auslehnen; hier jedoch darf dieser alte,
oftmals wahre Ausspruch nicht befolgt
werden. Mit dem Anfaebot aller mei
ner moralischen Kraft will ich mich da
aeaen verwahren, dezVersiorbenen An
sichten und Handlungsweife jemals ge
billigt zu haben. Gnädige Frau, ich er
laube mir, Sie daran zu erinnern, daß
Sie einstmals den Namen Rheinöbera
trugen, der ein feftes Glied bildet zwi
schen uns: darum auch maße ich mir
jetzt die Bitte an —- Sie fiir die Härte
nnd Lieblresiqteii meines Vaters ent
schädigen zu dürfen.«
»Mit Geld etwa? Hat Mißachtun
gen und Demüthiaunaen lassen sich
urch Geldopfer nicht sühnen,« erwi
derte die Angeredete herb. »
»O, verstehen Sie mich doch nicht ;
falsch, Gnadige. Jch meine ia nur, daß
ich die Rechte Ihrer Mutter anerkannt »
zu sehen wünsche," rief Rheinsberg er
r t.
»Als-J, Sie wollen den eigenen Vater
an den Pranger stellen und der Welt
gegenüber erklären, daß er sich an des
Bruders Weib und Kind versündigt
hat?« fragte Frau von Waldenstädt
und schüttelte energisch das Haupt.
»Dadurch würde der Name meiner ar
men Mutter noch einmal in den Staub
gezogen werden, wogegen ich entschieden
protesiire Natürlich haben Sie davon
gehört, daß wir in Armuth leben; Jhr
delsinn treibt Sie daher zu dieser
»Großmuth« an, ohne näher zu unter
suchen, otb Ihr Vater nicht doch etwa
im Recht und wir habgierige « ntri
auanten waren. Nein, Graf R eins
erg, verzeihen Sie mir das unfreund
liche Wort--——doch Sie sind jenes Man
nes Sohn! Jch würde niemals das
Mindeste aus Jthren Händen anneh
men, bis Sie selbst mir nicht schwarz
aus weiß einen Beweis liefern können
von Jhres Vaters gegen uns begange
ner Schuld. Jedes Almosen weise ich
entschieden zurück.«
Frau von Waldenstädt hatte sich
jetzt erhoben und trat in unnahbar
stolzer Haltung mehrere Schritte zu
rück.
»O, mein Gott, gnädige Frau, ich
beabsichtigte nicht, Sie zu kränken-. Jn
bester Absicht kam ich hierher,« rief tief
erschreckt der Gras, während ein Aus
druck wahrer Trauer sein anziehendes
Gesicht beschattcte.
»Gewiß, ich Verlenne dies keines- !
wegs. Jn Anbetracht dessen, von den ’
Verwandten meines Vaters jahrelang s
als »Paria« angesehen worden zu sein, -
könnte diese Genugthuung mich jetzt I
fast erfreuen,« entgegnete Frau von ’
Walden"städt, wobei ein Zug von Bit
terkeit und Spott um ihre Lippen la
.erte. ,,Allein auch ich habe meinen
tolz nnd so kann ich nur nochmals
erwidern, daß ich der Hilfe der reichen
Rheinsberg nicht bedarf. Gott ist mein
Schutz und Schirm!«
Für Momente flog ein zorniger,
trotziger Ausdruck über des Grasen
Stirn, und seine Züge waren merklich
bleich geworden; aber er verneigte sich
pur in kalter Höflichkeit Und sagte
ruhig:
»Dann ist allerdings meine Mission
beendet. Jch bitte nur, mein unsbefeug
tes Eindringen zu verzeihen, gnädige
Fran, und habe die Ehre« mich Ihnen
zu einpsehlen!«
Wenige Minuten später schloß sich
die Thüre shinter sder halben Gestalt.
Wie betäubt preßte die Zurückblei
bende beide Hände vor das Gesicht, wo
bei sich ein qualvolles Aufschluchzen
ihrer Brust entrang.
War es nicht plötzlich. als ob sich
ewige Finsterniß über sie herasbsenkte
und höhnende Stimmen ibr die eigenen
Worte von den Wänden zurückschrieem
»Ich brauche die Hilfe der reichen
Rheinsbergs nicht!«
Allmächtiger Gott, war sie wahnsin
nig gewesen in diesem Moment? Hatte
der Stolz jedes bessere, weichere Gefühl
in ihr erstickt?
Nur an sieh selbst, an die tausend-De
miithigungen und Bitterkeiten ihres
Lebens ——— aber nicht an ihr Liebstess—s
an ihre Kinder, hatte sie gedacht!
11..5kapitel.
Einen weiten, dunkelblauen, mit
flockigem Anqora gefütterten Radman
tel um die Schultern gelegt, dessen
breite, weiße « elzaufschläge das kind
lich rofige Ge rchtchen ganz wundervoll
tleideten, steckte Lorle das Köpfchen zur
Hausthiir der Van Wenkbard hinaus
und vbegutachtete die Witterung· Ein
dichter, fast undurchdringlicher Nebel
lag seit dein frühen Morgen über Haus
und Garten und hüllte die Landschaft
ringsum in triibfeliges Grau. Zum
Spazierengehen schien es allerdings
nicht geeignet, da nebenbei das Ther
mometer taucn 4 Grad zeigte und die
in Wege liegenden herabgefallenen
Herbstblätter Spuren feuchter Nieder
schläge bewiesen. Allein die junge Frau »
hatte einen nöthigen Gang vor und
mußte hinaus-; sie hob den Saum des
Kleides so viel als möglich empor und
schritt mit den in standfesten Schuhen
gcckenden kleinen Füßen tapfer durch
ebel und Näffe dahin· Binnen Kur
zem war das hohe Gußeisenthor, mel:
chcs das Wenthardsprbe Grundstück von
der Straße schied, erreicht und leise zog I
sie die schwere Pforte wieder hinter sieh s
» zu.
L Ohne sich um zu sehen, strebte sie(
: vorwärts der etwa fünf Minuten von
den Etablissemsents ihres Gatten ent
fernten Arbeiterkolonie zu.
Diese bestand aus mehreren großen
rrthen Backsteinhäusern, worin die in -
der Fabrik besass-sagten Les-se siis »k- l
ringe Miethe hübsche und luftige Woh
nungen fanden. Bereits zu oes ver
storbenen Kommerzienrach Zeit waren
die Gebäude errichtet worden.
Ein Fan Krähen zog treischend
über dem Kopfe der jungen Frau da
hin. während das schrille Glöckchen ver
Fabrik die Mittagszeit verkündete
»Das ist die Gnädige,« sagte plöt
lich eine rauhe Stimme halblaut inter
ihr, welche aus dem bättigen unde
eines blaublusigen Gesellen kam, der
mit zwei Gefährten zur Mahlzeit heim-.
tvärts strebte.
»Sie geht wieder einmal zum aiien
Vater Fechsner, dem morgen wegen
Knochenfraß oder so was Aehnli B
das linke Bein abgesäbelt werden so ,«
entgegnete ein Anderer mit drastrs r
Geberde nach dem eigenen Schintel hin.
»Na, er hat sich den Knaels jsa auch
dort drin in der Fabrik geholt —- schon
zu Lebzeiten des seligen Herrn; dafür
muß nun die Herrschaft auftonnnen,«
sagte der Dritte und spuckte aus.
Lorle hörte das Gespräch und be
schleunigtc daher ihre Schritte, weil ein
unbestimmtes Gefühl sie bedeutete, daß
die Leute« nur um von ihr Verstanden
zu werden, so laut redeten. Allein die
Männer folgten ihr fast auf dem Fuße-.
»Es soll s ar im Testament gestan
den haben, da der Fechner opercrt und
zeitlebens vers-rat wird und das ist ein
Glück; denn sonst, au we ! — Der
Selige war ein vorsichtiger ann, der
immer Nummer Sicher ging.«
Jn beißend-km Sarkasmus klangen
diese Worte aus dem Munde des Ersten
an der rüstig Dahinschreitenden Ohr.
,,Sapperment, und ich dachte, die
junge Herrschaft fühlte Erbarmen mit
dem alten Manne und ginge aus eige
nem Antriebe zu ihm hin! Pustluchenl
Var odre du Mufti geschieht’s also?«
tönte es aus rauher Kehle.
,,Freilich, jetzt sind andere Zeiten,
jeitztßthut man nur, was man eben thun
mu .«
,,Hahaha!« lachen die Uebrigen in
unverkennbar-cui Spott
Lorle zog den Pelzmantel fester um
die Schultern und rannte unaufhalt
sam weiter.
Jetzt endlich war das erste Backstein
haus erreicht und behende schlüpfte sie
durch die Thür. Es hatte ihr gebangt
vor diesen rohen, zum Theil unver
ständlichen Reden. So viel nur schien
ihr klar geworden, daß Fred sich keiner
besonderen Liebe unter den Arbeitern
erfreuen durfte.
Seit ihrer Heimlehr war sie diesen
Weg bereits mehrfach gewandert. Dis
erste Mal auf Fred’s besonderen
Wunsch, welcher ihr über des alten
Fechner Mißgeschick er ihlte; später
aus eigenem Antriebe. on Arbeitern
« wurde sie jedoch noch nie behelligt. Das
» Benehmen dieser Leute dünkte ihr ein
» pörend
l Es war eben der Geist einer nach
s Freiheit und Gleichheit strebenden Zeit;
l offenkundige Mißachtuug jeglicher Au
torität Fred erging es sicher nicht
schlninier, als tausend anderen Indu
striellen, dachte die junge Frau, und
; n:it diesen Reflexionen betrat sie ein zu
« ebener Erde gelegenes kleines Gemach-.
Ein alter, weißtöpsiger Mann lag dort
in seinem schmalen Bett, den Rücken
von blau und weiß gewürfelten Kissen
unterstützt und las eine zerknitterte,
fettig Zeitung. Dumpse, qualmi e
Luft schlug Lorle entgegen, allein sgre
bezwang ihren Widerwillen und schritt
hastig nach der LagerstatL
,,Guten Tag, Fechner, nun, wie geht
es heute? Jch wollte doch —- vor dem
morgigen schweren Tag noch einmal
nach Jhnen sehen,« sagte sie sanft und
richtete die blauen Augen voll wahrer
Theilnahme auf des Kranken hageres,
bleich-es Gesicht.
Ein Ausdruck von gränilicher Refra
nation prägte sich darin aus.
»Na, wie soll’s auch gehen, gnä«
Frau! Der alte Kadaver verlohnt sich
wahrlich kaum mehr der Mühe, welche
sich die Doktors mit ihm machen wol
len«, gab der Angeredete mürrisch zur
Erwiderung. ,,s’ ist kein schöner Ge
danke, wenn man zeitlebens gearbeitet
hat wie ein Pferd, um unter dem Mes
ser eines Pslastertastens zu verenden!«
»Aber Fechner, welche Idee! Sie sol
len durch die Amputation des tranken
Beines ja wieder gesund werden. Heut
zutage unternehmen die Aerzte noch
weit schwierigere Operationen, welche
glücken Jn einigen Wochen sind Sie
dann wieder . . . Die junge Frau
stockte befangen, weil die eingesunlenen
Augen des Alten so seltsam siechend
auf ihr ruhten.
, »Ein Krüppel! Das stirnth vollen
. dete dieser den Satz. »Ein Krüppel,
; der mit dem Stelzfuß herumhumpelt
! und Allen zur Last wird. Wenn ich
? sterbe, würde der gnädige Herr ia eine
l Erbschaft machen, da er mich sonst
! zeitlebens erhalten soll!«
s »Unsinn, Fechner! Sie bekommen
T ein künstliches Bein neuester Construk
H tion; damit können Sie gehen wie un
sereins. Mein Mann hat bereits mit
Doktor Holthaus darüber gesproct,cti,«
erwiderte beschwichtigend die junge
Frau.
,,.tkostet aber 100 YJcarks----dzs Ding!
Für einen armen Lumpen, wie ich es
bin, verlohnt sich das ja nicht, gnä’
Frau!«
,,Machen Sie sich nur darum keine
Sorgen, Fechner. Der Herr zahlt diese
Summe gern in Anbetracht, daß Ih
nen damit geholfen wird."
»So --— wirklich?« Ein hämisch ver
bissener Zug breitete sich um des Alten
Mund, dann griff er plötzlich nach der
Dame Hand und sagte ein wenig mil
der: .
»Na, nichts für ungut, gnä’ Frau.
Sie sind gut —— auch so «·ne Zerle, die
Jedem helfen möchte, und gerade da
rum hab' ich mir fest vorgenommen,
einmal ein ernstes Wort mit Ihnen zu
reden. Dacht’ mir schon, daß Sie
heut’ noch mal runter kommen würden.