Ereylorli Monds Roman von Jofef Trenmamu (24. FortfesungJ Von der »Rosen-Herberge« gingen mir leine weiteren Nachricht-en mehr zu; eines Tages jedoch, als ich an Tante Pamelas Seite durch Die engen Straßen von Blaclport fuhr, f! r-; des Doktors Einspänner an uufc rer Equis page vorbei. Nur einen Moment begegnet-en sich unsere Blicke. Ich faß, tief in Trauer gekleidet und in schweren Pelz gehüllt. — neben Tante Parmela und bot ohne Zweifel feinen Augen einen merkwür digen Anblick dar, als ich mich text-mo niiis verneigte. Er nabm euenfo erre moniös den Hut ab. Ein Gefühl des Stolzes — das erste, das ich in mei nem neuen Leben empfunden hatte -—·T durchzuckte mich, um im nächsten Hin-f genblict der Wehmuth und dem Schmerze zu weichen. »Du bist fo bleich, mein 3kind," sagte Tante Pamela besorgt »Du zitterft; füblst Du Dich etwa unwoblcs »E2 ift die Kälte, « ftammelte ich, j indem ich mich dichter in meinen Pelz hülltr. 81. Kapitel. Die Fabritarbeiterin. Die Monate kamen und schwanden dahin. Ein trüber Herbstabend däm merte über die geschäftige Stadt Mill-! bridge herein. Die Arbeitsstunden in! den großen Wollfabriien waren vor-! über. Eine Glocke ertönte, und dies Arbeiter strömten einer Herde Schasel gleich in die Straßen hinaus. Die· ärmliche Kleidung dieser müden Män ner und Frauen war mit weißen Wollflocken iiberschneit, und die Vliisse ihrer Gesichter verkündete deutlich, wie unbarmherzig der beständige Aufent halt in den schwülen Spinnereien ihre Gesundheit untergrub. Einige der Mädchen lachten und plauderten miteinander, neckten die jungen Männer und tauschten Scherze, die nicht immer zarter Natur waren, mit ihnen aus-, doch unter ihnen war Eine, die weder rechts noch links blickte, weder lachte noch scherzte. Obgleich auch eine Arbeiterin, nahm sie doch tei nen Antheil an der Heiterkeit ihrer Ge nossinnen, welche sie an Schönheit weit übertraf. Selbst ihr schäbiges Kat tuntleid, ihr alter grauer Shawl und ihr dünner Schleier dienten nur dazu, die reinen Linien ihres Antlitzes und das edle Eben-naß ihrer Gestalt um somehr hervorzuheben, je greller sie ge gen diese abstachen. Jhr groberStroh hut bedeckte eine Fülle von goioenem haar; durch den oerishossenen Schleier schimmerte eine Laut ums Alabaster und zwei große blau-: Augen ooll un aussprechlichem Weh. Wenige Perso nen in Millbridae degraneteu je tie sem Mädchen, ohne stehen zu bleiben und ihr nachzublietem »Sie sind wohl müde-, Misz Sr:1?it««?" sagte eine andere Armitszrin m«: tm gerem Gesichte und tieiliegenden Blei-« gen, die neben der soeben Bei-triebe nen einherfchritt. »Ja — ein wenig, Lizzie,« antwor tete die Angeredetr. »Gott weiß, ed ist ein harre-Z Beben-« seufzte Lizzie mit einem Dust-n der ihre dünnen Lungen zu zerreißen schien. »Ich habe den ganzen Tag Blut gespuclt. Jch werde es wohl nicht mehr lange aushalten. L.h!« fuhr sie mit einem plötzlichen Ansluge von kindlicher Lebhastigteit fort; «wissen Sie schon, Miß Sinith, dasz ein neuer Musiklehrer nach Millbeidge getommen ist? Etliche von den Mön chen haben sich ein wenig Geld erspart; sie wollen zusamnienschießen und ein Piano miethen, um in den Abend-tan den Unterricht zu nehmen. Jst das nicht prächtig? Wie gern möchte ich mich daran beiheiligen! Allein Sie sehen, dasi es mir bei meiner Krankheit nicht möglich ist, Etwas zu eriibri·.t.sn; Alles, was ich verdiene, reicht lnaop hin, um meine Rost und die ewigen Arzneien zu bestreiten.« ,,Arme Lizzie!« sagte Mis; Smith mit sanfter Stimme. Das Mädchen bog in eine andere Straße ein. Keine der übrigen Ar beiterinnen sprach mit Mis; Smith; sie war bei ihnen nicht beliebi. Schon seit zwei Jahren arbeitete sie in einer der Fabrilen und hielt sich mit einer gro ßen Anzahl gewöhnlicher Manns-— und Frauenspersonen in dem großen Kost hause am Flusse auf, und dennoch war sie immer eine Fremde in Millbridge. Niemand wußte etwas über ihre Ver gangenheit; Niemand lonnte sich der geringsten Vertrautheit mit ihr rüh men. Sie war artig und höslich gegen Jedermann, wußte aber ihre Mitar eiterinnen in respektvoller Disianz zu halten. Miß Smith eilte an diesem Abend nicht« wie sonst, nach ihrem Kosthause zurück, sondern bog mechanisch von der geräuschvollen Straße in einen einsa men Fußpfad ein, der längs des Flus ses hin lies. Sobald sie sich von Nie mandem mehr beobachtet sah, wars sie sich plötzlich in das verdorrte Gras am User, riß hui und Schleier ab und schob wie eine dem Ersticlen nahe Per son ihren alten Shawl von den Schul tern zurück »O, ihr Götter, warum haltet ihr uns den Kelch der Freuden an die Lippen. nur um ihn uns zu entreißen, ehe wie ihn berührten?« murmelte sie leise vor sich hin. Die Sonne war bereits, untergegan gen und graue Dämmerung lagerte über dem Flusse und der Stadt. Ein Boot fuhr mit leisem Ruderschlage auf dem Wasser hin. Miß Smith bemerkte es nicht; sie saß nachdenklich in dem dürren Grase und pflückte zerstreut Halm um Halm aus der Erde. Was war es, das sie endlich aus ihren Träumereien wecktei Das Boot iam zurück und ruderte stromabwärts den Fabriten zu. Durch die abendliche Stille drangen die Worte: »Ich muß morgen gehen, Denham.« Es war nur diese nichtssagende Be merkung, die sie vernahm, und der Name Denhams, der einer der reichsten Fabritbesifzer der Stadt war, interes sirte sie durchaus nicht. Dennoch sprang sie, wie von einer Natter ge bissen, auf. Jhr Gesicht wurde asch fahl; eine Empfindung des Erstickens fchnürte ihr die Kehle zufammen. Das Boot fuhr weiter und verschwand hin ter einem Weidengebüfch Welchen merkwürdigen Streich hatte ihre Einbildungstraft ihr gespielt? Welch’ iranthafte Erregung hatte sich ihrer Sinne bemächtigt? Während sie noch athemlos und wie verfieinert dastand, erschien plötzlich ein Mann init einer Rolle Noten unter dem Arm auf dem Pfade, schritt an Miß Smith vorüber und blickte über die Schultern nach ihr zurück, blieb wie vorn Blitze gerührt stehen, stieß einen lauten Schrei aus und stand im näch sten Augenblicke keuchend vor ihr, in dem er rief: »Mein Gott, Ethel Guy lock!« Sie wand-te sich rasch um und blickte den Mann an; sie war todtenblaß ge worden. »Fürchten Sie sich nicht vor mir!« stammelte der neue Musiklehrcr von Millbridge, indem er einen Schritt zu rücktrat. »Ich fürchte mich nicht!« antwortete sie kalt. »Gott sei Danll« ries er. »Bei un serer letzten Begegnung war ich wahn sinnig, jetzt aber bin ich im vollen Be sitze meiner Sinne. Wie aber lommen Sie hierher, und in dieser Verklei dung?« fügte er hinzu, indem er aus« ihr schiibiges Kattunlleid deutete. Sie seyte hastig ihren Hut wieder; aus und zog den alten Shawl um ihre » Schultern. ’ »Es ist leine Verlleidung,« antwor- ; tete sie. »Ich bin eine Arbeiterin in einer der hiesigen Fabrilen und ver diene mir mein Brot dadurch. Mein Name ist nicht Ethel Greylocl, sondern ! einfach Miß Sinne-:- s So standen sie einander denn wie-s derum gegenüber —- Arthur Kenyonj und das Mädchen, das er einst zu er morden gesucht hatte. Kenyon sah alt, abgehärmt nnd heruntergelommen aus. » Seine Augen waren blutunterlausen; und seine üppigen Locken bereits stark mit Grau vermischt. »Ich habe von Jhkem Mißgeschick! gehört, « sagte er trit einem Anflug von Schauder-. »Die Sache gelangte in die Zeitungen. Mich überraschte die Geschichte nicht sehr, denn ich hatte wohl gewußt, daß Sie nicht Iris Grenlocls Tochter sein konnten. Jch war einst der Gotte jener Frau, und wenn sie Jhre wirkliche Mutter gewe sen wäre. so hätte ich mich Ihnen, weist Gott« nie als Anbeter genähert. Sie haben Ihnen die Thür gewiesen — die ; ganze ehrenwerthe Sippe, mit dem Ba ! ronet an der Spitze. Pfui! Eine solche « Liebe war des Besitzes nicht werth, Ethel!« »Ich muß es ablehnen, mich mit Jhnen über mich selbst oder meine frü heren Freunde zu unterhalten,« ant wortete Miß Smith mit einer stolzen Miene, die ihn an die Tage ihres Glückes und Glanzes erinnerte. »Ich brauche Jhnen wohl nicht zu sagen, daß Jhr Anblick mir in der Seele zu wider ist!« Er fühlte sich getroffen. »Sie sind hart,« erwiderte er vorwurssvoll »Ich verdiene mir jetzt meinen Unterhalt als Musiklehrer. Jch tam vor einigen Ta gen nach Millbridge und hatte keine Ahnung, Sie hier zu treffen. Ach, Sie haben mir das seige Attentat, das ich vor zwei Jahren gegen Sie beging, noch nicht vergeben!« Er streckte die Rechte aus« indem er leidenschaftlich sortsuhr: »Die-Z ist die Hand, die ich damals gegen Sie erhob; ich hätte ver dient, das; sie siir immer gelähmt wor den toäre. Bedenken Sie indessen, daß ich Sie verloren hatte -— ein Ungliict, das jedem Manne den Verstand rau ben konnte. Jch liebte Sie mehr alH mein eigenes Leben, und ich war toll — das ist meine einzige Entschuldi gung. Sicherlich sollten Sie niir ver geben, Ethel, ob auch die ganze Welt mich verdammte.« »Ich verzeihe Jhnen,« versetzte sie kalt und streng, ,,allein Ethel Greylock existirt nicht mehr, und Mikz Smith kennt Sie nicht —- kann und will Sie nicht kennenl« »Das ist eine matte Vergebung,« sagte er mit traurigem Lächeln. »Es ist Alles, was ich Jhnen bieten lann.« · Er trat einen Schritt zurück. »Sie sind etbarmungslos, Ethel. Was soll ich, was kann ich thun, um Jhnen meine Reue zu beweisen und Jhre volle Ver eihung zu gewinnen?« » erlassen Sie mich und kehren Sie nie zurüctl Wagen Sie es nie wieder, sich mir zu nähern! Es lebt keine Per son aus Erden, deren Anblick mir so ! verhaßt ist, wie der Jheige.« s Er ließ den Kopf hängen. »Sie ha t ben zu veiehlen, und mir ziemt es, zu l aeborchen,« sagte er mt erstickter « Stimme, indem er sich umwandte und auf die Stadt zuschritt, ohne auch nur einmal zurückzublicken. Miß Smith verweilte noch eine Zeit lang am Flusse, um nicht aus’s Neue mit diesem dunklen Geiste aus ihrer Vergangenheit zusammenzutref sen. Als sie keine Gefahr mehr zu be fürchten hatte, trat sie den Weg nach ihrem Kosthause an. Der Mond war noch nicht aufgegan gen, nnd die Sterne blinkten nur matt am Abendhimmel. Der schmale Fuß pfad war jetzt sehr dunkel und einsa«n. Nur die Heimchen zirpten im Grase, und die Wellen des Flusses brachen sich mit sanftem Gemurmel am Ufer. Un willkiirlich beschleunigte Miß Smith ihre Schritte. Sie hatte die Hauptstraße beinahe erreicht, als zwei Gestalten langsam von der Fabrik her geschlendert kamen. Es war unmöglich, die Gesichter in der Dunkelheit zu erkennen, allein die rothe Gluth brennender Cigarren verrieth, daß es Männer waren. Als die Bei den auf dem dunklen Pfade an Miß Smith vorüberschritten, traf es sich, daß einer von ihnen sie etwas unsanft berührte. »Um Vergebung!« sagte er höflich und verschwand dann mit seinem Ge fährten in der Dunkelheit. Es war dieselbe Stimme, die sie am Flusse vernommen hatte. Von einem plötzlichen Schrecken überwältigt, lief sie aus Leibeskräften nach dem Kosthause zurück. Das Abendbrot war bereits vorüber, und die übrigen Kostgänger hatten den Tisch verlassen. Sie trank eine Tasse kalten Thee, aß einige Bissen Butter brot und flog dann nach ihrem eigenen Zimmer hinauf, einer Dachstube. Sie zitterte an allen Gliedern und ihre Augen hatten den Ausdruck eines gehetzten Rehes. Hastig schloß sie die Thür hinter sich zu. Sie mußte gehen, mußte mit dem ersten Morgenzuge Millbridge verlassen —- den Platz, an dem sie vor zwei Jahren Arbeit und Obdach gesunden hatte. Wiederum mußte sie in die weite Welt fliehen. Sie öffnete eineSchublade ihrer Commode. Dort lag das Geld, das sie sich von ihrer Fabritarbeit erspart hatte; es war nicht viel, doch immerhin genug, um damit nach einem anderen Orte zu reisen und sich dort zu ernähren, bis sich wieder Gelegenheit zur Arbeit bot. Mechanisch machte sie sich daran, ihre Sachen zusammenzupacken. Wäh rend sie damit beschäftigt war, ver nahm sie in der Stube die direct unter der ihrigen lag, schalYZk.des Gelächter, hin und wieder von hohlem Husten un terbrochen. Die Fabritmädchen hatten sich in dem Zimmer der armen Lizzie zu einer Abendunterhaltung versam melt. Sie pflegten dies oft zu thun, doch nie hatte ihr Frohsinn Misz Smiths Ohren so unangenehrn berührt wie an diesem Abend. Als sie ihre Vorbereitungen beendigt harte, löschte sie die Lampe ans und warf sich ange ileitet auf ihr Bett, da sie mit Tages anbruch abreisen wollte. Bald lag sie im tiefenSchlafe, doch grausame Träume marterten sie. Sie vernahm zuerst Sir Gervafe Greylocks Stimme, der ihr vom anderen Ufer ; eines breiten schwarzen Flusses zurief. T Dann wandelte sie wiederum, das-Kind i des Glückes-, durch die prächtigen i Raume von Greylock Woods und ! wähnte sich, bräuilich geschmückt, zur; Fahrt nach dersKirche bereit. Gleich ’ darauf beugte sie sich über das blasse Gesicht Godfrey Greylocks, der todt vor dem Altar lag, während das buntfar- » bige Licht des Chorfensters auf ihn s fiel; sie wich entsetzt zurück und floh i athemlos über die gefrorenen Salzwie- s sen nach der »Katzen - Herberge«, wo ; Merch Vools vierfüßige Familie pur- J rend und miauend auf sie zulief. Plötzlich verwandelte sich das Katzenge schrei in Misz Smiths Ohren zu einem dumpfen Getöse. Auf dieses Geräusch folgte ein lauter Krach. Die Schläferin erwachte, sprang erschrocken auf und stand, etwas Schreckliches ahnend, ei nen Augenblick in der kleinen, dunklen Dachstube still. d-- . ·--- t Ach, das Zimmer war nicht dunkel, denn ein rother, höllischer Feuerschein hiillte das eine Fenster ein und zitterte iiber die vier kahlen, getünchten Wände « hin. Das Geräusch, durch das Miß « Smith ausgeschreckt worden, war ein Schlag, den eine starke Hand gegen die Thiir geführt hatte. Während die Ungliidliche, sich am Bettpsosten fest haltend, rathlos dastand und nicht wußte, ob sie träume oder nicht, er folgte ein neuer Schlag; Schloß und Angeln gaben nach; die Thiir fiel kra chend in das Zimmer und darüber hin weg sprang teuchend ein geschwärzter und versengter Mann. Mit ihm drang eine furchtbare Rauchwolke in das Zimmer. »Das Haus steht in Flammen!« riej er, indem er seine Arme um Misz Sinith schlang. »Ich hörte, Sie wären hier oben. Alle Anderen sind gerettet. Einige Mädchen im unteren Zimmer stießen eine Lampe um, und im Nu stand das Haus in Brand. Gott helse mir, Ethel!« schrie er verzweislungs voll aus; ,,wie kann ich Sie retten?« Sie schauderte zusammen; dann aber riß sie sich von Arthur Kenyom denn dieser war es, der zu ihrer Ret tung herbeigeeilt, los und lies mit dem blinden Instinkt der Selbsterhaltung nach der in Rauch gehüllten Thür. Er zog sie zurück. »Die Treppe brach hinter mir zu sammen,« sagte er, »aus diesem Wege zu entkommen ist unmöglich. Das alte Haus ist trocken wie Zunder. Die Wände können nur noch einen Augen blick stehen bleiben. Die Straße ist voll von Menschen; ob sie uns aber zu helfen vermögen oder nicht, ist eine an dere Frage.« Sein Heldenmuth verfehlte seinen Eindruck auf sie nicht. Das Haus war von innen und außen in Rauch und Flammen gehüllt, und hier, in dieser: kleinen Dachstube, stand sie dem Tode gegenüber und blickte in Arthur Ke nyons geschwärztes, aber surchtloses Gesicht. »Warum setzen Sie Jhr Leben aus diese Art auf’s Spiel?« sagte sie. »Ich wäre im Schlafe umgekommen, wenn Sie mich nicht aufgeweckt hätten — das wäre ein schmerzloses, barmherzi ges Ende gewesen« Retten Sie sich nun, wenn es noch möglich ist! Was mich anbelangt« — der Schrecken war fast völlig von ihr gewichen, und sie sprach ruhig, fast heiter — »so ist es mit mir zu Ende. Jch kann mein Le ben jetzt und hier ebenso gut beschlie ßen, wie zu irgend einer anderen Zeit oder an irgend einem anderen Orte.« Die Flamme umzüngelte schon den Eingang. Schwarze, erstickende Rauch-« wollen drangen herein. Das Geschrei und die Rufe der Feucrwehr sowie der unten auf der Straße oersammelten Zuschauer vermischten sich mit dem Prasseln des Feuers. Kenyon zog das Mädchen nach dem kleinen Fenster der Dachstube hin. »Es isk nur noch ein Augenblick zwi schen uns und dem Tode,« sagte er rasch. »Warum ich mein Leben daran wagte, Sie zu finden, EthelZ Weil ich Jhnen dies als Sühne schuldig war. Niemand wagte das Haus zu betreten, um nach Ihnen zu sehen —- Niemand als ich! Ich freute mich darüber. Jch gelobte mir, Sie zu retten oder mit Jhnen zu sterben. Sie sollten sehen daß ich Sie mehr als mich selbst liebte —- Sie werden mir jetzt die volle Ver zeihung gewähren, die Sie mir vor ei nigen Stunden versagten!« Er ergriff einen Stuhl und zer schmetterte das kleine, schmale Fenster. Jn demselben Augenblicke wurde von außen eine Leiter an die Mauer gelegt; bald darauf erschien der Kopf eines Feuerwehrmannesz Kenyon hob Miß Smjth auf seinen Armen empor und übergab sie den ausgestreckten Händen des Mannes auf der Leiter. Ein unerllärlicher Im puls trieb sie an, einen Blick zurückzu tverfen. Es war das Wert eines Mo ments. Sie sah Kenyon noch am Fen ster, rings von rothen Flammen einge hüllt. Seine Hand hatte das Fenster gesims berührt und dann —- dann — als der Boden unter feinen Füßen wie eine Eierschale zusammenbrach, da reckte er noch einmal die Hand aus, fiel zurück und verschwand· Ein Flammenmeer wogte mit un widerstehlicher Gewalt über den Fleck her, an dem er gestanden hatte, lectte mit hundert gierigen Zungen an dem Fenster empor —- eisi Sturm Von Fun ten wirbelte zum mitternächtlichen Himmel empor, und dann war Alle-: vorüber· Er war dahin. —- Von Jris Gren lockå geschiedenem Gatten ward nichts mehr gefunden als eine Handvoll ver tohlter Knochen, die unter den Trüm mern des Hauses aufgelesen wurden. Mifz Smith war nach einem benach barten Hause getragen worden, wo ein Theil der obdachlosen Arbeiterinnen ein Unterkommen gefunden hatte, Als das Mädchen wieder zum Be wußtsein gekommen war, dachte sie mit tiefem Bedauern an Kenyons tragische Selbstaufopferung, und zu diesem Be dauern gesellte sich Reue über ihre Strenge gegen den Unglücklichen, dem es so aufrichtig darum zu thun gewe sen war, den früher an ihr begangenen Frevel zu sühnen. Allein sie hatte nicht lange Zeit, über das schreckliche Ende des Musiklehrers nachzudenken, denn ihre eigene verzweifelte Lage er füllte sie mit Grauen vor der Zukunft. Sie war jetzt eine Bettlerin, All’ ihre geringen Habseligleiten nebst dem er sparten Gelde waren ein Raub der Flammen geworden. Selbst die Klei der, die sie am Leibe hatte, waren theilweise vom Feuer versengt. Womit follte sie ihre augenblicklichen Bedürf nisse bestreiten? Jnsolge der Verletzungen, die sie er halten hatte, mußte sie den ganzen sol genden Tag im Hause zubringen; als aber die Nacht hereinbrach, erhob sie sich, borgte sich die nöthigsten Klei dunggstiicke und riistete sich zum Aus-: gehen. An einer Kette um den Hals trug sie zwei werthvolle Ringe, die letzten Reli quien aus ihrer glücklichen Vergangen heit. Sie hatte sie als Geschenk von Godsreh Grehlock erhalten. Sie mußte Geld haben, und zwar sofort. So nahm sie denn die Ringe und wanderte hinaus durch die Straßen von Mill bridge, um einen Platz zu suchen, wo sie sie verlaufen konnte. Es dunkelte bereits, als sie an den geschwärzten Ruinen des Hauses vor beieilte, wo Arthur Kenyon seinen Tod gesunden hatte. Einen Augenblick hielt sie inne, wars einen wehiniithigen Blick aus die Brandstätte, bog dann in eine Nebenstraße ein und trat in einen kleinen, dunklen Laden, in dessen Schausenster etliche Uhren und eine Anzahl Schmucksachen zur Schau Ia gen. Ein junger Mann zündete eben die Lampen an, als Miß Smith her eintrat und die beiden Ringe auf den Ladentisch legte. »Ich wünsche diese Ringe zu ver tausen,« stammelte sie. Der junge Mann blickte das schöne, blasse Mädchen verwundert an; dann betrachtete er die Ringe mit der prü fenden Miene eines Geschäftsmannes und fragte: »Wie hoch schätzen Sie diese Ringe, Miß?« »Ich weiß selbst nicht, was sie werth sind. Geben Sie mir dafür, was Sie wollen« »Der Besitzer des Ladens ist zum Abendbrot gegangen,« versetzte der j Cleri. »Kommen Sie lieber etwas später zurück, wenn er hier ist. Jch bin nicht ermächtika solche Köufe ab zuschließen.« Sie vernahm diesen Bescheid mit Thränen in den Augen, nahm die Ringe wieder zu fich, um sich damit zu entfernen, als einer ihren Fingern ent fchlüpfte und über den Boden hinroll te. Als sie sich umwandte, um ihn auf zuheben, wurde sie gewahr, daß Je mand den Laden betreten hatte und nun dicht hinter ihr stand. Es war der Mann, dessen Stimme sie in der Dun kelheit am Flusse vernommen hatte — der Mann, mit dem sie vor dem Altar in der Kirche von Blackport gestanden hatte, um mit ihm für das-ganze Le ben vereint zu werden — der Mann, den sie dreitaufend Meilen über dem Meere gewähnt hatte —- Sir Gervafe Grehlock! Da stand er in dem kleinen Juwelierladen in Millbridge und blickte sie mit den ernsten grauen Augen an, deren Zauber sie so oft empfunden hatte. »So habe ich Dich endlich —- endlich gefunden!« Dies waren seine ersten Worte. Dann nahm er ihre Hände in die fei nigen, beugte sich über sie und drückte ; einen Kuß auf ihre bleichen, zitternden H Lippen. »Meine Braut!« fuhr er mit fester, : ernster Stimme fort. »Du weißt, daß - Du nie aufgehört hast, dies zu sein!« »Oh!« stöhnte sie, indem sie sich aus seinen Armen zu befreien suchte, ,,treibe keinen Spott mit mir! Denke an Han- T nah Johnsons cnthiillungen Denke an Alles das, was jetzt zwischen uns stehtPJ Seine Arme schlangen sich inniger um sie, während er lächelnd sagte: »Nichts steht zwischen uns! Zwei Jahre lang habe ich Dich in der ganzen weiten Welt gesucht. Du entflohest mir an unserem unglückseligen Hoch zeitstage; Du wirst mir aber nie mehr entfliehen. Nan! Jch habe Dich jetzt und werde Dich für immer behalten. Die Liebe der Grehlocks ist stärker als ihr Stolz. Jch frage nicht darnach, ob Du in einer Hütte oder in einem Pa laste geboren bist; es genügt mir, zu wissen, daß Du die schönste, die lieb lichste, die holdeste der Frauen bist! Weniger als das könntest Du unter keinen Umständen sein —- mehr als das würdest Du nicht werden, wenn Du eine geborene Prinzesfin wärest. Antworte mir nur auf die eine Frage: Liebft Du mich noch?« »Ich liebe Dich noch und werde Dich ewig lieben!« schluchzte Nan, indem ein himmlisches Licht aus ihren thränen umflorten Augen strahlte. »Was brachte Dich aber nach Mill bridge?« fragte sie endlich, nachdem sie von vielen. vielen anderen Dingen ge redet hatten. »Der reine Zufall,« antwortete er. »Colonel Denham, dessenBekanntschaft ich in einem Club in New York mach te, lud mich zu einem Besuche hier ein. Seit drei Tagen war ich fein Gast, und jetzt befand ich mich eben auf dem Wege nach dem Bahnhofe, um nach New York zurückzukehren, als ich Dich in den Laden treten sah. Nun aber erkläre mir, wie Du nach diesem klei nen Städtchen, das kaum hundert Mei len von Blackport entfernt ist, kamst, und wie Du die unzähligen Zeitungs ausrufe, in denen Pollh und ich Dich beschworen, nach Deiner Heimath und zu Deinen Freunden zurückzukehren, unbeachtet lassen konntest?« »Ich fah sie nie,« seufzte sie. »Sel ten bekam ich in dem Kosthause eine Zeitung zuGesicht und wagte nicht ein mal in meinen Träumen daran zu den ken, daß irgend Jemand in Greylock Woods meine Rückkehr wünschen könnte. Als ich von Blackport floh, hörte ich zwei Arbeiterinnen, die in dem nämlichen Zuge mit mir reisten, über einen Mangel an Arbeitskräften in den Fabriken von Millbridge spre chen. Diese Unterhaltung hat mich hierher geführt.« »Und während dieser ganzen Zeit besuchte ich jedes Theater nah und fern, in der Hoffnung, Dich zu fin den!« sagte er. »Mein armes Kind! Wir wollen unverzüglich nach Plack port und zu Polly zurückkehren.« 82. C a p i t e l. Nach Ablauf zweier Jahre verließ ich die Schule und kehrte nach Greyloct Woods zurück. Wenige Wochen nach meiner Rückkehr kam Nan in einer dunklen Herbftmitternacht mit dem letzten Expreßzuge an. Sie wurde erwartet. Schon einige Stunden vorher hatte Sir Gervase die frohe Kunde von ihrer Entdeckung tele graphirt, und Tante Pamela und ich harrten ungeduldig, um sie mit offenen Armen zu empfangen. »Wie sollen wir sie nennen, Ethel?« fragte Tante Pamela. »Bei ihrem eigenen Namen — Nan nette Harkneß,« antwortete ich. »Wie derBaronet sie wohl ausfindig machtes Natiirlich konnte er uns das i«i feinem Telegramm nicht erklären. Tinte Pa rnela, eine innere Stimme seit mir, daß er sie noch liebt, daß er rkr aufge hört hat, fie zu lieben. Hat er nicht zwei lange Jahre darauf verwendet, sie Es s« allenthalben zu suchen? Jst er nichi Amerika nach England und von i land nach Amerika zuriick gereifth Rast und Ruhe zu findt n?« « E Tante Pamela schüttelte den s »Mein liebes Kind, Du vergißtj ungeheuren socialen Abstand zwi« den Beiden Die englischen Bare — verheirathen sich nicht mit den Töck « don Circustänzern.' »Nun hat keine Verwandte n deren sie sich zu schämen braue« wandte ich ein. »Sie steht allein it; Weit da und besitzt die Erziehun Reize und das Benehmen einer?v stin. « Tante Pamela seufzte, sagte nichts. Jch hatte eine Equipage dem Bahnhofe geschickt; sie kam g« Mitternacht mit Sir Gervafe und zurück. Keine Ueberraschungen l ten der Letzteren, denn der Ba1 hatte sie bon Allem, was sich seit Flucht zugetragen, in Kenntniß setzt. Mit großem Ernste führte s«,· in den Salon. Wie blaß und c: hiirmt sie aussah, und dennoc? schön! Jch öffnete meine Arme und im nächsten Augenblicke lage beiden einftmaligen Straßenbettli nen aus der Harmony Alley einafjx in den Armen. ,,Willkommen in Grehlocl War rief ich fchluchzend ,,Willkomme Deiner Heimath, Nan; es ist Und immer Deine Heimath sein! Alles ich hier besitze, ist auch Dein!« « »Und vergieb mir, verzeihe « mein liebes Kind!« bat die arme I. Pamela. »Verzeihe mir, daß ich an jenem schrecklichen Morgen ir - Kirche von mir stieß! Jch war as mir von dem Unglück, da? über? Alle hereinbrach. Du weißt nicht, Kind, wie bitter ich seither meine lose Handlung bereute!« »Liebe Tante Pamela!« erwi Nan, durch ihre Thränen lachend habe Dir nichts zu verzeihen. D nie in Deinem Leben eine be Handlung begangen. Es war natürlich, daß Du Dich an jenem von mir wandtest. Jch wundere nur,« fügte sie traurig hinzu, »das Alle Euch so viele Mühe gabt, mi finden und zu Euch zurückzubrin « Ihre großen, prächtigen Auge ren roth umrändert; auch war si blaß und mager geworden; alle war noch immer meine schöne, u gleichliche Nan. Trotz der s Stunde harrte ein großes Dine meine Gäste, und als die Ma vorüber war und wir wieder im lon beisammen saßen — denn i ser Nacht dachte Niemand an S — vernahmen Tante Pamela u Rang traurige Geschichte. »Du wirst uns nie wieder verla sagte ich endlich. »Sir Gervase - meine Pläne; die Hälfte des Vei gens meines Großvaters ist Deini die andere Hälfte mein. —- Wir? den Beide reich sein, Nan.« Jhre schönen Augen füllten si Thriinen. »Du wirst das nicht thun, P sagte sie. »O, Du edles Mädchen kannst Du erwarten, daß ich ein ches Anerbieten annehme? Nie, werde ich einen Dollar von D Vermögen anrül)ren!« »Recht so!« rief Sir Gervase Wärme, nnd dann wandte er sicl chend zu mir. »Du hegtest viel Zu· in Bezug auf mich, Polly,« ——— J mann, auch Tante Pamela, nc mich noch zuweilen bei meinem v Namen —- »jetzt will ich diesen eii alle Mal ein Ende machen. Nan ihre Heimath nicht in Greylock W ausschlagen, denn sie geht mit mir England. Unsere Verlobung ist rückgängig gemacht worden. Jn kurzer Zeit wird sie mein Weib und dann muß ich sie Euch entfii allein nicht ein Cent von dem C lock’schen Vermögen geht mit Ihre Schönheit und ihr Seeler sind mir l,inreichende Mitgift verlange teine andere —— ich n keine andere aan« i i Uer meine Einwendungen erw sich nutzlos; er beharrte Unerschiitti auf seinem Entschlusse. Meine Fi über seine Treue gegen Nan wo groß, daß ich ihm nicht zürnen ko Jch legte meine Hand aus seinen i blickte ihm in seine großen, sri strahlenden Augen und rief unwil lich: »Cousin, ich bin stolz auf Dis Er drückte seine Lippen aus Hand und antwortete lachend: laube mir, Dir ein gleiches Co. ment zu machen, liebe Cousine!« »Ganz aut,« nahm Tante Pc nun das Wort: »Sie können « überstimmen, Sir Gervase, aber mich. Jch besitze ein eigenes, unal" giges Vermögen; Pollh wird essi vermissen; sie ist reich genug. qu mein Geld erhalten, und zwar di Hälfte an ihrem Hochzeitstage andere nach meinem Ableben.« « Ach! Nan besaß bereits ein be Vermögen als Geld und Gut « unwandelbare Liebe ihres Verl Es war ganz wie in dem Feenmizv ——— der Prinz war treu gebliebeiii ihm und der lieblichen Bettle konnte die Zukunft nichts als bringen. Fortsetzung folgi.) - —- D a h e r. »Was ist das Lieutenant, Jhr sonst so wohlg ter Schnurrbart ist heute gar - zaust2« »Habe ich mich eben« r. « —- Braut mir Verlobungstuß lieb lobe stiirrniseb neaeben!« H