Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, November 26, 1897, Sonntags-Blatt., Image 13

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    »- Ecken
Use heitere Geschichte vorn Danlsagunqss
Tag, von I. Scheinen
Heseliel Simpson hatte sein Mor
genessen. in der hauptsache aus locke
oen, goldgelben Buchweizentuchen und
ptächtig braun geschmorten Schweins
toteletten bestehend — nomlnkniy
Buchweizen vom eigenen Felde und
Fleisch vom selber gemästeten und sel
ber geschlachteten Grunzer — unter
Bethätigung eines vorzüglichen Appe
ttts beendet. Stillvergniigt wiegte er
sich in dem alten Schautelstuhle am
Fenster, sog bedächtig an dem Schilf
rohr seiner Maislolbenpseife und ließ
blaue Wöltlein aufsteigen zur Stuben
deckr. »Das heuniqe Jahr,« schimm
zelte er innerlich, »ist gar lein so übles
gewesen siir Konschehotan-Farm, und
der Dantsagungstag soll in altge
wohnter Weise gefeiert werden. Jst’s
mir doch, wie wenn ich am Abend noch
ganz besondere Ursache haben dürste,
einer wohlwollenden Vorsehung meine
Anerkennung ihres segensreichen Wal
tens auszusprechen«
Während der würdige Hausherr, in
angenehme Träumereien versunken,
Erz paffte und pasfte, räumte Katherin
M
»I- Ä-««-«qu T
Ann, seine Frau, geschäftig aber un
. vertennbar zerstreut und mit den Ge
YIY danken nicht recht bei der Sache, den
« Frühstückstisch ab. Es drängte sie,
Imzihrem Heseliel etwas zu sagen, aber sie
zögerte, mit der Sprache herauszu
riicten· Erst nachdem sie die letzten
Broiamen zusammengefegt und das
Tafeltuch versorgt hatte, faßte sie sich
ein Herz und störte das stillvergnügte
. Chegesponst aus seiner Ruhe mit der
« Frage auf:
Du kommst doch heute mit zur
Kirche Heseliel?«
Eine Wolle, duntler als die vom
Tabatgrauch gebildete, erschien aus
Iarmer Sinipsong Stirn, aber im
nächsten Augenblick war sie schon wies
der verschwunden.
e» »Ich taltulire nein, Katherin Ann, «
« entgegnete er gelassen, ,,heiite nicht
« Nein, heute wirtlich nicht«
»Aber, warum nicht Hesetielk Es
tviirde Dich erbauen,« beharrte Rathe
tin Ann, an ihren Mann herrintretend,
und von seiner breiten Schulter etliche
Heuspuren entfernend, die dort im
Verlause der YJcorgenfijtterung deL
Viehe-Z sich niedergelassen hatten.
,,W«,slt Katherin Ann, ’g ist so 'ne
Sache. Jch liabe so das Gefühl, wie
wenn’5 mir ganz ungeiiieiii wohl thun
würde, diesen herrlichen Morgen im
- Freien, nur im Verkehr mit der Natur
so ganz allein für mich hinzubringen
Jch bin halt eben nicht so streng tirch
lich, so gut puritanisch aufgezogen
worden wie Du, nnd ’ne Art neige ich
der Ansicht iu, ich lönnte draußen im
, Walde ’ne faniose Dantsagung zuwege
dringen; "’5 wird mir da eher so recht
zum Bewußtsein toiiimen, wag der«
Himmel im verflossenen Jahre Alles
gethan hat siir unsere Farin. Geht
nur Ihr, Du und die Kinder, zur
Kirche ohne mich, ich wandere derweil
so herum und gegen Mittag bin ich
dann schon wieder da.«
- lieber das Gesicht der- Frau huschte
ein leichter Schatten »W« lt, wie Du
.tvillst, Hesetiel; aber tomni nicht zu
spät; um zwei Uhr möchte ich den
Pater auf den Tisch stellen.« «
, Damit ging sie aus der Stube, sich
i selber und die sieben jungen Simpsong .
H fiir den Kirchengang zurecht zu ma-:
chein
- Eine Stunde später schaute Hesetiel
H durch s Rüchensenster der tirchenwärtg
»ilgernden Familie nach und als der
letzte seiner sieben Sprößliiige in dem
weißgetiinchten LIJtethodisien--Meeting-«
ause verschwunden war, wandte der«
Vater sich um nnd wars einen Blick auf .
«;»;sie große Wanduhr. I
T »Bei Jingo, schon halb zehn! Jch
» ß mich sputen, sonst toniin’ ich zii
pät.« .
Jn siinf Minuten war Heseliel
irnpson unterwegs nach dein User des
Possumsees, zu dein von der Farin
weg ein Fußpfad durch den Wald
führte.
Viertelstiindiqez strammes Auss
chreiten brachte Sinipson an’5 Ziel
nd in die Gesellschaft Von vier Nach
barn und guten Freunden, die aus den
Siiumiaen aeipartet hatten.
Diese Vier Freunde waren Josiali
Maisle5, Halvalul Winaing, Jsaal
Flanderg und lsliia TurndulL Vln
der kleinen Landunqsslelle lag ein un
geschlachtet-H Boot niit flachem ’«-odeii,
eine Art Ponton, und in diese-I primi
ive Fahrzeug stiegen die iiins Männer
nd ruderten in die Mitte des Sees
many-, eine gute halbe Meile vom
ser fort.
Während der Fahrt wurde tein
ort gewechselt, aber sobald der Anker
ausgeworfen war, lösten sich die Zun
en. .
»Macht den Tisch zurecht,« drängtev
heseliel Sinipson. J
»Aber. meine werthen Freunde, em- ’
pfindet ihr denn nicht die schauderhcste
Feuchtigleit dieses verinaledeiten Ge
wässers?" srug, derschniitzt grinsend,
Eliia Turnbull, ein lraststroszender
hünr. ·
»Vernünstig gesprochen!« wars Ha
bakul Wigging ein. »
»Sieh den Kot-l, Hesetiel; wir wol-«
len mit einer Untersuchung jenes rund
ichem mit Stroh unislochtenen Ge
fässes dort das Meeting eröffnen«
Andächtigeg Gurgeln und Gluclsen
ließ sich vernehmen, und süns breite,
Inorrige Händerüclen mischten uber
« zehn seuchle Lippen. . ,
L Unverziiglich wurden setzt aug Brei-z
tern nndKleen Si e und elnTifEfimi
provisivt; Jofiah aples, den, feinem
äußeren Habitns nach, jeder Fremde
auf einen Reverend taxirt haben
würde, holte aus den Tiefen der linten
Schooßtasche seines langen schwarzen
Gehrockes ein Kartenspiel, und die fünf ;
biederen Jersey - Formen schickten sich
an, den Morgen des Danlsagungs
tages nach ihrer Manier mit dem Dre
« schen eines steifen Poters zu feiern.
Das also war’s, wasHesetiel Simp
son der Katherin Ann als ein so un
, widerstehliches Verlangen hingestellt
hatte, in freier Natur seine Gedanken
zu sammeln.
Mächtiger Hochwald trat ringsum
bis dicht an die Ufer des Sees heran,
und das auf feinem glatten Spiegel
fchwimmende Boot wurde nicht durch
, Windhauch und Wellenschlag bean
-ruhigt. Die wohlthuende Wärme ei
- nes wundervollen Spätherbstes, der
’ indianische Sommer war zur Henk
« schast gelangt, und vom tiefblauen,
Ewoltenlosen Himmel warf die Sonne
J freundliche Blicke auf die fünf Karten
I spielenden Kumpane.
« Und warum hätte sie’s auch nicht
! thun sollen? War die Gesellschaft in
; dern alten Ponton nicht eine jovialeP
EHeiteres Lächeln zuckte bald über das
- eine, bald über das andere der wettet
’ harten Gesichter. Lachen, laut und
k poltert-nd rollte über die glitzernde
; Wasserfläche, und dann und wann flog
« wohl auch ein Hut in die Luft, wenn
j feinem Eigenthümer ein kühner
» »i)1nst’« geglijckt war.
. Tiefer und immer tiefer sank die
»Fliifsigteitsmarke in der dickbauchigen
; Whiskehflafche und höher und höher
stieg in den Gemüthern der Stim
: mungsbarometer; das Weiten, Reizen
: und Bluffen wurde immer- lebhafter.
" Doch jedes Ding muß einmal enden:
zwei Uhr, die althergebrachte Schluß
stunde des Danlsagungs - Pokerg
» rückte näher und näher.
Hefekiel Simpfon hatte von Anfang
an und dauernd Pech gehabt; da
Häuflein Silberdollars vor ihm
schmolz immer bedenklicher zufammen«
Auch Maule-T Wiggins und Turnbull!
erzielten keine Erfolge mehr; alles aufs
dem Tische vorhandene Baargeld fchieni
von einer unwiderstehlichen Neigung;
- befeelt zu fein, Jfaak Flanders zuzu
. strömen. s
- »Wi«ll inzwi, jetzt geht’s um den letz- J
ten put,« fchmunzelte der glückliche Sie-E
winner. als er die frisch gemischten?
Karten austheilte
Jeder der fünf Freunde ftudirte die
ihm zugefallenen fünf Blätter, undE
über Hefekiel Simpson lam’H plötzlich;
wie eine Inspiration, er hatte das beiz
stimmte Gefühl, Fortuna schwer-ej
heran, diesmal an seiner Seite sich nie-z
derzulaffen. Jn der· Hand behielt er;
die Eckstein-—Vier, Fünf und -Sieben,x
die beiden anderen Karten legte er ab;
und lief; sich frische dafiir geben. I
Wiggins erklärte rnit der unbefanssi
gensten Miene von der Welt, er sei bes
reits der glückliche Besitzer von dreif
Assen und zu denen gedenke er jetzt zwei;
Fiarten zu ziehen, ivie er zuversichtlichk
erwarte, ein Pärchen, am liebsten ziveiz
Könige. ;
Mai-les verschioor sich hoch unds
theuer, feiner miserablen Vor-lage zum.
Trotz, mit einem Kaufe von vier frisY
fchen Karten gegen Simpfon, Wiggin5-I
und eine tonträre Vorsehung in dies
Schranken treten zu wollen. l
Turnbull wandte sich an die Ver
sammlung in gebundener Rede: Zu
jeden anderen beliebigen Zeit würde er
eine folch’ hundsföttifche Hand einfach
hinwerfen und fluchen, in Anbetracht
des hohen Festtages fei er indeß bereit,
mitzuhalten und den Verfuch zu wa
gen, durch das Ziehen einer Karte einen
gewöhnlichen ,,-«tniik.(«tit« zu ergänzen.
Wie feine drei Vorgänger zahlte er den
ihm zum Kaufen berechtigenden Dol
lar.
Flanders berief sich darauf, daß er
regelmäßig, wie allfeits bekannt, beim
letzten »Im« am Danksagungstage
keine Karte answechfele. Er fei zu alt
fiir Neuerungen und daher auch heute
entschlossen, es mit den fiinf Karten,
die er in Händen halte, drauf ankom
men zu lassen.
Eine momentane Stille trat ein.;
Die Viere, welche srische Karten erhal- i
ten hatten, studirten die daraus sich er- J
gehenden Kombinationen, und jeders
bemühte sich, ein enttärischteg, verdros i
senes Gesicht zu machen. j
Hesetiel Simpson eröffnete dass
Wettenx Er habe da fiins Karten von;
sehr zweifelhaftem Werthe, aber be !
seelt von gut nachbarlichen Gefühle-us
wolle er zwei Dollars riötiren. !
Elija Turubull erklärte, er sei ein«
Esel gewesen, daß er nicht, seiner ersten
Eingebung folgend, geslucht habe, an:j
statt siir Rattenwechsel seinen »Um-«
Dollar zu deponiren. Jetzt sei deri
Dollar sutsch. und sluchen müsse ei.
do . Er that’s. legte die Blätter aus«
den Tisch und verzichtete endgültig. s
habatut Wiggins schmunzelte übers-«
legen: »Da habe ich richtig zu meinen
dvet Assen die beiden Könige gezogen,««
sagte er, »und das Mindeste, was ick,
mir mit so 'ner vollen Hand leisten
tann, ist Simpsons zwei Dollars gut- z
zumachen und ihn um weitere zehn
Dollars zu steigern-«
Josiah Mapleö ließ nur die beiden
Worte fallen: »Berdammter Schundl« -
wars die Karten hin und trat zurück,
wie's Tutsnbull gethan.
Jetzt weiss an Jsaat Flanders, sut
zu äußern, und Simpson und Mig
gins, die beiden allein noch Mitspielen
den, beobachteten ihn mißttauisch, an
scheinend erwägend, ob’s nicht das Ge
leitet-site wäre. ihm ohne weitere Ovteis
den ,,p0t« zu überlassen, falls er, dei
ja gar nicht getauft und wahrscheinlich
sehr gute Karten hatte, mit einein
hohen Satze in’s Feld rücan sollte.
Flanders zögerte und zögerte, end
lich aber ließ er sich folgendermaßen
vernehmen: ,,lk0«m, wir sind alte, er
probte Freunde, und heute ist Dank
sagungstag Vernünstigerweise sollte
ich diese fünf Blättlein hiev aus den
großen Hausen werfen und Simpson
und Wiggins die Sache allein aussich
ten lassen; das wäre gesunde Pom
politii. Doch darum handelt’s sich
im vorliegenden Falle nicht, man muß
auch beim Poler der Freundschaft ein
Opfer bringen können. Es geht mir
gegen den Strich, auszuscheiden, nach
dem ich Euch so ziemlich alles baare
Geld abgenommen habe, und um Euch
eine sichere Revanche zu geben, bin ich
entschlossen, Simpson’s zwei und Mig
gin’s zehn Dollars zu halten und ein
weiteres rundes Hundert auf meine
sehr mittelmäßigen harten zu wetten.
Abermals stand’s nun Simpson zu
den aufgenommenen Faden weiter zu
spinnen. Eine Weile schaute er sin
nend und ohne eine Miene zu verzie
hen, vor sich hin, dann aber sing’s an,
in seinem Gesichte zu arbeiten, bis
schließlich ein Ausdruck, in dem herg
liche Nächstenliebe und schmerzlose Re
signation harmonisch ineinander
schmolzen, die von Natur rauhborstis
gen Züge, wenn auch nicht verschönte,
so doch verklärte. Ein tiefer Atheni
zug, ein langer Blick über die Tafel
runde und Hesetieks Lippen öffneten
sich«
»Meine lieben Freunde und Nach-I
barn,« begann er, »ich habe mich längst
schon mit dem Gedanken getragen, das
Farmen anfzustecken und Missionär zu
werden. Als solcher muß ich aug
schließlich auf das Seelenheil meiner
Mitmenschen bedacht sein und mate
riellen Besitz verachten. W--ll, diese
speziellen füns Karten, in diesem spe
ziellen Rundgang geben mir an diesem
besonders geweihten Tage eine er
wiinschte Gelegenheit, einen Theil mei
nen irdischen Habe aus meine besten
Freunde in einer Weise zu übertragen,
die dieser Uebertragung alles Peinliche
nimmt, sie nicht als ein Geschenk er
scheinen läßt. Von dieser Erwägung
ausgehend, will ich einen großartigen
»Ist-ist« entriren.
Er machte eine kurize Pause, dann
fuhr er sort:
»Da wären also zunächst Wigging’
zehn Dollars zu decken. U’(«ll, hier
sind sie, damit ist aber auch mein Baar
vorrath erschöpft. Du, Jlanders, hast
ja immer behauptet, die beiden Alders
neu-Kühe in meinem Stall wiiriden für
hundert Dollarg viel zu billig verkauft
sein. Meine braune Stute Lea, Buggh
und Geschirr repräsentiren unter Brit
dern einen Werth von sagen wir, sech
zig Dollarg. Zwei .Psliige und eines
sunlelnagelneue Egge sollen mit zu s
sammen nur- fünsundzwanzig Dollarg
angesetzt werden und mit weiteren
sünfundzwanzig meine schwarze Sau
und ihre sieben noch saugenden Fertel.«
Hesetiel notirte die erwähnten Be
sitzstijcle mit Bleisiift aus einen Fetzen
Papier, sunnnirte, unterzeichnete und
brachte seine Rede folgendermaßen zum
Abschluß:
»Da hätten wir also an Fahrhabe
spottbillig berechnet, einen Gesammt
werth von zweihundert und zehn Dol
larS, und den lege ich in diesen letzten
»Im-« zum Betten des Gliictlichsten
meiner beiden guten Freunde hier.
Damit ist Jsaatg Wettbetrag gut ge
macht und um hundert und zehn Dol
lars überboten.«
Wigging räusperte sich ein Paar
Mal, spuekte über den Bootrand in’E
Wasser und nahm genaue Einsicht in
Simpson’s Jnventaranweisung.
»Hm, zweihundert und zehn Dol
lars soll ich einlegen,« sagte er. Dünkt
mich 'ne recht anständige Steigerung
Haben’ö, glaub’ ich, noch nie so hoch
geschraubt. Drei Asse und zwei Kö
nige sind nicht übel, aber absolut sicher
daraus bauen kann man nicht. Doch.
was macht’s, tomrnt Alles schließlich
auf eins heraus-. Flanderss ist nun
mal der Glück-with er hat«SZeug dazu,
reich zu werden, ich hab’g nicht. Frü
her oder später kriegt er mein Geld ja
doch, und damit’s rascher geht, will ich
den Satz ristiren. Mit dem Baaren
bin ich so ziemlich fertig, aber der Erd
iipfelertrag meiner Farin, der hat zu
mindest einen Werth von zweihundert
und zehn Dollars.«
Und Wiqging tritzelte auf ein Blatt:i
»Habe die diegjiihrige Spättartosfel--l
ernte von meistetierierzigacceg Grund-I
stiick am Biberbach verkauft sitr zwei-,
hundert und zehn Dollatg und vollen
Gegentverth erhalten. Habatut Wis
ginS.«
Diesen Schein legte er nach einigem
Zögern in den »p»t.«
Flander5, dem jetzt die letzte Ent
scheidung zustand, erklärte, auch er sei
bereit, Simpson Nachfolqe zu leisten.
Mit hundert und dreizehn Dollars
stecke et noch im Spiel, da wolle er
denn doch nicht mehr zurücktreten Er
deponitte sechzig Dollnrs bar-r und ci
nen Zettel, durch den er sich verpflichsk
tete, dem Inhaber desselben seinen
zweijährigen Hamilton - Wallach aus
zuliesem
»So, da hätten wir nun Alles ge
ordnet,« sagte er, »und können sehen,
wer gewinnt. Was hältst Du in der
Hand, WigginM Die Geschichte da
mit den drei Assen Und zwei Königen
ist eitel Flunterei. das weiß ich.«
»Stimmt!« erwiderte Wiggins,
seine Karten auslegend und siegesge
wisz vier Damen vol-weisend
Meist nicht!«' ticherte Flanders.
w
»Hier sind vier Asse!« Er zeigte sie
und schickte sich schon an, den »I)ot«
einzuheimsen, wandte sich aber doch
vorher noch, der Form wegen, an den
wie geistesabwesend dasitzenden Simp
son mit der Frage:
k ,,Etwas dagegen einzuwenden, Desc
iel?«
Hesetiel fuhr etliche Male mit der
Hand über die Augen, wie wenn er aus
einem Traume sich erst in die Wirklich
keit hätte zurückversetzen müssen.
»Wie? srug er. — »Etwas einzu
wenden? —- Was ich fiir Karten halte?
—- Hm, nichts Besonderes, laltulire
ich. —- Aber warte, will noch mal
schauen!«
Ernst und bedächtig ließ er die ein
zelnen Blätter übereinander gleiten,
doch ein schalkhaftes Zucken um die
Mundwintel konnte er nicht unter
drücken.
,,lk»«m, lkoxs!« tief er schließlich.
»Ein Wunder-, ein wahrhaftiges Wun
der-! ’S ist kaum zu glauben, aber
hol’ mich dieser und jener, wenn ich da
nicht einen regulären »Ur-Ughi sinnli«
beisammen habe. Unerhörtl Hätt’s
nie gedacht, vier Asse übertrumpsen zu
können. Hm, scheint halt doch, der
Vorsehung gesällt’«g nicht, daß ich Mis
sionär werden will· Schade, jammer
schade!«
Damit breitete er« seine Karten aus
und sing an, den »Wi« zu leeren. Das
Silbergeld wanderte in die geräumigen
Hosentaschem die Kartoffelernte, der
Hamilton - Wallach zwei Kühe, eine
braune Stute mit Bung und Ge
schirr, eine schwarze Sau sammt sieben
Ferteln, zwei Psliige und eine Egge
verschwanden in der rechten Westen
tasche.
Nach dieser vergniialichen Berge
arbeit stand Hoseiiel Simpson aus,
dehnte und strectte sich, warf einen Bliri
auf seinen nionstrijsen Zeitmes er und
mahnte zum Aufbruch
»’S fehlt nicht mehr viel zu zwzi
Uhr, Nachbarn, wir müssen an’g Land
Ich habe versprochen, zum Miitagcsscn
daheim Fu sein, und Euch wird man,
schätze ich, auch erwarten. Am näch
sten Dantsaqunagtage ijber’·g Jahr
versuchen wirUZ wieder. Wenn auch
diesmal das Schicksal ein Veto einge
legt hat, gänzlich ausgetrieben l)at«’«g
mir die Vjtissivngideen nicht!«
Its di· II
Die vom Kiichenfenster aus Umschau
haltende Katherin Ann hatte ihren
Hesetiel schon von Weitem her anrsiicken
sehen, und als dieser ,,Naturschw"eir-s
mer« in die Wohnstube trat, fand er·
das Essen angerichtet und die sieben
jungen Simpsons bereits aus ihren
Plätzen um den Tisch versammelt, in
tiefen Zügen den Bratendust einschniif
ielnd.
»Ein bischen spät, HesetieU komm,
tomm und setz’ Dich!« rief Katherin
Ann dem Gatten zu.
,,Thut mir- leid, Mutter, das; Jhr
habt warten müssen, aber wenn ich
mich so recht andiichtig in den Natur
genuß versente, dann verfliegt die Zeit
ich weiß nicht wie.«
Mit diesen Worten ließ Hesekiel
Sitnpson sich in seinen Lehnsessel
fallen.
Die halb hinter dem mächtigen Pu
ter versteckte Katherin Ann wars ihrem
Manne einen strengen Blick zu und be
meritte in ziemlich scharfem Tone:
»Willst Du denn nicht den Tischsegen
sprechen?«
»Gewiß! gewis3!« Und mit gesal
teten Händen, geschlossenen Augen und
einer vor innerer Bewegung behenden
Stimme betete Hesekieh
»Für das-, wag Du uns heute be
scheert hast — heute bescheert hast, o
Herr! las; uns aufrichtig, herzlich und
innig Dir danken. Amen!«
Als Hesetiel wieder ausblictte, ers
staunte er: kein Zweifel, Katherin Ann
betrachtete ihn mit einem ganz abson
derlichen Ausdruck, den er sich nicht er
innern tonnte, seit vielen Jahren aus
diesem Gesichte gesehen zu haben. Acr
ger war’55 nicht, das erkannte ers sofort,
im Gegentheil ein Schein von Glück
und Zufriedenheit verklärte die Züge
seiner Frau. Doch sie sagte nicht-s,
und Hesetiel war zu lange schon ver
heirathet, um zu fragen. Als ihm sein
Teller gereicht wurde, fiel’5 ihm aus,
daß er mit einer ganz gewöhnlich
liberalen Portion der Zioiebelsiille des
Bratens bedacht worden war. Zwie
belfülle gehörte zu Hesetielg Schwä
chen, aber Katherin Ann pflegte damit
in der Regel sehr haushälterisch uinzu
gehen. Das-, wag davon iibrig blieb,
konnte sie im Berlause der folgenden
Tage sehr gut zum Anmachen anderer
Gerichte verwenden.
Die gute Laune der Hausknutter
übertrug sich in gesteigertem Maße aus
alle Familienmitglieder, und das
Danlsagungsmahl gestaltete sich zu ei
nem ursidelen Feste.
Als der Plumpudding und die
Fruchttiichlein bis aus den letzten Hap
Pen glücklich vertilgt und die Kinder in
die Küche eschickt worden waren, trat
Katherin nn an ihren Mann heran,
beugte sich über ihn, gab ihm einen
herzhasten Kuß und flüsterte: »Du
hast mich heute sehr glücklich gemacht,
Oesetielz ich habe immer daran ge
zweifelt, daß Du beseelt seiest vom reli
giösen Geiste, heute aber sind mir die
Augen geöffnet worden. Niemand, in
dem dev wahre Glaube nicht wohnt,
könnte ein Tischgebet sprechen mit einer
solchen Jnnigteit, mit einer Betonung,
wie Du sie vorhin aus Deine Worte ge
legt hast. Vergib mir, HesetieL daß
ich Dich salsch beurtheilt habe!«
Hesetiel legte seine große Rechte über
die Augen, wie in Andacht versunken,
aber cr betete nicht, er dachte — dachte
an den Possumsee, an die guten
Freunde und an den »gute-right
tin-ein«
Nach einer geraumen Weile erst
brach er das eingetretene Schweigen.
»Ja, ja, Katherin Ann,« sagte er,
»’S ist immer eine mißliche Sache, vor
schnell zu urtheilen; man kann da
leicht zu falschen Schlußfolgerungen
kommen.«
»Ich weiß es, HesekieL ich weiß es
und ich werde mich in Zukunft davor
hüten.« Damit Verließ Katherin Ann
die Stube und eilte in die Küche, die
dort immer lärimender werdenden
Kundgebungen der jüngeren Sinipsons
zu dämpsen.
Als die Thüre sich hinter seiner
Frau geschlossen hatte, huschte ein
Lächeln über Hefekiels Gesicht.
»Hm, meine Bemerkung über falsche
Schlußfolgerungen, die kann man
freilich nehmen wie man will,« mur
melte er. ,,W(-11, mle Katherin Ann,
die brave Seele, hat’s richtig ausge
legt, richtig wenigstens für den Haus
frieden. — Wenn ich’s nächstemal in
die Stadt komme, kaufe ich ihr die
große Zehn-Dollar-Bibel mit den Bil
dern der Propheten und Apostel, die
hat sie sich schon lange gewünscht —
und Verdainmt will ich sein, wenn ich
je wieder Pok —«
Doch hier versagte dem biederen
Hesetiel Simpson die Stimme, er
lehnte zurück in dem altväterischen
Sorgenstuhl und in der nächsten Mi
nute schreckte sonorez Schnarchen den:
unterm Tisch leise schnurrenden Haus
tater aus«
Yie rotljen Extoctietn
Von Sandor Mitszath
Aus folgende Weise hatte es sich
;ugetragen. Marzi’s Eltern waren
aus dein Felde mit dem Behacken der
seartosseln beschäftigt; während nun
die Alten arbeiteten, saß der kleine
vierjährige Marzi dort in der
Furche, wo der Krug mit dem Was
ser war und das kleine Mädchen der
Bruderssrau, das die Mutter dem
Bublein unaufhörlich an’s Herzk
band. T
»Passe mir-ja gut auf mein Töch- E
tcrchen, ich gebe sie Dir auch zur;
Frau, wenn sie groß sein wird.« Und ;
Marzi paßte auf. Er schäkerte unds
Plauderte mit dem Kinde und dass
lachte, bis es einschlief. Nun lang-l
weilte er sich, aber nicht gar lange.
Aus dern wogenden Aehrenwalde lä
chelte etwas schönes Rothes ihm entge
gen, das ihm reizend und schmeichelnd I
iuzurusen schien: »Komm nur, Mar- s
l
zi, koinn1e.«
Er stand auf und näherte sich die- Z
sein Aehrenwalde. Je näher er kam, ;
desto schöner leuchtete ihr-i das Noths
daraus entgegen. Was mochte es
seiiik
Er betrat das Feld. Hoch schlugen
die Achren iiber seinem Haupte zusam
i::en. doch das rothe Etwas sah er in
einem fort aus den tausend und tau
send dünnen Getreidehalinen hervor
biinten. Es war gar nicht weit, gleich
kam er hin und schlug staunend seine
Hände zusammen.
Oh, oh, das sind ja rothe Glocken,
ach Gott, wie schön!
Er pfliiclte, betrachtete und schüttelte
sie, aber sie klang nicht. Er schüttekte
wieder -——, vergeblich. Klatschrosen
haben keine Zungen.
Marzi wurde traurig, daß die kleine
Glocke so stumm blieb. Gewiß hatte
sie jemand böswillig verdorben und ihr
das Zünglein ausgerissen.
Aber er kam nicht dazu, sich ernst
zu betrüben, denn von rechts und
kints und aus der Ferne schielten
neue und immer neue rothe Glocken.
Der Wind bewegte sich leise ein wenig
hin und her und Marzi glaubte ein
seines Klingen in der Lust zu Verneh
men.
Immer nach. . . Weiter dachte er
nichts Anderes Er langweilte sich
teinen Augenblick mehr; Alles war so
interessant und unterhaltend. Drnns
ten am Boden krochen allerlei kleine
Fräser die Erdschollen hinauf und wie
der herab; große grüngoldene Fliegen
schwirrten und Heupferde sprangen hin
und her. Und jetzt schlüpften zwei
kleine, gelbe, slaumige Wachteln an
ihm vorüber.
Die waren sicher, der Mutter Ver
bot entgegen, dein Neste entlaufen,
Weit konnten sie noch nicht gehen.
Man sah die Angst und Furcht in
ihren dunklen Aeuglein. He Marzi,
fange sie
Marzi, nicht faul, begann ihnen so
gleich nachzulausen. Aber die kleinen
Vösewichter waren schneller als er und
bald entschwanden sie und auch das
letzte Geräusch von ihnen verklang. Nur
die große, tiese, erschreckende Ruhe
blieb.
Nun erhob sich der Wind und
durchbrauste das Feld, als ob ein un
sichtbarer Kamm das Haar der Erde
durchstreiste. Er brachte Kindeswirw
inern von sern her.
Pstl die kleine Boriska ist erwacht.
Marzi wendete sich, um zu dern
Kinde zurückzukehren: aber wußte er
denn, nach welcher Richtung er zu ge
hen hatte? Athemlos lief er ein Stück,
dann stand er und lauschte. Auch
das Weinen war verklungen Dann
lief er wieder, keuchend, ers-«J prt, mit
schweißtriefendem Angesicht Manch
mal schien es ihm, als höre cr Stim
men rufen, als llänge es hinter- ihm: I
He Marzi, wo bist Du? Ckr versuchte
wohl auch dem Klanae nachzuaeben
aber bald war alles wieder still und
nur die Aehren rauschten traurig, ge
heimnißvoll. Und der arme Marzi
lief und lies.
Ach und der schreckliche Wald mit
seinen wogenden Aehren und bunten
Blumen, will gar kein Ende nehmen.
Sein kleines Herz bebt und zuckt und
er fängt bittlich zu weinen an.
Die Kräfte verließen ihn. Müde,
hungrig und erschöpft sank er neben
einem Heidelbeerstrauch zu Boden.
Seine Augen verdunkelten sich, sein
Kopf brauste und die in dem Achan
walde verstreuten schönen rothen Glo
clen begannen zu klingen.
Marzi’s Eltern merkten endlich,daß
der Knabe nicht mehr bei den Vorrä
then war. Sie schrieen und suchten
in den Feldern nach ihm, doch vergeb
lich. Sie fragten die Leute, doch Nie-l
mand hatte ihn gesehen. Es war un
begreiflich, wo er hingekommen sei-i
könnte.
Am andern Tage tromnielte man
ihn im Dorfe aus und der Stuhlrich
ter wurde benachrichtigt. « Dieser ließ
die Umgegend durchsuchen. Man ver
hörte umherirrende Zigeunerbanden,
welche, wie man sagt, ab und zu Kin
der stehlen.
Man suchte und wartete in einem
fort. Jeden Abend machte die Mut
ter sein Bettchen, hoffend, er werde zu
rückkommen Aber es kam keine Nach
richt von ihm, bis zur Mitte des Som
mer5.
Als man im Juli das Getreide an
der Grenze zu mähen begann, fanden
die Schnitter in einer Furche neben
einem Heidelbeerstrauch die Gebeine ei
nes Kinde-L
Ein Duell im Dunkeln.
M
Ein alter hannoverscher Geneval
Lieutenant war infolge seines burschi
tosen Benehmens wenig beliebt bei den
jüngeren Osfizieren der hannoverschen
Garde. Eines Abends fand in der
Residenzstadt ein feierliches Mahl statt,
wozu auch der alte General eingeladen
war. Dur-eh irgend einen ärgerlichen
Zufall verspätete er sich, und seine
Laune war nicht gerade rosig zu nen
nen, als er den Saal betrat und be
merkte, dafz alle Gäste schon Platz ge
nommen hatten. Als der Hausherr
die alte Excellenz auf den Platz geleiten
wollte, bemerkte ein junger Fähnrich,
Träger eineg hochadeligen Namens-,
den General nicht, da er sich in eifri
gein Gespräch mit seiner Tischdame be
fand. Nun fand Graf P. einen Ab
leiter für seine Laune und sagte im
Vorbeigehen ziemlich laut: ,,De Fähn
rich kann wohl nich kiten, na dafür
sitten de Fähnrichs ooch immer unnen.««
Der Fähnrich ist ganz entsetzt üben fei
nen Vorgesetzten, der ihn in öffentlicher
Weise beleidigt, und sagt laut zu sei
ner Tischnachbarin: »Da haben Sie
nun gehört, wag man sich so alles ge
fallen lassen muß. Jch kann den Al
ten nicht mal zur Rede stellen, sonst
giebt eS noch obendrein Arrest.« Der
General macht schleunigst Kehrt und
sagt zu dem derbliifsten Fähnrsicht
»Wat segst Du, min Söneten, Du
willst mir fordern? Na is gut, dat
gefällt mir; denn komm man morgen
um zwölf in meine Wohnung« Am
anderen Tage findet sich pünktlich der
Fähnrich ein nnd wird von deni Die
ner des alten Generals in ein Zimmer
geführt, dessen Fenster durch schwere
Vorhänge vollständig verhängt sind.
Ein dreiarmiger Leuchter steht auf ei
nem breiten Tische, an dem die Excel
lenz in voller Uniform Platz genom
men hat. Höhnisch lächelnd fordert
der Graf den Fähnrsich auf, sich ihm
gegenüber hinzusetzen »So, min
Söneten, jetzt nimm Dir hier eine von
die Pistolen und nu tikst Du mir an,
damit Du weißt, wo ick sitze. Denn
ruf ictz Jehann! und- denn nimmt de
Jehann dat Licht raus und denn zähl
ict eins — zwei — drei und up drei
schieszt Du. Der-n ruf ick wedder:
Jehann! und de bringt dat Licht wed
der rin und denn komm ick ran. Enst
tik ict Dir an und denn ruf ickt Je
hann! Denn nimmt der dat Licht rut
und denn zähl iek wedder und denn
schief; ick. Aber dat sag ick Dir, ick
drep immer in’n Kopp!« Dem Fähn
rich ist bei dieser Rede nun doch etwas
ungeinijthlich zu Muthe, aber was
hilfth Er mus; nun mitmachen, auch
tröstet er sich, denn er selbst hat ja den
ersten Schuß. Die Sache geht los-.
Der ,,Jehann« nimmt das Licht fort,
der alte General rommandirt eins ——
zwei —— drei und bautz lnallt der
Fähnrich los, daß die Kugel nur so in
die Wand fährt »Jehann!« tönt s
im tiefsten Baß, der Diener stürzt mit
dem Leuchter ein, und man sieht die
alte Excellenz spöttisch lachend unver
sehrt am Tische sitzen. »So, min Sö
neken, jetzt komm ick ran! Wenn ick
Dir genug angelilt habe, denn ruf ickt
Jehanni und denn nimmt de Jehann
dat Licht weg. Denn zähl’ ick eins »
zrvei ——— drei und denn schiesz ick! Aber
dat seg icl Dir, iel drep immer in’n
Kopp!« Daraus mustert der alte Herr
mit grimmigster Miene den Fähnrich,
dann wivd der »Jehann« gerufen, und
nun commandirt der Graf: »Eins —
zivei —- — Jehann!« Wie der Blitz
ist der Diener im Zimmer und man
sieht den Fähnrich, wie er mit verlege
ner Miene unter dem Tische hervor
taucht »J, min Sönelen, « sagt die
alte Excellenz schmunzelnd, ,,tvat malst
Du denn da unnen, Du suchst wohl
Din Taschentuch? —- Na, beruhige Dis
man. ick war vorhin voch unnen!«