Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, October 29, 1897, Sonntags-Blatt., Image 11

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    xm Heut
sum-reiste von Heinrich Vollrat Schuh-I
machet.
»Das Reisen. —- Ein Beitrag zuri
Reform der Schule« So stand in et
was, schnörleligen Buchstaben auf demi
umfangreichen heft geschrieben, das
Doctot Ernst Merzbach Gymnasial
lehret in Wintelsbühl mit der Fakul
tas fiir die oberen Klassen, eben zum
letzten Male betrachtete, ehe er es an
seine vorgesetzte Provinzial - Schulde
börde einreichte. Ein ganzes Jahr
hatte er daran gearbeitet, Nacht für
Nacht, und darin Theorien entwickelt,
Theorien —- ——!
Die Verwirklichung dieser Theorien
mußte die lrante Menschheit gesund
machen. Denn trank waren die Men
schen heutzutage, Alle, ohne Aus
nahme.
Das kam von der vertehrten Le
bensweise. Sie aßen zuviel, sie tran
ken zu viel, sie tauchten zu viel. Sie
hetzten sich ab auf der Jagd nach dem
Mammon; sie legten eben zu viel Ge
wicht auf materielle Genüsse und der
nachlässigten darüber die ideellen.
Wenn das so weiter ging, würde das
ganze Geschlecht entarteu. Es war
hochste Zeit es zu hei len, eine gesun
dere frischere Generation heranz xie
hen
Wie das zu erreichen war, das hatte
Doktor Merzbach dem dicken Hefte da
anvertraut. Und dabei hatte er in den
langen Nächten unaufhörlich Cholo
lade gegessen, um sich bei Kräften,
Kaffee getrunken, um sich wach; und
Pastorentabat getaucht, um sich in
Stimmung zu halten.
Er lächelte melancholisch vor sich hin,
während er das Heft mit dem fertigen
Begleitschreiben einpackte. Waffe da
ein Wunder, wenn er seit Wochen
Kopffchmerzen hatte und in seinen Un
terrichtsstunden consus war?
Er war Lehrer der Mathematik.
Aber er "r-..rfte sich auch jest noch
keine Ruhe gönnen. Jetzt galt’s, seine
Theorien in’s Prattische übersetzen.
Während er mit dem eingepaclten Heft
seine enge, einfache Studirstube ver
ließ, um es drüben zur Post zu tragen,
gingen ihm schwere Gedanken durch
den Kopf. Das mit der Praxis war
nicht leicht. Die Hauptsache war das
Reisen. Die Menschen mußten viel
reisen, um sich gleichzeitig zu erholen
und zu unterrichten. Seit seiner gro
ßen Reise von Winkelsbiihl nach der
Universität und zurück, acht Stunden
mit der Eisenbahn und seine Stunde
mit der Post ——— es war die einzige, die
Doctor Merzbach bisher gemacht —
war ihm die gewaltige Bedeutung des
Reisen-Z tlar geworden. Also die Men
fchen mußten reisen. viel reisen. Zum
Reisen aber gehört Geld. Und
viel Geld —-- um es zu erlangen, muß
ten die Menschen arbeiten, viel arbei
ten, vielleicht noch mehr arbeiten, als
jetzt. Würden sie da nicht noch trän
ter werden?
Jn diesem furchtbaren Kreislauf
jagten sich Doctor Merzbach’5 Gedan
len, währender das Packet auf der
Post aufgab. Grübelnd wollte er ge-.
rade wieder auf die Straße treten, als
eine Jdee in ihm austauchte, eine
Jdee —- -— --!
Man mußte eben etwas erfinden,
das den Menschen gleichzeitig Arbeit
und Erholung, Ruhe und Anregung
verschaffte, das ihnen ermöglichte, ohne
viel Geld zu reisen, und dabei den un
gesunden Qualm und Dunst der Ei
senbahn beseitigte.
Wenn man das erfand —- wenn gar
er selbst, Doktor Ernst Merzbach, das
erfand ———————— s!
Aber wie?
Er war vor der Thiir des Postges
bäudes stehen geblieben, und hätte der
Postillon nicht schmetternd in sein
Horn gestoßen, so wäre Doktor Metz
bach wohl überfahren worden. Denn
eben fuhr die Post vor, die Winkels
bijhl mit der über eine Meile entfern
ten Eisenbahnstation verband. Dol
tor Merzbach sprang zur Seite und
betrachtete schwermiithig den gelben
Wagen. Dann seufzte er. Wie viel
- Menschen wären so gern gereist, und
wie viel Wagen fuhren dabei leer in der
Welt herum! Die WintelsbiihlerPosts
wagen wenigstens waren fast immer
leer. Höchsten-Z lam·einmal ein Colo
nialwaaren - Reisender her, um sich so
schnell wie möglich wieder aus den-.
weltentlegenen Nest fortzumachen. Auch
heute würde es wohl nicht anders sein.
Aber nein, aus dem Postwagen stieg
kein Colonialwaaren Reisender. Eine
Dame war's und, soviel Doctor Merk
bach bei seiner Aurzsichtigteit unnter
scheiden konnte, eine junge Dame.
Es war ihm, als hätte sie rosige Wan
gen, große, lachende, blaue Augen,
goldblonde, lrause haarr. Er wußte
es aber nicht genau. Er wußte auch
nicht genau, wo er das Alles schon ein
mal gesehen hatte. Es kam ihm aber
so vor. Und deshalb starrte er sie grü
belnd an.
Jm nächstenAugenblicke wußte er es.
Von einem Dienstmädchen gefolgt,
war eine ältere Dame herbeigeeilt, der
die Junge nur in die Arme flog mit ei
nemhellem klingenden Gelächter, da
Fdortor Merzbach abermals sehr be
kannt vorlam..
Mamachenl Mamachen!« rief die
Junge. »Endlich wieder bei Dir. Aber
nun gehe ich auch nie wieder fort!«
»Mamachen!« hatte sie die Aeltere
genannt. Diese war also wohl ihre
Mutter. Und da die Aeltere die ver
wittwete Frau Maiorin von Wams
dorf war, so mußte die Jüngere wohl
die Tochter sein.
Doctor Mer bach hatte sich zu dieser
schwierigen S lußfolgerung durchge
rungen, als er plötzlich einen heftigen
Stoß in den Rücken erhielt. Natürlich
hatte er nicht gesehen, wie der Postil
lon und der Schaffner eine große, selt
sam gesormte Kiste vom Postwagen
abgeladen hatten, die ihm den Stoß
versetzt hatte. Wieder sprang er zur
Seite und dabei flog ihm der Hut her
.ab. Während er sich bückte, schoß ihm
z das Blut in den Kopf. Hatte die
; junge Dame nicht eben wieder gelacht?
» —— Wie böhnisches Kichern llang’s ihm
»in den Ohren. Und ihre Stimme —
wie spöttisch sie llangl
»Ist das nicht Ernst Merzbach, Ma
machen?«
Auf das Kopfnicken der Majorin
machte das junge Mädchen einen
Schritt zu ihm hin. Aber er war schon
nicht mehr da. Er wußte nicht, wa
rum, aber er hatte sich schroff abge
wandt und stolperte schon über die
Straße nach seiner Wohnung. Vor
der Thiir blieb er unwillliirlich noch
einmal stehen und schaute zurück· Eben
verschwand die Majorin mit ihrer
Tochter im Nebenhause. Dort wohn
ten sie. Und der Postschafsner und das
Dienstmädchen trugen grade die große,
seltsame Kiste hinein.
lind da fiel’s Doktor Merzbach ein:
sie hieß »Tilli«. Nämlich die Tochter
der Frau Majorin.
s- st
Richtig, jetzt erinnerte er sich. Er
hatte sie ja von klein aus gekannt. Jhr
Vater, der Major, hatte die Husarem
schwadron rornmandirt, die früher in
Winkelsbühl in Garnison gelegen hat
te. dem hatte Doktor Merzbach’s Va
ter manches Paar Reitstiesel gefertigt
und fiir das kleine Fräulein manches
Paar Rnöpsstiesei. Die letzteren waren
aber immer schnell zerrissen, trotz der
soliden Arbeit; Tilli von Warnsdors
war immer eine wilde Huinmel gewe
sen. Reiten, Fechten, Schwimmen,
aus die Bäume klettern —»— das war
ihre Lebensausgabe gewesen. Dagegen
Lernen, Handarbeiten, Wirthschaften
— dem war sie immer aus dem Wege
gegangen. Und darum hatte Doktor
Ernst Merzbach sie schon als Knabe
unausstehlich gefunden. Unaushörlich
hatte sie ihn thrannisiri, seine Stiefel
beschmutzt, seine Haare zerzaust, seine
Bücher zerrrissen Bis er sie eines Ta
ges in einer ungewöhnlichen Auswals
lung seines Mannesbewußtseins tüch
tig durchgewaltt hatte. Das war kurz
vor seinem Abgang zur Universität ge
wesen.
Und — »Giinschen« hatte er sie da
bei genannt.
Seitdem hatte er sie nur selten und
flüchtig einmal gesehen. Er wußte nur,
das; sie mit ihrer Mutter noch in Win
telgbühl wohnte, obwohl ihr Vater ge
storben war und die Schwadron eine
andere Garnison erhalten hatte. Aber
als Doktor Merzbach dann nach Pein
Tode seiner Eltern in das weltsremde
Nest an’s Ghmnasium berufen wurde,
war die »wilde Hummel« nicht da. Sie
war in der Residenz in einer vorneh
men Pension. Und aus dieser war sie
heute wohl zurückgekehrt
Ob wirklich auf immer, wie sie
vorhin zu ihrer Mutter gesagt hatte-Z
»Wa5 gehts mich an!« sagte Doktor
Merzbach ganz laut, als er in seine
enge Mansarde zurückgekehrt war.
Dann ging er in sein Schlaszimmer
und schaute ans dem Fenster in den
hereinbrechenden Abend hinaus. Er
tonnte von hier den großen Garten
überblicken, der zum Hause der Majo
rin gehörte. Lange starrte er hinaus-,
während er versuchte, an seiner Jdee
zur Gesundung der tranken Menschheit
weiterzuspinnen
Wenn ihm seine gewaltigeiEntdect
ung qelang? —
Plötzlich zuckte er auf, stürzte an sei
nen Schreibtisch und riß sein altes
Fernrohr herab, das noch aus seiner
Schülerzeit stammte, um in die Däm
merung hinauszusvähen.
Was er entdeckte, war jedoch nicht
das Allheilmittel der Menschheit, auch
nicht ein helles Kleid, sondern eine ein
same Schürze, die drüben von einer
Wäscheleine herabhängend gespentkig
im Abendwinde hin- und herpenoelte.
It II I
Zwei Tage darauf drang die Kunde
von einer in Wintelsbühl unerhörten
That an Doktor Merzbachs Ohr. ssin
Statuton ein Vetociped, ein Zweirad,
ein Bicyele war gesehen worden. Und
eg hatte Jemand darauf gefessem am
hellen, lichten Mittag; auf dem Markt
platz. Unglaublich!
Wenn es noch ein Mann gewesen
wäret Aber es war eine Dame arme
fen. Jn einem getheilten Rock, mit
Pumphosen darunter. Wie eine Tür
kin. Standalöst o
Ganz Wintelbühl war außer sieh.
Doktor Merzbach hatte taum auf
das einpörte Gespräch feiner Mittags
genossen tm ..schtvarzen Adler« geneh
tet. Erft als ein Name an fein Ohr
schlug, wurde er aufmertfam
Wer jene Dame, jene Türtin war,
die natürlich nicht tochen, Strümpfe
stopfen, Knopfe annähen konnte, weil
fte Beloeiped fahren mußte?
Natürlich, Tilli von Warnsdorft
Doktor Merzbach wurde ganz roth
und öffnete den Mund, wie um etwas
zu sagen. Er sagte aber nichts. Er
war nur furchtbar neugierig, Tilli auf
dem Beloeiped zu sehen.
Eine Dame in getheiltem Rock nnd
Pumphoer — auf einem Beloriped —
nnerhörtt
-:- si- «
Eine Stunde später fah er es. Der
,,fchwarze Adler« lag in der engsten,
winkltaften Gasse von Wintelsbühl in
der Nähe der großen Kirche. Als Dok
tor Merzbach auf die Straße trat, läu
teten die Glocken. Es war Sonntag.
Gedankenvoll machte Doktor-( Merzbach
einige Schritte nach der nächsten Ecke.
Unaufhörlich summte ihm ein Wort
in den Ohren: ,,Skandalös! Stan
daliis! Standalös!« Und die Glocken
brummten ihre tiefen, dumper Töne
dazu.
Plötzlich trat ein helles-, durchdrin
gendes Stimmchen in das Concert ein.
,,Klingling! Klingling!« Dann ein
etwas ängstlicher Ruf: »Achtung!«
Darauf ein Auffchrei —
Doktor Merzbach erhielt wieder ein
mal einen Stoß von hinterrücks und
im nächsten Augenblicke klirrte und
Plumpste etwas auf das schmutzige
Straßenpflaster nieder.
Da fah Doktor Merzbach das skani
dalöse Belociped. Unmittelbar vor
ihm lag es und oben drauf lag die
Dame mit dem getheilten Rock, die
Türkin, »Tilli von Warnsdorf.
Wie unwillkürlich hielt fie ihm die
Hand hin, daß er ihr aushelfe.
Aber er stotterte etwas in sich hinein,
rannte fort und ließ sie liegen.
sk L sc
Vier Wochen ging Doktor Merzbach
nicht aus. Es waren gerade Ferien.
Er schämte sich, daß er fortgelaufen
war. Und dann dachte-er darüber nach,
ob es möglich war, gleichzeitig zu ko
chen, Strümpfe zu stricken, Knöpfe an
zunähen, Kinder zu erziehen, sich gei
stig zu beschäftigen und — zu tadeln.
Das Essen schickte ihm der Adlerwirth
ins Haus. Aber eines Tages hatte er
es vergessen. Doktor Merzbach mußte
nun natürlich hinaus. Die Erste, der
er begegnete, war ebenso natürlich
Fräulein Tilli. Bestürzt blieb er ste:
hen und nahm unwillkürlich den Hut
ab. Da blieb auch sie stehen und lachte
mit blinkenden Zähnen und sagte treu
herzig:
»Es hat mir nichts gethan!«
Er erwiderte nichts-, aber er stand
noch lange aus derselben Stelle, als
Tilli schon fort war. Und ihm mass-,
als ob der Pslasterstcin da vor ihm,
auf dem sie gestanden hatte, gar kein
Pslasterstein war, sondern — na, ir
aend etwas Besonderes, Großartiges,
Erhabenes.
Dann plötzlich kam eine merkwürdi
ge Wuth über ihn. Diese Winkelgbiih
ler, die über ein wehrloseg Mädchen
herzogen, blos, weil es einen andern
Rock trug — oh, sie sollten’s sehen!
Sie sollten’s sehen!
Und Doktor Merzbach ließ den
»schwarzen Adler« »schwarzen Adler«
und Mittagessen Mittagessen sein,
drehte um nach Haue-, schrieb einen
Brief, kramte all’ sein erspartes Geld
zusantmen»» und trug es auf die Post.
O
Il- st
Vierzehn Tage später kam eine gro
ße, seltsame Kiste für Doktor Merzbach
an. Am folgenden Tage nahm dieser
den Pedell des Ghmnasiums bei Seite,
sprach lange mit ihm und drückte ihm
etwas in die Hand. Und nach Einbruch
der Dunkelheit schleppte der Pedell jene
große, seltsame Kiste in die Turnhalle.
Seitdem hörten Vorübergehende ein
räthselhaftes Geräusch aus derselben
hervorbringen. Als ob Jemand klir
rend und plumpsend zu Boden fiele.
Aber die Turnhalle war verschlossen
nnd die Fenster lagen zu hoch. Man
lonnte nicht hineinsehen.
w- .s- «
Und dann erlebte Winkelsbiihl die
zweite unerhörte That, dag zweite Ve
lociped, den zweiten radelnden Men
schen. Diesinal mass Doktor Ernst
Merzbach.
Aus der Turnhalle, deren Flügel
thiiren der Pedell weit geöffnet hielt,
schoß er heraus und prallte direkt gegen
das gegenüberliegende Hauf-. Einen
Augenblick lag er wie betäubt, dann
saß er wieder im Sattel. Auf dem
Marttplatz legte er sich zum zweiten
Mal. Aber auch dag hielt ihn nicht
ah, sichwieder aufzuschwingen Uns
wirklich, Von einer schreienden Bande
Kinder gefolgt, kam er glücklich durch
das Thor auf die Chauffee. Hier wars
beinahe fo eben, wie in der Turnhalle,
und —- heisfa, fort ging’s. Hinter ihm ;
erstarb das Geschrei der Rangen, ver
dunstete der Qualm der Stadt. Ein
Hochgefiihl der Kraft schwellte ihm die
Brust; als ob er flöge, warcsz ihm. Undz
seine Kopfschmerzen waren längst dci I
hin. Gesund fühlte er sich, gesund wie
ein Fisch irn Wasser, wie der Vogel in
der Lust.
Herrgott, da war es ja, was er hatte i
erfinden wollen! Gleichzeitig arbeitete-;
er mit Händen, Füßen, Schultern,
Iton und Ellenbogen -- - und erholte er
sich. Dabei lam er vorwärts, genas-,
die Natur, reiste. Und hatte lautn
zwei Mart in der Tasche. Und endlich
die Hauptsache: Nichts denken, gar
nichts denken! Das war das-Herrlichste.
Aber an etwas dachte er doch. Vor
einer halben tunde hatte er sie davon-—
radeln sehen, iesen selben Weg. Er
wußte, daß sie gewöhnlich bis zu einem
Baucrnhause fuhr am Rande des Wal
des, wo sie ein Glas Milch trank, um
dann heimzukehren. Die Bauersfrau
hatte es ihin erzählt. Und jedesmal
hatte Tilli eine Leckerei fiir die Kinder
in ihrer Satteltasche und ein paar
Brotrinden fiir die Hühner, Enten
und Gänse auf dem Hofe.
Dort also würde er sie treffen. Er
genirte sich nun nicht mehr vor ihr. Er
war ja nun ihr Mitverbrecher. Er
wollte sie um Verzeihung bitten, daß
sie an ihm zu Falle gekommen war und
daß er sie hatte liegen lassen.
Und um einen Anfang zu finden,
würde er ihr mit dem Radlergruß ent
aeaentretem «All heim
Ja, einAllheilniittel war dieses laut
los dahinglkitendg fast lebendige Rad
Gesund wurde, wer sich ihm anver
traute. All Heil! All Heil!
Und da unten im Thal, am Walde
lag auch schon das Gehöft vor ihm.
Nur den kleinen Berg galt es noch hin
abzusahren. Fest trat er zu und hinab
ging’s —
All Heil! All Heil!
«- -i· i
Tilli von Warnsdorf hatte eben auf
der kleinen Wiese vor dem Bauernhose
die Gänse gefüttert, und, während
Lieschen, das kleine Bauernkind, die
watschelnde Schaar dem Stalle zu
trieb, ihr Rad bestiegen und langsam
in Bewegung gesetzt, nach der Stadt
zu. Jm nächsten Augenblick aber sauste
etwas auf sie los, den Berg hinunter.
Sie traute ihren Augen kaum —- ein
Radler!
Knapp hatte sie Zeit, ihm auszuwä
chen, da war er neben ihr. Mit einem
Ruck riß er sichf die Mütze vom Kopfe.
«All Heil! All Heil!«
Da war er auch schon unter den
Gänsen.
,,Aller guter Dinge sind drei!« sagte
Doktor Merzbach, als er sich zu erheben
suchte. Es gelang ihm jedoch nicht.
Er hatte sich den rechten Fuß verknackst.
Tilli von Warnsdors handelte nicht
so, wie er an ihr gehandelt hatte: sie
ließ ihn nicht liegen. Mit Hilfe der
herbeigeeilten Bauersfrau legte sie ihm
einen Nothverband an und sorgte da
für, daß er auf einem Karten mit sei
nem etwas ramponirten Rade zur
Stadt geschafft wurde. Sie selbst ra
delte nebenher und während sie sich mit
ihm unterhielt, dachte sie daran, mit
wag fiir großen Augen er sie vorhin
unaufhörlich angestarrt und wie er ihr
bei jeder Gelegenheit die Hand geküßt
hatte. Merkwürdig; es war ihr gar
nicht unangenehm gewesen.
Als sie aus dem Hof fuhren, war die
Frau ihnen nachgekommen.
»Und was geschieht mit meiner
Gans?« fragte sie wehinüthig, das
überfahrene Thier zeigend, das sie
rasch abgeschlachtet hatte, da es sonst
verdorben wäre.
Doktor Ernst Merzbach hatte ihr die
Gan-H natürlich bezahlt. Und die Frau
hatte sie vor ihn auf den Karten gelegt.
Sie gehörte ja jetzt ihm; die Gans.
Als Tilli aber vor seiner Hausthür
von ihm Abschied nahm, —- es war
glücklicher Weise bereits Abend gewor
den, ——— da hatte er wehmüthig dasselbe
gefragt.
»Und was geschieht mit meiner
Gans-Z«
»Das wird Jhnen dasGänschen zei
gen!« antwortete Tilli schelmisch lä
chelnd, nahm die Gang und verschwand
im Hause ihrer Mutter.
Ihm aber fiel’s schwer auf’s Herz,
daß sie ihm das ,,Giinschen« noch nicht »
verziehen hatte. »
Aber sie hatte es ihm doch verziehen.
Das merkte er, als er einige Tage spä
ter noch etwas humpelnd einer Einla
dung ihrer Mutter zum Mittagessen
gefolgt war.
Was Tilli ihm vorsetzte, war die
selbstgebratene Gang-. Obgleich sie ra
delte. Nämlich Tilli.
cis-H war die gröszte Entdeckung seines
Lebens-. Und sie konnte auch Strüm
pfe stricken und ftnöesse annähen —
Tilli.
Und sie schmeckte großartig —-— die
Gans.
lind dann stieß sie mit ihm an, daß
die Gläser hell erklangen Tilli.
»Gelt, Herr Doktor Ernst Mer«zbach,
begraben war das »Gänschen«?«
Und sie begruben eg.
M ä- ä
Als sie acht Tage mit einander ver
lobt waren, erhielt Doktor Merzbach
eine Aufforderung, sich unverzüglich
dem Provinzial - Schulrath vorzustel
len. Voll Spannung fuhr er hin. Der
Geheimrath war des Lobeg voll über
sein Buch. Man habe schon längst den
Plan gehabt, eine Reform - Schule
ein«-zurichten nach ungefähr denselben
Prinzipien, die Doktor Merzbach in
seinem Buche entwickelt habe. Ob er
Lust habe, an dieser Schule zu wirken?
Doktor Merzbach sagte zu und dann
entwickelte ihm der Geheimrath den
Plan der Schule. Belehrung der Ju
gend im Freien —- Leibesübungem
Sport und Spiel, in richtiger Abwech
selung mit geistiger Arbeit und vor al
len Dingen »s
,,Radeln, Herr Geheimrath, radeln!«
fiel Doktor Merzbach begeistert ein.
Der Geheimrath nickte. Er war
nämlich auch Radlet. Und plötzlich
lachten sie einander an und sagten
gleichzeitig:
»All Heili« ——— —
..--0 -.-—-—
Vergleich.
Gleich einein schönen Falter
Bist Du, mein holdes Kind,
lLr prangt in bunten Farben,
Jhn schautelt sanft der Wind.
Doch wenn ich ihn betaste
Mit rauher« Hand, o weh —
Ach, allen Glanz und Schimmer
Ich dann entschwinden seh’.
So geht«-L wenn Deine Wangen
Man streicheli ohne Acht;
Dann sitzet aus den Fingern
Der Wangen Rosenpracht.
.—.-—-—
— Kühne Sprache. Unterof
sicier (zum Relriuten): »Kerl, stellen
Sie sich doch nicht so hilflos an, als
wenn Sie in dieser Secunde derStorch
erst auf den Kasernenhos gesetzt hätte!«
— D a h e r. »Du schenkst Deinem
Manne immer die Cigarren, die er
raucht?« —- »Ja, will ihm nämlich das
Rauchen abgewöhnen!«
Jem- die geeherlchwemmten
Oumoreske von Archibald Wittgenstein
Er stand da und betrachtete ihn weh
müthig und tiefsinnig, nämlich der
Hutmacher Filzleimer den alten, aus
der Mode gekoxn1nenen, einst theuren,
heut nicht einen Pfennig geltenden Cy
linderhut.
Dieser Hut gab ihm zu denken. Einst
hatte er ihn getauft, da er noch modern
war, hoffnunggeschwellten Herzens.
Jetzt war er alt geworden, und der Hut
auch. Filzleimer hätte ihn am liebsten
fertg«eworfen, -— aber er hatte nicht den
Muth dazu. Der Hut war seiner Zeit
theuer gewesen. Und er hatte sich guts
eonseroirt. Fast in jugendlicher Frisches
prangte sein schwarz alänzendes Fell
und selbst das Band, welches die
Krempe einfaßt, hatte noch nichts von
seiner Jungfräulichleit eingebüßt. Nur
s
eins fehlte, eins: die Fagom Sie war
und blieb unmodern Und mit ihr der
ganze Hut unrertiiuflich
So stand also der edle Meister der
Hutmacherzunft da, starrte den Sor-»
generreger an und ein langes, qualvol
leg Stöhnen entrang sich seiner Brust. i
Dann legte er den Hut In einen Karton
Da öffnete sich die Thür und herein!
trat Fräulein von Meyerstein, die Be
sitzerin de s Hauses, in welchem Filzlei-?
mer seinen Hutladen hatte, eine alte
Jungfer, welche die ihr ziemlich reich-s
lich zur Verfügung stehende freie Zeits
vorzugsweise dazub e,nutzte in Wohl-»
tl,·atigleit zu machen Die großen Ue
berschwemmungen des Hochsommers
boten ihr wieder ein sehr großes Feld
ihrer Thiitigkeit und so gehörte sie denn !
mit zu den ersten, die sich an dieSPitzeH
von Eomites zur Linderung des allgeH
meinen Nothstandes stellten. Eine
Wohlthätigkeits - Lotterie sollte hier
mannhast für die von der furchtbaren
Eatastrophe Betroffenen eintreten.
Fräulein von Meyerstein ging, wie
man zu sagen Pflegt, ,,aus’S Ganze.«
Als daher die hochwohlgeborene Dame
bei Herrn Filzleimer eintrat, wurde
dem Legteren ein wenig schwül zu
Muthe, denn er wußte, daß seine Haus
wirthin nur lam, um etwas zu for
dern.
Gefaßt hörte er dem Redestrom der
Gnädigen zu, welcb die Bethätigung
der Nächstenliebe als das höchste Werk
menschlicher Vollkommenheit pries und
endlich den Meister um Ueberlassung
irgend eines Gegenstandes aus seinem
Geschäft für die Lotterie bat.
Herrn Filzleimer durchblitzte eine
teufliche Jdee. Hier war ihm endlich die
ersehnte Gelegenheit aeboten, sich des
Ladenhiiters zu entledigen, ohne daß
; er ihn wegzuwersen brauchte. Ja, er
schaffte sich nicht nur eine unbequeme
Last vom .,Halse sondern er that noch
ein gutes Wert.
Filzleimer holte feierlich den Karton
! wieder hervor und beförderte das
schwarze Ungeheuer an das Tagesli cht,
seine VorTiige laut vor Fräulein
Meyer-Lein preisend. Die Wohlthäterin
Pnr erteilence verfolgte mit stillem Tri
umph die Handlungen ihres Miethers.
Was verstand sie, die alte Jungfer, da
von ob der Hut modern oder unmodern
in der Faqon war.
Doch mit dieser Gabe war ihr noch
nicht genug getl an Sie mußte noch ein
Paar Loose absetzen, und so ruhte sie
denn thatsächlich nicht eher, alg bis sie
dem biederen Hutmacher auch noch drei
Loose m 2 Mark angedrebt hatte.
s- «-!; It
Vier Wochen waren ins Land gegan
gen, und der Hutmacher dachte weder
an den alten Ladenhiiter, noch an die
Wohlthätigkeitg - Lotterie zum Besten
der lieberschrvenmiten, als Fräulein
von Meherstein eine-Z Ta eg freude
strahlend in seinen Laden rat.
»Herr Filzleimer,« begann sie feier
lich, ,,heut’ bringe ich Jhnen eine sehr
frohe Botschaft Ich freue mich, Jhnen
mittheilen zu können, daf: Ihnen der
Hauptgewinn unserer Wohlthätigkeit-I
Lotterie zuaesallen ist. Und sie ging.
Herr Filzleimer konnte sich vor freu
digem Erstaunen kaum fassen. Leider
hatte die Fliirze des Besuches ihm nicht »
gestattet, nach dem Gegenstande seiner
GliickeH zu fragen. Aber nun sollte doch
gleich der Otto ’mal hingeben und den
Hauptgewinn abholen. «Junge, Otto,
Inacl)’ Dich ’mal fertig, gehe schnell zu
Fräulein von Iliehersteim und laß Dir
gegen — Donnerwetter, wo habe ich
denn die Loose l)ingesteckt? Jch hatte sie
mir doch sicher aufiaehoben Richtig!
Da sind sie. Ja-—also laß Dir gegen
eines dieser drei Loche-welches es ist,
weiß ich nicht -— den Hauptgewinn
i
auShiindiaen, verstehst Du? Sollte ess?
zu schwer fein, dann sage mir Bescheid;
ich schicke dann den Gesellen mit.«
Otto machte sieh auf den Weg und
kehrte in ziemlich kurzer Zeit mit einem
in weißes Papier eingeschlagenen Ge
genstande zrtrijct.Filzleimer stürzte fast
athemlos darauf zu und riß hastig die
schützende Hülle herunter. Kreidebleich,
fast zitternd blickte der Meister auf den
nunmehr seines verhüllenden Kleides
beraubten Gegenstand, der, gleich dem
entschleierten Bild zu Sais, lieber hätt-:
bedeckt bleiben sollen fiir ewige Zeiten;
denn der Hauptgewinn bestand in
nichts Anderem, als in dein alten, un
modern gewordenen Cylinderhut.
Es dauerte geraume Zeit, bis Mei
ster Filzleinier sich von seiner schauri
gen Entdeckung erholte hatte. Als aber
die erschlafften Lebensaeister wieder zu
ihrer alten Thätigkeit erwath waren,
da sammelte er« alle seine Energie,
schritt lautlos zum Ofen, spi« rte das
Unglückswurm hinein und machte
mitten im Hochsommer ein Einer an.
Dann betrachtete er mit dem Gefühl
beseiedigter Rache dieses Autodafts
—-—- sssi OWQkIJTuOW . «
WI
und beobachtete, wie die Flammen
nes einst bedeutende Werk der edl?
Hutmacherkunlt verzehrten. «
Fräulein von Meyerstein aber ist t;
wieder an ihn herangetreten mit d ·
Bitte, sich an einer Wohlt "tiqkeit.
Lotterie zu betlyeiligem und o hatte ,
denn vor ihr und vor dem Ladenhütx.·
lebenslänglich Ruhe. -
A-—
Auch ein Lebensretter. F
Ein Naklstbild oon Feder Aktionen »Hu
Eis war eine dunkle Dezembernachtcj
Durch die Bahnstraße schritt eif?
gebeugter Mann hastig der große
Brücke zu, die sich vom lustigen Gitw
uinsäumt in mächtigen Bögen übe»s«
den Rheinstrom hiuzieht. —- Der dank
Schnee zu einem Brei verwandelte Koh (
lenstaub hängte sich an die Füße der
Wandelnden nnd nicht minder an das
zottige Haar eine-J alten Pinschers, der «
rnitgesenkter Schnauze hinter dem ein
samen Wanderer einhertrottete. Die
Gaslampen warfen ein noch spätlicherek
Licht und nur dass heisere Bellen einiger
Wachthunde der zu beiden Seiten der
langen, schnsutzigen Straße ausgesta
pelten Holz- und Kohlenlager unter-;
brach die unheimliche Stille.
Schon begann die Straße ein lwenig
den Brückenkopf zu steigen, und das-.
wenig wirthliche Ufer tam in Sicht, als- .
der Wanderer seine Schritte beschleun -"«.
te. Er glich einer Nebelgestalt, die wie »
ein Geisterschatten durch die schaurige,
unheimliche Nacht schwebte.
Was trieb den Sonderling hierherLY
— Kehrt er von der Arbeit heim und. i
sucht die iirmliche Hütte im jenseits ge
legenen Fischerdoer — Meidet er daz.
Stadtgebiet ans- herechtigter Sorge vor
den schiitzenden Augen der Behörde?
Tas- tann es nicht sein; denn solche
Leute pflegen keine viersüszigen Beglei
ter zu haben.
War- alsos —
lisiner jener llnglücklichen, die irn ,
bransenden Strom Erlösung suchen nnd
wenige Kilometer tiefer auf dem »Fried
hof der Namenlosen« endlich ein Plätz- ·
elf-en langersehnter Ruhe finden?
tsr hat die Mitte der Brücke erreicht
nnd steht still, — blickt zwischen den.
tszitterstiibeu hinab in die srasch dahin
stromende Fluth die wie ein schwarzes
lingrbeuer sich sortioalzt
tsin dumpfes Brausen tönt zu ihm
heraus. nur unterbrochen non dem
tsieriiuich deiZ «lliipralle—3 einzelner Treib
eiszschollen an den massipen Brücken
psejtern. Beide Arme auf das Geländer
gestiitit, jeden Augenblick bereit« durch
einen lurzen Schwung sich darüber zu
schnellen — blickt er sich plötzlich erschro
» cten um«
Vor Jsrost zktternd sitzt zu seinen Fü
sien der alte, treue Begleiter, und klüg
lich winsetnd Vliett er nach ihm ans, als
; wollte er sragen: »Was wird ausJ mir,
aus«-— unis
lind mit einem jähen Ruck rafft sich
der diistere Eiliann empor, seine Hunde
geben die erstatten ltieliinderstaugen
wieder frei, dass Haupt wirft sich hoch·
auf und der Nacken wird steif: — »Du
hast recht Alter wag aug Dir und ihr?«
iir uimmt den oor Kälte zitternden
Hund trotz Rasse und Schmutz auf
seine Arme und raschen und elastischen
Schritte-:- geht er Zurück die stille Straße
nach der lauten Stadt
Sein Weg siihit bis in’«:- tseutrunr
und endet nor einein vornehmen Haue-.
Empor eilt er die breite, teppichhelegte
Sieintreppe nnd tlingelt im ersten Flur
an bre.tuebeiihlagener Thüre. Im Nu
ossnet ein schlanleis, junge-J Weib, dessm
rothgeweinte Augen gar seltsam Fu der
dornelnnen Umgebung kontrastiren,
und zwei holte-, weiche Arme umschlin
gen den Angelouuuenen.
»(-sottlob, daß ich Dich wie er habe,
mir war so grenzenlos, so todegbange!«
»Sei ruhig, mein Lieb, Du hast mich
wieder und sollst mich nicht eh·e1 verlie
ren, als bist— mir die gesetzte Stunde
schlagt. — sah war einen Augenblick
schwach geworden — unser alter Freund
hat mich zur Pflicht zuriietgerusen ;
harre aus«-s ! —- Mogen sie uns- auch
alles uehiueu, den Lebenszmnth soll mit
nicht-L- mehr rauben.«
Sein Its-eilt Zog ihn nieder zu sich in
die schioelleuden Kissen und barg ihr
Haupt an seiner Brust.
»Sie sollen alles-, alle-:- haben, nur
Tich, Tich soll mir leiner nehmen !«—
stohute die lirlosto
Der alte Piuscher aber sasi zu den
Fuss-en der beiden und schaute schweif
wedelud zu ihnen empor.
Was- er sich wohl dachte Z
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Zur schönen Aussicht
He, Jocklwirih, Du kennst Di’ aus,
Wie hoaßt däg hoche Eck,
Däg übern Wald dort fiiraschaut
So schneidi und so keck?«
»Ja mein, bös Eck? Däs woaß i nei,
Dis-J kann i D’r nit fag’n;
Was gengcm mi die Sjoaner an?
Da muaßt ein’ Fremden frag’n.«
4--»
Modernes Wohlthätig Leit.
Bier volle geschlagene Stunden
Jn dumper Lokal gesperrt,
Gequält, ac:narteri, ge Wundern
Heißt Wohlilfäiigkeiisconceri!
——·-— s« - - »O
—— Immer im Geschäft ——
Editl): ,,ällkose.szleben, heut’ wird gege
ben im Theater der »Kausmann von
Venedia,,.« -—- Der ichwethörige Mo
fes: »Wie heißt de FirmaW
—— Höhn-e Nahrungsfori
gen. Gattin: »Der ändlev hat wie
der keine frischen Au tcrn
venu: »Gott, was mer hat für Mitta
E tesseniorgen.« « .-.
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