Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, October 29, 1897, Sonntags-Blatt., Image 11
xm Heut sum-reiste von Heinrich Vollrat Schuh-I machet. »Das Reisen. —- Ein Beitrag zuri Reform der Schule« So stand in et was, schnörleligen Buchstaben auf demi umfangreichen heft geschrieben, das Doctot Ernst Merzbach Gymnasial lehret in Wintelsbühl mit der Fakul tas fiir die oberen Klassen, eben zum letzten Male betrachtete, ehe er es an seine vorgesetzte Provinzial - Schulde börde einreichte. Ein ganzes Jahr hatte er daran gearbeitet, Nacht für Nacht, und darin Theorien entwickelt, Theorien —- ——! Die Verwirklichung dieser Theorien mußte die lrante Menschheit gesund machen. Denn trank waren die Men schen heutzutage, Alle, ohne Aus nahme. Das kam von der vertehrten Le bensweise. Sie aßen zuviel, sie tran ken zu viel, sie tauchten zu viel. Sie hetzten sich ab auf der Jagd nach dem Mammon; sie legten eben zu viel Ge wicht auf materielle Genüsse und der nachlässigten darüber die ideellen. Wenn das so weiter ging, würde das ganze Geschlecht entarteu. Es war hochste Zeit es zu hei len, eine gesun dere frischere Generation heranz xie hen Wie das zu erreichen war, das hatte Doktor Merzbach dem dicken Hefte da anvertraut. Und dabei hatte er in den langen Nächten unaufhörlich Cholo lade gegessen, um sich bei Kräften, Kaffee getrunken, um sich wach; und Pastorentabat getaucht, um sich in Stimmung zu halten. Er lächelte melancholisch vor sich hin, während er das Heft mit dem fertigen Begleitschreiben einpackte. Waffe da ein Wunder, wenn er seit Wochen Kopffchmerzen hatte und in seinen Un terrichtsstunden consus war? Er war Lehrer der Mathematik. Aber er "r-..rfte sich auch jest noch keine Ruhe gönnen. Jetzt galt’s, seine Theorien in’s Prattische übersetzen. Während er mit dem eingepaclten Heft seine enge, einfache Studirstube ver ließ, um es drüben zur Post zu tragen, gingen ihm schwere Gedanken durch den Kopf. Das mit der Praxis war nicht leicht. Die Hauptsache war das Reisen. Die Menschen mußten viel reisen, um sich gleichzeitig zu erholen und zu unterrichten. Seit seiner gro ßen Reise von Winkelsbiihl nach der Universität und zurück, acht Stunden mit der Eisenbahn und seine Stunde mit der Post ——— es war die einzige, die Doctor Merzbach bisher gemacht — war ihm die gewaltige Bedeutung des Reisen-Z tlar geworden. Also die Men fchen mußten reisen. viel reisen. Zum Reisen aber gehört Geld. Und viel Geld —-- um es zu erlangen, muß ten die Menschen arbeiten, viel arbei ten, vielleicht noch mehr arbeiten, als jetzt. Würden sie da nicht noch trän ter werden? Jn diesem furchtbaren Kreislauf jagten sich Doctor Merzbach’5 Gedan len, währender das Packet auf der Post aufgab. Grübelnd wollte er ge-. rade wieder auf die Straße treten, als eine Jdee in ihm austauchte, eine Jdee —- -— --! Man mußte eben etwas erfinden, das den Menschen gleichzeitig Arbeit und Erholung, Ruhe und Anregung verschaffte, das ihnen ermöglichte, ohne viel Geld zu reisen, und dabei den un gesunden Qualm und Dunst der Ei senbahn beseitigte. Wenn man das erfand —- wenn gar er selbst, Doktor Ernst Merzbach, das erfand ———————— s! Aber wie? Er war vor der Thiir des Postges bäudes stehen geblieben, und hätte der Postillon nicht schmetternd in sein Horn gestoßen, so wäre Doktor Metz bach wohl überfahren worden. Denn eben fuhr die Post vor, die Winkels bijhl mit der über eine Meile entfern ten Eisenbahnstation verband. Dol tor Merzbach sprang zur Seite und betrachtete schwermiithig den gelben Wagen. Dann seufzte er. Wie viel - Menschen wären so gern gereist, und wie viel Wagen fuhren dabei leer in der Welt herum! Die WintelsbiihlerPosts wagen wenigstens waren fast immer leer. Höchsten-Z lam·einmal ein Colo nialwaaren - Reisender her, um sich so schnell wie möglich wieder aus den-. weltentlegenen Nest fortzumachen. Auch heute würde es wohl nicht anders sein. Aber nein, aus dem Postwagen stieg kein Colonialwaaren Reisender. Eine Dame war's und, soviel Doctor Merk bach bei seiner Aurzsichtigteit unnter scheiden konnte, eine junge Dame. Es war ihm, als hätte sie rosige Wan gen, große, lachende, blaue Augen, goldblonde, lrause haarr. Er wußte es aber nicht genau. Er wußte auch nicht genau, wo er das Alles schon ein mal gesehen hatte. Es kam ihm aber so vor. Und deshalb starrte er sie grü belnd an. Jm nächstenAugenblicke wußte er es. Von einem Dienstmädchen gefolgt, war eine ältere Dame herbeigeeilt, der die Junge nur in die Arme flog mit ei nemhellem klingenden Gelächter, da Fdortor Merzbach abermals sehr be kannt vorlam.. Mamachenl Mamachen!« rief die Junge. »Endlich wieder bei Dir. Aber nun gehe ich auch nie wieder fort!« »Mamachen!« hatte sie die Aeltere genannt. Diese war also wohl ihre Mutter. Und da die Aeltere die ver wittwete Frau Maiorin von Wams dorf war, so mußte die Jüngere wohl die Tochter sein. Doctor Mer bach hatte sich zu dieser schwierigen S lußfolgerung durchge rungen, als er plötzlich einen heftigen Stoß in den Rücken erhielt. Natürlich hatte er nicht gesehen, wie der Postil lon und der Schaffner eine große, selt sam gesormte Kiste vom Postwagen abgeladen hatten, die ihm den Stoß versetzt hatte. Wieder sprang er zur Seite und dabei flog ihm der Hut her .ab. Während er sich bückte, schoß ihm z das Blut in den Kopf. Hatte die ; junge Dame nicht eben wieder gelacht? » —— Wie böhnisches Kichern llang’s ihm »in den Ohren. Und ihre Stimme — wie spöttisch sie llangl »Ist das nicht Ernst Merzbach, Ma machen?« Auf das Kopfnicken der Majorin machte das junge Mädchen einen Schritt zu ihm hin. Aber er war schon nicht mehr da. Er wußte nicht, wa rum, aber er hatte sich schroff abge wandt und stolperte schon über die Straße nach seiner Wohnung. Vor der Thiir blieb er unwillliirlich noch einmal stehen und schaute zurück· Eben verschwand die Majorin mit ihrer Tochter im Nebenhause. Dort wohn ten sie. Und der Postschafsner und das Dienstmädchen trugen grade die große, seltsame Kiste hinein. lind da fiel’s Doktor Merzbach ein: sie hieß »Tilli«. Nämlich die Tochter der Frau Majorin. s- st Richtig, jetzt erinnerte er sich. Er hatte sie ja von klein aus gekannt. Jhr Vater, der Major, hatte die Husarem schwadron rornmandirt, die früher in Winkelsbühl in Garnison gelegen hat te. dem hatte Doktor Merzbach’s Va ter manches Paar Reitstiesel gefertigt und fiir das kleine Fräulein manches Paar Rnöpsstiesei. Die letzteren waren aber immer schnell zerrissen, trotz der soliden Arbeit; Tilli von Warnsdors war immer eine wilde Huinmel gewe sen. Reiten, Fechten, Schwimmen, aus die Bäume klettern —»— das war ihre Lebensausgabe gewesen. Dagegen Lernen, Handarbeiten, Wirthschaften — dem war sie immer aus dem Wege gegangen. Und darum hatte Doktor Ernst Merzbach sie schon als Knabe unausstehlich gefunden. Unaushörlich hatte sie ihn thrannisiri, seine Stiefel beschmutzt, seine Haare zerzaust, seine Bücher zerrrissen Bis er sie eines Ta ges in einer ungewöhnlichen Auswals lung seines Mannesbewußtseins tüch tig durchgewaltt hatte. Das war kurz vor seinem Abgang zur Universität ge wesen. Und — »Giinschen« hatte er sie da bei genannt. Seitdem hatte er sie nur selten und flüchtig einmal gesehen. Er wußte nur, das; sie mit ihrer Mutter noch in Win telgbühl wohnte, obwohl ihr Vater ge storben war und die Schwadron eine andere Garnison erhalten hatte. Aber als Doktor Merzbach dann nach Pein Tode seiner Eltern in das weltsremde Nest an’s Ghmnasium berufen wurde, war die »wilde Hummel« nicht da. Sie war in der Residenz in einer vorneh men Pension. Und aus dieser war sie heute wohl zurückgekehrt Ob wirklich auf immer, wie sie vorhin zu ihrer Mutter gesagt hatte-Z »Wa5 gehts mich an!« sagte Doktor Merzbach ganz laut, als er in seine enge Mansarde zurückgekehrt war. Dann ging er in sein Schlaszimmer und schaute ans dem Fenster in den hereinbrechenden Abend hinaus. Er tonnte von hier den großen Garten überblicken, der zum Hause der Majo rin gehörte. Lange starrte er hinaus-, während er versuchte, an seiner Jdee zur Gesundung der tranken Menschheit weiterzuspinnen Wenn ihm seine gewaltigeiEntdect ung qelang? — Plötzlich zuckte er auf, stürzte an sei nen Schreibtisch und riß sein altes Fernrohr herab, das noch aus seiner Schülerzeit stammte, um in die Däm merung hinauszusvähen. Was er entdeckte, war jedoch nicht das Allheilmittel der Menschheit, auch nicht ein helles Kleid, sondern eine ein same Schürze, die drüben von einer Wäscheleine herabhängend gespentkig im Abendwinde hin- und herpenoelte. It II I Zwei Tage darauf drang die Kunde von einer in Wintelsbühl unerhörten That an Doktor Merzbachs Ohr. ssin Statuton ein Vetociped, ein Zweirad, ein Bicyele war gesehen worden. Und eg hatte Jemand darauf gefessem am hellen, lichten Mittag; auf dem Markt platz. Unglaublich! Wenn es noch ein Mann gewesen wäret Aber es war eine Dame arme fen. Jn einem getheilten Rock, mit Pumphosen darunter. Wie eine Tür kin. Standalöst o Ganz Wintelbühl war außer sieh. Doktor Merzbach hatte taum auf das einpörte Gespräch feiner Mittags genossen tm ..schtvarzen Adler« geneh tet. Erft als ein Name an fein Ohr schlug, wurde er aufmertfam Wer jene Dame, jene Türtin war, die natürlich nicht tochen, Strümpfe stopfen, Knopfe annähen konnte, weil fte Beloeiped fahren mußte? Natürlich, Tilli von Warnsdorft Doktor Merzbach wurde ganz roth und öffnete den Mund, wie um etwas zu sagen. Er sagte aber nichts. Er war nur furchtbar neugierig, Tilli auf dem Beloeiped zu sehen. Eine Dame in getheiltem Rock nnd Pumphoer — auf einem Beloriped — nnerhörtt -:- si- « Eine Stunde später fah er es. Der ,,fchwarze Adler« lag in der engsten, winkltaften Gasse von Wintelsbühl in der Nähe der großen Kirche. Als Dok tor Merzbach auf die Straße trat, läu teten die Glocken. Es war Sonntag. Gedankenvoll machte Doktor-( Merzbach einige Schritte nach der nächsten Ecke. Unaufhörlich summte ihm ein Wort in den Ohren: ,,Skandalös! Stan daliis! Standalös!« Und die Glocken brummten ihre tiefen, dumper Töne dazu. Plötzlich trat ein helles-, durchdrin gendes Stimmchen in das Concert ein. ,,Klingling! Klingling!« Dann ein etwas ängstlicher Ruf: »Achtung!« Darauf ein Auffchrei — Doktor Merzbach erhielt wieder ein mal einen Stoß von hinterrücks und im nächsten Augenblicke klirrte und Plumpste etwas auf das schmutzige Straßenpflaster nieder. Da fah Doktor Merzbach das skani dalöse Belociped. Unmittelbar vor ihm lag es und oben drauf lag die Dame mit dem getheilten Rock, die Türkin, »Tilli von Warnsdorf. Wie unwillkürlich hielt fie ihm die Hand hin, daß er ihr aushelfe. Aber er stotterte etwas in sich hinein, rannte fort und ließ sie liegen. sk L sc Vier Wochen ging Doktor Merzbach nicht aus. Es waren gerade Ferien. Er schämte sich, daß er fortgelaufen war. Und dann dachte-er darüber nach, ob es möglich war, gleichzeitig zu ko chen, Strümpfe zu stricken, Knöpfe an zunähen, Kinder zu erziehen, sich gei stig zu beschäftigen und — zu tadeln. Das Essen schickte ihm der Adlerwirth ins Haus. Aber eines Tages hatte er es vergessen. Doktor Merzbach mußte nun natürlich hinaus. Die Erste, der er begegnete, war ebenso natürlich Fräulein Tilli. Bestürzt blieb er ste: hen und nahm unwillkürlich den Hut ab. Da blieb auch sie stehen und lachte mit blinkenden Zähnen und sagte treu herzig: »Es hat mir nichts gethan!« Er erwiderte nichts-, aber er stand noch lange aus derselben Stelle, als Tilli schon fort war. Und ihm mass-, als ob der Pslasterstcin da vor ihm, auf dem sie gestanden hatte, gar kein Pslasterstein war, sondern — na, ir aend etwas Besonderes, Großartiges, Erhabenes. Dann plötzlich kam eine merkwürdi ge Wuth über ihn. Diese Winkelgbiih ler, die über ein wehrloseg Mädchen herzogen, blos, weil es einen andern Rock trug — oh, sie sollten’s sehen! Sie sollten’s sehen! Und Doktor Merzbach ließ den »schwarzen Adler« »schwarzen Adler« und Mittagessen Mittagessen sein, drehte um nach Haue-, schrieb einen Brief, kramte all’ sein erspartes Geld zusantmen»» und trug es auf die Post. O Il- st Vierzehn Tage später kam eine gro ße, seltsame Kiste für Doktor Merzbach an. Am folgenden Tage nahm dieser den Pedell des Ghmnasiums bei Seite, sprach lange mit ihm und drückte ihm etwas in die Hand. Und nach Einbruch der Dunkelheit schleppte der Pedell jene große, seltsame Kiste in die Turnhalle. Seitdem hörten Vorübergehende ein räthselhaftes Geräusch aus derselben hervorbringen. Als ob Jemand klir rend und plumpsend zu Boden fiele. Aber die Turnhalle war verschlossen nnd die Fenster lagen zu hoch. Man lonnte nicht hineinsehen. w- .s- « Und dann erlebte Winkelsbiihl die zweite unerhörte That, dag zweite Ve lociped, den zweiten radelnden Men schen. Diesinal mass Doktor Ernst Merzbach. Aus der Turnhalle, deren Flügel thiiren der Pedell weit geöffnet hielt, schoß er heraus und prallte direkt gegen das gegenüberliegende Hauf-. Einen Augenblick lag er wie betäubt, dann saß er wieder im Sattel. Auf dem Marttplatz legte er sich zum zweiten Mal. Aber auch dag hielt ihn nicht ah, sichwieder aufzuschwingen Uns wirklich, Von einer schreienden Bande Kinder gefolgt, kam er glücklich durch das Thor auf die Chauffee. Hier wars beinahe fo eben, wie in der Turnhalle, und —- heisfa, fort ging’s. Hinter ihm ; erstarb das Geschrei der Rangen, ver dunstete der Qualm der Stadt. Ein Hochgefiihl der Kraft schwellte ihm die Brust; als ob er flöge, warcsz ihm. Undz seine Kopfschmerzen waren längst dci I hin. Gesund fühlte er sich, gesund wie ein Fisch irn Wasser, wie der Vogel in der Lust. Herrgott, da war es ja, was er hatte i erfinden wollen! Gleichzeitig arbeitete-; er mit Händen, Füßen, Schultern, Iton und Ellenbogen -- - und erholte er sich. Dabei lam er vorwärts, genas-, die Natur, reiste. Und hatte lautn zwei Mart in der Tasche. Und endlich die Hauptsache: Nichts denken, gar nichts denken! Das war das-Herrlichste. Aber an etwas dachte er doch. Vor einer halben tunde hatte er sie davon-— radeln sehen, iesen selben Weg. Er wußte, daß sie gewöhnlich bis zu einem Baucrnhause fuhr am Rande des Wal des, wo sie ein Glas Milch trank, um dann heimzukehren. Die Bauersfrau hatte es ihin erzählt. Und jedesmal hatte Tilli eine Leckerei fiir die Kinder in ihrer Satteltasche und ein paar Brotrinden fiir die Hühner, Enten und Gänse auf dem Hofe. Dort also würde er sie treffen. Er genirte sich nun nicht mehr vor ihr. Er war ja nun ihr Mitverbrecher. Er wollte sie um Verzeihung bitten, daß sie an ihm zu Falle gekommen war und daß er sie hatte liegen lassen. Und um einen Anfang zu finden, würde er ihr mit dem Radlergruß ent aeaentretem «All heim Ja, einAllheilniittel war dieses laut los dahinglkitendg fast lebendige Rad Gesund wurde, wer sich ihm anver traute. All Heil! All Heil! Und da unten im Thal, am Walde lag auch schon das Gehöft vor ihm. Nur den kleinen Berg galt es noch hin abzusahren. Fest trat er zu und hinab ging’s — All Heil! All Heil! «- -i· i Tilli von Warnsdorf hatte eben auf der kleinen Wiese vor dem Bauernhose die Gänse gefüttert, und, während Lieschen, das kleine Bauernkind, die watschelnde Schaar dem Stalle zu trieb, ihr Rad bestiegen und langsam in Bewegung gesetzt, nach der Stadt zu. Jm nächsten Augenblick aber sauste etwas auf sie los, den Berg hinunter. Sie traute ihren Augen kaum —- ein Radler! Knapp hatte sie Zeit, ihm auszuwä chen, da war er neben ihr. Mit einem Ruck riß er sichf die Mütze vom Kopfe. «All Heil! All Heil!« Da war er auch schon unter den Gänsen. ,,Aller guter Dinge sind drei!« sagte Doktor Merzbach, als er sich zu erheben suchte. Es gelang ihm jedoch nicht. Er hatte sich den rechten Fuß verknackst. Tilli von Warnsdors handelte nicht so, wie er an ihr gehandelt hatte: sie ließ ihn nicht liegen. Mit Hilfe der herbeigeeilten Bauersfrau legte sie ihm einen Nothverband an und sorgte da für, daß er auf einem Karten mit sei nem etwas ramponirten Rade zur Stadt geschafft wurde. Sie selbst ra delte nebenher und während sie sich mit ihm unterhielt, dachte sie daran, mit wag fiir großen Augen er sie vorhin unaufhörlich angestarrt und wie er ihr bei jeder Gelegenheit die Hand geküßt hatte. Merkwürdig; es war ihr gar nicht unangenehm gewesen. Als sie aus dem Hof fuhren, war die Frau ihnen nachgekommen. »Und was geschieht mit meiner Gans?« fragte sie wehinüthig, das überfahrene Thier zeigend, das sie rasch abgeschlachtet hatte, da es sonst verdorben wäre. Doktor Ernst Merzbach hatte ihr die Gan-H natürlich bezahlt. Und die Frau hatte sie vor ihn auf den Karten gelegt. Sie gehörte ja jetzt ihm; die Gans. Als Tilli aber vor seiner Hausthür von ihm Abschied nahm, —- es war glücklicher Weise bereits Abend gewor den, ——— da hatte er wehmüthig dasselbe gefragt. »Und was geschieht mit meiner Gans-Z« »Das wird Jhnen dasGänschen zei gen!« antwortete Tilli schelmisch lä chelnd, nahm die Gang und verschwand im Hause ihrer Mutter. Ihm aber fiel’s schwer auf’s Herz, daß sie ihm das ,,Giinschen« noch nicht » verziehen hatte. » Aber sie hatte es ihm doch verziehen. Das merkte er, als er einige Tage spä ter noch etwas humpelnd einer Einla dung ihrer Mutter zum Mittagessen gefolgt war. Was Tilli ihm vorsetzte, war die selbstgebratene Gang-. Obgleich sie ra delte. Nämlich Tilli. cis-H war die gröszte Entdeckung seines Lebens-. Und sie konnte auch Strüm pfe stricken und ftnöesse annähen — Tilli. Und sie schmeckte großartig —-— die Gans. lind dann stieß sie mit ihm an, daß die Gläser hell erklangen Tilli. »Gelt, Herr Doktor Ernst Mer«zbach, begraben war das »Gänschen«?« Und sie begruben eg. M ä- ä Als sie acht Tage mit einander ver lobt waren, erhielt Doktor Merzbach eine Aufforderung, sich unverzüglich dem Provinzial - Schulrath vorzustel len. Voll Spannung fuhr er hin. Der Geheimrath war des Lobeg voll über sein Buch. Man habe schon längst den Plan gehabt, eine Reform - Schule ein«-zurichten nach ungefähr denselben Prinzipien, die Doktor Merzbach in seinem Buche entwickelt habe. Ob er Lust habe, an dieser Schule zu wirken? Doktor Merzbach sagte zu und dann entwickelte ihm der Geheimrath den Plan der Schule. Belehrung der Ju gend im Freien —- Leibesübungem Sport und Spiel, in richtiger Abwech selung mit geistiger Arbeit und vor al len Dingen »s ,,Radeln, Herr Geheimrath, radeln!« fiel Doktor Merzbach begeistert ein. Der Geheimrath nickte. Er war nämlich auch Radlet. Und plötzlich lachten sie einander an und sagten gleichzeitig: »All Heili« ——— — ..--0 -.-—-— Vergleich. Gleich einein schönen Falter Bist Du, mein holdes Kind, lLr prangt in bunten Farben, Jhn schautelt sanft der Wind. Doch wenn ich ihn betaste Mit rauher« Hand, o weh — Ach, allen Glanz und Schimmer Ich dann entschwinden seh’. So geht«-L wenn Deine Wangen Man streicheli ohne Acht; Dann sitzet aus den Fingern Der Wangen Rosenpracht. .—.-—-— — Kühne Sprache. Unterof sicier (zum Relriuten): »Kerl, stellen Sie sich doch nicht so hilflos an, als wenn Sie in dieser Secunde derStorch erst auf den Kasernenhos gesetzt hätte!« — D a h e r. »Du schenkst Deinem Manne immer die Cigarren, die er raucht?« —- »Ja, will ihm nämlich das Rauchen abgewöhnen!« Jem- die geeherlchwemmten Oumoreske von Archibald Wittgenstein Er stand da und betrachtete ihn weh müthig und tiefsinnig, nämlich der Hutmacher Filzleimer den alten, aus der Mode gekoxn1nenen, einst theuren, heut nicht einen Pfennig geltenden Cy linderhut. Dieser Hut gab ihm zu denken. Einst hatte er ihn getauft, da er noch modern war, hoffnunggeschwellten Herzens. Jetzt war er alt geworden, und der Hut auch. Filzleimer hätte ihn am liebsten fertg«eworfen, -— aber er hatte nicht den Muth dazu. Der Hut war seiner Zeit theuer gewesen. Und er hatte sich guts eonseroirt. Fast in jugendlicher Frisches prangte sein schwarz alänzendes Fell und selbst das Band, welches die Krempe einfaßt, hatte noch nichts von seiner Jungfräulichleit eingebüßt. Nur s eins fehlte, eins: die Fagom Sie war und blieb unmodern Und mit ihr der ganze Hut unrertiiuflich So stand also der edle Meister der Hutmacherzunft da, starrte den Sor-» generreger an und ein langes, qualvol leg Stöhnen entrang sich seiner Brust. i Dann legte er den Hut In einen Karton Da öffnete sich die Thür und herein! trat Fräulein von Meyerstein, die Be sitzerin de s Hauses, in welchem Filzlei-? mer seinen Hutladen hatte, eine alte Jungfer, welche die ihr ziemlich reich-s lich zur Verfügung stehende freie Zeits vorzugsweise dazub e,nutzte in Wohl-» tl,·atigleit zu machen Die großen Ue berschwemmungen des Hochsommers boten ihr wieder ein sehr großes Feld ihrer Thiitigkeit und so gehörte sie denn ! mit zu den ersten, die sich an dieSPitzeH von Eomites zur Linderung des allgeH meinen Nothstandes stellten. Eine Wohlthätigkeits - Lotterie sollte hier mannhast für die von der furchtbaren Eatastrophe Betroffenen eintreten. Fräulein von Meyerstein ging, wie man zu sagen Pflegt, ,,aus’S Ganze.« Als daher die hochwohlgeborene Dame bei Herrn Filzleimer eintrat, wurde dem Legteren ein wenig schwül zu Muthe, denn er wußte, daß seine Haus wirthin nur lam, um etwas zu for dern. Gefaßt hörte er dem Redestrom der Gnädigen zu, welcb die Bethätigung der Nächstenliebe als das höchste Werk menschlicher Vollkommenheit pries und endlich den Meister um Ueberlassung irgend eines Gegenstandes aus seinem Geschäft für die Lotterie bat. Herrn Filzleimer durchblitzte eine teufliche Jdee. Hier war ihm endlich die ersehnte Gelegenheit aeboten, sich des Ladenhiiters zu entledigen, ohne daß ; er ihn wegzuwersen brauchte. Ja, er schaffte sich nicht nur eine unbequeme Last vom .,Halse sondern er that noch ein gutes Wert. Filzleimer holte feierlich den Karton ! wieder hervor und beförderte das schwarze Ungeheuer an das Tagesli cht, seine VorTiige laut vor Fräulein Meyer-Lein preisend. Die Wohlthäterin Pnr erteilence verfolgte mit stillem Tri umph die Handlungen ihres Miethers. Was verstand sie, die alte Jungfer, da von ob der Hut modern oder unmodern in der Faqon war. Doch mit dieser Gabe war ihr noch nicht genug getl an Sie mußte noch ein Paar Loose absetzen, und so ruhte sie denn thatsächlich nicht eher, alg bis sie dem biederen Hutmacher auch noch drei Loose m 2 Mark angedrebt hatte. s- «-!; It Vier Wochen waren ins Land gegan gen, und der Hutmacher dachte weder an den alten Ladenhiiter, noch an die Wohlthätigkeitg - Lotterie zum Besten der lieberschrvenmiten, als Fräulein von Meherstein eine-Z Ta eg freude strahlend in seinen Laden rat. »Herr Filzleimer,« begann sie feier lich, ,,heut’ bringe ich Jhnen eine sehr frohe Botschaft Ich freue mich, Jhnen mittheilen zu können, daf: Ihnen der Hauptgewinn unserer Wohlthätigkeit-I Lotterie zuaesallen ist. Und sie ging. Herr Filzleimer konnte sich vor freu digem Erstaunen kaum fassen. Leider hatte die Fliirze des Besuches ihm nicht » gestattet, nach dem Gegenstande seiner GliickeH zu fragen. Aber nun sollte doch gleich der Otto ’mal hingeben und den Hauptgewinn abholen. «Junge, Otto, Inacl)’ Dich ’mal fertig, gehe schnell zu Fräulein von Iliehersteim und laß Dir gegen — Donnerwetter, wo habe ich denn die Loose l)ingesteckt? Jch hatte sie mir doch sicher aufiaehoben Richtig! Da sind sie. Ja-—also laß Dir gegen eines dieser drei Loche-welches es ist, weiß ich nicht -— den Hauptgewinn i auShiindiaen, verstehst Du? Sollte ess? zu schwer fein, dann sage mir Bescheid; ich schicke dann den Gesellen mit.« Otto machte sieh auf den Weg und kehrte in ziemlich kurzer Zeit mit einem in weißes Papier eingeschlagenen Ge genstande zrtrijct.Filzleimer stürzte fast athemlos darauf zu und riß hastig die schützende Hülle herunter. Kreidebleich, fast zitternd blickte der Meister auf den nunmehr seines verhüllenden Kleides beraubten Gegenstand, der, gleich dem entschleierten Bild zu Sais, lieber hätt-: bedeckt bleiben sollen fiir ewige Zeiten; denn der Hauptgewinn bestand in nichts Anderem, als in dein alten, un modern gewordenen Cylinderhut. Es dauerte geraume Zeit, bis Mei ster Filzleinier sich von seiner schauri gen Entdeckung erholte hatte. Als aber die erschlafften Lebensaeister wieder zu ihrer alten Thätigkeit erwath waren, da sammelte er« alle seine Energie, schritt lautlos zum Ofen, spi« rte das Unglückswurm hinein und machte mitten im Hochsommer ein Einer an. Dann betrachtete er mit dem Gefühl beseiedigter Rache dieses Autodafts —-—- sssi OWQkIJTuOW . « WI und beobachtete, wie die Flammen nes einst bedeutende Werk der edl? Hutmacherkunlt verzehrten. « Fräulein von Meyerstein aber ist t; wieder an ihn herangetreten mit d · Bitte, sich an einer Wohlt "tiqkeit. Lotterie zu betlyeiligem und o hatte , denn vor ihr und vor dem Ladenhütx.· lebenslänglich Ruhe. - A-— Auch ein Lebensretter. F Ein Naklstbild oon Feder Aktionen »Hu Eis war eine dunkle Dezembernachtcj Durch die Bahnstraße schritt eif? gebeugter Mann hastig der große Brücke zu, die sich vom lustigen Gitw uinsäumt in mächtigen Bögen übe»s« den Rheinstrom hiuzieht. —- Der dank Schnee zu einem Brei verwandelte Koh ( lenstaub hängte sich an die Füße der Wandelnden nnd nicht minder an das zottige Haar eine-J alten Pinschers, der « rnitgesenkter Schnauze hinter dem ein samen Wanderer einhertrottete. Die Gaslampen warfen ein noch spätlicherek Licht und nur dass heisere Bellen einiger Wachthunde der zu beiden Seiten der langen, schnsutzigen Straße ausgesta pelten Holz- und Kohlenlager unter-; brach die unheimliche Stille. Schon begann die Straße ein lwenig den Brückenkopf zu steigen, und das-. wenig wirthliche Ufer tam in Sicht, als- . der Wanderer seine Schritte beschleun -"«. te. Er glich einer Nebelgestalt, die wie » ein Geisterschatten durch die schaurige, unheimliche Nacht schwebte. Was trieb den Sonderling hierherLY — Kehrt er von der Arbeit heim und. i sucht die iirmliche Hütte im jenseits ge legenen Fischerdoer — Meidet er daz. Stadtgebiet ans- herechtigter Sorge vor den schiitzenden Augen der Behörde? Tas- tann es nicht sein; denn solche Leute pflegen keine viersüszigen Beglei ter zu haben. War- alsos — lisiner jener llnglücklichen, die irn , bransenden Strom Erlösung suchen nnd wenige Kilometer tiefer auf dem »Fried hof der Namenlosen« endlich ein Plätz- · elf-en langersehnter Ruhe finden? tsr hat die Mitte der Brücke erreicht nnd steht still, — blickt zwischen den. tszitterstiibeu hinab in die srasch dahin stromende Fluth die wie ein schwarzes lingrbeuer sich sortioalzt tsin dumpfes Brausen tönt zu ihm heraus. nur unterbrochen non dem tsieriiuich deiZ «lliipralle—3 einzelner Treib eiszschollen an den massipen Brücken psejtern. Beide Arme auf das Geländer gestiitit, jeden Augenblick bereit« durch einen lurzen Schwung sich darüber zu schnellen — blickt er sich plötzlich erschro » cten um« Vor Jsrost zktternd sitzt zu seinen Fü sien der alte, treue Begleiter, und klüg lich winsetnd Vliett er nach ihm ans, als ; wollte er sragen: »Was wird ausJ mir, aus«-— unis lind mit einem jähen Ruck rafft sich der diistere Eiliann empor, seine Hunde geben die erstatten ltieliinderstaugen wieder frei, dass Haupt wirft sich hoch· auf und der Nacken wird steif: — »Du hast recht Alter wag aug Dir und ihr?« iir uimmt den oor Kälte zitternden Hund trotz Rasse und Schmutz auf seine Arme und raschen und elastischen Schritte-:- geht er Zurück die stille Straße nach der lauten Stadt Sein Weg siihit bis in’«:- tseutrunr und endet nor einein vornehmen Haue-. Empor eilt er die breite, teppichhelegte Sieintreppe nnd tlingelt im ersten Flur an bre.tuebeiihlagener Thüre. Im Nu ossnet ein schlanleis, junge-J Weib, dessm rothgeweinte Augen gar seltsam Fu der dornelnnen Umgebung kontrastiren, und zwei holte-, weiche Arme umschlin gen den Angelouuuenen. »(-sottlob, daß ich Dich wie er habe, mir war so grenzenlos, so todegbange!« »Sei ruhig, mein Lieb, Du hast mich wieder und sollst mich nicht eh·e1 verlie ren, als bist— mir die gesetzte Stunde schlagt. — sah war einen Augenblick schwach geworden — unser alter Freund hat mich zur Pflicht zuriietgerusen ; harre aus«-s ! —- Mogen sie uns- auch alles uehiueu, den Lebenszmnth soll mit nicht-L- mehr rauben.« Sein Its-eilt Zog ihn nieder zu sich in die schioelleuden Kissen und barg ihr Haupt an seiner Brust. »Sie sollen alles-, alle-:- haben, nur Tich, Tich soll mir leiner nehmen !«— stohute die lirlosto Der alte Piuscher aber sasi zu den Fuss-en der beiden und schaute schweif wedelud zu ihnen empor. Was- er sich wohl dachte Z --——-—--— s- - --s----—————— Zur schönen Aussicht He, Jocklwirih, Du kennst Di’ aus, Wie hoaßt däg hoche Eck, Däg übern Wald dort fiiraschaut So schneidi und so keck?« »Ja mein, bös Eck? Däs woaß i nei, Dis-J kann i D’r nit fag’n; Was gengcm mi die Sjoaner an? Da muaßt ein’ Fremden frag’n.« 4--» Modernes Wohlthätig Leit. Bier volle geschlagene Stunden Jn dumper Lokal gesperrt, Gequält, ac:narteri, ge Wundern Heißt Wohlilfäiigkeiisconceri! ——·-— s« - - »O —— Immer im Geschäft —— Editl): ,,ällkose.szleben, heut’ wird gege ben im Theater der »Kausmann von Venedia,,.« -—- Der ichwethörige Mo fes: »Wie heißt de FirmaW —— Höhn-e Nahrungsfori gen. Gattin: »Der ändlev hat wie der keine frischen Au tcrn venu: »Gott, was mer hat für Mitta E tesseniorgen.« « .-. . i — »so « · ,. -