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About Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901 | View Entire Issue (Oct. 22, 1897)
Eneyloclä gsoods. Roman von Josef Treu-nann. (15. Fortseßungz Der Rasen und das Strauchwerk, sowie die lanbigen Alleen ergliihten von farbigen Lichtern. Die Fontainen spielten und schimmerten wie lebendige Regenbogen und der Sommervoll mond erhellte Gärten und Pakt mit seinem silbernen Scheine. Das Her renbaus ersirahlte vom Dach bis zur Erde herab in einer Fluth vielsarbi gen Lichtes: seine hoben braunen Mauern und der massive, viereckige Thurm boten in der vereinten Glorie des Mondscheines und der chinesischen Laternen einen imposanten Anblick dar. Ein große-I- Zimmer war zum Tanzsaal eingerichtet worden; der Bo den war glatt gebohnt, und die Wände waren mit Spiegeln und Festong be bangen. Equivagen rollten unaufhör lich die Alleen beran und führten eine Menge Gäste bis vor die weit geöffne ten Thüren: ein Spezialzug brachte eine große Gesellschaft aristolratischer Herren und Damen von New York. Godsrey Grenlock hatte weder Geld noch Mühe gespart, um diesen Ball seines hochaeborenen englischen Cou sins, zu dessen Ehren das Fest statt fand, würdig zu gestalten. »Ohne Zweifel versteht man sich in Jhrem Lande besser auf diese Dinge,« sagte Ethel, als sie unter einer sam metnen Portiere heiSir Gervase stand und über den mit tropischen Pflanzen detorirten Corridar hinüber nach dem Speisesaal blickte, der von Gold- und Silbergeschirr, Wachslichtern, Kiy stall, Procellan und großen mit Kup ser und Stahl befchlagenen Buffets aus Ebenholz wie ein Feenpalast schimmerte. »Oh, nicht doch,« antwortete der Baronct. Er blickte nicht auf die Pracht und Herrlichkeit des Hauses-, sondern auf dieses Mädchen unter der Portiere, aus diese liebliche Gestalt, die ihm in ihrem Gewande von cremefar bigem Atlas und Gaze, ihrem golde nen Haare, ihrem schneeweißen, mit Perlen gefchmiickten Halse, ihren leuchtenden Veilchenaugen swie eine wundervolle Vision von Schönheit und Jugend erschien. ,,Großpapa ist in allen Dingen ein Brite,« sagte sie, indem sie ihre langen Handschuhe zutniipfte; »allein mein schlimmster Feind tann mich der Vor liebe fiir Jhre Nation nicht zeihen. Jhr Engländer seid zu steif, zu schwer fällig, zu blöde; Jhr fürchtet Euch zu sehr vor dem Popanz, den Jhr schlech ten Geschmack nennt.« Sie Gervase lächelte. - »Sie überhäusen uns mit Vorwür sen," sagte er; »läßt sich denn gar nichts zu unseren Gunsten anführen k« »Ich habe teine Zeit, darüber nach zudenken,« erwiderte sie lachend, als das in einer Blumenlaube aufgestellte Orchester eben zu spielen begann, »denn jetzt nimmt der Ball seinen An fang; Sie tanzen doch?« »Leider nicht,« antwortete der Ba ronet mit trübseliger Miene auf ihre Frage. »Einem Ball beizuwohnen und nicht zu tanzen, geht über die Qualen des Tantalus. Adieu!« Sie nickte ihm spöttisch zu und ließ sich von einem hübschen jungenManne zum Tanze führen. Weder Dr. Vandine noch Iris Greylock waren aus dem Ball erschie nen; allein bald nach dem Be inn der ; Festlichteit erschien Hannah ohnsonH mit ihrem braunen Pockennarbigen Ge- I sicht an der Thür des Greylockschen Dienstbotenquartierö. « »Ich will mir die noblen Herrschaf ten auch ansehen,« sagte sie zu der alten Hoplins; .,sagen Sie Miß Ethel, daß sie mir einen Platz im Souper saal anweist, wo ich Gelegenheit habe, Alles zu sehen.« »Das werde ich hübsch bleiben las-· sen,'« antwortete die alte Hoptinö ent rüstet, »Miß Ethel tanzt jetzt, und es sällt mir nicht ein, sie in ihrem Ver gniigen zu stören. Es dürfen nurl farbige Dienstboten den Soupersaals betreten; Jhr kommt auf teinen Fall! hinein, das steht fest.« ( »Wirllich?!« rief Hannah Johnfonl zornig. »Wir wollen doch sehen; ich bin von so großer Wichtigkeit wie ir gend Jemand in diesem Haus. Ver steht Jhr mich?« »Das ist mir wirklich etwasNeuesi« sagte die alte Hopkins. Nach einem weiteren Wortwechselj begab sich die alte Haushalterim dies den Frieden über Alles liebte, in den ? Ballsaai und sliisterte Ethel während; einer Pause zu, daß Jemand sie fürs einen Augenblick zu sprechen wünsche. Die junge Erbin trat in ein Neben- — zimmer, wo Hannah Johnson aus sie! wartete. Die haushälterin trug ihr das Begehren der Braunen vor. »Es ist unmöglich, hannah,« sagte Ethel kalt, »Du darsst den Soupersaai nicht betreten; Großpapa würde sehr zornig werden, wenn er Dich dort er blictåez ich rathe Dir, ihm nicht unter die ugen zu tommen.« Hannah suhr zornig aus und ries: »Sie erfüllen die Wünsche Jhrer Mama, warum nicht auch die meint gen?! Es ist an der Zeit, daß ich ebenfalls meinen Antheti an Jhrer Gunst erhalte. Mir haben Sie es mehr als irgend Jemandem zu ver danken, daß Sie die Erbin dieses Mannes geworden; ich lasse mich von Niemandem unter diesem Dache belei diaen. Wenn ich wollte, könnte ich Ihrem stolzen Großpapa eine Ge schichte erzählen, bei der er die Augen wert aufreiszen würde." Hannah war außer sich vor Werth Ethel warf ihr einen vernichtenden Blick zu. »le bist sehr nnverschärnt,« sagte sie mit dem Tone einer Königin; FMcrma hat Dich verhätschelt; lehre thzåfsofort nach der Rosen - Van zu ru .« Mit diesen Worten verließ Ethel ruhig das Zimmer. Die alte Hopkins öffnete die Thiir nnd hieß Hannah gehen, und da die ubrige Dienerschaft sich jetzt um sie drängte, so hielt die Braune es fiir das Klügste, dem Befehl nachzukom men. »So wahr mich Gott hört!« rief sie im Gehen mit einem Blicke, der die alte Hoptins erbeben machte, »der Grünschnabel soll mir das büßen! Möge das Vöglein tanzen —- ich werde es seiner schönen Federn berauben; ich werde es wieder hinschicken, wo es her lain!« Die Mitternachtsstunde schtsxg, der Mond stand hoch am sternbesäten Himmel, und Flöten nnd Violincn lie ßen im Ballsaal ihre beranicliendste Musik ertönen; der weite Raum war voll von schönen Gesichtern nnd strah lenden Toiletten: Licht, Hitze nnd: Parsiim wirkten Ebertoältigend »Meine Lungen verlangen nach frischer Luft,« sagte Ethel mit er zwnnaeneni Lachen; ,,bit:e, siihren Sie mich hinaus!« Sie richtete diese Worte an den Ba ronet, der ihr den Fächer und das Bonauet hielt und ziemlich gelang kveilt drein blickte. Er wars ihr rcsch einen Sbawl um die Schultern; sie schritten hinaus durch eine Glasthiir, auf die breite Piazza, und bald warr delten sie unter den grünen Bäumen dahin. Sie tamen zu einem glatt ge schorenen, vom Mosidlicht erhellten Nasen, in dessen Mitte eine Fontaine plätscherte Einige Gartenstiihle standen umher; sie ließen sich in der Nähe der Fon taine nieder. »Sie tanzen wohl gern?« fragte Sir Gervase. s ,» a,« antwortete Ethel; »diese Schwäche ist mir angeboren. Haben Sie nicht bemerkt, wie ich den letzten Walzer tanzte?« Eine zerdrückte Rose fiel aus ihrem Haar. SirGervase hob die Blume auf und drückte sie an die Lippen. »Jn dem furchtbaren Gewühl da drinnen,« antwortete er, »war es mir unmöglich, Sie zu sehen; den ganzen Abend bekam ich Sie nur ein paar Mal, und selbst dann nur auf wenige Augenblicke, zu Gesicht; allein ich zweifle nicht daran, daß Sie vorzüg lich tanzen.'« ,,Wissen Sie nicht, daß ich einst in Gefahr war, eine Ballettiinzetin zu werden?« Der Baronet blickte die junge Dame erstaunt und betroffen an. »Eine — um Verzeihung —- was sagten Sie?« Ethel lachte laut auf. »Eine Ballettänzerint Das war ja » Mamas Beruf und zugleich der Zank- : apfel, den sie in die Familie Grehlock ; brachte. Zu der Zeit, von der ich rede, ? dachte Niemand daran, daß ich der- ; einst Großpapas Erbin werden würde; er verabscheute und haßte mich da-: mals, und meine arme Mama, welchez entdeckte, daß ich einiges Talent besaß, das ich natürlich von ihr geerbt hatte, ; dachte ernstlich daran, mich für diej Bühne vorzubereiten. Beiläufig muß J ich Jhnen bemerken, daß Großpapa in ; seinem ursprünglichen Testamente Sie s zu seinem Erben eingesetzt hatte. Wenn ich nicht durch reinen Zufall den T Weg zu Großpapas Herzen gefunden hätte, würde ich vielleicht in diesem Augenblick auf einer Bühne tanzen, anstatt im Schatten von Greylock Woods bei Ihnen zu sitzen.« Es war- ihre Absicht gewesen, den Abscheu des jungen Mannes zu erre gen, und seine Miene verrieth, daß ihr dies in einer Beziehung gelungen war. - »Sie —- eine Ballettänzerin!« Das Entsetzen, das sich in seinem Tone tundgab, erfüllte ihr Herz mit lebhaf ter Freude. »Wenn Sie dadurch, daß« ich das Erbe verlor, vor diesem Schick sal bewahrt wurden, so danke ich Gott. Jch hatte übrigens nicht den geringsten Anspruch darauf und auch lein Ber langen darnach.« « 4 · »Sie bringen mich in Bersuchung,« sagte sie heiter, »Jhnen zu zeigen, daß ich meinen Beruf versehlie daß ich zu Ruhm und Reichthum hätte gelan gen können. wenn Großpapa bei seiner Haktherzigleit verblicbn wäre. Geben Sie ein wenig Acht!" Jrn nächsten Augenblick war sie auf gesprunaen, und nun wirbelte, schwebte und flatterte sie auf dem mondhellen Rasen hin und her, daß« dem Baronet bei ihrem Anblick fast die Sinne vergingen Sir Gerbase hatte in verschiedenen Ländern reizende Tänzerinneu gese hen; niemals aber solche Grazie, wie dieses Mädchen fie besaß. Ethel tanzte, ohne auf ihre Umge bung zu achten, ihr reiches Gewand, das sie rnit der einen Hand ein wenig emporhieli, schimmerte wie Reif in einer Herbstnachn ihrHaar glich einem goldenen Nebelflor-; die Perlen auf ih rem Busen und an ihren runden Ar men glänzten wie Thauttopsen; sie sah mehr einem Traum ebilde als einem Geschöpf aus Fleis und Blut ähn lich. »Sagen Sie nun selbst,« leuchte sie, indem sie stehen blieb, um Athem zu holen, ,,ob es nicht sehr thöricht von mir war, daß ich der Bühne ent sagte»?« « Er antwortete nicht; vielleicht war er zu erschüttert, um Worte zu finden. Jm nächsten Augenblick wirbelte sie wiederum im Kreise umher und führte die schwierigsten Bewegungen mit einer Leichtigkeit und Grazie aus, um die erfahrene Balletkünstlerinnen sie hätten beneiden können. Wiederum hielt sie vor seinem Stuhle an; ihre Lippen waren halb! geöffnet; ihr golden-es Haar wallte aufgelöst auf die Schultern herabf Jhre leuchtenden Augen blickten voll in ; die des Baronets »Ich könnte dies janze Nacht so forttanzen,« sagte sie endlich; ,.ioie entsetzlich Sie aussehen, lieber Cousin, fassen Sie Muth! Sie wissen ja, daß dieses Uebel nicht aus dem Blute der Greylocts ftammt.« Er sprach kein Wort, gab kein Zei chen von sich. Wie verzaubert saß er da nnd blickte sie an. Sie trat einen Schritt näher und fuhr mit einer spöttischen Geberde fort: »Ich errathe Jhre Gedanken; Sie brüten über die unersorfchlichen Wege eines merkwürdigen halbeivilisirten Geschöpfes, des amerikanischen Mäd chens, nach.'· Endlich fand er seine Sprache wie der «Nein,« antwortete er mit einem Tone, der ihre Nerven erbeben machte; »ich leae mir eben die Frage Vor, ob der Himmel je ein zweites Wunder wie Sie schuf, Ethel!« Sie erröthete tief und war im Be griff, zu antworten, allein ein seltsa nter Ausdruck seiner Augen verschloß ihr den Mund. Wie in einem Traume breitete der Varonet seine Arme aus, als-i wollte er die Hinunlische an seine Brust ziehen. isthel erblaßte-. Ein plötzlicher Schrecken bemächtigte sich ihrer; sie wandte sieh rasch-um und floh, wäh rend Sir Gervase verblüfft auf dem Gartenftnhl bei der Fontaine sitzen blieb. 20·Kapitel. Die Stunde, in der ich der Famili Steele Lebewohl sagte nnd mit Dr. Vandine nach Blaekport abreiste, war die glücklichste meines Lebens. Keine trüben Ahnungen begleiteten mich; ich lies; meine Sklaverei hinter mir und reiste mit meinem einzigen Freunde hinaus in die Welt, um einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen. Er war während der Reise sehr gii tig gegen mich; zwar zerstreut und oft einsilbig, doch stets freundlich. Jch fühlte, daß er meiner Verlassenheit halber Mitleid mit mir hatte und ach! es ist ein trauriges-, bitteres Ding, be mitleidet zu werden! Seine Zerstreut heit zeigte, daf; seine Gedanken fern von mir weilten; ohneZweifel träumte er von der schönen blonden Erbin Mit einem Gemisch von Freude und Bangigkeit erfüllte mich der Gedanke, daß ich jetzt auf dem Weg nach Blan port war, wo ich sicher Gelegenheit ha ben würde, das schöne, glückliche Ge schöpf zu sehen, das sein großes, edles Herz erobert hatte Jch war in dem Gasthof nicht er wartet worden, allein die Wirthin nahm mich mit großer Güte auf. Mit ihrer Hünengestalt und ihrem dunklen, düsteren und unerforschlichen Gesicht machte sie auf mich einen imponirenden Eindruck. Als Doctor Vandine mich mit den Worten vorstellte: »Ich habe Jhnen hier eine Freundin mitgebracht, Miß Poole —- ich empfehle Sie Jhrer Güte an,« da schienen ihre schwarzen, durchdringenden Augen mich bis in’s innerste Mart zu durchbohren. ,,Hm!« antwortete sie. »Nichts als Haut und Knochen; es ist klar, daß das arme Ding in seinem ganzen Le ben noch keine ordentliche Mahlzeit hatte.« Mit diesen Worten führte sie mich in die Küche und setzte mir ein vor zügliches Abendbrod vor. Während ich aß, saß sie, den Kopf in die Hand gestützt, mir gegenüber und beobachtete mich schweigend. Das Zimmer war voll fetter Katzen, die sich schnurrend an mir rieben und mir aus jegliche Weise ihre freundschaftliche Gesinnung zu erkennen gaben. Nach einer Weile sagte Miß Poole: »Ja der ganzen Welt gibt es blog zwei oder drei Personen, die ich leiden mag. . Doktor Vandine ist eine davon. Da er sich nicht schämt, sich Jhren Freund zu nennen, so sollen Sie hier guten ; Lohn und gute Behandlung finden; : Sie können Jhren Dienst morgen Früh antreten.« ; Jch hatte also das Glück, bei Mercy ! Poole und ihren Katzen Gnade zu fin- s den. « Der Ueberaang von demSteele’schen s Hause zu diesem ruhigen, alten Gast- Z hos erschien mir wie eine Versetzung s vom Fegefeuer in das Paradies. Zum ersten Male in meinem Leben verdiente ich Geld. Und dann sah ich Doktor Bandine täglich, und ob er mich an bliclte oder nicht, ob er sprach oder schwieg, welches leytere meistens der Fall war — dieser tägliche Anblick deg geliebten Mannes war mein höchstes irdisches Glück. Bald hatte ich den alten Gasthof, das nahe Meer mit seinem Wellenge murmel, die fetten Katzen und selbst Mercy Poole liebgewonnen, obwohl Letztere eine Person war, die Fremde eher abstieß, als anzog. Nach Verlauf einer Woche war ich mit meiner neuen Heimath bereits völlig vertraut, allein obgleich ich Augen und Ohren weit of fen hielt, hatte ich von der schönen Er fich die Post des Städtchens-; als ich ; aufblictte, gewahrt-en meine Augen ein bin, die Bandine liebte, noch nichts ge sehen und gehört. Jch pflegte früh aufzustehen, ge wöhnlich lange vor den übrigen Mit gliedern des Haushalte5, und mich mit meinem Nähzeug in einer ruhigen Ecke niederzulassen, bis Mercy Poole mich zum Frühstück oder zu einer anderen Beschäftigung rief. Eines Morgens, acht Tage nach meiner Ankunft im Gasthof, als der Tag kaum angebrochen war Und Blatt port noch im tiefen Schlummer lag, begab ich mich nach dem Wohnzimmer hinab, öffnete ein Fenster, das auf die Hauptftrafze des Städtchens- ging, nahm eine Näharbeit zur Hand und nähte emsig darauf los. Die Katzen leisteten mir Gesellschaft. ,,Ravaillac« schnurrte auf dem Fen stergesims dicht bei meinem Ellbogen; »Charlotte Corday« leckte den Thau einer mitternächtlichen Wanderung von ihren Pfoten, während ,,Poniiuc3 Pi latus« und die Familie »Borgia« auf einem Kanapee in einer Ecke der Stu be ihr Morgenschläfchen machten. Emfxg und ohneUntcrlaß flog meine Nadel durch den Stoff; nur einmal machte ich eine Pause, um einen Blick auf die leere Straße zu werfen. Mei nem Fenster direkt gegenüber befand riesiges Plalat an der Mauer des Poftgebäuch dicht neben der Thür. Der Zettel enthielt die Ankiindignng eines Concerte5, das am folgenden Auend von der ,,Orrheus - Composi nie« in der Stadtballe von Blackport gegeben werden sollte. Da die Straße ziemlich eng war, so vermochte ich die Namen der ganzen firahlenden Künst lerfchaar zu lesen, der die verehrlichen j Bewohner donBlaclport ihre Aufmerk samkeit widmcn sollten. Da war Ma demoiselle Eurhdike, die ,,weltberiihm te« Sopransängerin, Monsieur Reg nault, der ,,unvergleichliche« Tende; eine andere Mademoiselle, welche die Altsiimme eines Seraph besaß nnd ein zweiter Monsieur, der sich des herrlich sten Basses im Universum erfreute. Außer diesen Sternen erster Größe prangten noch andere ,,beriihmte« Na men in Riesenlettern auf dem Plakat. j Jcb bnchstabirte die seltsamen Rad men nicht ohne Mühe heraus und liefz i alsdann meine Nadel mit verdoppel-! ter Hast weiter arbeiten· Was lag mir i an der ,,Orpheus - Eomxagnie«? Jch I war in meinem Leben noch nie in ei-: nem Concert oder Theater gewesen. ; Jetzt erschien der jugendliche Gehilfe des Postmeisters an der Thiir drüben und steckte den Schlüssel in daSSchloß. Auch er las das Plakat und wandte sich eben mit befriedigter Neugierde weg, alH sich das Geklirre von Pferde hnfen auf dem Straßenpflaster ver nehmen ließ nnd eine junge Dame in einem grünen Reitkleide und eine Fe der auf dem Hut zur Thür herangas loppirt lam. Mit einer Stimme, die klar und hell an meine Ohren drang, rief sie dem Posigehilfen zu: »KeineBriese fiir s mich diesen Morgen?« s Der junge Burseiz kannte die Dame « augenscheinlich; rasch war er in dem Gebäude und als er wieder erschien, schüttelte er seinen ungekämmten Kopf und sagte: »Nein, Mlß — nichts für Sie.« Die junge Dame lenkte ihr Pferd wieder um, und während sie dies that, fielen ihre Blicke auf das Plakat und auf die Namen, die es in gigantischen Buchstaben enthielt. Es war mir, als ob sie plötzlich die Farbe wechselte. Der Knabe beobachtete sie neugierig. »Werden Sie auch hingehen, Mis;?« fragte er, indem er mit dem Finger auf die Anzeige deutete. ,,Wahrscheinlich,« erwiderte sie. »Wie ich sehe, hat Blackport ebenfalls seine Zerstreuungen.« Dann ritt sie über die Straße und hielt dicht vor meinem Fenster an. Jch blickte von meiner Arbeit auf und ge wahrte die herrlichste weibliche Gestalt, die ich je in meinem Leben gesehen hatte — die junge Erbin, in die Dr. Vandine verliebt war. Jch war völlig überzeugt, daß dieses bezaubernde We sen der Gegenstand seiner Liebe war. auf dessen Anblick ich schon acht Tage gewartet hatte. Es war, als ob ein elektrischer Schlag mich getroffen hätte ——- die Nadel entfiel meiner Hand. »Guten Morgen, Ravaillac,« sagte sie, indem sie ihre Reitpeitsche iiber die Fratze hielt, die mit ihrer grauen Pfote danach griff und nun allerlei drollige Sprünge ausfiihrte. »Ist Mercy Poole schon auf?« fragte sie dann, in dem sie sich zu mir wendete. Die Zunge klebte mir am Gaumen; ich vermochte nicht zu antworten und saß versteinert da. »Die Wirihin des Gasthofs,« setzte sie hinzu, offenbar erstaunt über meine Dummheit. Noch immer starrte ich sprachlos aus das- sehwarze Pferd und auf die aristo— statische Blondine in dem Sattel. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf es in diesem Augenblick meine Seele — eine Ahnung eine Ueberzeugung — eine Gewißheit! Das Gesicht hatte sich im Laufe der Jahre allerdings verän dert, und doch war es dasselbe! Ja wohl kannte ich sie, diese Beilchenau gen, diese goldgelben Haare, diesen Li lien - Teint der Haut. Hatte ich nicht hundertmal erklärt, daß ich meinen verlorenen Liebling zu jeder Zeit und an jedem Orte wieder erkennen würdet Hier endlich bewahrheiteten sich meine Worte! Von einem unwiderstehlichen Im krilsc ari;:tric"»:::, syst-arg ich von mei nem Stuhle ani. »Es ist Nan! Es ist Nan! Es ist Nan!« war der Ruf, der sich mir aus der Seele auf die Lip pen drängte und sich jedenfalls laut ge äußert hätte, wenn Mereh Poole nicht in diesem Augenblick in das Zimmer getreten wäre. Das dunkle Gesicht der Wirthiti nahm beim Anblick des Mädchens am Fenster einen freudigen Ausdruck an. »Kommen Sie herein,Ethel Greylock,« sagte sie mit mehr warmem Gefühl in ihrer Stimme, als ich während meines Hierseins je an ihr wahrgenommen hatte; ,,sriil;stiicken Sie mit einer freu denlosem alten Jungfer, der Jhr Ge sicht stets wie ein Sonnenlicht er scheint!« Greylock also? Ja, das war der Namen der Schönen, die Vandine liebte. Die strahlende Erscheinung vor dem Fenster schüttelte den Kopf. »Nein, ich danke Jhnen; Großpapa wird im mer ärgerlich, wenn ich nicht bei Tisch erscheine.« »Und was macht der englische Lord?« fuhr Merch Poole trocken fort. »Der wird wohl auch ärgerlich, wenn er Sie nicht bei Tisch erblickt? Sie haben den Männerherzen iibel mitge spielt, seit Sie nach Vlaclport zurück lehrten. Doktor Vandine wird un tröstlich sein, wenn Sie mit Gervase abreisen. Die junge Dame warf einen raschen und, wie mir schien, erschrockenen Blick umher. »Ich werde nie mit Sir Ger vase abreisen,«antmortete sie mit leiser Stimme; »Sie müssen dem Stadt klatsch keinen Glauben schenken, Mis; Poole.« Oh, der Seelenqual, niit der die Entdeckung, di e ich gemacht hatte, mich ersiilltct Die alte jiarbc an meiner Stirne ——— ein bleibende-z Zeichen der Hufe, die übe r mich hintrampelten, als ich n ci« er verlorenen Schwester nach zueilen suchte - begann aufs Neue wie Feuer zi brennen. Mein Herz pochte gewaltig. Es war Nan, die iVandinc liebte —— es war Nan, die Jfchön und vornehm wie eine Fürstin di draußen auf dem prächtigen Pferde saß —- eg war Nan, die mit dem kal ten, gleichgültigen Blick einer Frem den, eines Wesens höherer Art, aus das arme Nähmädchen des Gasthofes nie derschaute. Merch Poole war die Erste, die et ’ was Ungeivohntes in meinem Gesichte wahrnahm. »Sie sehen so blaß au5«, sagte sie theilnehmend, indem sie ihre sehnige Hand aus meine Schulter legte. »Sie sind zu friih ausgestanden, armes Kind. Gehen Sie in die Küche und sriihstiicken Sie tüchtig, ehe Sie weiter arbeiten.« Kein Wunder, daß ich blaß gewor den war. Das offene Fenster, die Ge stalten des Pferdes und der Reite rin schwammen mir vor den Augen. Ohne ein Wort zu sprechen, legte ich meine Arbeit nieder und entfernte mich »Ist dieses Mädchen ein neues Mit glied Jhreg Haushalts, Miß Poole?« hörte ich Ethel Greylock sagen, als ich durch das Zimmer schritt. ,,Ja,« antwortete Merch Poole; ,,Doktor Bandine brachte sie von New York hierher. Sie ist sehr schüchtern, Jhr Anblick schien ihr den Athem zu benehmen.« »Ich hielt sie für stumm oder ein fältig«, entgegnete die schöne Reiterin. Bald darauf galoppirte sie davon. Jch lief nach der Hausthiir und blickte ihr nach. Es war Nan, allein sie hatte ihre Vergangenheit offenbar völlig vergessen und erinnerte sich weder an Harmonh Alley, noch an Großmut ter Scrag, noch an die Schwester, aus deren Armen sie vor Jahren gerissen wurde. Jch verrichtete an jenem Tage mei ne Arbeit schweigend und in schmerz liche Gedanken vertiest. Nur einmal wagte ich eg, Mercn Poole anzureden, indem ich bat: »Wollen Sie vielleicht so gut sein« mir etwas von der jungen Dame zu erzählen, welche diesen Mor gen zu Pferde vor dem Fenster an hielt?« Mis; Poole lächelte düster. »Was soll ich Jhnen von ihr erzählen? Sie ! ist die reichste Erbin weit und breit,« ein Glückgkind, das nicht zu arbeitent braucht. Sie lebt bei ihrem Großvater j in Grehlock Woods, einem Herrensih in der Nähe von Blackport, und wird; von Jedermann bewundert Jhri Freund, Dr Vandine, ist einer ihrer: vielen Anbeter. Der Mann, den sie hei rathen soll, ist jedoch ein englischeri Baronet, ein Verwandter von ihr. Die t Grehlocks sind eine sehr alte und sehr aristokratische Familie.« »Ich danke Jhnen«, sagte ich. Jsch wagte keine weitere Frage, denn ich wollte Merey Pooles scharsblicien- · l dem Geist keinen Stoff zu irgend wel chem Argwohn geben. Jch nsar ent schlossen, mein Geheimniß treulich zu bewahren. Den ganzen Tag lief ich im Gasthof hin und ber oder saß bei meiner Näh arbeit und quälte mich dabei mit Ge- s danken ab, bir- mir der Kopf zu sprin gen drohte. Mit Einbruch der Nacht war mein Entschluß gefaßt. Nachdem ich mich aller meiner Pflchten entle digt und von Mercy Poele Erlaubniß erhalten hatte, einen Gang in’s Freie zu machen, nahm ich Hut und Shawl und schlag die Straße nach Greylock Woods ein. Jch fand den Weg ohne Schwierig keit. Bald trat ich durch de osfone Pforte und schritt eine von bohenTan p-. : nen und Kastanienbiiumen beschattet-? breite Allee entlang. Es war ein imposanter Platz, der z Sitz großen Reichthums und Geschma- » ckes, welcher sich vor meinen Augen « ausbreitete; allein er beherbergte, wie ich wohl wußte, einen ungeheueren Bei E· trug, ein verbrecherifches Geheimniß. Jch hielt nicht an, bis ich in die Nähe » des Hauses kam. Auf einer Terrajse — in der Nähe wandelte ein Mann von atistokratischem Aussehen mit gemesse- . ncn Schritten auf und nieder. « Jsch blieb stehen, beobachtete ihn ei- , nige Augenblicke und fing dann an zu zittern. Was suchte ich an diesem Orte? Wer würde mir Glauben schen ken, wenn ich ihm meine Geschichte er zählte? Ein Hund fing an zu hellen, und ion rlötzlichcm Schreck-in ergriffen, schlug ich mich seitwärts in das Ge büsch, jedoch nur, u1n einer neuen Ge fahr entgegenzueilen. s Von dem Hause erstreckte sich ein großer Rasenplatz bis zu dem Gebüsch hinab. Jch befand mich dicht an des- " sen Rand, aber hinter einem Gürtel » von niedrigem Jmmergriin verborgen. Durch das Gesträuch hindurch blickend, gewahrte ich in geringer Entfernung Ethel Grehloci selbst, an eine Florasta tue gelehnt, den leichten Sommerhut mit der weißen Straußenscder in der Hand und die Schleppe des veilchen- « blauen Seidenkleides aus dem grünen » Sitasen ausgebreitet Der letzte Strahl der scheidenden Sonne spielte urn die , lserrliche Gestalt uxd beleuchtete das liebliche Gesicht der jungen Erbin. « Sie summte ein Lied vor sich hin, nistet-brach sich aber plötzlich mit lau- « tem Lachen und rief: »Da geht Lehns seur« mit Ihrem Hut in’s Gebüsch, Consinl Ruer Sie ibn zurück, sonst ist es um Ihre Kosfbedcciung ge schehen. Das Thier ist voll toller s Streiche.« s Der Angeredete, ein hübscher junger Mann von wettergebräuntem Aussehen lag wenige Schritte von der weißen Florastatue auf dem Rasen, während ein halbes Dutzend Hunde um ihn her s spielte. « Lilindspiel zu, dann richtete er seine ein hübsches Lied, dag- Sie da eben gesungen habcn, schöne Consinet Es birgt sieh eine tiefe Wahrheit in den Worten: »Die Liebe kennt kein Gesetz-» Als ihren Willen nnr.« »Die Liebe ist sich selbst Gesetz-'s antwortete Etl, el kurz. »Nein sehr weises, wie sich aus dem du: :) ihren Eigenwillen über den Lie benden bringt«, bemerkte der junge-: Mann ernst. »Sie sprechen wohl aus- eigener Er sahrung?« fragte Ethel spöttisch. schon anfing, mich für einen Ausnah memenschen zu halten. Doch heute —· »Fahren Sie sort«, sagte Ethel scher-« send, als er inne hielt· Wie lieblich sie augfah als sie ihre großen, leuchtenden wird interessant. - Also heute?« »Heute erkläre ich mich von de: Macht der Liebe überwunden.« Sie erröthete und verseyte mit kal tem Tone: »Entschuldigen Sie, wir müssen zu Großpapa zurück. Wir ha ben ihn allein gelassen.« Mit diesen schritt rasch den grünen Abhang em spor der Terrasse zu, auf der ich den alten Herrn vor wenigen Minuten wandeln sah. Jhr Gesährte erhob sich mit betrüb ter Miene, rief die Hunde zu sich und folgte ihr. - Jch athmete tief aus. Das also war der englische Freier, der junge Lord, der über das Meer gekommen war, um die junge Erbin heimzuführen. »und er liebt sie! Sie hat hier Alles-, was ihr Herz nur begehren kann — »Komm, »Chasseur«! Bring mir meinen Hut zurückt« ries er einem , .- ixgen auf Ethel und sagte: »Es ist? i i ? Kummer ergibt, den sie so häufigv ; i »Nein«, entgegnete er, »Vor einem Monat noch waren die Liebe und ich « einander sogar völlig fremd, so daß ich- , Augen auf ihn heftete. »Die Sachet i Worten verließ sie die Statue und »Er ist gut und ever-, dachte ich,« I Reichthüm, Rang, Glück und Liebej Wie seltsam dies Alles erscheint!« Konnte dieses glückliche, aristokrati sehe Wesen meine verlorene Schwester-; sein? Sollte nicht eine zufällige Aehn lichteit mich getäuscht haben? Durste ich meinem Instinkt, meinem Gedächt- — nis; trauen? Wo war die lahrne kzrauss Wo war die poctennarbige Person, die Nan gekauft und Groß mutter Scrag das Geld sür sie bezahlt hatte? , i. Bald jedoch kehrte meine lleberzeu aung mit verdorpelter Macht zurück Nein, ich täuschte mich nicht! Mochte sie sich jetzt nennen, wie sie wollte, inocltte sie noch so sehr mit Pracht und Reichtljuni umgeben sein die Erbi " von Greylock Woods und Nan, mein verloreneSchwester, waren dennoch eine und dieselbe Person. Was sollte ich nun thun? Jch ver mochte keinen bestimmten Entschluß zus-» sassem unter allen Umständen erschien - eg mir nicht rathsam, langer in der Nähe des Hauses zu bleiben. Jch ar beitete mich daher rasch durch das Im mer-grün hindurch und schlug den er sten Pfad ein, Den ich trus; ich hoffte. er würde mich sicher zu der Eingangs- .. pforte führen. Dies war indessen nicht der eFall, denn als ich dem Weg eine Strecke gefolgt war, erreichte ich im « hübsche Willen die einsam in einer Leh- »F tung des Parles stand. ) (Fortsehung solgt.)