Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, September 03, 1897, Sonntags-Blatt., Image 9

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F
ullers einzige Beise.
humoresle von E. Krittel-ers
»Mutter, denle doch, ich habe in der
Lotterie gewonnen!« Mit diesen Wor
ten trat Herr Müller zu seiner Frau
tn’s Zimmer. Er war Bureau - As
sistent bei einem Rechtsanwalt ber Re
sidenz und ein kluger und brauchbarer
Mensch, aber bei dem hocken über den
unendlichen Schreibereien, bei dem
Grübeln und Tüstelm das sie erforder
ten, war er alt und stumpf geworden
vor der Zeit. Die Frau, ein lleines,
eiwas verwachsenes Geschöpf, mit
einem freundlichen, bescheidenen Ant
lih, bob den Kon mehr erschreckt als
erfreut von"«ibrer Handarbeit.
Seit 25 Jahren spielten sie Lotterie,
ohne jemals gewonnen zu haben, trotz
dem hatten sie weiter gespielt, wie man
so manches thut, aus alter, lieber Ge
wohnheit —— und nun in ihren alten
Tagen hatten sie wirklich einmal etwas
gewonnen?
»Jst’s denn möglich, Vater?«
»Ja ——s ja, wahrhaftig! Und nicht
einmal so ein Kostehäpvchen, sondern
einen rechtschaffenen Bissen —- erschrick
nicht, Mutter 2000 Marl!«
»Herr des Htximelsz 2000 Markt«
Die Frau schqu die Hände zusammen
uns sanl überwältigt in den Stuhl zu
ru .
»Womit haben wir so viel Glück ver
dient?"
»Nanu, Muttert« Heft Müller war
heute sehr couragirt. »Wenn man 25
Jahre dem Glück nachrennt, so ift’s
einfach ein Akt der Gerechtigkeit von
ihm, wenn es sich endlich einmal einem s
zuwendet.«
»Vater, Du frevelst!«
»Ach, Unsinn! Und weißt Du, was
wir mit dem Gelde machen?«
»Nun, natürlich legen wir es zu
dem anderen, das gibt einen ordentli
chLZuschuß zu unserem Alt-enfonds!«
»Hm! ——- —--- etwas natürlich kommt
auch dazu, — —- aber das ganzc9 —
nein, Mutter, dazu haben wir’s nicht .
gewonnen, sondern, daß wir uns ein- -
mal ein paar recht vergnügte Tage
machen sollen.«
»Vater, Du kriegst keine Pension.
Wenn Du einmal arbeitsunfähig . . .«
»So wird das Vorhandene auch sür
unsere bescheidenen Bedürfnisse aus
reichen. Herr Gott, soll man denn im
mer nur zusammenscharren? Du bist
auch garnicht im Stande, Mutter, das
Leben von einem höheren Gesichts
punkte aus aufzufassent«
Aber auch ihm schien diese höhere .
Lebensauffassung nicht sehr geläufig
zu sein: denn er holte erst noch einmal
tief Athem, ehe er fortfuhr:
»Ich habe mir das reiflich überlegt,
ganz reiflich —— ———- ganz reiflich, sage
ich —- —-— wir machen eine Reise!«
,,Vater!« —- mehr konnte die Frau
vor Entsetzen nicht hervorbringen,denn
nun stand es bei ihr fest, daß ihrMann
entweder zu viel getrunken hatte, oder
daß er von dem Uebermaß der unver
hofften Freude närrisch geworden war.
Sie hatten beide die Fünfzig über
schritten und waren niemals über die
nächste Umgebung Berlins hinausge
tommen. Sie bewohnten in einem öst
lichen Vororte ein kleines einstöckiges
Häuschen, das die Frau von ihren El
tern ererbt hatte. und das Häuschen ;
war ihre Welt. Dort hatten sie ihre »
fröhlichen und trüben Tage gemeinsam
verlebt, dort waren sie alt geworden,
ohne daß sie je eine andere Reise als
gelegentlich nach Werber oder Bots
dam unternommen hatten. Der Mann
mußte ohnehin genug reisen bei seinen
täglichen Fahrten zum Bureau und die
Frau scheute ihrer schiefen Schulter
wegen die Blicke fremder Menschen.
Jetzt sollten sie, einem unbegreiflichen
und sündhaften Naptus des Mannes
zu Liebe, ihr friedliches Ashl für eine
Weile aufgeben und in die Fremde
ziehen?
kLafz nur, Vater, das können wir ja
morgen besprechen,« suchte sie abzuleu
len, »beute laß unr- doch still uns un
seres Glückes freuen!« Aber Herr
Müller war ganz rabiat. Man müsse
das Eisen schmieden, so lanae es heiß
ist. Gereist würde, das stände fest —
nur wohin, sei noch die Frage. Das
Meer und das Gebirge, beides locke s-—
es wäre überhaupt eine Schande, daß
man so etwas noch nicht gesehen habe.
Frau Müller mußte wohl einsehen, da
gab’5 tein Halten, und als ihr schüch
terner Vorschlag, daß ihr Mann doch
allein reisen möge, eine enipörte Zu
rückwetsung erfuhr und er nicht müde
wurde, die bevorstehende Reise in allen
Farben des Spettrums zu malen, da
begann sc sich nach und nach für die
selbe zu erwärmen, aber nur ja nicht
an die See reisen, sie war wasserscheu
und das Wasser hat ja auch keine
Ballen — dann doch lieber in’s Ge
birae, wenn et denn sein sollte und
mußte.
Ja, es mußte sein« und also wurde
das Riesengebtrge zu dem Aussiuge
bestimmt ——-- ohne daß die alte Dore
um ihren Rath befragt wurde —- das
tvar einfach unerhört.
Dore war als kleines Mädchen in
das Haus der Eltern der Frau Müller
gekommen und aus Anhänglichkeit«bei
deren Tochter geblieben. Sie war in
den Sechzig, aber trotzdem Frau Mül
ler doch immerhin auch schon ein ver
trauenerweckendeg Alter erreicht hatte,
konnte Dore sich nicht daran gewöhnen,
sie anders anzusehen als einst das
schwöchltche lriinlliche Kind mit der
Neinuna zum Schiesweeden. Nun
wollte sich das zarte Persönchen, von
dem aewissenlosen Gatten angestachelt,
leichtsinnig ohne Schuh und Pflege in
die wilde Fremde begeben! «
herr Müller war sonst ein ganz re
vutirlicher Mann, aber daß er das
veranlassen konnte, war eine Rohheit,
eine Barbarei und es war Pflicht der
alten Dore, solch ein Verbrechen zu
verhindern. Und von diesem Augen
blicke an begann sie mit den verschie
densten Waffen, schlimmen und guten,
einen erbitterten Kampf gegen das
Reiseprojett.
«Sehen Sie nur, Frau Müller, was
für schöne Knospen dies Jahr die
Amaryllis hat, wie schade, sie blüht
nun gerade, wenn Sie weg sind.«
»Hahen Sie schon gelesen, Herr
Müller, Falb hat einen naßlalten
Sommer prophezeit, da swerden Sie
auch nicht viel Vergnügen von der .
Reise haben.«
" »Der Töpfer läßt sagen, er sei dies I
Jahr so mit Bauarbeit überhäuft, daß
er erst in vier Wochen gerade nur ein
paar Tage Zeit hätte, die Oesen um
zusetzen. Jn vier Wochen aber sind
Sie verreist, nnd ich übernehme mir so
etwas nicht allein, so werden wir eben
noch einen Winter durchfrieren müs
en!«
»Sie sehen schon wieder schrecklich
angegriffen aus, Frau Müller, aber
das macht dieAusregung von der Reise.
Für so alte Leute ist das Reisen nun
einmal nichts mehr. Sie werden Ih
ren Herzkramps kriegen und kein
Mensch wird Sie da oben pflegen, kei
.nen Doktor werden Sie kriegen, man
Jweiß ja, wie das unterwegs ist, Sie
; werden sterben und verderben.«
»Aber Dore, der Herr ist doch. . . .«
»Der Herr heirathet sofort) wieder;
das können Sie glauben; meinen Sie,
er hat nicht seinen Grund dabei, wenn
er Sie mit Jhrem schwächlichen Kör
per in die Wildniß schleppt. Jch weiß,
was ich weiß!« Und sie behandelte
fortan ihre Herrin mit einer Rührung
und Sorgsamkeit, als ob sie dem ar
men Opferlamm seine letzten Erden
tage noch-möglichst verschönern wollte.
Frau Müller, ohnehin im Gemüth
bedrängt durch die bevorstehende unge
heure Umwälzung in ihrem stillen Da
sein, wurde dadurch nur noch nervöser,
ausgeregter. Sie lies wie im Fieber
umher, nichts Anderes empfindend als
Angst und Grauen und doch auch wie
der eine geheime, neugierige Freude.
Herr Müller war wie ausgeweehselt,
ordentlich elastisch und unternehmend,
und Dore sorgte, allerdings ganz ge
aen ihren Willen, redlich dasiir, daß
seine Stimmung nicht verschlechtert
wurde, indem sie ihm täglich die aus
gesuchtesten Leibaerichte kochte. Sie
wollte ihm die »schlampigen Restaura
tionsiiichen«, aus die sie bei jeder Ge
legenheit hinwies, recht verekeln, und
er meinte wieder, wenn man so tüchtig
Vorrath ißt an allen möglichen guten
Dingen, so könne man schon einmal
ein paar Wochen mit geringerer Kost
vorlieb nehmen.
Und so kam die Reise heran, trotz
dem Dore noch am Tage vorher einen
plötzlichen, bedenklichen Anfall ihres
Kopfkrampfes bekommen hatte. Als
sie sah, daß auch dies letzte Mittel die
schreckliche Reise nicht aushalten
konnte, ermannte sie sich zu einer stillen
Resignation. Solch ein waghalsiges
Unternehmen konnte ja nicht gut en
fden, nun, so mochte es kommen, wie
schon wollte
Wie alle im Reisen ungeijbte Leute
begaben sich Müllers mit einer un
glaublichen Masse von Geväet mehrere
Stunden vor Abgang des Zuges nach
der Bahn: Frau Müller, kaum mehr
als ein Gepäckstiick, zitternd vor Aus
regung nnd vollkommen verlchüchtert,
denn Dore hatte beim Abschied zum
Herzbrechen geweint und mit den Tö
nen einer Kassandra behauptet, daß sie
sich nie, nie mehr wiedersehen würden,
und Herr Müller, verärgert durch die
Aufregungen der letzten Tage und die
Renitenz des Droschtenkutschers, der
behauptet hatte, zu einer Bahnfuhre
und nicht zu einem Umzug gedungen
zu sein, dazu ganz tonfus gemacht von
all den gutgemeinten und ironifchen
Rathlchlijgen seiner Collegen. Jetzt
war er in ewiger Sorge, ob man auch
nichts vergessen habe und keines der
Gepäckstiieke verloren gehen könnte.
Als er am fchlesischen Bahnhof den l
Droschtenkutscher bezahlen wollte,
glaubte er vor Schreck in die Erde ver
sinten zu müssen, als er bemerkte, das;
er die Brille vergessen hatte, gerade das
nothwendigste Stück. Er stand im
ersten Augenblick wie erstarrt, denn
ohne Brille war er verrathen und ver
kauft. Was nun? —— »Da hast Du es
ja, Du paßt aber auch aus nichts aus,«
schleuderte er seiner Frau witthend zu.
»Was mache ich nun? Natürlich kann
ich ohne Brille nicht reisen, ich muß sie
holen, vor dem Abgang des Zuges
kann its- wieder zurück sein — war es
nun nicht sehr gut, daß ich so zur Eile
drängte? -- —- Du kannst inzwischen das
Gepäck befördern.«
»Nein —-- nein!« wehrte Frau Mill
ler erschrocken ab, »ich bleibe aus keinen
Fall allein mit den vielen Sachen, »ich
werde die Vrille holen.« Und ohne ih
ren Mann zu Worte kommen zu las
sen, erklettert sie mit plötzlich erwach
ter Energie schleunigst die eben verlas
sene Dtofchke und fährt davon, ihren
Mann wuthschnaubend, ein Ergötzen
fitr die impertinenten Gepäckträger,
zwischen den abgeladenen Sachen ste
hen lassend.
Ungefähr zur selben Zeit wie Herr
Müller hatte auch Dorn bemerkt, daß
ihr Herr die Brille vergessen hatte. Um
Gotteswtllem sie würden ihrs betrügen
in der Fremde, er erkannte ja ketn
Geldstüek mit bloßem Auge. — Da
half kein Besinnen, es war einfach
barschast zu thun gehabt. Frau
)
»
l
;dacht, daß der Herr darauf ausginge,
Christenpslicht, die Brille nachzube är
dern —- also nur schnell in die Pferde
bahn gesprungen und zum Bahnhof
geeilt.
Als Frau Müller zu Haufe ankam
und in aller Aufregung und hast an
die Thür schlug, öffnete ihr Niemand
—- wie ausgestorben lag das Häuschen
da. Was nun? Dore war gewiß aus
gegangen und Frau Müller hatte ver
gessen, sich die Schlüssel von ihrem
Manne geben zu lassen. Sie wartete
endlose 5 Minuten —- 10 Minuten,
Dore kam nicht zurück. Was bedeutete
das? Sie hätte höchstens in der Nach
Miiller donnert noch einmal mit Auf
gebot aller Kraft an die Thiir —- in
nen blieb alles still. Und allmälig
schlich sich ein entsetzlicher Verdacht in
ihr Herz. Die Thränensluth Dore’s,
ihr durch nichts zu zerstreuender Ver
eine andere Fran zu heirathen, ihreBe
hisuptung beim Abschied, daß sie ein-i
ander nie wiedersehen würden. —
Herr Gott! Wenn die alte, treue, aber
etwas beschränkte Person von der
Aufregung der Schlag getroffen oder
wenn sie sich am Ende selber das Le
ben . . .. Frau Müller trommelte mit
beiden Fäusten an die Thür, sie rannte
zum Fenster, um hineinzuspähen —
die Nachbarn wurden aufmerksam,
man rieth und tombinirte — Niemand
hatte Dore gesehen, einige behaupteten
natürlichdasz sie schon längst eine son
derbare Veränderung an ihr wahrge
nommen hätten endlich schickte man
zur Polizei und zum Schlosser. Frau
Müller war vollkommen iibetwältigtf
Als das Hans geöffnet war und
Dore weder lebend noch todt darin ge
funden wurde, sank die Frau« unfähig,
die Fahrt nach dem Bahnhof noch ein
mal zu machen, kraftlos auf das So
pha — Dore kam nicht wieder, es war
zweifellos, sie hatte sich ein Leid ange- ’
than.
Dora kam gerade auf dem Badnhof
an, als der Zug im Begriff war, als
zufahren. Sie rannte auf den Ver-(
kon. »Herr Müller! — Herr Mül
ler!« Aber keine Antwort erfolgte. !
Resolut, wie sie war, begann sie die
Coupees abzufnchenz einige Jahrg-Taste
lachten: Herr Müller sei nicht da, aber
Herr Schulze, andere zankten. Da
rüber setzte sich der Zug in Bewegung,
ein Schnellzug, der das erste Mal in
Fürstenwalde hielt,und während Frau
Müller daheim saß und weinte und.
Herr Müller im Wartefaal vor Des- .
peration einen Cognac nach dem an
dern hinunterstiirzte, fuhr Dore ze
ternd und widerwillig dem Linsenge
birge entgegen.
Es wurde dunkel und noch immer
war Frau Müller allein. Sie hatte
die entfetzlichften Kopfschnierzen nnd
der von Dore prophezeite Herztrampf
nahte langsam, aber sicher. Ruhelos
irrte sie jetztaus einem Zimmer in's
andere es würde doch endlich ei zer- —
doch wenigstens ihr Mann « zurück
kehren ’
Da hielt eine Drofchkel Sie stürzt
an’s Fenster —— endlich! Herr TUtiiller
stieg aus-« -— Gott fei Dankt Die Frau
raffte sich zufammen, jetzt iriirde es
eine böse Auseinanderfetzung geben,
aber was schadet das-, wenn nur .....
Das Wort erstarb ihr auf der Zunge.
Herr Müller war in einer ganz naß-r
ordentlich fidelen Stimmung. Er
lachte nnd schwatzte mit dem Drolch
kenlutfcher nnd es dauerte eine endlose
Weile, ehe er das Fahrgeld beglichen
hatte. Dazu merkte Frau Müller
jetzt, daf; er kein Gepäcl mitgebracht
hatte. Ein schlimmer Verdacht stieg
langsam in ihr auf und als sich jetzt
durch den Corridor merkwürdig stam
pfende Schritte nahten und eine un
sichere Hand schwerfällig und uiigitiinds
lich die Thitr öffnete, da wurde dieier
Verdacht zur« Gewißheit
,,Mann!« rief sie empört. -
,,Guten Abend auch, mein Zitter
püppchen, — mein Engelchen!« ent
gegnete er feelenvergniigt, »das war
aber fein! Denk mal, wie ich da sitze
nnd warte auf -— auf Donnermot
ten! Auf was wartete ich doch
gleich ..... «
»Lafz nur — laß nur!« wehrte die
Frau matt.
»Ja, wartete, da kommt der lange
Baumann, Du weißt schon, der Bau
: rnanna mit der großen Nase«
—ja doch!"
von Angst und Aufregung.
i
»Alte, biedere Haut —- was? Nun,
siehst Du, der ist ietzt auch hier auf
Urlaub, d. h. eigentlich in Friedrichs
hagen aus Sommerwohnung —- Du
weißt schon s-— da soll’s aber himmlisch
sein! Das Riesengebirge ist nichts da
gegen,sa«qt Baumann, und es wäre ein
ganz albernes Vorurtheil, wenn man
immer glaubte, man müßte wer weiß
wohin reisen, um was Schönes zu
sehen. Und im Riesengebirge ist es
surchtbar theuer —-« na, und da Du ja
so wie so nicht gern so weit sort woll
test, Du weißt schon da dachte
ich halt, s’ist besser. wir gehen nach
Friedrichshaaens-——die Baumanns sind
doch nette Leute und. . . .«
»Wo hast Du das Gepäck?« unter
brach Frau Müller mit rauher Kehle
seinen Redeslusz.
»Wo soll ich es denn haben? Du
weißt doch, das habe ich nach Hirsch
berg geschickt, hier sind auch die Fahr
tarten.«
Frau Müller sagte nichts, aber eine
unheimliche Entschlossenheit trat in
ihre Züge. ——— Nach Friedrichshagen,
wo sie in ihrem Vorort dieselbe gute
Lust und alle häusliche Bequemlichkeit
haben konnten und mit diesen Bau
manns zusammen? — nimmermehr.
Jhr Mann nahm das-Schweigen fiir
eine Bestätigung ,,Wo ist denn
Dore?« fragte et selig, »Dore kommt
auch mit."
Ja, Dore! Siedendheiß quoll es in
Frau Müllers Brust empor, die alte,
treue Person war vielleicht hinaeopfert
worden durch die frevelhaften Vergnü
gungsgeliifte ihres Herrn —- und hattec
er nicht auch die eigene Frau beinahe
umgebracht damit?
Und nun öffneten sich die Schleusen
ihrer Beredsamteit; ihr Mann weiß
bis heute noch nicht, wo die stille. ge
duldige Frau in jenem Augenblick alle
Worte herbetommen hat, damals
schnappte ihm vor ftaunendem Schre
,cken der redseliae Mund zu, er wurde
kleiner und kleiner, und als er fühlte,
daß nach der seligen Gehobenheit eine
recht abscheuliche Schwere und Depri
mation immer mehr und mehr Besitz
von ihm ergriffen, da zog er es vor,
sich mucksstill in s Bett zu legen
Als Dorn endlich Von ihrer Irr
fahrt heimkehrte fand sie gleich so viel
zu thun, daß sich ihre galliae Laune
davor verkriechen mußte. Der Herr
verlangte stöhnend nach Essiacomores
sen fiir den fchmerzenden Kopf und die
Frau hatte ihren Herzkrampf wie nie
zuvor. Das war eine schwere Sorge
für die alte, treue Dienerin, aber zu
gleich doch auch eine gewisse Genugthu
una sie hatte es ja gleich aesagt, das
Reisen ist was fiir junge Sprinains
felde, aber nichts für alte, gesetzte
Leute.
Das dachten Müllers auch, denn sie
haben es definitiv aufgeaeben, aber sie
trösteten sich mit dem Gedanken, daf;
der aroße Kant ja auch niemals iiber
die Grenzen seiner Vaterstadt Königs
bera binausgelommen sei Die beiden
Fahrscheine nach dem Riesengebirge
aber beben sie forasam auf zur Erin
nernna daran, daß sie beinahe einmal
gereist wären.
Feuer an York-.
Eine Seegcschichtc von Robert Bart.
Der prächtige Ozeandampfer »Ada- s
’ mant« von der berühmten Croß Bow- «
Linie begann seine Februar-Fahrt
von New York nach Liverpool unter;
besonders günstigen Verhältnissen ———.
Die Tage verstrichen in gleichsörmiger
Ruhe, und obgleich man New York bei
Schneewetter verlassen hatte, war es
so warm auf dem Schiffe, daß die
Passagiere ihre Lehnsessel auf Deck
bringen ließen.
»Der Einfluß des Golfstromes,« so
erklärte der junge Spinner, der Alles
wußte· Trotzdem erschien Capitän
; Ryce am zweiten Tage der Reise mit
einem so krankhaften, erregten Ge
sichtsausdruck zum Lunch, daß die
Frau Senats - Assistentin erschreckt
ausrief: »Aber, um Gottes Willen,
Herr Capitän, Sie sehen ja aus, als-i
hätten Sie die ganze Nacht kein Auge
zugethan.«
»Im Gegentheil, gnädige Frau,« er
widerte der Capitän, »ich schlief so
gut, wie immer.«
»Nun, ichs hoffe, daß es in Jhrer
Kabine angenehmer war, als in der
meinen. Jch fand es unerträglich
heiß. «
»Wir haben so sehr viele zarte
Frauen und schwächliche Kinder an
Bord, « sprach der Capitän, »daß ichs
sehr streng auf die gleichmäßige Wär
me zu achten habe.«
Mit diesen Worten schob der Cahi
tän seinen nnberiihrten Teller fort und
erhob sich von der Tafel.
Er schritt hinaus nach der Com
mandobriicke.
»Nichts in Sicht, Johnson?« fragte
der Capitiin.
»Nicht das Geringste, Capitän.«
Der Capitän überschaute die Was
serfläche mit dem Fernglas-, dann leg
te er es seufzend nieder.
»Wir sollten heute Nachmittag fig
nalisiren, Capitän,« sprach Johnson;
»wir sind auf der genauen Linie; die
»Fulda« muß irgendwo in der Nähe
sein.«
»Ich fürchte, daß wir fiir die »Mit
da« zu weit nördlich sind,« antwortete
der Capitän.
»Ja, dann müssen wir aber den
»Bultan« treffen, noch ehe es Abend
wird, Herr Capitän. Er hatte gutes
Wetter seit Queenstown.«
»Ja, das ist richtig, scharf aufpas
sen, Johnson!«
»Zu Befehl, Capitän!«
Mit gesenktem Haupte schritt der
Capitän einher.
»Ich hätte nach Nein York zurück
müssen,« sprach er zu sich selber.
Dann ging er hinunter in seine
Kabine, wobei er eine Begegnung mit
Passagieren möglichst vermied, und
ließ sich etlras Bouillon kommen; selbst
ein Capitän laan nicht von der Angst
allein leben.
»Schiff am äußersten linlen Hori
zont in Sicht!« schrie der Matrose
aus dem Mast.
Jn demselben Augenblick erschien
bereits der Kopf des Capitäns an der
Treppe. Er ergriff das Glas und
schaute lange nach einem einzigen
Punkte.
»Es muß der ,,Vultan« sein,« sprach
et endlich.
»Das denke ich auch, Capitän.«
»Drehen Sie das Steuer etwas
nach linls und fahren Sie auf den
»Vultan« zu.«
,,Hallo!« rief der junge Spinner
auf Deck. Da ist ein Schiff. Es
ist mein’s, ich hab’s zuerst gesehen.«
l
Aug-meines Auftqu sue diese-s
Seite des Schifer folgte den Worten. ’
»Ein Schiff in Sicht!« Einer rief’d
dem Andern zu, und plötzlich hatten
alle Journale und Bücher an Jntereffe
verloren. «
»Da spricht man immer von den
vorgezeichneten Schiffsrouten,« rief
Spinner, der Allwissende, aus, »das
ist Unsinn, sage, ich. Wir fteuern ja
direkt auf einander zu! Denken Sie
nur, was daraus kommen könnte,
wenn wir zufällig Nebel hätten! Der s
reine Glücksfall!« ’
»Werden wir einander signalisiren,
Mr. Spinner?« fragte eine wißbegie-z
rige junge Dame aus Bofton. I
»O, ,natürlich,« entgegnete Spin
ner, »sehen Sie, da flattert ja unser
Signal schon! Das verkündet ihnen,
welcher Compagnie unser Schiff ange
hört.«
»Ach, wie interessant!« sprach die
junge Dame.
Während dessen verwandte der Ca
pitän keinen Blick von dem sich schnell
nähernden Schiffe; plötzlich ließ er das
Fernglas sinken.
»Mein Gott, Johnson!« rief er ent
setzt aus.
»Was ift es, Capitän?«
»Der »Bulkan« flaggt auch die Un
fallsflagge!«
Als die beiden Schiffe sich bis auf
ungefähr eine Meile genähert hatten,
erklang die Glocke des ,,Adamant,«
und dieser unterbrach seine Bewegung.
,,Sehen Sie nur,« belehrte Spinner
die Bostonerin weiter, »das Andere
gehört zur selben Compagnie wie wir,
denn es flaggt dasselbe Zeichen.«
»O, wie wunderhübfch!« rief das
Mädchen enthufiastisch aus.
Jedermann blickte nach den Masten,
an denen immerfort verschiedenfarbige
Flaggen aufgezogen wurden; dasselbe
fand auf dem anderen Schiffe statt.
»Ach, schauen Sie nur hin,« rief
die Bostonerin, in die Hände klat
fchend, aus. »Das andere Schiff
dreht um.«
»Es war in der That so. Der große
Dampfer warf das Wasser mit seiner
Schraube in kolossale Bewegung und
nahm langsam dieselbe Stellung ein
wie der ,,Adamant« nach Osten zuge
wandt. Als dies geschehen war, er
klang die Glocke zum zweiten Male und
beide Schiffe fuhren Seite an Seite
gen Osten· Der Capitän kam lang
samen Schrittes von der Commando
briicke herab.
»Oh, Herr Capitän, was hat das
Alles zu bedeuten?«
’ »Das Schiff,« antwortete der Ca
pitän langsam, »ist der ,,Vultan« von
der Black Bowling - Linie; es ging an
demselben Tage, an dem wir New
York verließen, von Queenstown in
See. Ein Unfall ist ihm zugestoßen,
wie es scheint, hat es durch ein vom
letzten Sturm umhergetriebenes Wrack
ein Loch bekommen. Seine Sicherheit
hängt jetzt hauptsächlich von der Gunst
des Wetters und der unausgesetzten
Thätigteit der Pumpen ab. Wir müs
sen an seiner Seite bleiben bis wir
Queenstown erreicht haben.«
,,Ob sich viele Passagiere darauf be
finden, Capitän ?«
»Es sind siebenundreißig Cajiiten
passagiere und über achthundert Zwi
schendecks - Passagiere aus dem «Vul
tan.«
; »Warum nehmen Sie sie nicht ein
« fach aus unser Schiff, Capitän?"
»Die Nothwendigkeit hierfür ist
nicht vorhanden, gnädige Frau. Das
würde viel Zeit kosten, und die ist in
solchen Fällen das Wichtigste. Sollte
sich das Schiff aber, wider Erwarten,
nicht halten können, so wird immer
Zeit genug sein, Alle in den Rettungs
boten unterzubringen.«
»O die armen Geschöpfe,« rief die
mitleidige Adjutantin aus. »Welch’
entsetzliche Situation.«
Auf allen Seiten herrschte die größte
Sympathie für die unglücklichen Pas
sagiere des »Vultan«. Mit Schrecken
gedachte man der fürchterlichen Kata
strophe, die das Schwesterschiss jeden
Augenblick vor den eigenen Augen er
eilen könnte!
Zur selben Zeit herschte an Bord
des »Vultan« keine geringe Aufre
gung. Jn der Mitte des Salons
stand Capitän Flint, umringt von
angstersüllten Frauen, an die sich die
weinenden Kinder ängstlich schmieg
ten. Auch die Männer machten be
sorgte Mienem und ihnen Allen hatte
der alte rauhe Seebär Rede zu stehen.
»Was, zum Teufel, bedeutet all’
dies?« schrie Adam K. Vincent, Mit
glied des Congresses in Washington
»Was denn?«
»Sie wissen recht gut, was ich
meine. Was bedeutet die Umkehr un
seres Schiffes?«
»Sie bedeutet, mein Herr, daß die
sünfundachtzig Kajüten - Passagiere
und fünfhundert Zwischendecks - Pas:
sagiere des- »Adamant« in größter Le
bensgesahr schweben. Jn dem Ma
schinenraume ist Feuer ausgebrochen,
das mit schier iiberinenschlicher Kraft
Tag und Nacht bekämpft wird. Jeden
Augenblick steht eine Explosion zu be
fürchten. Und daher, Mr. Vincent,
bedeutet unser Umdrehen, daß der
»Vulkan« dem ,,Adamant« beistehen
wird.«
Ein Schrei des Entsetzens esårang
sich den Lippen der Frauen.
»Zum Donnerwetter, Herr.« brach
der Congreßmann los, ,,wolli-« Sie
damit sagen, daß wir auf dies- Weise
gegen unseren Willen, ja, ohne auch
nur gefragt zu werden, nach Queens
totvn zurück sollen?«
»So ist see allerdings, Mc ·Vin
rent!« « -«« « (
»Nun, bei Gott, das ist ein«-net
bödtc Zumutbung, die ichs mir nicht
gefallen lassen werde. Jch muß m
27. d. M. in New York sein; ich muß
hören Sie wohl, Herr Capitiini!« s
· »Ich bedauere unendlich, daß eine
Verzögerung unvermeidlich ist.«- «
»Unvermeidlich? Sehr gut! »Wa
rum nehmen Sie denn die, Passagiere
nicht einfach an Bord und nehmen fie
mit nach New York? Jch diiides est
nicht anders. Jch werde-Sie und die
Compagnie verklagen, Casiitän Pünkt
,,Mr. Vincent,« sprach der a sp Be
drohte festen Tones, »eriauben-Sie
mir, Sie zu erinnern, daß ichs der·
Capitön dieses Schiffes bin. Em-v
pfeble mich, mein Herr!«
Jm Gegensatz zu dem Congreß
mann, der nicht aufhörte, zu fchimpfen
und mit Klagen zu drohen, waren die
anderen Passagiere alle einig, daß es
im· höchsten Grade unmenschlich sein
würde, den «Adamant« in solcher Lage
allein auf dem Ozean zu lassen.
»Warum kehrt denn der »Aha
mant« nicht um, Capitän?« fragte
Mrs. General Wellen
»Weil in derartigen Lagen jeder
Augenblick von Wichtigkeit ist, gnädige
Frau, und weil wir etwas näher zu
Queenstown sind, als zu New York.«
So quälten sich die beiden stolzen
Schiffe mühsam ostwärts; doch er
reichten beide den ersehnten Hafen.
An Bord des Dampfers, der die
Passagiere beider Schiffe an das Land
brachte, trafen sich zwei erstaunte
Frauen. » .
»Mr. Weller!!!! Jst es möglichLT
Sie waren an Bord dieses unglückseli
gen Vulkan’s ?«
»Um des Himmels willen, Mrs..
Brownring! Sind Sie es oder ist es
Jhr Geist!? Also gibt es doch noch
Wunder? Unglücklich, sagten Sie?
Nun, sehr glücklich fisr Sie, sollt’ ich
meinen! Haben Sie sichs nicht zu Tode
geängstigt?« -
»Gewiß, trotzdem ich ja nicht ein
mal ahnte, daß eine Bekannte auf dem
Schiffe sei!«
»Aber Sie waren doch selbst auf
I dem Schiff
»Ich au dem Schiff? Was meinen
Sie denn eigentlich? Jch war doch
nicht auf dem »Bulkan«? Fanden Sie
denn noch einen Augenblick Schlaf,
nachdem Sie wußten, daß Sie jeden
Augenblick sinken könnten?«
»Um Gotteswillen, wovon reden
Sie denn? Sie hätten jeden Augen
blick sinken können, oder schlimmer
noch, verbrennen können, wenn das
Feuer überhand genommen hätte!
Sie meinen doch nicht, daß Sie nichk
gewußt hätten, daß der »Adanmnt«"
brannte?«
,,Mrs. Welleri Das ist ja ein ent
setzlicher Jrrthum. Es war ja der
»Vulk«an,« der ein großes Leck bekom
men hattet Und der Capitän sagtL,
daß Alles von der Thätigkeit derPum
pen und dem Wetter abhinge! Die
Pumpen arbeiteten Tag und Nacht.!«
Die Frauen blickten einander an,
, während ihnen Beiden die Erleuch
tuna zu däminern schien.
I Ätso war es nicht das Geräusch der
Maschinen, sondern das Pumpen!«
sprach die Eine endlich.
»Und die Hitze kam nicht durch den
Dampf, sondern durch das Feuer!«
rief die Andere aus.
»O Gott, wie hat der Capitän ge
logen, und ich fand ihn doch so nett.
Ich werde eine Ohnmacht bekommen!'«
»Das ließe ich, an Ihrer Stelle-,
hiibsch bleiben«, sprach die verständige
Generalin, die eine beherzte Frau wat..
,,«.)lußerdem ist es jetzt zu spät dazu,
wir sind Alle gerettet. Mir scheint,
beide Capitäne haben recht vernünftig
s und aut gehandelt; sicher sind sie Beide
l verheirathet!«
Und das war thatsächlich der Fall
v-f
Souiuiergang.
——-.
l —« Von starl v. Arnswaldt.
. Sommermittagl Auf den Bäumen
T Dehnt sich still die müde Lust.
! Selbst die Schmetterlinge träumen,
s Matt vom schweren Blüthendust.
i Manchmal eines Spechtes Hämmem
j Kurz die Stille unterbricht.
1 Auf den weißen Wolkenlämmern
l Gleißt das aold’ne Sonnenlicht.
Das ist heut ein Tag, zu tauschen
» Der Natur geheimen Klang, «
i Rraug verworrnem Bachegrauschem
) Weichein, süßem Mückensang; «
Komm, mag fesseln auch die andern
» Seelenloser, flücht’gser Tand.
i Laß ung durch die Heide wandern,
i
-
l Sommerselig, Hand in Hand.
! Dort will ich dir viel erzählen
S Von den Wundern dieser Welt,
I Und wie Liebe nur die Seelen
I Jnnig fest zusammenhält,
ZFlüstern holde Heimlichteiten
H Jn dein bang erschrocken Ohr, —
; Ueber uns in Näh’ und Weiten
s Jubelt heller Lerchenchor.
Und so wandeln wir alleine
Jn dem lauen Sominerwehn,
Amor nur, der Schelm, der kleine,
Darf bescheiden mit uns gehn.
Aber wenn er sollte fragen
, Neckend, ob dein Herz noch dein,
; Welche Antwort wirst du sagen?v
Weißt du’s schon, lieb Schätzeleinf
-— Je eETstTk das Lede
siir Einen ist, desto mehr Witz braust
et. -