Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, August 27, 1897, Sonntags-Blatt., Image 9

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    Sonntags - Matt
Beilage des »Juki-Her nnd Herolds
»He
I J. P. Wind-um« Herausgehen
Grund Island, Nebr., dcn 27. August 1897.
——«
No. 8, Jahrgang 18.
Der Yaynstnnigg
lnn ans dem Na tleben der Iron
h ftgdh von W. u gchlerbrarm
ines Tages wurde ich, so erzählte
die junge Frau meines Freundes
ert, amBroadway von einem Men
senhaufen ani Mtergehen verhin
t. Der Auflan war durch die Ver
tung eines abgefaßten Taschendie
verursacht worden, und da ich Eile
e, so erkundigte ich mich weiter
st nach den Einzelheiten des Falles,
ern strebte. durch das Gedränge
urch zu kommen. Plötzlich fühlte
ich am Kleide gezogen. Jch blickte
um, tonnte aber keinen Menschen
. »Seht-it Sie herunter«, hörte
I ine dünne, etwas treischende
ütnlich zu sein pflegt. Richtig
land ein ganz kleines Menschen
das mir das verhuzelte, faltige
· entgegenhielt und die eine lleine
« wie beschwörend und bittend em
« eilte.
as willst Du, Kind?« frug ich,
’ das Zwergengeschöpf machte zu
en Eindruck eines Kindes. Da
Zetrachtete ich neugierig und voll.
Hresse das kleine Wesen. Auf dem ;
trug es einen alten, ganz ver
j enen Frauenhut, und als ich
t. ufmerksam hinblickte, sah ich da
i graues Haar hervorquellen.
, ugen waren dunkel und lebhaft.
? ie Bewegungen der Kleinen wa
litzattig schnelle
J Antwort hielt sie mir noch im
J ie offene Hand hin.
ine Gabst-« frug ich freundlich.
- ickte lebhaft. Dann setzte sie, I
am um meine Mildthätigkeit an
:rn, hinzu: »Es ist fiir meinen
12Bruder.'«
« en kleinen Bruder?« frug ich
d und zweifelhaft.
« nickte wieder. »Ja, ich sorge für
Y- ganz allein.«
- ah dies für eine jener entschuld
Erfindungen an, wie sie Almo
kz chende ja stets bereit haben. Wer
enn auch erwarten, von einem so
sen Menschenkind —- das dazu
was verkriippelt war denn setzt
; - einen Höcker auf ihrem schma
"«t-ckeri erblickt — unterhalten zu
««' Jndefz sah mich die Kleine
J nem so rührend flehenden Blick
..----, ich nicht widerstehen konnte,
er Hand nahm, aus dem Ge
: E· uitfernte und ihr dann eine Gabe
» «.«)igte, die wesentlich höher aus
, -x· man sie sonst Straßenbettlern
« ; "« Un pflegt. Es war ein Silber
" « Die Züge der Kleinen ver
.-,.sich Sie blickte nieder, sagte,
Jtlich hörbarem irischen Accent
dfältiger Segen auf Jhr
;- » , und dann war sie verschwun
I O O
? -» ar meine erste Bekanntschaft
D j— ah Doyle. Jch hatte die Be
, wieder gänzlich vergessen, als
s» J thünrliches Zusammentreffen
III-, »,elbe, mehrere Monate später,
k. « ’I Gedächtniß zurückrief. Jch
k« ·":,.L· samals nämlich einer Gesell
s: sogenannten ,,King’öDaugh
, einem Verein von Mädchen
suen, die sich die Unterstützung
» I en in den elendesten Quartie
t« broßstadt zur Aufgabe gesetzt
Mein Bräutigam (hier mein
-..«ert!) hatte schon oft Einwen
gegen erhoben, denn um un
"t ganz zu erfüllen, waren
»F idchen genöthigt, in den
It - « der allerschlimmsten Art per
:?mherzugehen, und das ist, wie
««'t
i
n, nicht immer ganz ohne Ge
szerdem ristirte man auch da
eine ansteckende Krankheit ir
uzuziehen, denn in manchen
hlen wurden, den strengen
tm der städtifchen Gesund
F i ten zum Trotz, Kinder und
en einfach dem Zufalle über
ei schweren Ertrantungen.
F .’ Ehrgeiz und mein Sinn für
s tigteit waren nun einmal ge
d fo ließ ich mich mit meinen
nnen vom Verein selbst durch
ichsten Umstände nicht an der
g der einmal übernommenen
- indern. Seit Kurzem war
E J wo dkk Fis- Points, jem
28 · ften Gegend New Yorks,iiber
F I nd als ich eines Nachmittags
« - I berste Stockwerk eines der un
n dieser häufen das von
»« - d Menschen — Opiumrau
J · Chinesen, messerziickenden Ita
s . r gefährlichsten Sorte, durch
k gänzlich vertokomenen Ir
.- - Verbrechern und Tagedieben
hnt war, mit meiner Gefähr
t, . Wachsner, gedrungen war,
wir uns plöhlich an einer
J, Vorhängefchloß oerwahrten
hinter derselben drangen et
liche, Migbcnienerregende Töne
etnahe anhörtern wie
nunen Mfund chen eines wil
ijtbierL tforn näherte
wir unt der Thür, da w rde plöylich
im Jnnern ein kleines uckloch sicht
bar, aus dem sich die mächtige Tatze
eines Mannes herausstrecktr. Jch sage
wohlweislich Tatze, denn eine Hand
. konnte man dieses furchtbare Werk
« zeug nicht nennen — sie war dicht be
haart, ganz dunkel, schmutzig und von
offenbar fürchterlicher Kraft. Zugleich
llana das Grollen der tiefen Vaßstim
me an unsere Ohren. Es waren nicht
menschliche, sondern thierische Laute,
halb zornig, halb bittend. Wir zwei
standen in Furcht gebannt, nicht wis
lend. was wir thun sollten. Da öff
nete sich die gegenüber liegende Thiir
eines anderen Dachgelasses, heraus trat
ein betrunkenes Weib, den Blechlessel
in der Hand, in den sie wohl mehr
Bier holen wollte. Als die uns stehen
sah, da brach sie in ein gellendes Ge
lächter aus. Dann aber, wie sich be
sinnend, wurde sie vernünftiger und
erkundigte sich nach unserem Begehr.
Als sie dies erfahren, erzählte sie uns,
in ihrem durch vieleFliiche und obscöne
Ausdrücke gespickten irischen Dialekt,
was es fiir eine Bewandniß mit der
verschlossenen Thür und den Jnfassen
dahinter hatte.
O it I
Sie erzählte, daß Joe Dohle sso
hieß er) seit seiner Geburt ein Jdiot
und Wahnsinniger sei, dessen einzige
Stütze eine verkriippelte, zwerghafte
Schwester sei. Diese, obwohl nur von
der Größe eines dreijährigen Kindes
und noch schwächer als ein solches,
liebe ihren Bruder abgöttisch und sorge
für ihn mit einer Zärtlichkeit und Auf
opferung, wie sie eine Mutter für ihr
geliebtes Kind nicht habe. Die Eltern
der Beiden — »wenn sie je welche ge
habt«, was ihr zweifelhaft erscheine —
seien wohl längst todt, und diese Zwei
seien auch gar nicht mehr so jung. No
rah, die Zwergin, müsse mindestens 50
zählen wenigstens dem Aussehen nach,
und ihr Bruder, der an Gestalt und
Kraft ein Riese sei, wäre wohl jünger
als sie, aber auch schon über die Ju
gend hinaus.
Wie es komme, daß dieser Unglück
liche nicht in einem der öffentlichen
Ashlei untergebracht sei, frugen wir.
Ja, das habe seinen Grund darin,
daß Norah, die Zwergin, das nicht zu
geben wolle. Sie hänge mit Leiden
schaft an ihm und versorge Alles,
wenn es Noth thue, nur damit es ih
rem Bruder an Nichts fehle. Außer
dem habe er einen furchtbaren Hunger.
Er verschlinge täglich soviel Nahrung
wie vier normale Menschen, und doch
sei er stets von Hunger geplagt. Norah
besitrchte also, daß wenn man ihren
Bruder in eine Anstalt sperre, er dort
werde Hungers sterben müssen. Wie
zur Bekräftigung der Worte des Wei
bes streckte sich in diesem Moment wie
der die beharrte Tatze des Jrren aus
der Lukr, und sein heischendes Gebrüll
scholl fchauerlich durch den engen
Gang.
Ob sich die Zwergin nicht fürchte,
mit einem so bärenstarken, wilden
Wahnsinnigen zusammen zu leben, fru
gen wir weiter.
Nein, sagte die Nachbarin, aber sie
gebrauche einige Vorsichtsmaßregeln.
Niemals betritt sie das Zimmer, ehe
sie dem Bruder nicht durch die Oeff
nung in der Thiir reichlich Nahrung
zugesteckt habe. Und der Wahnsinnige
sei nur dann gefährlich, wenn er ent
weder Hunger habe oder an Jemand
Rache nehmen wolle.
Rache nehmen? wollten wir« wissen.
Ja, Rache nehmen. Schon mehr
mals sei der Fall vorgekommen, daß
er sich fiir eine wirkliche oder vermeint
liche Beleidigung blutig gerächt habe,
und das habe er dann jedesmal mit
einer Schlauheit in’s Wert gesetzt, die
da zeigt,wie es mit seinem umnachteten
Verstand doch nicht so ganz schlimm
stehen könne. Erst letztes Jahr habe er
den orgelspielenden »Eitallian« unter
ihm, weil dieser ihn einst zur Nachtzeit
im Schlaf gestört, beinahe mit feinen
schrecklichen Fäusten erwürgt, und den
chinesischen Waschontel, der friiher im
Hause wohnte, habe er lahm geschlagen.
Für gewöhnlich lasse er sich ohne Wi
derstand von Norah einschließen, aber
bei jenen Gelegenheiten wußte er dies
durch seine List zu verhindern.
Womit denn seine Schwester soviel
verdiene, um ihren heßhungrigen Bru
der zu ernähren? erlundigten wir uns
noch.
Durch Betteln, sagte die trunksiichti
ge Jrländerin, denn Jeder giebt ihr,
der ihre winzige, vertrüppelte Gestalt
sieht.
o «
Da erklangen leichte, schlilrfende
Tritte aus der steilen Stie e, und hier
stand sie vor uns, Norah oylr. Sie
erkannte mich sofort wieder, und ein
freudiges Ausleuchten ihrer dunklen
Augen sagte mir, daß dies Erinnern
ein an enehmei sei. Sie trug einen
Korb, so groß und schwer, daß sie» ihn
kaum chleppen tonnte,« nnd ächzend
und nach Atbem ringend lebte tie sich
erst einen Augenblick aus die oberste
Treppenstusr. Aber ihr Bruder, der
Wahnsinnige, mußte ihren Tritt schon
ertannnt haben, denn auf einmal klap
perte er an dem Fensterchen in seiner
Thür, und seine mächtige Tatze schob
sich durch, auf und zu lrallend. Dabei
stieß er ein wahrhaft unheimliches Ge
heul aus, wie ein hungriger Wolf.
Die Zwergin nickte uns zu und
blinzelte mit den Augen. Dann sagte
sie im Flüstertom »Da ist mein kleiner
Bruder, für den ich sorge, wie ich Ih
nen damals erzählte.« Das sagte sie
ganz ruhig, als etwas Selbstverständ
liches. Und zugleich erhob sie sich und
packte den Inhalt ihres Korbes aus.
Die Nachbarin, die betrunkene Jrlän
derin, blickte neidisch und verlangend
auf alle die Herrlichkeiten Da kamen
Sandwiches mit Käfe, mit Schinken,
mit geräuchertem Fisch belegt, zum
Vorschein; dann eine Schüssel mit
Jrifh Stew und eine solche mit Pötel
fleisch und Kohl, schließlich noch ein
Laib Weißbrot, Butter und Käse, so
wie ein Krug mit Ale. Diese kräftigen
Nahrungsmittel schob siejetzt, indem
sie sich auf einen Holzllotz stellte und
so bis an das Fensterchen reichen konn
te, eines nach dem anderen durch die
Oeffnung. Der Wahnsinnige beglei
tete den Empfang jeder neuen Gabe,
die er wie ein wildes Thier ihr aus der
Hand riß, mit einem markerschiittern
den Freudengeheul, das noch grauen
voller klang als sein vorheriges Hun
getgeheui. Dann zog er sich von der
Thiir in das Jnnere des Zimmers zu
rück, und die Zwergin winkte uns jetzt
mit der Hand stumm herbei. Jch blick
te, nachdem ich mein anfängliches
Grauen überwunden, hinein, und nach
dem mein Auge sich an das im Zim
mer herrschende Halbduntei gewöhnt,
konnte ich den Jnsassen, der sich jetzt
dem Geschäft des Verzehrens mit völ
ligen Vergessen alles Uebrigen hingab,
mit Muße betrachten. Er zerriß seine
Nahrung wie ein Thier, und das
schmatzende Geräusch, das er beim
Kauen hervorbrachte, klang ekelerre
gend. Er war ein Riese von Gestalt,
mit mächtigen Schultern, breiter Brust
und einem dicken, unförmlichen Kopf.
Das Gesicht war gedunsen und roth,
und die wiisserigen Augen quvllen ihm
aus den Höhlen hervor, was einen ab
schreckenden Eindruck machte. Es war
keine Spur von Intelligenz in dem Ge
sicht —- nichts als thierische Jnstincte
konnte man darin lesen.
Mit einem Seufzer wandte ich mich
ab und wieder seiner Schwester Norah,
seiner treuen Pflegerin zu, die mittler-:
weile ihren kleinen, bescheidenen Im
biß aus der Tasche ihres Kleides her
ausgeholt hatte und davon asz.
»Armes Wesen,« murmelte ich und
blickte sie bedauernd an.
Das gefiel ihr nicht. Sie wurde
puterroth im Gesicht und wars mir eii
nen mißbilligenden Blick aus ihren hel
ten augen zu
»Mir geht’s ganz gut«, sagte sie
dann, ,,ganz gut —- wenn mir die
Leute nur immer genug geben wollten.
Mein Bruder ist ganz gut zu mir -——
er thut mir nichts; nur wenn er hun
grig ist und ich ihm nichts bringen
kann, wird er manchmal bös-. Aber das
lommt nicht ost vor.«
Ich ging bald darauf fort mit mei
ner Freundin, nachdem ich der Zwer
gin und auch ihrer Nachbarin einige
kleine Unterstützungen hinterlassen hat
te. Die Nachbarin vertraute uns noch
an, dasz neulich einmal die arme No
rah sich zwei Tage lang nicht in das
Zimmer getraut habe. weil der Ver
riiclte einen längeren Wuthanfall hatte.
Wir sprachen über den eigenthiim
lichen Fall zusammen und auch in un
serem Verein wurde darüber discutiri.
Allein was ließ sich thun? Sie war
entschieden die liebevollste, treuste Pfle
gerin, die der Jrrsinnige haben konnte,
und sie wiederum erblickte ihr Leben-J
gliick in der Erfüllung dieser schwe
sterlichen Pflicht. Also warum da ein
greifen? Es hätte nur Unheil gestif
tet. So kamen wir Alle überein.
II llt F
Etwa zwei Wochen später war ich
zufällig wieder mit meiner Freundin
Anna Wachgner aus einer Rundvisite
im selben Block in Five Points, da
stürzte aus einmal ein kleiner Junge
in's Zimmer und ries: ,,Hurrah — da
giebt’s Spaß. Der verrückte Joe macht
seine Schwester lalt.«
Und damit war er wieder ver
schwunden. Wahrscheinlich war er zu
rück nach dem Schauplatz der That.
Unter dem Namen »Crazy oe« war
der Wahnsinnige im ganzen lock be
kannt, und so fand ich, als wir rasch
nach dem hause hin und die vier
Treppen emporgellettert waren, einen
dichten Menschentnäuel vor.
»Tai-it« hörte ich murmeln.
»Ja, todt. Nichts mehr zu machen,
wohl auch das Beste«, brummte Ser
geant Magutrtz der in dieseln Au en
bltcke aus dem ditnklen Zimmer er
austrat in dem sich bietet letzte Art
—
äär menschlichen Tragödie abgespielt
tte.
Drinnen lag Norah erwürgt. Ne
ben ihr, fcheuszlich anzusehen, die Leiche
ihres Bruders, der im Kampfe mit den
Polizisten, die ihm seine Beute hatten
entreißen wollen, gefallen war.
Flämmchen-i Erzählung
Ein Märchen von A. v. Auerswald.
Halte an, o Wanderer, der Du vor
übergehst, halte an und höre, was ich
Dir zu evzählen habe, tnifterte ein
halb erloschenes Flämmchen auf
schwarzer Brandstätte, welches müh
sam sein elendes Leben an einem koh
lenden Ballen ernährte. Wenn Du
Erbarmen hast, öre mich an, daß ich
mit erleichtertem Herzen sterbe.
Und dev wandernde Dichter verstand
das Knistern und neigte sich barmher
zig nnd lauschte.
Habe Dant, sagte das Flämmchen
und begann: Gestern war es in stiller,
warmer Nacht, als ich mir zuerst mei
nes Lebens bewußt ward. Jch glühte
in einer bunten Papierlaterne und ein
dummen Wachs-stock gab mir Nahrung
Um mich herum durch die dunklen Bü
fche sah ich unzählige andere Lichter
glühen, aber unsäglich heller als alle
leuchtete eines über mir mit mildem,
gelblichem Licht, welches überall erzit
terte, träumerisch glänzend. Ein sanf
ter Wind hauchte und süße Töne, ci
genthiimlich sehnsuchtsvoll und kla
gend. enreichten mein Ohr.
Es war schön, so schön, schuldlos
und rein. das Leben, nnd ich zitterte
im Gefühl eines unbeschreiblichen
Glückes, das mich durchströmte.
Da bewegten sich Schatten und ganz
in meiner Nähe blieben zwei Gestalten
sichert und lauschten.
Horch, wie ckiin die Nachtigall
singt, sagte die eine.
Ja, es ist Prachtvoll, wars die Ant
wort. O, Heinrich, wie danke ich Dir
für den heutigen Tag.
Wanst Du gliirllich, meist Lieb?
fragte Heinrich und sah in ihre Augen.
- Ach, so glticklich, vier zu glücklich,
sagte sie, sich an ihn schmiegend.
Was macht der Kleine? fragte er.
Er schläft, er schläft ganz sanft und
warm mit offenem Mündchen und ro
then Baclen Und mit den beiden dicken
Fäustchen hält er noch das Lamm.
Sein zweites Lebensjahr vollendet!
Du, Heinrich, er wußte, daß die ganze
Feier ihm galt, und ihm ganz allein.
; Wie aufmerksam und llug er aus den
« großen blauen Augen. . ..
Ganz die Deinen, sagte Heinrich lä
chelnd.
Wie klug er aus ihnen sah, fuhr sie
; fort, und wie ihn die Laternen freuten.
I Sie sah zu mir empor und mich
durchströmte ein so heißes Glücksge
fühl, daß das Wachs unwillig herun
tevtropste. Jn ihren Augen hatten
Thriinen gestanden, die er liebevoll
sartiiiszte. Arm in Arm schritten sie
weiter.
Das Gespräch hatte mich interessirt
und neugierig lugte ich durch ein Loch,
das von der Seite in die Laterne ge
r««:fsen, ob sie noch einmal an mir vor
beitommrn würden. Das aeschah nun
nicht, wohl aber kamen zwei Herren
und einer hielt ein dummes Hölzchcn
an mein Licf;t, sich seine Cigarre anzu
,;iinden.
(sin brachte-aller Abend mal wieder,
sagte er. Ich weis-; nicht, bei diesen
Leutchen amiisirt man sieh immer·
Sie sind so gut, sagte der andere,
und so gliialich Das steckt an.
Ja, wahrhaftig, sehr, sehr glücklich.
Und sie gingen weiter.
Nun war ich lange Zeit allein. Nur
; das ferne, gelbe Licht sah ernst auf
mich hernieder, und eine große-, un
sörmlich dicke Motte taumelte zu ver
schiedenen Malen ungeschickt gegen
meine Papier-hülle. Ach, und der
Wachsstoet wurde zu meiner Angst
kürzer und kürzer.
Wenn er nun zu Ende ist, sagte ich
voller Bangen, was mag dann aug mir
werden?
Plötzlich hörte ich ein Rauschen und
ein lustiges Gelächter. Durch das
schon einmal erwähnte Loch sah mit
naseweiseo Zudringlichkeit der leichtsin
nige, herzlose Gesell, der Wind, der
den Blüthen schmeichelt und sie lockt
und sie dann abreißt und verderben
laßt, ach, der auch mein Verderben
war. An jenem Abend aber war er
mir willkommen, denn ich sehnte mich
nach Unterhaltung »
Nun, armes, junges Licht, hat man
Dich hier eingesperrt, ries er mit spöt
tischer Freundlichteit. Armes Ding,
bei Deinem langweiligen Leben und
frühem Sterben lohnt ja das Entste
. hen kaum.
Wann stirbst Du denn? fragte ich in
meiner Unschuld.
Ich? oies er» mit leisem Lachen. Jch
bin ewig, ewig, kannst Du Dir das
ausdenkem Mäuschen? Immer und
immerdar sein? Ha und ein schönes
Leben ist das meine. heut küß ich die
—
halberschlossene Rosentnospe und
schmeichle mit den ihr geraubten Düf
ten jungen Menschenlindern und mor
gen sause ich durch das wirbelnde Heer
der Schneefloelen und begrabe einen
diesen Herren der Schöpfung unter ih
ren Massen. Heute lösch ich solch ein
ohnmächtig Lichtlein, wie Dich, mit
einem Hauche aus, und morgen treibe
ich es an zu einem himmeljauchzenden
Flug des Triumphes und stürze mich
hinein in sein wogendes Feuermeer
und werfe seine Flammen auf gen
Himmel und stürme ihnen nach, und
knir lachen und !«spotten vereint des
ohnmächtigen Grimmes der Menschen.
Er hatte mit ziindenden Begeiste
rung geredet und ich starrte ihn un
gläubig verlangend an.
Er sah den Blick und lachte sein lei
ses Lachen.
Willst Du? fragte er. Ein Hauch
von mir und das Holzhäuschen jener
sich glücklich Preisenden ist Dein Theil
und Du lebst Augenblicke, ha, um die
ich Dich beneide
Es wäre unrecht. Es wünde sie un
glücklich machen, diese Menschen, sagte
ich, mein Verlangen tapfer bekäm
pfend.
Jetzt lachte er laut auf.
Nun, dann knistere noch ein Stünd
chen Dein elendes Leben hin zur
Wonne eines pausbäckigen Babys und
dann stirb sanft einen philisierhaften
Tod, ohne eine Spur Deines lebendi
gen Wirkens zurückzulafsen, als einen
Verkohlten Docht. Du bist mir zu
zahm. Wem den frische, weltverach
tende Wagemuth fehlt, der Paßt nicht
zu meinen Genossen.
Und fort war er.
Mir war sehr trübe zu Muth. Was
half es mir, daß ich mir immer und
immer wiedev vorsagte, so haft Du
recht gethan, daß das große gelbe Licht
eigentbiimlich freundlich ans mich her
niederfah? Etwas in meinem Flam
meninnern sprach gar zu laut von dem
rauschenden, ruhmreichen Leben eines
Vertilaers, den mit verheerender Macht
seine Bahn zieht in heiliger Freiheit.
Und dazu wurde der Wachsftocl kürzer
und kürzer und meine Todesstunde
nahte beängstigend schnell.
Ach, ich wollte noch nicht sterben!
Nur einmal meine Freiheit genießen,
die unbekannte Macht, die in mir
wohnte, von der mir der Wind erzählt
hatte, nur einmal erproben und dann
meinethalben willig vergehen.
Nur einmal frei. dachte ich. und
meine Sehnsucht ward großen und
größer. Nur einmal frei und mächtig! f
Neben mir verdunkelte plötzlich eine i
der bunten Laternen.
Das Licht darin ist gestorben, dachte
ich mit Schandern. Wie bald und das
selbe Lons wird Dir.
Da hörte ich wieden das eigenthüm
liche Rauschen von vorher. Einen Au
genblict stand mein Herz still, dann
aber tanzte ich fast vor Freude. !
Wind, lieber Wind! ries ich.
Run? sagte er und steckte mit mür- !
rischer Miene seinen Kopf herein.
Mich ergriff noch einmal ein Ban- !
gen.
Wouten Qu- — zeonnren mu- — -
Jch hielt inne.
Mach rasch! sagte et. Jch Habe nicht
viel Zeit fiir Dich.
Wenn ich nun auf Deinen Vorschlag
cinginge? fragte ich schüchtern.
Dann ist allerdings die höchste Zeit,,
scate er mit erbeiiertem Gesicht. Er
stan Deines nahen Endes wegen ler
T 71 so mitleidig hohnvoll aus, wäh
rens er dies sagte, daß mein Entschluß
run felsenfest stand) und zweitens,
såehfi Du, ift jetzt drüben Feuerwerk
und da beachten sie uns nicht.
Ich sah hin, und richtig, da stieg
langsam und majeftiitifch eine flam
!.-.:-nde Rakete anf, Sonnen sprühten
nnd die aanze Aufmerksamkeit richtete
sich auf diese herrlichen Erscheinungen.
Ein obnmächtiges Abbild des
Ichaiifpielcz das Du bald bieten wirft
ikn Feuerglanze Deiner Majestät,
sagte der Wind jetzt feierlich. Los
denn! Beginnen wir!
sein-z gab er mir einige Verhal
tunasmaszregeln und dann blies er
durch das Loch an der Seite.
Jeh fühlte mich empovgehoben, einen
Augenblick schwanden mir die Sinne,
ich meinte vergehen zu müssen. Dann
aber faßte ich festen Fuß. Jin Nu
war die Laterne verzehrt. Darüber
war ein trockenesBretterdach mit über
bängendem Stroh. An die klammerie
ich mich, und nun ging es weiten in
unaufhaltsamem Jugen.
Ich fühlte, wie ich mich ausbreitete,
wie ich fausende Flügel erhielt! Ein
rother Schein erhellte die Bäume und
das blasse Licht der gelben Laterne
war-nicht mehr zu sehen.
Ha, wie ich faufte und klang!
Wie das Meer! Wie das Meer!
jauchzte der Wind, und wie in ge
svannte Segel stürzte er in meine
-4Flammen.
Jetzt hatte ich das kleine Holzhäus
chen der Festgeber ergriffen.
Feuer! Jn des heiligen Gottes Na
SO
men, das Haus drenntl Rette, Hein
rich, rette unser Kind!
Halb wie aus der Ferne erklangen
mir die Worte. Eine mächti ., un
nennbare Freude hielt mich um angen.
Ich wav frei! Jch war mächtig!
Zu dem stillen,nächtlichen Sommer
himmel schlugen meine Flammen-aus.
Röthlich strahlte er wieder, die Sterne
sanken erblassend zurück. Die Blätter
der Bäume rollten sich in der glühen
den Hitze zusammen. Die Blumen im
Grase erwachten und sahen mit er
staunten Angen herauf. Ein angstvol
les Zwitschern ausflattevnder Vögel
und ein leises, klagendes Rauschen
« überall: Das Kind! Das arme Kind!
’ Und dazwischen das angstvolle Krei
schen der-Menschen: Rettetl Rettet!
Jsm ganzen Hause war Niemand ge
wesen. Alle waren hinausgeeilt, das
Feuerwerl anzusehen. Das Kind war
allein.
Mit trostlosen Klagen irrte die un
glückliche Mutter auf und nieder.
Mein Kind! Gott in Deiner Baum
herzigleit gib mir das Kind!
Da eilte Heinrich herbei. Er sah
schön aus in meinem strahlenden Licht
mit dem kühnen, dunkeln Haupt.
Jch hole es! rief er und drückte sie
an sich. Sei ruhig, ich hole es!
Und »Mit Gott!« rief er und stürzte
sich in meine Flammen, die sausend
hinter ihm zusammenschlugen.
Stumm, mit gesalteten Händen
starrte sie ihm nach. Jch verfolgte sei
nen Weg. Schon brannte die Decke
im Zimmer des Kleinen, als ich her
cinstiirzte
Noch unversehrt! Noch unverletzt!
Gelobt sei Gott! so hörte ich ihn stam
meln.
In seine Arme riß er es, daß es
schreiend erwachte und seine Aeuglein
rieb, und nun zurück den schrecklichen
Wea mit dem theuren Kleinod.
Bei dem Gott, den sie anriefen, ich
wollte ihn nicht vertilgen, er sollte zu
riick zu seiner Gattin, mit dem Kinde.
Aber noch ehe er das Zimmer verließ,
itiirzte die Decke, ihres Gleichgewicht-s
beraubt, krachend zusammen. Ein
» Funkenrneeri stob gen Himmel, ein ein
» einer, furchtbarer Schrei aus allen
Kehlen und dann Todtenstille, und
nur meine Flammen leckten und zün
aelten langsam in die Höhe und unter
den schwebenden Balken ruhte fiir im
mer ein tabferes Herz.
Das eFlämmchen zuckte leise und
schwieg. Nach einem Weilchen hob es
wieder an: Du siehst das Ende meines
Werkes. Der Strahl der Morgen
sonne tvas auf kohlende Balken und
eine rauchende Brandsiätte.
Aber um den Platz irrte ein bleiches
Weib im weißen Festgewande. Mit
irrem Blick starrte sie umher und ries
mit seltsam ergreifender Stimme, fle
hend, angstvoll klagend: Heinrich,Hein
rich, bring mir das Kind!
Vergebens beschwor man sie, den
Platz zu verlassen.
Fort! Fort! rief sie. Gönnt ihr mir
nicht meinen herzigen Liebling? O, ihr
beneidet mein Glück!
Sie ist wahnsinnig, sagte das
ssslammchen reise. Wahnsinnig, und
das durch mich. Um mein elendes Le
ben um Stunden zu verlängern, habe
ich das Glück eines Hauses frevelnd
vernichtet.
Cs iouride schwächer und schwächer
nnd zitterte leise. Da erhob sich ein
sanfter Wind und sein Hauch machte
es erlöschen.
Der erschütterte Dichter aber sah ein
schönes Weib mit stillem Wahnsinn in
den Zügen durch die Busche irren.
Ich war so glücklich gestern, hallte
ihre Stimme, so glücklich. Der Tag
wars so schön. Jch danke Dir, Hein
rich.
Und dann mit einem gellenden
Schrei: Wo bist Du? Wo ist das
Kind?
Sie stiirzte hervor.
Fort! schrie sie. Fort! Jhr habt sie
mir genommen! Jhr gönntet mir nicht
mein Glück!
Der Dichter schritt weiter. Eine
Wolke zog vor die Sonne und ihn
fchanderte. Jhm nach schluchzte das
Reib: Ach. ich war viel zu glücklich ge
iterni
orschlagzurcjiite.: « D
fes-Z lL,3,Heirathen Sie meine ältette
Tochter! Se is’ ä reelles Geschäft!"
—- B o s h a st. »Herr Müller er
zählte mir, daß er sich im Hasen der
Ehe sicher und geborgen
fühle.« —- »Natürlich, wo er von ei
nem Drachen bewacht wird.«
— Ein Berliner Junge.
»Mutter, « m e l d e mir aus der
Schule ab, ick mache mir selbst
st ä n d i g, ick hab' heut schon dem
Karte jeholfen Zeitungen austragen.«
— Unangenehm Bang nier:
»Ihr Antrag ist höchst schmeichelhast
sitt mich, Herr Baron —- aber meine
Tochter hat mir gestanden, daß e e t
nen anderen meinerS ulds
n e r l i e b tl«