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About Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901 | View Entire Issue (Aug. 20, 1897)
Sonntags - Platt. Wlascw »Unseng Und Herolds J. P. Wiudolph, Herausgehen — Grund Island, Nebk., den 20. August 1897. — No . 7 , Jahrgang 18 4’ Die schöne CHilltx Von Entma Merk. In Stankerg wurde zum Besten einer Kirche ein Bazar veranstaltet. Der Gedanke war von einigen dort wohnenden vornehmen Damen ausge gangen. Man hatte siir anmuthige Bertiiuserinnen gesorgt und an die Villenbesitzer und Sommersrischley die während des Sommers an dem schö nen See wohnten, höfliche Einladun- ; gen geschickt. i Mancher Familienvater brummte i allerdings: Nicht einmal aus dem Lande sei man von der abgedroschenen Bazarwirthschaft verschont. Was ihn diese Kirche anginget Um so begeister ter waren die jungen Mädchen. Der Zweck liimmerte sie ja recht wenig. Wenn man nur wieder unter Menschen kam und die hübschen hellen Kleider hervorbolen konnte! Seit Wochen lies man in Laden herunt» Es war rein zumBerzweiseln vor langer Weile bei diesem ewigen Regenwetter! Karl Euri, ein.Miinchener Architekt, hatte sich eigentlich gegen seinen Willen mit dem Ausbau und der Aus schmiiclung des Verkauss - Locales be schäftiat Er war von einer hochgestell ten Frau, der sich nicht wohl eine Bitte abschlagen ließ, zu der Mitwir kung ausgesordert worden. Nun stand er im Regen, der wieder beharrlich heruntergoß, aus dem Stege und wartete ziemlich gleichgiltig auf die Ankunft des Dampsers, der die Theilnebmer an dem Bazar von allen Ufern des Sees herbeigeholt hatte. Es wimmelie von eleganten Erscheinun gen; lustige Stimmen schwirrten durch einander. Jn der nassen, grauen Landschast entsaltete sich ein Stückchen bunten-, animirten Stadtlebens. Eure ward eerschiedenen hohen Persönlich ieiten, mehreren älteren und jüngeren Damen dargestellt Er verbeugte sich, sprach ein paar Redensarten, war aber ganz geistesabwesend, ganz zerstreut. Er hatte ein Mädchengesicht vor sich auftauchen sehen, das ihn fassungslos machte, verwirrt vor Entzücken. Noch lag der weiße Schleier wie ein Dust wöllchen über dem dunklen Lockenge wirr, das ziemlich tief in die Stirn hing, iiber dem zarten Oval. Er hatte zuweilen beobachtet, wie solch’ feines Tiillgewebe verschönte, täuschte ——-- doch nein! Sie bedurfte teiner blendenden hülleL Als sie den Schleier wegnahm, sah er erst, wie schön sie war: diese Augen! Tiesschwarz, von weichem Glanz. mit einem räthselhasten Blick, wie aus einer ernsten, heißen Seele! Dieser Wimpernschatten mit den blas sen Wangen! Diese seinen, rothen Lip pen! — — Man war an diesem Nachmittage nur zu einer Vorbesprechung, einer Art Probe zufammengetommem Erst am darauffolgenden Tage sollte die Er öffnung des Bazars ftattfinden. Die Herren des Coinites hatten-Abends noch eine letzte Sitzung. Das schöne Mäd chen hatte allgemeines Aufsehen er regt; man freute sich iiber die reizende Vertäuierin. Es wurde viel über sie gesprochen. Sie hieß Lilly von Wild bera, war aus Baden-Baden und wohnte nun zum Besuch bei Frau Commerrienrath Hettner, ihrer Tante, auf der schönen Villa in Feldafing «Schade, daß sie kein Geld haben sollt« seufzte ein Lieutenant entsa gungsvoll »Arrn wie eine Kirchenmaus ist sie und anfprueböooll wie einePrinzessin,« spottete ein Maler-, der eine dicke, reiche Wirthstochter geheirathet hatte. Curt war plötzlich Feuer und Flamme fiir den Bazar. Er arbeitete noch in der Nacht, um selbst die Buden mit Guirlanden, mit Schilf und bun ten Sehleifen zu fchmiieten Drei Tage lang follten diese herrlichen Augen hier leuchten! Ein freudiger Stolz wuchs in seiner Seele empor. Vor wenigen Jahren noch hätte er sich sagen müssen: diese köstliche Blume sei für ihn uner reichbar. Aber nun war er endlich so weit, daß er wählen durfte, ohne Rück sicht auf Vermögen. Reichthümer be fasz er ja immer noch nicht; aber er konnte einer Frau eine forglose, be hagliche Existenz bieten. Am Sonntag nach Tische begann unter lebhafter Betheiligung der Ver kauf. Lillh hatte Cigarren und Giga retten und feine Liaueure anzubieten. Ein Glück fiir den Architetten, daß die Gläschen so tlein waren! Er hätte sich fonft vollständig vergiftet mit Char treufe und Benedictiner. Seine Ta schen faßten den Vorrath an Manchma terial nicht mehr, den rr sich schon zu fammengelauft. Er wollte doch jede Minute benutzen, um die junge Dame tennen zu lernen, die er mit einer so plötzlich erwachten Leidenschaft be gehtte. Wenn ein Mann dreißig Jahre alt geworden ist, ehe er einer Herzensw gung Raum über sich gewinnen ließ. dann gibt der Verstand, der so lange die Oberherrfchaft führte- mcht is Mich die Zügel aus der Hand. alb hinge rissen, halb als kritischer eobachter, stand Curt vor dank-schönen Mädchen und lauschte aus ihr Gewanden Von überraschender Unwissenheit war sie allerdings; das ward ihm bald klar. Aber swas liegt an dem ärgsten Schnitzer in Geschichte oderGeographie, wenn ein Mund fo bezaubernd lachen kann? Niemand entging ihrem Witz, der an der Bude vorüber kam. Wie reizend ihr der boshaste»«Muthwille stand und wie drollig sieden dauert schen Dialert nachzuahmen wußte! Wenn nur die Stunden nicht so rasch dahinslögen, sobald man sich einmal gut unterhält. »Frau Eommercienrath, morgen be kommen wir sicher einen schönen Tag!« wandte sich Karl beim Abschiede an Lilly’s Tante. Darf ich Sie nicht in der Morgenfriihe im Kahn in Feld afing abholen? Eine Seesahtt ist ja so reizend —« Frau Hettner lachte. »Ich wäre gern bereit. Jch fürchte nur, meine Gesellschaft allein wird Jhnen nicht genügen. Und meine Nichte schläft ja immer bis elf Uhr!" »Aber, gnädiges Fräulein! Bei gu tem Wetter wäre das ja sündhaft! Da machen Sie doch eine Aus-nahm« Sie sah ihn ganz entsetzt an. »Mir ist der Morgen widerwärtig. Jch bin in übelster Laune, ich bin elend, trank, wenn ich früher aufftehe.« ,,Jn diesem Punkte ist sie unerbitt lich,« klagte die Tantr. »Ich habe ihr schon tänigliche Belolmuttgtn verspra chen, wen-a sie etwas vzeitiger zum Frühstück kommen wollte. Aber nicht einmal mit Brillanten läßt sie sich et was von ihren Siebenschläfer - Ge wohnheiten abhandeln.« Curt verging am nächsten und übernächsien Tage vor Ungeduld. Lilly erschien erst des Nachmittags und ward dann von Menschen umringt. Sie hatte ihren Vorrath schon so aus-wer tauft, daß sie eine Preisfteigerung an lündigen mußte· Noch immer gingen die Geschäfte brillant. Ein sehr ju gendlich angezogener älterer Herr, ein erst vor Kurzem in den Adelstand er hobener Baron v. Kraft, wich kaum mehr aus ihrer Nähe, zu Karls wach sendem Aerger. Sie lachte allerdings hinter dem Rücken des Barons über dessen gesarbten Schnurrdartundspsek nen ftutzerhasten Smoling; aber der neue Verehrer, der Curt im Schnäpfeln beharrliche Concurrenz machte, raubte ihm doch jede Möglichkeit zu einem ernsthaften Gespräch. Als am letzten Abend die Verlaufs buden geschlossen waren und Lillh ihre reictygesüllte Kasse abgeliefert hatte, als man nun plaudernd aus- und abging und aus den Beginn des Balles warte te, der die Schlußseier bilden sollte, gelang es dem Architelten endlich, Lillh zu einer Kahnfabrt zu überreden. , lis machte ihr Spaß, dem zubring lichen Baron, der ihr wie ihr Schatten folgte, zu entsliehen und heimlich an start-Z Arm aus dein Saale zu ent-» schlüpsen. Wie Kinder, die der Schule ; entlaufen, sprangen sie an das Seeufer, , guctten sich um, ob ihnen auch Niemand ; folge, und schwammen dann in dem; kleinen Boote in densgoldigen Glanzl hinaus. f , 4 » « I Lrun druckte nch ein Blumenwort in das linke Auge, um das Monocle des Varons darzuftellem und ahmte feine näfelnde Stimme nach. «Wo ift denn blos Fräulein von Wildberg hingerathen2 War doch eben hier — äbem!« ,,Sind Sie fchadenfrob!« lachte Karl. »Ach, lassen Sie mich doch ein bis chen lustig fein! seh babe eine Entschä digung verdient lie, d«efe letzten fürch- » terliciien Wochen; auf er langweiligen I Villa!« « « »War’s fo schlimm? hatten Sie denn keine Bücher-iM »Aber ich bitte Sie! —- Jch kann doch nicht immer lefen! Das ist ja zum Sterben!« ,,Kein Klavier? Sie sind gewiß fehr musikalisch, gnädiges Fräuleins« · Sie lachte. »Ich kann eine einzige Polka spielen! Weiter habe ich’s nie gebracht. Aber Sie begreifen doch, daß Tante fie auch nicht öfter als täglich einmal hören mag.« »Handarbeiten find jedenfalls nicht nach Ihrem Geschmacks Sie malen auch nicht?« »Um Gotteswillenif Wie tornifch Sie fragen! »Mir iftnichts verhaßter, are diese tareiktvattesrx stlvqngsduksik gen Damen, die immer treben und ar beiten! Wozu denn?« s« " « »Aber, verzeihen« Sie, gnädiges Fräulein, was machenSie denn zu hause in Baden-Baden! Ihr Tag geh-»ja Allerdings feHr fpät ern-« neckte er te. »Ob« dann gehe ich fort; man trifft Bekannte und plaudert. Und Nach mittags haben wir doch unfern Laton Tennis-Klub. Oh, das lft fruchtbar luftigtl Wenn wir hier einen· Spiel platz hätten, das wäre ein anderes Le ben! Jch hatte auch Tante schon über redet. Aber bei dem entsetzlichen Wet ter! Wir spielen auch manchmal Ball oder Reiferr Aber Solon-Terms ist doch unvergleichlich! Sie kennen es » doch?« »Werden Sie mich sehr verachten, J gnädiges Fräulein, wenn ich die Frage verneinen muß? Jch hatte niemals Zeit zum Spielen.« Sie sah ihn ganz erstaunt an. Aber warum denn nicht!. Spielen ist doch das beste. was man hat! Es war fee still auf dem See; ganz - leise schlugen ue leichten Wellen an den Kahn. Die fernen Berge schim merten in letzter Abendgluth und von den Rudern flossen goldige Tropfen. Auch über Lillys dunkles Haupt webte die Sonne einen Glorienschein. »Wie schön es ist,« sagte er leise und ließ die Ruder sinken, um nur zu schauen, ——— sich ganz zu vertiefen in das Wunder ihrer dunklen Augen« »Ich hatte niemals so heiß bewegte. so unvergeszliche Tage erlebt wie diese letzten,« gestand er mit veränderter weicher Stimme. Es ward ihr seltsam zu Muthe ir. diesem Abendfrieden, vor diesen Satan neraugen, die sieh so fest, so forschend, so bittend auf sie hefteten. Ein flüch tiger Ernst flog an sie heran: ihr Herz regte sich ein wenig wie in einem schwachen Echo seiner warmen Em pfindung. Aber sie schüttelte die Be wegung ab, wie ein Vogel die Regen tropsen. »Hören Sie nur, die Musik be ginnt! Wir müssen umkehren. Jch will doch noch ein paar Blumen in das Haar itecten vor dem Ball!« »Hüte Sie befehlen, gnädiges Fräu lein.« Er verzieh es ihr nicht, daß sie den Reiz dieser Stunde nicht verstanden, daß sie ihn in diesem Augenblicke er niichtert hatte, in dem er eine Schick salsfrage zu sprechen im Begriff ge standen. Beim Tanze riß er sie gewaltsam, in heftiger Leidenschaft an sich, in Zorn, daß er nicht zu entriithfeln ver mochte, welche Gedanken hinter dieser glatten Stirne pochten, wag dieser glühende Blick bedeute. »Auf Wiedersehen2« rief er ihr mit z erregter Stimme nach, als der Nacht zng sie entführte. Er grollte über sich selber, daß er sie gehen ließ, ohne das entscheidende Wort gesagt zu haben. Am nächsten Tage mußte er seine Eltern beiuchen. Sie hatten sich in der Nähe am Ammersee ein Häuschen ge tauft, in dem sie die Sommerwochen zubrachtem Eg- war ein höchft beschei dener Besitz, eigentlich nur ein Bauern hiittchen und es war ihm nicht recht gewesen, daß sie sich mit dem schlichten Untertommen begntigten. Aber er staunte nun ordentlich, wie hübsch es geworden war. Hellgestrichene Möbel mit bunten Blumen gemalt, altdeut: sche Decken auf den Tifchm Rosen im Garten, Blumen an den Fenstern. Seine Mutter freute sich tindisch über die Bewunderung des Sohnes. »Alle-Z mein Wert, Karl! Jch hab aber ordentlich herumhantirt und ta pezirt und gemalt und geflickt und im Garten gearbeitet!« »Du solltest Dir mehr Ruhe gön nen?« meinte er mit einem besorgten Blick auf ihr graues Haar. Warum Dich so plagen Z« »Aber dass ist doch keine Plage! Das macht mir ein Riesenvetgniigen. Jch kann nicht die Hände in den Schoß le gen, das bin ich nicht gewöhnt.« Seine Schwester war auch zu Be such bei den Eltern. Sie hatte eine Stelle als Zeichenlehrerin und fühlte sich sehr glücklich, daß sie in den Ferien Naturstudien machen konnte. Jn dieser Atmosphäre frischer Thä tigieit, unermüdlicher Arbeitslast er ging es ihm seltsam. Der Gedanke an Lillysloß ihm zusammen mit einem Bilde. das er einmal, —-— er wußte nicht mehr wo, —- gesehen hatte: eine junge Türlin, die aus einem Ruhe bette liegend, sorglos ihren Papagei lieblost, während draußen vor den Fenstern der Straßenlamps wittlieL Er konnte sich von der Vorstellung nicht mehr losmachen. Das Mädchen, das seine Tage verschlies, vertändelte, verspielte und nichts wußte und ahnte von dem Ernst des Lebens, von dem großen Gesetze der Arbeit, erschien ihm in dem deutschen Heim wie eine Fremde, wie eine schön geputzte Ha remstochter. Ein unsiigliches Mit leid überlam ihn. Nur in der weibli chen Lust eines Badeortes hatte sie in diesem Pslanzendcsein auswachsen können, unter Menschen, die ihren Müßiggang mit Luxus und Genuß ansiillen. Am Morgen war sein Entschluß gefaßt. »Ich gehe in die Berge, Mut ter,« sagte er zu der fleißigen Frau, die schon vor ihren Rosenbeeten stand und wilde Schößlinge abschnitt. »Das ist gescheidt, Karl! Wie gerne möchte ich mit Dir laufen!« rief sie ihm nach. Er rannte dahin, als wäre er auf der Flucht vor der Villa am Stam bergerfee, vor seiner Erinnerung, vor feinen tollen Wünschen. Als er nach einer Woche mit ge bräuntem Gesicht und ruhigeren Her zens zurückkehrte, hörte er gleich die Nachricht: Lilly hatte sich mit Baron von Kraft verlobt. »Ein Millionär,« hieß es. »Ein Krösus!« Karl lachte bitter auf. »Der Mann mit dem aefärbten Schnurrbartl Mit dem Manokle!« Er erinnerte sich, wie Lilly iiber ihn gespottet hatte. Aber was blieb ihr übrig? Es war nun einmal das- Los der Mädchen ihrer 's«7lrt, sich an einen reichen Mann zu Verlaufenl Dafür hatte man sie er Zagen! Er schrieb ein paar Glücks-unsch Worie an Frau Commerzienrath Hettnen Als die Karte ankam, saßen die Damen auf der Veranda. »Schade!« sagte die Tante mit ei rem Seufzer. »Ich dachte eine Weile, Gurt bewerbe sich um Dich. Er brannte ja lichterloh. Ueber diese Verlobung hätte ich mich aufrichtiger freuen können-« Lilln schaute mit ihrem heißen dunklen Blick auf den See nsnd lächelte, wie von einer Erinnerung gestreift. »Ach ja, — Herr Curt war ja ganz nett!« erwiderte sie leichthin. »Aber weißt Du, Tante, das wären doch wieder enge, kleine Verhältnisse gewe sen, die ich nicht leiden kann. Wenn mir ein Mann noch so gut gefiele, ich würde mich doch beständig nach einer Equipaae sehnen und nach einem eige nen Haus u. s. w. Aber wenn ich das alles habe, dann lann ich auf das bis chen Verliebtheit ganz leicht verzich ten-ZEIT Paris isj es ja gut!« sagte Frau Esther kiibl und bei sich dachte sie; ,.(J,1:t, daf; der arme Kerl nicht auf äxxre tiefen Glutbangen hereinfiel! 5Wie daz- äuiclxen kann!« -.-.——— Zu der Pranduug Novellette von Marie Boddacrt. Der Nordwind, der des Nachts zum Orkan anschwoll, hatte bis zum frischen Morgen gewiithet und das Bodenkäm Weichen erzittern gemacht, welches Ger rit seit vier Jahren in seiner Schwester Haus inne hatte. Wortlog zog sich tfjerrit mit seiner Tasse in einen Win tel deg Wohnzimniers zurück und blickte finster und verdrossen vor sich hin. Aber keiner tümmerte sich um seine übte Laune, auszer der kleinen Gerrttja dem jiingsten Spröszling der Familie, Gerrits Pathenlind, einem rosigen Blondlöpfehen mit apfelrun dem Gesichtchen. « Draußen klang, bald vom Sturm iibertönt, bald laut emporllingend, das Glocteiigeläute durch die Lust; die tue betbiicher wurden aus dem Schrank gehott und alle gingen zur Kirche, nur Getrit blieb allein zu Hause. Erleichtert athmete er auf, schletpte sich mühsam zum Brunnen, liesz einen kalten Wasserstrahl über seinen glit henden Kopf schiesien und kehrte dann auf seinen Platz zurück. « Nordwind! Nordwind! Keiner kannte ihn so gut wie er. seaite Schauer rennen durch seine Glieder, wenn er hörte, wie der Orkan laut heu lend mit Riesentraft auf das- Haus lossirömte, um sich dann wieder wei terzuwälzen Er hiirte das Meer dröhnen, dröhnen und brausen,und sah im Geiste die iiihnen Bogen der Wel leniämme thurmhoch sich bliihen, ihr-: schäumenden Häupter zusammensch ßeu, um dann mit dumpfem Gedriiisn sich an den Ufern zu brechen. Ja, er sah noch mehr, er sah, wag schon seit einem Jahr nicht geschehen s— aber was ihn seit jenem gräßlichen Sturm unaufhörlich verfolgte, —- ein Schiff mit ausgehifzter Nothslagge, das mit geblähten Segeln dem Ufer zustrebte, und das Rettungsboot, das vom Strand abstieß; er selber saß darin und handhabte die Ruder mit weinum nebeltem, schwerem Kopf und unsiche rer Hand . .. Und noch heute hörte er die befehlende Stimme: «Hinaug mit dem Betruntenen,« aber mit dem un beugsamen Starrsinn der Berauschten hatte er die Ruder nicht losgelassen . . . Alles das ward jetzt lebendig vor seiner Seele und er wähnte noch die starken Arme zu fühlen, die ihn mit Gewalt aus dem Nachen geschleppt. Als er am anderen Mrgen mit wit stem Hirn erwachte, schleppte er sich an’ö Ufer. Der Sturm hatte ausge tobt, das Meer war still und regungs los. Von der Ferne dunkelte ihm das Wrack des Schiffes mit gen Himmel ragendem gebrochenen Mast entgegen. An dem Strand standen die Leute in dichten Gruppen und unwillkürlich schlich er näher, ohne daß sie ihn be merkten. Alle sprachen sehr erregt durcheinander und nur abgerissenc Worte drangen an sein Ohr. »Wenn unsere Rettungsapparate besser wären, so hätte das nicht geschehen tönnen." h meinte der Eine. »Sag lieber, es ist eine Schande, daß unsere Rettungsmannschaft ärger ist, als das liebe Vieh. Jch habe den Einen eigenhändig hinausgeworsenx der Kerl war total betrunken. Wenn er nur beim Fallen den Hals gebrochen hätte der Elende!« Dann theiltensich die Gruppen und fünf Männer trugen die entseelte Hülle eines kaum zwanzigjährigen Jüng f lings, dessen Lippen noch halb geöffnet i waren. »Dort steht der Schurke, den ich ge stern aus dem Boot hinaus-geworfen habe,« rief der eine der Männer, als er den-it erblickte. »Mörder! Du hät-. ieft ihn retten können. Du hast ihn; aetödtet.« ; Starr und todtenbleich stand Gerrit dort. Er sah nicht, was rings um ihn geschah, er hörte nicht, was die» Leute sagten, nur das Eine klang ihm in den Ohren: »Du hast ihn getödtet.« Von diesem Augenblick an war ihm; sein Leben eine Qual. So oft derI Nordwind um das Haus tobte, glaubte» er zu hören: Mörder! Mörder! ...! Reaungslos, den Kopf in die Hand," gestützt briitete er vor sich hin. Das Dorf schien ausgestorben. Alle waren in der Kirche. Plötzlich erhob er fich Was fiir Lärm mochte das wohl dort draußen sein? Behutsam öffnete er die Thiir und spähte hinaus. Ein vor iibereilender Fischer bemerkte ihn. ,,Bo.«n Leuchtthurm ertönt das AlarmfignaL Ein Schiff in Sicht! Ruf Deinen Schwagerk Und der Mann rannte weiter. »Ein Schifft Oh Du mein Gott! Ein Schiff!« Gierrit hatte nur das Eine gehört. Er Zog die Mühe bis über die Ohren und stürmte durch menschenleere Gäß chen fort, hinaus in den Wald, weg von dem Strand, weg, weg! Mit vom Wird aerötheten Wangen und gesenk tem Haupt stürmte er mit beflügelten Schritten vorwärts. Auf der Land straße begegnete er Vorübergehenden; er wich ihnen aus. Ein Trupp Kin der kam ihm entgegen, er schlug einen Seitenpfad ein. Aber überall Und immer hörte er das Brausen des Meeres-, sah er die? fruchtlosen Versuche das Boot loszuH machen, das Aus-werfen des Rettungs T feile-, das- verzweifelte Ringen der ! Schiffbriichigem den Todeskampf, der ; nnwcit vom Strande bei hellem Tag gerungen ward. Besser alJ iraend Jemand wußte Genit, daf: die Fischer des Dörfchens 1!n-,::f«.-E:sictte kkinderer waren. Tarnmi hatt-:- ildn der Gemeindevorstand dem «-1;.-Le:·sonal des Rettunggbootecs einge reilft Er rouszie zu rudernl Keiner kam ihm darin gleich. Wenn er damals ni ci, : rn genesen wäre! zealter Schweiß bedeclte seinen Febr net Dass Meer verfolgte ihn. Je weiter er lief, desto Vorwurfsvoller klang ihm das Brausen in s Ohr. Vielleicht wenn er in’s Wirthshans ginge Seit jenem ewig unvergeßli chen leend hatte sein Fuß sdie Schente nicht betreten Geld hatte er in der Tasche. Aber wie dorthin gelangen, ohne Don Jemandem bemerkt zu wer den ? Die Kirchen hatten sich geleert, auf demTUixarktplatJ wimmelte es von Men schen Jn wahnsinniger Haft bog er in eine Clteliengafse ein, um in der nächstbeften Schenke Vergessenheit zu trinken. ,Onkel, ·Onkel!« rief plötzlich eine Kinderstimme. »Das Siff ist danz nah am Strand und die Leute sa gen — Das Gekla;«per der kleinen Holzpam töffelchen war schon ganz nahe gekom men, Gerrit aber rannte wie toll da von. Plötzlich ftieß er mit der ganzen Wncht feines Körpers an einen Gegen stand, den mehrere Männer trugen. Er strauchelte und fiel rücklings zu Boden. »Er-ißt ihn liegen. Um den isi’s nicht Schade,« rief der eine der Männer verächtlich und sie eilten weiter. Gerritje versuchte ihn aufzurichten »Onlel, hast Du Dir den Topf zer bechen?« fragte die Kleine schluchzend, mit den kleinen Fingerchen die blutende Wunde berührend. »Nicht Schade um ihn,« murmelte Gerrit mechanisch, indeß er sich auf richtete. Zwei Weiber rannten wehklagend vorüber. »Ich kann’s nicht mit ansehen,« jammerte die Eine. »Die armen Leute gehen zu Grunde Denn keiner lann mit dem Rettungsboot umgehen Keiner kann rudern.« Klein Gerritje klatschte m die Händ chen ,,Onkel kann rudelnl Onkel tvirt ilnen helfen!« jauchzte sie. Und ihr mit beiden Händen beim Rock Packend, schleppte sie ihn dem Strande zu. Mechanisch folgte er sihr an das Ufer. Dort auf den Woan lag dac H Schiff, ein Segel - Dreimaster, nnd die Wogen rollten brausend über das dunkle Kippenwert hin und schtugen über dem Berdeck zusammen. Die Mannschast hatte den Kampf aufgegeben und sich in den Masttorb geflüchtet. Vom Strand aus ver suchte man ihnen das Rettungsseil zu zuwerfen, aber der Sturm machte alle Versuche zu nichte. Einige Schritte weiter versuchten ei nige Fischer das Rettungsboot slott zu machen. Aber die Ruderschauseln holten in den brandenden Wogen zu tief aus. ,,Dummköpfe,« brummte Gerrit von der lHöhe der Klippe zusehend. Plötzlich rannte er im Sturmschritt an den Strand hinab, warf die Schuhe ab und bahnte sich halb schwimmend, ljalb watend einen Weg zu dem Boot, das von den Wellen immer wieder zu ritckgeworfen wurde. Helle Schweiß tropfen perlten von seiner Stirn. »Pactt Euch. Zieht das Boot an den Strand,« schrie er mit befehlender Stimme «Der betrunkene Gerrit!« Stillschweigend gehorchten Alle sei nen Befehlen. Sie schleppten das Boot weiter und stiegen ein. Er wählte das schwerste Ruder. -- ,,Rudert, wie ich’s Euch zeige,« be saht er. Die Menge hielt athemlos an dem Boot und seinem Lenker, der regungs los mit zusammengepreßten Lippen, wie an den Kahn genagett, auf seinem Platz saß und mit kaum merkbarer » Armbewegung das Ruder hob und senkte. Er fühlte weder Wind noch Kälte, sondern blickte nur starr aus’s Schiff. Da Plötzlich stürzte der Mast kra chend in die Tiefe Und mit ihm die un rettbar verlorene Mannschast. Gertit war todtenbleich. Jn dem selben Augenblick schoß das Rettung-s seil sausend nieder. »Habt Acht! Ergreift das Seil.« Wie eine sich wälzende Schlange wand sich das Seil auf den Wogen. Der eine der Schiffbrüchigen klam merte fis-Hi mit zitternden Händen da ran. Ein triumphirendes Ausleuch ten ging iiber Gerrits wettergebräunte Wangen Und mit verdoppelier Kraft legte er das Ruder ein. Die Sonne war im Sinken, als Her-site Boot den Rückweg antrat. Die Gieretteten tagen geborgen im Vorte. Gerrii aber hatte seinen Platz wieder eingenommen Barhijuptig, ils-Teich und starr "af7, er am Ruder mit ice Innersten Kraftanstrengung nach einer günstigen Landungsstelle aus«-lu PLUTL »s-- « p-. - J --flsäss Eine Iftjesenwelle erfaßte den Kahn und wirbelte ihn fort. »New ruhig! Nur muthig! über tdnte Getrits Stimme das höllische Brausen Im nächsten Augenblick schleuderte ihn eine zweite Welle über Bord. »Bitte vorwärts,«« rief er, »ich kann schwimmen« Ein Schrei des Entfetzens tönte vom mit der Brandung kämpfend, langsam Strande her· Das Boot näherte sich ? dem Strand, aber Gerrit kam nicht . näher In später Abendstunde erwachte er Zur-i Bewußtsein Er lag in der Putz suibe der Schwester, nahe am Kamin, in dem ein helles Torffeuer loderte. «-' Am Bette stand der Arzt und Frau « Harnis, dieihm mit einem Löffel einen « end-Lernenden Trank einflößte. Es i nirrhte schon spät sein« denn tiefe »Es-Elle herrschte auf den Gassen. »Onkel, willst Du wieder gesund incrden?« fragte eine frische Kinder sziinme Und Genitje lief mit den kleinen nackten Fäßchen herzu und drückte ei nen Kuß auf Gerrits bleiche Stirn. » Bei diesem Kuß flackerte in Getrits . Angen der Funke des- Lebens noch ein mal auf. . »Haben sie sich brav benommen?« · sragte er leise. »Seht brav!« erwiderte Harms nähertretend Alle sind gerettet. Der , Bürgermeister hat heut Morgen er klärt: Wir nehmen den Getrit wieder in die Rettungstnannschaft auf!« Ein ersticktes Schluchzen unterbrach seine Worte. Gerrit warf einen Blick auf seine weinende Schwester, dann auf den Arzt. Er hatte verstanden. »Meine nicht,« flüsterte er, »ich bin ja siegreich aus der Brandung hervor-, gegangen. Besser so zu sterben, als in der Schande zu leben! Besser so! Besser! ...« Als Gerritje am Morgen in später Stunde aufwachte —- denn es hatte sie Keiner geweckt — und das Köpfchen unter der Decke hervorsteckte, sah sie zu» ihrer größten Verwunderung, daß die Jalousien geschlossen waren. Das Zimmer war aber voll mit Menschens und alle sahen ehrfurchtsvoll auf Ger rit, der dalag, so still, so bleich, so kalt. —?)·ie Sklave-ei hart vie Liebe zur Freiheit am stärksten wach. » s f Äs