Image provided by: University of Nebraska-Lincoln Libraries, Lincoln, NE
About Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901 | View Entire Issue (Aug. 20, 1897)
»- Eteyrockgsoodsj Roman von Joief Treumann. (6. FortsetzungJ Jn diesem Augenblick fielen meine Blicke auf den Eckfchrank. Die Thür stand offen, und auf einem der Bret ter gewahrte ich eine Rolle Geld — mehr als ich je in meinem Leben gese hen hatte. Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen, und die rausame Gewißheit drang wie ein Tolchsioß in mein Herz. »Großmut ter!« schrie ich, »wo hast Du das Geld her? Du hast meine Schwester an die fremden Leute verkauft k— sie haben das arme Kind mit fortgenommen!« Die Alte rührte gleichmiithig ihren Gin um. »Was geht das Dich aus« stammelte sie; dann fügte sie energisch hinzu: »Ja, sie haben sie mit fortge nommen, und ich bin den Satansbalg nun für immer losl« · .Wo sind die Leute? Die Leute, die Nun mit fortgenommen? Wie heißen sie nnd wo wohnen sie? Jch muß es wissen!« leuchte ich hervor. Um mich zu beschwichtigen, antwor tete sie: »Es war nur Eine hier. eine dunkle Person mit verschleiertem Ge sstcht. Sie kam vor un efiihr einer Stunde herauf und sagte, re suche ein kleines Mädchen, das sie auf der Stra « — e gesehen habe. Sie wisse von einer " ame, welche die Kleine zu adoptiren wünsche; sie gab teinen Namen an, ließ sich auf keine Erklärung ein und sagte, daß Keines von uns das Kind je wie der sehen solle, daß die Kleine es aber sehr gut haben würde; sie solle wie das Kind reicher Leute gehalten werden. Jch nahm das Geld, das sie mir bot, und sie nahm Nan und fuhr mit ihr in einer Kutsche fort. Das ist Alles,« Jch wußte, daß sie die Wahrheit sprach, und so jung ich war, hatte ich doch schon gelernt, daß es in dieser Welt ein unvermeidlicheöSchicksnl gibt, gegen das man vergebens anliimpft, dem sich Alle unterwerfen müssen. Jn dieser ersten Nacht meiner Trennung von Nan gelobte ich mir, sie zu suchen. »Ich werde sie finden,« sagte ich mir, »und sollten auch Jahre und Jahre darüber oergehen.« Dieser Gedanle gewährte mir einen großen Trost. Am folgenden Tage stellte ich mich neben dem großen Kauiladen aus, vor welchem mich die eine der Frauen ang: sprochen hatte. Eine Equipage nach der andern kam voraefahren. Hunderte von Damen gingen zu den aroßen Flü gelthüren aus und ein, allein leine braune, blatternnarbige Frau ließ sich mit ihrer schönen, lahmen Gebieterin am Arm erblicken, Niemand, der auch nur die entsetnteste Aehnlichkeit mit derjenigen hatte, die ich so emsig suchte. Am nächsten Tage durchwanderte ich die unendlich langen Straßen, schaute zu unzähligen Fenstern empor, blickte in alle vorüberfahrenden Equipagen, musterte allenthalben das Volksge dränge, das sich auf den Trottoirs hin und her schob — doch nirgend entdeckte ich eine Spur von Nan. Dies war der Anfang meines Sn chens, das sich auf Wochen, Monate und Jahre ausdehnte, ohne den ge ringsten Erfolg zu haben. Die Zeit tröstete mich nicht um Nan’s Verlust; nichts vermochte ihren Platz in meinem , Herzen auszufüllen Das Elend in der Allen nahm zu. Die Raufereien und Schlägereien wur den biiufiger, die Bewohner deg Wirth hauses fluchten immer lauter auf den warteligen Treppen; Großmutter i Scrag tranl immer mehr Gin, und die . Treffen, die ich Pietro und den übrigen Knaben der Gasse zu liefern hatte, nahmen an Hestigteit beständig zu. » Jch hatte die Allen von«jeher gehaßt; - nach Rang Verschwinden verabscheute » ich sie mehr, als Worte aus«-drücken , vermogen. Ein Jahr verging. ein zweites und ein drittes schwand dahin, nnd noch immer war in meinem elenden Leben , keine Veränderung eingetreten Nach wie vor bewohnte ich mit Großmutter Serag die erbärmliche Dachftulie, nach f wie vor hatte ich Schläge und Mißs Jhandlungen von ihr zu erdulden, war , ich das Opfer der Sonnenhitze, des Winterfrostes, des Hungers nnd der Entdehrungen. Und während dieser ganzen Laugen - Zeit setzte ich meine fruchtlosen Nach forfchnngen nach der Entführten be barrlich fort. Während diefer ganzen . langen Zeit begab ich mich nicht ein einziges Mal an mein verhaßteiz Tage wert des Bettelns auf die Straßen-, ohne an sie zu denken s— ohne in die fafhionablen Läden und in die Entri ·-, pa en zu blicken, die an mir vornher ro ten. Jcnmer und iiberall stand ich auf der Lauer nach Nan. War sie todt oder lebte sie nochi Diese Frage legte ich mir beständig vor, und dazu gesellte fich die weitere Frage, ob sie » wohl glücklich sein mochte. Litt fie f unger und Frost, und —- oh! —- hatte te Polly vergessen? m dritten Jahre war meine Sehn sn t nach dem Kinde noch stärker als tm ersten; sie steigerte iich zu einem Fie ber, das meinen vom lbanger ausge mergelten Leib und meine ruhelofe Seele verzehrte. Nie werde ich einen Tag in meinem freudlofen Leben vergessen. Die Sonne , schien hell auf die große Stadt hernie der; die Straßen wimmelten von Menschen« die alle froh und glücklich in die Welt zu blicken schienen. - An jenemMorgen hatte ich mich zum erften Male geweigert, nach der Schnapslnide zu gehen und Gin ftt —·«'"' 1 Großmutter Scrag zu holen, und war bei dieser Weigerung hartnäckig ver blieben. Das Resultat war das ge wesen, daß die Alte mich die Treppe hinabgestoßen hatte und mich jth je des Glied meines mageren Leibes schmerzte. Mehr als je vermißte ich die kleinen Füße, die einst neben mir her trgopeltem das zarte Händchem das ein« m meiner Rechten zu ruhen pflegte, wenn wir auf unser verhaßtes Tagewerk ausgingen. »Oh, Nan, komm zurückl« schluchzte ich einmal um das andere, als iw langsam durch die Straßen schlenderte, »nur einmal noch, nur für einen Augenblick zeige Dich meinenVlicken, dann will ich gern zufrieden sein!« Und endlich, endlich fand dieserAuf schrei meines armen Herzens eine Ant wort. Ich hatte den besseren Stadt theil erreicht und stand vor demSchau fenster einer Konditorei. Hungrig, müde und mit sehnsüchtigen Blicken schaute ich auf die Kuchen und andere gute Dinge, die hinter der großen »Spiegelscheibe aufgehäuft lagen, als ? zwei junge Leute an mir vorüberstreif j ten. i Der tJiingere, fast noch ein Knabe, ! wandte sich bei meinem Anblick betrof isen um und blickte mich mit seinen , munteren blauen Augen mitleidsvoll an. I WArmes kleines Ding!« sagte er; »Du möchtest wohl ein wenig von dem Kuchen und dem Zuckerwert da drin ! nen haben?« »Ja « antwortete ich. Er steckte die Hand in die Tasche, zog sie aber leer heraus; er schien i nichts gefunden zu hab en. »,Komm Dicki« rief sein Kamerad lachend aus; »wir kommen zu spät ins Hospital, die Vorlesungen haben be stetig begonnen und dann wird der j Onkel angehalten sein; Du hast kein « Geld bei Dir?« s »Ich habe mein Portemonnaie ver I gessen,« erwiderte der Jüngere; «leihe Z mir einen Vierteldollar. Bei Gott! " Jch habe nie ein so erbarmungswiirdis ges Gesicht gesehen, als das dieses Mädchens.« Der Aeltere gab ihm das gewünschte Geld, sagte aber mit überlegener Miene: ,,Einen Vierteldollar willst Du ihr geben? Welche Verschwendung! Wie närrisch, sich von dem Jammergesicht J einer Straßenbettlerin bethören zu " lassen; eH gehört mit zu ihrem Gewer be, eine klägliche Fratze zu schneiden.« Mit gutmüthigem Lächeln steckte der »Dick« Genannte mir das Geld in die Hand. ; »Da, mein liebes Kind,« sagte er isreundlich, ,,siehst Du, um Deinetwil len habe ich Schulden gemacht; nimm sdas Geld und tause Dir Kuchen da ! für. Wie heißt Du denn?« »Pollv-« z ,,Polly? Wie weiter?« I »Das ist Alles.« »Wirtlich? Das ist ja ein merk zwiirdig kurzer Name. Wo wohnst « sDUtZU ,·’llin s immerls willen, Dick, so i tomm doch« ries der Aeltere ungedul I dig · ; Dies waren die letzten Worte, die ich vernahm, denn in demselben An: genblict erfpähte ich in dem dichten Wagengewiihl der Straße eine höchst elegante Eqiiipage, die langsam an dem Printtc, wo ich stand, vorüber fuhr. Es war ein foaenannter Lan dauer. Die Pferde waren prächtige Thiere in glänzendem Geschirr, der Kutscher trug eine fashionable Livree und hatte ein fieifes, pompöfes Aus sehen. Jn der Equipage saß eineDame mit einem Kinde; sie trug eine reiche Tot lette, Diamanten blitzten an ihrem Busen und in ihren Ohren, ein präch tiges Pariser Hütchen bedeckte ihre schönen Locken, die ihr hübsches-, blei ches Gesicht uintoallten. Jch erkannte sie auf den ersten Blick. Und das Kind neben ihr? Mein Herz pochte gewaltig auf und schien dann plötzlich still zu stehen. Jn veil-« chenfarbenen Sammet mit Spitzen und Stickereien gehüllt, während das Licht der Sonne auf ihre zarten, rosi gen Wangen und ihre langen, goldenen Locken fiel, saß Nan! Einen Augenblick stand ich wie ver steinert da; dann aber sprang ich mit einem Schrei, der die Blicke aller Uni stehenden aus mich lentte, von dem Trottoir auf den von Wagen aller Art blorlirten Damm. »Nun! Nani« rief ich Das Geräusch der Straße über tönte meine Stimme; das liebe Kind hörte und sah mich nicht. Nicht so die labme Dame. »Nan! Nan! Nan!« rief ich wieder, so laut ich vermochte. Die Dame fuhr plötzlich zusammen; sie wurde leichenblaß — eine unbe schreibliche Angst malte sich auf ihrem Gesicht; sie schlang den Arm um das liebliche Kind an ihrer Seite und rief dem Kutscher zu: »Schneller fahrent« Die muthigen.Thiere zogen rasch an. und bald verlor sich der glänzende Landauer unter dem WagengetviihL Ohne zu wissen, was ich that, lief » ich dem Wagen nach und rief verzwei ; fett aus: »Halt! Halt!« ’ Niemand achtete auf meinen Ruf. Jch gerieth zwischen einige Wagen; Pferdehufe klirrten rings um mich her. Der Landauer entfernte sich immer weiter; ich vermochte ihn kaum noch zu sehen. Noch eine verzweifelte An strengung machte ich, ihn einzuholen. Mit lautem Auffchrei streckte ich den Arm aus« ais ich plötzlich zur Erde gefchleudert wurde. Hufe und Räder gingen über mich hin —- es schien, als ob mein Leib zcrquetscht werden sollte. Der Erste, der mir zur Hilfe herbei eiltc, war der gutmüthige Jüngling; er zog mich unter den Hufen der Pfer der hervor Und ich hörte ihn sagen: »Sie ist arg verletzt, das arme Ge schopr « Eine andere Stimme antwortete in gereiztem Ton: »Es ist ihre eisene Schuld; den Kutscher trifft kein or wurf.« »Wir müssen sie nach dem Hospital bringen. Gott sei Dank —- da biegt eben eine Ambulanz in die Straße ern.« ,,Haltet die Kutsche an!« rief ich mitten in all meiner Qual; »die Ermi page mit der Dame —- und dem —" kleinen — Mädchen ——« Dies waren die letzten Worte, die ich hervorbringen konnte, dann schwand mir das Bewußtsein. — 9. Capitel. Nach einer Abwesenheit von sechs Jahren befinde ich, Jris Greylock, mich wiederum in New York, das ich in meinem Leben nie wieder sehen zu müssen hoffte. Jch war genöthigt, meine letzten Schmucksachen zu ver laufen, um die Reise von New Or leans zu bestreiten, meine Juwelen, die Trophäen so vieler errungener Tri umphe. Es sind jetzt zwei Jahre verflossen, seitdem mein Elend begann. Wäh rend dieser ganzen Zeit habe ich Han nah Johnfon nicht einen Dollar Lohn bezahlt; dennoch harrt sie bei mir aus, nicht sowohl aus Liebe zu mir, als vielmehr, weil sie auf eine nachträgliche Entschädigung hofft, wenn ich das harte Geschick, das mich jetzt nieder beugt, überwunden haben werde. Wer de ich es je überwindeni Wir haben in einem unscheinbaren Viertel ein Kosthaus bezogen, in wel chem der Tisch herzlich schlecht und die ganze Umgebung verdächtig ist. Arm und zugleich wählerisch sein ist ein doppeltes Unglück. Jch finde leine Worte, um meinen Abscheu vor der Armuth auszudrücken, in welcher Ge stalt sie sich auch offenbaren möge; seit ich Luxus undWohlleben gekostet habe, ist meine Abneigung gegen Entbeh rungen um das Hundertfache gestiegen. Wahrhaftig, ich vermag dieses Leben nicht länger zu ertragen, es muß etwas geschehen! Jch habe Hannah heute nach einem Wagen ausgeschickt Wir sind dorthin gefahren, wo ich einst mit dem armen psiobert lebte und litt. Dort, so dachte ich bei mir, werde ich sicherlich Aus lunft iiber unser Kind erhalten. Ein Daichstich drang mir durch das Herz, als wir in die Straße einbogen, und ich bemerkte, daß das Haus-, in dein wir gewohnt, verschwunden war. t««"5 war niedergerissen worden, um ei nem großen Geschäftslotal Platz zu mach-en. Arbeiter waren noch damit beschäftigt, den Schutt und die Trüm iner hinwegzurijumen. Meine ehemalige Wirthin und ihre Dienerin Martha —- wa waren sie? Vergeblich suchte ich die Arbeiter nach ihnen augzufragen. Jch hinkte in der zianzen Nachbarschaft umher, in der Hoffnung Auskunft zu erhalten, doch alle-J war vergeblich. Muthlos und niedergeschlagen ließ ich mich von Han nah wieder in den Wagen heben, und als er sich wieder in Bewegung setzte, brach ich in ein bitterlichcg Weinen aus. »Was soll jetzt werden? Oh, Han naht« sagte ich unter Schluchzen zu der neben mir Sitzenden »Ich habe diese lange, weite Reise gemacht, habe meine letzten Schmuckfachen verkauft, um Auskunft über das Schicksal mei nes Kindes zu erhalten« und was Ist dass Resultat-)- Die Wirthin und ihre Magd sind fort, Gott weiß wohin; die Arbeiter sagen, das Haus habe fchon Jltcsnate lang vor dem Abbruch leer ge standen. Du würdest besser daran thun, mich meinem Schicksal zu über lassen.« »VerlierenSie den Muth nicht, Mir darne,« antwortete Hannah; »es gibt Kinder genug in der Welt, und für ein paar Tollars können Sie sich jederzeit eins laufen.« Eine ganzeWoche lang habe ich mich umsonst bemüht, Auskunft iiber den Verbleib meiner ehemaligen Wirthin zu erlangen. Das Theater, in dem ich einst tanzte, hatte einen neuen Direk tor. Jch muß sehr vorsichtig zu Werte gehen. Nicht um Alles in der Welt möchte ich haben, daß meine frühean Belannten von meiner Anwesenheit in der Stadt Kunde erhielten, am aller wenigsten, das; sie erführen, weshalb ich hierhergeiommen bin. Selbst Han nah fängt an, entmuthigt zu werden, um so mehr, da wir genöthigt sind, an diesem elenden Platze unser Kostgeld iin Voraus zu entrichten. »Es scheint, El.ltadan1e,« sagte sie diesen Morgen zn mir, »das-, unsere letzten Hilfsmittel erschöpft sind-« Sie wird mißmuthig; sie läuft wahrscheinlich bald auf und davon. te s t Heute ging ich mit Hannah aus, um mir etwas Bewegung zu machen Jch darf unter keinenllmständen hier kra .1k werden; es hieße das Maß meines Ungemachs zum liebes-fließen voll ma chen Jch schleppte mich bis zum Pari; i dort ließ ich mich erschöpft auf einein Sitz nieder. ,,Hannah!« so sprach ich, ! ,,bei meiner unglückseligen Gebrechlich steit ist es mir unmöglich, durch’g Le ben zu gehen, und wer soll mir eine Equipage liefern, in der ich fahren kann-i« »Die Grehlocks von Blaclport, Ma dame,« erwiderte Hannah. Jhre Worte veranlaßten mich zu tiefem Grübeln, aus dem ich endlich durch herannahende Fußtritte aufge riittelt wurde; ich blickte auf und sah eine Kinderchaise, die ein Dienstmäd chen vor sich herfchob; ein anderesKind Mpfte mit einem Reisen neben der agd her, deren ftruppiges Aussehen mir fchon von Weitem bekannt vor kam. Sie näherte sich, und ein zweiter Blick verschaffte mir Gewißheit; es war Martha, die Dienstmagd in dem Hause, das ich mit Robert bewohnt hatte. Als sie die Stelle erreichte, wo ich faß, erhob ich mich und klopfte ihr auf die Schulter. Das dumme Geschöpf hatte mich gar nicht bemerkt. »Mut tha!« sagte ich, indem ich auf das Kind in der kleinen Chaise deutete, »wo ist mein Baby? Was hast Du damit angefangen?« Nie sah ich eine so erschrockene Krea tur! Natürlich erkannte sie mich; ich habe meine einstige Schicknheit noch nicht ganz verloren. Mit einem wilden Auffchrei blieb sie f vor mir stehen. »Gerechter Himmellf » Und jetzt kommen Sie noch, Madame? s Soll mich denn das Babh bis in den? Tod verfolgen?« Dann faßte sie sich plötzlich Muth und blickte mich trotzig an. »Sie haben es ja selbst mit fort genommen,« sagte sie; »Sie wissen, daß Sie es thaten; ich erzählte es al len, und Niemand zweifelte daran.« Jch fühlte mich sonderbar bewegt. »Martha, wer hätte gedacht, daß Du so klug wäreft?« sagte ich; ,,komm’, setze Dich neben mich auf diese Bank und erzähle mir Alles.« Sie gehorchte ohne Widerstreben und theilte mir mit, was geschehen, seitdem ich mich an jenem Abend aus dem Hause entfernte. Sie verbarg mir nichts. Und als sie mir nun Al les mitgetheilt hatte, was sie wußte, erhob ich mich mit einem freudigen Gefühl, das mir aus der Seele kam. »Martha, Du bist klug,« sagte ich, »natiirlich nahm ich felbft das Kind mit fort. Hielt irgend Jemand es für möglich, daf; ich mein Kind im Stiche lassen würde, als ich die Stadt ver ließ? Jch wollte Dich nur zur Strafe für Deine Nachlässigkeit ein wenig er schrecken-« Jch ließ sie, starr vor Verwunde rung mir nachgasfend, aus dem Flecke stehen und hintte, aus Hannah’s Arm qestiitzt, weiter. »Es war mein Mann, der das Kind sort nahm,« sagte ich zu meiner Gefährtin· »Was that er aber damit?« fragte Hannah »Kannst Du es nicht errathen? Er begab sich in derselben Nacht nach Blackport, nahm aber das Kind nicht mit sich. Warum? Weil es gestor ben war, ehe er die Stadt verließ.« »Sie hahen einen scharfen Blick, Madame!« rief Hannah »Nun, höre weiter: Er erzählte den Seinigen Nichts von dein Tode seines Kindes, denn sonst hätten sie keinen Boten abgeschickt, um Mutter und Kind nach der Entdeckung von No bert’3 Leiche nach Blackport bringen zu lassen. Wie Martha mir mittheilte, sagte der Mann, der in dem Hause vorsprach, Godsrey Greylock habe ihm aufgetragen, mich und das Kind nach Grenlocks Woods zu bealeiten. Der Bote kehrte mit der Antwort zurück, daß ich geflohen sei, und das Kind mit mir genommen habe. Aller Wahr scheinlichkeit nach ist die Geschichte nie widerlegt worden.« »Nun, Madame?« drängte Hannah athemlos. »GodsreyGreylock ist einer der reich sten Männer in dem Staate und hat keine Erben,« antwortete ich. Wir kehrten nach unserem Kosthaus zurück. »Jetzt gut es einen ruynen Streich um Rang und Reichthum!« rief ich. Sodann ergriff ich eine Feder und schrieb folgende Zeilen an Miß Pamei la Greylocl zu Grenlock Woods bei Blackport: »Mit gebrochenem Herzen, lebensmiide und voll nnaussprechlicher Trauer um ihn, der mich einst liebte und dieser Liebe Alles zum Opfer brachte, schreibe ich diese Zeilen, um Sie, geliebte Tante, die, wie er mir oft erzählte, einst Mutterstelle an ihm vertrat, zu bitten, mir iiber seine letzte Unterredung mit Jhnen Mittheilung zukommen zu lassen. Sprach er Von mir — sprach er von seinem kleinen unschuldigen Kinde — that er es in liebevollen Worten? Wenn Sie das Herz eines Weibes besitzen, so gewäh ren Sie mir den Trost, mich wissen zu lassen, daß seine letzten Worte uns galte. Jris Greylock.« Heute erhielt ich folgenden Brief von Miß Pamela Greylocl: »Jn der Unterhaltung, die mein unglücklicher Nefse in der Nacht seines Todes mit seinem Vater hatte, lehnte er entschie den ab, sich in irgend einer Weise über Sie zu äußern. Seines Kindes er wähnte er kaum. Als er im Begriff war, aus dein Hause zu stürzen, bat ich ihn, mir von dem Kinde zu erzäh len; er antwortete mir, er habe keine Zeit dazu. Von liebevollen Worten war leine Rede. Mein Neffe war mein Liebling; ge gen das Schicksal seines Kindes kann ich keine Gleichgiltigieit erheucheln, die ich nicht fühle. Es hieß, daß die Kleine sehr krank war, als ihr Vater starb. Jst sie wieder genesen? Jst sie wohl? Gleicht sie meinem unglückli chen Neffen? Berstehen Sie wohl, daß ich diese Fragen aus meine eigene Verantwortlichkeit an Sie richte und ohne das Wissen oder die Zustimmung Irr-y!-Is««.« « »«.;--I-s-«n meines Bruders, der sich gegenwärtig im Auslande aufhält und der meine Handlungsweise sicherlich mißbilligen lvürde.« Jch tlatschte entzückt mit den Hän den. Wer hätte das gedacht, daß der arme, gute Robert in feiner letzten Un terredung mit seinem Vater so diskret sein würde? Natürlich verabscheut diese Miß Pamela schon meinen Na men; sie glaubt alle die schlimmen Dinge, die ihr über mich zu Ohren lamen. Jedes Wort in ihrem Brief-e ist ein verdammendes Urtheil über die Wittwe ihres Neffen. Von den wenigen Dingen, die ich noch in meinem Besitze hatte, nahm ich ein zwei Jahre altes Zeitungsblatt und schnitt folgenden Passus heraus: »Mit tiefem Bedauern vernehmen wir, daß Mademoiselle Sylphide, die rei zende Tänzerin, gestern Abend im Me tropolitan - Theater einen schweren Unglücksfall erlitt. Sie fiel durch eine aus der Bühne angebrachte Fallthüre und zog sich einen doppeltenBeinbruch, wie andere ernstliche Verletzungen zu; es ist sehr zu befürchten, daß sie nie wieder im Stand sein wird, das Pub likum mit ihrer Kunst zu entzücken.«s Diesen Ausschnitt schloß ich in ei-. nen an Miß Pamela adressirten Brief ein, der folgendermaßen lautete: »Meine Kleine ist von ihrer Kranheit völlig genesen; sie ist gesund und träf tig, das leibhaftige Ebenbild ihres un Nückticknn Vawrs In chr sindeich meinen einzig-en Trost für die Vergan genhrit,rnrine rinmge Hoffnung für die Zukunft. Wie Sie aus dem beisol genden Zeitungsausschnitt ersehen werden, wurde ich vor zwei Jahren von einem großen Unglück heimgesucht, ih UHerhktt durch næüæ Kunst nrich und meinen Liebling in Komfort, wenn auch nicht in Luxus, als die Rachliisüakeit eines Bühnenzimmer manns meiner triumphreiehen Lauf bahn für immer ein Ziel steckte. Hätte s der Gedanke an mein Kind mich nicht s aufrecht erhalten, so wäre mir der Tod i erwünscht gewesen. Das Geld, das iich mir erspart hatte, schmolz rasch da i hin. Jch veräußerte meine Juwelen s und alle meine übrigen Werthsachenz I; jetzt, nach zwei Jahren, bin ich dem i Verhungern nahe und sehe die Thore I des Armenhauses sich meinem Kinde l öffnen. Jch frage Sie, was soll aus » Robert Greylocks Tochter werden, da » ich, ihre verlrüppelte, hilflose Mutter, : nicht mehr im Stande bin, für sie zu i sorgen?« J Il- Al· Heute erhielt ich zu meiner Freude einen Check auf dreihundert Dollars, nebst einer kurzen, kalten Epistel von Miß Greylock, worin sie Anfpielungen auf eine gerechte Wiedervergeltung macht. Sie lehnt jede weitere Corre spondenz mit mir ab, bis sie von ihrem Bruder hierzu ermächtigt ist, dessen Rückkehr demnächst zu erwarten steht. Sobald er ankommt will sie ihn auf die dürftigen Umstände, in denen sich Iseine Enkelin befindet, aufmerksam machen. Die dreihundert Dollars wer den geniigen, um mich aus meiner au genblicklichen Verlegenheit zu befreien und mir zu einem anständigen Witt wenanzuge zu verhelfen. Jch hatte nie um Robert Trauer angelegt; jetzt aber, sechs Jahre nach seinem Dahinschei den, muß ich mich in den Witwen schleier hüllen. Hannah hat einen Wagen bestellt. Diesen Morgen be suchen wir die Läden. Jch erwarte ei nen harten Kampf mit Herrn Godfreh Greyloclz er ist von Vorurtheilen ein genommen; sein Herz ist hart wie Dia mant; er kennt keine Sentimentalität, wie seine Schwester; allein ich fühle es, ich werde ihn doch besiegen, denn — das.Kind wird bis dahin gefunden sein. 10. C a p i t e l. Die Amseln san-sen im Park Von Greylock Woods. Es war Juni, und die Welt prangte in Blüthen. Das Gabelsriihstiick war eingenom men. Der alte Greylock erhob sich von seinem Armstnhl; er schritt, von meh reren Hunden gefolgt, zum nächsten Fenster und blickte hinaus. Sechs Jahre waren seit dem ge heimnißvollen Tode Roberis verflos sen; Godfrey Greylock hatte seit jener Zeit sehr gealtert. Die Linien in sei nem Gesichte waren tiefer geworden; die Haare um seine Schläfe waren ge bleicht; seine Augen blickten mit ver doppelter Bitterkeit in die Welt hin aus. ,,Pamela!« sagte er zu seiner Schwester, ,,warum fragst Du mich nicht über meinen Besuch bei unseren englischen Verwandten in Sussex?« »Ich hatte noch keine Zeit dazu, Godsrey. Du bist ja erst gestern Nacht nach Hause getommen.« Er liesz seine Blicke über den großen Rasenplats, die mit Eichen und Nabel holz gekrönten Anhöhen und die Schluchten schweifen. Die Spring brunnen leuchteten wie Regenbogen in der Sonne; riesige Töpfe mit Palmen, Aloepslanzen und Hibiskusstauden säumten den langen Fahrweg ein. »Ich sah in ganz England nichts Liebliche res als Diesi« rief er unwillkürlich aus-. ,,Driiben,« fuhr er fort, »haben sie etwas, das wir Amerikaner mit all’ unserem Gelde uns nicht erkausen kön nen —- ich meine nämlich alterthümli ches Gepräge und Traditionen. Der Familiensitz Greylock Parl i«i Sussex ist ein vrächtiges altenglisa"««3 Anwe sen, und Sir Gervase, das «--«.-genwii: tige Haupt der Familie, ist ein stattli eher junger Mensch, der sein«-T Namens würdig ist. Jch habe nie e·:1en inter essantercn Jüngling gesehes«: er be sucht jetzt die hohe Schule von Eton — und liegt seinen Studien mit Eifer od. Es ist meine feste Ueberzeugung, daß er eine glänzende Zutunft vor sich hat. Schon vor Jahren habe ich mein To stament gemacht, Pamela; dieser Be such bestärkt mich in der Ansicht, daß ich nichts Besseres thun kann, als Ger vase Greyloct zu meinem Erben einzu setzen.« Miß Pamela stand wie versteinert da und starrte ihren Bruder an. »Der letzte Baronet war ein Ber schwender, der einen großen Theil sei nes Vermögens mit lüderlichen Kum panen vergeudete,« fuhr Godfrey fort, »das Besitzthum des amerikanischen Vetters wird daher Gervase nicht un gelegen kommen. Natürlich habe ich Dir eine Jahresrente und unseren Dienern Legate ausgesetzt; diese Ver mächtnisse abgerechnet aber fällt mein Vermögen ihm zu.« »Godfreh! Das kann Dein Ernst nicht sein!« rief Miß Pamela in höch ster Erregung aus; »es ist zu grau sam! — Du kannst und wirst ein sol ches Unrecht nicht begehen!« Der alte Herr sah die Schwester scharf an und entgegnete zornig: »Wie soll ich Deine Worte deuten, Pa mela?!« Das Blut der alten Dame war in Wallung gerathen; für den Augen blick vergaß sie jede Scheu. »Du hast eine Erbin, die Dir näher steht alsSir Gervase; hast Du Deine Enkelin, die Tochter Deines Sohnes, das Kind des armen, unglücklichen Robert ganz Ver gessen? Wie Ungerecht Du bist! Sie steht Dir am nächsten und sollte Dir am theuersten sein! Bedenke die Sa che reiflich, ehe Du sie zu Gunsten eines Fremden, der nie auf amerikanischcr Erde stand, ihres rechtmäßigen Erbes beraubst.« »Die Kreatur, die Du meine Enke lin nennst, Pamela,« höhnte er, »ist für mich ein bloßer Schatten; ich habet sie nie gesehen und wünsche sie auch niel kennen zu lernen; sie mag existiren oder todt sein; in beiden Fällen küm mere ich mich nicht im Geringsten um das Kind der Mademoiselle Syl phide.« »Das ist sehr bequem,« antwortete Miß Pamela, »Du hast Dir ja keine Mühe gegeben, Dir über das Schicksal der Kleinen Gewißheit zu verschaffen; Du hättest nicht sechs Jahre damit warten, sondern längst Nachforschun gen anstellen und sie um Roberts wil len hierher bringen sollen.« Es war das erste Mal in ihrem Le ben, daß Pamcla es wagte, ihrem Bruder gegenüber einen solchen Ton anzustirnmen. Er blickte erstaunt unds zornig auf sie und sagte endlich: »Bist Du von Sinnen, Pamela?« Verlangst Du von mir, daß ich noch jetzt jenem elenden Weibe nachspüre; ? hätte ich überhaupt die Macht gehabt,. Iihr das Kind wegzunehmen, selbst-: . wenn sein Vater mein Sohn wars« Miß Pamela fing an zu zittern. »Godfreh!« sagte sie, ,,wünschest Du « den Aufenthalt des Kindes zu erfah i ren, würde es Dich rühren, wenn Du hörtest, daß es in Noth und Mangel lebte?« Greylock wurde ungeduldig »Liebe « vernünftig, Panielaz wenn das Kind lebt, so ist es höchst wahrscheinlich daß es von seiner Mutter bereits für die Bühne erzogen wird; ohne Zweifel hat die Kleine schon ihr chnt im Balle-i gemacht.« »Das Kind lebt, es ist gesund und munter,« antwortete Pamela; »allein es befindet sich nicht auf der Bühne; auch ist die Wittwe Deines Sohnes keine Ballettänzerin mehr.« Der alte Mann blickte sie scharf m Und sagte: ,,Woher weist Du das Al les?« Miß Pamela zog ein Couvert aus der Tasche und erwiderte ruhig: »Bo: einigen Wochen wurde ich durch den Empfang dieser Briefe von Roberköi Wittwe überrascht. Hier, nimm und lies sie, auch meine Antworten, von de nen ich mir Abschriften behielt, damit Du sehen kannst, was zwischen uns vorfiel. Du wirst in diesen Papieren Alles finden, was ich in Bezug auf Robert’s Kind erfuhr.« Godfrey erwiderte kein Wort; er nahm indessen die Briefe, die Pamela ihm reichte, durchflog sie und wars sie, nachdem dies geschehen, mit verächtli cher Geberde von sich. »Mit Mademoi selle Sylphides Beruf ist es also auss« sagte er; »sehr schlimm für sie! Sie theilt Dir indessen nicht mit, ob sie ih ren Verehrer noch hat!« ,,Godfrey! Jch verachte dies Weib ebenso sehr wie Du,« entgegnete Miß Pamela lebhaft; ,,allein seit ich ihre Briefe las, schwebte mir Noberts Kind Tag und Nacht vor den Augen. Denke an ihre Leiden und Entbehrungen — es ist zu viell« Ein dunkler Schatten zog iiber sein Gesicht hin. Nach kurzem Schweigen sagte er: ,,-Pamela! Jsch bedaure, Dir sagen zu müssen, daß Du wie eine Jrrsmnige gehandelt hast. Die Tän zerin findet in Dir ein leicht zu bemü rendes Ovserz sie ist ein freches Ge schöpf und versteht ihr Geschäft. Es war thöricht von Dir gehandelt, daß Du von ihren Briesen überhaupt No tiz nahmst. Was das Kind anbe langt, so ist es seiner Mutter Tochter, und dieser Umstand allein verdammt es in meinen Augen siir immer. Ger vase mag sich immerhin als mein Erbe betrachten, denn das Kind der Tän zerin lann nie einen Dollar von mei nem Vermögen erben!« »Es mag vielleicht gerecht sein,« ent gegnete die alte Dame, »aber es ist seht grausam!« Gortietzung soigt.)