« Ereyloctigsoods Roman von Ioskf chnmumh (5. Fortsetzung) Die Bestiirzung lähmte Mr. God fren einen Augenblick die Zunge; dann warf er dem Eindringling einen Blick zu, der eine Furchtsaine schleunigst wie der zum Fenster hinaus gejagt hätte; zu den Furchtsamen aber gehörte Mercy eben nicht. ,,Al7!« sagte er end lich, »ich kenne Sie jetzt; Sie sind das junge Frauenzimmer aus dem Gasthof von Blactpvrt: Sie machen mir da eine merkwürdige MittticilungZ hat mein Sohn etwa auch Jhre Liebe erwidert?« » Mercns dunkles Gesicht nahm einen wilden Ausdruck an; sie preßte die Fal ten ihresSbawls heftig zusammen und stieß sast zornig hervor: »Das geht jetzt weder Sie noch irgend einen Anderen etwas an; sprechen wir nicht von den Dingen der Vergangenheit; er ist todt — der Tod wischt Alles aus-. Sie wa ren mit der Schwiegertochter, die eer) nen gab, nicht zufrieden. Würde ich Ih nen besser zugesagt haben"i« ,,Entschieden nicht. Woher mein Sohn seinen niedrigen Geschmack in Liebesangelegenheiten hatte, weiß ich wirtlich nicht,« war die rasche und jpöttische Antwort. m.« - - Ucl Kopf Eies Jungen Acllockchls siberragte den des Mannes um mehrere Zoll; mit verächtlichem Lächeln blickte sie ans ihn nieder und sprach ernst: «Wir wollen diesen Gegenstand nicht weiter verfolgen, denn ich will Jhxe Gefühle nicht verleyenz ich kam nui hierher, unt Sie zu fragen, ob Sie wirklich glaubten, daß Jhr Sohn sich selbst das Leben nahm?« » »Ganz gewiß glaube ich das.« »Blinder IJtanltvurs!« fuhr Mercy aus; »ich dachte, Sie hätten mehr Scharfsinn als die Anderen; allein ich sehe, daß dies nicht der Fall ist. Ro bert wurde ermordet Mniedergeschosszn wie ein Hundi Wie tlng Dr. Jarois und die anderen Esel von Blaclport sich -bei dem anuest ausdrückten! Was be wies die Pistole, die neben ihm gefun den wurdes Nichts! Seine Taschen wa ren nicht beraubt worden. Was bewies dieser Umstands Nichts! Morden die Menschen nur, um zu rauben? Er war nicht der Mann, sich in einein Ansall von Niedergeschlagenheit das Leben zu nehmen; seine Natur war zn elastisch— zu wantelmiitbig zu einem solchen Schritt. Weder die Untreue seiner Frau —- cie sehen, ich kenne auch diese Ge schichte — noch der starrköpfige Zorn seines Vaters hätte Robert zum-Selbst mord getrieben. Ich sage Ihnen, er wurde ermordet!« Der alte Greylock siiblte sein Blut in den Adern erstarren. Dieses tühneWeib hatte ein eigenthiimliches Wesen. »Er tnordet!« wiederholte er betroffen. »Ja! Jst Ihnen der Gedanke noch nicht in den vornehmen Kops gekom men? Wie blind sind Sie! Lassen Sie mich Jhnen noch ein weiteres Licht an stecken. Sie selbst sind sein Mörderl« Mr. Grenlock prallte zurück, als ob er einen Schlag erhalten hätte. »Tolll)iiuslerin! Was wollen Sie damit sagen?" Mercy sit-note oncrre in dein Zimmer umher. »Die5 ist ein gemüthliches Plätzchen!« rief sie wild; ,,war es ebenso hier in der Nacht des Todes — Licht, Wärme und Wohlgeruchs Wa rum haben Sie ihn nicht hier behalten? Waren Sie es nicht, der ihn hinaus tried, dem tödtlichen Schuß entgegen« Seines Vaters Dach hatte ihn in jener Nacht schützen sollen; hier wäre tein Meuchelmörder eingedrungen. Sie stie ßen ihn aber hinaus, seinem Schicksal entgegenzugehen —- Sie, der ihn mit einem einzigen gütigen Wort hätte ret ten lönnen. lind Sie wagen es, zu sa gen, daß Sie nicht seinMörder ,ieien?!« »Das geht zu weit! Jhre Liebe zu meine-n Sohne hat Jhnen, wie ich fürchte, den Verstand geraubt.« »Sie wollen mir also nicht glau ben?!" ries das junge Mädchen. »Mein Sohn starv durch seine eigene hand. Diese Thatsache ist aus das Ue berzeugendste dargethan worden, und es bedarf etwas mehr als der Faseleirn einer jungen Person, die einer Wahrh sinnigen gleich in mein Haus eindringt, tun diese meine Ueberzeugung umzustrp March maß ihn verächtlich vom-tout bis zu den Füßen. »Selbstsiichtig, lalt und grausam!« sagte sie langsam; ·in.it nicht mehr Blut in den Adern als ein Fiichi Kein Herz in Jhrer Brust! Ja, er wäre noch am Leben, wenn Sie ihn nicht hinausgestoßen hätten; Sie, God steh Grehloch sind sein Mörder, sein Blut schreit in dieser Stunde zumhiw » met wider Stel« Dies war mehr, als der alte Herr zu ertragen vermochte. Er litngelte wit thend, und ein Diener erschien unter der Thüre. ,,Weisen Sie diese tolle Creatur hinaus, Harrijt« kichrie er dem Manne entgegen. Mercy Poole folgte dem Diener mit höhnischem Lächeln. Aus der Schwelle wandte sie sich noch einmal tm und sagte mit ruhiger, fester Stimme: »Ich habe Jhnen die Wahrheit gesagt, und Sie werden meine Worte nicht bergei sen! Sie sind sein Mörder; trotz all’ Jhreö Reichthums werden Sie nie wie der Frieden aus Erden finden!« Sie legte die Hand aufs herz und suhr be wegt sort: »Und ich s— auch ich habe durch diese mörderische Au et jede Freude am Leben verloren. nd nun aute Nacht und süße Träume, Godirey Greyloclt« ·- -- —- — 8. C a p i te l. ---—Aus den besonderen Wunsch ei nes Mannes, der mich mit seltener Güte behandelte, daß ich mich stets ver pflichtet siihlen werde, selbst seinen lei sesien Wink als Befehl zu betrachten, entschließe ich mich, Ereignisse aus mei nem früheren Leben zu erzählen, die zu den trauriqsten gehören, sdie ein Rin dergemiith treffen können. Jch kann es jetzt um so eher thun, als alle Bitterkeit von damals von mir gewichen, cin ver söhnlicher, milder Geist in mein Inne res eingezogen. Das erste Haus, dessen ich mich als meiner Heimath zu entsinnen vermag, war eine elende, baufällige Mieths-Ba racke in einer schmutzigem sinsteren Gasse, in die das Licht der Sonne nie mals drang, in der die Menschen wie Schafe in einem Pferch zusammenge paclt lebten. Ueble Gerüche Und noch etelhastere Unterhaltungen waren in jenem Hause im der Tagesordnung. Jeder einzelne Jnsasse schien ebenso la sterhast wie arm zu sein. Priigeleien auf den Treppen nnd in den Corrido ren, hin und wieder auchMesserassairen oder brutalr Mißhandlungen armer Weiber seitens ihrer beitnnlenen Män ner waren tägliche Vorkommnisse nicht nur in Unserem Hause, sondern in dem ganzen Viertel, dem verrufensten der Metropole. Ganz oben unter dem Dach des al ten Hauses befand sich eine Stube, in der egsim Winter bitter kalt, im Som mer glühend heifz war. Sein Licht er hielt diesesGemach durch ein sogenann tes ,,Slylight«, denn Fenster waren nicht vorhanden. Der ths fiel in Stücken von den Wänden herab, die Thür war so in ihren Angeln eingew stet, daß sie nicht zu verschließen war· DasMobiliar bestand aus einem wacke ligen Tisch, zwei oder drei Stühlen, ei nem Hausen Lumpen, der als Bett diente, und einem zerbrochenenOfen,in dem es fast unmöglich war, ein Feuer . in Gang zu bringen« selbst wenn die Bewohner des Zimmers sich einen soli cksxn Lurus erlauben wollten. Jn einem Ertschrant befanden sich zwei oder drei zerfprrtngene Schüsseln, eine Flasche Gin und zuweilen ein Korb vollSpeise lleberreste, die auf mühsamen Bettel giingen von Haus zu Haus eingesam melt worden waren. lind in dieser Stube, unter demDach dieser elenden Baraete, lebte ich mit Nan und GroßinutterScraa. Jch hatte dort gelebt, soweit mein Gedächtnifz zu riictreichte. Jn unserer Allen waren Nan und ich alH die Kinder der alten Scrag bekannt; ich aber hatte mir in folge meiner außerordentlichen Bösar tigteit, die sich in Kratzen und Beifzen und wilden Balgereien mit den ande ren Kindern des Gäßchens offenbarte, den besonderen Beinarnen ,,Firöte« er worben. Jch nannte Nun meineSchwe ster, obwobl ich leinen Grund zur An nahme hatte, daß sie wirklich in dieser verwandtschastlichen Beziehung stand Wir waren prosessionelle Bettlerin nen. Bei gutem Wetter wurden wir aus die Straße geschickt, um mildthätige Leute um Almosen anzugehen oder an den Gasthofthiiren um Ueberbleibsel von Mahleeiten zu bitten. Nan war ein oder zwei Jahre jünger als ich, und ich selbst tonnte nicht mehr als sechs oder sieben Jahre alt gewesen sein, als sich merkwürdige Dinge zutrugen. Grausamteit und Entbehrungen al ler Art hatten mich zu einer Zeit, da andere Kinder noch barmlos mit ihr:n Puppen spielten, derbittert und altklug gemacht; man tann es daher nicht aus fallend finden, dafz ich, noch so jung, schon Eindrücke erhielt, die an Kindern gleichen Alters sonst fast spurlos vor über-zugehen pflegen Eines Tages sandte Großmutter Scraq — sie verdanttr diese Benen nung weniger ihren Jahren als dem Umstande, daß sie, nur aus Haut und Knochen bestehend, wie ein altes Groß miitterchen zusammengeschrumpst war —- die tleine Nan nach der Schnauz ««bude an der Ecke der Gase nach Gin. Mit der Flasche und einem Stück Geld in ihren kleinen Händen machte sich Nan aus den Weg. Sie stieß aufPietro, einen italienischen Knaben· den Sohn eines Leiertastentnannes, der eine be nachbarte Dachstube inne hatte. Ost hatte ich mich mit dem kleinen Burschen gebalgt und ihn jedesmal be siegt. Vielleicht war es die Erinnerung an diesen Umstand, die ihn setzt veran laßte. Nan einzugreifen. Schnell wie "derLBlitz, wars er sie nieder, entriß ihr das-Geld und die Flasche und rannte dadon - kxnuss se --- JU- Uclllulslll UUV chuslcl Ucl Illkls nen, während ich mich mit einem Korb Kohlen die Treppe hinauf miihte. Aus der Stelle setzte ich meine Last nieder und eilte aus die Gasse herab. Noch hatte ichsdiese nicht erreicht, als ich eine Moment-Stimme rufen hörte: »Lani’, Pietra! Da tonimt die listige Kröte: sie wird Dich schön zurichten! Lauf!« Die Warnung kam zu spät. Wie ein Rachegeist stürzte ich durch die Schnur ver zerlumyten Kinder und der trief ätgigem ungetämmten Weiber, die auf Nans Geschrei herbeigeeilt waren, wie eine Wildtatze sprang ich auf Pietro zu und ergrifs ihn an seinem braunen hals. Er war größer und stärker als ich; dennoch zitterte nnd bebte er in tödtli chem Schrecken vor mir. »Qh Polly, Polly!« schluchzte Nan, die in mir eine Retterin und Nächerin erblickte; »er hat die Flasche zerschlagen und mir das Geld genommen!« Jch kaufte Pietros Haare aus, ists wiirgte ihn und stiesz seinen hübschen dunklen Kopf argen die Mauer. »Da-I Geld oder ich bringe dich um!« zischt« ich wie ein kleiner Satan. Vergebens-J suchte er sich von mir loszumachen, während die Umstehenden aus vollem halse lachten. ,,Bravo! Sie wird es ihm besorgen!« rief eine Stimme; eine andere ließ sich vernehmen: »Sie ist Mannes genug fiir Drei in Deiner Größe; nimm Dich in Acht, Pietro; sie ist dem Teufel selber gewachsen!« »Ich habe das Geld verloren!« leuchte Pietra, als ich ihn eben wieder mit dem Kopf gegen die Mauer stieß. »Laß mich los, Pollu, ich schwöre bei meiner Seele, ich habe das Geld nicht mehr!« Er hatte wirklich die Wahrheit ge sprochen. Seine Beute war fort; irgend ein anderer Gassenjunge hatte sich da mit aus dem Staube gemacht; an eine Wiedererlangung des Geldes war da her nicht zu denken. Jch schlug und stieß ihn, bis ich müde war; dann nahm ich Nan bei der Hand und ging mit ihr die Treppe hinaus nach unserer Dachstube.« Jch wußte wohl, was un serer dort harrte. Pietro wußte es auch, denn er brüll ie mir schadenfroh nach: »Warte nur, Du Kröte, jetzt kommt die Reihe an Dicht« « Und so kam es denn auch. Als Groß mutter Scrag das Schicksal des Geldes und der Flasche vernahm, fiel sie wie eine Furie über die kleine Nan her. Schlag auf Schlag fielen ihre harten Knochenhände aus das zarte, weiße Fleisch der Kleinen nieder. Jch ver mochte es nicht länger mit anzusehen. Eine ganze SchaarDämonen schien sich meiner zu bemächtigen» und ich stürzte mich mit solcher Muth zwischen die Beide-T da Großmutter Scrag, die infolge ii ermäßigen Gin - Genusses schwach aus denBeinen war, in’s Wan ken gerieth und der Länge nach auf den Boden nieder stürzte. ,,Wage es noch reinmal,« rief ich, »Nun zu schlagen, Du alte Hexe! Prügle mich, soviel Du :willst, aber laß es Dir nicht einfallen, ie wieder Hand an die Kleine zu le gen’!« Großmutter Scrag erhob sich lang sam oomBoden; sie war durchaus keine hübsche Frau; ihre Nase berührte fast ihr Kinn, sie hatte grausame, schielende Augen und borstige eisengraue Haare, die sich unter dem Saum ihrer schmu nigen Haube hervordrängten. Alle die Lumpen, die sie anhatte, rochen nach Gin. »Warte, Du schwarzer Satan!« leuchte sie, ich hatte nämlich schwarze Augen und Haare, und mein kleines. dünne-s Gesicht war braun, wie das ei nes Arabers. Sie packte mich beim Hals-, und in weniger als drei Minuten war das stolze Siegesbewußtsein völlig aus mir geschwunden; mein ganzer Leib war wie zu Brei geschlagen. »Hast Du nun genug, Poll?« krächz te die Großmutter-, als sie ihre Kräfte an mir erschöpft hatte. »Willst Du je wieder Nan’5 Antheil aus Dich neh nien?« »Ja!« rief ich trotzig; ,,lieber magst Du mich tödten als sie anrühren!« Es war nicht ihre Absicht, mich zu tödten; ich war ihr zu werthvoll, allein sie warf mir einen Blick zu. »Es ist böses Blut in Dir, Poll,« sagte sie;,,Du kommst von einer schlim men Rate. Nun, wie Du willst; mir ist’s gleich, welchen von Euch Bälgen ich dresche; am Ende ist’s leichter, Ei nem gleich eine doppelte Portion zu ge ben! So, jetzt nimm eine andere Fla sche und hole mir Gin.« Jch gehorchte. Nan schlich mir nach und hielt sich an meinem zerlumpten Kleide fest; ich schlang meine zerschla genen Arme um sie. »Fürchte Dich nicht,Nan,« sagte ich srohlockend, »Dich wird sie nicht mehr schlagen; soviel we nigstens habe ich durchgesetzt; ich allein werde fortan alle Prügel kriegen.« Es war ein Sieg, der mich theuer zu stehen lam. So oft Großmutter Scrag von dieser Zeit auf Nan zürnte, stürzte sie auf mich zu und prügelte mich un barmherzig. Sie liebte keine von uns Beiden; gegen mich aber war ihr Haß besonders giftiger Art. Viele grausa meZiichtigungen hatte ich umNanswiL len zu erdulden; nie aber lehnte ich mich dagegen auf, nie bereute ich meine Großmuth. Die Schmerzen, die ich fiir Nan litt, dünlten mich siiß. Man muß nun einmal etwas zu lie ben haben. Schon als Kind war ich so unglücklich, eine Natur zu besitzen, der - Liebe und Anhänglichkeit unentbehrlich ) waren. Von Religion wußte ich so wenig wie ein Hottentotte, die Bande der Blutsverwandtschaft waren mir ein Buch mit sieben Siegeln. So lam es denn, daß Nan mein Alles war. ; Tag siir Tag sandte Großmutter Scra uns zum Betteln aus« Aus den Stragen lernte ich bald die Macht der Schönheit kennen. Mich blickten die Leute unwirlch an und liehen meinen Bitten ein taubeö Ohr; wenn sie aber in Nan’s zartes, weißes Gesichtchen mit den großen Veilchenaugen und den goldgelben Locken blickten, blieben neun unter den zehn stehen und gaben uns einen Cent. Ohne Nan’s Gesicht hätte ich an manchen Tagen schlechte Ge schäfte gemacht. JUIDIUM Mulden Wlk Voll Ucllglckk gen Damen und Dienstmädchen nach unseren Namen und unserer Wohnung gefragt, und dann mußte ich die mir eingebläuie Jammergeschichie von un serer armen, lieben, alten Großmutter erzählen, vie-schwer krank darnieder liege und kein Geld habe, um ihre Mie ihe zu bezahlen und Arzneien zu kau fen. Jch war keine gewandte Lügne rin; wenn ich zu scharf ausgefragt wurde, gerieth ich gewöhnlich in’s Sto cken und ergriff die Flucht. Die schüchterne und furchfame Nan überließ alles Sprechen mir; sie klam merte sich stets an meine Lumpen an, ließ ihr li-: blichexi Gesicht für sie reden und dieses war weit beredter als meine T Zunge. Sie war ein zartes-, kleines Geschöpf. Noch jetzt denke ich mit Ge nugthuung daran, daß ich stets mein Bestes für sie that. Wenn es regnete, so bedeckte ich sie mit meinen Lumpen; wenn sie vor Kälte zitterte, so erwärm te ich sie mit meinem Leibe, wenn wir Beide hungrig waren und nur wenig zu essen bekamen, so ließ ich ihr die Hälfte von meinem Antheii. Zuweilen wanderten wir- durch die Straßen nach einem großen Platze, wo es Bäume und Springbrunnen und Sitze gab, aus denen man aus-ruhen konnte; weiter hinaus fanden wir einen Part, schattige Bäume, Blumenbeete und einen Teich, aus dem Boote und Schwäne umher schwammen. Es war ein Paradies fiir uns arme Kinder aus der Alley. Der Sonnenschein, die Blüthenpracht und all’ die Schönheit um uns her machten uns weinen. »Oh Polly —1iebe Polly! Laß Uns hier bleiben und nie wieder zu Groß mutter Scrag zurückkehren!« bat Nan, als wir eines Tages im Parke gewesen waren. Allein in unserem Eden lauerte der Versuchen Eines Tages streckte Nan vermessen ihr Händchen aus und pflückte einige Blumen vom Rande ei nes prächtigen Beetes. Jn demselben Augenblick sah ich einen besternten und betniippelten Wächter der öffentlichen Sicherheit herannahen; voll Schrecken riß ich Nan die Blumen aus der Hand und floh entsetzt mit ihr davon. Wir wagten es seitdem nie wieder, unser Paradies zu betreten. Und jetzt komme ich, die ehemalige Straßenbettlerin, zu jenem wichtigen Tage, der so entscheidend in unsere Ge schicke eingriff. - Bevor Großmutter Scrag uns am Morgen dieses Tages zum Betteln aussandte, hielt sie es fiir angezeigt, mir folgende ernste Warnung angedei hen zu lassen. »Ich bin nicht gesonnen, Euch zwei nichtsnuizige Bälge länger umsonst zu behalten,« rief fie. »Poll, Du schwarzer Satan, warum erzählft Du den Leuten nicht von Deiner ar men, sterbenden Großmutter, die ihre Miethe nicht zahlen kann? Habe ich Dich nicht Dein ganzes Leben lang er nährt; bin ich nicht Deine Wohlthätc rin? Und dennoch wette ich darauf. daß Du keinem Menschen fest in’s Auge schauen undDeine Geschichte ohne Stottern undErrötken erzählen kannst. Daher kommst Du Nacht um Nacht mit nur etlichen Kupfermünzen nach Hau se; wird es nicht besser, so werfe ich Dich rtopfiiber die Treppe hinab!' Jch verließ mit Nan das Haus« um mich an mein Tagewerk zu machen, das ich von ganzer Seele haßte. »Ich bet tele heute keinen Menschen an,'« sagte ich mürrisch. »Oh Polln, thue es doch; Großmut ter bringt Dich sonst umt« flehte Nan. »Mag sie es thun, wenn sie willk« erwiderte ich trotzig. »Was fie wohl damit meint, wenn sie sagt, ich habe böses Blut in mir?« fragte ich meine unglückliche Genofsin. »Was hast Du denn für Blut, Nan? Es kann nicht dasselbe sein, wie meines, weil Du fo weiß und hübsch bist.« ,,Sie wird uns heute rein Averro brod geben,« antwortete Nan; ihr war am Abendbrod mehr gelegen als an ir gend einer Blutsfrage Wir trabten weiter durch die Stra ßen und hielten endlich in einer der Hauptftraßen der Stadt vor einem un geheuren Schaufenfter, das mit den prächtigften Waaren angefüllt war, dort wollten wir die feinen Damen aus ihren Equipagen steigen und in ihren reichen Gewändern durch die großen Thüren treten sehen, die sich ihnen wie durch Zauberkraft öffneten. Dann und wann sahen wir eine dieser vornehmen Damen von einem in Sammt und Seide getleideten Rinde begleitet, des sen Anblick mein Herz mit lebhaftem Neid erfüllte. »Nan,« sagte ich, ,,wiir dest Du nicht weit prächtiger aussehen, wenn Du, wie diese Grasaffen in ge stickte Kleider gesteckt und mit Spitzen und Bändern behangen würdest? Du könntest sie Alle beschämen mit Deinem goldgelben Haar, Deinen rosigen Wan gen und leuchtenden Augenl« Nan schmiegte ihren kleinen Locken kopf zärtlich an meinen Arm. »Wir wollen mit einander fortlaufen, wenn wir groß sind,« antwortete fie. Dies war unser Lieblingstraum die Hoffnung, die uns in allen Entbehren gen aufrecht erhielt; wir hatten hundert Mal davon gesprochen. Es war mein fester Entschluß, sobald ich groß genug zum Arbeiten wäre, die Alleh und Großmutter Scrag zu verlassen und mit Nan nach unbekannten Regionen zu entfliehen. Plötzlich lam eine Kut sche daher gerollt; sie hielt vor dem gro ßen Laden, und zwei Frauen — eine Dame und ihre Dienerin — stiegen aus. Die Letztere war dick, braun und hatte ein gemeines Aussehen; ihr brei tes Gesicht war von Blatternarben ent stellt. Die Dame fah sehr hager, bleich und fast mädchenhaft aus. Sie tte schöne dunkle Augen und Haare, a ein ihre Kleidung war nicht so elegant wie die anderer Damen, die wir gesehen, und sie hinlte stark. »Treten Sie vorsichtig auf, Ma dame,« hörte ich die Dicke sagen, als sie der Dame ihren Arm zur Stütze bot. Plötzlich fiel mir ein« daß ich noch keinen Cent für den alten Hausdrachen eingenommen hatte; ich trat daher rasch vor und streckte meine Hand aus. »Bit te, Madame, geben Sie mit ein Almo- i sen!« sagte ich stammelnd. Die Dame blieb stehen und blickte zuerst mich und dann die kleine-Nun an. »Großer Gatti« rief sie plötzlich aus. Die dicke Blatternarbige faßte Ran beim Arm. »Wer ist dieses .Kind?« fragte sie mich; auch ihre Stimme be tundete große Aufregung Eine unertlärliche Furcht machte mich- vom Kopf bis zu den Füßen er beben; ich wußte mir selbst feine Re chenschaft darüber zu geben, allein ein s geheimer Instinkt, flüsterte mir zu, daß « Nan in Gefahr sei. »Sie ist meine ! Schwester,« antwortete ich rasch. s »Das ist eine Lüge!« sagte die Dicke. s »Ihr seht einander ganz und gar nicht i ähnlich. Wem gehört das hübsche T Kinde-« s ,,- «iemandern, « erwiderte ich. ,,Hat sie keine Eltern?« fragte sie athemlos. »Nein, « antwortete ich. Die Dicke wandte sich zu der iahmen Dame und sagte in leisem Tone: »Es ist ein kleines Bettelmädchen ohne Hei math und Angehörige; könnten Sie eine bessere Gelegenheit haben? Han deln Sie entschlossen, Madame, sonst sind Sie verloren!« Die Dame schiert zu zögern. »Wenn Sie nichts wagen wollen, Madame, so können Sie auch nichts gewinnen!« sprach die Dicke eindring lich- zog eine kleine, abgenutzte Börse aus der Tasche, nahm eine Silbermün ze daraus und reichte mir diese dar. »Hier, Du kleine Schwarze,« sagte sie zu mir, »nimm dieses Geld, laufe nach der nächsten Konditorei und kaufe et was Zuckerwerk siir das hübsche Kind; ich will hier bei ihr warten, bis Du zu rückkommst.« Der Knisf war zu durchsichtig; ich durchschaute ihn auf der Stelle; sie wollte sich mein-es hübschen Lieblings bemächtigen. Jch warf die Silber .niinze wiithend auf das Trottoir und siel mit den Zähnen und Fingernägeln uber die Hand her, die des Kindes Arm bereits ergriffen hatte. ,,Lafsen Sie meine Schwester logi« teuchte ich; »was wollen Sie von ihr? Die Hand weg, oder ich beiße!« Nun fing ietzt vor Furcht und Schre cten laut zu weinen an. Die Vorüber gehenden blieben stehen, um zu sehen, was es gebe. »Um’s Himmels Willen, Hannal1,, laß sie gehen!« rief die Dame in größ ter Besorgniß. Mit einem unterdrückten Fluch ließ die Braune Nan los; wir aber machten uns sofort auf die Fersen und floh-en. An der ersten Straßenecke wandte ich mich um und blickte zurück. Die Stra ße war voll von Menschen; in ihrer Mitte aber erblickte ich die dicke braune Frau, die uns mit raschen Schritten nachsetzte. Wir wurden also verfolgt. Die Furcht verlieh mir eFlügel. Zurn Glück drängte sich eine großeMenschen inenge auf dem Trottoir hin, und so winzige Geschöpfe wie ich und Nan wa ren nicht leicht im Auge zu behalten. ,,Hurtig, Nan, « rief ich meiner armen, zu Tode geängstigten Begleiterin zu »Das böse Weib ist hinter uns her; sie will Dich von mir wegnehmen!« Nan wiinmerte leise und verdoppelte ihre Anstrengungen. Wie weit wir verfolgt und beobachtet wurden, weiß ich nicht. Jedenfalls hat ten wir der dicken Braunen viel zu schaffen gemacht. Ich war sehr flink und zog die kleine Nan energisch mit mir fort. Wir bogen in zahlreiche Ne benstraßen und dunkle Gäßchen ein, und als wir endlich unsere Allen er reichten, waren wir in Sicherheit. — Nirgendg war eine Spur von unserer Verfolgerin zu erblicken; sie mußte der langen Heiz· agd müde geworden sein, und wir kletterten nun die Treppe des alten Hauses empor, um Großmutter Scrag unsere Gefahr und Errettung zu erzählen. J- L:. 0s71- k----kc-- mä Jclk lLPLUI lu- UIL ass( ULLULHLIH ist-I sie auf einem zerbrochenen Stuhl unter dem »Skylight« saß und mich mit ih ren Geieraugen anblictte, während ich meine Geschichte vorbrachte. »Du dummes Ding!« rief sie endlich aus, ,,warum hast Du dieSilbermünze nicht behalten, die die Frau Dir bot? Wa rum brachtest Du sie nicht hierher zu mir? Sie hätte mir sicher noch mehr Geld gegeben, und ich hätte Euch etwas Gutes gekauft; es hätte ein wahrer Feiertag werden können! Hoffentlich kommt sie noch.« Dann forschte sie mich genau über das Aussehen der beiden Frauen aus; ihr Gesicht nahm einen mißvergnügten Ausdruck an, als ich ihr sagte, sie hät ten durchaus nicht elegant ausgesehen. »Es waren also keine reichen Leute!« rief sie ärgerlich. Eine gewisse Scha densreude ergriff mich in diesem Au genblicte, und ich antwortete keck: »Du möchtest Nan wohl wie ein Stück Vieh verkaufen?« Kaum hatte ich dies gesagt, da fiel sie über mich her und prügelte mich braun und blau, dann schickte sie mich wieder auf die Straße zum Betteln, be hielt aber Nan bei sich in der Dachstube. Mit want-geschlagenem Leibe und schwerem Herzen begab ich mich an meine verhaßte Arbeit. Es reute mich jetit sehr, daß ich der Alten von den bei den Frauen erzählt hatte. Das Elend, das sich in meinem häßlichen, dunklen Gesicht ausprägte, mußte die Aufmerk samkeit der Vorübergehenden erregt haben, denn ohne darum zu bitten, er hielt ich von allen Seite7« ·»5ents, eine alte, als geizig derschrieekitsr Obsthändle rin an einer Straßenecke .ies mich so gar freundlich zu sich und gab mir ei nen schönen rothen Apfel. Sobald ich es wagen durfte, eilte ich . meinen Feind, als er vorüberging, bog nach der Alleh zurück. Kurs diese erreichte, erblickte ich eine m F die langsam auf dem Trottoir ; dem Eingang zur Gasse hin schritt; - hatte das Aussehen einer auf derLa s stehenden Person; ein dichter Schlequ verhiillte ihr dunkles Gesicht. Dennoch erkannte ich die Fremde arg-. der Stelle, und ich bin überzeugt« da auch sie mich wieder erkannte. Durchg? den Schleier hindurch hefteten sich ihre-s scharfen schwarzenAugen auf mich, und es schien, als ob sie mich anreden wollii te; sie unterließ es indessen, wandte sich um und schritt rasch und geräuschlos davon. Jch flog durch die Gasse nacht dem alten Haus und eilte die Treppe hinauf. »Nan! Nani« schrie ich aus vollem Halse. O welche Freude! Es war ihre zarte Stimme, die mir antwortete. »Ist Jemand hier gewesen, Nani« fragte ich, als ich oben angekommen war, »und wo ist die Großmutter?« »Es- ist Niemand hier gewesen,« ant wortete sie zu meiner großen Beruhi gung, »und die Großmutter ist krank; sie liegt auf dem Bett.« Jch Verstand, was- dag zu bedeuten hatte. Jn dem Eckschrank befanden sich erbettelte Speise - Uebereste. Nan und ich begaben uns- auf die Treppe hinaus, um unser Abendbrod einzunehmen, denn der Gin - Geruch in der Stube war fast betäubend; ich gad Nan den schönen Apfel, den die Obstverkäuferin an der Straßenecke mir aeschenkt hatte. »Wie gut Du gegen mich bist, liebe« liebe Prsllh!« sagte die Kleine, indem iie strit- dicht an mich schmiegte und ihre zarten Arme um meinen Hals schlang. Lange Zeit saßen wir in stummei Uixtarmuna auf der Treppe. Jn dem » Fiorridor unter uns war wie gewöhn lich ein Streit ausgebrochen, Männer - und Weiber schimpften einander it « fremden Sprachen. Allmälia brach di Ttunkelheit herein. Der Leierkastew mann, welcher die —anftoßende Dach- « sinke inne hatte, kam staubbedeckt unt miide die wackelige Treppe herauf, hin: " ter ihm Vietro, der einen Affen in ro: tlxer Jacke und Mütze trug. Jch zwickt stj «gxi«";is-DW -.« ii haft ins Bein, was ihm einen laute Schmerzensschrei entlockte. Jn einem Zimmer wen unter umz wurde lustig gegeigt; ich achtete indes sen nur wenig daraus, sondern dacht » beständig an die braune, dicke Fra - und fragte mich, ob sie wohl noch imxz mer draußen auf der Lauer stehe. Nakj wurde endlich schläfrig; ihr tleinejs Lockenköpfchen lehnte sich schwer arjs neine Schulter. O »Komm, lasz uns hineingehen,·« sccgtks ich, worauf wir uns in die Stube zu, ruckbeqaben, wo die Alte noch imme; in trunkenem Schlummer auf denk Haufen Lumpen lag, der ihr als BetTT diente. Nan und ich streckten uns au· den harten Dielen unter dem »Stip ligbt« aus, blickten durch die zerspran; genen Glasscheiben zum nächtliches-L Himmel empor und suchten die Sterngls an dem riesolauen Firmament zu zähskiJ len, bis wir endlich Beide einschliefe Am folgenden Morgen geschah, wer-IT . ich am meisten fürchtete; GroßmuttejIf M Scrog schickte mich wiederum allei i kenn Betteln aus. --.- »o Jccm oul meinem-, uuui vegieueu z diirfen, und noch jetzt denke ich mis Entsetzen daran, wie die Alte mit ih; rem Stoel zwischen uns fuhr und mi T-, so heftig zur Thür hinausftieß, daß i i die Hälfte der Treppe hinabfiel. Ak ich mich wieder erhoben hatte, blickt - ich zurück und fah Nun s kleines-, liebt licheg Gesicht von Thränen beneizt thi der Thiir der Dachstube It »Adieu, Pollh —- liebe, gute Pollyli rief sie schluchzenv Ihre goldenecf Locken wallten um ihr kleines Gesicht ihr zerlumptes Kleidchen flatterte it dem Lustzug. Noch ein letztes Kuß bändchen warf sie mir zu, dann zog da widerwärtige Weib fie unfanft in da, Zimmer zurück. —— Oh Gott, ich hatt Nan zum letzten Male gesehen! An diesem Morgen lief ich in dej ganzen Nachbarschaft der Alley umhet » und spähte allerwärts nach der brau- i nen Frau; ich fiirchtete, sie möchte irDX gendwo in der Nähe lauern. Zu mei ner großen Beruhigung aber war kein-« Spur von ihr zu entdecken: ich fing be reits an zu hoffen, daß ihre Nachfor. fcbungen nach Nan erfolglos gebliebsr — feien, trieb mich trotzdem beständig ii der Nähe der Gasse und des Hauses « umher, obfchon ich wohl wußte, daß i wegen diefer Vernachlässigung meines. Tagewerkes grausam gezüchtigt wer den würde; allein ich fah nichts Beun i ruhigeiides. Stunde um Stunde verging; id. hatte noch keinen Cent eingenommen ich entfernte mich endlich aus unseren Viertel, kehrte aber nach kuraer Zeit zu « rücl und ging endlich nach Haufe. · ; uer Katze gleich schlich ich die Trepp ; hinauf und öffnete die Thür der Dach :lainrner. Großmutter Scarg befan« fich allein darin, wie faft immer, auc » h·eute bei ihrer Ginflafche i »Wo ift Nan?!« rief ich athemlos. I Sie blickte mich von der Seite arv f »Wo ift das Geld, das Du eingenom l men haft?« »Ich habe keins —- teinen Cent! schrie ich. ,,Wo ist Nan?« fragte ic wiederholt. . Fortsetzung folgt) . —- Nach der Verlobung »Vater der Braut (zum angehend ;Schlviegerfohn): . «. Meine Fra s ift seit einem Jahre todt —— hier ih» lBild; fehen Sie es an und dan werden Sie erst recht Jhr Glück b greifen!« j i i l l 1 t