Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, June 25, 1897, Sonntags-Blatt., Image 13

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    »s- « IM.
—
Yer Vierte-rinnen
dumoeesie von Albert Iiodettch
Eine bochelegante offene Kutsche mit
vier Pferden in reichem Silbergefchirr
hielt vor meinem kleinen Gartenhnusr.
Ein Kutscher in nobelster Livree saß
auf dem Bocke, und im Wagen befan
den sich zwei Männer, eine Frau und .
drei Kinder. Der eine der beideän
ner stieg aus dem Wagen und schritt
durch den kleinen Boogarten in’shaug.
Jch glaubte in denr Manne meinen
Schneider erkannt zu haben. Aber das
war ja ganz unmöglich. Trotz der
scheinbar-i Umsiöglichteit trat im
nschsten Angenbllicke mein Schneider,
HerrSchindeL zu mir ins Zimmer.
Vor itatrrer Verwunderung erwiderte
ich kaum seinen freundlichen Gruß.
»Ja, Sie wunnern sich woll, nich? ’n
Schneiden und so’n Vierspänner, nich?
Gebt aber Alles mit richtigen Din en
, u, und ich swollt Herrn Roderich bsoß
fragen, ob Sie ’n bischen mitfahkn
wollten?«
.»Donnerwetier, Herr Schindel, wem
sfchört denn das bochieine Merm
,,Was?!«
,,Jawoll. Passen Sie mai auf! hu
Tben Sie mal was von der Dann-over
'schen Pfevdeverloosung gehörtK
»Gewiß —- zur hebung der Pferde
zucht —« w
, »Richtig. Und was ihni meine
Frau? Die nimmt sich heimlich hinter
meinem Rücken ’n Loos zu drei Mark
und da haben wir nichts Besseres zu
thun und gewinnen den Vieripiinner.«
»Und nun wollen Sie —- 'T«
-Nun. man sachte. Rennen Sie bru.
o. ’s «7Mf-sp
von Schmette?«
Dem Namen nach -— der bekannte
Sportsmann.«
»Richtig. Der bat mir Ydie ganze
»Geschichte sofort für zwansigtausend
Mart abgetaqu Aber eine Bedingung
hab’ ich dabei gestellt Einen Tag will
ich die Eauipage sür rnich benutzen, ’n
ganzen Tag soll se mir gehören, un
here von Schmette bat mir seinen
Kutscher noch dazu-gegeben, damit die
Pferde nix passe-et Unrrn tutschire
ich heute den ganzen Tag mit meiner
Familie ’rum. vierfpiinnigsin Silber
geschivr, aber stolz geworden bin ich
darum noch lerngenich Und nu wollt
ich Sie fragen, ob Sie-nich ’n bischen
mit uns fahren wollten. Sie sind im
rner so’n spaßiger herr und mein be
ster Kunde gewesen, —- haben immer
gleich bezabli nnd jedesmal «n Cigarre
zu. Nu sichren Sie mit ans, nich?
Vierspännig — 'biih, —- das mögen
Sie woll, ——«was?"
»Ein größeres GliitL als vierspän
nig fahren. tann ich mir für diese
Welt gar nicht vorstellen. Jch nehme
also Jbre freundliche Einladung ver
bindlichst dankend an. Wollen Sie
denn nun Jbr Geschäft ganz aufgeben,
Herr Schindel?«
»Ich bewahre Aber vergrisßern will
ich mein Geschäft; «n feinen Laden
werd’ ich mictden, und meine Wenig
seit selber rode denn blose noch io’n bi
schen mit zuschneiden«.«
»Hm, —— na ,ja, —--- denn sollten Sie
aber doch heute gleich die famose Gele
genheit mit· der eleganten Equipage
benutzen und ein bischen Netlame siir
Ihr neueg Geschäft machen.«
»Wie meinen Sie dass«
»Das werde ich Ihnen gleich zeigen.«
Jch nabm aus meinem Schreibtische
das größte und stärkste Stück Papier
und schrieb darauf mit Blausifft so
groß und schön ich «tonnte:
»Aber dadrum geb’ ich meinGeTchäst
noch lange nicht auf.
Johann SchindeL
Schneidermeisterk«
»So,« sagte ich, »das kleben wir nun
an den Vierspiinnerz dann weifz enor
aen die ganze Stadt, daf; Sie Itzt
Geschäft noch lange nicht aufgeben.«'
Her-r Schindel fand diese Jdee Mi
·lant. Nur die Bezeichnung Schneidn
smeister behagte ihm nicht.
«Wtssen Sie.' sagte er. ,,ftolz bin ich
snicht geworden, nee, wahrhaftig nicht,
—- aber Schneidetmeister—-—— das klingt
·"so’n bischen » wenn einer zwanzig-;
tausend Mart hat ——--na,—Sie wissens
schon. Mein Meister, wo ich früher
gelernt bab’, der nennt sich-nun so aus
iwnzösisch —--« -
»Aha, ---- muri-band ttlskimtr.«
»Das is Recht!«
«Können wir auch machen,« sagte
ich. strich den Schneidermeisrer durch
und setzte dafiir die etwas seltsame
Buchstabenzusammenftellung: »Man
instit-use tultjm—tir, dann nahm ich
liebe-stock und but, und wir begaben
uns zu den herrschasten in der stut
c.
Für vier Jnsassen war der Abt-gen
nuo berechnet; es befanden Ich aber au
ßer uns Beiden schon fünf darin-: im
Niicksiße Frau Schindel, eine recht
ernst und mürrisch dreinschauendeFrau
in den Bierzigerm und neben ihr ein
etwas eornutenter Herr, den mirs Herr
Schindel mit den Worten vorstellte
,,Derr Klose. auch mein bester Kunde
säbrt auch ’n bischen mit.« "
Den Vordersitz nahmen drei Kinder
ten so ungefähr sechs bis zehn Jahren
ein« zwei Knaben nnd ein Mädchen,
Ihm Zweifel dte Sprößlinge des
Schindelschen hausei. Sie aszen alle »
drei Butterbrod. »
Die Gemahlin des Schneider-net
sters empfing mich mit r t ungnadti
gen Blicken, und ausfallen widerwil
lig lie sie dasv eine der Kinder zwi
schen und errn Klose Platz neb
men, um ftir bren Gatten und mich
neben den beiden Knaben Plah zu
—
t-—
chafsem Freilich, sehr ering wav der
» satz trotzdem nur, der iir ung Beide
übrig blieb, und ich versuchte ganz ver
geblich, meinen hellen Ueberzieher von
den buttergeträntten Händen meines
jungen Nachbarn scrnzuhalten.
»Ja,« sagte augenscheinlich piquirt
Frau Schindel, »Kinner mötseeten.«
»Scharlotie,« sagte ihr Gemahl,
»stolz bin ich nich geworden, aber Du
kannst vor’s selbe Geld hochdeutsch
sprechen. Hören Sie mal,« wandte er
sich dann an den Kutscher hinter sich,
»tönnen Sie nich eins von den Kindern
mit aus’n Bock nehmen2«
«Nee,« erwiderte verächtlichen Tones
der Kutscher, »ich bitn ’n herrschaftli
cher Kutscher, und aus mein’n Bock
iommt anners Kener ’rauf, als ich, un
» hieb Kinnerbewahranstalt schon gar
m .« »
Inzwischen hatte ich das Plaiat an »
den Kutschenschlag befestigt, und die
Fahrt begann.
Es wav eine gute und nützliche
Fahrt, denn viele Menschen hatten
Vergnügen daran. Alle Leute, die uns
fahren sahen, standen still, sahen uns
nach und lachten herzlich.
»Nu sahren wir erst ’n bischen in der
Stadt ’r-um,«« belehrte mich herrSchins
del, ,,un denn hab’ ich den Kutscher ge
sagt, soll er uns nach Wohlerödorffahs
ren, da is ’n wunderschöner Sommer
garten, un zweihundert Mart hab’ ich
mir von Herrn von Schmeite schon
geben lassen, —- da woll’n wir mal ov
dentlich lustig sein. Bleiben immer
noch 19,800 Mart übrig- Js genug,
nich Frau?«
»Och was,« sagte mürrisch die An
geredete, »hätt’st man zu Haus bleiben
sollen!« -
»Herr Schinbel,« begann ieht der
etwas corpulente Herr Mose, »Ihr Ge
schäft wollen Sie also nicht aufgeben
wies«
»Ja Away-. Lange nicyt
»Dann sollten Sie sich mein 'n or
dentlichen Laden miethen.«
»Natürlich, will »ich auch.«
»Dann will ich Ihnen mass sagen,-—
dann will Ich Jhnen mein Gauk- ver-.
laufen. Wunder-volle Lake. Stein
ftrafkr. Zwei Läden und vier Etagen.
Laß ich Ihnen fiisr 105,0cI-0 Mart mit
18,000 Mart Art-Zahlung« Besser kön
nen Sie Ihr Geld ar nicht anlegen,
nicht, Here Roderichg«
Dabei blinzilte miv Herr Klofe
einen Blick zujtn dem ein Angebot von
mindestens zehn bis zwölf Matt Pro
vision ha.
»Wcslien neal sehe-A antwortete
Herr Schindel der hochaufgerichtet im
Wagen faß.
Wir «tamen nun ins-eine Stwße, die
neu gepflastert wurde; infolge dessen
war mir die-seine Seite des Fckyrweges
flir Fahr-werte frei. Am Eingang der
Straße stand mitten im Wege ein gro
ßes Vlalat: Schritt fahren! und da
neben hieltcein reitender Schutzcnann
hoch Fu Roß,.um die Ordnung aufrecht
zu halten.
Der her-schriftliche Kutscher war
aber das Schnittfahren wohl gar nicht
qewabntzcu hielt die Pferde-im kleinen
As·-I.
- Schus
»Schrlttsfcthren! .Halt!« schrie der
Scksktzmamn
Der Wagen hielt nnd-nat im Nu
von einersneugierigen Menge umringt.
Die hinterher folgenden Fuhr-werte
konnten infolge dessen auch nicht wei
ter.
Ich sahein betanntes Gesicht in der
Menge; des gehörte Herrn Ernst Otto«
der irrt gewöhnlichen Leben Schmidt
heißt.
»Nu, einein Junge," rief er mir zu,
,,tvie soll denn die Humoresle heißen ?«
.Schrrsgtopf!«-ries ich ihm hinüber-.
Wir- lennen uns nämlich seht gnL
»Aha! Paßt fiir Deine sämmtlichen
Werte sehr gut,'« srief er zurück.
Inzwischen ward die uns umrin
gende Menge immer grösser, und es
hielten immer mehr Wagen, die nicht
weiter konnten, hinter ung.
»Zufahoen! Schnelli« schrie der rei
tende SchMMm
»Erst in Schritt ten snu schnell!"'
murrte der Kutscher, »das Wann ich
’ nicht!«
Der Schuhmemn gerieth in Zorn.
»Wem gehört dnqugenW schrie er.
»Mir!« rief Her-r Schindel und rich
. stete sich hoch auf.
i »Wer sind Sie?«
I
»Schneidermeister Johann Schin
«de1."
»Aber dodrnm giebt er sein Geschäft
noch lange nicht auf,·· rief ein Bursche
aus der Menge.
»Niih, dadrum giebt er sein Geschäft
noch lange nicht auf,« brüllte ihm ein
lachender Chon nach.
»Js sein Wagen gar nicht"t« soate
jkm der herrschaftliche Kutschen
»Was-W
»Nu, is Herr von Schmette sein
Waaen!«
»Ahq,« schrie jetzt wieder einer aus
dkk Menge, »dadrum giebt er sein Ge
schäft noch lange nicht aufl«
»Das ist nicht wahrt« oief empört
herr Schinde·l, ,,heut is das mein Wa
gen mit vier Pferde und allens was
drum und dran is. Hab ich ehrlich
gewonnen in der Pferdelotterie.«
»Swieg doch still!« flüsterte Frau
Schindel dem erregten Gatten zu.
,,Nee, will icl nich! Heut’ is das
mein Wagen.« ,
»Un morgen is das Herrn von
Schmette sein Wagen, und ich bin
Herrn von Schmette sein Kutscher!«
Der Schuhmann hatte sein Notiz
buch aus der Tasche genommen und
sing an zuschreiben.
Während dessen drängte sich ein
Mann dicht an -den Waaenschlam
i
P
-Guten Tag, Herr Schindel!« rief er.
»Ab, gu’n Tag, Herr Knoop· Was
sagen Sie dazu? Fein —- nich?«
»Ja, sehr sein. Wo soll die Fahrt
denn hingeh n?«
»Noch Wohlersdorf. Wollen mal
ordentlich fidel sein. Auch ’n bischen
mitfahren?« -
»O ja, dazu hätte ich wohl Lust.«
»Na, denn steigen Sie man flink
eini«
Frau Schindel protestirte vergeblich
mit dringendsten Worten und fast fle
henden Gebärden.
»Das geht aanz gut, " sagte der Herr
Schneider-meisten »Herr Knoop is mein
bester Kunde, der muß mitt«
Und Herr-Knoer stieg lächelnd in
den Wagen und zwängte sich zwischen :
Frau Schindel und ihr Kind. Dabei
stieß er dem Knaben den Apfel aus der
Hand, den Karlchen eben anzubeißen
begonnen hatte.
»Das kommt davont« sagte Frau
Schindel mit einem wüthenden Blick
auf ihren Gatten.
»Na, das is nu grad’ der siebente
Apfel.«
»Ach wat, Kinner möt eeten.«
Inzwischen hatte der Schutzmann
nach den Angaben des hevrschaftlichen
Kutscher-B seine Notizen zu Ende ge
bracht.
»So, nu fahren Sie man zu,« sagte
er, »das Weitere findet sich« Dann
trieb er das Publikum vom Wagen zu
rück, und das Viergespann setzte sich
wieder in Bewegung.
Der Schneidermeistev begann jetzt,
dem nsu hinzugetammenen Herrn
Knoop die Geschichte von dem Lotterie
loos und dem Viergespann zu erzäh
len. Dabei lächelte Herr Knovp un
ausgesetzn und Frau Schindel trat
ihrem Herrn Gemahl mehrmals auf
den Fuß·
»Was trittst Du mich denn immer
sauf’n Fuß? Was willst Du denn von
mit-Z« fis-mit- Imtnislin fsth Sphinde
i »Och was-, ich me Dis mich auf-m
Fuß!«
» .,Jarooll, Mutter,« sagte Kartchen.
»Du trittst Vadder jürnmcrs auf’n
Fuß-«
,,Swieg still, darnan Junge. un eet
Dien Appel op!"
»Ja,« begann nun Herr- Klose zu
Herrn Knoop, »du hat unser Freund
Schindei einen guten Zug gethan,
nicht? Nun will er Tich einen schönen
Laden anlegen, und ich habe vihm ge
sagt, er soll mein Haus in der Steini
straße kaufen, wundervolle Lage für
sein Geschäft-. Sie sitzen da so unbe
guem.Herr Knovp, nicht? Kommen
Sie doch ein bischenweiter hier-her. Jst
das nicht hsrre gute Idee von mir, Herr
Knopp?«· ,
»Hm, Evas iann ich eigentlich nicht
finden," meinte Herr Knoop, »die Mie
then sind im Fallen und die Häuser
preise miissen noch weiter herunter ge
ths
.Wenn Sienas fagen, Herr zinoop,
— das nehmen Sie mir nicht ·iibel —
dann verstehen Sie von den Häusern
nichts. Drängetn Sie dochnicht so,
Herr Arn-op, ich "fall’·hier noch aus’m
Wagen Haus !·'
Nach einer wichen Fahrt von einer
Stunde hatten wie unfser Ziel, den
i»-xk,—t .
Uolllmkqullrlen m wohin-um« er
reicht. Auf der«Landstraße schon hatte
ich das Platat wegen NichtarIgabe des
Geschästs vom Wagen entset t.
Der Sommergarten in Wohlersdorf
ward von den wohlhabenderen Kreisen
der großen Stadt viel besucht-und dem
Wirthe waren Gäste mit noblen liqui
pagen nichts seltenes. Aber das hoch
elegante Mergespann imponirte ihm
doch, nnd ev eilte «selber herbei, den
Herrschaften aus dem Wagen zu hel
fen. In seine zuvortommende Höf
lichkeit aber mischte sich. ein gutes
Quanturn Verwunderung und eine
noch größere Menge Mißtrauen, nach
dem er die Jnsassen des prächtigen
Wagens gemustert hatte.
»Sie smd hier der Wirth, mcht?«
wandte Schindler sich just diesem .-zu.
»Ja dienen, ja.«
»Das is nett. Wiv wollten sung
heut mal ’n bischen amöfiren hier bei
Ihnen. Erst wollen wir mal zu Mit
tag essen. Was «haben Sie dann
gut’s?«
,,Wünschen Sie å la anrie- zu spei
sen?«
»Das könnten wir ja mal machen.'
»Sie tönnen auch ein sehr schöne-«
Diner a 3 Mart haben.'·
»So. Na ja, dann geben Sie uns
erst a la cui-te und dann noch so’n Di
ner. Das kommt da gar nicht draus
an.'«
»Och,Johann,« wandte Frau Schin
del ein, »die Kinners bvauchen doch
nicht jedes sor drei Mart.«
»Gewiß! Warum nicht? Du sagst
doch sonst iimmer: Kinner möt eetent
Nu soll’n sie mal ordentlich eeten. Ja
woll, macht mir Spaß! Also, mein
lieber Wivth, acht mal ü in unste- und
Diner zu 3 Mart. Und denn für den
J Kutscher —- toarte mal — ach was,
laß ihn auch mal so’n Dings kriegen,
’n Kutscher is auch ’n Mensch. Aber
erst sorgen Sie ordentlich for die
Pferde, Kutscher-l«
»Da quälen Sie sich man nich um,«
sagte dieser mürrisch und fuhr aus die
Wagenremise zu.
, Der Wirth befand sich augenschein- -
lich in Verlegenheit. Der Vierspiinner 1
flößte ihm großes Vertrauen ein; um
soweniger aber die dazu gehörigen
Leute. Er sah uns der Reihe nach au,
und endlich blieb sein Auge fragend
an meinen Blicken hängen.
« Ich schwöke bei dem Wohlergehen
irgend eines Erbonlels, daß es nicht
Ruhmsucht oder Wichtigthuerei mei
nevseits ist, wenn ich behaupte, daß der
Wirth mich für den Vertrauenswiirs
digsten der ganzen Gesellschaft hielt.
Und das Vertrauen wollte ich auch
rechtfertigen. Jch sagte also:
»Herr Wirth, also neun Diners d 3
Mant und drei Flaschen trintbaren
Rothwein, — weiter nichts, bitte.«
»Ree, Schampanjer!« rief Herr
Schindel, »Rothwein kann man alle
Tage trinken, Schampanjer woll’n wir
haben!«
Frau Schindel jammerte verzwei
selnd auf, Herr Knoop protestivte ener-.
gifch, und Herr Klose meinte, es wäre
ja auch nicht nöthig. Das half aber
alles nichts, Herr Schindel wollte
durchaus Champagner trinken.
»Aber mein lieber Herr Schindel,'«
sagte ich, »bei n la carte und bei Di
ner dazu gehört tein Champagner-, »
nehmen Sie mir das nicht übel, das ist «
nicht gentlemanlite, nein, Sie können
ja Champagner trinken, soviel Sie
wollen aber gentlemanlite ist das
s nicht. «
»Nicht Ja, wenn das denn nich —
was is das nich?««
»Gentlemanlite.«
»Na, wenn das nich schändlmenleik
is, denn nich. Denn bringen Sie man
Rothwein, aber guten!«
Frau Schindel warf mir einen herz
lichen Dantesblick zu; die beiden Her
ren Klose und Knoop aber sahen mich
etwas argwöhnisch von der Seite an.
Bald darauf saßen wir nun in
einem hübschen tleinenSalon an einem
fein gedeckten Tisch. Jch saß neben
Frau Schindel; dann tamen die drei
Kinder, die sich einstweilen ein wenig
mit den Suppenlöffeln prügelten, und
dann folgten die dveiHerren in zwang
loser Reihe.
Die Kellner begannen die Suppe
zu serviren. Sie brachten einen Teller
zu viel.
.Och fo,« sagte Herr Schindel, »ich
hab’ ja for den Kutscher auch bestellt
m- l-.c. Zins uns-o ji«-; - Lamms- Zm«;
-..., ...» ..,.. ....... .»........» U«
fchad’t dass«
Einer der Kellner begab sich darauf
zu dem Kutscher in die Remise und
richtete den Austrag aus.
»Was? Wat is dit? Der Kutscher
soll mit an ’n Tisch sitzen?« rief im
Ton höchster Geringschätzung der herri
schaftliche Rosselenkera »Na, det is n’
feine Gesellschaft! Hoff ich mir aber
gleich gedacht. Ner, so was! Na,
meinetwegen. Aber so ’ne Bagage!«
Als der Kutscher mit einem höchst
unfreundlichen Gesicht bei uns eintrat,
winkte ihn Herr Schindlev heran.
,,Kommen Sir man her, Mann; hier
ist noch ’n Platz freik«
»Nee,« sagte der Mann mit unaus
fprechlicher Verachtung, ,,danke viel
mals.«
Damit setzt-e er sich an einen kleinen
Nebentisch
»Man-! Wir sind Jhnen woll nich
fein genug, was?« Fragte der Herr
Schneidermeiftec »Was sind Sie denn
eigentlich?«
»Ich bin Hi herrschaftlicher Kut
scher!«
»Na ja. hnck bin ich die Herr
ichsftI'
,,J bewahre. nein. Ne Herrschaft,
tvo der Kutscher mit bei Tisch sitzen
soll, nein· da bin ich kein Kutscher!
Auch us quu u ver-Wut tuuv uus mu.
Das Mittagessen nahm nun seinen
Fortgang und das Trinken auch. Die
drei Flaschen Rothwein waren bald zu
Ende, und Herr Klose ließ die Worte
fallen: »Wenn wir nun so’n netten
Tropfen Sett «h’eitten!«
»Jawoll, Sekt, wollen wir auch!«
rief Herr Schindel mit etwas lallender
Stimme, »un wenrn’s zehntausend Mal
nich ——— nich schänd —- schändel —— was
is es nich? —— nicht schändel leit is.
Kellner, bringen Sie mal eine —- zwei
Flaschen Schampanjer, aber von’n
Besten!«
»Oh, du mein Himmel!« jammerte
Frau Schindel, »wo ward dat noch
warnt«
Durch diesen Ausruf erhöhte meine
Tischdame die Sympathie, die sie mir
schon einzuflößen verstanden hatte,
noch um ein Bedeutendes. Die Art
unserer Unterhaltung tvar allerdings
etwas eintönig, denn die Dame ant
wortete aus meine schönsten und besten
Gespräche immer nur mit: och, —- ja
woll oder nee würklich?i Aber meine
volle Sympathie gewann Frau Schin
del durch die Art und Weise, wie sie
mit ihren Kindern umging.
Als Herr Schindel die neun Diners
bestellt hatte, da wollte ich mich schon
ertundigen, ob auch ein Arzt in der
Nähe wohne, denn nach meinen bishe
rigen Erfahrungen schien es mir außer
jedem Zweifel, daß bei den letztenGän
gen die drei Kindev nur noch durch
medicinische oder chirurgische Opera
tionen vom Tode zu retten sein wür
den.
Aber wie hatte ich mich getäuscht!
Mit einer geradezu bewundernswürdi
gen Virtuosität wußte sie den schreien
den Kindern die größten und gefähr
lichsten Bissen vom Teller weg zu prak
tiziren, wohin, das war der Mutter
liebe ganz egal, auf ihren Teller, aus
meinen Teller, in die Schüssel zurück,.
.und dabei kam sie selber kaum zum
essen. Das rührte mich, und als ich
eine Blumenverkiiusersin an der offen
stehenden Thüre vorbeigehen sah, da
rief ich sie herbei. Jch wollte meiner
Tischdame,ein Zeichen meiner Vereh
rung zukommen lassen, nahm ein Ro
senbouquet aus dem Korbe der Blu
menhiindlerin und Zog mein Vorte
monnaie aus der Tasche, um es zu be
zahlen. Da kam ich aberi schön an.
Herr Schindel fuhr iiber den Tisch, riß
mir das Portenronnaie aus der Hand
und schrie: »Was ist das? Sie wollen
zahlen? Mensch, wo ich Sie eingela
den hab’?!« Dabei steckte er mein
Portemonnaie in seine Tasche. »Wenn
Sie heut’ einen Pfennig zahlen, sind
wir geschiedene Leute, heut’ Abend vor
Jhre Hausthiir kriegen Sie Jhr Parte
rnonnaie wieder, eher nich. Scharlotte,
willst Blumen haben? Da!« Er riß
der Blumenverkäuferin eine Hand voll
Rosen aus dem Korb, warf sie seiner
Frau in den· Schoosz und drückte der
Händlerin ein größeres Geldstiick in die
Hand.
Bald darauf erhob sich Hevr Johann
Schindel, um eine Rede zu halten. Er
ftiitzte die Faust fest auf den Tisch und
gewann dadurch in der That eineStiitze
für seine Person; die Sätze seiner Rede
aber waren recht schwankend. Er sagte,
daß er es jetzt ganz gewiß noch zu
etwas Bedeutendem bringen würde. Er
kenne einen andeven Schneidermeister,
der hätte mit ar nichts angefangen
und besäße jetztz das erste Schneiderge
schäst in der ganzen Stadt. Wie weit
würde er, Herr Johann Schindel, es
« nun erst mit seinen 20,000 Mark brin
; gen! Aber da könnten Alle sich fest
drauf verlassen, so stolz würde ev nicht
werden wie der andere Schneidermeid
ster. Der habe neulich in seiner La
denthüre gestanden, als Herr Schindel
und Frau vorübergegangen seien, und
als Herr Schindel ihn höflichst und
freundschaftlich gegrüßt, da habe der
»Hansnarr« blos so ein wenig mit dem
Kon genickt und nicht ’mal seinen
Hut abgenommen.
»Er hat gar keinen Hut aufge
habt,« warf hier Frau Schindel ein.
»Hat er dacht«
»Nee, hat er nicht!«
»Na, is auch ganz egal. Er hätt’
ihn doch nich abgenommen,« argumen
tirie Herr Schindel. Dann schimpfte
em »So'n Lump! Meint, wen er nu
’n feinen Laden hat.«
»Können Sie ja auch haben,« riej
Herr Klose dazwischen, ,,iausen Sie
doch mein Haus!«
,,Donnerwetter, ja!«
»Laß ich Jhnen fiir 110,000 Mart
mit 18,000 Mark Anzahlung.«
»Vorhin haben Sie nur 105,00c
Mark gefordert,« wars ich ein. Herr
Klose hörte das nicht.
»Denn können Sie auch im Lader
steh’n, mein lieber Herr Schindel, unt
dann nehmen Sie auch den Hut nich
ab, wenn der Lump von Kerl vorbei
geht!« sagte Herr Klofe.
,,Nee, denn nehm’ ich auch den Hu«
nicht ab. Jch iaus’ Jhnen das Haus
akt
,,Js gemacht!« rief hastig Herr Klos
und streckte dem Schneidermeisie
schnell die Hand hin.
»Halt!« rief jetzt Herr Knoop da
zwischen. »Das gilt nicht. Der Mam
ist nicht zurechnungsfähig.«
»Das geht Sie gar nichts an!«
schrie wüthend Herr Klose und Her
Schindel stammelte: ,,Wa — wa —
was-? Jch — bin —- nich —- zurech
nungsfähig, Herr, wie können Sie
—- nu — nu —- kauf’ ich mir dre
Häuser.«
»Sie taufen sich gar kein Haus-, Her
Schindcl!«
sc- ß»i) mZv msin Ins-Its Its-»in »Pen
kauft.«
Die Herren Klose und Knoop waret
aufgesprungen und standen sich einan
der drohend gegenüber.
Langsam war auch der hersrschaft
licheKutscher ausgestanden und nähert»
sich bedächtig den Streitenden.
,,Jct smiet de ganze Bagage rut,«
sagte er vor sich hin. Da nahm abe«
die Angelegenheit eine ganz sonderbar»
vWendung Der Schneidermeister was
nämlich wüthend geworden über dii
scheinbar unberechtigte Opposition des
Herrn Knoop und ergriff dieHand dei«
Herrn Klose.
»Hier is mein’ Hand. Ehr Huus ij
mien.«
,,Abgemacht! Auf Handschlag unt
vor Zeugen.«
»Na,« sagte plötzlich sehr ruhig Her1
Knoop, »dann gratulire ich, Herr
Schindel, und Jhnen, Herr Klose
werde ich gratuliren, wenn Sie die erst(
Anzahlung von drei Mark bekommen
haben.«
»Wat? Jch hab’ 20,000 Markt«
»Wo denn?«
»Wo denn?" Die krieg’ ich for mein’
Vierspänner.«
»Na, denn muß es wohl heraus,
Herr Schindel,« sagte erregt Herr
Rnoop, »der Vierspänner gehört Jhnen
gar nicht, der gehört mir!«
Meine Tischdame, die der ganzen
Scene mit hochgradiger Erregung ge
folgt war, sank mit einem lauten
Schrei auf ihren Stuhl zurück. Wir
Andern aber waren starr.
,,Ja,« begann wieder Herr Knoop,
»ich wollte die Sache im Stillen ab
machen, ich bin nich süv so’n Aufseh’n,
aber nun ist es mal so gekommen. Jch
hab’ das Loos gehabt, das den Vier
spänner gewonnen hat. Jch weiß die
Nummer ganz genau. Aber ich hab«
das Loos verloren. Nun weiß ich aber
auch, wo ich es verloren habe, Herr
Schindel. Jch habe Jhnen einen An
zug zum Ausbessern gegeben, und in
einev von den Taschen hat das Loos
gesteckt.«
Der Schneidermeister war plötzlich
beinahe ganz nüchtern und starrte ver
zweiflungsvoll zu seiner todesbleichen
Gattin hinüber.
»Frau, Du — Du —- hast mir ge
sagt ——- Du hätt’st das Loos gekauft?«
,,Och, ja, ja k— mein Mann kann ja
nix dafür, ich hab’s gefunden —- beim
Ausfegen —— an der Erde —— och Gott,
och Gott —« Die Frau fing laut zu
weinen an.
»Herr Schindel,« begann wiedes
Knoop, »ich habe mir auch gar nicht
denken können, daß Sie —- -—; ich
kenne Sie nun schon die vielen Jahre
IF- ehrenhaften und ordentlichen Men
en.«
»Och ja,'« sagte tonlos Herr Schin
del und stierte wie abwesend vor sich
nieder. Der Mann that mir sehr leid.
»Mein lieber Herr Schindel,« sagte
ich, »Sie haben eigentlich ein kolossales
Glück bei der Geschichte gehabt.«
»Ach, Du mein Himmel —- wieso
denn?« .
»Wenn Sie das theure Haus gekauft
hätten und das ganze Geld da hinein
gesteckt, dann hätten Sie für Jhr Ge- -
fchäft ja doch nichts übvig gehabt;
dann wären Sie immer weiter herun
tergekommen und hätten Bankerott
machen müssen, und Jhr Geld wär«
weg gewesen und Jhr ehrlicher Name
auch. Sie können froh sein, daß eö so
gekommen is ."
»Das ist eigentlich auch wahr,«
wimmerte dev Schneidermeister und
richtete sich ein wenig wieder auf.
Jn diesem Augenblicke trat der
Wirth energisch in’s Zimmer. Er war
ohne Zweifel von dem unangenehmen
Zwischensall in Kenntniß gesetzt, denn
er hielt schon die Rechnung in derHand
und präsentirte sie Herrn Schindel.
,,Dvei und achtzig Mark,« sagte
dieser trübselig und langte in die Ta
sche. Er zog sein Portemonnaie her
vor und nahm 50 Mark heraus. Mehr
war nicht drin. Er machte ein sehr
verdutzte-Z Gesicht. »Ach —- der Hausd
wirth — ich hatt’ ganz vevgesfen.·
Dann zog er mein Portemonnaie her
vor und nahm 38 Mart heraus. »Ent
fchuldigen Sie, Herr Roderich,« sagte
er ganz zerknirscht, Sie kriegen’s wie
der.«
Na. es wäre miv ganz lieb, wenn
ich’s wieder kriegte.
Bald darauf saßen wir wieder im
Vierspänner und fuhren heim. Da ich
eine Humoreske schreiben will und kein
Trauerspiel, will ich die Heimfahrt un
beschrieben lassen. «
Als ich meinem bereits citivten
Freunde Ernst Otto, genanntSchmidt,
diese Geschichte vorlag, da sagte er:
»Junge, da hast Du mal wieder ov
dentlich zusammengelogen.«
Und gerade von dieser Geschichte
kann ich mit gutem Gewissen behaup
ten, daß etwas Wahres daran ist. »
s
Die gewichste Treppe. - .
Ein tüchtiger Menschenschlag sind
die Süddeutschen, aber mit ihres
Mundart bringen sie die Norddeut
schen, welche nur ihre eigenen Sprach- «
fehler begreifen können, manchmal zur
Verzweiflung Von großer Vesorgniß
gequält war daher auch der Premier- E
Lieutenant v. Z» als er, vom fernen
Osten kommend, in seiner neuen Gar- «
nison einen echten Rheinschwaben als
Burschen erhielt, der zwar ein treffli
ches Gemüth besaß, dagegen Hoch
deutsch weder verstehen noch sprechen
konnte. Von Menschlichkeit beseelt,
suchte Herr von Z. dem armen Karl
über die entstehenden Schwierigkeiten
hinwegzuhelfen, indem er selbst zu
kachmkv k-—k»«·!J-s C4«4ö «I.-- Es
lU,sUus-btls VOULO UUDO III- .
durch Verkehrserleichterung zu schaF
fen, wurde die La« e nur noch unan "e
nehmer, denn abgefehen davon, daß r ·"
Bursche diese Sprache seines Herrn·
noch weniger ver tand, ieimte in feiner
Seele tief der erdacht, daß sich dee
Herr Premier über ihn lustig mache.
Dieser Argwohn wuchs zur Ueberzeu
gung, als Herr von Z. einstmng., in
getreuer Nachahmung eines füddeut
schen Kameraden, seinem Burschen zu
rief: »Komm Se her un hebe Se mir «
mei Pfeeerd!« Alle in der Nähe Be
findlichen lachten damals laut, weni
ger über das ,,l)eben« des Pferdes, wo
runter »halten« verstanden wird, als«
vielmehr darum, weil der feine Herr v.
Z. dabei ein Gesicht machte, als ob er
ein irockenes Commißbrot zerkaue.
Der gute Premierlieutenant ließ sich
nicht beirren. Anderen Tages sagte er
beim Anileiden in liebevollem Tone:
,,Kall (Karl), die Hofe hascht de gut
birscht (gebiirstet); jetzt muscht awwer
noch d’ Steg wichse!« Damit ging er
in’s Nebenzimmer, um seinen Kaffee
zu trinken. Zehn Minuten waren ver
strichen; ihn fror bereits mächtig an
den Beinen. Karl kam nicht mit dem
so wichtigen Bekleidungsstiick. End
lich, nach wiederholtem Klingeln, er
schien der Ersehnte, aber ohne die Hose.
«Wo stecken Sie denn, mein Sohn2«—
»Ich hab’ Schuhwichs kaufe müsse,
Herr Leitnant!« — ,,War denn keine
mehr da?« — ,,Doch, e ganze Schachtel
voll!« — ,,Nun?« —- »Aber se hat nur
zu drei Trappe gelangt!« —- Ein Blick
vor die Thür: Karl hatte die drei oben- .
sten Stufen der Stiege mit Stiefel
wichse schön schwarz gewichftt -.
cui-· l aus-sp
Winteridylle.
Worin im Winter rauhe Stürme
Ueber Erde heulen fort,
Weiß ich drunter ainen wormen, »
Stillen — hat —- und fainen Ort.
Sitz ich dort an klainem Tischel«
Klaines Fosfel liegt doran —
Loß ich blosen dumme Winde,
Stops’ ain Pfaifel mir und saqu
A
vff
—- Eine moderne Haus-i «
fr a u. Gatte: ,,N"cihe mir doch, bitte,
diesen Knopf an den Rock.« —— Gattin
«Wie, dar-um sollten mich meine El
tern vier Jahre lang in das theurl -
Pensionat gegeben haben?« « ’