Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, June 11, 1897, Sonntags-Blatt., Image 9

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Zonntags-Wlatt.
Beilage des ,,Anzeiger und Herold» zu No. 40, Jahrgang 17.
f I. P. Windolph, Herausgehen
GratZd Island, Nebr» den 12. Juni 1397.
Zremdei Leid.
Von Dermine Jilllnger.
« Sie war Wittwe; der Mann, der sit
Zwanzig Jahre lang auf Händen ge
-tragen, hatte sie allein zurückgelassen
«— allein, nachdem sie einander Alles
— ewesen. Jm Anfang ihrer Ehe hatte
se sich wohl ein Kind gewünscht, aber
schließlich sieh ganz gut hineingefunden,
s- fiir den geliebten Mann Weib und
.. Kind in einer Person zu sein. Nie fah
rnan die beiden großgewachsenen
fchlanten Menschen anders als lachend
« :und plaudernd, denn wo sie gingen und
, anben, sie entdeckten immer etwas-·
ber das sie sich gottvoll amiisirten.
Vielleicht hatte sich diese Eigenschaft·
« . iefer Sinn für’s Komifche bei ihnen
'-mit der Zeit etwas zu stark entwickelt;
f in ihrem Uebermuth, ihrem gegenseiti
« en Genügen, brauchten sie die Men
chen nur zu ihrer Unterhaltung, nah
men an Riemandem ein wärmeres Jn
teresse und waren nie froher, als wenn
sie allein beisammen saßen. Da ge
schah’s, daß der Major, der ein leiden
schaftlicher Reiter und Pferdezüchter
war, eines Tages von einem Hengst«
den er zuritt und der anderer Mei
nung war als er, abgeworfen wurde ;
der Reiter blieb todt auf dem Platze
.liegen.
Die Wittwe begab sich gleich nach
dem Begräbniß an einen stillen, wenig
besuchtenOrt im bayerischen Hochge
birge, wo sie sich ein Bauernhaus mie
thete und im Uebrigen ihre Diener
schait warten netz, die das rieme Haus
chen binnen Kurzem mit all dem Be
hagen und Luxus ausstattete, dessen
die Dame bedurfte. Sie saß in dum
pfer Verzweiflung hinter ihren verhüll
ten Fenstern, unfähig ihr Schicksal zu
begreifen, sich in dasselbe zu finden.
Früher, wenn sie zufällig von Unglück
gehört hatte von Trennung und Tod«
ses war, als ginge sie das Alles nichts
an, als seien das Dinge ganz außer
halb ihres Schicksals. Und nun hatte
das Unglück auch bei ihr angellopft
und ihr das größte, das jammervollste
Leid angethan, das sie aus Erden hatte
treffen können. Aber nicht eine
Thriine lam ihrer Qual zu Hilfe; sie
war wie erstarrt bis ins Jnnerste ihrer
Seele.
»Für mich ist Alles todt«, murmelte
sie fröftelnd in sich hinein, »mit ihm ist
Alles todt, ich weiß nicht, was ich noch
auf Erden soll.«
Eines Morgens —- dieJungfer hatte
wie immer die Beileidsbriefe auf den
«Ftiihfttirtstisch gelegt — blieb der Blick
der Majorin mit einem Mal an einem
der Briefe hängen; er war so ganz an
ders als all die übrigen, deren Jnhali
sie im Voraus kannte, denn von all
diesen Menschen, die ihr pflichtschul
'digft schrieben, stand ihr Niemand nah,
und es waren meistens nur Redens
arten. die man ihr in die Einsamkeit
nachsandte. Der Brief« den sie in die
Hand nahm, und langsam mit dem
Falzbein öffnete, machte mit seinen
großen, undeholfenen Buchstaben und
der fehlerhaften Adresse ganz den Ein
druck eines Kinderbriefes, denn auch
«"d’ie Klexe fehlten nicht. Sein Jnhalt
Taume
.Gniidige Frau,
»Mit großem Schmerze habe ich
«vernommen, daß ihr Herr Gemahl, der
so gar oft an Sie geschrieben, leider
mit dem Tod eingegangen ist. Mein
gerz ist fast gebrochen zu denken, daß
ie einen Schmerz haben, wie es im
mer schon gebrochen ist, wenn Sie nicht
zoer nügt waren. Und von der Familie
l ich, alle haben sie geweint mit
ketnander.
Jhr getreuer .
Franz Faden Dorfschmied.«
Der Franzlt sie hat ihn ganz der
sgessent Das war ja nicht weit von
ihrem jetzigen Aufenthalt, das kleine,
Thochgelegene Dorf, in dem sie als blut
junge überzarte Frau Kräftigung ge
sucht hatte, während ihr Mann im
« növer war. Wie ihr das plötzlich
-.allet wieder kam, diese völlig verges
sene Zeit vor ihr aufstund! Zwanzig
Jahre waren's her; der Major hatte
damals selbst im Hochgebirge den ge
--eignetsten Platz, die beste Luft fiir
seine junge Gemahlin ausgesucht Und
Idann brachte er sie in das tleine Dorf
»ian der Höhe, mit seinem schattigen
.Liirchenwald, den würzigen Wiesen in
·«tnitten der schneegetrönten Berghäup
ster. Er hatte ein Haus gemiethet, das
’der Dorfschmied, der vornehmsteBauer
Des Ortes, stir seinen Sohn, den
'—Franzl, gebaut· Ein Haus mit gro
ßen niedrigen Stuben, in denen’s
«wunderb«ar nach frischem holz roch,
»und um die sich eine Gallerie zog, vom
weit vor pringenden Dach gegen Son
«ne tmd egen geschützt hier hatte sie
tagelang gesessen, die junge Frau, mit
ihren Büchern oder einer handarbeit ;
oft auch, ließ sie die Augen hinüber
schwetsen, zur Dorsschmiede, wo der
satte Schmied danttrte, eine gar möch
ti e Gestalt; der Sohn, der schon ein
III e war vie der Vater und »t
gisanzig Jahre zählte, hals bei der Ar
e t.
Jm Ansan wollte die junge Frau
sast verkweife n iiber den Liirrn in der
schwörz ichen Schmiede mit dem fla
ckernden Feuer. Mit der Zeit aber ge
wöhnte sie sich daran, ja, sie ging förm
lich aus sich heraus, indem sie zum er
sten Mal einiges Interesse an dem
Thun und Treiben Anderer nahm; das
Leben der Dorsschmiedleuie war ja
auch ihre einzige Unterhaltung, und sie
schrieb lange Briese an ihren Gatten,
wie erstaunlich stolz diese Bauern
seien, wie kindlich und weltsremd ihr
Reden und Denken; sie müsse immer
an sich halten, um nicht hell aufzuta
chen über ihre Fragen, denn vom
Stadtleben hatten sie nichtxden leise
sten Begriff; daß man in gepflasterien
Straßen wohne und nicht.zwischen
Aeckern und Wiesen, sei ihnen ganz er
staunlich, und daß die reichen Leute
in der Stadt nicht einmal einen Stall
voll Vieh hätten, erregte ihr tiefstes
Mitleid.
»Wärst Du hier«, schrieb sie an den
Gatten, »wir müßten den ganzen Tag
lachen, ja wir kämen gar nicht aus
dem Lachen heraus-. Allein, freilich,
kommt mich manchmal, so lustig es
um mich her zugeht, ein schreckliches
Heimweh nach Dir an, daß ich mich
todtweinen möchte· Aber solltest Du
glauben, es ist mir hier nicht erlaubt,
mit rothen Augen hesimzugehem gleich
ist der Franzl da und schaut mich gar
ängstlich an mit der Frage: Was fehlt
denn der Gnädigen? und läßt den
Kopf hängen, bis ich wieder lache.
Dann ist er ganz außer sich vor Freu
fi- nnh III-»F hsn Spinn- biniikss haft
man s die ganze Gasse entlang hört:
sist wieder vergnügt! Und so macht
er’s des Morgens, wenn er von der
Jungfer erfahren hat, daß ich wohl ge
ruht habe. G’schlafen hat’s! schreit er
schon auf meiner Treppe. Er läßt es
sich nicht nehmen, für gangbare Wege
zu sorgen, damit ich ohne Mühe das
Wäldchen erreichen und mich darin er
gehen tann.«
Und die junge Frau verlangte Bü
cher für ihren getreuen Ritter, der nie
etwas Anderes gelesen als was in sei
nen Schulbiichern stand. Sie beschrieb
das Glück der Leute, wenn der Franzl
des Abends vor dem Hause ihnen et
was vorlese, was das für Feiertags
sreuden seien, und wie es sie amüsire,
alle diese Gesichter während des Lesens
zu beobachten.
Und dann jener Sonntag Nachmit
tag, wie die Dorfschmiedleute bei ihr
in der Stube saßen, um sie singen und
spielen zu hören. Ernsthaft, beinahe
furchtsam sahen sie nach dem Klavier
hin, das sich die junge Frau aus der
Stadt hatte kommen lassen, und dem
sie nun zu aller Erstaunen die wunder
barsten Töne entlocktr.
·Der stattliche Schmied im Sonn
tagsgewand rückte vor Respekt bis an
die äußerfte Kante seines Stuhles, in
dem er mit einer beinah bedenklichen
Miene den Kopf über den wunderbaren
Klimpertasten schüttelte, dessen Con
struttion über sein Begriffsvermögen
ging.
Seine Ehehälsie nahm die Sache von
der heitern Seite, brach alle paarTaite
in ein unbändiges Gelächter aus und
schaukelte dabei ihr jüngstes Mädel
auf den Knieem das sich dermaßen ge
nirte, daß es der Mutter Brusttuch mit
feinen Thränen viillig durchnäszte.
Bier größere Mädchen standen unschie
rig an den Wänden herum, und der
blöde Franzl lungerte untrr der Thür
s-!.-.·- Ol
UUU IUUII ull ch Its-aus sIUIcV IJIIJJ
hutes. Dann, nachdem die Majorin
noch ein paar Lieder gesungen, hielt
sich die Bäuerin nicht länger und
sprang mit den Worten von ihrem
Stuhl: ·
,,A so eine, a das wär a Frau für
unsern Franzl!«
,,Jefses, so a Glück!« murmelte der
Bursche hinter seinem Hut hervor.
Die Majorin wandte sich nach ihm
um: »Das wäre lein Glück sür Sie,
FranzL Sie müssen eine tüchtigeHaus
frau haben.«
Er schüttelte heftig den Kopf
»J mag gar kein Kuchlmenschz wann
i so a Frau hätt’ und i hät» in der
Kuchl g ’,seh ich sagt' ihr gleich: marsch
aus der sucht-«
Die Maiorin bewegt von all diesen
Erinnerungen an eine glückliche Zeit,
säumte nicht, die herzlichen Worte des
Franzl mit ein paar freundlichen Zei
len zu beantworten und ihm zu danken,
dasz er und die Seinen sich ihrer noch
erinnert hatten.
Jn der That, ei feste sie in Erstau
nen; was hatte sie denn diefen Men
sehen besonderes erwiesen? ein wenig
mehr Freundlichkeit, als ei sonst in
ihrer Art lag, und dafür diese Treue,
diefe Anhänglichkeit.
Einige Besuche kamen, ein Bekann
ier ihres Mannes, eine entfernte Ver
wandte von ihr; das sollte nun ein
Trbft sein, diese kühlen Beileidsvm
sicherungen. dieser hinweis auf die
Zeit, dte aue Wunden heite!
Sie hatte recht gut verstanden, als
die Cousine ihr zum Abschied, unter
der Thür, noch schnell die Worte sagte:
»Du warst die Glücklichste von uns
Allen, aber es ist immer eine bedenk
liche Sache, Alles aus zwei Augen zu
setzen.« Man hatte ihr und dem Gat
ten die Zurückgezogenheit, m der sie
gelebt, ihr Selbstgenügs«, und daß sie
sich so rücksichtslos über ihre gesell
schaftlichen Pflichten hinwegseytem
stets zum Vorwurf gemacht. Aber sie
wollte es ihnen zeigen, den Menschen,
daß sie sie auch fernerhin nicht brauch
te, daß es für sie überhaupt nichts
mehr gab aus der Welt als die Vergan
genheit. —- Die Dienerschast bekam
strenge Weisung, Niemand mehr, wer
es auch sei, bei ihr vorzulassen. Da
hörte sie eines Tages ein lautes Reden
aus der Treppe, ein Durcheinander von
Stimmen, die immer dringender wur
den und das stille Trauerhaus mit
unschönen Lärm erfüllten. Ganz roth
vor Erregung stürzte die Jungfer her
ein und berichtete von einer Bäuerin,
die nicht zu bewegen sei, das Haus zu
verlassen, sondern daraus bestehe, die
quädiae Frau zu lvrechen. Bevor diese
oen Mund aufgewan, stand die Per
son, von der die Rede war, auch schon
auf der Schwelle, tnixte bis auf die
Erde und fragte: »Die gnädige Frau
werden mich nit kennen?«
,,Nein«, sagte die Majorin.
,,’s wär auch unmöglich, denn wir
haben uns nie gesehen; ich bin damals
schon aus dein Haus gewesen und ver
heirath’; ich bin die ältest’ Schwester
vom Franzl Faber, und der hat gesagt,
jetzt um jeden Preis will er herkom
men; drunten steht er."
Die große corpulente Frau mit dem
rothglänzenden Gesicht und den laut
krachenden Schuhen war ebenso schnell
draußen, wie sie hereingelommen war,
und die Majorin, die nicht den Muth
hatte, den Franzl abweisen zu lassen,
beauftragte die Jungfer, schnell sür ei
nen Nachmittagsimbiß zu sorgen, da
mit sich die Leute nicht lange aufhiel
ten.
Draußen, die schmale Holztreppe
schien Lust zu haben, aus ihren Fugen
zu gehen unter den wuchtigen Schrit
ten, die sich langsam heraufbewegten.
Dann trat der Franzl über die
Schwelle, an der Hand der Schwester,
noch gleich schüchtern und blöd wie da
mals, aber das einst so glänzende
schwarze Haar des Burschen war an
den Spitzen ergraut, und das leuch
tende Noth seiner Gesichtsfarbe hatte
sich in ein dunkles Braun verwandelt·
Er hob zögernd den Blick zu der blas
sen Frau im Trauergewande, riß sich
im nächsten Augenblick von der Schwe
ster los und ging auf die Majorin zu.
deren Rechte er mit seinen beiden Hän
den umfaszte und wortlos drückte ;
dabei standen ihm die Augen voll
Thriinen.
Die Dame bat ihre Gäste Platz zu
nehmen, aber der Franzl blieb stehen«
wo er stand, und die Schwester, die sich
vor Verlegenheit nicht zu fassen wußte,
wischte sich immerfort mit ihrem gro
ben, eng zusammengerollten Taschen
tuch den Mund. Die Majorin erkun
digte sich nach den Eltern des Paares,
nach den Schwestern, die damals halb
wüchsig waren, als sie der Schmiede ge
genüber wohnte.
»Die Eltern liegen auf dem Fried
hof«, berichtete die Frau, »und die
Mädeln sind alle verheirathet — nur
er, der Franzl« —- Sie sah ihn an, un
terdrückte schnell, was sie hatte sagen
Pollen, und suhr eifrig zu sprechen
ort:
»Die Gnadige mocht sich nimmer
auserkennen bei uns. Jch und der
Mann sind in’s Dorf gezogen und ha
ven ein schönes Wirthshaus gebaut,
oben am Wald, denn es kommen jetzt
viele Freunde wegen der schönen Lust,
die sie entdeckt haben, und wir sind seit
dem recht gebildete Leui’ worden her
oben.'·
Es ioar siir die Majorin eine Erlö
sung, als dieJungser kam und die
Thür in’s Speisezimmer öffnete.
,,A schau daher«, schrie die Bäuerin
und schlug beim Anblick des schönge
deckten Kasseetisches die Hände zusam
men, »das wird doch nit alles wegen
uns sein, so was könnt« ich ja der
Gnädigen gar nicht zurückgeben!«
Diese hatte viel zu reden, bis die
beiden sich endlich entschlossen, rechts
und links vom Tische Platz zu nehmen;
sie selbst setzte sich oben hin und bat
ihre Gäste, sich zu bedienen.
Aber erst nachdem die Bäuerin min
destens ein Dutzendmal versichert hatte,
sie nähme nichts und brauche nichts
und danke für alles, schien sie dem An
stand genug gethan zu haben und ließ
sich die Tasse vollschenken· Hieran
nahm sie mit der Sicherheit einer Per
son, die weiß, was der Brauch ist,
gleich vier Brödchen aus einmal, brach
sie mit Behendigkeit in lauter kleine
Stückchen und hauste sie zu veinem
schönen Vers neben ihrer Tasse auf;
sodann war sie die kleinen Stückchen
mit außerordentlicher Gewandtheitin
ihrer Kaffeetasse, trank schnell vom
Rande ab, so oft dieser überlaufen
wollte, und rührte sich mit dem Löffel
einen dicken festen Brei zusammen, den
sie mit einem Behagen, einem Genuß
aß, daß es um die früher so lachbe
reiten Lippen der trauernden Frau un
willkürlich wieder zucken begann. Sie
nöthigt-e die Bäuerin zu einer zweiten
Taffe, sie gab sich alle Mühe ein Ge
spräch in Gang zu bringen, allein spre
chen während des Essens war nicht der
Brauch bei diesen Leuten.
Endlich aber legte die Bäuerin
ihren Löffel quer über die Tasse, schob
diese in die Mitte des Tische-Z wischte
sich mit dem zusammengerollten Ta
fchentuch fein sorgsam’ den Mund
und fing an zu erzählen — von
Mann und Kindern, ihren Freuden
und Leiden, und wie viel sie zu thun
habe.
»Aber trotzdem, allein hätt’ ich den
Bruder nit um die Welt hergehen las
sen, denn wissen’s, gnädig’ Frau, der
Franzl steht halt den ganzen Tag in
seiner Schmied und kommt nit mit
die Fremden zufammen, da fehlt’s
ihm halt an der Lebensart, und doch
möcht« ich nit, daß er darum ver
iannt werden möcht’, und so bin ich
mit, damit ichs gleich gut machen
kann, wenn er was sagt, was sich nit
gehört.«
Der Bruder erhob den Blick, es war
offenbar, er rang mit seiner Verlegen
heii und wollte sprechen, allein die
Schwester sah ihn mit ein paar fo
angsterfiillten Augen an, sie wischte
und wischte mit solcher Aufregung in
ihrem Gesicht herum, daß er sein Vor
yaocll Illcl ccllclu Ocusdcl UUIZUU UUU
wieder vor sich hinblickte.
Was mochte er nur haben? Die
Majorin hatte Mitleid mit seiner Ber
kegenheit; sie sagte ihm, daß sie immer
noch mit Freude an die kleine Schmie
de mit dem flackernden Feuer zurück
denke, sie schenkte ihm selbst Wein ein
und forderte ihn auf, mit der Schwe
ster auf das Wohl ihrer Nachkommen
schaft zu trinken.
Die Freundlichkeit der Dame machte
den Franzl zusehen-s zuversichtlicher,
ja, er warf, nachdem er sein Glas aus
getrunken hatte und die Majorin eben
bei sich selber dachte: nun werden sie
doch gehen —, geradezu triumphirende
Blicke nach seiner Schwester hin, die
dadurch immer unruhiger und aufge
regter wurde und so laut zu schnaufen
anfing, daß die Majorin sie mit ei
niger Besorgnisz fragte, ob ihr ei
was fehle. Aber bevor sie eine Ant
wort erhalten, schlug der Franzl auf
den Tisch.
,,’s muß außer!«
Und obwohl die Schwester vor Ent
setzen aufschrie und dem Bruder die
gefalieten Hände entgegenhiclt:
»Franzl, ich bitt’ Dich, Franzl —«
Er erklärte von Neuem: ,,’s muß
außer! Wissen’s, gnädig’ Frau, we
gen Jhnen hab ich nit geheirath’; ich
hab’ einen Schatz gehabt damals, wie
Sie vor zwanzig Jahren kommen sind
und so zart waren, so blaß und so
schlank —- da sind Sie mir halt im
Vergleich zu meiner Dirn wie’s Mond
licht vorkommen, und ich hab’ meinen
Schat; nimmer mögen. ’s war frei
lich schad’ um’s Mädel und’s hat
mich erbarmt, aber hätt’s ichs anlügen
sollen und sagen, das; inir’3 gefällt,
wo mir’5 völlig zuwider geworden
ist2«
»Jesses, FranzL so hör doch auf ——«
Die Schwester stand schon eine
gCllzc Bellt llcUcll Will ultu uU irsu um
Aermel und gab sich die erdenklichstc
Mühe, ihn am Weiterreden zu verhin
vern.
Er erhob sich, packte die Frau mit
seiner kräftigen Rechten beim Arm und
führte sie aus ihren Platz zurück. Er
schien durchaus gesonnen, endlich ein
mal von der Seele herunter zu reden,
was da jahrelang aufgespeichert gele
gen hatte. Seine breite Brust arbeitete
heftig, seine Stimme klang heiser, aber
er sprach gehalten, beinahe trocken, als
schäme er sich, irgend ein Gefühl zu
zeigen.
»Sie haben uns damals Bücher ge
geben -—— mit schönen Versen, und ich
hab Tag und Nacht drin gelesen, denn
die andern Leut’, die gebildeten, die
thun ja auch nix anders als lesen, daß
sie gescheidt werden, und da hab’ ich
denkt, einmal werd’ ich gewiß auch ge
scheidt. Oft bin ich wohl desperat wor
den, und hab geglaubt, 's nützt nixj
aber ich hab’ immer wieder angefangen
und keine Nachtruh’ mir gegönnt. Und
einmal wie ich hinauf zu Jhnen gehen
will, mit einem Briefe, da haben’s ge
sungen —- eine Musik geht mir über
alles, ich bleib stehen und hör zu -—
und was muß ich hören — Jesses, Jes
ses, was haben’s gesungen! was ha
ben’s gesungen!
Mein Liebster ist im Dorf der
Schmied,
Und ich bin sein Braut —
Mir ist fast ’s Herz brochen.«
Ein Schluchzen erstickte die Stimme
des Mannes.
,,Mei Gott, mei Gott, hör’ auf,
Franzl, ger nit weiter.« Die Schwe
ster stand schon wieder neben ihm und
hielt trampfhaft seinen Arm umfaßt.
»Schau, ’s gehört sich nit und’s schickt
sich nit, Du bist ja nur ein einfälti
ger Bauer, wir sind ja nur geringe
Leut’.«
Der Bruder hörte nicht auf sie,
schwer athmend hielt er sich den Kon
mit beiden Händen:
»Herum gangen bin ich wie ein
Geist —— mir das —- mir hat’s das
gesungen —- ich bin’s ja, ich bin der
Schmied, aber wie soll’s denn meine
Braut sein, wenn’s einen andern
hat!«
Die Majorin war ganz bleich ge
worden: »Was denken Sie, Franzl,
das war ja aber ——— das ——«
Nun stand die Bäuerin vor ihr, ganz
nah, daß es- der blassen Frau fast den
Athem nahm: »Ich bitt, ich bitt, gnä
dig’ Frau, hören’s nit, was er sagt,
schauen’s, so hat die Mutter selig
immer die Händ’ zusammengefchla
nen:
»Jesse5, Jesses, daß der Franzl
nit heirath’, daß der Franzl nit hei
rath’!«
Er sah auf: ,,’s hat mir halt kein
Dirndl mehr gefallen; ich bin ja wohl
der Mutter zu lieb drauf ausgangen,
eins zu nehmen; aber so ein Jahr um’s
andere ist herumgangen, und ich bin
halt ledig geblieben. Jm Frühjahr
bab’ ich’s in der Zeitung gelesen vom
Tod vom Herrn Gemahl und’5 hat
mich recht geschmerzt; wie aber dann
letzthin das Briefl kommen ist, und
Sie haben so freundlich und gut ge
schrieben, da hab’ ich mich nimmer hal
ten lassen. Sehen muß ich’s wenig
stens, hab’ ich zur Schwester gesagt.«
Diese rannte von der Seite des
Bruders wieder an die der Dame:
,,Scha«uen’s, gnädig’ Frau, ich hab’
immer zum Franzl gesagt: sperr Dich
nit ab von die Fremden, sonst lernst
den Abstand nit kennen zwischen ihnen
und uns; es ist ja so eine andere Mode:
sie essen anders, sie tragen sich anders-,
gehen spät in’s Bett und schlafen in
den Tag hinein, vom Ausschauen will
ich schon gar nit reden. — Mei Gott,
anädia’ Frau, ich weiß nit, wir sin«
doch alle so gescheidt, wo gerad der
Franzl den schweren Begriff her hat;
ich bitt’, seiens nit bös aus ihn, ha
ben’B ein Erbarmen mit dem einfälti
gen Menschen, gnädig Frau.«
»Ja, freilich«, sagte er, ohne der
Majorin Zeit zu einem Wort zu las
sen, »ich seh’s jetzt freilich ein, daß ich
nur ein Bauer bin, nix als ein Bauer,
Und Sie sind eine Dame; da wird’s
wohl so sein, daß Sie einen wie mich
verachten.« «
,.Sagen Sie das nicht, Franzl.«
Die Majorin streckte dem zitternden
Mann, der sie ansah, als erwarte er
aus ihrem Munde sein TodesnrtheiL
die Hand hin. »Wie sollte ich einen so
guten, einen so treuen Menschen ver
achten!« «
»So hätt’ ich eine Hoffnung?«
fragte er, während ihm alles Blut in
die Stirn schoß, »so wären’s nit zu
stolz, weil ich ein Bauer bin?«
Er war so rührend in seiner Ein
falt, das-, das Herz der blassen Frau
vom tiefsten Erbarmen überfloß.
Aber die Bäuerin sing schon wieder
an, auf sie los zu schwatzen, iwinem
Athein den Bruder tadelnd und ent
schuldigend; sie bemerkte in ihrer Auf
regung ga; nicht, daß sie niit ihrem
Redesluß den Franzl förmlich auf die
Folter spannte, denn die Majorin
hatte den Mund zu einer Antwort ge
öffnet, und von dieser Antwort hing
ja sein Lebensglück ab. Aber die
Schwester schien es fiir ihre Aufgabe
zu halten, keinen Menschen zu Wort
kommen zu lassen, und vor Aufregung
und Eifer wurde ihre Stimme wie
eine Trompete.
Da sprang der Franzl mit einem
Mal auf, beugte sich iiber den Tisch
und legte die Hand mit festem Griff
um den breiten Hals der Schwester.
Sie verschluckte sich,« wurde blauroth
und rang nach Athem.
»Mein Gott!« stammelte die Majo
rin and fuhr im nächsten Augenblick
mit ihrem Tascheniuch nach dem
Mund, während eine dunkle Röthe ihr
in’s Gesicht stieg; ganz verzweifelt sah
sie von den Beiden weg, deren Anblick
eine unbeschreibliche, kaum zu bewäl
tigende Lachlust in ihr erweckte. War
das denkbar, war das möglich, so kurz
nach dem Tode ihres Mannes, eine
solche Anwandlung, sie, die in ihrem
Leben nicht mehr lachen zu können
glaubte? Und der Franzl wie sah er
sie an.
»Ich wart’ auf eineAntwort«, sprach
er in bittendem Ton.
Sie faßte sich schnell: ,,Lieber .
Franzh wer seinen Mann sso lieb ge- -
habt, wie ich den meinen, der kann
nicht wieder an’s Heiratben denken.«
H
Er wurde tief blaß und gab die
Schwester frei. Die Hand, mit der er
sich über die Stirne fuhr, zitterte hef
tig, und er athmete schwer, vergeblich
die Lippen bewegend, aus denen kein
Wort hervorkam.
»Mei Gott, Franzl«, jammerte die
Schwester auf, Jetzt verfchlagt’s ihm
gar die Red’!«
Er schüttelte den Kopf: »Hab’ ich
Dir nit gesagt, s’veracht’ mich nit, weil
ich nur ein Bauer bin —- hast’s jetzt
gesehen — s’nimmt auch keinen andern
nit —- und das ift schon ein Glück —
ja, ja, das ist ein Glück.« »
Und der große breitschultrigeMensch
zog sein rothgebliimtes Tafchentuch
aus der Tasche und weinte wie ein
Kind; die Bäuerin aber nahm, ohne
ein weiteres Wort zu verlieren, an der
Seite ihresBruders Platz und schluchzs
te aus Leibe-straften in ihre ·beiden
Hände hinein.
Sie, um derentwillen diese Thränen
flossen, wußte nicht, wie ihr geschah,
sie athmete ein paar Mal auf, sucht-.
nach einem Wort des Trostes, fand die
Sprache nicht und plötzlich —- ja. sie
weinte, weinte die ersten Irlöfendeii
Thränen seit dem Tode ihres Mannes
— und seltsam, sie flossen nicht um
ihn, fremdes Leid hatte dies erstarrte
Herz mit neuem Leben erfüllt, und
durch die Seele der weinenden Frau
zog’s wie eine trostreiche Ahnung: es
ift nicht alles todt — die Welt um dich
her lebt und kann dir noch Freuden
und Schmerzen geben, wenn du nur
. ,·«t·t
Iurujk
Duell;uth.
Die meisten Duelle inEuropa wer
den von deutschen Studenten ausge
tragen. Um die zweifelhafte Ehre, der
günstigste Boden für das Duellunwe
sen zu sein, wetteifern die deutschen
Universitätsstädte Göttingen und
Jena. Jn Göttingen vergeht kein Tag,
an dem Cartellträger nicht ihres miß
lichen Amtes walteten. Jm Jahre
1888 sind einmal binnen 24 Stunden
in Göttingen 12 Duelle mit ernstem
Ausgang ausgefochten worden, wäh
rend in Jena ein Jahr vorher einmal
binnen 24 Stunden 21 Duelle regi
strirt wurden, die ausschließlich zwi
schen Studenten stattfanden. Jn
Frankreich, das in zweiter Linie
kommt und wo die Duellanten eine
auffallende Geschicklichkeit darin ent
wickeln, sich gegenseitig —- nicht zu
verletzen. nimmt man es mit demDuell
glücklicherweise nicht sehr ernst, sonst
müßte die Zahl der ernsten Unsälle das
Zehnfache der thatsächlich vorkommen
den Verletzungen erreichen, da man in
Frankreich bekanntlich wegen jeder
Kleinigkeit duellirt. Die ungezählten
harmlosen Zusammenstöße, die ganz
unschuldigerweise Duelle genannt wer
den, ungerechnet, kommen in Frank
reich jährlich ungefähr 1000 ernste
Duelle vor. Die Mehrzahl findet zwi
schen Officieren statt. Jtalien hat im
Laufe von 10 Jahren nur 2759 Duelle
zu verzeichnen gehabt, welche 50 Men
schen das Leben kosteten. Von diesen
759 Duellen wurden 2489 mit Sä
beln, 179 mit Pistolen, 88 mit Rap
pieren und ein Duell mit Revolvern
ausgetragen. Jn 974 Fällen war das
Motiv in Beleidigungen durch Zeitun
gen und in literarischen Streitigkeiten
zu suchen. Durch mündliche Streite
reien fühlten sich 730 so beleidigt, daß
sie »die Schmach nur mit Blut abwa
schen konnten«. 559 wurden durch
politische Meinungsverschiedenheiten
entzweit, und in 278 Fällen war vor
bedachte Jnsultirung der Grund des
Duell-T 188 Fälle wurden wegen in
timer Auseinandersetmngen, und 29
durch religiöseDiscussionen verursacht.
Spiekverluste hatten 19 Duelle zur
Folge, während 187 in ihrer Ursache
unaufaeklärt blieben·
——-« M e n o m m a g? ,,Haben Sie
Glück bei den Damen?« »Ich sage
Ihnen, so wie ich iInRegen einer Dame
mit meinem Schirm nahe, wirft sie
ihren weg!«
—DerFrauena1-zt. »...Mich
fröstelt’s immer so, und mein Mann
lacht dazu!« Arzt: »Ach, Sie haben
aewisz die modernen Pelztragen ge
schen!?«
—- Guter Rath. Mann (är
gerlich): »Ich möchte aus der Haut
sahren.« Frau: ,,Laß das nur so
kurz vor dem Mittagessen nachher
kannst Du nicht wieder hinein!«
—Unerhört. DteFrau Rech
nungsrath (aus dem Balle, zur Frau
Stadtrath, giftig): »Wie diese Person,
die Frau Architekt dort, Einen täu
schen kann! Denken Sie nur« der ihr
wundervolles Haar und ihr herrliches
Zahngebiß sind beide —- echt!«
—Gutmüthig., Richter-»F
dies der Mann, den Sie am 5. Augu
Morgens 9 Uhr mit 4000 Mark ue
Bank schickten?« Kaufmann: « a!
(mit leisem Vorwurf zu dem Ange
klagten) Sind Sie aber lange ausge
blieben, Müllers«