Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, January 29, 1897, Sonntags-Blatt., Image 10

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    genillnsium
NomanvonHansRichter.
CthtfetztMgJ
Zweites Kapitel.
Lichtenau—es verdiente seinen Ra
iner-, ein helles Thal mit frisch grü
nenden Wiesen und Feldern, von ei
nem kleinen Flusse durchsirömt, in des -
sen klarer Fluth nickende Weiden sich
spiegelten, in der Ferne von einer Hü
seliette begrenzt, deren dunkle Fichten
und Tannen ernst herüber grüßten.
Das Gut des Londraths lag dicht am
Flusse, an der Spihe des Winkels,
welcher das freundliche Dorf beschrieb.
Er hatte es erfi etwa vier Jahre im
sBesitz und seitdem schon zu einer weit
hin berühmten Mustertoirtbichaft er
hoben· heute liegt der Hof in sonn
käglicher Stille. Unter den. wie die
Kanonen einer Batterie regelrecht auf
gestellten Ackerwagen treibt sich eine
Schaar bunter Hühner umher, durch
die halbgeöffneten Stallthiiren dringt
bisweilen das behagliche Schnobern
eines Pferde-T das tiefe, wohlige Ge
brumm des Rindviehes oder das leise
Klirren einer Kette; auf dem lleinen
Teiche tummeln sich Gänse und Enten,
schnatternd, als wollten sie mit den
schwatzenden Knechien und Mägden
wetteifern, die im Sonntags-staat mit
der Pfeife und dem Strickstrumpf vor
dem Gesindehause sitzen —- ein anmu
thendes Bild friedlicher Sonntags
feier, der wohlverdienten behaglichen
Ruhe, welche nur der hart Arbeitende
wahr genießen kann.
Vor dem Herrenhause, einem einfach
hübschen Gebäude im Schweizerstil
mit einer ringsum laufenden Veranda,
welches den Hof nach der Flußseite zu
begrenzt, stehen Elli Buchrodt und
Graf Altenegg im eifrigen Gespräch
mit dem Wagenbauer, und der Graf
zeichnet mühsam mit einem Stock ei
nige Linien kreuz und quer in den
Sand, die er fiir die Zeichnung eines
Feldwaaens allzeit-vorüber die heitere
junge Dame laut auflacht und Herr
Lange mit bescheidener Ueberlegenheit
lächelt.
Der verabredet-e Besuch ist also
Thatfache geworden, trotzdem Altenegg
bis zur letzten Stunde allerhand Ver
hinderungen vorgab, welche er freilich
nach einigem Zureden Konrads ebenso
rasch beseitigte, als er sie erfunden
hatte.
: Idee Landrath und seine Gemahlin
halten Mittagsruhe Auf der Röck
seite des Hauses, wo sich der hübsche,
zierlich gepflegte Garten sanft nach
dem Flußufer senkt, sitzen Clara und
Konrad auf der Veranda, sie mit einer
Handarbeit beschäftigt, er weit in ei
nen amerikanischen Schautelstuhl zu
rückgelehnt, im Munde die Cigarre,
mit den Augen unbewußt den leichten
Rauchwölkchen folgend. Weit ab von
dem friedlichen Hause, von dem stillen,
schönen Mädchen, das bisweilen, von
ihm unbeachtet, die sinnigen Augen
prüfend zu ihm emporhebt, in eine un
gewisse Ferne hinaus fluthen seine Ge
danken und suchenein bräunlich-blasses
Weib mit blitzartig funkelndens Augen.
Der Schleier desGeheimnißvollem mit
dem sie sich umgeben, reizt ihn fast noch
mehr als ihre Schönheit und hat das
flüchtige Wohtgesallen zu- einer ernsten
Leidenschaft entflammt. Die Selt
famteit der Bewegung, das Fremden
tige ihrer Schönheit, der Zauber ihres
ungewöhnlichen Geistes. der wechseln
den Stimmung, ihr räthselhaftes Auf
tauchen und Berschwinden — wie ein
süßer, milder Haschischtraum umfängt
ei ihn, in dessen Erinnerung er sich so
tief versenkt, daß sie schließlich von sei
nem ganzen Fühlen und Denken Be
sitz ergreift, ihn gegen alles Andere
gpeichgültig macht, gleichgültig selbst
gegen den innigen Ton, in welchem jetzt
Garn fragt: Du bist so ftill und ernst,
Konrad; was hat dich verstimmt?
Woran denkst du?
An . . . ., fast entschlüpft der Name
Melitta seinen Lippen, doch hält er
noch zur rechten Zeit inne und sagt da
fiin An die Dummheit der Neustäd
ter, sich über meinen Abschied die
Köpfe zu zerbrechen.
O, das ist unartig, ich thue es näm
lich auch! Papa sagt, du seist des
Dienstes müde, aber duwarst doch stets
so gern, ja. mit Begeisterung Soldat.
Die Ansichten- ändern sich, liebe
cis-ea.
Eine Redensart, aber keine Erklä
meet
hältst du ei vielleicht für angenehm,
siir Jus-then zu dtillen M
das Justruttionsbuch wiederzutdeeni
Ich keckem-re in dieser Tretmiihle, in
c —
der ich mich wie des Färberz Gaul im
Kreise herumtreibe. «
Und das noch einförmigere Landle
ben, solltest du denken, würde dir mehr
Abwechslung und dauernde Befriedi
gung gewähren? Das kann nicht sein.
Es ist irgend etwag anderes geschehen,
was deinen Entschluß bestimmt. Seit
unserm letzten Besuche in Neustadt bist
du nicht mehr derselbe. Jn deinem
Wesen liegt ein fremder Ton, der mich
ängstigt. Sage mir, was es ist« reiße
mich aus dieser peinigenden Ungewiß
heit; ist dir ein Unheil widerfahren,
droht es dir? —- Du schweigst, Kon
rad! Hast du denn kein Vertrauen,
teine Liebe mehr zu mir?
Ein schmerzliches, bittendes Zagen
klingt durch Clara’ö Stimme, leuchtet
zärtlich aus ihren Blicken, die den sei
nigen zu begegnen suchen. Konrad
Buchrodt hat dafür nicht Auge noch
Ohr. Unwillig, weil er fühlt, wie eine
verrätherische Röthe in seine Wangen
gestiegen ist, murtt er, den Kopf zur
Seite wendend: Thorheit, du siehst,
am hellen Tage Gespenster. Und das
schöne Mädchengesicht neigt sich er
blassend wiedr über die Stickerei, aus
die eine heiße Thräne niedertrobft.
Er weiß taum« wie schön sie sind,
diese zarten, reinen, träumerischen
Züge; seine Zuneigung ist eine rein
brüderliche. Mit acht Jahren ver
waist, war er im Hause des Oheims
zusammen mit dessen gleichaltrigem
Sohne erzogen worden. Eines Tages
brach dieser beim Schlittschublaufen
durch die berstende Eisdecke Tollkiihn
stürzte sich Konrad, der sich bei dem
unheilveriijndenden Krachen noch
rechtzeitig gerettet, in den Strom, die
schwache Kraft des Knaben erlahmte
in der eisigen, reißenden Fluth, aber er
ließ den Gespielen nicht los, in enger
Umarmung brachten herbeieilende
Männer sie ans Ufer, leider siir den ei
nen zu spät. Seitdem nahm Konrad
in dem Herzen seiner Verwandten den
Platz des ihnen entrissenen einzigen
Sohnes ein, Ellt und Clara betrachtete
er als seine Schwestern. Die Rücksicht
auf seine Nähe hatte den Landrath,
als er vor einigen Jahren seine Domä
nenpacht aufgab, zum Antaus von
Lichtenau bestimmt, vielleicht auch, da
seine Töchter zu anmuthigen Jung
frauen heranbliihten, dieHosfnung aus
ein noch engeres Band....
Heiß brütet die Sonne auf dem
lGattecy ein Tag, den der April ini
voraus vom Sommer entlehnt zu ha
ben scheint, am blauen Himmel flat
tern einige weiße Wölkchen, die der
Bollsmund in naiver Poesie Schäfchen
nennt, auseinander-. Konrad heftet
seine Augen auf sie, als hoffe er, eines
von ihnen werde ihm den Weg zu Mr
litta verrathen —- Frau Melittat dar
über kommt er nur schwer hinweg.
Allerdings, sie stand nicht mehr in
der ersten Jugenbliithe, wie auch in
ihrem ganzen Wesen etwas Frauen
haftes lag, das diesem feinen Kenner
nicht entgehen konnte, doch ergänzte er
wenigstens aus eigener Machtvolllom
menheit: verwittwete Frau Melita . . .,
er konnte sich keinen Mann denken,
dem diese Frau angehörte; nur auf sich
selbst angewiesene Frauen. Wittwen,
haben dieses (im guten Sinne) freie,
selbständige, bestimmte Auftreten. Jhr
nicht nachzuforfchen, wie sie ihm be
fohlen, war ihm wenigstens in einer
Beziehung nicht schwer gefallen. Auf
dem Bahnhofe war sie von einigen Ka
meraden bemertt worden.die mit allem
Eifer lebenslustiger und in der Ein
förmigkeit der kleinen Stadt nach Ab
wechslung schmachtenderjunger Herren
etwas iiber sie zu erfahren suchten, lei
der bis jetzt mit durchaus negativen
Erfolgen. Das Mädchen aus der
Fremde nannte man sie im Casino;
niemand kannte fie, niemand wußte«
woher sie gekommen, wohin sie gegan
gen. Der Lohntutscher behauptete, sit
habe ihm nicht das Endziel der Fahrt·
sondern nur die Lichtenauer Chausset
als Richtung angegeben, Und von die
ser führten mehr als ein Dutzend Wegs
nach zerstreuten Dörfern, Gütern unt
Höfen seitwärts ab. Konrad hätt(
bisweilen am liebsten laut ausgelacht
wenn die Kameraden sich in allerhant
Bermuthungen über Melitta ergingen
von ihrer junonisehen Schönheit
schwärmtem sie mit einem strahlender
Meteor verglichen,da5 urplötzlich blen
dend auftaucht- um ebenso rasch unt
spurlos wieder in dunkler Nacht zr
verfinien, nichts zurücklassend als dis
Erinnerung und das Bedauern seines
zu schnellen Entschwindens. . . ., e1
wußte ja mehr als sie alle, doch hüllt
er sieh llug in gleichgültiges Schwei
gen.
Gewiß wird er sie wiedersehen, da
sagte ihm eine innere Stimme, und di
s-«fiihle Ueberlegung stigte die nicht un
mhrscheinliche Erklärung hinzu, Me
litta stath einem der Gutsbesiher oder
l - I -
sonstigen honoratioren in der Nähe
Neustadt’s einen Besuch ab, vielleicht
alg Verwandte, vielleicht nur als
Freundin, gleichviel, der Landrath un
terhielt einen regen Verkehr mit seinen
Nachbarn, und so mußte Konrad, olme
das ihm gegen seinen Willen abge
nommene Versprechen zu verleßery
ihren Aufenthalt erfahren, sie wieder
sehen . . . . die slatternden Wölkchen da
droben haben sich wieder vereinigt und
heben sich wie ein hellerKranz von dem
dunkeln Blau desAethers ah, ein gutes
Vorzeichen — Kränze flicht die glück
liche Liebe.
Mit schweren Schritten steigt Gras
Altenegg die hölzernen Stufen zu der
Veranda heraus, seht sich neben Clara.
die sich mit übermenschliche Gewalt
zwingt, ihm ein lächelndes Gesicht zu
zeigen, erzählt ihr von seiner berühm
ten Evastochter und seinem schönen
Schlosse Altenegg, das so trostlos leer
steht, und hält bisweilen mitten im
Satze inne, wenn er sich in die Bewun
derung ihrer lieblichen, sanften Züge
verliert. Konrad träumt weiter von
Liebeslränzem unten im Garten wirst
Elli Buchrodt die Frühlingsblüthem
die sie für den Gast gepflückt, in den
murmelnden Fluß und preßt zornig
die rothen Lippen zusammen: Blind
sind sie, diese Männer, blind und thö
richt, wie kleine Kinder, die nach den
Sternen fassen und die Blume zu ih
ren Füßen nicht sehen. So herzensgut,
so ritterlich brav und ohne jedes Falsch
und dabei so blind, so dumm! Jch
möchte lachen, wenn — ich es nur
könnte!
Ein schmerzlichen triiber Hauch
weht durch das Bild, das so fest
tiiglich heiter aussieht.
i- s- «
Im Laufe des Nachmitags lauten
wie gewöhnlich noch mehr Gäste, der
Lichtenauer Prediger, ein noch junger
Mann, mit seiner Mutter, ein pensio
nirter Major mit seinem Sohne, der
sich als hoffnungsvoller Jnftnterie
Fähnrieh durch die Gegenwart der bei
den Dragoner-Lieutenants etwas ge
nirt zu fühlen schien, der Oberförster
mit seinem Forstreferendar und Ele
ven, mehrere Gutsbesitzer mit stattli
chen Gattinnen undmeistrecht hübschen
Töchtern, zum Theil in Begleitung
mehr oder minder nahestehender jun
ger herren. Die älteren Herrschaften
nahmen in dem großen, luftigen Gar
tenzimmer Platz und plauderten, die
Damen über häuslicheAngelegenheitem
die herren über Politik und Land
wirthschaft. Jn diesen Kreis warfen
die geistreichen Salonsireitfragen, die
in großstädtischer »gebildeter Gesell
schaft' unentbehrlichen Erörterungen
der Kunst und Literatur, keine stören
den Schatten. Ob Verdi oder Wag
ner, Schiller oder Tolstoi, Rafael oder
Schmidtt-Preuschen—-Frau Landrath
lümmerte sich darum ebenso wenig wie
ihre Gäste. Dafiir aber war der Kas
feetisch und später die Tafel zum
Abendbrod vorzüglich besetzt, mit fei
nem Porzellan und schwerem Silber
sehr geschmackvoll und reich delorirt,
und ihr noch seuriges Auge lontrolirte
sehr scharf den Bedienten und die
Mädchen. Sie war eine noch sehr
hübsche, lebhafte Dame von jener an
genehmen Fülle, welche glückliche
Frauen, besonders Blondinen, in den
vierziger Jahren erreichen, heiter, le
bensfroh und energisch, das Urbild ei
ner Landdandr. in Erscheinung, Cha
ralter und Auftreten ihrer älteren
jTochter fast gleich.
Im warten uno aus oer wiepe am
Fluß amiisirte sich die Jugend. Der
Forstreserendar, ein- lebhaften dunkler
Krauskopf, welchem Konrad heute sein
Amt als Bergniigungslommissar ab
getreten, arrangirte Gesellschcstsspielr.
Wie Frühlingzgenien schwean die.
Mädchen in ihren hellen Kleidern über
den Rasen — Scherzen und Lachen,3
Jagen und Jungen, harmlose Reiterei
und gutmüthiger Spott, vielleicht auch
ein wenig Liebelei, dazwischen Gläser
klirren, Reden und hochrufe. denn der
Graf hatte einige Körbe Champagner
mitgebracht, den er nicht sparte; Kon
rad trieb das alles nur wie im Traume
’ rnit. Die Mädchen waren durchweg
hübsch, doch gegen Melitta mußten sur
E weit zurücktreten, leine besaß ihren
T Wuchs, den eigenthiimlichen Reiz ihrer
Züge, am wenigen ihren Geist, selbst
Clara nicht, die schönste und anmu
thigsie von allen, s omadonnenhaft auch
ihre reinen blauen Augen« unter der
weißen, goldurnlockten Stirn hervor
sahen, so sinnig und freundlich die
« sanfigtfchwungenen Lippen sprachen.
Arn Ufer lagen zwei hübsche kleine
Boote. Wir wollen auf dem Wasser
fahren! rief eines der Mädchen, die
andern stimmten jubelnd bei: Ja
wohl, Kahnfahren und die Loreley
dazu singen —- nein: Es rauscht in
. den Schachtelhalmen — oder: Eine
l T I J
Wassermaus und eine Kröte! Jn klu
ger Höflichkeit war Alyne « denDas
men- beim Einsteigen behi s ich, bis er
ducrch einen forschenden Seitenblick be
merkte, daß Clara, aus welche er war
tete, sich ins eine Laube zurückgezogen.
Mit txtben Fußtritten stieß er die ge
füllten Kähne vom Ufer ab.
Kommen Sie denn nicht mit? —
Trauen Sie dem Wasser nicht« weil es
keine Ballen bat? — So wasserscheui
Das läßt tief blicken! rief es lachend
durcheinander.
DerGras stemrnte die Arme in diel
breiten hüften Wiege ja hundert
vetmzig Pfund meine hettschsftem
ruinire mit einem Fußtritt Jhre ganze
Flottille, auf Parole, will Sie durch
aus nicht in Lebensgefahr bringen!
Und mit lächelndem Stolz auf feine
List trat er zu Clara in die Laube undi
setzte sich ihr gegenüber auf den Stuhl.
sie ihm mit einer freundlicheni
Handbewegung anwies. Vielleicht war
er ihr nicht ganz willlommen, allein
sein ehrliches, breites Gesicht zeigte ei-(
nen so theilnehan Ausdruck, daß1
sie ihm nicht zürnen konnte. l
Es war ein hübsches Plätzchen wie
eigens geschaffen zum stillen Sinnen
oder traulichen Zwiegespräch Rings
um dusteteni Rosen, Maiglöckchen und
tönte Gläsertlirren und heiteres
Schwatzem nebenan rauschte leise der
Fluß, darüber hinaus schweiste der
Blick über saftiggriine Wiesen bis an
den terrassenförmig empor-steigenden
dunklen Bergwald, über welchen die
Thürme der stolzen Nitolsburg em
porragten. Die sinkende Sonne, die
in einem Meer purpur- und mange
farbener Wolken schwamm, ließ das
alte Gemäuer trotz der über eine Meile
betragenden Entfernung scharf in ei
nem röthlichen Lichte hervortreten und
die Fenster wie glühende Schilde er
glänzen. Dahin blickte Clara durch
die breiten Blätter des die Latten um
rantenden Pfeifentrautes, auf denen
die schrägen, zitternden Sonnenstrah
len spielten, als sage ihr eine unbe
stimmte, dunlle Ahnung, daß das
Schicksal geheimniszvolle Fäden zwi
schen ihr und dem fremden, stolzen
Schlosse herüberspinne.
Unruhig rückte Graf Ateneag auf
seinem Sitze hin und ber, das Gesicht
in feierliche Falten gelegt.
Jch bin eine fchlechteGesellfchafterin,
begann endlich das Mädchen. Sie
müssen heute fehrvielNachsicht mit mir
haben.
O, Sie machen mich schon glücklich,
wenn ich nur bei Jhnen sein darf, ant
wortete Altenegg, und als sie ihm dar
auf freundlich zunickte, fand er endlich
den Muth, nach welchem er schon so
oft vergeblich gerungen. Sich weit
vorbeugend, so daß er ihren weichen
Athem auf seinen Wangen fühlte, fuhr
er fort: Was halten Sie eigentlich
von mir, gnädiges Fräulein, von mei
nem Charakter?
Daß sie ein guter Mensch sind,
ein echter Edelcnann, nicht nur dem
Namen nach.
Edelmann kommt heutzutage
nicht mehr viel daraus an, das erstere
bin ich wirllich, hosse es wenigstens.
Schönheit, Klugheit, Talente, ein ge
siilliges, einschmeichelndes Wesen, das
ist mir alles versagt, mache mir auch
wenig daraus, lache höchstens, wenn
manche Narren mich verspotten zu
können glauben, oder nehme sie mir
vor di« Klinge, je nachdem! Allein ich
habe wissentlich noch keiner Katze ein
Unrecht gethan; ein Mensch, der es gut
mit mir meint, kann mich um den Fin
ger wickeln, und sür meine Freunde
lasse ich mich todtschlagen, rädern. Jih
habe ein treues, ehrliches Herz, Etat-,
und dieses Herz gehört Ihnen, so lange
ich Sie kenne, seit Jahren schon.
Gras Alteneggt ries Clara betrossen
und erröthend dazwischen, aber nach
dem er seine bange Scheu einmal über
wunden, war Altenegg von einer ihm
sonst völlig fremden Redegewandheit
und Kühnheit beseelt. Jhre beiden
Hände ersassend, drückte er sie mit zar
tem Zwange aus ihrem Sitz zurück.
Jch weiß wohl, daß Sie mich nicht
lieben können, Sie ein lichter Engel,
ich ein ungeschlachter Kriegztnecht, der
ibesser aus die Rettbahn als in Frauen
Igemächet paßt. Jndesz, so rauh und
’prosaisch ich erscheine, giebt eg doch in
meinem herzen ein höheres, heiligeg
Gefühl, die Liebe zu Ihnen, die durch
mein ganzes Leben dieselbe bleiben
wird. Nur selten, in Stunden thöricht
seliger Triimereien, in eitler Zuver
sicht aus die Glück-gönn die mir das
Schicksal ohne mein Zuthumin den
Schoß geworfen, dachte ich an die
Möglichkeit Sie zu erringen. Sie be
rauschte mich, doch fand ich nie den
Muth, Ihnen diese Liebe zuentdeckem
nur Zu deutlich sagt mir meine Selbst
erkenntniß, daß der Marm, dem Sie
Ihr Herz schenken werden,ganz anders
r
beschaffen sein muß als iikzc und wenn
ich FU, entgegen meinem Vorsadq um
Sie werbe, geschieht es nur« weil Sie
unglücklich sind. Jch bin kein feiner,
geistreicher Kopf, der in dem herzem
anderer Leute zu lesen versteht, aber
das meinige, das nur für Sie schlägt,
sagt mir, daß Sie leiden;,warum? um
wer-? ich weiß es nicht und frage nichts
darnach! Nur so viel weiß ich, daß ich
Jhnen helfen, Sie so zufrieden und
glücklich als möglich machen möchte,
selbst um den Preis meines Lebens.
Nur deshalb biete ich Jhnen meine
Hand, die wohl stark genug ist, Sie
gegen jeden zu schüsem einen der
besten, geachtesien Namen und eines
der größten Vermögen des Landes.
Das bedeutet Jhrem herze-n wenig, ich
weiß es, doch freue ich mich um Jhret
willen, daß ich der Graf Schenk zu
Altenegg bin, der keinem Fürsten zu
weichen braucht, Sie sollen eine große,
mächtige, reiche Dame sein, meine
Herrin, Jhr Augenwink ein Befehl für
mich, Jhr Lächeln mein Dant und
mein Glück.
Zitternd stand Clara vor dem er
regten Manne, dessen mächtige Brust
sich in tiefen Athemzügen stürmisch
hob und senkte.
Jch kann es nicht, klang es leise von
ihren Lippen, ich müßte Sie ja betrü
gen . . . mein Herz gehört-— nein, nein,
es kann nicht sein, Graf!
Also doch! — Altenegg war bleich
geworden, wie sie ihn noch nie gesehen.
——-Eine wahre Hoffnung habe ich wohl
nie gehegtt und werde immer glücklich
sein, wenn ichSie glücklich wissen kann
...freilich, es ist trotz alledem bitter;
auch wenn ich Jhre Antwort voraus
sehen konnte, schneidet sie mir doch das
Herz entzwei, das ohne Groll Jhnen
jetzt und fiir ewig gehört. Und in rit
terlicher Aufwallung beugte er das
Knie, küßte Clara’s Gewand und die
zarte Hand, die sie sanft auf sein Haar
legte. Jch gehe seht, Clara, wir wer
den uns sehr lange nicht wiedersehen,
doch wenn Sie jemals eines starken
Armes, eines ehrlichen Herzens bedür
fen, so schreiben Sie nur ein Wort an
Ihren treuen Freund Emmo Altenegg.
Was ich bin und habe, gehört Ihnen,
Gut und Blut, Leib und Seele bis
zum letzten Athemzuge. Verzeihen Sie
mir, ich meinte es ja nur gut mit Ih
nen, und denken Sie bisweilen freund
lich an mich.
Er wollte gehen, aber jetzt schlang
das Mädchen ihre Hände um seinen
Arm und hielt ihn zurück. Flehend
bat sie: Nein, ich lasse Sie nicht, Sie
müssen bleiben. Jch rechne auf Jhre
Freundschaft; kein herz schlägt mir so
treu wie das Jhrige, berauben Sie
mich dieser einzigen Stütze nicht.
Bleiben? ..... O Sie wissen nicht,
was Sie verlangen, Sie kennen die
Liebe nicht. Sie zu sehen —- ohne
Hoffnung —— es treibt mich mit Ge
walt fort und hält mich mit noch stär
kerer Gewalt zurück; mir ist, als sei
ich ein neuer Mensch geworden mit
andern Gefühlen, von denen ich früher
nichts ahnte. Ach, diese gezierten
Worte, die mir, ich weiß selbst nicht
wie, von den Lippen fallen, können
Jhnen doch alle nicht sagen. wie es in
mir aussieht, wieunendlich lieb ich Sie
habet
Guter. .. Sie zürnen mir nicht?
Zürnt man den Engeln, daß sie nicht
vom Himmel zu uns herniedersteigen?
Jhnen zürnen, wie könnte ich es, selbst
wenn Sie mir die letzte Hoffnung rau
ben.... müssen Sie das, Clarai
Bleibt nicht die geringste, nur ein lei
ser Schimmer, der mich aufrecht erhält.
fiie mich übrigi
So verzweifelt blickte er sie mit sei
nen große braunen Augen an, daß
sich ein zärtliches Gefühl in ihrem Her
zen zu regen begann.
Wir sind nicht herren unserer Em
pfindungen und Neigungen, sprach sie
rasch, seine Rechte zwischen ihre beiden
Hände nehmend. Wäre ich eg, wie
gern würde ich Ihnen mehr geben als
neine Freundschaft Vielleicht, wenn
finst mein Herz denselben Schmerz
rnpfindet, wie jetzt das Ihre, wenn ich
nich retten musz vor meiner eigenen
inglitellichen Leidenschaft, sliichte ich
mich zu Ihnen, und wenn Ihnen dann
genügt. was noch von meinem Leben
iibrig ist, der ehrliche Wunsch, Sie lie
ben zu lernen, Sie so glücklich zu ma
chen. als Sie es verdienen, so will ich
gern die Jhre fein. Bis dahin bleiben
Sie mein Freund, ich bitte Sie herz
lich, fliehen Sie mich nicht, auch wenn
es anen scheint, als hätte ich dies(
Stunde vergessen. Jch fürchte, schwe
ren Tagen entgegen zu geben« in denen
ich Jhrer Treue bedarf.
Jn den taktmäßigen Ruderschlag
der zurückkehrende Boote tönte de1
schwermiithige Gesang der Fohrendenx
Nun wollen Berg und Thale wiedei
. bllllym
I-— T
Die Winde säuseln durch der Wipsek
Gr iin,
Des Waldhorns Klang verschwirnmt
im Abendroth —
Jch möchte froh setinstdoch mein Herz ist
o .
Jn das Haus zurück eilte Clara,
der Gras ging an das Ufer und zog die
Kähne an den ihm zugeworfenen Ket
ten heran. Als sich die Gesellschaft
plaudernd zerstreute, sagte er zu Buch
rodt: Jch fahre nach Hause.
Warum? fragt-e Elli. zwischen die
beiden Ossiziere tretend, indem sie mit
ihrem Bett-er einen raschen, vielsagen
den Blick austauschtr. Ihnen beiden
war Alteneggs Liebe längst kein Ge
heimniß mehr, der Zweck seines Zu
rückbleibens von der Bootfcchrt ebenso
leicht zu deuten als der Grund seiner
jetzigen Berstirnmung
Füble mich nicht recht wohl, aus
Parole, ganz miserabel, stotterte der
Gras verlegen. Möchte aber nicht erst
Aufsehen erregen, bitte mich giitigst bei
den Herrschaften drinnen entschudigen
zu Pollen.
ists-out sh- i i-.
U, Iu emsqtupsell Tale mir lltmr,
rief Eili, legte fest ihren Arm in den
seinigen und blickte mitleidig in sein
blasses Gesicht. Geh nur, Konrad, da
mit wir nicht alle spurlos verschwin
den, und Sie, Graf, bleiben noch, täne
Widerredet wir setzen uns in die Lau
be und ich erzähle Ihn-en Märchen . . .
vom Bäumchen, das gern andere Blät
ter haben wollte, und ähnliche ange
versichere Ihnen, das ist besser ais jede
Medizin, die Jhnen Jhr Stabsarzt
verschreiben kann, aui Parole!
Wie gut Sie mit mir sind, Elli -—
ohne es zu wissen oder zu wollen,
nannte er sie nur bei ihrem Namen.
zum ersten Male ·—— hütsreich wie ein
Engel.
O, ich habe durchaus nichts Engel
hasies an mir, erwiderte Elli leicht er
räthend Wenn Sie mir ein wenig
mehr Aufmertsamteitgewidmet hätten,
wünden Sie wissen, das-, ich nur ein s
geht einfaches, unbedeutench Mädchen
in.
Gras Altenegg schüttelte zu dieser
bescheidenen Selbstbeurtheiiung ener
gisch verneinend den Kopf und mur
melte etwas Undeuttiches in den strup
pigen Schnurrbart, was mit »Alle
Hagel« anzufangen und mit der Ver
sicherung ,,ausParole« zu enden schien.
Dann traten sie in die Laube.
Drittes Kapitel
Es war der dritte Tag nach dem
Besuche in Lichtenau. Jn einem Hei
nen Saale des Gasthoer zum Adler,
der mit seinen Nebentabinetß gewöhn
lich zu Festiichteiten geschlossener Ge
sellschaften benutztwutde,gingen Buch
rodt und Altenegg aus und ab und be
trachteten prüfend die zieriich nnd reich
gedeckte Tafel, die bereitgesiellten, noch
der Füllung harrendenWeintiihler, die
an den Wänden angebrachten militäri
schen Embleme. Buchrodt, der bereits
endgültig beurlaubt war und morgen
nach Lichtenau überzusiedeln gedachte,
gab seinen Kameraden und Freunden
ein Abschiedsessen
Alles sehr schön, sagte der Gras mit
betrübter Miene, sich an eins Oder nach
dem Hofe hinausgehenden Fenster
sehend. Wollte aber mit Freuden zehn
Dinerz geben, wenn du bliebesi.
Es ist ja nur ein sahensprung bis
Lichtenau, ich rechne sehr start daraus
daß du mich öfter besuchst, tröstete
Buchrodi.
Gortsetzung solgt.)
——.-0.0-.- s— --- —-—.
Des Sinken des Titieaeir.
Der »Kölnifchen Zeitung-' schreibt
man: Zahlreiche Anzeichen sprechen
dafür, daß der große, auf der Grenze
von Pera und Bolivien gelegene Titl
racafee fich in dauerndem Rückschritte z
befindet und fein Wasser-spiegel all-- "
mählich sinkt. Jn den letzten dreißig
Jahren ist er an verschiedenen Orten
trm 500 Meter weit zuriickpexoichein
Ueberlieferungen besagen, der eine
Lagune, die jetzt 20 Kilometer von dem
See entfernt ift, früher ein Theil des:
selben gewesen fei, nnd an der Richtig
ieit dieser Ueberlieferung iit nicht zir
zweifeln. Die Felsen an feinen Ufern
und in feiner Nachbarschaft nagen in
vetfchiwenen Höhen Spuren der Thä
tigieit des früheren Wasserfiandesx
das Wasser des Sees ltieg eheman bis
zu dieer Linien herauf. Auch finden
sich an den Felsen verlchiedentliche Restes
von halbversteinerten Süßivafiermu
fcheln in großer Zahl. Der See ist
alfo im Verschwindens begrifer und
feine Oberfläche verkleinekt sich dau
ernd. Die Folge einer weiieren Ab
1 nahme des Wassers-viel- die Auflösung
des Sees in eine Reihe kleiner See
becken fein, und fchließlich wird viels
- leicht die Gegend nichts anderes mel
fein als das Bett eines Flusses.