Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, January 15, 1897, Sonntags-Blatt., Image 7

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    Sonntags-Blatt
Beilage des ,,Anzciger und Herold« zu No. 1.9.·.- Jahsgang I?.
J— P. Willdvlph, Herausgehen
Grund Island, chr» dcn 1.«.'). Januar 1897.
pflicht.
VonLeoHildeck.
»Lifa -—- bist Du da?« fragte der
Kranke »Lisa —- —"
Ein hastiges Raunen, sin Raschenln
im Nebenzimmer. Die cherabgelassene
Portiere wirkt-e zur Seite geschlagen,
»Am blonde junge Frau mit zardem
- blossen Gesicht und getötheten Lidern
erschien auf der Schwelle.
»Hast Du gerufen, Theodor?« frag
te sie zuriich athemlos, mit unterdrück
tet Stimme. »Ich dachte, Du schlie
zJch bin schon wieder wach. Jst die
Pflegetin fort?« ·
»Sie schläft.«
»Willst Du Dich nicht ein Bischen
zu mir seyen? Jch glaube, es ist auch
Zeit für die Medizin.«
»Er-it in einer halben- Stunde,« sagte
sie, nach feiner Uhr blickend, die in ei
nem Kkyftallgehiiuse auf dem Nacht
Hfchchen stund; dmt setzte sie sich zau
betnd aus den Stuhl vor dem Bette.
Er bemerkte, daß sie nur auf einer Ecke
des Stuhles saf; und verstohlen und
unruhig nach der Portiere schaute. Und
dann begegneten sich ihre Augen. So
fort rückte sie sich auf ihrem Sitze zu
recht und lebnte sich bequem zurück.
»Die Zeitung?« fragte sie, nach dem
Platte greifend, das ausgebreitet aus
seiner Bettdecle lag.
»Ja. Zuerst die Getreidebörse. Hast
Du nicht vorhin mit Jemand gespro
chen?«
»Mit dem Mädchen·« Wie von un
gefähr war ihr errötihende Gesicht bin
ter der Zeitung verschwunden
»Ich hörte eine Männerstimme.«
»Dein Bruder Max.«
»Warum ist er nicht hereingetoms
men? Sieh zu, ob er noch da tist.«
Lisa sprang empor und schlüpfte
hinter die Portiere Inmitten des klei
nen freundlichen Gartenzimmers, in
dessen geöffnete Glostsbük durch die
Bäume draußen ein grünliches Licht
hereinfieh stand ein junger Mann mit
einem fast bronzesarbenen, energischen
Gesicht, von schwarzem Haar und Bart
unnahmi.
»Hast Du Dich besonnen?« flüsterte
er, und unter den gerunzeltem lang
auslaufenden Brauen blickten die lei
denschaftlichen dunklen Augen beseh
lend aus sie herab.
Sie legte hastig den Finger aus den
Mund, hob dann flehento die Hände
und wies mit einer Kovfbetvegung
nach der ossenens Thür, die auf die Ter
rafse hinaus sichrtr.
Er verzog das Gesicht zu einem son
derbaren Lächeln voll Spott und Ei
gensinn und schüttelte heftig den Kopf.
Sie wiederholte ibsr Geberde, und er die
seine. Dann schlich er auf den Fuß
spißen über den Teppich und setzte sich
mit trotziger Miene an den Sophatisch,
betrachtete das Muster einer anaesan
genen Stickerei, die dort lag, nahm so
dann das daneben-liegende Buch aus
und schien sich eifrig in die Lektiire zu
vertiefen.
Bisa stand ein Weilchen da. ohne sich
zu regen, ohne die flehen-den Augen von
ihm abzuwenden. Sein schöner Bron
zetops war auf das Buch gesenkt» aus
dem kurz geschorenen dichten schwarzen
Haar lag ein sammtartiger weicher
Schimmer
dis— « »- - « - s- .- « .
-,,usu - — · - wulr olc IMWCM yet-·
sere Stimme des Kranken aus-« dem Ne
sen-immer.
Der fmmr Mann blickte mit dem al
ten- spöttifchen Lächelns zu Ltfa bin
Ilsbet, di- sich sogleich der Portiere zu
wandte.
»Warum kommst Du nicht zurücks«
fragte der Kranke mit verdrießkichem
Klageton »Max schetnt doch fort zu
fein —- wie?« -
»Er ist fort,« sagte sie ohne khn an
zussbm und griff nach dem Kett-angs
blatte, währen-v sie Ehren Pfad am
Bett-e wieder entnahm. »Alle — den
Muth
»Die ert —- W doch M
wenn ich Dir etwas sage!« rief er un
wirsch. Und dann brach ein furchtba
rer Hustenansall los. Lisa beugte sich
erschrocken über ihn, schob ihren Arm
unter sein Kissen und hob ihn mit gro
ßer Anstrengung in eine sitzende Stel
lung. Aechzend rang er nach Lust, mit
den tnöchernen Armen um sich schla
gend, von denen die Aerrnel sich-zurück
schoben. Nach einer Weile ließ ihn dtie
junge Frau sachte nieder. Keuchend
lag er da. Dann wies er aus das Zei
tungsblatt.
»Pomm-,sscher Hafer »kom« 112 —
116," lass die junge Frau. »Weizen
still, Roggen matt. . . .«
Und vder todtkranke Mann wars er
regt den« Koth hin unsd her und mur
meltse abgerissene Worte. Draußen
waren seine Gedanken-. auf dem lar
mensden Markt, beim nimmer ruhenden
Kampf um das Geld. Da wurzelte
das einzige Interesse seines Lebens.
dieses nun gebrochencn Lebens, das sich
ntie wieder ausrichten sollte.
Und während Lisa mechanisch das
Kauderwelsch desMariies herunterlas,
shorchte sie zuweilen nach dem Neben
zimmen Ob Henry fort war? Sie
wünschte es und zitterte doch da
vor . . .. Sie las und las.
ch-—k«,.- ! m . «
»Hutwmuuuuquyc Toulllltlvsuh
Basis ,,middl-ing«, nichts unter »low
mi·-ddling.«
Sie blickte aus. Theotdor lag still
mit geschlossenen Augen und ossenem
Munde, laut usnd regelmäßig gsing sein
Athem. Er schlies. Hinter dem her
abgelassen-en Vorhang stimmten die
Fliegen und stießen- leise gegen das
Fenster.
Lautlos erhob sie sich und schlich be
hutsam rückwärts, die Augen auf den
Kranken gerichtet, der Portiere zu, die
sie sachte zurückschlug. Hean saß noch
aus derselben Stelle uwd las.
»Jetzt schläft er wieder, « flüsterte sie
und blieb zögernd in der Thürössnungi
stehen
Henry schloß das Buch und machte
eine einladende Geste nach dem nächsten i
Sessel hin Gehorsam kam sie herbei
und ließ sich nieder.
»Hast Du Dich besonnen?" wieder
holte er eigensmnig eben-falls im Flü-:
sterton. l
»Du weißt doch —— daß ich nicht
lann,« versetzte sie wein-.end I
Er zog seine Uhr. »Ja weniger als
einer Stunde ist Deine Bedenkzeit ab
gelaufen. Jch fahre mit dem Nacht
zug. Und am Donnerstag fährt mein
Schifs von Brindisi ab. ———— Und wenn
Du denkst,« setzte er in etwas stärke
rem. leicht drohendem Tone hinzu,
wenn Du Dir einbildest, ich käme in
ein paar Jahren wieder, so sirrst Du
Dich. Jch komme nie wieder-. Deine
seige Weing verzetilf ich Dir nie
mals. Du kennst mich: mein Wort ist
so gut wie ein Schqu.«
»Ich laan nicht,« wiederholte sie mit
zuckewdem Munde, und ihre grauen
Auigen irrten hitlflos durch das Zim
mer.
»Du bypnotisirst Dich selber mit
«Deinern ewigen »ich lann wicht,« sagte
der fast zornig. »Warum kannst Dul
nicht? Bist Du dem Mann da drin
snm Etwas schuldige Durch Betrug
z bat er Dich gelapert; er war im Corn
plut, als Deine Eltern, weil sie all’ den
standalöfen Gerüchten über mich
Glauben schenkten, meine Briese unter
fchlugen. Er wußte es besser aber
er bestärlte sie in ihrem Glauben, weil
er Deine Mitgift für sein Geschäft
brauchte.«
»Henty«’·!«
Niemand kann Dich tadeln, wenn
Du es heimzahlst ——- wenn Du Dir zu
rückeroberst, was er Dir hinsterlistig
genommen hat. Unlo wenn sie Dich
tadeln was liegt uns daran, wenn
wir drüben über Meer glücklich sind?!«
»Ich würde nicht glücklich seini«
stammelte sie·
»Du würdest nichts Unt) das soll
ich glanbens!« stieß et hervor-. »Ich soll
Dich wohl noch fragen-, ob Du den
elenden Mann da W? Als ob ich
Dich nicht kenn-te —- act ob ich nicht
wüßt-, daß Du nie auch nur mit einem
Gedanken von- mir abgeirrt Mit«
(
Jetzt wars sise sich in den Sessel zu
rück und preßte das geballtie Taschen
tuch vor das-Gesicht um nicht laut auf
zsuschluchzens. Jm Nu war er neben ihr,
in einer halb sitzenden Stellung beugte
er sich über die Seitenlehne des Sessels
und versuchte ihren Kopf an sich zu
ziehen. Sie wehrte sich.
,,Arn1e Lisa — armes geliebtes
Kindl« flüsterte er mit leidenschaftli
cher Zärtlichkeit »Was fiir ein jam
mervolles Stlavenleben Du führst!
Komm’ doch s— komm’ mit! Glaubst
Du nicht, daß sich Dich für Alles tau
sendfach entschäsdigen kann? Sieh’
mich an — komm —- gsieb rnir das
Tuch her! Kannst Du denn noch wäh
len zwischen den elenden Resben eines
Menschen da drinnen —- und mir?«
Es war ihr gelungen sich frei zu
machen, sich zu erheben. Eine Sekunde
lang waren vor ishr-en Augen die kalten
grauen Nebelwolken, in denen sie nun
seit Jashren hoffnungslos eingeschlos
sen lebte, zerrissen; von goldener war
mer Lichtfluth überströmst war ihr ein
fernes Sonnenland erschienen, unid sie
hatte ein glückliches treues Paar er
blickt, das nisit verschlungenen Hän
den hineinwandelte ins die goldene
Welt .....
Aber die Wollens schlossen sich wie
der, das lichte Bild war verschwunden
»Ich habe nicht zu wählen.,« sagte sie
mühsam. ,,Wiirest Du gekommen, als
er noch gesund war — wer weiß, ob ich
nicht mit Dir gegangen wäre! Aber
jeyt, da er hiilflos ist, kann isch ihn
nicht verlassen «
»Er ist nicht hülflos!« rief Henry
heftig. »Er hat Geschwister is- Pfle
gerinnen. ——«
»Ich könnte es nicht ertragen,« fushr
sie kopfschüttelnld fort. »Der Gedanke
an den tranken Mann und an seinen
Kummer würde mich zur Verzweiflung
bringen. . . . Jch weiß nicht, ob es recht
ist gegen Dich unsd mich. Jch wiirde
Keine verurtheilen, die das tthäte was
ich nicht kansn —— lich weiß nicht, was
mich zurückhält — aber es hält mich et
was, was stärker ist, als ich und Du
und s- meine Liebe.« -
Die letzten Worte waren fast unver
ständlich, stockend über ihre Lippen gie
kommen. Eine dunkle Blutwelle war
in ihr zartes Gesicht emporgestiegen-; sie
stand verschämt Und jung wie ein
Mädchen vor «ihm, auf den feinen
Wangen lagen die gesenkten dunkel
blonden Wimpern in zwei leichten Bo
gen. Mitten in seinem Schmerz und
Zorn über-kam ihn eine heilige Scheu
vor dieser Frau, die er seit seiner
Jiinglingszeit geliebt hatte; etwas
Fremdes. Hohes war zwischen sie ge
treten· Er wagte es nicht, sie ein zwei
tes Mal an sich zu ziehen. Nur ihre
Hand nahm er und ließ lange seine
Lippen darauf rathen. Sie fühlte das
Brennen dieser Lippen und das Beben,
das durch seinen ganzen Körper ging.
Aeußerlich ruhig stand sie vor ihm, je
doch ein ungeheurer Schmerz, der größ
te ihres schmerzenreichen Leben-s, ritt
tette an ihrem Herzen.
III-)- an —-,- IIan hun- Ks »»4;n
und feine Schritte berllanaen draußen
auf dem Kies des Gartens, auf dessen
Laub das letzte Noth der Abendsonne
verblaßt war.
Da brachen de Thränen aufs Neue
hervor. Schluchzend warf sie sich in
ihren Sessel. Was hatte sie gethan!
Das Glück selber hatte sie sich von der
Thüre g—escheucht, das Glück, das sich
unverhofft ein letztes Mal eingefunden,
um sie zu entschädsigen für die qualvol
fiir die qualvollen Jahre etner aufge
zwungenen holen Ehe. Nein, er würde
nie wieder kommen —— und drinnen im
Krankenzimmer versickerte langsam ein
künstlich Oerlängertes Leben, an dem
sie zu Grunde ging.
Was hatte sie gethan! —
Lang-e, lange lag sie so und wansd
sich schluchzend sin- sihtek Pein. ler
setz wanderte msit sdejn Jugmdgelieb
ten in dsle Freiheit, in sa- Glück hinaus
und ihre Hände griffen mn sich, wie
um Ihre Ketten zu schütteln . . .
Als sie sich erhob, war die Dämme
rang hewingebwchem Die Büsche tm
Garten Mdeten dunkle, konwakleMsas
sen, nur der Weg, der auf vie TerrasseY
zuführte, leuchtete noch in bleicher;
Helle.
Siseh’ da kam es heran —- —— eines
hohe dunkle Frauengestalt schien sich
von dem Schwarz des Buschwerks ab-J
zuliisen und langsam, langsam auf dem
hellen Gartenweg gegen das Haus vor
zuschreiten. Mit verwirrten Sinnen
schaute Lisa der Gestalt entgegen So
fvemd unsd doch bekannsi erschien fre;
ihr, diese dunkle Silhouette, die schat
tenjhast mit Iiinmer schärferm Kontin
ren aus der Dämmerung heranwuchs.
Was war das? War es die Verkörpe- .
rnng jener fremden Gewalt, die ihrem
Lebensglück für immer die Thiir ge
wiesen shattie —(—- war es —- die
Pflicht —?
Lisa war in s Zimmer zurückgewi
chen und starrte aus die gespenstische
Erscheinung die lautlos dsieStufen zur
Terrasse emporsiieg.
»Guten Abend, gnädige Frau,« er
tönte die milde Stimme der barmher
zigen Schwester, »wie geht es unserem
Kranken?«
-.—..- -.- .-—.
Sittenbild aus Moahit.
(Aus einer Berliner Zeitung vom 2·
D«ezember.)
Die bleiche Spätherbstsonswe warfE
gestern Morgen ishre fahlen Lichter
durch das Oberlichtsenster des Moabi
ter Justizpalastes und sie beschien den
gewöhnlichen Apparat, der zu unseren
Gerichtstragödiens nun einmal unbe
dingt nothwendig unsd unerläßlich ist.
An dem grüwverhangeneni Tisch an der
einen Schmalfeite saß der ernste Ge
richtshof nrit dem Staatsanwalt und
den amtlichen Herren gegenüber hatte
sich ——— man verzeihe den Ausdruck —
dass Stasmmpublilum eingefunden-, das
bei keinem noch so entsetzlich-en Drama
fehlt, dessen letzte-r Akt sich entweder
hinter dens eisernen Traillen oder auf
dem Schafsot abspielt. Und es war ei
ner der seltsamsten, fast möchte man
sagen der graussamsteni Kontraste, die
sich uns aufdrängten, wenn der Zug
wind das leichte, die-trete Parsiim von
den eleganiten Damen herüberwehte,
die mit bewaffneten und unbewaffneten
Augen asuf die beiden äußerlich so arm
seligen Burschen starrt-en, die gestern
wegen der schwersten Strafthat, deren
sich ein Mensch schuldig machen kann,
auf der Antlagebant Platz nehm-en
mußten.
Unter einem Mörder stellt man sich
gewöhnlich einen großen, brutalenKerl
vor, dessen« Gesicht alle Merkmale des-s
gewerbs- und gewohnsheitsmäfzigen
Verbrechers zieren, wie ihn auchSchau
erromane und manche medizinischen
Schriften schildern. Aber hinter der
Var-viere stehen heute zwei dürftige
Knaben, ärmlich ausscha-uend, schwäch
lich und schlecht genährt. Diese beiden
Ouoen haben einen Moroanscyma ges;
plant und ausgeführt, wie er glücklii-«»
cherweise zu den allergrößten Sehen-z
heiten in den Annalen des Verbrechen;
tbnms gehört. Werner, der .s)auptan-i
stister und eigentliche Leiter des Unter-.
nehm-ens, lann kaum über die Brust-;
wehr der Anklaaebant sehen, in seinem»
sck)arsgeschnitt·enen, wieselartigen Ge-;
sicht aber bewegt sich kein Muskel, bei;
den ergreifendsten und schaurigstens
Schilderunan bleibt er kalt und vor
sichtig — Alles, was er sagt, ist bis in
die letzten Konsequenzen vorbedacht, er
versteht jetdeFrage desPräsidenctem hin
ter welcher er eine Falle Vermuthet, ge
schickt und mit scharfem Verstande zu
par-tren. Wenn man diesen Buben
sieht, versteht man, daß es ihm gelingen
konnte, die Behörden eine ganze Zeit
lang zu hintergehen —— kein Mensch
hätte in der knabenhaftsen, jämmerlichen
Erscheinung den blutgierigen Mörder
vermuthet. Große ist ganz das Ge
genthell seines Kumpans, er ist lang
ausgeschossen, sein Gesicht ist nicht un
svasch- et ist entschied-Its stupidet
als Wem-er, aber auch er entwertet zu
smanmd und schnell, er ver
neigt sich bei jeder Antwort, die er zu
geben hat. ,
Die Einzelheiten dek abschseusliicheni
That sind bekannt. In der Verband-H
lung selbst machte es ein-en widriger
Eindruck, daß die beiden- Burschen, dies
mit außerordentlicher Konsequenz ils-;
ren Plan gefaßt nnd verfolgt, die bei;
Ausführung der That einen halsbreche- s
rischen Muth und eine brutabe Energsiek
bekundet hatten, jetzt im entscheidenidenk
Augenblsiel in elender Feigheit davori
zurückbebten, die Folgen ihrer verbre-,
cherischen That aus sich zu nehmen.!
Keiner von ihnen wollte die Hand ans
den ermordeten Justizrath gelegt ha-i
ben. —- Sie wollten blin.dlings im
Finstern aus die tin-glücklichen Opfer
zugestochem reiner von ihnen wollte diei
todtbxingmden Stiche gefühskt habt-as
Wie ein eisiger Schauer ging es durchs
den Saal, als Werner "den Hergangi
mit seiner ruhige-n Stimme, ohne zu
stocken, erzählte wie er ihn sich zurecht-I
geregt hatte »Als ich- vie Thük öffne-I
te, hört-e ich eine Stimme fragen: Wer
ist da? —- da trat ich auf das rechte
Bett zu, hob den Arm mit dem MesserI
auf und stieß auf die Frau los.« Der
zwerg-enha«st-e Knirps sagte diese Wor-»k
te so ruhig, als häte es sich um dies
glseigiiltigste Sache von der Welt gis-i
handelt —— mit dem Justizrath selbst
wollte er nicht das Geringste zu thuni
gehabt haben. Und allen Querfragens
des Nicht-ers wich er geschickt aus, wie
der gewiegteste, abgeseimteste Bahre-i
eher, ohne Zweifel hatte er sich sehr gutl
unsd eingehend vorbereitet. Aber auch
Große wollte es nur auf die Frau des"
Justizrasths abgesehen haben; mit:
seiner kalten, tonlosen Stimme führte!
er hierfür als wahrscheinlich an, daß?
es ja von Anfang an abgesprochen war, I
daß er als der Stärkere die Frau töd-i
ten, während der schwächere Werner.
sich auf den Justizrath werfen solltef
Beide Verbrecher aber betonten immer
wieder auf’s Neue, daß ihnen jede Ab
sicht, den Justizrath zu tödten, gefehltl
habe. Schließlich gab Große zu, daß!
er wohl in der ,,Aufvegung« die Stiche«
haben führen können.
Als von Seiten der Antlagebehörde
darauf aufmerksam gemacht wurde,
daß die beiden Mörder zuerst die Ab
sicht gehabt hätt-en, mit Schußwaffenx
zu opersiren, entgegnete Wernier sehri
schlagfertig, daß diese Schußwaffen,
deren Anschaffung nur wegen Geld
mangels unterblieben fei, nur zur Ver
theidigung auf der Flucht diene-n soll
ten-. Welche unendliche Seelenruhe
und Selbstbeherrschung diesen Knaben
überhaupt auszeichnietem geht wohl am!
besten aus dem Umstande hervor, daß
er sich nach der That zuerst nach der
Richtung des Kaiserhofes begab, »dann
aber wieder umkehrte usnd das Dienst
mädchen des Justizzrsaths Levy, welches
inzwischen auf die Straße gseeilt ways
in der harmlosesten Weise fragte, was
denn los sei, uncd sich erst entfernte, als
er sich über den Verblseib seines Kum
pans vergewissert hatte. Jeder andere
Verbrecher wäre jedenfalls in kopflo
sem Schrecken soweit geeilt, wie ihn
seine Füße trugen Und in erschre
ckendem Cynismus gaben sie Beide zu,
sie hätten sehr gut gewußt, daß sie we
gen des Mordes in ihrem juqendlichien
Alt-er nicht mehr als 15 Jahre Zucht
haus erhalten konnten, daß sie, wie sich
Werner ausdrückte, vor allen Dingen
nicht ,,gel«o«pst« werden dürften. Wie
muß es in dem Kopf und ins dem Her
zen des 16jährigen Große aussehen,
der dem Präsidenten auf die Frage,
ob er den Mord auch ausgeführt haben
würde, wenns er gewußt hätte, daß er
zum Tode verurtheilt werden könne,
mit ruhiger Stimme erwiderte: »Das
weiß sich niicht!« Als der Vertheidiger
W«emer’s diesen fragte, ob er für sich
selbst irgensd einen mildern-denUmstan-d
anfüthren könne, erhielt er zur Ant
wort, daß iihn nur die ewigen Geldwe
legenheiten Große’s zu der That ver
anlaßt hätten-. Jsmmeri und immer
wieder vers-achte Wemety den Große
als den eigentlichen geistigen- Urheber
der That szstellenwni elendes Be
ginnen, welches den jugendlichen Mör
der nm noch veteveeflicher erscheinen
läßt. Keine Miene verändert sich in
seinem Gesicht; erst als der Staatsan
walt mit wuchtigen Worten den gan
zen Abgrund sittlicher Verworfenheit
schildert, senken beide Vserbvecher die
Köpfe und Große weinit bitterlisch. Als
dann der Vertreter der An-klag·ebehörde
aus die Bestialität der Verletzungen
hinweist, fährt sich auch Werner mit
dem blaukarrirten Tuch des Untersu
chunggsgefängnsisses über die Augen-.
Beide Angeklagtew hörten die Reden
ihrer Ofsiziialvertcheidiger ohne Zeichen
äußerer Erregung unsd nur beim
Schlußtvort versuchte Werner wieder
den Groß-e als Anstifter darzu-stellen.
Bei dem Urtheil beruhigtens sie sich
und gaben ihre Erklärungen mit fest-er
Stimme ab — als jugendliche Mörder
gehen sie in das Gefängniß: wer möch
te die Frage beantworten, als was sie
zurückkehren werden?
——..- .-·. f-- --«
Eine Yrankheii.
»Die Hunde, die viel hellen, beißen
nicht.« Und die Menschen, die erst
lange Versammlungen.einberusen, um
siir diese oder jene Sache —- schöne
Beschlüsse zu fassen, haben gewöhnlich
mit der That nicht viel dafür übrig.
Wie viel ist nicht schon von den Zei
tungen und allerlei in Philanthropie
,,m-achenden« Ver-einen zu Gunsten der
Armenier gesprochen unsd geschrieben
worden! Als aber neulich in New
York für den Armenischen Hülfssonds
eine Opernvorstellunsg gegeben werden
sollte und zur größeren Aistraktion
Ghauncey M. Depew die Logens ver-—
steigerte, da hatten sich noch keine zwei
Dutzend Personen eingefunden-, und
von den Anwesenden waren obendrein
die Mehrzahl Armenier. Aehnlich
verhält es sich wohl auch jetzt wieder
mit dem Kuba-Rummel. Wie »begeå
stert« erschallten vor wenigen Tagen
noch dsie Reden unserer Jingos in krie
gerischen Versammlungen! Wie voll
nahm die Jingo-Presse den Mund!
Und der liebe Pöbel, im Proletarier
gewande wie im Herrenkleide, wie stoll
geberdete er sich, wenn die Rede aus
Spanien kam! »Man« verstieg sich
sogar zur Verbrennung der spanischen
Flagge und zur bildlichen Erhängung
des »Bluthundes Weyler«. Und heute?
Gerade als ob Kuba gar nsichst mehr
existirte. Es ist stille geworden über
den Wassern· Unsere Jingos im Se
nate haben über Olney und Eleveland,
die ihnen den Präroga-tiv-Knüppel so
usniangenehm zwischen die Beine war
sen, Ku-ba, das eigentliche Streitobjekt,
ganz ver-gessen. Unid von den tapferm
m sit-. -.-.»-- -
ouukuueuk ullo Oqcyluncsllsscfn
shört man schon gar nichts mehr. Wie
kommt das-? Woher dieser plötzlich-e
Umschwung? Wie Göthe sagte: ,,Be
geisteruna ist keirne Häri«ngswaare, die
man einpökelt auf viele Jahre.« Das
war schon von jeher wahr. Ganz be
sonders trifft dieses Wort des« Alt
meisiers aber heute zu. Nie aasb es
eine Zeit, wo die Menschheit sich mit
so fliegen-der lHast ein-er Sache zu
kebrte, um sich, wenn der Erfolg nicht
aubenblicklich ein-trat, ebenso schnell
wieder von ihr abzuwenden, wsie uns
sere Zeit. Wie die Welt im Handum
drehen reich werden will und über die
ses Ziel Ehre nnd gut-en Namen nichts
mehr achtet, so will die Welt heutzu
tage auch in jeder anderen Hinsicht
rasche Erfolge sehen. Ausdauer
und Belharrlichkeit sind iskyt sast fremde
Eigenschaften geworden. Vom Hun
dertsten in’s Tausendste tsanmelnide
Begier, ohne dauernden Genuß auf
irgend einer Staiion -——— das ist der
Grundzug unseres in der Jagd nach
dem äußeren Erfolg nervös überhaste
ten, aller Geduld baren Zeitalters.
Das rasche Verfliegen des Etwa-Rum
mels ist nur ein weiterer Beweis für
diese allgemein vorhandene Krankheit
der Volksseele Nicht mir die Indivi
duen, sondern auch die Nationen leiden
daran. Woher die Umkehr und die
Rettung kommen soll, liegt vorqu
noch im Dunkeln