Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, December 18, 1896, Sonntags-Blatt., Image 12

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    der Roman einer Todtge
sagten.
Berlin-, im November.
Vor einigen Tagen wurde berichtet,
daß Miß Wanda die einst Viel gefeier-j
te und allbekannte Königin der Luft,
eine Luftseil- nnd Trapexzkiinftlerim
deren Leifnmsgen seiner Zeit das größ- !
te Aufsehen erregt haben in die-r Nähe
vm Eins als Jnsaberin eines herum-I
ziehenden Karoufsels ir. einem derj
bekannten Kkinstlirncgen enid gestor
den sei. Woher die Elinchricht kan, ]
von welcher Seite sie lnrirt werdens
ist, ob sie auf einer Verwechslung be- !
ruh: oder vielleicht ter Tintiruwg o-S .
bekannten Namens Durch eine freund
liche Kollegin ihre Entstehung ver
dantt, wer sollte es .:«!ek)trägslich fest
stellen? Genug, die Nachricht traf
nicht zu; denn mtnitiekbs r, nachdem
die Notiz in· die L sfentlichleit ge
lang« nar, traf eir Schreiben aus
Beriin ST. ein, in ist n die fälschlich
Todtgesagte lanstatirte, daß sie noch
unter den Lebenden weile. Mit diesem
Schreiben-war zsusgleisch eineEinladung
an unsere Redaltion verbunden, die
Todtgesagte, jetzige Frau Schtwndtte,
genannt Fremde-ff alias Miß Wans
-da, in ihrem bescheidenen Heim zu be
suchen, das sie seit einem Jahr in- der
Mariarmianstvaße aufgeschlagen hat.
Also sie war noch am Leben. Ih
ren lustigen Künsten freilich hatte sie,
wie sie uns schrieb. schon seit geran
rner Zeit entsagt. Als Mänteln-ä-herin
habe sie nach mancherlei Jrrfa-hrten,
nachdem von ihrem früheren glänzen
den Leben wenig mehr als die Erin
nerung übrig geblieben- sei. sich ihr
Brod verdienen gelernt. » Der Brief
enthielt noch einzelne Angaben bezüg
lich der persönlichen Verhältnisse des
ein-fingen Stars der Spezialitätenbiih
ne, interessant genug, usm unseren Mit
arbeiter zu- veranlassen, der freundli
chen Einladung Folge zu leisten.
W M«UP, IUTIUKV ZUCIB MIIW
jetzt bewohnt, liegt in unmittelbarer
Nachbarschaft der großen Heerstraße
welche in- dem derflosseniens Sommer
vom Hall«e’—fchen unsd Kottbuser Tbor
aus viele Tausende ihrer einsisfgen Be
wunderer mitten- durch die dichtbevöl
kertens Arbeitervisertel hin-durch nach
Treptow zur Ausftellung gelangen
ließ. Akte, biedere Leute sinid’s, bei
denen sie Aufnahme gefunden hat« sie
nennst sie ihre Wohlthäter. Der Mann
Ist krank und muß zur Zeit das Zim
mer hüten, ein Veteran der Arbeit und
der Feldzüge, die er unter der Fahne
mithachst hat« Er vertrieb unserem
Mitarbeiter die Zeit, bis seine Mgietlyc
tin erscheinen konnte.
Nach einer Weile betrat dansn die
Erwartete die gute Stube ihrerWirthE-—
leu-te. Eine hohe, angenehme Erschei
nung, deren sympathischen Zügen und
lebhaften braunen Augen man die 40
Jahre, die sie, wie sie lächelnd versi
cherte zählt, nicht ansieht. Ihr sorg
faliig gekräuseltes Haar, die gewähl
te Sprache, sowie gewisse Eigenbeiten
der im Uebrigen einfach-en Kleidung
lassen einen umbestirnten Kontrast zu
ihrer augenblicklichen Umgebung nicht
verkennen. Es unt-giebt sie noch heute
ein undefinirbares Etwas-, das die ehe
malige Artistin sogleich erkennen läßt.
Sie erzählt ihre Lebensgeschichte -——
den .,Roman einer Ve«rschollenen«.
Durch alles, was sie zu berichten weiß,
läuft ein roth-er Faden und als trei
bendes Element das Verhältniß zu ih
rem Gatten, dem Artisten Schwandtke,
der in der Künstler-welt- den Namen
Franckloff führ-L Daneben ist das,
was sie sagt, reich an interessanten
Episoden Wir theilen die Ausfüh
rungen der Frau, die ins schlichter und
überzeugender Weise gegeben wurden,
mit ihren eigenen Worten mit
»Ich bin geboren,« so berichtet-e sie,
»in Weinberg Mein Vater war
Wertführer in einer dortigen Essigfa
hrik. Als ich zwei Jahre alt war
starb meine Mutter. Jch beham eine
Stiefmutter-, die mich furchtbar schlecht
hehandeltie Sie schlug mich sehr, und
so lief ich in meinem neunten Jahre
meinen Eltern auf und davon-.
Mein Ver-schwinden bereitete mein-en
. Angel-ärgert wenig Kummer. Jch
war eben for-t, und Niemand kümmer
te sich um meinen Bett-leih Erst vier
Jst-te sMet Wtdms Nvchfvsschtmgm
. nach mir veranstaltet M Bat-er
war beschuldigt worden« mich meiner
Stiefmutter zu Gefallen beseitigt zu
W. So fand mich die Polizei bei
den Laut-leisten von denen ich tin Ma
ria-does in der Nahe rw Brombevg
ans Mitleid nach meiner Flucht aus
dein Elternhause aufgenommen wor
denmnmbdiearichbisdahlneri
M hattet-— » ,
W M spater erwachte aber«
L
doch eine unbestimmte Sehnsucht nach
meinem Vater in mir Jm Einver
ständniß mit den Leuten, bei denen ich
Ausnahme gefunden hatte, machte ich
mich zu Fuß nach Bromberg aus den
Weg. Aus meiner Wanderung traf ich
auch ein-e italienische Seiltiä.nzergeiell
schnit, die Von-o - Treibt-, der ich mich
zunächst nur auf ein Stück Weges ans
schloß. Jch san-d Geschmack ans dem
Artisten.thum, gab mein Projekt der
Heimkehr nach Bromberg auf und
schloß mich der Gesellschaft an
Vier Jahre blieb ich bei ihr und lich
verließ sie erst in meinem 17 Leben-s
jahte als junge Frau. Nach einiger
Zeit stieß der Gymnastiler Sehn-anbi
te, genannt Franiloff, zu uns; wir
lernten uns kennen und lieben und
nach zwei Jahren wurde ich seineFrau
Bald nach unserer Verheiratbung
trat mein Mann eiin Engagement bei
einem Cirlus an, der damals in Ma
rienburg gastirte und später eine-Rund
reise durch viele kleinere deutsche
Städte antrat. Jch begleitete ihn und
erhielt aus dieser Fahrt durch ihn mei
ne eigentliche Ausbildung als Artistin.
Jch war eine sehr geleisrige und begab
te Schüler-in die ihren Lehrer und ihre
Umgebung durch ihre Leistungen in
Erstaunen versetzte. Bald war ich diel
- »Königin der Luft«, als die ich späterT
Imeine Triumphe feierte. Jch arbeitete
gemeinsam mit meinem Man-n und
führte als Erste m Deutschland das
Kunststück aus, aus gewaltiger Höhe
sam schräg gespannten Seile herabzu
!gleiten, indem ich an den Knieiehlen
Tbing und ibn an einem Ringe mit den
tsähen festhielt.
M! - s --L... ,-,».!,..k,,.--- k- ,
L su"l(»c1l gkluclchullch DIENST
ment im Circus Ciniselli in- Peters
burg. Jch hatte mich fortgesetzt stier
bollkommwet, und wir hatten große
Erfolge Dann ging es nach Moskau,
von wo uns Carre an seinen Circus
nach Brüssel berief. Mein Ruhm
wuchs von Tag zu Tag, und mit ihm
unsere Einnahmen, die fchon damals
eirse bedeutende Höhe aufwiesen-.
Ess- folgste ein Engagement bei dem
Cirkus Salomonski. das uns aber
mals in zahlreiche Hauptstädte des
Kontinents führte. Jch verdiente da
mals monatlich 6000 Mart.
Dann begarm die außerordentlich
gewinnbringende Periode meiner En
gagements bei zahlreichen Spezialitä
tenkThoatern Es war dies damals
die goldene Zeit jener Institute Mein
Mann begleitete mich zur Ausführung
der oben erwähnten Tricks. Wir gin
gen zuerst nach Konstantinopel und
zwar kurz vor Ausbruch des russisch
türkischen Krieges, während dessen
Dauer wir in der Hauptstadt des tür
kifchen Reiches bliebe-nr Nach bemitte
Fstanidelomrnen des Waffenstillitandes
Hund des Vertrages von Jan Stesano
Fließen die Generäle von Totleben und
ZStobelem die mich in Peierspburg ges
ifehen ihatten, mich bitten, zu der rus
lsischen Armee herüber zu kommen, und
Hdort eine Vorstellung zu geben. Es
smar ein denlwiirdiger Moment Nach
dem Auftreten tafelten die Generäle
Iuntd das Offizierstorps der russischen
jArmee in einem benachbarten Garten.
iDort wurde ausf Vorschlag des Gene
Zrals Stobelew zu meinen Gunsten ein
ITeller aufgestellt, bei dem ein Beam:
Eier des russrschen Konsulats Wache
Ihielt. General Stobelew wars als er
lster sei-ne Rolle von 1000 Jmiperials
(20,000 Fr) imNamen der Armee aus
sden Teller; die anderen folgten seinem
Beispiele. Im Ganzen brachte mir
I der Tag 42,000 Mart ein. «
, Von Konstantinsopel unternahm ich
,eirseTournie· die mich zunächst zu Ren-is
nach Hamburg, dann in die von Groß
kops geleitete Walhalla nach VerlinJ
später nach Breslau, Dresden. Mir-i
drid, Kopen-hagen und nach Holland?
führte. Dazwischen trat ich sin Ver-T
ris und zwar in der Weltausftellung,f
die damals dort stattfand, aus. -
Jn diese Zeit fällt auch meine Be
gegmmg mit Kaiser Wilhelm dem Er
»sten. Es war in Em3, der Kaiser hat-»
jte meinem Auftreten bei-gewohnt unsdE
;ka-m. ais ich im Lohukgkinwitiim vie(
Treppe zum Podium herabstieg, aus«
mich zu, um mir seine besondere Zu
friedenheit mit meist-en LeistuM von
denen er mit Interesse Kenntniß ge
nommen has-be, auszudrücken
Am folgenden Tage wurde ich in
das bot-el, in dem der Wicht-tanzten
Fürst Bismarck abgestiegen war, be
skhiwetr. Der Fürst erkundigte sich
Zusehen-d nach Mmeinernimarstststischesn
iWW u den W.
due-eh die man derartige Leistungen zu
Wege W.
Wem nachteiligen A eten
in Mpel war eigmtl -
ne Genick-st- Zett vorliber. Mein
Mann ertttchtoie sieh mit Disse des
»von nett erworbenen Gelde- -- tm
r A
Ganzen hatte ich ihm etwa 500,0001-.
Mart eingebracht-den Cirtus Frank- I
lofs ein-. Jch arbeitete naich wie vorg
mit dem größten Erfalge, doch gestal
tete sich usnser eheliches Vertiiltnißi
setn traurig. Schließlich kam es so,;
daß mein Mann mir eines Tages nach:
dem Hotel, in dem wir wohnten, die
schriftliche Mittheilung sandte daß ers
sich von mit scheiden lassen wolle unds
mich mit der Peitsche aus dem Circus
vertreiben würde, fatls ich mir ein- s
fallen lasse, in denselben zurückzuteb l
ten
J Ich war untröstlich Stand sich doch!
absolut rath- und hülslsoz da. Ich
swar mit meinem Manne eingearbeitet i
und es wäre mir nach zehnjährigem ge- 1
meinsanmn Auftreten schwer gewoer
den, einen Partnee zu finden, der sich
mit gleicher Sicherheit jeder Bewegung
meinerseits in lustiger Höhe angepeßt
hätte. Dazu befanden sich meine
sämmtlichen Kostiime und Apparate in
feine-r band.
Jch übergehe die folgen-de Zeit mit
den furchtbaren Demüthigungen-, die
sie mir brach-te. Jn Preßburg brach
die Katastrophe über uns Herein.
Mein Man-n wurde auf Grund eines
von Breslau her hinter ihm erlassenen
Steckbriefes verhaftei. Es verbreitete
sich unter der Trupve das Gerücht, ich
hätte ihn denunzirt Der wahre De
mrnziant war, wie sich später heraus
stellte. einer unserer Geschäftsführu.
Es folgten furchtbare Scenen. Des
Abends, nach der Vorstellung dran
gen die Leute aus mich ein-. Es war
im Freien; ich war gewarnt worden
und führte einen Revolver bei mir.
Mit dem Rücken gegen einen unserer
Wagen gelehnt, fah sich ihrem Angrifi
entgegms5 die schußbereite Waffe hielt
ich ihnen entgegen unid drohte, den zu
erschießem der zuerst Hand an mich
legen würde. Niemand wagte es; doch
unsere böhmischen Musikanten nah
men ihren Weg zwischen den Rädern
des Wagens hindurch und ich wäre das
Opfer ihrer Wuth geworden, wenn
nicht im entscheidenden Moment hilfe
gekommen wäre. EineHamburger Kol
legin-, Elise Von-net —- ste trat unter
dem Namens Miß Leona in meinem
Fach auf und war engagirt worden,
um mich nach meiner Verdrängung
aus dem Circuå zu ersetzen — war
rechtzeitig zur Polizei geeiii und hatte
Mittheilung von der Gefahr gemacht.
in- der ich mich befand. So wurde ich
befrei-L Elsise Bonnet hat damals und
auch weiterhin- fehr freundschaftlich
und treu mir gegenüber gehandelt
Bald daraus wurde unser Cireus,
der inzwischen an ein Miglied unserer
Truppe verschoben worden war, um
ihn den Gläubigern mein-es Mannes
zu entziishem von der Menge demolint·
Der neue Besitzer hatte feine Tbiiiigs
keit damit eröffnet, daß er mir defini
tiv die Tbiire wies-. Auf den An
schlaqssiiulen war aber mein Auftre
ten angetiindiai und das-; Publikum
wollte mich sehen. Der Geschäftsfüh
rer erklärte Von der Man-ern auf-, er
hätte ein nochmaliges Auftreten ver
weigert, weil ich mich fiir zu gut hiel
te, in der tleinen Stadt mich abermals
zu produszirenx Jch harte mir zum
Zuschauerraum Zutritt zu verschaffen
gewußt und sprang bei diesen Worten
des Elendem der mich um mein Hab
und Gut gebracht, meinerseits in die
Manege hinab. Jn kurzen Worten
legte ich den wahren Sachverhalt klar,
ein furchtbarer Tumuli entstand, die
Menge drang auf meinen Gegner und
seine Leute ein und in kurzer Zeit war
das Haus — ein leichtes Holzgebäude
——— mit allen Geräthen, Kostümen u.
s. w. ein wüster Trümmerhaufen Das
war das Ende des Circus Francklafs.
Jch suchte noch einmal meinen
Man-n aus, der damals im Preszbuv
get Gefängniß seiner Uebersiihrung
nach Brescau entgegensckh Es war
unsere lenie Untern-bang Bald da
raus wuwe er wach Breslau gebracht
unsv dort nach neunmonailicher Unter
suchungshost freigesprochen
Ich hat-te under-dessen mir eine neue
Stellung geschaffen. Die Preszbutger
Turnet halfen Elise Von-net und mir
aus der Noth. Sie veranstalteien eine
Vorstellung, bei der wir austraien und
die uns 200 Gulden einbrachir. Die
für uns angeschafsiens Trick-is und
Geist-he erhielten wir zum Gesclxnck.;
Jch unterndlnn mit M Am Bau-T
net mit der ich mich gut eingearbeitet
harte, Reisen nach den größeren Plä
sen, mw wir fanden überall willigi
E magern-erst Wir sahen beig
sei-mein Auf-traten sehe gut aus« gsie eine
helle Blondim ich bräunte
Da sollte sit-im TMW als Ar
tisiin ein jähes Erde sitt-dein Mein
Mam- wst wach feiner prchms
nach Berlin Wmä hatte der bor
tigen Gent deniVotsicmd des Ar
iifienvereins, die MWiung gemacht,
daß ich ihn aus Rachsucht demmzirt
hätie. Jch habe später eine Zufchrift
der Breslauer Smaisamvaltschafi er-· ;
wirkt, die mir das Zeugnis crusftellie,k
daß die gegen meinen Mann erstartete
Strafanzeige nicht von mir ausgegan
gen ist« Damals konnte ich mich noch
nicht durch das amtliche Zeugniß ver
theidigem meinemManne wurde Glau
ben geschenkt und ich selbst wurde bon
cviiirt Es wurde erklärt, daß kein
Direktor mich mehr engagiren, kein
Agenit mehr fiir mich arbeiten bürfr.
Damit war ich brobios Jch ver
suchte nun-, unter meinem neuen Na
men aufzustretew Jch wurde Sänge
rin und brachte eine Tyroler Volks
sängertruppe zusammen. Jn Mga
wurde ich vom Direktor Salanionsii
in dem Lokal, in dem ich austrat, zu
fällig erkannt. Damit war ich von
Neuem unmöglich.
seist-U« - m
Wust-its VIII-lob IW Ul luculkl VII
zweiflung, zu sterben. Es war zu
Weihnachten Jch oerfchluckte die
Kuppen von dreiSchachteln Phospbor
ftreichhölzerru Jch starb nicht. aber
ich erkrankte schwer. Die Folgen je
netErkrantunig sind noch beute dadurch
zu bemerbm daß das Weiß mein-er
Augen gelblich gefärbt ist. Nach mei
ner Genesung wollte ich nach Deutsch
land, es fehlte mir aber an dem nö
thigen Geld. Schließlich erwirite ich
mir von dem Kapitän eines Schiffes,
das nach Stettin fuhr, die Erlaub
niß, aus dem Verdeck die Ueberfahrt
niitzurnachen Jch war nioch sehr lei
dend, es war kaltes, stürmisches Wet
ter, unsd ich mußte mich durch Stroh
matten, die an Bord umherlaaen, ge
gen die Unbilden der Jahreszeit schü
tzen. Halb todt kam ich in Stettin an.
Von dort habe ich den Wea nach Ber
lin zum größten Theil zu Fuß zurück
gelegt. Jch sprach bei den Artisten, die
»ich unterwegs traf vor, und erhielt die
übliche Wegzebruna. Mangelbaft be
kleidet —-—- ich trug nur einen Unterrock,
weil ich mein letzt-es Kleid in Riga ver
iaust hatte, darüber einen Mammon
tel und um den- Kopf ein Spitzentuch
jmeinse Schuhe waren völlig durchlö
ichert — iam ich in Berlin an. So
Hftellte ich mich dem Vorsitzenden des
HArtistenbereins vor und zeigte ihm
jden unterdessen erhaltenen Brief der
BreslauerStaatsanwaltschaft als Be
weis meiner Unschuld Er erschrak
Füber meinen Anblick und verfchaffte
mir durch ein-e Kollette 50 Mark als
ierste Hülfe
i Damit half ich mir nach Ober-Bay
Emk durch, wohin mich eine einst ais
IMitglied der verunglückten Tyroler
f truppe von mir ervgagirte Sängerin zu
iiomnien gebeten hatte. Sie nahm mich
tin Miesbach, wo sie anfiissig ist« bei
jssich auf; ich ernährte mich, indem ich
den Bergbewobern die Wäsche wusch,
Strümpfe stopfte und Tabalsbeutel
istricktr. Dann fand ich ein Engage
ment nach der Schweiz, unid zwar als
sSiingerim Mein Gehalt belief sich
aus150 M. pro Monat. Es war nichts
mehr mit mir. Krankheit Mangel an
Uebung und Noth hatten bewirkt, daß
ich völlig zurückgekommen war Jch
kurde entlassen Und auch alsGyw
inastikerin konnte ich mir, obgleich ich
ies verdichte nicht mehr forthelsen· Si)
Jede-te ich abermals völlig mittellos
Hnach Berlin zurück.
Hirr fand ich nach mancherlei neu
en Jrrfahrien bei guten Leuten in ver
Reichenbergeritraße Quartier. Sie
lreditirten mir beinahe fiir ein« Jahr
lang den Betrag für die Kost. Ich er
lernte das Nähen von- Blousen und
verdiente damit schließlich 7— ----- 8 Mart
wöchentlich bei angestrengtester Thä
tigleit. Jch lebte nur von Brod unid
Schmalz, um mäanirthsleuten we
nigstens ettvas geben zu können, aber
nichtsdestoweniger bin ich ihnen noch
viel schuldig. Darm fand ich Gelegen
heit, das Mäntelniihen zu erlernen;
gleichzeitig siedelte ich in meine neue
Wohimng über. Jch verdiene jetzt bis
80 Mi. monatlich und habe mich, wie
sie sehen, so ziemlich erholt. Freilich
arbeite ich Tag und Nacht. Kümmer
lich gewug geht es bei mir zu, da ich
aus der Zeit des Elends noch zu viel
kleine Schulden abzugahlen habe. Von
meinem Mann bin ich nun ungefähr
seit Jahresfrist geschieden.«
Unser Mitarbeiter bat Frau
Schwandtle, welche die vorstehende Er
zählung zuerst in einer durch die Si
tuation erklärlichen Aufregung, später
ruhig usw mit großer Klarheit in der
Darstellung vorgebracht hatte, ihm den
vvri ihr benwhnten Raum zu zeigen.
Er wurde in ein sauberes, schmales
entfensterigessimmrr geführt, vor dem
tief moienein gewaltiger Arbsikhvß den
kleine Gebäude umgeben-, lich aus-brei
tet. Die ehemalige Art-litten vie viel
leicht »in der höhe, in der ej liegt, ei
Lq As
neu Anklang im frühere Verhältnisse«
finden mag, bewohnt das Zimmer ge-;
meinsam mit einem jungen Mädchen,!
das gleichfalls zu dem großen Heerei
der Berliner Hauöarbeiterinnen ge-«
hört. Zwei grün bezogene Betten auf
menwiinteln usmhetlagem füllten den!
größten Theil des Raumes aus. Ein
Biicherbrett haben die beiden Inhabe
tinnen der Schlafstelle mit ihren klei
nen Schätzen, Nippfachen u. s. w. ge
meinsam geschmückt. Nichts aber er
innert an die Mis; Wanda der Ver-;
Finger-dein als ein Miniaturgemälde,
welches das Brustbild der Artistin in.
der ersten Zeit ihres Ruhmes darstellt·’l
Miß Wanda war, als es von einem
jungen Künstler mit flüchti gen Bin-J
selftrichen auf vie Leinwand geworfen
wurde, zwanzig Jalne alt Die Zü- ·
Ege, die es wieder-giebt, sind von über-I
raschender Schönheit
- OOO-« -—— I
Luna, der Jnsnrgentens -.IChef
-
i Erst vor wenigen Tagen wurde es v
wie der »Hamburger Correspondent«l
mittheilt in Madrid allgemein be- »
!tannt, daß Luna der Flsibuftien einer-Z
ider wildesten, erbitteksten Kämtpfer
lgegen die Herrschaft Spaniens aus«
jden Philippinen der Juan Luna Rai-Z
vicio sei, den ganz Spanien ais einent
Eseinser besten, hervorragendsten, ge-:
intialsten Männer fast zwei thrzehnte
Zion-g gefeiert hat. Der Lebenslauf
Zdieses Mannes, der übrigens durchauP oz
Inicht als Ausnahmefall anzusehen, ist;
sentschieden neben der Unfähigkeit derj
zGowberneure in den Koionien eins der;
stragischsten Momente in dem furchtba-!
Treu Kampfe, der Spanien ungezähltej
Opfer txt-verlangt Luna, ein Einge
Zborener der Jnsselgruppr. tatn als ganz
Ejunger Mensch niach Madrid, wo er ink
jAleio Vera « dem heutigen Direktor
der spanischen Atademie der schönen
iKiinste in Rom -— ,der bereits vor 303
TJsahren in den- dortigen KünstlertreiJ
jsm tonangebend war, einen väterlich;
Zwohtwollenden Lehrer und Proteitorl
J.fand Alejo Vern, der das grpsse Tit-I
lent des jungen Luna sofort eriannte,;
Jermöglichte diesem nicht nur ein solt-i
des, aus durchaus künstlerischer Basis
Eberuhendes Studium derMalerei, son-;
jdern er führte seinen Schützling gleich
kzeitig in die extlusivsten aristotrati- l
skchen Cirtel der Hauptstadt ein die sich
dein Abiömmting der fast völlig unci- «
jvilisirtm halb barbarischen Urbevolle- j
krung der Kolonien sonst nie geöffnet
shiittete Nachdem Luna Ein Moor-id
thie Religion, die Sitten und Gebriiusx
zwe. vie ganze zeutrur ver neuen Ver-;
jniath in sich aufgenommen, siedelte· ers
-.fiir einige Jahre nach Rom über. Hiers
Zentstand unt-er vielen anderen sein weits
züber Spanien hinaus bekanntes Bild:j
Z»(5,l Spoliarum«, indessen völlig durch
zLiebe und Verzeihung Vertlärter Hei ;
klandsgestalt man die Offenbarung ei-»
Fries großen Genie-S erkannte und sei-«
erte. Maler und Geniälde wurden-;
smit frenetischem Jubel in Madrid em- .
Pfanaem Luna Novicio war der Held
Izdeö Tages. Bald darauf führte E«!)n"
jsein unruhigerGeist. der auf neue Lor
jbeerem auf Ruhm und Reichthunn
Fausging, nach Paris-, wo sein Name;
nicht nur durch seine Kunst, sonderni
auch durch ein-en Ehren-dankten ver ins-;
Zrigens mit einem richtigen Mord vielj
fAehnlichkeit hatte, ebenso populäa wur
de wie in Madrid. Luna wurde vor
die Asstsen gestellt, aber feine Fresswe
chung erfolgte. Ein Vertheidtiger
hatte es verstanden-, in einer hin-reißen
den Weise die Richter davon zu liber
zeugem daß der Maler-,v der Sohn ei
ner heißbliitigen Rasse, der von Kind
heit an mit der Waffe umzugehen ge
onhnt war, im Affekt ferner Leiden
schaft naturgemäß gar- nicht anders«
hätte handeln können, daß es für ihn
durchaus selbstverständlich war, wenn
er seine angetastete Ehre mit Blut
reimvascha
Durch diese Episode erhielt er bei
densSpaniernxdie wohl fast ausnahms
los so gehandelt hätten, einen neuen
Strahlenglanz. Seine Werde fanden
reißenden Absatz. Nicht nsur alle tei
chen Krmstliebhaber und bedeutenden
Puivatgalleriem sondern auch der Se
nat und das Nationalmuseum erwar
ben seine Gemälde, er galt als einer
der bedmtentdfte Maler der Nation,
feine herkunft, feine Abstammung
waren völlig vermischt unsd vergessen,
er galt als Spanier
Da packte ihn plishläch vor etwas
ilher drei Jahren die Sehnsucht nach
dem Heimathlandr. Er wolle und
müsse die längst gelockt-isten Reste der
Familienme wieder beseitigen, sag
ltie er feinen spanischen Freunden, als
set sich mch M WITH-wen Nichtfi
;te. Die erste Kunde, die von ihm nach
zMadrid drang und die ihn als einen
der hauvtempöret nannte. wurde dort
»so lange mit Unglauben und Zweifel
aufgenommen, bis sie sich buchstäbiich ;
it
hetvahrheitete Luna Novicio dankt
seinem zweiten Vaterlande, das ihm
Erziebung, Kultur, Lorbeerens und
Reichthum gab, mit einer wilden, ver
wegenen Cmpörung, mit loderndem
Hasse.
M — » ——-«
Deutsche 21aitation in Belgien. Z
Der »Deutsche Verein zur Hebung
und Pfege der Muttersprache im
deutschredenden Belgien« hat seine erste
Schrift unter dem Titel »Das deutsglxe
Bellgien und der Arloner deutsche Vet- s
erscheinen lassen. Die MW- L
langen, die sie über den Stand der
Dentschbewegung unter den 50,000
Brigiern deutscher Zunge enthätt, sinsd ;
im Allgemeinen sehr erfreulich. Der s«
Verein besteht allerdings schon seit i
drei Jahren, ist aber erst im Dezember
vorigen Jahres zsum ersten Mal ins der . S
Oeffencklichbeit aufgetreten, uns-d seine .
jetzige Veröffentlichung wird jedenfalls i
dazu beitragen-, ihm neue Anhänger zu »
verschaffen· Man bezeichnet Belgien L
meistens als ein zweisprachiges Land, i
welches in eine größere vlämische und
eine kleinere wallonische Hälfte zer
fällt. Jm siidöstlichen und östkichen
Theile des Landes giebt es aber eine
Gegend, deren Bevölkerung von ichs-»
dentsch war und sich noch jetzt der
deutschen Muttersprache bedient. Sie
nimmt die beiden Kreise Arlon (Arel)
und Metzig fast vollständig ein- untd (
behauptet sich trotz einer sechzigjähri- «
gen Vetwatpchung sogar noch m ver
Hanptstadt der Provinz Arlon·. Von
jenen beiden Kreisen an bis nötidlich in
der Mibe von Aachen ziehen sich dicht
an der politischen Grenze noch 12
deutschkedenide Gemeinde-« kinschueßlwi
3 Diskan hin. Jm Ganzen enthält
Deutsch-Mienen 29 Gemeinden und 5
Settionen. Natürlich können jetzt nicht
mehr alle Einwohner dieser Ortschaf
ten zu dem deutschen Stamme gerech
net werden-, da bereits vielfach Walld
nen eingewansdeet sind. Auf dem
Lande wird in- den Schulen und Kir
chen- noch deustsch gesprochen, doch wur
de amtlichetseits das Auskommen des
Französischen bisher begünstigt Jn
Akt-m selbst, wisset deutschen- Stadt, «
giebt es jedoch keine Schule mehr, in
welcher die deutsche Sprache noch in
befriedigensder Weise gelehrt würde.
ans dem Bericht des Deutschen Vereini
witd darüber bitter Klage geführt:
»Die Eltern, welche wünschen, daß ib
rens Kindern der Elementatuntetricht
in deutscher Sprache ertheilt werde,
können hierin keine Genugthuung ek
haltm-. Eine Behandlung dieser Art
erfahren nur besiegte Völker, wie etwa
die Russisch-Polen. Hier in Belgien
sollten solche mißlichen Zustände nicht
aufkommen-, da wir Drutsch-Belgier ja
keine Besiegten-, sondern, wie die übri
gen Belaiee, eines selben Vaterlandes
Kinder sind.«
Seitdem die Deutsch-Belgier ange
fangen haben, sich zu rühren, finden sie
auch in amtlichen Kreisen bereits Be
achtung. Als vor einiger Zeit in den
gesetzgebenden Kam-merkt das neue
Schulgesetz heirathen wurde. forderte
sogar der Abgeordnete für Reitschu
teau, Hennam ein Wallone, für die
Muttersprache der DeustschiBelgier den
ihr gebührenden Platz im Volls
unterricht, und der Minister des Urs
terrichts, Schollaert, gab eine ewi
sprechensde Zusage. Auch wurde in
das Gesetz über die Gemeindewablen
eine Bestimmung ausgenommen, daßO
die Mitgliwer der Wahliollegien der
deutschen Gegend den verlangten Eid
in deutscher Sprache ablegen dürfe-in
Das ist immerhin schon ein Erfolg,
und vielleicht wird auch der Ruf nach
deutschen Beamten, das heißt solchen-»ql
aus der betreffenden Gage-nd, deaØtet
werden. Bis jetzt werden nämlich
meistens wallonische Beamte dorthin
geschickt
«- --—s—— OOO -- —----—
Schnurren aus dem Schrift
stellerleben.
i21.: »Ich bin diese Nacht bestohten
worden«
. B.: »O, Dei betlagenswerthet
Menschl«
A.: »Ein Dieb hat mir eine ganze
Anzahl neuer Gedichte gestohten.«
III-. »O, Du bellagenswerther
re .'«
f O I
A.: »Diese Woche habe ich beson
ders Glück gehabt. Zwei Roman-e und
ein Schauspiel habe ich an den Mann
bringen können. Jst Dir das auch
schon pulsittt«
B.: «Passivt noch wicht, aber gelo
gm habe ich es such schon-'
i
»s·
(
i