Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, December 18, 1896, Sonntags-Blatt., Image 10

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    W
Ein Frauenleben
Von h. Halm.
Jn dem freundlich-en, mit Epheu
umkränzten Altentheilshäuschen sitzt
die alt-e Frau Vollmacht in ihrem mit
grünem Sammet ausgeschlagenenSor
genstuhl, den sie zsu ihrem achtzigsten
Geburtstag von ihren Kindern und
Enkeln zum Geschenk erhalten hat.
Die Füße ruhen von der langen Le
bensreise aus auf einem msit Reisen
undStiesmiitterchm geschmückt-en Fuß
schemel, dem letzten Weihnachtsgeschent
ihrer jüngsten Enkelin. Das ehrwür
dige Haupt mit den silbernen Haar
streifen unter der schneeweißen Haube
ist leicht zurückgelehnt gegen die Pol
ster, unsd die Hände sind im Schooß
gefaltet. Zuweilen ergreift sie einen
blühenden Rosen-strauch, der im Be
reich ihrer Hände steht, um sich an dem
Duft zu erquicken.
Die alte Frau ist mit viel Bequem
lichkeit und Komfort umgeben, aber sie
sieht nichts davon, denn sie ist blind.
Vor ein-ern Jahre noch, als sie ihre
große Triumphreise machte, konnte sie
das Licht der Sonne sehen. Eine Tri
umph-reise? werdet Ihr fragen; ja, die
alte Frau hat eine Triumphreise ge
macht, wie sie schöner wohl noch keine
Frau gemacht hat. Doch ich will der
Erzählung nicht vorgreifen.
Also, die alte Frau Vollmacht sitzt
in ihrem Sorgenstushl und ihr zur Sei
te die junge Frau des Lehrers; fast
noch ein Kind, noch nicht zwanzig Jah
re alt, sie ist an diesen Platz gestellt,
wird Frau Rektor titulirt und von den
Dorfbewohnern alsRespettsperson an
gesehen. Da sist es denn- kein Wunder,
wenn die junge Frau so oft zu ihrer
achtzigjährigen Freundin eilt, um sich
in schwierigen Fällen von derselben
Rath zu erbittern
»Komm-en Sie nur« so oft Sie wol
len« meine liebe junge Frau Rettor,«
sagte die alte Frau; »ich weiß, wie es
sich gehört, bin ich doch selbst zwanzig
Jahre lang Frau Netto-r gewesen«
»Ja, ja, ich habe viel erlebt, viel
erlebt, und habe nicht immer in Reich
thum unt- Wohlleben gesessen.
Seit-dem der liebe Gott mir das Au
genlicht genommen hat infolge der
Augenmtziindung welche ich mir auf
der große-n Reise zuzog, lebe ich nvelyt
den-n je in der Vergangenheit und sehe
die Bilder der früheren Zeit usm so kla
rer mit dem inneren Auge. —- Haben
Sie ein paar Stunden Zeit meine liebe
Frau Nachbarin, so will ichJhnen Thea
te meine Lebensgeschichte erzählen, Sie
gen-den mich ja schon lange darum ge
ten-.
m-!—- Mkl--—-. c-c- Ex .-!-L1 .,I,««t,
»Mut- chui qui-( iu, neu-r guuuuh
ich bin hier im Armen-hause aufge
wachsen und habe in meiner Kindheit
nie ein zärtliches Wort gehört. Als
ich soweit war, daß ich Dienst leisten
konnte, bin ich zu demalten Vollmacht,
dem Vater meines seligen Hermann,
als Gänsemädchen in Dienst getreten·
Der alte Vollmacht und seine Frau
waren eben nicht hart gegen mich, aber
sie beachte-ten mich wen-ig. Desto mehr
aber beachteten mich die übrigen zahl
reichen Dienstboten des Hofes, d. h. ich
war die stete Zielscheibe ihres Spott-es
und ihrer Chicane. Die wilden Pfer
dejungen jagten stets absichtlich meine
Gänseheerde auseinander, so daß ich
mich halb todt laufen konnte, um sie
wieder zusammen zu bringen nnd
Abends mit Scheiben empfangen-— wur
de, wenn ich zu spät nach Hause kam.
Jm Winter mußte ich mich in der Kü
che niitzlich machen mit asllerbei häus
liche-i Arbeiten und besuchte dann ne
benbei die Dorsschulr. Jch ging wohl
ganz gern in die Schule, da mir asber
Abends nie Zeit gelassen wurde, meine
Schularbeiten zu machen«,weil ich dann
in der großen Gesindestube haspeln
und Garn winden mußte, so wurde ich
aiuch in der Schule viel gescholten we
gen meiner vermeintlichen Faulheit.
Kurz, meine Jugend ist hart und rauh
gewesen« Nur Einen gan es, der Fu
weilen freundlich mit mir sprach uswd
mir auch oft die ver-sprengten Gänse
zusammentveiben half, und mich gegen
die wilden Dienstjunw in- Sckkrt
nahm« Das war Wann, der ein
zig-e Sohn des Bauern-; wir standen in
fast Zettel-liess Met- jedoch besuchte et
die -torakschule, währen-d ich über
Miäiinmstaefchnle nicht hinausgehen
inm .
Ali Heu-im Jakhve lt
war und ich NEMAM Fi
MQMMMMHMM
. m
beste-, km können wir sie pocht-I
J
mann- hörte diese harten Worte seines
Vaters. Nimm Dir dsie Worte nur
sticht sv scht zu Orts-m Leach Mit
Hernmnn zu mir, als ich mit verston
den eine Thräne aus dem Auge wisch
te, der Vater meint es nicht böse. Jg,
Du bist gut, Hermann, sagte ich, und
ergriff seine Hand, die ich nvit meinen
Thräsnen nehtr.
Zur Konsirmation bekam ich von der
Bäuerin ein hübsches schwarzes Ein
segnungskleid mit weißem Kragen undcg
weißen Manschetten, denn so verlang- «
te es die Ehre des Hofes. Mein rei
ches brauen-es Haar, das mir für ge
wöhnlich ziemlich witr um den Kon
hing, —- denn ich hatte nur einen halb
zerbrochenen Kamm und gar keinen
Spiegel sür meine Toilette — wurde
mir am Konsirmattonstag von der
Großmagd hübsch gekämmt nnd in
langen Locken zierlich geordnet, denn
man wollte Staat mit mir machen.
Wie nett die Deern aussieht. wenn
sie sauber gekämmt und gekleidet ist,
sagten dte Mägde bewundernd zu ein
ander. .
In oer Kirche nano ich zu untern m l
der Mädchenreihe und Hemansn stand
obenan in der Knabenreihe, also ziem
lich weit Von mir. Jedoch fühlte ich,
daß er mich öfter verwundert anstarr- i
te. Als Alle sich aus der Kirche fort- ;
drängten, berührte Hermann meine i
"Schulter und sagte leise zu mir: Bisti
»Du es denn wirklich, Lena? Man ;
itennt Dich ja kaum wieder, so hübschj
I haben sie Dich gemacht! E
i Am Nachmittag nach der kirchlichen ?
Feier lamen- sämmtliche Nachbarn und H
-Verwandte, um zur Konsirmation des J
keinzigen Sohn-es zu gratuliren Jchi
sturste neben der Tbiir sitzen und be-J
tam eine Tasse Kasse und ein Stück;
Kuchen ab, denn die Nachbar-rinnen
Isollten meinen hübschen Anzug bewun
dern, den die Bäurin mir geschenkt
hatte. Der Bissen quoll mir im Mun- ;
, de, wenn ich Hermann ansah und dach
Zte, daß ich nun- wiader unter fremde;
Menschen sollte und daß dann wohl
Niemand ein freundliches Wort mit
smir sprachen würde, denn Hermann
. war ja nicht da. T
s Als ich am anderen Morgen meine
Gänse zum kennen Male ausgetrieben
hatte, mn sie den ganzen Tag im Frei
zen zu hüten-, stand Hermann plöylich
f vor mir. Er brachte mir eine von sei- .
nen schönen bunten Gratula«tionstar-»
ten, die er in reicher Zahl erhalten hat
te, und sagte: Da, Leu-en nimm dies
zum Andenken und vergiß meiner nicht
ganz in der Fremde Jch dankte und
sagte: Ach, Her-mann, ich möchte Dir
auch so gern etwas gaben, aber ich ha
be ja nichts. Nim, Leu-u« sagte er,
wenn Du sonsi nichts hast, so gieb mir
eine Locke von Deinem schönen langen
:haar, ich werde sie in mein neues Ta
schewbnch leg-en und ewig aufbewahren
Ich komme jetzt auf die Bamrnzschule
, Dann trennten wir uns und haben
uns in fünsundzwanzig langen Jahren
iwidest gesehm
; Jch kam nach dem Dorfe H. zu dem
jalten Nektar Lindemann inDienst. Die
Frau Rektor war etwas gelähmt und
konnte ihre häuslichen Geschäfte nicht
mehr selbst verrichten. Der liebe Gott
hatte es gut mit mir gemeint, denn in
;meinem neuen Dienst fühlte ich mich
wie im Himmel. Kein Scheltwort be
kam ich zuhören und Alles, was ich ge
lernt habe und kann, verdanke ich die
sem würdigen Paar-e. Der alte Netto-r
half meiner mangelhaften Schulbu
.dung nach mit unermüdlicher Geduld.
" Seine Frau lehrte mich kochen, nähen,
backen, waschen. kurz alles, was zu ei
ner ordentlichen Hausfrau gehört. Als
ich zwei Jahre in ihrem Hause gewe
sen war, starb die alte, schon lange
kränkliche Frau Lindemarm und ich
habe in ihr eine Mutter beweint.
Jch blieb ten-hause, stand der Haus
haltung vor unsd pflegte den alten
Mann. Ein Jahr nach dem Tode sei
nser Frau trat der alte Rettor eines
Tages vor mich hin und sagte in feier
lichem Tone: Lena, ich fühle, daß
mein Lebensabend sich zu neigen be
ginnt und wenn ich heimgehe, so wtirst
Du wieder in die kalte Fremde hin
ausgestoßem Jch habe keine Kinder
und keine nahen Angehörige n-·. Lencu
wenn Du Dich entschließen könntest,
meine Frau zu werden« so könnte ich
Dir nicht nur mein- kleines hab unsd
Gut hinterlassen, sont-ern Du be
tämst zudem noch eine kkeine Wittwe-n
pension net-o könntest in dem Predigw
und Wrtnittwenshäuschen dieses
Dorfes wohnen und ich könnte ohne
Sorge um Dich mein haupt niederbe
MWe i Meinung -
Heer Kett-Achse tätig-IS wohl so gis
besten fein, antwortete ich.
M Wochen später i der
»Mac- chajch mai-IN «
Mist eine somit mit W
Verständnis fiir diesen Schritt zum
Altar getreten-. Unser- Verhäliniß ist
das von Vater und Tochter geblieben,
ich bin zufrieden gewesen. Jch haibe
meinen gutmMann auf das Schmerz
lichstebewenit, als seine Ahnung sich
erfüllte und er nach noch nicht halbjäh
riger Ehe durch einen sanften Tod ab
gerufen wurde, reichlich 70 Jahre alt.
Jn feiner Siersbestunde reichte er mir
die Hand unsd sagte: Lena, Du hast
meine gute vorangegangene Frau und
mich treu gepflegt, der Herr wird Dich
noch einsmal glücklich machen.
Nachdem man meinen guten Mann
begraben hatte-» bezog ich das Witt
wenhäuschen, und sin das Schule
zog ein neuer, junger Lehrer ein· Der
neue Relwr hatte in seinem Muße
ten viel, was mich an Hmnamn mei
nen Jugendgenossen erinnerte, dasselbe
lockige, blonde Haar, dieselben freund
lichen blauen Augen«
Der neue Lenker fand gar bald den
Weg nach dem Wittwenshäuschem und
gar bald zog die Liebe in unsere jun
gen Herze-n ein. Als mein Trauerjahr
beendet war, stand ich zum zweiten
Male vor dem Traualtar, diesmal mit
wahrhaft bräutlichen Gefühlen Die
Dorfbewohner sagten-, wir wären ein
sehr hübsches Paar, mein Johannes
und ich, und sähen aus wie fiir einan
der geschaffen. Wir waren beide noch
sshr jung, war ich doch erst 19 Jahre
a t
Wir lebten sehr glücklich miteinan
der, mein Johannes und ich« und als
der Himmel uns einen Sohn schenkte,
da kannte unser Glück keine Grenzen
Wir sangen und jubelten alle Drei um
die Wette. Unser kleiner Johannes
wuchs heran und war ein seer begab
tes Kind, der ganze Stolz seines Va
ters, der ihn fast abgöttisch liebte. Nie
mals war unser Sohn wild und
trotzig. wie andere Knaben-, und nie
mals waren wir, seine Eltern, Verans
lassung gehabt, ihn zu strafen. Die
Nach-darinnen schüttelten oft die Köpfe
und meinten, das Kind wäre zu gut
fiir diese Welt, es sei eine Himmels
blume· Was war es doch auch sör ein
herziges Kind, mit seinen langen blon
den Locken. dem durchsichting weißen
Teint und den Rosen aus den Wangen
— Kirchhofs-tosen sagten die Nachba
rlirmen Und sre sollten leider Recht
behalten. Unser Sohn war gerade
zum ersten Male zum Tisch des herrn
getreten und sollte nun das Gymna
sium beziehen Da stellte sich ein
schleichende-·- Fieber ein-, und rasch ver
fielen seine Kräfte. Trotzdem wir alle
Aerzte der Umgegend zu Rathe zogen
unid keine Kosten scheuten. ja sogar ei
nen Professor kommen ließest-, konnten
wir uns doch nicht verhehlen, daß wir
unsern Sohn nicht mehr lange bei uns
haben würden.
Jch habe meinen erwachsenen Sohn
aus meinen Armen in die Sonne ge
tragen, als er gar so hinfällig wurde
und heiße Gebete sür seine Genesung
zum Himmel gesandt, aber Alles ver
geben-Z. Lieb Mütterchen, sagte mein
Sohn oftmals zu mir, ich würde wohl
gern bei Euch bleiben, aber der liebe
Gott ruft mich, und es ist gewiß auch
schön in seinem HimmeL Was Gott
thut, das ist wohlgetbam Du darfst
Dich nicht so grämen, wenn ich heim
gegangen bin. Du mußt den- Vater
trösten, es wird schlimmer sür ihn sein,
« als siir Dich. Mein armer Mann, der
den Tag über in der Schule sein muß
te, wich fast die ganze Nacht nicht von
dem Lager seines Sohnes, so sehr ich
ihn auch bat, sich Ruhe zu gönnen.
Seine so schon zarte Gesundheit litt
zusebends durch den Mangel an Ruhe.
Ach, es waren trübe Tage. Doch all’
zunser Sorgen half uns nichts-, nachl
« kurzer Zeit lag unser geliebter Sohnl
»aus der Todtenbahre Als man mein
Kleinod binausgetragen hatte aus denl
mit Blumen geschmiickien Kirchhos, daj
wollte mir schier das Herz brechen vor z
bitterem Weh. Aber ich sollte nochi
größeres Leid erfahren. Meist Soan
hatte nur zu Recht gehabt, als er sagte,
es wird siir ibn schlimmer sein, als
sur Dich·
Mit dem Leben unseres Sohnes war
auch die Kraft meines gekiebten Man
nes gebrochen. Die Sehnsuch: nach
dem Sohne zog den Vater nach in’s
Grab. Ach so gar bald mußte ich auch
ihn begraben undd beweinen. Jch stand
jetzt ganz allein, und Alles war dunkel
um mich ber, gebeugten Hauptes und
gekrochenen herzens zog ich nun wie
der in das Wittwenbäuschem und ich
komd-erste mich nur, daß ich noch weiter
lebte. Wositr lebte ich denn noch, was
soll ich denn noch aus der Welt? das
war jeden Abend und Morgen meine
Mast· «Togs über batteich frei-«
keine Zeit zum Magen- und Junius-tu
denn die schwere Metall-M miser-et
Sohnes W tin-set kleines W
völlfg « w . · b
an- s cheumtqyuksktmsinen
r J
um nur die Begräbniszlosten für die
Beerdigung meines Mannes bestreiten
zu können.
Meine kleine Witwenpension aber
reichte nicht ans zum Lebensunterhalt,
so suchte ich denn durch Handarbeiten
uned Wäsche zu verdienen, was zu des
Leben-s Notkydurft gehörte. Reichlich
zwei Jahre hatte ich wieder im Witt
wenhäuschen gewohnt, da hielt eines
Tages ein grün und roth lackirter
Korbwagem mit zwei kräftigen Brau
nen bespannt, vor meiner Thür.
Ein mir ganz fremder stattlicher
Herr entstieg demselben unsd trat ge
bückten Hauptes in mein niedriges
Stäbchen-.
Sie kennen mich wohl nicht mehr,
Frau Reiter, sagte eine sonore Stim
me. Jch schüttelte den Kopf unsd starrte
ihn lange und schweigend an, dann
dämmerte eine Ahnung in mir auf
und —- Hermann! rief ich in plötz
lichem Erkennen. Ja, ich bin Her
inann, ihr Jugendfreund, Lena, sagte
er. Ein schweres Geschick hat msich be
troffen, meine gute Frau ist gestorben
und hat mich mit zehn unmündigen
Kindern zurückgelassen Sie wissen
doch, Lena, daß ich mit meiner Cau
sine Marie verheirathet war. Sie ist
vor einem halben Jahre gestorben, und
mir fehlt jetzt so sehr die Hausfrau u.
Mutter. Da ich nun gehört habe, daß
auch Sie wieder verwittwei smsd, und
so alleinstehen in der Welt, so bin ich
gekommen, Sie zu fragen, ob Sie die
Liicke meines Hauses ausfüllen wollen.
ob Sie meinen zehn Kindern eine
Mutter, meinem Haufe die Hausfrau
und mir selbst eine liebe Lebensgefähr
tin sein wollen.
Jch sah ihn lange nachdentend an,
dann sagte ich einfach: Ja, Humans-n
ich will es versuchen. Jch wusßte jetzt
plötzlich, wofür ich leben sollte.
Nachdem die üblichen Formalitiiten
erledigt waren, holte Hermann mich
mit großem Gedränge heim, in mein
Henna"thsdorf, das ich als arme
Dienstmagd vor fünfundztvanzig Jah
ren verlassen hatte. Und ich trat zum
dritten Male vor den Traualtar mit
dem unbewußt Geliebten meiner Kind
heit, der damals fo hoch über mir
ftand.
Es war ein stattlicher Hochzeitstag,
als mein Hermann und ich, Beide in
der Volllrast unsererJahre, zur Kirche
schritten, gefolgt von Hermanms zehn
Kindern, die nun auch die meinen sein
sollten. Auf Hermann’s Wunsch trug
ich ein Brautlleid von glänzendem At
las und die schwere goldene Uhrlette,
welche einst seine Mutter getragen
hatte.
Jch ging mit heiligen Vorsätzen in
meinen Ehestand und bat Gott auf
den Knieem daß er mir Kraft und
Einsicht geben möchte, den zehn ver
waisten Kindern Hermannis eine treue
Mutter zu sein. Und er gab seinen
Segen dazu.
Vom ätesten Sohne bis zu dem
jüngsten Zwillingspörchem das noch
nicht gehen konnte, haben sie mich Alle
zärtlich geliebt, unid nie ist das Gefühl
zwischen uns aufgestiegen-, daß ich nur
diie Stiefmutter sei.
Mein Mann trug mich auf Händen,
und gar oft bin ich die Vermittlerin
gewesen, wenn die allzu wilden Kna
ben den ernsten Vater erzürnt hatten.
Jn den ersten Jahren meiner Ehe
mij Hermann konnte ich oft nicht be
greifen, daß ich jetzt die Frau Voll
macht, die erste Frau des Dorfes und
die Bäuerin aus demselben großen
Hofe war, wo ich doch früher die Aller
gerinsgste gewesen« Aber ich fühlte mich
baid heimisch und glücklich in den
neuen. so viel schöneren Verhältnissen
Jn stillen Stunden sprachen Her
mann und ich oft von unserer gemein
sam verlebten Jugend. Lena, weißt
Du noch. als ich Dir mit meinem Ta
schenmesser die Haarlocke abschnttt
beim Abschied? Jch habe sie noch. Und
es fand sich, daß auch die bunte Gra
tulationskarte noch in meinem Ge
sangbuch lag.
Zehn Jahre durften wir in unge
trübte-m Glückzusamrnen leben und die
Erziehung der Kinder gemeinsam lei
ten und dieselben zu unserer Freude
heranwachsen sehen, zehn Jahre voll
Glück und Frieden und rastloser, er
sprießlicher Thätigteit. Da trat der
Tod in unseren Kreis und forderte
meinen her-name den Vater des hau
seD. Rasch tritt der Tod den- Men
schen an, es ist ihm keine Frist gegeben-!
Dieses Wort habe auch ich als ein
wahres erkennen müssen, als mir mein
kManm der am Morgen gesund und
zfrisch von seinen Kindern und mir Ab
Hschied genommen, am Abend todt, mit
sbletiender Stirn in's hatt-s gebracht
swurda Auf einer Helminth die mein
Um its seine- Eigeuschott als Bott
macht bei Mer tilde und Glatisii
F :- s
untermme mußte, hatte er das Un
glück, mit seinem Pferde zu stürsen
und so unglücklich mit dem Kopf gegen
einen Prellstein zu schlagen, daß sofort
der Tod eingetreten war.
Ach, das gab ein Klagen unid Jam
meon in unserem Hause und bei den
Kindern, groß und kleins, als der ge
liebte Vater nun todt vor uns lag, ein
umgehauener Baum, erst einige fünf
zig Jahre alt. Jch meinte es schier
nicht überwinden zu können, das große
herzeleid, und mir graute vor der gro
ßen unid schweren Lebensausgasbe, die
nun vor mir lag. Denn zu allen mei
nen sonstigen Pflichten tam jetzt auch
noch die Oberaussicht über die große
Landwirthschast und die zahlreichen
Dienstboten hinzu. Denn unsere bei
den ältesten Söhne studirten. der eine
Theologie unid der andere Medizin, der
dritte, Hermann, sollte der Nachfol
ger ans dem Hofe werden und hatte bei
dem Tode seines Vaters gerade seine
Milsitiirzeit angetreten. Die sieben
Jüngsten waren lauter Mädchen, von
denen das älteste damals neunzehn, die
beiden Jüngsten els Jahre alt waren.
Ach es war ein trauriger Zug, als ich
mit meinen zehn Kindern dem Sarge
des theuren, unvergeßlichen Vaters
folgte, und so bange, ach, so bange
schlug das herz mir in der Brust.
Aber es half tein Zittern und Za
gen; das Leben stellte gebieterisch seine
Anforderungen an mich. Eine Bauer
frau hat keine Zeit, sich dem Schmerzf
und der Trauer lange hinzugeben (
Da waren vor Allem die Kinder, die!
bei der Mutter Rath und Trost such
ten, da kamen die Mägde um meine
Befehle einzuholen und Anweisung in
der großen Milchwiribschasi und der(
Hausbaltung von mir zu erhalten. Da
kam nsun auch der Großtnecht und die
Tagelöhner, wenn das Korn geschnit
ten, gesüet und eingefabren, Kühe und
Pferde gekauft und verkauft werdenl
sollten; ich mußte nach Allem sehen.
Alles wissen. Und ob mir auch immer
und überall der Ratb und die That
kraft meines Hermann fehlten, so bin
ich doch mit Gottes Hülfe mit meiner
damaligen schweren Lebensaufgasbe
fertig gewordensp « I
Mlclllc slcllcll AMICI Ulllykctk Krall»
zu meiner Freude und sind Alle wohl
versotgt worden; ihnen Allen durfte
ich den Myrtentranz aus die Scheitel
driiiten Das Zwillingspaar ist anj
einem und demselben Tag verheirathet?
worden; erst an ihrem Hochzeitstags
haben diese, meine beiden Lieblinge,i
erfahren daß ich nicht ihre rechte Mut
ter sei. Als wir von einander Abschied!
nehmen mußten haben wir alle Drei
die bittersten Thränen geweint, vor
Trennung-Zweck unid ihre Männer hat
ten genug an ihnen zu trösten
Mein ältester Sohn ist jeßt Pastor
zu H. und der zweite ist Dottor in M.
und Herniann, mein Lieblingssohn
wohnt auf dem Hofe und hat sich eine
liebe, tleine Frau genommen. Von
Beiden werde ich auf Händen getragen
tein Tag vergeht, daß sie nicht Beide
zu mir lxriiber tommen in mein
freundliches Altentheilshäuschem in
dem auch schon Wann’s Eltern ge
wohnt haben.
Zu meinem Geburtstag versammeln
sich alle meine Kinder und Enkel um
mich, um der Mutter und Großmutter
ihre Liebe zu bezeugen.
Jan vorigen Jahre ließen sie mir
teine Ruhe, ichmuszte mein Versprechen
erfüllen und sie Alle noch einmal in ih
rem heim besuchen. Der Doktor holte
mich in seiner schönen Kutsche ab und
hat mich im Triumph von Einem zum
Andern gefahren, wie er sich aus
drückte.
Und wahrlich mit mehr Ehre tann
wohl kaum eine Königin empfangen
werden. als meine Kinder ihre Stief
mutter empfingen, hatten sie doch Alle
Ehre Däuser festlich betränzt, ja mir
beim Pastoraxt sogar eine Ehrenvforste
gebaut, wie auch hier als ich wieder
zuriirttam
m,Ik sk« k s s
usw-. »u- mcuc III onu- zu anstren
gensd gewesen siir mich alte Frau, habe
ich miir doch eine böse Auge-Entzün
dung dabei zugezogen und bin jetzt
blind und lebensmiide Ja, glauben
Sie mir, meine liebe, junge Nachbarin,
so gut ich es jetzt sonst auch habe, ich
bin müde, herzlich müde von der lan
gen Lebensreise und sehne mich, heim
Mitben
Die junge qu des Lehrers erhob
sich, um in ihr heim zurückzueiten, wo
ihr das Glück noch blühte in ungetrüb
tcm Glanze — wer weiß, wie lang-e!
Die sranzösische Wein
e rnte dieses Jahres ist um 18 Mil
lion-en hetiokiier größer ais im Vor
jahre. Das soll davon herrühren, daß
es txt-er in Frankreich viel mehr gereg
uei hat, all im Jahre, d. h.
Tal-Ia wegen des stößt-gen Wasser-Reich
ms . . . .
k- — Ja —«-.——-——·— H
Wie ich das Gruseln lernte.
Slizze von O. W. S trin.
Eigmuich ist die uevckschkift falsch
gewählt, denn das Grufeln hatte ich
gelegentlich auch schon vorher lennkn
gelernt, ehe ich die Geschichte erlebte,
die ich jetzt erzählen will; denn ohne
zu lügen, kann ich von mir wirklich
nicht behaupten, daß ich zu jenen kalt
bliitigen Naturen gehöre, die, wen-u sie
nrit dem Teufel fechten sollen, sich in
aller Gemüthsruhe noch erst eine Ci
garre in’s Gesicht stecken. Jch hatte
mich wirllich schon oft gegrufelt in
meinem Leben, z. B. wenn ich meine
Semesterfchulden beichtet-e, oder wenn
ich verurtheilt war, dass Tanzbein zu
schwingen. Doch so schlimm es war,
das wahre Grufeln war es doch nicht.
Das richtige, echte Gruselns, bei dem
die menschliche Epidermis sich in eine
Gänfehaut verwandelt und die ähne
ilappern und die Haare sich krib lnd
emporrichten, das habe ich doch erft
hier in Amerika gelernt und da- kam
fo:
Jch befand mich bei dieser Gele
genheit in Chicago unsd zugleich auch
in meinem Normalzuftantz dem der
absoluten Geldlosigkeit, leider Gottes
erfreute ich mich nicht einer gleichgra
digen Appetitlosigleit. Mein Magen
belästigte mich vielmehr mit einer
Frechheit, wie sie diese niedertriichtigen
kleinen Kläffer entwickeln, die sich bel
lend und beißend an die Hase irgend
eines unglücklichen Gaules haften, der
bis dahin in glücklicher, hängohriger
Selbstvergessenheit dahin lleppekte.
Als gegen Abend mein Hunger noch
immer nicht zu Bett gehen wollte, be
schloß ich, nach der Bibliothet zu ge
hen und dort dem ungestümen Gaste
mit einer geistigen Mahlzeit aufzuwe
ten. Zuerst wollte ich mir Don-MS
»Göttliche Komödie« geben lassen-, denn
die Stelle, die Ugolin-as und seiner
Söhne schreckliches Ende im Hunger
thurm schildert, schien mir eine zeitige
möße Leltiire, wohl geeignet, meinen
Magen durch die Vorstellung noch grö
ßerer Schreclnisse, als er selbst litt,
zur Ruhe zu bringen.
EIN
Da viel mir des alten Gerstesnbergs
Tragödie ein, die denselben Stoss noch
viel eindringlicher behandelt und ei
gentlich von Anfang bis zu Ende ja
nur ein einziges großes hungergeschrei
in den verschiedensten Tonarten ist.
Bald saß ich denn auch da und lass das
gräßliche Marterstiick mit geringer Er
götzung aber großartigem Verständ
niß. und mein lnurrenider Magen lie
serte die Tafelmusik zu diesem geisti
gen Schmause von höchst zweifelhaften
Güte. Doch die zehnte Stunde rückte
heran und von dem Ausgabepult her
erscholl es »Time!«, ein Rus, der mich
aus meinem literarischen Paradies in
die böse Welt von Schopenhauerischer
sPriigung hinaus-trieb
s Jn meinen betrübten Verhältnissen
sblieb mir jetzt nichts weiter übrig, als
’nach Hause zu wandern. Das klingt
nun sehr einfach, hatte aber in meinem
»Fal! doch seine Bedenstlichteitem denn
außer vor der Srylla »Hu-nger« mußte
ich mich auch noch vor einer Charybdis
hüten, und diese Charybdis lauer-te in
meiner Häuslichtesit aus mich und sah
gerade so aus, wie meine derzeitige
Wirthin, wenn sie die tin-bezahlte Rech
nung präsentirte. Jm Ernste gespro
chen hatte meine Wirthin durchaus lei
ne Aehnlichkeit mit jenem Fabelwesem
sie war im Gegentheil eine selensgwte
Frau und hatte mich nie oder wenig
sten-s nur in sehr schonungsvoller Wei
se gedrängt, da sie wußte, daß ich be
zahlte, wenn ich Geld hatte, aber ei
nem schlechten Gewissen erscheinen be
kanntlich alle Dinge in einem ganz ab
sonderlichen Lichte und mein Gewissen
fühlte sich zur Zeit von einer außerge
wöhwlich hohen Rechnung belastet.
Kein Wunde-r also, daß sich die gut
miithigen, wenn auch energische-n Züge
meiner Wirthin tin meiner Einbildung
zu einer seindseligen Charybdismaste
verzerrtem Daß ich unter diesen Um
ständen nicht in dem gleichen Wo
und mit denselben Gefühlen nach Hau
se eilte, wie der Jüngling zu seinem
ersten Stelldichein, ist selbstverständ
lich. Gerne hätte ich dieZeit abgemat
tet, da jeder sein müdes haupt in die
Kissen drückt, aber es war ein abscheu
lich-G naßlalteö Wetter, daß ntichet zum
Spazierengehen ein-lud und außerdem
iibten meine desetten Schuhe gegen den
Straßenschmutz eine etwas weitgehen
de Gastsreundschast So klomm ich
denn vorsichtig die Treppe empor, und
gliiellich jedes Reneonitre vermeidend,
schob ich endlich attswthmend den Me
ael meines Kämerleins von innen vor.
Ein-, zwei, drei, war ich ausgezogen