Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, November 27, 1896, Sonntags-Blatt., Image 7

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    Sonntags- LI- statt
Beilage des ,,Anzeiger nnd Herold« zu No. l2, Jährgang l7.
Js. P. Windolplp, Herausgehen
Grund Zslanrs, Nebr» den 27. November 1896.
Der neue Verein.
i
« Humoristifche Stizze von Wilhelm
Frerling (Hann.)
Gottlieb Bormann war mit einem
« Schlage ein reicher Mann geworden.
s Ueber Nacht war aus dem bescheidenen
Gartengrudftiicke, auf dem er, treu der
Tradition feiner Väter, frühe Kartof
k fein gepflanzt und Kohl gedüngt hatte,
:» . ein werthvolles Bauterrain geworden,
n um das die Spekulanten sich rissen.
Da hatte er dann sein Erbe für ein ko
lossales Geld verkauft, war nicht ohne
Wehmuth aus dem alten, schon etwas
baufälligen Gartenhäuschen in eine
elegante,l.ktage der inneren Stadt ge
zogen, und im Wohnungsanzeiger wie
auch auf dein Schilde der Borpiatzthiir
war zu lesen, daß Gottlieb Borniann
nunmehr der viel beneideten Zunft der
Rentiers angehöre. Wie sollte er sei
nen beschaulichen Beruf auch sonst
kennzeichnen? Gemiifegiirtner a. D
oder gar z. D. konnte er sich doch nicht
gut nennen.
Jn der Muße feiner sorgenlosen
Tage fing er nun an, mancherlei nach
zuholen von des Lebens Genüssen und
, Freuden, die ihm früher aus Mangel
an Zeit und Mitteln nur spärlich zu
geflvssen waren. Er suchte sich an ei
I- nem Stammtische beimifch zu machen.
er verbrachte die Abende in Konzerten
! und Theatervorstellungen, er unter
nahm Reisen lurz er versäumte
keine Gelegenheit, die Vergnügen ver
sprach.
Aber es erging ihm dabei sonderbar.
Am Stammtische brauchte er nur den
Mund aufzuthun, um »sich durch eine
« ganz ernst geineinte Bemerkung an
der Unterhaltung zu betheiligen, und
sofort entstand erst ein gewaltiges
Staunen, das sich alsbald in lautem
Gelächter zu lösen pflegte, und verschie
dene seiner Aeußerungen waren von so
» anhaltendersWiriung, daß man noch
pl Tage lang davon sprach. Und es war
Aq« --,« «
doch tein Wunder, daß er von manchen
Sachen nichts wußte und verstand.
Wer reichlich dreißig Jahre immer nur
» die Augen auf den Boden gerichtet hat,
F aus dem die nahrhaften Kräuter sprie
; ßen, der verliert schließlich den Blick
fiir andereDinge und wird ein Fremd
ling in den Ereignissen des bunten
Weltgetriebes.
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Jm Theater war es ja recht amti
sant, so lange Possen und lustige
Schwänte gegeben wurden. Führte
ihn aber sein Verhängniß in ein
Trauerspiel oder gar in die große
Oper, so litt er die grenzenloseste Lan
geweile, und beim Besuche von Sin
sonie-Iionzerten war es ihm schon wie
derholt passirt, daß ein Nachbar ihn
durch sanfte Rippenstöße aus dein
freundlichen Reiche der Träume ausge
schreckt hatte, um sich das surchtbart
Schnarchen zu verbitten.
kremden Städten tonnte er wenig
Reiz ahnen-innen Häuser, Plätze unt
Menschen schienen ihm wenig ab
weichend von denen der Heimath und
außerdem verursachte ihm die Eisen
dahnsahri immer Kopssmerzen und ge
linde Seetrantheii.
So nahm Herr Gottlieb Bormann
endlich, um der beginnenden tödtlichen
Langeweile zu entrinnen, seine Zu
slucht zu den Vereinen, die es ja heut
zutage in augreichendem Maße giebt.
Bald war er in der glücklichen Lage«
mehr Vereinen anzugehören, als die
Woche Tage hat, und zwar lauter sol
chen. die außer der Beitragzzahlung
keinerlei Ansprüche an ihre Mitglieder
.siellen. Da waren zunächst verschie
dene Wohlthätigkeits-Vereine, ein Ver
schönerungs-Verein, ein Verein sür
Fremden-Vetteln und dergleichen
mehr. Da konnte man in den Sitzun
gen ganz bedächtig zuhören. wurde nie
um seine Meinung gefragt und hatte
nur bei gelegentlichen Abstimmungen
daraus zu achten,was die meisten übri
gen Mitglieder thaten. ob sie ausstans
den oder sitzen blieben, ob sie die band
in der Höhe hoben oder nicht« Das war
eine leichte unsd angenehme Sache, di(
manchen Abend ausfüllte und dem Le
ben einen Anstrich von Geschäftigteit
gab.
I Mit der Zeit aber fühlte der wackere
Gottlieb sieh nicht mehr ganz befriedigt
von der wenig beachtet-en Rolle des ein
fachen Migliedes. Der fortwährende
Anblick aller der Präsidenten, Vice
Präsidenten, Setretiire, Kassirer u. s.
sw» die mit oder ohne Abzeichen ihrer
Würde einen förmlichen Glorienschein
von Wichtigkeit und Bedeutung um
sich verbreiteten, erzeugte in dem Her
«zen des sonst so bescheidenen und an
spruchslosen Mannes allmälig den
EWunsch auch etwas zu gelten, auch zu
Amtswiirde und Ansehen zu gelangen
LAber wie? « Jn den bestehenden Ver
seinen war schwer anzuiommen Da
jtannten sie ihn und feine Fähigkeiten
«zu gut um ihm einAmt auf die Dauer
anzuvertrauen; das hatte Gottlieb mit
Schmerz in seinem Kegeltlubb erlebt.
,YcCcc)DciTi ck Vol-l lllkz VOk Ock chuwayi
jdes Vorstandes dreimal sein-en Ge
Eburtstag geheuchelt und eine Unmasse
;Bier ausgegeben hatte, war er glücklich
Imit einer Stimme Mehrheit zum —
YStellvertreter des zweiten Revisors der
Jahresrechnung gewählt worden. Aber
Hschon im folgenden Jahre hatte man
ihm diesen ansehnlichen Posten wieder
Habgenommen Es war ja Alles Cli
;quen-, Vasen- unsd Vetternschaft.
" Ganz anders undviel leichter machte
steh das in einein neuen Verein. Wer
keinen solchen gründet, der hat damit
Hschon die Präsidentenglocte beim Stiel
Tgesaßt, und aus Pietät gegen den Ur
« heber des Vereins läßt man einen sol
ichen auch später nicht wieder aus das
Niveau des gewöhnlichen Vereisnsmiti
zgliedes herabsinten. So war es doch
Hauch dem dicken Lehmann gegangen,
idem früheren Schlächter, der die glor
Ireiche Jdee gehabt hatte, einen Verein
.der »Kneipp’schen Malz:Kassee-Trin
iter" ins Leben zu rufen, und mit
ESchulze, demPräsidenten des »Bereins
.der Schieläugigen«, lag die Sache ge
« nau so.
i Mit Anstrengung grübelte Gottlieb
FBormanm nachdem ihm diese Erkennt
Iniß aufgegangen war, darüber nach,
iwas in aller Welt man denn noch zum
iGegenstansde einer Vereinsthätigleit
jmachen könnte, Wahrlich, ein Finanz
xminister, der neue Besteuerungzobjelte
,aussindig machen will, hat immerhin
knoch eine größere Auswahl, als der
Erfinder eines neuen Vereins. Die
sWelt ist rein vergeben, jede Thätigteit
zist dem Monopole eines Vereins oder
sVerbansdes unterstellt, vom Dreibunde
san bis herab aus den Gesangverein der
; Steineträger.
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«« Mclccl UUUUIU lllll lcgcllll clslclll
lNaturfehler behaftet gewesen wäre, so
hätte sich am Ende ein Verein der
!»Buckeligen« oder der »Klumpfiiße«
Zins Werk setzen lassen. Aber an der
gleichen in diesem besonderenFalle sehr
bequemen Auszeichnungen fehlte es
jihm gänzlich Auch konnte er doch un
zmöglich einen ,,Klubb ehemaliger Ge
Imiisegiirtner« gründen, da wäre er
swohl das einzige Mitglied geblieben
.- Jn seiner Noth wandte er sich an ei
nen hilfreichen Freund Der Mann
twohnte in seinem Hinterhause, war
sAdvokatenschreiber und hatte ihm
schon in manchen schwierigen Lebens
lagen so z. B. bei der Abfassung von
Wohnungs- Annoncen mit seinen gei
jstigen Gaben erfolgreich Hilfe geleistet
zGern versprach der Wackere, seine gan
kze Kraft fiir dieRealisirung von- Gott
·liebs Wünschen einzusetzen, und um
die Sache gründlich zu behandeln, kam
Eer täglich zu einer eingehenden Bera
sthung, wobei ihm Bier unsd Cigarren
Izur Anregung der Denk- und Erfin
tdungslraft in splendidester Weise zu
gewendet wurden. Indessen waren be
steits drei Wochen vergangen, ohne daß
sirgend eine der vielen Jdeen des
Schreiberg sich als ausführbar erwie
sen hätte.
Und wieder llopfte er an Gottliebs
lThiirz diesmal war s an einen Sonn
tag Morgen, und es war zu erwarten,
Idas sich dem Getränke und Rauchtverke
heute auch ein anmehmbarer meiß
zum Frühstück zugesellen werde. Das
waren so die Gedanken, die ihn beim
Anklopsens bewegten, aber sie wurden
sofort bei Seite gedrängt durch den
Anblick, der sich ihm beim Oessnen der
Thijr darbot.
»Hurrah! Jetzt haben wir’s!« schrie
er auf und beinahe hätte sich Gottlieb
ob des unerwarteten Geräusches mit
dem Rasirmesser in die Nase geschnit
ten.
»Was ist denn los?« fragte er be
stürzt, indem er sich den Ueberrest von
Seifenschaum aus dem Gesicht wischte.
»Unser Verein ist erfunden! Ein
ganz neuer, eins ungeheurer originel
ler!« srohlodte der Andere.
Es bedurfte mehrererGläschen Cog
nac, um denErregten einigermaßen zur
Ruhe zu bringen. Dann steckten die
beiden Verbündeten ihreKöpse zusam
men und redeten und hörten, hörten
und redeten bis die Mittagsstunde
schlug
,,Also so machen wir es«, sagte
Gottlieb bei dem letzten Händedruck
»Jawohl, das wir-d gemacht«, ent
gegnete der Schreiber, indem er noch
schnell drei Eigarren aus des Freun
des ofsenem Kistchen in die Tasche und
eine in den Mund steckte.
Iß Il- st
Jm Laufe derselben Woche noch er
schien im redaktionellen Theile eines
kleinen Klatsch- und Winkelblättchens
die Notiz, daß man beabsichtige, der
unbefriedigenden Lage der bis jetzt
oibne Vereinsschutz und ohne Hilfe ei
ner gleichstrebenden Gemeinschaft da
stehen-den »Selbst-Rasirer« aus adel
sen. Herr Gottlieb Bormann sgi der
edle und gemeinsinnige Mann, der ein
erfolgreiches Zusammengehen zunächst
der in der Stadt lebenden sich selbst
rasierenden Herren in die Wege leiten
und zu diesem Zwecke am lommensden
Sonnabend eine Versammlung von
Interessenten abhalten wolle. Das
selbe besagte auch eine riesengroße An
nonce im Jnseratentheile derselben
Zeitung.
Der Sonnabend kam heran, und
längst vor der festgesetzten Stunde er
schien Gottlieb in sestlichem Gewande,
um den sür dieabzuhaltendeVersamm
lnng gemietheten Saal noch einer letz
ten Nevision zu unterziehen. Es war
alles in Richtigkeit Die Tische stan
den in wohlthuender Ordnung, wohl
versehen mit Streichholzständern und
Ascheschaslem und die Stühle harrten
geduldig der Schaar von »Selbst
Nasierern«, die sich heute Abend hier
niederlassen sollte.
Aber die Zeit verging unid außer
Gottlieb, idem Schreiber und einem
Flickschuster, den man durch die Aus
sicht aus eine gute Kundjchast nnd
Feibier gewonnen hatte, erschien tein
ensch.
Die Drei tranken, so schnell und so
viel sienur konnten, um Wirth und
Kellner nur einigermaßen bei guter
Laune zu erhalten, und endlich gegen
11 Uhr, als man auf weiteren Zuzug
doch nicht mehr rechnen konnte. eröff
nete Gottlieb nach mächtigem Glocken
geläute die Versammlung
Der intelligenteSchreibersetzte dann
in längerer Rede den Zweck der Zu:
sammenkunft auseinander, der Schu
ster erklärte sich damit einverstanden,
und endlich wurde der »Verein deut
scher Selbst-Eliasierer« feierlich gegrün
det. Sämmtliche- Anwesende erklärten
einstimmig und durch Namensunter
schrist ihren Beitritt, und die Wahl
des Vorstandes ergab Herrn Gottlieb
Bormann alsPräsi-denten, den Schrei
ber als Schriftsührer und Schutzma
ster und den Schuster alg Beisitzer
Acht Tage später hatte der finidige
Schriftsiishrer schon die Statut-en aus
gearbeitet, die als Zweck des Vereins
den Austausch der Erfahrungen, die
gemeinschaftliche Beschaffung von
Werkzeug und Materialien, sowie ei
nen geselligen Verkehr der Mitglieder
ansiihrten. Weiterhin wurde die Grün
dung gleichstrebender Vereine auch in
anderen Städten und deren Zusam
menschluß zu einem großen deutschen
Verbande ins Auge gefaßt . . . .
Seitdem ist .Gottlieb Bormann
Präsident, und tvewn auch sein Verein
immer noch nicht über die ersten drei«
Mitglieder hinausgewachsen ist, so
betrachtet derGliickliche doch mit Stolz!
sein Präsidenten- Abzeichen, einen nied-.
lichen, silbernen Rasier- Pinsel. Wenni
er ihn bei festlichen Gelegenheiten In
das Knopsloch gesteckt hat, so kann er
viertelstundenlang vor dem Spiegelt
verweilen und ihnimmersort anschauen
—- s-— den Pinsel
—-- - « -—
Meine Regierungs - Anstellung
Frei nsach dem Englischen von Leon
Lands-berg;
Die Hauptsache ist, daß die in Fol
gendem erzähltenErlebnisseeines Aem
terjiigers aus Wahrheit beruhen. Es
Ikann daher dem Leser höchst gleichgül
tig kein, ob sich dieselben in diesem
Jahre oder vor zehn Jahren zsugetra
gen haben.
Nachdem ich einmal den Entschluß
gefaßt, mich bei der Bundesregierung
um eine Anstellung zu bewerben, giab
ich mein Geschäft auf und setzte alle
Hebel in Bewegung, meinen Vorsatz
auch zum schnellen Austrag zu brin
gen. Jedermann, den ich nur darum
anging, unter-zeichnete bereitwilligst
mein Gesuch, und das Kongreßmit
glied meines Distriltes erklärte zuver
sichtlich, daß meine Schritte von Er
solg gekrönt sein würden. Jch war
siir die Administration eifrig thätig
gewesen, und die Führer der Partei,
der ich angehörte, meinten, daß mein-e
Dienste eine Anerkennung verdienten.
Drei Monate gingen vorüber, ohne
daß ich irgend welche Fortschritte ge
macht hätte Das Kongreszmitglied
lschrieb mir häufig und sogar der Prä
Isident hatte ein-en meiner Briefe mit ei
lnem ermuthigenden Schreiben zu be
antworten geruht. Mein Anstellungs
detret blieb jedoch aus, und in der
Zwischenzeit sah ich mein kleines Ka
pital mehr und mehr auf die Neige
gehen
Meine Freunde riethen mir, mich
nach Washington zu begeben, wo ich
meine Angelegenheit besser betreiben
konnte, und da mir dieser Rath ver
niinftig erschien, Packte ich meinen Kof
iser und fuhr nach der Landeshaupti
stadt
Es dauerte nicht lange und ich stand
smit sämmtlichen Politilern und Be
amten auf gutem Fuße. Mein Verkehr
mit denselben war sehr angenehm. Sie
nahmen alle ein großes Interesse an
Hneiner Anstellung,diesie mit mir wäh
,rend der Dinerg und Soupers be
spwchen
Esc. l-·«IJ « -«4«’ sc-! slk h; - OAA ««««««
«,.., ».«,...,... W», « ., a,«.«.,,.
Nach Verlauf von zwei onaten
stürzte eines Tages mein Koingreßs
lmann ins höchster Erregung in mein
Zimmer.
s »Hier ist Deine Anstellung,« ries er
« mir in Eile zu, »und ich kann Dir nur
sagen, es ersorderte meinen ganzen po
sritischm (5inscuß,.sik fiik Dich zu erra
pern. Du wirst es nie erfahren, mein
Junge, welche Anstrengungen es mich
gekostet hat«
Jch dankte ihm unsd öffnete nerdös
»das volurninöse Dokument. Es war
smeisne Anstellung alssionsul von Tin
galing.
Fünf Minute-n lang starrte ich aus
das Schriftstück, dann wagte ich die
Frage:
»Colonel, wie kommt es, daß mir
anstatt des angesuchten Konsubats ges
grade dieser Posten angewiesen wurde?«
; »Weil Du als die geeignetste Person
angesehen wirst, um mit demselben
,betraut zu werden,« lautete die Ant
wort. »Mehr zu sagen ist mir nicht
.gestattet.«
s Das war in derTshat sehrneichelhastf
«und ich fühlte mich der Adminsistration
zu Danke verbunden, daß sie meinen
Faall so große Beachtung geschenkt
tie.
I »Was ist das Salair?« war meine
i nächste Frage.
s »O, das weiß ich nicht,« erwiderte
.er, »aber es wird schon Alles in Ord
nung sein Jch muß jetzt nach Hause
eilen Besuche mich später. «
»Halt, Colosnel,« rief ich- »Wo liegt
denn eigentlich Tin«galing?«
»Welche Fragel« antwortete er la
chend. ,,Jedes Kind wird Dir sagen,
wo Tingaling liegt.«
Und fort war er, ehe ich ein anderes
Worts sagen konnte.
Jch nah-m den Atlas zur Hand und
begann nach meinem neu-en Posten zu
suchen. Nach zwei Stunden langen
Suchens war es mir nicht gelungen,
ihn auf irgend einer Karte zu ent
decken, und ich legte den« Atlas wieder
fort, ohne zu wissen, ob mein Konsulat
sich in Europa, Asien, Afrika oder
Südamerika befände.
Das war eine große Enttäuschung,
aber ich fühlte mich ein wenig besser,
als die Abendblätter erschienen. Sie
tündigten meine Anstellung an und
sagten ganz hübsche Dinge über mich
Keines der Blätter jedoch belehrte mich
über die Lokation von Tisngaling
Am folgenden Tage sprach ich beim
Staatsdepartement vor,·und nachdem
ich sämmtliche bei meiner Anstellung
üblichen Formalitäten durchgemacht,
frug ich den Sekretär:
,,A propos, wo liegt denn eigentlich
Tingialing?«
Er schaute mich einen Moment ver
wundert an, dann sagte er:
»Das ist eine sonderbare Frage.
Jedes Kind kann es Jhnen sagen.
Uebrigens enthält Jhr Anstellungs-de
kret das Nähere darüber. «
,,Durchsaus nicht. Es heißt blos
Tingsaling, die Jnsel Tingaling.«
»Ein Bersehen desKo»Pisten,« meinte
der Sekretär. »Nun, das wird korri
girt werden, sobald McGosh zurück
kommt. «
»Wie hoch ist das Salair? Herr
Setretär?«
»Das kann ich nicht sag-en. Wen-n
Herr McGosh nächste Woche zurück
"kornmt, wird man Jhnen alles Nöthige
mittheilen.«
Der große Herr machte eine Hand
bewsegung, und ich verabschiedete mich.
Eine ganze Woche suchte ich sämmt
liche Hotels und ZeitungssRedaktionen
heim, unt Auskunft über Tingaling
zu erlangen. Niemand war im Stan
de, mir einen definitiven Bescheid zu
geben, doch meinten Alle, daß ich
Herrn McGosh’s Rückkehr abwarten
müßte.
Jn meiner Verzweiflung begab ich
mich zum Präsidenten Ich daintte ihm
für den mir gewährten Posten und bat
ihn, mir zu sagen, wohin ich eigentlich
zu gehen hätte.
Er blickte mich verwundert an.
»Sie werden Jhre Jnstruktioinen
vom Ministerium des Aeußern em
pfangen,« war sein-e kurze Antwort.
Jch verließ ihn verwirrter als zuvor,
aber am selben Tage glückte es mir, ei
nen Schiffskapitän zu treffen, dem die
Lage Tingalings bekannt war. Er be
lehrte mich, daß die Insel sich an her
chinesischen Küste befände und sowohl
die Franzosen als die Chinesen auf de
ren Besitz Anspruch erhöhen. Bei den
Franzosen war die Jnsel unt-er einein
anderen Namen bekannt, und so kam
es, daß ich sie nicht auf der Landkarte
1 finden vermocht hatte. Dies war
auch der Grund, warum das Ministe
rium des Innern so wenig darüber zu
sagen wußte,
Herr McGosh kehrte endlich zurück.
und ich beeilt-e mich, ihn um die er
sehnte Auskunft anzugehen
»Tan-galing,« theilte mir Herr Mc
Gosh mit, ,,gehört den einen Tag den
Franzosen und den andern den Ghin-e
sen. Der nächst-e Dampfer wird uns
üsber den gegenwärtigen Status in
Kenntniß setzen. Sie können sich zu
Ihr-er Anstellung gratuliren-. Die Jn
sel hat ein prachtvolles Klima unsd die
Eingeborenen erreichen dort ein Alter
von hundert Jahren«
« »Und das Sakair?«
s »Ich werde es für Sie auszufinden
Isuchen Sprechen Sie nächste Woche
swieder vor.«
Herrn McGosh’s-Mittheilrtng slößte
mir neuen Muth ein, und während der
nächsten acht Tage traktirte ich meine
Freunde, deren Einfluß ich meine wich
itige Anstellung zu ivevdansten hatte.
Die Zeitungen hatten Vieles über den
sneuernannden Konsul von Tingaling
zu berichten, unid Alle in Allem ge
Ensommem verbrachte ich eine angenehme
IWoche und begann mir zu meiner
neuen Würde Glück zu wünschen.
s Der zweite Besuch» den ich Herrn
McGofh abstattete, vernichtete jedoch
smeinen angenehmen Traum auf eine
grausamer Weise. Diesmal war der
Herr zugeknöpft
; »Wir erwarten, daß Sie nachste
Woche nach Tingaling absegeln, « sagte
er in geschäftsmäßigem Tone Es ist
kein Salair mit Jhrem Posten ver
bunden, doch belaufen sich die Gebüsh
iren auf 880 jährlich. Sie können da
’mit ganz gut auskommem wen-n Sie
sich nach der auf der Insel üblich-en
Lebensweise einrichten.«
H gnfmuutermtg von
H oben.
H Jener Theil des deutschen Bürger
» thums, der von den Stufen des Thro
;nes herab Abhülfe gegen die schändli
;chen Uebergrisse erwartet, welche sich
der deutsche Offiziersstand gegenüber
»der ,,biirgerlichen Kanaille« fortwäh
Trend und in immer brutalerer Weise
izu Schulden kommen läßt — wir er
: innern nur an die in der jüngsten Zeit
iganz Deutschland in die größte Aufre
gung versetzende kaltblütige Niederste
chung einesCivilisten durch den Lieute
nant von Brüsetvitz in Karlsruhe —
Hhat seine Rechnung offenbor ohne —
HWilhelm, von Gottes Gnaden König
Hvon Preußen und Deutscher Kaiser,
;-.gemacht Anstatt sden an übermäßiger
HEinbildung und falschen Ehrbegriffen
lkrankenden Leuten in des Königs
RockRaison beizubringen, werden diese
HHerrschaften von dem obersten Be
fehlshaber des deutschen Heeres noch
Hdazu ausgemunterh bei der geringsten
HVeranlassung »den der Uniform ange
;t«hanen Schimpf« zu retten, d. h· so
ifort mit der Waffe dreinzuschlagen,
Hund sollte auch das ganze »Civilisten
ipack« »auf die Strecke gebracht« wer
den. Wise anders soll man die Worte
ausfassen, die Kaiser Wilhelm, wäh
Hrend der Brüsewitz : Fall noch allge
Emein erörtert wirdund die ganz-e Pres
Hse Repressivmaßregeln verlangt, an die
Hden Fahneneid leistenden neuen Rekru
Iten der Besatzungen Berlin, Spandau,
HGroßlichterfelde und Charlottenburg
richtete?- Der Kaiser sagte, laut Ka
Hbelbericht: »Haltet Eure Unisorm in
Ehren Wer Eure Uniform beschimpft,
Hbeschimpst Euren König Wer desKö
nigs Rock angreist, greift Euren ober
sten Kriegsherrn an.« Wie anders,
so fragen wir, kann man diese Worte
aufsassen? Wenn der Brusewitz- Fall
sich nicht erst ganz kürzlich ereignet
Hhätte und ähnliche Fälle nicht fortwäh
rend Zu verzeichnen wären, so könnte
man des Kaisers Rede als einen AP
Pell an den soldatischen Stolz gelten
lassen; so aber kann man sie nur als
eine umschriebene Billigung der Hand
.lungsweise des Herrn v. Brüsewitz
auffassen, und man braucht sich nsicht
zu wundern, wenn man demnächst von
.weit-eren Civilistsen - Abschlachtungen
»zur Rächung von Unisor-m-Beschim
pfungen« hören wird.
--·-o.
Ein weiblicher Cranl —
-oder heißt’s Crankin? s-— verlangt in
New York die Einführung der »Eur
sew Glocke«, dieser Art von »Zwer
streich - Glocke« für die liebe Jugend,
die nach Einbruch der Nacht nicht mehr
aus die Straße gelassen werden soll.
Das war so eine Einrichtung in mit
telalterlichen Zeiten; damals mußte
man, nach hoher obrigkeitlicherVerord
nnng, nach Einbruch der Nacht auch
ein-e Laterne in derHansd halten. Wenn
erst die Gas- und die elektrische Be
leuchtung abgeschafft worden ist, und
das helle Licht des morgendämmernden
zwanzigsten Jahrhunderts, s-— dann
mögen wir wieder zu Oellaternen der
Mittelalters - Zeiten-, zur ,,Corsew"
Glocke und zu anderem mittelalterli
,chen Muckertreiben zurückkehren, nicht
früher.