»die Schrift deg Todten. Ortmtnalsstomau aus dem deutsch französischeu Kriege. Von Jul. May. (Fortsetzung.) ; Als John v. Montmayeur heimtarn, saß sein Bruder Georg wie gewöhnlich s am Kamin und wärmte sich die Hände. »Wo bist Du denn so lange geblie ben?« fragte er. Der Andere setzte sich. Er verspürte plötzlich, nach all’ der furchtbaren Auf regung, eine ungeheure Müdigkeit in allen Gliedern. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und erwiderte erst nach längerem Schweigen: »Ich habe dem Gericht bei den Nachforschun gen nach dem Mörder geholfen.« Und als Georg ihn ganz entsetzt anstarrte, fügte er noch hinzu: »Sie sind auch nicht erfolglos geblieben, denn der Thä ter ist bereits verhaftet.« Der Kranke suhr in seinem Sessel empor. »Was sagst Du da?« »Die Wahrheit. Der Gärtner Doriat hat den armen Bourreille erschlagen. Wer hätte das gedacht?« »Dafür müßte man doch Beweise haben.« »Die hat man auch gesunden, und zwar durchaus überzeugende.« »Und Du läßt es geschehen, daß der Verdacht aus einen vollkommenen Un stnsfthsn PHIYO H« ,,Nun, das ist doch das Glücklichfte, was mir widerfahren konnte,« versetzte Johann kalt Und schaute den Kranken dabei so drohend an,daß er verstummte. Georg V. Montmayeur besaß schon seit geraumer Zeit ieinen eignen Wil len mehr. Die langwierige Krankheit machte ihn schwach und hatte jegliche Energie in ihm erstickt. Er dachte und handelte sozusagen nur durch seinen Bruder. Ihm fehlte die geistige Spann kraft, um sich gegen das von diesem be gangene Verbrechen mit Abscheu zu erheben, und so wurde er gegen seinen Willen zum Mitschuldigen. Vergebens lehnte sich im Jnnern seiner Seele seine ehrenhafte Gesinnung dagegen aus. Er mußte sich beugen, den er hatte zu große Furcht vor der Einsamkeit und vor dem Sterben. Und was sollte er wohl ohne seinen Bruder beginnen? Dieser beschaffte die Mittel zu seinem Lebensunterhalt bezahlte den Arzt und brachte vielleicht auch das Geld für eine Badereise auf, welche die Aerzte dem Kranken verordnet hatten, und die ihn am Ende wieder ganz gesund machen würde! Wenn er Johann aber nicht mehr hatte, dann war Alles aus, dann konnte er sich nur in’s nächste Armen Lpital schaffen lassen, um dort zu ster en. Er kehrt sich wieder dem brennenden Kaminfeuer zu, hielt die Hände zwi schen den zitternden Knieen und schien die knisternden und verglühten Holz briinde zu betrachten. Johann ging aus sein Zimmer und suchte sich durch star kes rinken zu betäuben. Jmmer mußte er an die Schrift denken, die in dem dunklen Gemach von Les Berna dettes an der Wand stand, und an den umgeklappten Tisch, von dem allein seine Rettung abhing. Er schlief im Sitzen ein und wachte erst auf, als schon hssmoos4ss h-—m-OO- sc- kÄZ-- fassen-Ok »I·-«k»- It e« codes O-» skv »Heute-»s, verließ die Fabrik und irrte, Von einer nervösen Ungeduld getrieben, durch dies Straßen des Dorfes. Als es heller; wurde, suchte er das Bourreillische Ge- : höst aus, ohne zu bedenken, daß seines Anwesenheit zu so früher Stunde dochj befremdend erscheinen konnte. Er ge- s wahrte Klaudine, die über den Hos; ging, und wäre beinahe zu ihr hinge eilt, um sie auszufragem wenn ein Rest von Besonnenheit ihn nicht noch zurückgehalten hätte. Endlich lehrte er nach der Fabrik zu. Jm Laufe des Tages war Moraines wieder erschienen, doch nur, um in Garches einige Erhebungen zu machen und Zeugen zu vernehmen. Montmaheur wurde allmälig wieder ruhiger. Wenn die Schrift entdeckt worden wäre, so hätte man ihn ja längst verhaften Er hatte also wieder einen Ta gewonnen. Aber sollte er morgen, übermorgen und die folgenden Tage wieder dies elbenQualen ertragen? Gab es da keinen Ausweg? Er zertnar terte sich vergebens das Gehirn. S. Im hause des armen Doriat herrsch te nzwischen Verzweiflung Ei vergius ein Tag nach dem ande ren, aber oriat wurde den Seinen « nicht zurii ben. Die gegen ihn spwchmden dachtömomente wurden uerselveisery der Arme vermochte sie tsu entlräftm ach cis-WEIan HEFT Ihr r a eu,un o rist der unmittelbar Wehen Wegetichtiperiode Zur Meerwei L lung zugewiesen. Durch eine merk-I würdige Verkettung der Umstände wurde der Fabrikbesiyer Johann d. Montmayeur bei der Verhandlung um Obmann der Geschworenen erwählt, die den Gärtner Michel Doriat schuldig erklärten, den Landwirth Bourreilles getödtet zu haben I Von Doriat’ s Angehörigen hatte es Niemand über sich gebracht, den Ver- i handlungen beizuwohnen. Bis zum leg- i ten Augenblick hofften sie aus Freispre- » chung, aber als sie dann von seiner Ver- « urtheilung Kenntniß erhielten, warens sie völlig niedergeschmettert und außer sich über ein so furchtbares Schicksal. ! Auch die von dem Verurtheilten ein gelegte Berufung wurde Seitens des assationsgerichtshofes verworfen, und nun blieb noch die einzige Möglichkeit, daß der Kaiser ihn begnadigtr. Das war die leyte Hoffnung, aber auch nur eine recht schwache. Und dann gab ihm eine Begnadigung nicht die Freiheit und seinen unbesleckten Namen wieder, son- . dern nur eine Umwandlung der Todes grase in lebenslängliche Zwangsm eit ..... Am folgenden Tage war Luzie früh zur Ruhe gegangen, lag aber jetzt, ohne zu schlafen, in ihrem Bette. Sie mußte immer an ihren armenPslegevater den ken, dem sie Alles zu danken hatte und zu dessen Rettung sie trotz allen guten Willens gar nichts zu thun vermochte. Es stand bei ihr unerschütterlich fest, daß der Vater unschuldig war und mit seinem Leben die Unthat eines Anderen büßen sollte. Ein Anderer hatte ge mordet und gestohlen, aber wer war es? Wo sollte man ihn suchen wie l-—-—1-.«t!!flk.—.. lslllllcsc cui-III IYU UUILJU thllk Plötzlich schien es ihr als ob Jemand an die Hausthür tlopse Zuerst glaubte sie sich getäuscht zu haben, als wieder dasselbe Klopfen vernehmbar wurde." Sie setzte sich im Bette aufrecht, hörte aber dann nichts mehr. War die be treffende Person wieder fortgegangen? Jhr Zimmer lag tm Erdgeschoß an der Straße. Man hatte nicht sehr laut gepacht, so daß sie wohl allein von den Hausbewohnern das Geräusch verneh- : men konnte. Die Laden vor ihremz Fenster waren geschlossen. Ganz un-; verkennbar wurde jetzt leise gegen diese getlopst. Gleichzeitig rief eine gedämpf te Stimme: »Luzie! Luzie!" »Das ist Klaudine,« murmelte das junge Mädchen, »was mag sie wollen ?'« Sie stand rasch aus, öffnete das Fen ster und die Laden Sie hatte sich nicht getauscht, ihre Schwester stand drau ßen. Das arme Mädchen schien sich in einer furchtbaren Aufregung zu besin den und flüsterte: »Laß mich zu Dir hinein, Luzie. Jch kann mich kaum mehr halten!« Von Luzie unterstützt, kletterte sie in das Fenster, das Jene dann wieder schloß· Luzie zündete eine Lampe an und sah nun erst, wie verstört die Schwester aussah, die sie voll zärtlicher Besorgniß in ihre Arme schloß. »So sprich doch nur Klaudine, und fäge mir endlich, was Dir widerfahren I .« « »O Luzie, ich habe eine entsetzliche Entdeckung gemacht! Du weißt ja, daß der Polizerkommissär angeordnet hat, in der Kammer neben Vater Bourreil le’s Schlaszimrner, wo er todt gesunden worden ist, dürfe vorläufig nichts ange rührt und verändert werden. Walter verschloß sie daher und nahm den Schlüssel an sich. heute trüb. bevor er abreisie, gab er mir den Schlüssel und sagte, jetzt brauchen wir uns an jene Weisung nicht mehr zu kehren. Jch könne die Kammer nun scheuern und in Ordnung bringen lassen. Jch wollte diese Arbeit keine fremde Person ver richten lassen, aber da ich den Tag über abgehalten wurde, lam ich erst heute Abend dazu. Das Erste, was ich that, als ich das Zimmer betrat, war, daß ich den am Fenster befindlichen Klapp tisch, dessen Platte beruntergelassen war, ausrichtete, um die Lampe daraus zu stellen. Kaum aber fiel der Licht schein aus den Theil der Wand, der bis dahin von der Platte verdeckt gewesen war, als ich aus der weißen Fläche Flustslecken sah. O Schwester, Schwe ter.« . »Nur weiter, Klaudine,« drängte Luzie, deren Augen seltsam glänzten. »Als ich mich bückte, um sie mit dem Scheuerlappen abzuwaschen, sah ich aber, daß das keine Flecken sondern ganz deutlich erkennbare Buchstaben varen, die Worte bildeten.« »Wie lauten die Wortes« fragte Zuzie athrnlos. »Johann Monttnayeur ist der Mörd . . . dann bricht die Schrift ab.« »Das hast Du gelesen Z« ,, a. »Und Du hast Dich nicht geirrt, s on Dern bist Deiner Sache sicher i« »Unbedingt verlaß’ Dich daraus!« »Dann ist ja der Vater erettet,« chrie Luzie.- »Ich gehe mit ir, ich wiss-esquiska Wer gesund-i si er e e an, öschte die Lampe aut, trat, die give tet bei der band führend in den Flur mb schloß leise die Hausthür auf. straßez im hause schlies, nach ländlicher Sitte bereits Alles. Eiligen Schrittes gingen sie nach Les Bernadettes. Der Mond, bis dahin hinter den Welten verborgen, trat hervor, und erleuchtete den Weg, die Landschast ringsum mit seinem Silberschein überströmend. Nur das Gehölz von Saint Cucusa blieb im Schatten nebst dem von einer Mauer eingesaßten Pakt von Buzanval7 wei terhin aber war Alles hell, bis zum ser ne Mont Valerien. Mehr nach Osten zeigte sich ein unge heuer röthlicher Schimmer am him mel, wo die Hauptstadt Frankreichs lag. Die beiden Schwestern aber sahen nichts von alledem. Sie blickten nur aus ein Gebäude rnit hohem Schorn stein, das vor ihnen sich vom klaren Nachthimrnel abzeichnete: die chemische Fabrik von Gebriider Montmayeur. Beide dachten in diesem Augenblick dasselbe. Dort unter jenem Dache schlummerte jetzt der Berbrecher vielleicht ganz ruhig trotz seiner Unthat. Jn dem St. Weins-Gefängnisse zu Versailles aber harrte ein armer, unschuldig verurtheil ter Mann aus die Stunde, da man ihn auf das Schassot führen würde! Das dachten beide Schwestern, aber sie sprachen es nicht aus. Als sie aus dem Gehöst eintrasen. verrieth tein Ge räusch ihre Ankunft. Der immer wach same Hund des kleinen Kuhhirten hatte sie wohl gehört, aber er erkannte Klau dine und schlug daher nicht an. Klaudine schloß die Hausthiir aus, steckte mit vor Erregung zitternder Gleich datan standen sie auf der Las-v- l l l yano in oer auche eine Lampe an uno ging in das Zimmer Bourreille’s vor an. »Sieh’ her!« sagte sie und stellte vor den sich ganz deutlich von dem weißen Kalt abhebenden rothbraunen Schrift ziigen die Lampe aus den Boden Ja, dort stand es deutlich: »Johann Mont mayeur ist der Mörd . . . .'« »O, dieser Elende,'« murmelte Luzir. »Und ein solcher Mensch hat mir von Liebe zu reden gewagt!« »Was sollen wir thun ?«· fragte Klaudinr. »Das will ich Dir sagen,« erwiderte ihre Schwester bestimmt und sicher. »Wir verschließen das Haus wieder, und Du least Dich schlafen. Morgen sriih um sieben Uhr mußt Du mich aber abholen damit wir mit dem nächsten Zuge nach Saint- Cloude nach Paris fahren können. Du darfst vorher zu Niemand davon sprechen, hörst Du?« »Gewiß nicht, Du kannst Dich auf mich verlassen.« »Dann mußt Du es so einrichten daß auch so lange wir fort sind, Nie mand hier In s Haus kommt. " »Es ist gut Ich werde Alles so ein richten, wie Du sagst. Aber erkläre mir nur —«« »Heute nicht, Klaudine, morgen sollst Du Alles ersahrent« Die Schwestern verließen das Haus, das Klaudine wieder verschloß· Sie küßten sich zum Abschied, dann stieg Klaudine die Leiter zu ihrem Giebel stiibchen empor, während Luzie nach Garcheö zurückeilte. Kaum waren sie verschwunden. als von einem Karten, den man im hose stehen gelassen hatte, sich ein Mann vorsichtig erhob und spähend um sich schaute. m- .-». ev t-..— .. ma--x.— ...... l UD lUUL JUVUllsl U« JJIUIILUIUULUC« Er befand sich bereits im Hofe, als die beiden Schwestern anlangten; rasch war er auf das Fuhrwerk gestiegen und hatte sich dort verborgen; er wollte warten, bis die Schwestern das Haus wieder verlassen würden. und dann sein Vorhaben ausführen Seit jenem Augenblick, da er die blutige Schrift an der Wand entdeckt hatte, lebte er in einer fortwährenden Angst. Seine Nächte waren meist schlaf los, und wenn er in Schlummer fiel, so quälten ihn fürchterliche Träume. Als der Bruder sein schlechtes Ausse hen gewahrte, schrieb er es den Vorwür sen seines Gewissens zu und suchte von Neuem mit Mahnungen in ihn zu drin gen. »Willst Du wirklich diesen armen Mann unschuldig für Dich sterben las sen. Kannst Du das über Dich gewin nen Bruder?« fragte er. «Soll ich mich etwa selbst auf-lie fern?" »Nein, aber verlasse sofort Frank reich und beienne dann vom Auslande aus dem Gerichte die Wahrheit. Dann wirst Du die Ruhe Deines Gewissens wieder gewinnen.« ,.Ach. ver-schone mich mit solchen Ein siilti leiten!« »Juki-en höre doch nur ein einzi es Mal in Deinem Leben aus mich. u rennst blind in Dein Verderben,« »Das kann ich ruhig abwarten.« »Ja, Du! —- Aber ich will wieder Fu ruhiges Gewissen haben. Jch habe ur me? Du bist doch nicht Schuld an Booteeille’t Tod« «Nein, aber ich kenne den Mörder, and wenn ich Mk uns uldig sterben lase, so lade ich dadurch e ungeheure Schuld aus mich.« j »Willst Du vielleicht Deinen Bruder anzeigen?« »Nein, das tann ich nicht, und dieser furchtbare Zweispalt quält und peinigt mich! Jch sehe allnächtlich Bourreille in seinem Blute schwimmend vor mir, ich lann nicht mehr schlafen, und wenn das noch lange fortgeht, so muß ich sterben. Johann, habe doch Mitleid mit uns; Beiden!« Wenige Tage nach dieser Unterredungj » hatte Johann v Montmayeur erfahren daß Walter Bourreill- soeben wieder( nach Grignon abgereist sei. Nun war es nicht mehr allzu verwerten sich nächt licherweise Eingang in das Wohnhaus von Les Bernadettes, worin teine menschliche Seele schlief, zu verschaf fen, um die furchtbare Anklage aus der Welt zu schaffen. Er machte im Laufe des Tages eine chemische Lösung zu recht, die jeden Blutfleck auf Kalt s pur los vertilgen mußte, und füllte sie in ein Fläschen, das er einsteckte. Als es am Abend nicht mehr weit von zehn Uhr war, steckte er Alles, was er fiir sein Vorhaben brauchte, zu sich und ver ließ das Haus. I O O Als er Les Bernadettes erreicht hatte, schlich er behutsam im Schatten der den Hof umgebenden Baulichteiten dahin, wäre aber hierbei auf ein Haar von den Schwestern überrascht worden« Zu sei nem Glück gelang es ihm, sich rasch auf dem Karten zu verbergen. Jn diesem Versteck harrte er nun aus, bis Luzie und Klaudine das Gehöft wieder ver ließen, und- die Letztere auf der Leiter zu lykelll Owlllsgemmy emporgestiegen war. Jhr Fenster blieb eine Weile hell, dann erlosch das Licht, aber der Chemiter wartete noch immer geduldig, bis er annehmen durfte, daß das junge Mädchen eingeschlafen sei. Von dem Thurme der alten Kirche in Garches hörte er eine Viertelstunde nach der anderen schlagen-endlich stieg er vor sichtig von dem Karten herunter und schlich lautlos bis zu der Thür des Wohnhauses. « Diesinal war die Thiir des Wohn hauses wohl verschlossen, allein er hatte ein paar Dietriche bei sich, mit denen es ihm ohne Mühe gelang, das kunst lose Schloß zu öffnen. Jn der Küche zündete er die mitgebrachte Blendlater ne an, durchschritt das frühere Schlaf den anstoßenden Raum. Er war gefaßt gewesen auf das, was er dort zu sehen bekommen würde, allein es durch schauerte ihn doch eisig, als er die Schrift des Todten an der Wand er blickte, die er jetzt zum ersten Male voll ständig lesen konnte. Es war also wirklich so, wie er ge ahnt hatte. Botrreille hatte vor seinem hinscheiden noch die Kraft besessen, ihn anzuklagen, und wenn der Satz auch nicht ganz zu Ende geschrieben war, so genügten die blutigen Zeichen doch, ihn zu verderben. Der Klaptisch. dessen ohne Zweifel von Bourreille selbst beruntergerissene Platte den Gerichtspersonen diese furchtbare Antlageschrift verdeckt hatte, war jetzt wieder aufgerichtet, so daß die Schrift frei lag. Wer das gethan hatte, tannte also auch das Geheimnis; Mont maheur’s und hatte die Worte gelesen. Diese Erwägung brachte den starlen Mann zum Zittern. Wie kam es aber, fragte er sich, daß er sich noch in Frei heit befand? Auf was wartete man denn noch? Was bereitete sich gegen ihn vor? Nach einigem Ueberlegen gelangte er zu der Ueberzeugung, daß es Klaudine gewesen sein müsse, die das Geheimnis-, entdeckt hatte. Sie war dann zu ihrer Schwester geeilt,urn dieser Miitheilung von ihrer Entdeckung zu machen, und Luzie hatte Klaudine nach Les Berna dettes zurückbegleitei, um sich mit eige nen Augen zu überzeugen. Es hielt nicht schwer, sich das zusammenzuwi men. ,,Luzie weiß also jetzt, daß ich der Mörder bin,« murmelte er, ,,ei gemei ner Raubmörder! Und ich lie e sie bis zun; Wahnsinn.——Wohin soll das füh ren .-« Jn diesem qualvollen Grübeln ver gaß er auf Augenblicke den unheim lichen Ort, an dem er sich befand, den weck, der ihn hergeführt hatte, und die efahr, die er lief, wenn man ihn hier überraschte. Sich gewaltsam zusammennehmend, ging er endlich an’s Wert. Er schüttete etwas der zubereiteten chemischen Lö sung aufeinen Lapen und löschte damit einen Buchstaben na dem andern von der Wand, ohne da der Bewurf ir gendwie angegriffen oder verletzt wur de. Auf die noch feuchten Stellen schüt telte er schließlich etwas Staub, den er in einem Winkel auflas, und fuhr mit seinem Taschentuch darüber. Er leuchtete zuleht mit der Laterne ganz dicht über die Stelle hin, doch zeigte die Mauer hier jeht dieselbe rautveiße Farbe, wie auf ihrer ganzen klöchr. Niemand konnte glauben. daß ort etwas geschrieben gewesen war. Dielhefriedigung über das vortreffliche Gelingen seiner Arbeit ließ site den Augenblick jeden anderen Gedanken in ihm zurücktreten, und ein triumphiren des Lächeln umspielte seinen Mund. Nachdem er seine Laterne ausgelöscht hatte, verließ er das Haus wieder. Aus dem Heimwege beschäftigten sich seine Gedanken von Neuem mit Luzir. Er tannte ihren willensstarken Sinn und wußte, daß er Alles von ihr zu fürchten habe, wenn sie im Besitz seines Geheim nisses war. Und doch liebte er das schöne Mädchen, er träumte von ihr: und konnte von dem Gedanken nicht» lassen, sie trotz Allem noch die Seinej nennen zu dürfen. Als er auf der Fabrik wieder ankam, sah er, daß sein Bruder noch immer am Fenster stand, that jedoch, als ob er es nicht gewahrt hätte. Er legte sich zu Bett. Er konnte ja jetzt wieder ruhig schlafen, da er nichts mehr zu fürchten hatte, nachdem der einzige gegen ihn zeugende Beweis ver tilgt war. Mochten die Schwestern immerhin erzählen, was sie an der Wand gelesen haben wollten — wer sollze ihnen wohl noch Glauben schen ken Aber er schlief dennoch nicht. Jmmer wieder mußte er an Luzie denken, die sein Verbrechen kannte. 7. Der Morgen war heiter und sonnig angebrochen, und in den Gebüschen, die den Flecken Garches umgeben, zwit scherten und sangen lustig die Vögel. Klaudine hatte in aller Frühe den Kas fee siir die Dienstleute des Hofes in der Küche gekocht und die sonstigen häus lichen»Verrich»tungen besorgt, ohne die allsloscllocll Alllllllc Ilocylllllls zu Unle ten. Wie hätte ihr auch irgend ein Arg wohn kommen s ollen? Sie versorgte die Leute« bevor sie an ihre Arbeit gingen, mit allem Mithi gen und theilte ihnen mit, daß sie noth wendig in Paris zu thun habe und wohl erst gegen Abend zuriickkommen werde. Dann verschloß sie das Haus sund machte sich aus den Weg zu ihrer Schwester, die sie ja um sieben Uhr ab holen sollte. Unterwegs tras sie aus einen der Zei tungsoerkiiuser, die jeden Morgen mit den Frühziigen von Paris kommen. um die während der Nacht gedruckten, noch feuchten Zeitungen in den Dörsern und kleineren Städten der Umgebung seit zubieien. Sie kauste ein Blatt und durchslog es im Gehen, weil sie wohl wußte, mit welch’ banger Spannung die Bewohner der Doriat’schen Gärtne rei jeden Morgen den neuesten Nach richten aus Paris entgegensahen. Je desrnal mußten sie aus die Kunde ge faßt sein, daß Doriat’s Gnadengesuch verworfen, und der Besehl zur Hinrich tung ertheilt worden sei. Stand aber nichts iiber ihn in der Zeitung, dann durften sie immer noch hoffen. Das war diesmal der Fall und schon von ferne winkte Klaudine ihrer in der ossenen Hausthür stehenden Schwester mit der Zeitung zu. Luzie i verstand das Zeichen s osort und eilte in das Haus zurück, um ihrer Pslegemut ter die gute Nachricht zukommen zu lassen. Frau Doriat schüttelte aber trübsin nig den Kopf. »Ich habe keine Hoff-s nung mehr!« I »Ich habe desto mehr, Mutter,s« ent-? gegneie Letzte mn leuchtenden Augen »Und eben deswegen möchte ichDich um die Erlaubniß bitten, heute Morgen mit Klaudine nach Paris fahren zus dürfen.« " »Was willst Du denn dort? Du; siehst, wie traurig und elend ich bin,; und willst mich doch allein lassen? Blei-z be doch bei mir.« J »Es ist unbedingt nöthig, MutterJ glaube mir. Wir wollen des Vaters Vertheidiger aufsuchen.« » errn Lande-is? Ach Gott, er ist ja gew ein braver Mann; er hat mir versprochen, er werde ihn retten, aber Du siehst, wie er Wort hält!« »Ich will wenigstens von ihm erfah ren, ob uns wirklich gar teine Hoffnung mehr bleibt, ob nicht vielleicht noch irgend etwas zur Rettung geschehen kann. Laß mich gehen, Mutter, ver traue mir!« »Das thue ich ja, mein gutes Kind. Also gehe iinmerhin."' Luzie verlor keine Zeit. Sie trat zu ihrer Schwester auf die Straße hinauf-, und noch war keine halbe Stunde ver flossen, als Beide bereits in dem nach Paris fahrenden Zug saßen. Nach einer weiteren halben Stunde trafen sie dort auf dem Bahnhofe Saint-Lazare ein« wo sie eine Deoschie nahmen, um nach der Wohnung des Advotaten zu fahren. Es war kaum acht Uhr, als; sie dort eintrafen, doch war der Adve kat bereits zu sprechen. Man führte sie in ein elegant aus estatteteö Zimmer, in dem sie nur wen ge Minuten zu war ten brauchten, bis Lande-is erschien. Er kannte Klaudine nicht. Luzie da egen hatte er zwei- oder dreimal wii end des Prozessei ihres Pflegevaters gese hen und erkannte sie auf den ersten Blick. Das junge Mädchen befand sich jetzt in so augens nlicher Aufregung, F , daß er ganz betro sen fragte »Was ist mit Doriat2 Sollte etwa die Hinrichtung heute sriih bereits er folgt sein?« »Gliictlicherweise nicht,« entgegnete sie. ,, Es wiire ja auch zu schrecklich gewesen, wenn es uns unmöglich sein sollte, meinen armen, unschuldigen Vater zu retten. Wir haben aber jetzt mindestens einen ganzen Tag dazu vor, uns, und es wird auch sicher gelingen, wenn Sie uns beisteben.« »Wie gern möchte ich das, allein was tann ich thun, um Jhnen dazu zu ver helsen? Jch wiederhole es Ihnen, daß ich persönlich fest von Doriat’s Un schuld überzeugt bin, und daß es in meinen Augen einen Justizmord ist, wenn das Urtheil vollstreckt wird. Al lein Sie wissen es ja, daß es mir leider nicht gelungen ist, die Geschworenen zu der gleichen Ueberzeugung zu bringen« Klaudine ließ den Kopf sinken, aber Luzie erwiderte in leidenschaftlicher Erregung: »Sie sind, wie Sie sagen, von Doriat’s Unschuld überzeugt — nun gut, seht will ich Jhnen den wirk lichen Mörder nennen!« Rennen Sie ihn denn i« »Jawohl! Es ist Herr Johann v. Montmayeur.« »Sie träumen, armes Kind. Wir wollen Sie denn das beweisen?« »Diesen Beweis hat das Opfer selbst uns in die Hand gegeben, bevor es den letzten Seufzer aushauchte.« Und in hastigen, abgerissenen Worten berich tete ihm Luzzie die Entdeckung, welche Elmsdinp am Abend nor-her »macht ; it JE- N und die sie dann mit eigenen Augen be stätigt gefunden hatte. Als sie geendet hatte, sagte Landais sehr ernst: »Mein liebes Kind, das Allerschlimmste und Verlehrteste, was Sie in der jetzigen Lage thun tönnten, wäre. wenn Sie mir nicht danz genau die Wahrheit sagten. denn Sie würden damit Alles verderben. Können Sie mir also mit gutem Gewissen beschwö ren, daß es sich so verhält, wie Sie er zählt haben?« »Das beschwöre ich Ihnen, so wahr ich selig zu werden hoffe.« versicherte Luzie feierlich, und die Schwester be theuerte dasselbe. »Ich glaube Jhnen und halte es unter diesen Umständen fiir möglich, daß auf Grund jener Schrift die Poli zei gegen Montmayeur vorgeht und ihn verhaftet. Jn jedem Fall hoffe ich, daß wir einen Aufschub erhalten. Und eine solche Frist ist werthvoll, wenn das Glück uns fernerhin günstig ist, das Sie schon eine so wichtige Entdeckung hat machen lassen.« »Also glauben Sie, das mein Pfle gevater gerettet ist?« »Das darf ich noch nicht so bestimmt versicheru, um nicht trügere Hoffnun gen in anen zu erwecken. Sie müs sen nämlich wissen, daß der Kaiser Doriat’s Begnadigung nicht bewilligt hat. Jch erfuhr das noch gestern Abend spät und glaubte, als ich Sie vorhin bei mir sah, die Hinrichtung sei schon heute friih vollzogen worden. Es über rascht mich, daß das nicht geschehen ist, da es sonst immer so gehalten wird. Nunmehr ist sie aber ohne Zweifel auf morgen friih festgeseßt worden. ·,. ie wollen doch nicht sagen, daß sie jetzt überhaupt noch stattfinden kann, Herr Landais? Es ist ja doch ganz ein fach, was geschehen muß. Sie gehen mit uns zum Justizminifter — dieser gibt Gegenbefehl und läßt Monum yeur verhafteu!'« »Ja, meine lieben Kinder, so ein fach ist die Sache bei Weitem nicht. Natürlich wollen wir Alles aufbieten. um Doriat zu retten. Es muß uns das im Laufe des Tages gelingen — fonst ist es überhaupt zu spät. Jch halte es aber für meine Pflicht, Sie darauf vorzubereiten, daß eß während der folgenden Stunden an schmerzli chen Enttäuschungen nicht fehlen wird. Wir werden vielfach auf Unglauben, Mißttauen und Zweifel treffen, und es scheint mir noch keineswegs sicher, ob es uns überhaupt gelingen wird, bis zum Minister zu gelangen.« »Das bedeutet aber den Tod für Doriat!" »Allerdings,« antwortete der Ade lat traurig. »Der Unglückliche, dessen Berufung und dessen Gnadengesuch verworfen wurde, zählt in diesem Au blict eigentlich schon nicht mehr zu den Lebenden. s— Doch wir wollen unsere Zeit nicht mit leeren Worten verlieren. Es ist noch nicht neun Uhr und also noch zu früh, um die maßgebenden Per fönlichleiten aufsuchen zu lönnen. Haben Sie vor allen Dingen volles Vertrauen zu mitl« Das versicherten Beide mit dankba ren Worten. worauf der erfahrene Sachwalter forfuhr: »Ich sage Jhnen vorher, daß der Tag ein äußerst ermü-v dender und ansreifender fiir Sie wer den wird. Bie etcht sind Sie von Gar ches aufgebrochen, ohne vorher gesrühi ftiiclt zu haben, in diesem Falle müssen Sie unbedingt erst etwas genießen. « Gent-sung folgt-)