Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, October 23, 1896, Sonntags-Blatt., Image 16
Im Jvmmomks Beichte. Erzählung von E. Gebricht Anna Jtvanowna lief im Ge schwindsebritt zum hause des armen Seht-stets Abramche Schusserz es war ein langes, niedriges, ein-stöckiges Ge bäude in der schmalen Straße, und Anna Jwanowna machte sich ein Ver gnügen daraus, erst an den Dachzie eln zu zerren, und dann erst durch die åcheiben in die Stube zu gucken; sie lachte allemal ihr helles, tlingendest chen, wenn sie diese Stube sah, so klein, so niedrig, so schwarz, so voll von Ar beit und Kindern, zwischen denen Ab tamche auf seinem Schemel unter der Kugel saß Und wacker auf die Sohlen der matoden Stiefel undSchuhe klopf te. Heute stand Abramche, sein Ster behemd um, in der Thür zur Kammer, wo an beiden Seiten, in kleine schwar ze Päctchen gewickelt, die Gesetzesbäw der festgenagelt waren. Er betete eis rig und riß an den langen Bändern auf den kleinen Moseshörneren auf dem Kon hin und her. Anna Iwa nowna lachte erst gar nicht, so verwun dert war sie über den Anblick, dann aber, als sichAbramche nach ihr umsah, das Gesicht bleich und schweißtriefend, da lachte sie, daß es schallte und rief: »Mach’ auf, mach’ auf!« Er öffnete nun das kleine Klapp fenster, die Kinder kletterten auf den Stuhl, zwei rechte Rangen von zwei und vier Jahren; nur das kleine Ab ramche, das jüngste, der Liebling des Naht-Z konnt-- mit den disk-n Nein-n nicht hin-aufkommen . I »Was soll’s, was soll’s?« fragte der eilige Schuster. »Ein paar Stiefelchen, Schuster, ein» paar von hellgelbem Leder -—— so gele wie hier die Seidenprobe zur Bluse,: und bis morgen früh! Mach keine Einwendungen und keine Aber, Jüd chen, es muß fein!« »Aber es kann nicht fein, es ist doch keine Möglichkeit; ist schon Mittag und ich muß an’s Meer, beginnt dochSput toth heut’!« « »Ja, Mensch- was geht mich denn deiq Spukkoth an und dein Schüttel fest; schon den ganzen Tag laufen sie an’s Meer wie die Unsinnigen: dar über lachen wir doch nur! Verdien’ du hübsch Geld und tauf’ deinen drei Mäulern da hinter dir Wein und Ku chen zu Laubhiitten. Schättle nicht den Kopf, hörst du, ich will es! Sonst geh’ ich drüben zum Christen. Und ich zahle dir nicht fünf Rubel, wie sonst, sieben sollst du haben, hörst du, sieben! Und nicht Papier, sondern klin gende, blanke, neugeprägteRubel, hörst du? Jch will er dir verrathen: mor gen muß ich sehr schön sein, zu unserer Kirche wird der Grundstein gelegt, und morgen Abend tanzen wir.« Schusser war ganz bleich und über sein Gesicht perlten noch immer die Schweißtropen. Es wär’ eine Sünd wider das Ge setz, wenn er's that —- aber sieben Ru bel! Für noch nicht zwei konnte er die Auslagen bestreiten — fünf Rubel Gewinn sind immer fünf Rahel· »Warten Sie, Fräulchen, warten Sie!« Und während sie vom Fenster aus die Kinder neckte, mit ihnen s paßte und that, als ob sie Bonbons in das Zim mer werse, worauf die Kleinen sofort suchend auf dem Boden herumtrochexn ging Schusser durch die Kammer in die enge Küche, wo Rainche sorgfäl tig Asche um die Töpfe packte und Koh len nnterschob und alles mit einem Kessel bedeckte, damit es heiß blieb vierundzwanzig Stunden lang. Mit leiser Stimme trug er ihr den Fall «v»or». Sbie sah ihn anfänglich mit cuqrguugcn zeugt-u un; mlc wllmc cS möglich sein, wider das Gesetz zu; thun? »Und du sagst sieben Rahel? Sie hat sieben Rubel geboten?« ,,Sieben, sagt sie, sieben neue, klin gende Rad-elf »So geh und Verlang neun, und wenn sie geben will acht, so ist es ein großes Loos, und dann muß es sein.« Er war noch bleicher als sonst und wischte mit dem Sterbehemd eine wah te Fluth von feiner Stirn. Anna Jwanotvna lachte noch im mer: «Jud,« sagte sie, »Juki-, du bist doch ein Etzschelm Duweißt recht gut, daß ich nur deine Schuhe leiden mag, die so schmal sind und so leicht wie Fe dern. Du sollst neun haben, aber mor utn elf Uhr komme ich hier an’s er und nehme die hübschen »Kann tienvsgel in Empfang. Sind sie nicht fertig, so giebt es gar nichts.'« Und so war der Handel geschlossen, Schnsser hatte eben noch Zeit. das gel- « be Leder aus der Bude zu holen; schon schlossen alle Geschäfte unid unaufhör lich bewegten sich die Schütteln-den von der Stadt an’s Meer hin und zurück. « Eine große Angst befielSchussey der Glis aat Levy sah ihn so forschend Wer ie rothen und gelben Ledetbalge -.-.«--- -—- k s I · In. Wenn er nur nicht fragen möcht-: ,Zu was jetzt noch Lederi« Aber Levy hatte es selbst eilig, war schon mit seinen Gedanken beim Feste und brachtedsas chiift rasch zum Ub fchluß. Wie ein ieb mit gestohlener Beute schoß Schusser in die Werkstatt zurück. Frau Rainche band ein weißes Tuch mit Spitzen um ihren hübschen Kopf; sie hatte die beiden ältesten gewaschen und war nun bereit zum Schütteln. . Sie küßte das Abramche, das noch fo« jung war und »teine Sünde iannte«, empfahl es dem Vater und hieß der Magd. ihn nicht zu stören und nie-. mand hineinzulassen, »denn wir sind alle an ’s Meerf« Schusser nahm das Schüttelbeutel-! chen aus der Schrankecke, bückte sich nach einigen Fetzen Leder, nach Garn-f endchen und Nägeln von Holz und« Eisen, tbat alles in’s Beutelchen und( gab es Rainche zum Ausfchiitten in’S Meer. damit die Sünd’, die doch klebt am Geschäft das ganze Jahr, nun ab gewafchen wird für’s kommende. »Gott der Gerechte, wie werd’ ich be stelan Thu’ ich’s doch nun nicht selbst!« »Bet’ hier,« rieth die Frau, »Gott hat he1:t’ so viel zu sehen und zu ver geben, denn der ganze Strand iit voll; der wird sich deiner nicht gleich entsin nen Bedenk doch: s ist, wie ein gro ßes Loos!« Und sie ging mit den »Kinsderchens« und dem »Beutelche« im großen Schwarm davon. Die Frauen gin gen doch immer mehr für sich und die Männer auch wieder Zusammen. So merkt es keins, daß sie ohne den Mann kommt. Sie schüttelte dann auch eis rig, wie alle, die Kleider über der her anspringenden Fluth auseinander, schüttelte aus den Schuhen und Aet meln, wusch sich und den Kindern das Gesicht und die Hände, warf zuletzt den Jnhalt des Beutelchens weit hin aus Und spülte dieses selbst sorgsam von beiden Seiten aus. Alle Sorgen und Kümmernisse warf sie hinter sich: sie hatte ja zum Leben immer noch genug gehabt, und ost kam, nnerwartet wie heute, noch ein Extragewinn. ; Und so belebt und hübsch war’s am IMeet Es sprengte eine ganze Gesell "schast von Reitern und Reiterinn.n vorüber; auch Anna Jwanowna ritt zur Linken eines schönen Ossiziers, et was zurück hinter den andern, denn sie unterhielten sich sehr eifrig. Aber doch gewahrte Anna Jwanowna die schöne Jüdin und nickte ihr zu, lachte dann ganz hell und erzählte ihrem Kavalier, wie sie heute den armen Juden mit vier Rubeln extra seinem Gesetz abgewendet hatte, und wie der Jude, der so leicht bei seiner Lebhastigleit in Schweiß gärieth heute ordentlich Blut geschwth be. ,,Sprechen Sie im Ernst, Anna Jwanowna?« »Aber, Stepan Stepanowitsch, wie soll’ ich denn nicht, er ist doch nur ein Jüd!« Sein Gesicht war traurig; er sagte nichts und blickte still aufs Meer. »Sie sind langweilig, Stepan Ste panowitsch Wenn es nach Jhnen gin ge, hätte man nie einen ordentlichen Spaß im Leben. Da wird man ja ganz dumm oder rabiat! Was soll ich nun thun?« » Er wendete sich zu ihr und sah sie kaus traurigen Augen an. »Sie könn lten mich verstehen lernen, dann wäre uns beiden geholsen.« »Moralpredigten sind mir gräßlich — und nun noch vielleicht gar um ei nen Judens« min- sino Este-»I- Mvsus Otm---i ,,-..- .,--,-, »...... » ............ Wenn Sie doch den Juden so gering achten, warum lassen Sie ihn für sich arbeiten ?« ,,Keiner arbeitet so rasch und so ge schickt wie er: doch nur darum!« »Nun, sollten Sie ihn nicht darum achten. wenn er ein besserer Arbeiter ist als die Christen?« »Bewahre; er thut’s doch, um ra scher und mehr Geld zu verdienen. Und darum sinid diese Juden den Christen so über. — Davon verstehen Sie aber nichts, Stepan, weil Sie ein Griibler sind und, wie hre Kameraden spot tend sagen, ein hilanthropt« Er trieb sein Pferd ganz dicht an das ihre, beugte sich vor und sagte mitt fast drohender Stimme: »Wenn ich je erfahre, wer von diesen Knaben iiber mich spottet, so ist’s um ihn geschehen! Berstehen Sie mich, Anna Jwanotvna?« Und da er den entstellenden Schreck aus ihrem Antlitz sah, wurde er rasch nieder freundlich. »Es-Seen Sie, kleine Anna Jtvanow ra«, sagte er, »ich erfiehe vom himmel iiir Sie doch eine Strafe: ich wünsche, Daß Jhr leichtsinniger Jude Ihnen die Stiefel zu klein siir Jhre kleinen Füße nache, und daß Ihnen diese ordentlich nennen. Das wäre so ein kleiner Vor keschrnack vom höllischen Feuer für Ihre kleinen Teufelsarglisten!« Sie lachte nun wieder und schüttelte sich, daß das Pserdchan unter ihr in ein tanzendes Tempo versieL »Ach, mein lieber Stepan Stepatwi witsch«, ries sie ihm zu, »was verstehen Sie denn von Damenstieselnst Eng müssen sie ja sein, so eng, daß man sechs Wochen lang die Engel im him mel singen härt; dann erxt passen sie!" Die junge Magd bei Schussers war eine Anverwandte des Mannes und aus Mitleid ins Haus genommen wor den; sie hatte ein turzes Bein, hörte und sah schlecht, aber sie war immer freundlich und dienstfertig und liebte ihren Verwandten, der sie aus Barm herzigkeit doch so gut hielt, als ob sie seine Schwester wäre. »Mach dem Manne auch einen gu ten Kassee,« hatte die Frau beim Ab schied gesagt, »er muß ibn haben bei der Arbeit.« Es war also nun ein wirtliches Fest für sie. Sie war nicht allein geblieben mit dem Kinde, sondern auch der Mann war zu Hause. bei dem es im mer gute und heitere Worte gab. Und dazu noch einen guten Kassee! »So schön muß es im Paradiese sein!« sagte Veichelche leise vor sich hin, »so schön war es doch noch nie!« Freilich war’s ihr nicht recht, daß» der Vetter beut« bei der Arbeit saß," denn es war doch wider das Gesetz; Taber sie nahm an: et muß seinen sGrund haben, und so dagegen einwen sden. "« Sie kochte also einen guten Kasfee, zliesz ordentlich überbrausen— aus der Ebraunen Kanne und- klärte mit einem zSchuß rauen Wasserg, ues wieoer ’ziehen und nahm dise Kanne vom EFeuer7 sie schob das Handwerkzeug gbei Seite und setzte die Kanne neben zSchusser aus den Tisch: »Werd’ ho « len rasch das Geschirr!« , Der heiße Duft zog um Schusser’s jNafh und er sah ordentlich liebtosend von feinem Platz unterm Fenster nach der Kanne hin; und da sah er, wie gerade Abramche unterm Tisch hervor xtroch, angelockt, wie er, vom Kassee dust, und wie es mit kindisch tastenden Fingern zu der Kanne in die Höhe zu kommen versuchte, an der Drahtutn iflechtung des morschen Geschirrs hän gen blieb und plötzlich sammt der Kan ne von der Bildfläche verschwand. Ein herzzerreißender Schrei gellte durch das Zimmer, und ein angstvolles Wimmern folgte. H Sie entleideten das jammernde jKind selbst laut weinend und mehr ztodt als lebendig. Fetzen von Haut jun-d Fleisch hingen an der weißen Schulter und den runden Aermchen; die siedend-heiße Fluth war am Köpf chen heruntergestiirzt, über das rechte Auge, in den offenen kleinen Mund und iiber die ganze Körperseite Als es ganz enttleidet und auf ein Tuch sgelegt wurde, stöhnte das Abramche nur noch leise, und ehe das davonge eilte Veilchelche mit dem Arzt zurück kam, war die tleineSeele angstvoll aus dem gemarterten Körper entslohen. Es war wohl gerade um die Zeit, da Rainche frohherzig die Geschäftssün den in’s Meer warf. Deutlich sah Schusset sein Weib am heiligen Was ser sieben und seine beiden entsühnten Kinder. Er lehnte an der Wand wie ein Sterbender und leuchte vor-sich hin: »Gott lasset sich nicht spotten!« Und so lehnte er noch immer an der Wand, bleich und von perlendem Schweiß bedeckt, als längst Rainche und die Kinder zurückgekehrt waren und das Jammern und Schreien sich bereits wieder gelegt hatte. Klein sAbramche lag noch immer in der Werk- » statt, wo es nun ganz still war. ! Was nun? Sollte er die bestellten? Schuhe sertigstellen oder nicht? I Sein Weib hatte ihm schlecht gera Ithen. Was wissen auch Weiber vom iErnst des Glaubens oder vorn Ernst des Geschäfts! Weiber sind doch nur iWeiberl Er hatte seine Strafe nun ! hin; sie kam von Gott, das mußte er iwohl begreifen. Wie nun? Arbeiten qur Feierzeit war eine schwere Sünd’, "da karn die Strafe sogleich, und er wußte Bescheid. Nun war erst recht seine Strafe, weiter zu arbeiten, denn er hatte ja sein Wort g ben! Unsd so niihte er, eppte aus der Maschine und klopfte sein Inst-TM unter der Kugel die ganze lange Nacht hindurch und den sol nden Morgen. Es schlug schon els hr vom hohen Thurm, als er die leyten Stiche machte und die schönen gelben Bänder ein schnürte. Und da ward es plötzlich dunkel vor seinem Fenster, und als er ausblickte, sah er gerade in Anna Jwanowna’s reizendes lachendes Angesicht. Schwersällig erhob sich der Jude. Gram, Angst und Seelenqual dieser einen, furchtbaren Nacht hatten sein sonst so sorglos heiteres Gesicht verän dert; seine Lippen waren fest geschlos sen, als er die Klappe des Fensterchens öffnete und die Schuhe hinausreichte. ,,Schusser, Jüdchen, wie siehst du l— dem aus! Da sind deine neun Pudel fiie die verlorene Nacht doch auch ein schönes Geld, wies« »Ein Sündenqeldt« sKte er mit heiserer Stimme, »ein schr liches Geld —- ein Stetbegeldl« Sie zwängte den hübschen Kopf zu ihm hinein; sie war nun doch er schrocken, denn sie fühlte, daß etwas be sonderes geschehen war. «?Sag’s doch, sag’s doch, was ist mii dir " Mit ein paar agebrochenen, heiseren Worten sagte er alles, dann trat er weg vom Fenster, schlug das Tuch von dem Leichnam des Kindes zurück und wies auf den verstümmelten Körper: »Und weil’s mein Liebstes war auf der Welt, mein kleines weißes Abram che, da hat’s mir Gott zur Strafe ge nommen, und ich hab’ die Strafe zu End’ gebracht. Die Schub’ haben mich blutigen Schweiß getostet2« Wie ein gejagtes Reh entfloh Anna - wanowna, die schrecklichen gelben Ochuhe im Arm, und ganz gedanken los vor Entsetzen gelangte sie in’s Haus und auf ihr Zimmer. Sie warf sich aufs Sopba und brach in Thra nen aus. ,,Gel)’ zum Papa,« sagte sie zum Denschit, »ich habe sehr starle Kopf fchmerzen und lann nicht mitgeben zur Grundsteinlegung —- es ist nicht mög lich —- ich kann nicht!« Di: cslte Excellenz ließ sich soeben mit allen Bändern und Orden behän gen, drei Denschicts sprangen mit den Oberllridern um ihn her, Pustend und dürstend, denn die große Gala war lei kne Kleinigkeit I »Mein Gott, fie wird doch nicht ster ben? Lauft zum Doktor, aber rasch, Irasch! Wenn die nicht mitgebt, dann ist sä ifne in har- Ifsmt nanmsickt Ef lann nicht? Mein Gott, sie kann nicht? —- Das ist starl!" Und die Thiir zum Vorzimmer öff nend, rief er seinen Adjutanten zu: »Stepan Stepanowitsch, ich bitte, blei ben Sie hier zurück und berichten Sie mir, was der Arzt gesagt hat. Anna, meine Tochter Annuschla ist trant!" Stepan Stepanowitsch verbeugte sich: »Zu Befehl.« «·Er dachte bei sich: Wie schade, wie schadet Sie ist doch auch nur leicht sinnig und oberflächtich wie die Weiber alle. Und launenhaft scheint sie oben drein zu sein, denn ich sah sie vorhin aus der Straße, und ihr Gesicht blühte wie eine Rose! Schade, schadet Welche Teufelei mag jetzt wieder in ihr vor gehen! Vielleicht sind die berühmten Stiefel doch nicht fertig geworden. Nun war der General fort zum Gottesdienst, und der Arzt fuhr vor. Er hatte ein turzesZwiegespriich mit Anna Jwanowna, die still in ihren Kissen lag und weinte. Er dachte bei sich: Wieder einmal eine Weiberlaune« weiter nichttst verschrieb ihr ein nie derschlagendes Pulver und kalte Kom pressen um die Stirn. Sein Bescheid an den Adjutanten lautete: »Die Nerven des gnädigen Fräu leins sind start afficirt, sie bedarf der größten Ruhe, doch hoffe ich, daß in einigen Stunden Besserung eingetreten fein werde; ich werde kommen und nachsehen.« »Na, aber so was!« sagte nach dem Bericht die alte Excellenz, »seit wann hat die denn Nerven? Wie tann die der größten Ruhe bedürfen? Beim Frühtasfee hat sie Kasatschock getanzt twie ein Kerl! Na, da soll dochdag tWemk dreinschcagew und er tacht hinter dem Mützenschild. Der junge Offizier lachte gar nicht mit; ihm war sein herz bange um seine erste, schöne, heiße Liebe. Anna Jwanowna weinte noch im mer, sie weinte, bis sie einschlief, und sie schlief bis in den späten Nachmit tag, bemerkte weder den Arzt, der auf Zehen hereingeschlichen kam, noch die alte Excellen3, deren kräftiger Schritt nur mäßig durch dieTeppiche gedämpst wurde. Jhre gesunde Natur schlief sich zurecht, und ihr gesundes Herz fand im stillen Nachdenken, das dem sangen Schlaf folgte, seinen frischen, lebens vollen Pulsschlag wieder· Es war et was in ihr überwunden, das der Ju end fast immer anhängt, und das chale, verkümmerte Seelen mit sich schleppen wie ein Gift, an dem see im hohen Alter langsam ersticken: Rück sichtslosigkeit und Selbstliebe. Annuschka ließ ihrem Bäterchen sa gen, sie sei nun wieder ganz wohl, und zum Balle würde sie mitgeben. Sie trug aber weder die gelbe Blase noch die Kanarienvögelchen an den Füßen; sie war ein bischen bleicher als - sonst, aber so schön wie nie zuvor. Diel alte Excellenz zapfte an des Lieblingg goldenen Locken und sah ganz verklärt aus von väterlichem Stolz. »Vaterchen« ,sagte sie, »ehe wir in den Saal treten, schicke mir aus einen Augenblick Stean Stepanvwitsch in’s Eßzimmerx ich habe mich gar nicht um die Blumentouren im Kotillon küm mern können; ich thue das so gern, wie In wetßt.« Sie trat in’s E immer, und gleich nachS ihr etmfolätesith der utant. sich, Stepan Stern-, nowitsch, und hdren Sie mir zu.« Jn diesem Augenblick sah er die tlei nen weißen Atlasftiße und sa te: ( Also, sie waren dochw ar zu klein? Und so bleibt Jhnen odie trafe erspart. Oder waren fee zu großs« »Nein, nein; bleiben Sie ernsthaft : und hören Sie mich an! Jhr Wunsch ist schrecklich, schrecklich in Erfüllung » gegangen, und die gelben Schuhe, die « ich doch gar nicht an den Füßen habe, brennen mich wie das Fegefeuer, und » meine Seele ist belastet, daß ich es nicht ertrage!« Und sie erzählte ihm alles, das gan ze, schauerliche Gottesgericht; sie er sparte nicht sich noch ihm die Schilde rung von der Verzweiflung des armen Juden und schließlich von dem grausen Anblick der so schrecklich entstellten klei nen Leiche Sie zitterte in ihrer gro ißen Herzensangft, und zuweilen flos sen die Thriinen aus ihren großen Inoch immer im Entsetzen weitgeiiffne i ten Augen« »Ich war leichtsinnig«, sagte sie, »und ich wurde schlecht. Es ist etwas geschehen. das ich niemals wieder gut machen lann, und ich bin betheiligt an der schweren Schuld dieses Juden und war der Anlaß, daß ein armes, un schudiges Kind hat zum Opfer fallen müssen, auf daß ihm und mir die Au gen geöfsnet werden. Und ich will Jhnen sagen, Jhnen al lein, was ich nun thun werde: Jch will in ein Kloster gehen. Gott und die Heiligen sollen meine Reue und Buße sehen; ein ganzes, langes Leben will ich mir vorn Herrn erbitten, denn lan ge, lange sollen diese gelben Schuhe an meinen Füßen brennen, die.so viel Ultllo yemusoesllpmotm Wom: ,,Anna Jwanowna«, sagte jetzt der junge Osfizier, »Sie haben gesprochen, und nun will auch ich sprechen. Jn Jhrer aufgewiihlten Seele hat der Schmerz in diesen Stunden gerechter weise die Oberhand Durch diesen Schmerz, Anna Jwanowna, sind Sie eine Erweckte geworden. Jht Herz hat bisher nicht die Stimme hrer früh verstorbenen Mutter vetne en tön nen; tein Unglück hat Jhke tosenbes streuten Pfade getreuztz Sie haben im« Schein gelebt und das Wesen niemals gesunden, weil Sie es nicht zu suchen brauchten. Nun ist es da und hat überwältigend Jhr Herz erfaßt! Nurj wer eine Sünde begangen hat und be . greift ihre Schrecknisz nur der kann« Buße thun und sich zum Staube einzie seligen und Beladenen Anna Iwa nownc. Dich hat Gott an sein Herz gezogen, denn ohne ihn hättest du heute in deinen gelben Schuhen getanzt und des Juden und seines Kindes verges sen. Komm, komm, sieh, ich will dichl lieben und auf diesen händen tragen ein ganzes, langes Leben hindurch! Der Himmel hat Gnade an dir gethan —- laß mich lnien vor dir, denn wer ist ohne Sünde und Schuld? Laß mich Vergebung von deinen Füßen küssen — du bist tausendmal besser als ich, der ich in Hochmuth mich von die wen den wollte. Kannst du mir vergeben ?« Und so war das entweihte Svuttoth des armen Juden den beiden Christen zur Erlösung geworden. C Eine Dame über den typischen Americas-en Wenn immer ich den Gedanken an die Vereinigten - Staaten herausbe schwöre, erscheint vor meinem geistigen Auge ein Haufe von Männern, die un gestüm in jeder Richtung davoneilen, ihre Hüte fliegen in der Luft, die Arme und Rockschöfze schwingen hhsterisch im Winde. Solche Leute müssen nothgæ drungen seicht und oberflächlich sein« " Eine Frau, die gescheit ist« wird durch - aus nicht auf die Bekanntschaft eines Ameriianers brennen. Sie kann stets nnr die hätter von dem hören, was er sagt, den Rest hat sie zu errathen. Selbst ein ganz unbedeutender Eng · länder wird da en stets den Eindruck machen, als ha er etwas zu sagen, das wohl der Mühe werth wäre, anzu hören; er wird es rathsam erscheinen assen, daß man ihm die verlangte Aufmerksamkeit schenkt. Jch habe einige der gescheitesten Amerikaner gekannt-und bewundert. Sie machten stets den Eindruck einer in den äußeren Umrissen wunderbar vollendeten Stizze und riefen unwill kürlich in dem Beobachter den Gedan ken wach, was wohl ihre Nachkommen in 100 Jahren von jeht sein würden. « Das wird und kann auch nicht anders werden, bis einmal der Besin stabil ge worden ist und die Muße. die er dann gewährt. von ehrenhaften nnd intelli genten Männern dazu benutzt wird, die politischen Verhältnisse in den Berei nigten Staaten anständig und dauernd zu regeln. Dann erst wird der Natio nai-Eharakter, wie die Nation selbst, l O cui-geglichen tiefer ma- solid W Doch vek umarmt-hat auch seine IUtM Seiten· Niematfd sorgt besser iir s eine Familie als.er,et rft ein sorg amer Gatte, ein zärtlicher Vater. Der Imeritaner wird frühzeitig grau in Iem Bestreben, Besitz fiir seine Familie cnzuhiiufen, er stirbt meist imGefchirr,. iöchftens in anz vorgefchrittenem Al er gönnt er Muße. Auf der anbeten- Seite bekümmert ich det Ameritaner nicht um die Er Iiehung sei-net Kinder. Das überläßt er seiner Frau, die es mei ens so un perftändig wie möglich anxiingi. Da her kommt es, daß Kinder in den Ber kinigten Staaten mit Biskuits, star kem Kaffee, Kuchen, Zucker und Eis Eream großgezogen werden und daß Amerika das Land der Dyspepsie ist. Eine nicht zu unterschätzende Anzahl von Frauen sterben, wenn sie ihr erstes Kind zur Welt bringen, und ihre Söh ne, deren Interesse für kein-en Sport, für keine gesunde Bewegung außer dem Hause geweckt wird, haben im späteren . Leben dann nur zweierlei Verwendung-. für des Vaters Geld « Weiber und Champagner. Und noch schlimmer. Die älteren Männer bringen meistens die besten Jahre ihres Lebens ohne jede geistige Gemeinschaft mit der Frau bin, die sie in ihrer Jugend zufällig geheirathet haben. Kameradschaft ist für sie ein unbekannter Begriff. Sie haben keine Zeit. Wenn schließlich mit den Run zeln und grauen Haaren auch die Muße « kommt, ist auch die Frau alt geworden und hat ihre Reize verloren. Was dann passirt? Sind die Annalen des amerikanischen Graukopss je geschrie ben worden? Wenn das der Fall ist, to haben wir-nichts oaoon gehorr — dani Anthonn Comstock. »Der Amerilaner.« Es ist eine un dankbar-e Aufgabe, ihn zu generaltsi ren. Jn den Vereinigten Staaten le ben die Abiämmlinge von fünf oder sechs verschiedenen Rassen, die sich un ter einander so unähnlich, wie möglich sind Der Südländer ist sorglos und sen timental, auf der anderen Seite ver hältnißmäßig harmlos. Der Neu Engländer ist engherzig, aber er weiß. sich überall zu benehmen und ist zumeift sehr intelligent. Die Männer des Westens haben ge wöhnlich sehr schlechte Manieren, aber eine gute Moral. Der Californier hat in neun von zehn Fällen weder Mora lität, noch Prinzipien, Ehre oder Ma nieren. Aber er ift gewöhnlich sehr klug. Der New Yorter hat ausgezeichnete Manieren und gar keine Moralität. Sein Verhalten zu einer schönen Frau ist ungefähr folgendes: »Sie sind eine Freundin meiner Frau und meiner Mutter; soweit ich unterrichtet bin, war hr Lebenswandel stets ein anta delha ter. Nichtsdestoweniger, obgleich ich zum ersten Male mit Jhnen allein bin, muß ich Ihnen sagen, daß ich Sie lieb habe. Die Zeit drängt. Auf Präliminarien, mir Jhre Neigung zu gewinnen, kann ich mich nicht einlas sen. Jch muß jede Minute- ausniitzem New York ist ein geschäftiger Platz.« Nun frage ich Sie, welche Frau mit einem Denivermiigen im Kon könnte sich je fiir einen solchen Mann erwär men, ihn vielleicht gar zum Helden ei nes Romans machen? Jchweiß in ganz New York nur von einem Mann, den ich als Hauptfigur in einer Novelle verwerthen könnte, und den habe ich persönlich nie gelanni. Jch glaube jetzt fest, daß dieser eine Mann auch nur in meiner Einbildung besteht. Mit einem Wort: Die Amerilaner sind schlau, fleißig, freigebig, tapfer, aber im Verkehr mit Frauen sind sie ein »Failure«. Sie sind uninteressani. Und nun will ich noch ein Geständ niß machen, mag es auch meine Be hauptungen til-schwächen- Jch selbst habe sechs Ameriianer sehr gern ga babi, trotz ihrer Fehler, für die ihre Erziehung verantwortlich ist. Aber Trägt nur sechs —- unid ich kenne hun r . Gertrude Atbertosn —- T r o V d e m. Nach jahrelangen Debauchen schlimmsierArt isi der-Sohn eines Millionärs dem Jmnhause überantwortei worden. Der Vorfall giebt der gesammien Presse Anlaß zu den landläufigen Kommentarem die in das Leitmotiv ausklingen: Jugend hat keine Tugend Und trotzdem scheint es, daß allgemach auch in dem Lan-de der von der Verblendung des Illiers privilegirien Flegeljahre Mor zenslusi zu wittern ist. Jn dem Ver pikt einer Coroners-Jury, welche über Ien Tod eines Knaben zu Gericht saß, per von einem bösartigen Spielleute aden mit Ueberlegung erschossen wur -e, heißt es nämlich: »Die wahre Ur ache ist Mangel genügender häusliche-r Erziehung."