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About Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901 | View Entire Issue (Sept. 25, 1896)
E Mr Schrift des Todten. , « Irimitmts Roman aus dem deutsch , französischen Krug-. Von Jul. Mag. I. Der Vertheidiger des Angellagten, Advotat Lan«dais, schten wirklich tief bewegt. Er suchte nicht künstlich in jene oberflächliche Erregung zu versehen, mit der viele seiner Kollegen so der schwenderisch umgehen, sondern im Tone fester Ueberzeugung von der Un schuld seines Klienten schloß er seine Vertheidigungsrede mit leiser, aber dennoch deutlicher Stimme folgender-! maßen: ( »Meine Herren Geschworenen, Sie werden nach wenigen Minuten zur Be-j rathung zusammentreten; eine schwere Pflicht erwartet Sie. Von Jhnen hängt die Freiheit, vielleicht das Leben dieses. armen Mannes ab, der ungerecht eines abscheulichen Berbrechens angetlagt ist« und den Sie weinen gesehen haben während der langen für ihn so schmerz lichen Stunden dieser Verhandlungenu Sie sind nicht geheuchelt« diese Ihrs-« nen, sondern sie kommen unmittelbar aus seinem Herzen. Die Mörder aber pflegen nicht zu weinen, meine Herren — Geschworenen ! »Bei-or Sie diesen Saal verlassen, in den Sie erst wieder zurückkehren, nachdem Sie über das Geschick eines Menschen entschieden haben, sehen Sie, sich Doriat noch einmal an. Betrachten Sie ihn lange, damit in dem Augen-z blick, da Sie Jhre Stimme über ihn abgeben, dieses ehrliche Antlih vor Ih nen stehe.« « Advotat Landais setzte sich wieder auf seine Bank. Es herrschte in dem Schwurgerichtssaale des Versailler-» Gerichtsgebäudes eine tieseStille, with-' rer derer man nichts vernahm,asls das halberstickte Stöhnen des Angeklagten Doriat. Man hätte meinen tönnemz daß der Präsident des sSchwurgerichts-" hofes, in seiner Parteilosigteit, den letz ten Worten des Vertheidigers die nö-: thige Zeit lassen wolle, um ihre Wir kung ans die Geschworenen zu bethäti igen und sie zuMilde geneigt zu machen. Dort saßen sie, ganz ruhig, die zwölf Richter aus dem Volke, welche das Ge setz dem Angeschulsdigten giebt; sie ge Thören verschiedenen Gesellschaftstlassen an: Gewerbetreibende, Rentiers, Kaus-I leute und Künstler waren unter ihnen! vertreten. Sie hatten ihre Blicke auf Doriat gerichtet, wie um in sein Inne res zsu sehen und die Wahrheit hinter seinen Thränen erforschen zu tönnen.« Nur Einer von ihnen schaute nicht auf ihn. Es war der durch’s «Loos be-» stimmte Obmann der Geschworeneni Johann o. Montinayeur, der Besitzert einer chemischen Fabrik bei Garches," einem dicht bei Saint-Cloud gelegenenz Dorsr. Er hatte sich auch durch wissen-, schaftsliche Arbeiten einen Namen ge macht und stellte die weitaus bedeu-. iensdste Persiinlichteit unter den Ge-. schworenen dar. « Er war groß, elegant und kräftig; sein gebräuntes und von einem schwar-I zen Barte umrahmtes Gesicht wäre schön zu nennen gewesen, wenn nichts der harte Zug darin abgestoßen hätte. Eine gewaltige Willenstraft sprach aus » der ganzen Pyhsiognomiex sie drücktef sich aus in dem festen Zuge um den Mund, dem start hervortretenden Kinnl und vor Allem in dem scharfen und harten Blick der Augen. diesem Moment waren seine Au-l gen auf den Tisch vor ihm gesentt, wo. einige Papiere umherlagen, auf die er( Bemerkungen getritzelt hatte. Er war» sehr blaß, sein Blick unruhig und ohnei das sonst daran zu gewahren-de Feuer.· Wieder-holt fiihrte er sein Taschentuch an den Mund, um ein nervöses Husten zu ersticken, das er nicht zu unterdrückenT vermochte, oder er trocknete seine Fingers damit, die feucht vom Schweiß waren« hatte die warme und ergreifende Bertheidigungsrede des Adootaten ihn überzeugt. oder kamen jene Zeichen von Aufgeregtheit, die er vergebens Zu ver bergen suchte, von der zweifelvollen Un gewißheit. in der er verblieben war? Hielt er Doriat noch fiir schuldig, nnd entsehte er sich vor der ungeheuren Ver antwortuna. die auf ihm ruhte? Der Präsident des Schwurgerichts hoer richtete an den Staatsanwalt die Frage: aWill »die Staatsanswaltschast dem Bertheidiger erwidern?« »Min,bertVriitsident, ich habe nichts mehr hinzugustigen,« lautete die Ant wori. Dann wandte sich der Präsident an den Angeklagtene »Doriat, haben Sie nichts mehr Izu Ihrer Vertheidigung anzusiihrent« « Der Mann vermochte nicht zu spre chen, er machte nur eine verneinende Gebersde und stieß halb erstickt hervor - »Wirng — unschuldtgt« « s L —l »Die Verhandlungen sind geschlos sen,’· sagte der Präsident und faßte hierauf klar, lurz und deutlich das »Er gebniß derselben zusammen. »Meine Herren Geschworenenl Nach dem Herrn Staatsanwalt, der das Re sume in dem Jhnen vorgelesenen An ilageakt eingehend begründet hat, soll Doriat schuldig sein, in der Nacht vom 5. zum 6. Mai 1870 »den Landwirth Bourreille in dessen Gehöft Les Berna dettes ermordet zu haben, um ihn dann berauben zu können· Nach seinem be redten Vertheidiger, Herrn Advolat Landais, soll der Angeklagte weder den Mord noch den Raub begangen haben. Sie haben außerdem Von Seiten des Angeklagten idie Betheuerungen seiner Unschuld gehört. Vernehmen Sie nun, meine betten Geschworenen, die Fra gen, aus die Sie zu antworten haben. Erstens: Jst derAngetlagte schuldig, am vergangenen Z. Mai szu Garcheö vorsätzlich einen Mord an der Person des-besagten Bourreille verübt zu ha ben Zweitens: Jst er außerdem schuldig, eines an demselben Orte und zu dersel ben Zeit, zu Ungunsten seines Opferg, vor oder nach dem Morde begangenen Diebstahlg von Banlnoten und baarem Gelde? Ich muß Ihnen außerdem noch mit theilen, meine Herren Geschworenen, daß, wenn »Sie den Auge-klagten zwar schuldig finden, aber mildernde Um stände zu seinen Gunsten annehmen sollten, Sie dies zu erklären haben. Wollen Sie sich nun· meine Herren Geschworenem in Jbr Berathunasriw mer zurückziehen.—Gendarmen, siihren ; Sie den Angeklagten hinaus.« ! Die Berathung der Jurn dauerte zehn Minuten. Ein Glockenzeichen kün dete an, daß sie sdeensdet sei, worauf die Geschworenen in den Saal zurückiehr ten, in dem auch der Gerichtshof wieder erschien. Der Präsident wendete sich an Mont maheur. »Herr Obmann der Jury, ich ersuche, das Ergebnsiß JhrerBerathung kund szu thun. Monstrnayeur erhebt sich. Er ist noch blasser als vorhin, sucht aber mit Ge walt gegen seine Erregung ans-Wim psfen und blickte starr urn sich und auf den Gerichtshof, dessen drei Mitglieder ihn gleichgiltig und gelassen ansehen. Dann stasmmelte er einige unverständ liche Wort-e. Aus dem Zuschauerraum vernimmt man einige Ausruse der Ueberraschung, die aber alsbald unter driickt werden. »Herr Obmann der Geschworenen,« sagte der Präsident, »wenn Sie sich außer Stande fühlen, uns die Antwort der Jury aus die ihr vorgelegten Fra gen mitzutheilem so ermächtigt das Gesetz Sie, sie durch den zweiten Ge schworenen, Ihren Herrn Nachbar, vor lese-n szu lassen« - DVO schon hat Monrmayeur vie Schwäche besiegt. Er rectt sein-e hohe Figur in die Höhe, slegt die eine Hand aufs tHerz und sagt dann mit fester Stimme: »Bei meiner Ehre und mei nem Gewissen, vor Gott und den Men schen, die Erklärung der Jurn lautet: Auf die erste Frage: Ja, der Ange tlante ist schuldig.« Auf die iweite Frage: Ja, der Ange «tlaate ist schuldig.« Dann setzte er sich wieder hin, oder vielmehr er fällt auf seinen Sitz niederJ und stützt seine Stirn auf die beidenT zusammengelegtenspiinde, während sich im Publikum ein dumpfes Gemurmel erhebt. « Die Geschworenen haben also keine« mildern-den Umstände anerkannt, und ohne »diese steht auf Raubmord die To-J desstrafet ? «Fii"hren Sie den Angeklagten her ein,« gebietet der Präsident. Doriai erscheint. Er weint nicht mehr, aber alle seine Glieder durchzieht ein tramspfhafteö Zittern. Wie stumpf srnnig blickte er vor sich hin; er grüßt demüthig, ohne zu wissen, was er thut. DerGerichtsschreiber,der dasProtokoll führt, liest ihm die Entscheidung vor, darauf verlangt der Staatsanwalt, daß der Artikel 296 und der Artikel 302 des Strafgesetzbuches gegen ihn zur Anwendung gebracht werde. Und inmitten der allgemeinen Auf regung verkündete derPräsident, indem er sein Barett aufsetzt, nach vorherge gangener Berathung mit seinen beiden Beisitzerm »Entsprechend dem Antrage des Staatsanwalts verurtheilt der Ge richtshof Michel Doriat zur Todes strafet Angellagter, es bleibenJhnen drei Tage Frist« um gegen das Urtheil, welches Sie soeben gehört haben, die Nichttgteitzbeschwerden einszulegen Die ISitzung ist aufgehoben.« Vollständig betäubt wantte der Ver urtbeilte zwischen den sGensdarmsem die ihn führten. hinaus und durch die lan gen Gänge des Gerichtsgebiiudes. Erst allmälig swurde es klar in seinem Kopfe. Plötzlich blieb er stehen« be sei-achten vie Beamte-e spie um kühnem Itvobeisie ihn an sdensArsmen gefaßt hiel I ten, und stieß heiser hervor: »Zum Tode? Also wird man mich guilloti niren?« »Jedenfalls, mein «Bester,'· erwiderte der Gendarm zur Rechten. »Du wirst schwerlich daran vorbei tommen,« meinte der Andere. Doriat verstummte, aber es arbeitete gewaltsam in seinem Hirn. Und als man ihn in das Gefängniß von St. Peter zurückgebracht hatte, und er dort wieder in seiner einsamen Zelle saß, kam die Verzweiflung über ihn. Die ganze Nacht hindurch hörten ihn die Beamten, welche die Wache hatten, stöh nen und seufzen: »O, meine arme qul Meine Kinder! Meine gute Luszie!'« Die mit allen Schlichen des Lasters vertrauten Leute hielten ihn für einen Heuchler und Komödiant-en. Am nächsten Morgen in der Frühe bereits suchte ilyn sein Vertheidigr, Ad volat Landais, auf. »Der Präsident hat Ihnen bereits gesagt, sdaß Sie drei Tage Zeit haben, um die Nichtigleitsbeschwerde einzub gen. Haben Sie das verstanden, mein armer Doriat?« »Was soll ses mir nützsen?« »Drei Tage zu gewinnen. Wer weiß, was Isich in dieser Zeit ereignsen kann.« Doriat unterzeichnete das Gesiuch, welches ihm der Rechtsanwalt vorlegtez ihm swar jetzt Alles sgsleichgiltig Nach drei Tagen erschien der Advo tat abermals in seiner Zelle. ,,Jhre Nichtigleitsbeschwerde ist zu rückgewiesen worden. Jetzt bleibt Ih nen nur noch ein Gnadetigesuch.« »Was soll es mir nützen?« fragte der Verurtheilte wiederum. »Ihr Leben zu retten, wenn der Kai ser es bewilligt. Jn jedem Falle aber gewinn-en wir wiederum ein paarTage. Jhre Söhne, Jhre Frau und Ihre Luzie sind unausgesetzt bemüht, nach Beweisen für Jhre Schuldlosigleit zu suchen.« s »Ach Gott, das ist jetzt zu spät. " s »Das kann man niemals wissen.s Oft kommt dabei ein Zufall zu Hilfes Die Erledigung Jhres Gefuches swird Zeit erfordern —- sicherlich eine Woche s vielleicht auch noch mehr-. Wer weißJ ob es uns nicht in einer Woche gelingt, den Schuldigen zu entdecken!« »Nun, so will ich das Gesuch unter schreiben. · · « noch Hoffnung?« »Ganz gewiß, Doriat. Jch werdei versuchen, wenigstens einige von dens Geschworenen dahin zu bringen, daß stes Jhr Gesuch befürwortenx was ich über haupt thun tan-n, um Sie zu retten, s das wird geschehen. Das Departement Seine und Dise gehört zu dem Appell-« hofe in Paris, bei dem mein Onslel Generalprokurator ist. Ich werde mir seinen Rath erbitten. Also auf Wie dersehen, Doriat.« » »Auf Wiedersehen, Herr, Landais.» Werde ich Sie aber auch wirklich wie-; dersehen?« s »Ganz gewiß, mein Wackerer, zwei feln Sie nicht daran!« ! Und wieder ist der Mann mit dem’ leichenblassen, gramdurchfurchten Ge-« ficht allein in sein-er Zelle· Wenn sich auch mitunter seine Gedanken verwir ren, so ist er doch noch scharfsinnig ge nug, um sich zu sagen, daß es vielleicht nur leere Trostworte waren, die der Advoiat ihm gesagt hatte, um ihn et was aufzurichten. »Wenn ich ihn wiedersehe,« denkt er, »dann hat er mir eine gute Neuigkeit zu verkünden; wen-n er aber nicht wieder kommt, dann bin ich verloren. Dann wir-d nicht er, sondern der Henker mir mittheilen, daß mein Gnadengesuch verworfen worden is .«· Er stöhnte vor Angst laut auf; im mer wieder führte ihm seine Eint-il dungstraft das gleiche-entsetzliche Bild, den« Scharfrichter sund die Guillotine, vor Augen, und nichts ist da, was isie davon ablenien und ihn zerstreuen tönmte Lange und tödtliche Stunden verbringt der zum Tode Verurtheilte. Es sind die letzten, die er zu leben hat. Er weiß, daß das Ende bevorsteht, und .trotz des-r geheim-en Hoffnung auf Ret tung, die aus feinem Herzen nicht wei chen will, spackt ihn jedesmal eine wahn ssinnige Angst, wenn ihn die klein-en Einzelheiten seines Gesangensendaseins, sder Rundgang des Schließers, das Frühstück, »das lljtittagesssem an die Flüchtigleit der Zeit vmashnen und ihm sagen, daß mit ihr sein Leben unt-eit » bar verstreicht. s IDer Tag regt sich, dann kommt die Nacht. Die Nacht verfliefzt, und die Morgendiimmerung erscheint. Die un geheure Anstrengung der letzten Tage hat ihn endlich bezwungen, und er schläft zwölf Stunden lang ununter brochen. Und wiederum schwindet ein Tag da hin. Man ihat bis jetzt noch nicht, wie es gewöhnlich lbei zum TodeVerurtheil ten zu geschehen pflegt, einen anderen Gefanamen in seine Zelle gebracht, um ihm Gesellschaft zu leisten. Erst am H vierten Tage erscheint der Wärter, um bei ishm zu bleiben. Doriat aber küm mserte sich gar nicht um ihn, er sieht ihn nicht einmal an und erwidert nichts auf seine Versuche, ein Gespräch anzutnü pfen. Der Mann schlägt ihm bor, ein Spiel Karten zu machen, aber er erhält teine Antwort. l So vergehen noch zwei Tage, die der IGefangene in düstseren Gedanken ver jbringi. Seins Vertheidigser giebt kein Lebenszeichen mehr Von sich. Er hat Tnicht geschrieben und ist auch nicht per sönlich gekommen, das ist offenbar ein schlechtes Zeichen. Am neunten Tag-e endlich geschieht etwas, das für ishn ein Lichtblict in idem Dunkel ist, das um ihn herrscht und ihn mit Schrecken erfüllt. Der Ge fängnißdirektor überbringt ihm einen Brief svon seiner Frau, dem auch seine Tochter Luzie einige Worte beigefügt hat. Die letztere schreibt: ,,Muth und Hoffnung, lieber Vater. Jch arbeite an Deiner Rettung. Nicht blos, um Dich vor dem Tode zu retten, sondern auch um Dir Deinen ehrlichen Namen zurückzugeben l« « Er küßte den Brief wie närrisch,wohl Ihundertmai. Seine Hoffnung nimmt swieder zu. Wenn man ihn nicht vier igißt da draußen, dann ist er auch ge rettet. An diesem Abend schläft er ruhiger ein, und mit dem Schlummer kommen beqlückende Träume. Er ist swieder daheim in seinem kleinen Häus Hchen zuGarches unsd seinem großenGarr ten, den er so sorgsam Pflegt; Doriat ist nämilich Gärtner von Beruf. Er ist wieder bei seiner Frau, sbei seinen bei den Söhnen und seiner Tochter Luzie, sbei feinen Lieben, die immer an ihn ge dacht haben. Sie drängen sich um ihn, küssen ishn und begrüßen ihn mit heller Freude-, denn endlich ist ihm Gerechtig keit zu Theil geworden; der wahre Schuldige sitzt hinter Schloß und Rie gel, unsd ihm, dem unfchudigen Verhaf teten, hat man die Freiheit wiedergege ben. ,,IWie köstlich ist doch dies erste Frei heitsgefiihli Wie gut es hier auf dem Lande riecht, lwie die Wälder, die Wie sen, die Blumen duftenl Er wandert durch die Wege des Gartens, den seine Söhne währen-d seiner Abwesenheit gut in Ordnung gehalten haben, und kehrt dann wieder in das niedliche, von Klet tenpflanzen umrantte Häuschen zurück. Aber überall findet er sein Weib, seine Tochter und seine Söhne, die ihn unter glücklichem Lachen umarmen. Und am Abend legte er sich zufriede nen Gemüthes in sein Bett. Ja in der Gefängnißzelle, wo er schläft, läßt der Traum es ihn sehen, wie er zu Garches in feinem Bette ein-schlummert. Und derTraum geht weiter; da er sehr müde gewesen ist, so schläft er ohne Zweifel länger wie gewöhnlich, denn er träumt, daß man ihn in die Ohren ruft: »Hei-a Doriat! Doriatl Es ist Zeit zum Ausstehent« »So laßt mich doch ein wenig schla fen!« murmelte er. »Vorwärts, Doriatl . . . . Auf! . . .. Jhr Gnadengesuch ist nicht bewilligt worden. Die Stunde ist jetzt da, Sie müssen aufstehen!« Er fühlt es, daß man ihn anstößt. Narr-he Hände legen sich auf seine Schul tern und schüttelte ihn hin und her. Dadurch wird er wach. »der Traum weicht von ihm, er setzt sich in seinem Bett aufrecht und starrt bestürzt die enge Zelle an, in der er sich befindet, und die Menschen, die ihn umgeben und mitleidige Blicke auf ihn werfen. Noch immer aber begreift ser nicht, wo er ist; er wusndert sich nur, daß er seine Frau, seine Tochter und seine beiden Söhne nicht umssich sieht· Anstatt ihre lieben Gesichter ge wahrte er außer dem Gefängnißgeist lichen, dem Abbe Follet in seiner Zelle noch vier Personen, die auf dem Lei densswegsr. »den er seit seiner Verhastung durchwandelt, schon wiederholt mit ihm zu thun hatten: den Versailler Gefäng nißdirettor und die Sicherheitzpoli zer. ,,Run,« meinte Doriat, »was gibt’s? Was geht hier vor?« Plötzlich aber wird es klar in seinem Kopfe. »Mein Gott, ich habe blos ge träumt. Jch träumte, daß ich frei wäre, und bin doch immer noch im Gefäng niß!« Und nach einem kurzen Schwei gen, das etwas Erschrecbensdes hat, Jfährt er fort: »Was wollen Sie svon lmir? Weshalb hat man mich aufge ftp-ate i Der Chef der Sicherheitspoiizei ek Iwidert in sanftem Tone: Ehre-umheu gesuch ist verworfen worden. Die letzte IStunde ist gekom«men.« I »Seid-ne Jch sou sterbe-se Auf; Idee Guiuotinee« s Der Gefängnsißgeistliche schloß ihn» in diesem Augenblick mit thränendesn Augen in seine Arme, indem er ihm zu flüsterte: »Muth, mein lieber Sohn. Denken Sie an die göttliche Barmher Zigskeit." Der Pfarrer fuhr in seinen Trost l versuchen fort, aber Doriat hörte nicht darauf. Er blieb insoch immer in sei nem Bett schen; seine Sinne verwirr ten sich, und er schien fast wieder zum Kinde zu werden, denn man- mußte ihm die Weisungen mehrmatls wiederholen, bis er sie verstand. »Nun kommen sSie aber,'« sagte msan zu ihm. »Sie müssen jetzt aufstehen.« Er erhob sich. Zwei kWiirter nahmen ihm die Gefängnißkleider weg und zo gen ihm seinen eigenen Anzug an, den man ihm früher abgenommen hatte. Er ließ sie machen, was sie wollten. Nur sein Körper war in ihren Händen, die Seele- befand sich nicht mehr dort. Doch dernahm er, swie Jemand don ihm sagte: »Er wird ssich nicht swidersetzlich zeigen. Es ist unnöthig, ihm die Zwangsjacle anzuziehen.« « Und der Chef der Sicherheitspolizeii meinte zu ihm mit gutgespielter Ge müthlichleitt »Nun sagen lSie einmal, Doriat, swollen Sie, da es doch suqu zu Ende geht, denn nicht seingestsehem daß Sie es gethan haben?« Da fuhr er auf —- das führte ihn zur Gegenwart zurück, und er schrie mit geröthetem Gesicht: »Ja, ich muß ster ben, das sweiß ich, aber ich sterbe un schudig, als Opfer eines Justizmordes!« Nachdem ihm seine Schuhe angezo gen worden waren, entfernten sich die anwesenden Personen bis auf die Wär ter. Die Zellentshiir stand offen. »So nun «lommen -Sie!« »Wohin führen Sie «mich?« fragte er, während ihm ein Schauder über den Leib lief. »Jn das Zimmer des Ober-auf sehers.« »Wozu?« »Dort sollen iJhnen die Haare ge schnitten werden« »Ach ja, das ist wahr,« mursmselte er und schritt dann mit gesenktem Haupte und wanilenden Knieen zwischen ihnen dahin. Und doch fühlte er sich etwas ruhig-er, indem ihm der Gedanke kam, daß er ein Opfer menschlicher Kurzsich- ; tigkeit, ein Märtyrer sei Jn der Nacht war der Scharfrichter: mit seinen Gehilfen von Paris mit der Eisenbahn eingetroffen Alsbald wur-. den die einzelnen Theile auf einem Wa gen nach dem Hinrichtungsplatze, demi Rondell bei der Colbertbrücke, hinaus-I gefahren. Schon vor halb drei Uhr war das Aufschlagen des verhän.gniß vollen Gerüstes beendet. Trotz der frühen Stunde iwaren be reits zwei- bis dreitausensd Person-en dort versammelt, sie standen dichtge drängt hinter dem herittenen Gsendar men, die den Platz abspersrten Manche waren auch auf Bäume oder Mauern geklettert, um besser sehen zu können. Später kommende, die dort schon Alles besetzt fanden, hatten sich auf dem Wege nach dem etwa ein Kilometer weit entfernten Friedhofe des Gonards aufgestellt. Dort wird nämlich der Körper des Hinaerichteten bestattet — bis auf den Kopf, den man dem Hofm tal in der Rue Richardi zu Studien zwecken überweist. Alles wartet gespannt auf den Be-i ginn des furchtbaren -Schauspiels. i 2. Jn dem Dorfe Garches lbei Samt-; Cloud war gegen das Ende des Som-» mers 1853 ein alt-es zerlumptes Weib aufg«etaucht. Mit gekrümmtem Rücken hinkte sie von Thür zu Thür und sbat um ein Almosen. Niemand hatt-e sie vorher gesehen, keiner der Dorfbewoh ner kannte sie. Hinter sich her schleppte die Alte zwei kleine Mädchen von vier oder fünf Jahren, die sich an ihren Rock klammerten Beide waren brünet und glichen einander sehr; sie lwaren scheu und furchtsam, dabei sehr abge magert, aber trotz-dem ausfallend hubsch Arn Ende von Garchesftand im freien Felde eine längst verlassene, ganz ver fallene und allen Winden offene Hütte, darin ließen ssie sich nieder. Aus eini gen Bündeln Stroh und Lumpen rich tete sie zwei Lagerstätten her, seine für sich, die andere für die Kinder. Regel rnäßig, Tag für Tag, zog sie aus, um zu betteln, unid ishre Ernte war gut, denn die Kinder waren sehr niedlich und erregten allgemeines Mitleid. Die armenWefen verkamen fast in Schmutz, aber trotzdem vernahm man, wenn die Thibaude —- wise sich dieAlte nannte — mit ihnen durch die Straßen von Saint-Cloud, von Vaucresson und Suresnes oder von Ru-eil, Bougival oder Puteux zog, immer nur Ausrufe: swie: »Ach, das sind ja leibhaftige En gel von Kindern! Aber welch’ entsetz liche Megäre ist diese Alte!« Und wenn die Thibaude dann vor einer Thür erschien und murmelte: ,,V«ater unser, der Du bist in dem Him Inelt — Es ist für die armen Kleinen, meine gute Dame, es ift für die Klei nen, mein guter Herr, es ist nicht für mich!« fo gingen sie selten weiter, ohne etwas erhalten zu haben. Bald kann-te man auch die Name-n der Kinder: sie hießen Luzie unsd Klau dine unsd schienen Ibei ihVerGleichasltrig leit unsd großen Aehnlichkeit Zwillinge zu sein. Näheres über sie aber war aus der Alten nicht herauszubringen, so daß ihre-Geheimn«ißthuevei verdächtig wurlde und man ihr nachsagte, sie habe die Kleinen gestohlen-. Die Thibaude wurde darüber polizeilich vernommen. Sie sagte aus: »Luizse und Klaudine sian meine Grutelinnen und heißen Thi baude wie ich. Jhr Vater, mein einzi ger Sohn, ist todt, wie ihre Mutter. Er ernährt-e mich, und seit seinem Tode muß ich betteln gehen.« Nun stellte man behördlicherseits Nachforschung-en an, und es ergab sich, daß ihre Angaben der Wahrheit ent sprechenkd waren. Man hatte es aslso wirklich mit einer armen Bettlerin, nicht mit einer Kinsderdiebin zu thun, aber trotzdem war das Lgos dieser un glücklich-en Kleinen nicht weniger bekla genswerth, denn die Alt-e behansdelte isie sehr schlecht. Ohne Strümpfe und Schuhe mußten sie aus sden oft steinisgen Wegen wan dern. Wenn sie heim-kehrten, bluteten ihre Füße, und die armen Kleinen wa ren meist so todtmiide, daß sie auf ihr Lager niederfielen und sofort einschlie fen. Oft hatten sie nicht einmal smehr die Kraft, ihr selendes Mahl zu essen. Dazu gasb es Schläge genug. Die Hütte lag ganz abgelegen im Felde, weit von den letzten Häuserns des Dor fes. Des-wegen wurde das Schreien der Kinder von keinem Menschen vernom men, und roenn die Alte sie noch sso arg schlug— Eines Morgens im Frühjahr er wachten die Kinder, ohne, wie bis-her, mit Schelten und Schlägen von ihrem Lager aufgetrieben worden zu sein. Verwundert schauten ssie sich nach ider Großmutter um. Dies-e lag dich bei ihnen auf ihren Lumpen; die Augen in dem gelben zusammengeschrumpften Ggicht iwarens geschlossen, sie regten sich ni t. »Sie schläft,« inurmelteLuzie. »Daß wir sie nur nicht aufwecken!« Die Kinder schmiegten sich eng zu sammen, ab sund zu mit furchtsamen Blicken nach der Alten hinspäshend, um die leiseste ihrer Bewegung-en zu gewah ren. So berslossen mehrere Stunden zur Ueberraschung der beiden Mäd chen, denn noch niemals hatte die«Thi sbaude sie so lange in Ruhe gelassen. Um die Zeit mußten sie sonst längst un terwegs sein und mit flehend ausge streckter Hand und einem Gebet auf dein Lippeln betteln. Endlich serschreckte diese lange re gungslose Schlaf doch die Kinder. Sie standen auf, kamen näher und berühr ten dise Alte. Sie war kalt und steif. Die Kleine-n weinten vor Furcht und riefen: ,,Großmutter! Großmutter!« Und als Alles nichts half, liefen «sie ent setzt in das Dorf, lwo sie erzählten, daß die Großmutter sich gar nicht mehr rege. Die zunächst wohn-enden Leute begaben sich zur Hütte usnd sahen dort die Bettlerin todt auf ihrem Lager aus gestreckt. Sie war währen-d der Nacht vom Schlage gerührt worden. Sie wurde auf Gemeindekosten be graben, die Kinder hatte man einstwei len im Armenhause untergebracht. Später sollten sie auf Kosten der Ge meinde in Pflege gegeben werden. Um diese Zeit traf der Gärtner Do riat, als er gerade aus der Baümschule kam, seine Frau und sagte zu ihr: »Was meinst Du, wenn wir eines der niedlichen klein-en Mädchen nähinenl Wir haben zwar sdise Jungen, aber Du hast Dir ja immer auch noch ein Mäd chen gewünscht.« Marie Doriat, eine hübsche Frau mit einem energischen und doch sanften Gesicht, war mit sdem Vorschlage ein verstanden So kam Luzie zu Doriat in’s Haus und der Land-wirt·h Bont reille, ein Freund des Gärtners, nahm Klaudine zu sich. Die armen Weis-en waren also gut unt-ergebracht, aber Klaudine trat doch mehr als Diensstbote in Bourreille’s Gsehöfte ein, während Luzie von Doriat und seiner Frau ganz wie ihre eignen Kinder behandelt wurde. (Fortset3ung folgt.) --OO Verwegener Mordversuch O C l e v e l a n d, O» ZU Sept. Ein äußerst verwegener Mordversuch hat gestern die Bürger von Bedford, einer Vorstadt, und die Umgebung in Aufre gung versetzt. Janies McMillam wel cher von seiner Gattin getrennt lebte, entführte sie, fuhr nach einem dichten Gehölz und zerhackte ihr dort die Kehle mit einem Messer. Verfolger verscheuch« ten ihn. Er stahl dann ein Pferd und Buggy und fuhr, von einem halben Dutzend Männern in Buggies verfolgt, über das Land. Bis jetzt ist er noch nicht eingesungen worden. Die Frau ist noch am Leben, befindet sich aber in gefährlichein Zustande