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About Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901 | View Entire Issue (Sept. 25, 1896)
Die Folgen eines zerrissenen-. Humoreske von C. F. Philipp-. Welch’ ein Unglück! Wie sehr er sich auch dcn Kopf zermarterte, kein-e ein sitze Jdee dämmert-: in feinem Gehirn. Seit vier endlosen Wochen quälte er sich vergebens damit, eine Geschichte zu er finder, und heute war der Termm ge kommen, an dem er fein Manuskript einsean oder erklären mußte, daß er ein unfähiger Dummkopf fei. Zum ersten Male hatte sich ihm ein-: glückliche Gelegenheit dargeboten, and das war ein seltener Zufall in sdern Le ben Marmadule Greenbanlfi Einer feiner Bekannten, der Herausgeber des ,.Watcrloo Magazine«, hatte ihn aufs gefordet, fär die Weihnachtönummer ein Feuilleton zu schreiben. Das An erbreten ward natürlich mit Freuden angenommen und er erblickte in dies-« giinftigen Zufall einen Wendepuntt feines Lebens. Das erwähnte Blatt; war eines der angefehensften Journales und um Mitarbeiter an diesem Blaue zu werden, mußte man eine nicht unbe deutende Stellung einnehmen Aber Tag-» um Tag verstrich und ak? er ein passendes Motiv zu einem Feuilleton zu suchen begann, fand er zu seinen- Entsetzen, daß sein Kon leer, sein Gehirn ausgepumpt und nicht inebr produktionssäbig war. Ach, nnd sich erinnern zu müssen. wi viel herrliche Novellen er sonst geschrie ben! Wie viel köstliche Motive er site ein paar Guineen verschleudert hattet Es wer zun- Raseiidwerden. Er sprang von seinem Sitze auf, nachdem er lange, lange erfolglos auf den weißen Bogen gestarrt hatte, der ihn böbnisch anzu lacher schien, und schritt mit großen Schritten in seinem Zimmer auf und nichen sein Mißgeschick verwünschen:. Ei nahm sich eine Eigarre und seufz laut. Dann suchte er in seinen »a schen nach einem Streichbölzchenz Doch da er soeben das letzte verbraucht hatte, so suchte er denn mechanisch ein Stück chenPapier Ein Zeitungsblatt lag auf dem Atmstubl nächst dem Kan in Er ris: ein Stück von dein Leitariikel ab und bieli es in die Flamme, dann steckte cr dis- Cigarre in Brand, setzte sich wieder zum Schreibtisch und starrte abwechselnd aus das reine weiße Pa pier und auf das Zeitungapsblatt Ver Fieber-E. Sein Hirn war öde wie die Sabaia. Da fiel plohlich sein Blick auf den »Kleinen Anzeiger« er sprang empor, ergrifs mi zitternden Händen oas Blatt und las: »Sui ets zu verkaufen! Themata fjcs kürzere und längere Novellen und Feuilletons in grdßterAuswabl Reich baltiaeso sager von Weibnachisgeschichs ten jsder Art, sentimentale und humo ristische, Geister- und Spukgeschichten.« »Henreka!« froblockte Herr Grim banksx Kurze Zeit daran klingelte er an der in dem Jnserat bezeichneten Tbiiie. Ein einsadendes »Herein!" tönte ans dein Innern des sogenannten Bitten-is dessen anaber soeben in Hemdermeln seinen Tbee bereitete. »Womit kann ich dienen Heri?« fragte der Besitzer des Bureaus. JUch ich —« antwortete unser Schriftsteller zögernd, »ich benötbige ein Thema fiir eine Weibiiachts4e schichte Wie ich in Erfahrung gebracht, handeln Sie doch damit, das bei ßt Sie beiben welche aus Lager, Herr — Herr Balsam-, wenn ich nicht irre?« »Da-? bin ich, « antwortete der Cle schaff-sk- hnann mit strahlender Miene »Meine Frau und ich erfindeii jeden Abend einen ganzen Hausen von Ge schichten Was für eine brauchen-Sie? « »Ich brauche eine schöne Spukge Nichte-" Herr Boksover nickte beifällia. »Shi§ meine Kieblinasgeschichten So stark grusslia und ein Mord dazu.« »Und eine Liebesaeschichte.« ..Ireilieb, freilich! Und ein gutes Ende « »Ja, ich erlaubt-. fiir eine Meis naMsoJchichie wäre das sinnen-eint « »Ich hätte was Prächtigeres fiir Sie, est-er das Ende ist halt traurig " »Nein, es muß glücklich enden, das Publikum liebt das « I»Freilich, paszt auch besser für Weib «siimmte Herr Bolsover bei kIch bade eine verteufelt nette Ges Mit-. wo hier Held seinen Onkel «- z irr-erwartet beerbt und im letzten e! heirathet. ’s kommt aber kein , »Das Seit-tust ist Umklößkch- »F M M, Lichwerde nachdenken USE-neuqu »Da-WAG« ties Miit-mahnte -WM M. »ich must das ist«-Mr FMYWW dgrq - « ever-? MAY-X sei-i im Dies brauchen. Jch hab’ genau, was Sie brauchen; einen halben Souveretgn her, und wenn’s nicht tonvenirt, trie gen Sie ihr zurück." Mai-wankte zog die Börse und nahm das Manuskript entgegen. Abge sehen von ihren überflüssigen Einzel beiten war die Geschichte that-sachlich vielvetsvkechend: ein geheimnißvoller Mord, ein unschuldig Angeklagter, Vet flnchten mit einem Alles auftlärend.n Spuk; Herr Greenbanis war entzückt, ja, aus-: den: ließ sich etwas machen· Doch bevor er sich an die Arbm machte, glaubte er einen berechtigten Anspruch auf ein Dutzend Austern, ein Kalbsfilet und eine Flasche Bier zu haben. Dann schlürfte er behaglich »in Gläschen Benediktiner und eilte nach Hause an seinen Schreibtisch mit der Absikn auf der erhaltenen Grundlage eine spannende Geschichte auszubauen. Aber der Verdauungöprvzeß schien die momentan hervorgesprudelte Er findungsgabe wieder gehemmt zu km ben. la begaiigte et sich denn mit einer einfachen Abschrift, sandte das Manu skript zur Post und schlief den Schlaf des Gerechten. Sechs Tage später empfing er die Probcbogen seiner Erzählung und ei nige anerkennen-de schmeichelhafte Zei len seines Freundes. Zwei Tage später sah er die Weih nachtsnurnmer des »Waterloo Maga zine« in dem Schaufenster einer Buch handlung; er kaufte die Nummer-, in »der mit sktten Lettern sein Name s prangte und nahm sie mit sich in’s Bureau. Jchh ja jetzt war er auf den Wege, etwas Großes zu werden. Eines schönen Morgens saß er ran chend umd lesend in seinem But-erz als es leise pochte. Er warf die Pfeife in die Schublade und r·-.f ein lautes «Herein!" Eine Dame trat ein. Er hatte wenig Damenbetanntschaften und er war ebenso überrascht, als wäre ein Klixnt eingetreten, was auch ein bisher fel tener Fall war. , »Herr Greenbants hier?« fragte die Dam-. »Bitte, ich bin’s, womit kann ich diienesi?« Die Dame, ein junges Mädchen, war außerordentlich hübsch, aber bleich und aufgeregt und dem Weinen nahe. O, Herr Greenbanks, wie hatten Sie das Herz, das zu thun ?« »Das zu thun?« rief Marmadnte erstaunt. »Mein gnädigstes Fräulein, ich verstehe nicht« Die junge Dame führte das Taschen tuch an die Augen und Marmadule fühlt-.- sich schuldig, ohne zu wissen warum. « »Mein S äjet!« tief sie. »Mein Sil jet. welches ich getauft und ausgearbei tet habe, und jeyt ist es unbrauchbar.« »Ihr Siijet?« . Sie öffnete das abgenutzte Bomba dourtäschchen, welches sie in der Hand hielt nnd zog ein umfangreiches Ma nuskript hervor. »Sehen Sie,'« rief sie, »es ist das selbe ganz dasselbe und meine Arbeit ist vergebens Jch tann’s nicht einsen den« »O, ich ledauere undendlich, mein Fräul«-in, ganz außerordentlich« »Ich mußte ein Jeuilleton haben. so habe icb bei Herrn Bolsover eine Hand lung gekauft, an der ich dann drei Wo chen gearbeitet habe, und es war so bitt-sein« Sie brach in Thriinen aus. »O« der alt-e Schuftl« rief Marmo dule entrüstet. »Sie werden doch nicht glauben daß ich sein Mitschuldiger in -'« »Gewiß nicht,« schluchzte sein holdes vis-a-vis, »aber fiir mich war es ein UngliI-t.« »Wir —- wat das Honorar. welches anen -——— welches Sie —- bekommen hätten, von — von —- WichtigleitW ,,Ja.« fliisterte die junge Dame re röthenr. »Aber das ist nicht Jhre Sache verzeihen Sie. Jch sehe ein, daß Sie unschuldig sind. Nur im ers-en Augenblick raubte die Bestiirzung mir die Sinne. Verzeihen Sie, es war ein Unrecht.« »Im Geaentheil,« rief Mai-madle »Sie haben vollkommen Recht und ich muß um Verzeihung bitten. Gestatten Sie, daß ich Sie siir Ihren Verlust ent schädian »O nein. Wenn ich aufrichtig sein s oll, so lant ich wohl mit dieser Absicht, aber ich sehe, daß Sie unschuldig sde und es wäre abscheulich von mir, das anzunehmen « Sie hatte sich erhoben und er sah erst jetzt, wie schön sie war, in ihrem ab aetragenen Zähnchen mit den verwa schenen Haut-schaben Und er hatte eine Bewsieinspise und einen Spazier-stock mit Silbergriffl »Bitte, mein- stinkt-if »Nein, nein, ich kann nicht« Sie reichte ihm die W und ging. Wart und ärgerlich kehrte er zu seinem SchWG Nil-lich —- Da siehe — zu sehe-. freudigen Ueberraschung i gewahrte er das Manuskript, welches sie in ihrer Verwirrung liegen gelassen. Darauf stand mit großen kräftigen Zügen: Netto Gren, Palmira, Bill-n viertel »Hi!rtah«! tiefer. »Vo: Allem ge bietet es die Ritterlichleit, das Mann skript seine- Eigenthümerin zuzustel slen«' Er wars einen Blick aus die Uhr, ei nen zweiten -— unerllärlicher Weise — in den Spiegel und schlenderte behag lich desn Billenviertel zu. Vor Van .7. einem iirm!ichen Gebäude, angelangt, « zog er die KlingeL überreichte den-. : Dienstmädchen seine Karte und wartet-. ; geduldig- in dem dunklen Korridot. ; Als et eingelassen wurde, fand c Fräulein Netta am Herde beschäftigt »Jet- habe mir die Freiheit genom men. Ihnen das Manuskript zurückz.s bringen-« « Sie streckte ihm lächelnd die Herd entgegen. »Sie sind sehr gütig. bedanke, daß Sie sich bemüht halEsenJTch Sie war im Hauökleide noch viel hiibscher. Und wie melodisch ihre Stimme tlang, als sie ihn aussorderte, Platz zu nehmen« Mit einem bishxr unbekannten Behagen sank er in einen Lehnstuhl nnd lauschte ihrem anmuthi gen Gewand-eh wie sie so ganz allein sei und wie nur die Anwesenheit ihr-s kleinen Bruders währen-d der FerTen Leben in ihr Dasein bringe. Da kam er ja gerade hereingestiirmt mit rosigen Wangen und goldenen Lo Zen nnd schmiegte sich an die Schwe er. »Wie gefällt’s Dir zu Hause, m-.!.n Jung-W sragte Marmaduke. »O, gewöhnlich gut, aber he-:·»r gibt’s keine Weihnachtsbescheerusrg denn Tetta hat ein Malheur gehabt.« .Pit, Karlchen,« rief Netta er aliihend. »Schwiitze kein dummes Zeita, gehe zu Frau Pedder.« Karl gehorchte und auch Herr Greci banks erhob sich. »Tai-f ich wiederkommen, mein Fräulein ?·' fragte er schüchtern. »Wir leben so zurückgezogen, mein Herr, daß — « ,Ganz wie ich,« beeilte sich Manna duke, sie zu unterbrechen. »Sie würden einen einsamen Menschen beglücker. mein Fräulein.« »Nein, wenn es Jhnen Vergniisixn macht.« Auf der Straße ertappte er sich da bei, das-. er eine Melodie aus der Ju gendtsit vor sich hinsummte. Ebenso grundlrö war auch die Purpurriithe. die Mik Nettas Wangen überflog, als sie all-in blieb. Jn wenigen Tagen gelang es Herrn Greenbanks,unter den verschiedenartig iten Vorwänden täglicher Gast bei Fräulein Netta zu werden, und in we niger denn Monatsrist ein sehnsüchtig erwartete-r Freund. Werden Sie Ihren Bruder sehr vermiisem wenn er fartgeht,,« fragte er sie eines Tages. Sie nickte schweigend »Ich auch, denn wenn er fortgeht darf ish gewiß nicht mehr kommen.« Sie schwieg uan hlätterte traumosr loren in einem Manuskript Dämme rnnngchatten senkten sich auf das Te mach und nur die Gluth im Kamin warf röthliche Lichter aus ihre lieblichen , age. Z -Retia!« fliisterte er leise. Sie zuckte zusammen und die Hand, die Eos Manuskript hielt, zitterte. «Netta, wird es Jhnen leid thun wenn ich nicht mehr komme?« Sie murmelte etwas —- wie schmerz liches Nedauern und — Unk als Karl einige Tage s bitter in’8 Vensivnat zurückkehrte, nahm er die fiißen Ueberreste eines Verlobungslns chens nite - b- . . ...-. -..- .. — Wunderkinder. Von Bertha Fromdolz. Jch hatte heut ’mal eine ruhige Stun de zum Nachdenken· Das war eine große Seltenheit. Wir armen Frauen sind ja mit Arbeit in einer Weise über lastet, die zum himmel schreit. Wie ich also so im besten Nachdenken bin, sällt mir ein, daß mein Mann gestern ei gentlich ganz Recht gehabt hatte. Na türlich war es wieder wegen der Kinder gewesen. Der Junge hatte einen greu lichen Spettakel gemacht, ich hatte ihm das verboten, er hörte nicht, in Folge dessen bekam er einen derben Klapr Da hatte er noch mehr gebriilln und das Mädchen hatte ans pur-er Schwe sternliebe mit eingesiimmi. Und wenn die Beiden losschreiem dann ist’s schon zum Damit-usw Proglich ers chien mein Mann. »Auf-M gebot er mit ei ner entsprechenden Witz Der Junge schlmste und schnappte noch ei nige Male, das Mädchen steckte den Finger in den Mund, aber sofort waren alle Beide mäuschenftill »Von Kindererziehung habt ihr Frauen nun ’mal keinen blassenSchiw mer,'« so schnarrte er mich an und stol zirte wieder in sein Arbeitszimmer. Friedsertig wie ich nun einmal veran lagt bin, erwiderte ich Nichts und legte » die beleidigende Sottise zu den übrigen. EGeiegentlich werde ich sie auch schon Z ’n1al anbringen können. . ) Diese Geschichte von der Kinderzieh s ung ging mir jetzt im Kopfe herum Ein ! schwer zu behandelndes Thema war es, Ewir hatten unter uns Damen nach der dritten oder vierten Tae Motla sehr oft gesprochen asuiiser die f lechten Män ner die noch schlechter-en Dienstmäd chen, die unverschämt hohen Fleisch preife, die wohlthätige Wirkung von Liebig’s Fleischextratt und über das lächerliche geringe Wirthschaftsgeld Aber iiber Kindererziehung? Jch konnte mich wirklich nicht innern. Doch halt! Einmal hatte die Ffrkau Referendarin a. D. dieer Thema erschöpfend erörtert. »Milde, meine Damenf so hatte sie in in ihrem einstiindigen Vortrag ausge führt, »Milde und Güte genügen voll kommen, die Kinder zu guten Men schen zu erziehen Es braucht tein Schlag, kein harteö Wort zu fallen die herzigen Engel gehorchen jedem Blick, jedem Wint. Ach, wenn doch alle El tern das veherzigen möchten . .. Es ist entsetzlich, wenn man manchmal sieht und hört . . .« Wir löffelten alle mit um ihr da durch unsere vollste Zustimmng zu er tennen zu geben. Da fuhr Frau Leh rer Baumgart mit der naseweisen Fra ge dazwischen: »Gestaiten Sie Frau Referendar, wieviel Kinderchen haben Sie denn. T« »Jch?« meinte die gedehnt. »Ich? Ich habe natürlich gar keine, aber wenn man manchmal so sieht und hört . . .« und wieder wurde der silberne Löffel in die Tasse versenkt. Da war es mir so vorgekommen, als oh die Frau Reserendar doch nicht so ganz aus eigener Erfahrung gesprochen hätte. Beim nächsten Kasseelränzchen wur de ich in dieser Annahme noch bestärkt. Frau Kreisthierarzt Wenzel iiußerte sich zu derselben Frage. So ganz glatt geht’s mit den Kindern nicht ab,« mein te sie. »Da muß es manchmal eine kräftige Prügelsuppe absetzen. Sie ha ben Eigenschaften, die muß man her austlopsem Mit Milde und Güte ist nichts auszurichten, aber ein paar Tüchtige drauf —- die wirken Wun der.« Da hielt ich’s nicht länger aus. »Und, liebe Frau Dottorin, wieviel Kin . . . ", weiter tarn ich mit meiner Frage nicht, da wurde ich von Frau Wenzel schon unterbrochen. »Wieoiel?« lachte sie — »32, sage und schreibe zweiunddreißig Kinder . ." — wir horchten hoch aus, ich wurde ganz blaß und ich sah auch, wie meine Nachbarin sich plötzlich oerfiirbte —- »in einer Klasse," fuhr die Frau Kreis thierarzt fort. »Ich war vier Jahre Lehrerin, ehe ich meinen Mann kennen lernte.«« Alles athmete erleichtert auf. »Ei gene Kinder meinte ich,« warf ich schlich tern ein. »Ach so,«· tönte es zurück, »eigene. Da haben wir allerdings leine. Es ist auch nicht nöthig, man hat so schon Scherereien genug« Hm — so richtig war das auch nicht eigene Erfahrung. Da schien mir der goldene Mittelweg der beste, also halb Milde, halb Strenge. Jch beschloß, hierüber meinen Mann zu interpelliren. Der wars mir einen geradezu feindseli gen Blick zu. »Natürlich« höhnte er, »nichtö Gan zes und nichts Halbes. Heute Zucker brod, morgen Peitsche Bald so, bald so, wie Krayulinötkz Tod« »Aber Männchen,« bat ich, »so gieb mir doch einen Ratsh. Wie soll ich’s denn nun eigentlich machen? Ich weiß es ja auch nicht . . . .« »Zuerst steck ’rnal die Einbildung bei Seite, als ob Deine Kinder Wunder tinder seien.« »Wundertinder?« fragte ich gedehnt. »Jawohl, Wunderlinder. Du bil dest Dir ein. daß Deine Kinder ganz besondere Nummern seien. Die sind besonders lieb, besonders groß, beson derk dick, besonders klug. Die wissen Alles und noch Etwas dazu, die werden einst große und noch größere Menschen werden! So gewöhnliche Kinder sind das gar nicht, bewahre! Es sind Aus nahmelinder, so eine Art übertra ene Engel.... An dieser Wunderii r Kranlheit leiden alle Mütter. Du Mbsi das nichts Schön, ich werde es beweisenl« Dieses Gespräch hatte ich bald wie der dergessen, kein Wunder bei der vie len Arbeit, welche uns schwachen Ge schöpfen aufgehalst wird. Dann lain ein Brief meiner Schwester aus Kleien stein. Die schrieb mir-, daß sie auch so furchtbar viel zu thun habe, daß Mut ter sehr schwach sei und daß in diesem Jahre erst nach Weihnachten geschlach tet werde. Dann hat sie einen allerlieb sten kleinen Jungen von etwa drei Jah ren, der den Eltern viel Freude bereitet. i Ueber den schrieb sie etwas ausführJ licher, weil auf dem Briefbogen noch eine Seite frei war. Weil die auf dem Lande noch leine billige Privatpost ha ben, stecken sie in den Brief so viel wie nur möglich, weil sie die »Post nicht reich machen« wollen. Beim Kafseetrinten gab ich meinem Mann den Brief zum Lesen. Der feste feinen Kneifer auf und las langsam und bedächtig. »Na ja,« meinte er endlich, »das wußte ich doch. Wunderkind Nummer Eins!« »Wunderiind?« fragte ich erstaunt. ,,Jawohl, hast Du’s denn nicht gele sen? Also paß auf, hier sieht's schwarz auf weiß: »Und nun, liebe Schwester, der klei ne, süße Ernst. Großmutter hat ihm zu seinem Geburtstage eine Trompete geschenkt« ich eine Trommel und August ein kleines Orchestrion. Nein, was der Junge arg auf die Musik ist. Er ironi petet, tromrnelt mit der einen und dreht das Orchestrion mit der andern Hand. Und Alles im Takt. Denn das Gehör: wenn August singt, hält er sich die Oh ren zu, wenn ein falscher Ton tommt. Wir werden ihm bald ein Klavier tau . sen, schon jetzt tastet er mit seinen zehn Fingerchen auf der Kommode umher. Du glaubst nicht, wag wir den Jungen lieb haben wegen seiner musikalischen sOjtzzdung das ift so ein echtes musikali s ..... Hier brach mein Mann ab und lachte laut auf. ,,Haha, ich wußt-e es ja: ein Wunderkind. Hier steht’s: ein echtes musikalisches Wunderkind. Siehst Du, jetzt hat Kleienstein auch sein Exemplar. Bivat seauens!« ; Jch sah mir den-Brief an, das Wort : stand drin, mein Mann hatte Recht. Aber was hat so ein flüchtig hinge schriebknerBrieffüreinenWertbi Kei z nen tallulireich Wennder Jungezudem « so musikalisch war, warum sollte meine Schwester mir das nicht schreiben? Je de Mutter ist stolz auf ihr Kind. Hier « von machten eben die Kleiensteiner auch zteine Ausnahme. Jch war also noch weit entfernt, mich zu der grauen Theo rie meines Mannes zu bekehren . Am nächsten Tage erhielt ich uner warteten Besuch. Die Schwester der .Frau meines Bruders stellte mir ihr ;.»wiedergenesenes Töchterchen vor. Gott, was hatte die aushalten müssen. Ma ;,sern Diphtherie, Scharlach — es war ganz entsetzlich gewesen. Und jetzt war Edie kleine sieben Jahre alte Ella wieder Zoollstiindig aus dem Posten. Und was j das fiir ein liebes Kind war. Die Mut s ter strahlte vor Glück, als sie erzählte, ; wie herzig Ella fei. - »Sie glauben S gar nicht, « legte sie L los« »nein, dieses Kind. Wie die stand Thafi die schwere Krankheit überstanden « bat ’S ist ja unsere Einzige « Sieht sie nicht aus wie 'ne Prinzessin ?« Mein Mann warf einen Blick auf die menschliche Puppe: breiten Rembrandt hut mit einer ganzen Blumenladung, , oben, unten, an beiden Seiten, turzeä iSeidentleidchen mit Guipuretragen, Zschwarze Seidenstriimpfe, Lackschuhe. s braune Wildleder-Handschuhe. Auf der E linken Schulter eine blaue, um die s Taiae eine wu- Schieise, um die Ober t arme noch was Grünes. »Oh,« machte mein Mann, »beinahe wie ’ne Prinzessin.« »Wie so nur »bein«ahe?« fragte ich pi iirt. »Na, ’ne wirkliche Prinzessin würde einfacher angezogen sein,«' uzte der Mann grinsend. Jch wars einen Blick aus die arme beleidigte Mutter-. Sie schien diese hämische Bosheit nicht recht verstanden zu haben, denn sie erzählte ruhig wei ter: »Etwas wenden thun wir ietzt an das Kind. ’s ist ja unsere Einzigr. Und dann, was das Kind Zartes an sich hatt Die kann ergreifen was sie Himmee will. der mißgliickt nie etwas. jDie zerschlägt Nichts die macht Nichts kaput, die macht leine Scherben« Pardautz, — llirrte es da nebenan im Salon. Mein Junge lam either-los herbeigestiirzt »Ella, —- den großen fTiellen —-— den blauen, -——— auf dem Bus e —« Du lieber Himmel, das artige Kind hatte mir einen echten Delfter Teller, den ich bei einen Antiqua-.- in Amster dam fiir schweres Geld erstanden hatt-, in tausend Trümmer set-schlagen »Aber Etla.« itirnte die Mutter-, »nur-b doch teineDummbeitem Warum zerschläast Du denn zu hause Nichts? Ein Glück noch, « sie betrachtete die Scherben »daß es nur der blaue Teller wor. im schlimmsten Falle kaufe ich in der Marktballe einen neuen, —- dort bat eins Töpfer aus Betten seinen Stand ..... Was? Das ist eben das Geschickte bei der Ella, wen-n sie schon was zerschmeißt, was ja nie vor kommt, dann ist es mir alter Plunber. Sie machen sich keinen Begriff, wie zart das Mädchens Alles anssaßt, die räumt bei uns Alles auf, an Ordnung, Reinlichieit, Sauberkeit ist das ein wahres Wunder . . . .« «Kind!« fiel mein Mann ein. »Na, siehst Du wohl,« wandte er sich an mich, »du hätten wir ja wieder eins.. »Vivat sequens!« Jch war etwas verblüfft, weil der Mann zu verstehen schien, dem gequäl ten Mutterherzen diesen Ausdruck her auszupressen. Aber für ganz besiegelt hielt ich mich noch nicht. Der Abend ging übrigens vorüber, ohne daß ein zweiter Delster das Zeitliche segnete. HWF besitzen auch einen zweiten gar Hni t. Den ersten hatte ich noch nicht so recht verschmerzt, sda gab’s eine neue Ueberraschung Meine Schwiigerin aus Schlesien überzog mich mit einem dreitiigigen Logirbesuchz Sie brachte ihren 12-jiihrigen Sohn mit. Sapper lot, war der in der gesunden Luft der schlesischen Berge in die Höhe gegangen, das war beinahe ein Grenadier gewor den. Die Schwägerin erzählte nns eine wahre thlle von dem Aufenthalte auf dem schlesischen Dörflein. Und was für eine Erholung für die Kinder! »Wie ein Sperling sah der Otto aus, als wir aus Berlin fortzogen,« erzählte sie. »Und jetzt der reine Riese. wirft die kräftigsten Burschen zu Bo den, er fürchtet sich vor leinem Men fchen mehr. «Turnen kann er, —- na, man glaubt’s kaum. Vögel hat er auch fchon gefangen und mit eirvem richtigen Gewehr einen Hasen geschossen. Im Winter erst, —- das Vergnügen, da wird Schnee geballt, Schlittschuhe ge laufen, Schlittenbabn gefahren . . .·« Aus dem Speisezimmer drang fröh licher Lärm, daneben ein tnirschendes, tnisterndes Geräusch. Jch eile hin. O je, da sah es schlimm aus. Der kleine Schlesier hatte den Teppich hoch geho ben und auf dem Parquet eine Schlit tenbahn etablirt. »Hurrah,« schrieer, »Bahn frei,« — und nach turzeni An lauf sauste er durch das Zimmer. Er hatte hohe Stulpenstiefel an, und unten saßen an diesen Stiefeln Nägel und Ei sen. »Hurrah," brüllte mein Junge, »Bahn frei,"—auf bloßen Strümpfen, von denen recht und lints schon Fetzen hingen, slitschte er auf mich zu. »Aber Otto,« kam nun auch die Schwägerin hinzu; »das geht doch hier nicht. Deck’ mal sofort den Teppich wieder auf. Du wirst mit Deinen Stiefeln noch Kritzeln in die Diele ma chen. Nein, zu Hausf« wandte sie sich an meinen Mann, »macht er nie so was. Er ist ein sehr braver Junge. Aber kräftig, sehr kräftig. Jn der Schule ist er der größte, der Stärtfte; da balgt er sich mit Allen. Er triegt sie auch alle unter. Mit dem Lernen geht’s nicht so gut, aber die Kraft, die Kraft, die der Junge hat. Was meinen Sie, da muß ja jede Mutter stolz fein. Das ist ein Athlet, eineArthndertnabe . .« »Bitte,« verbesserte hier mein Mann, »Sie wollten wohl Wunderkind sagen.« Die stolze Mutter griff den Ausdruck begierig auf. »Natürlich, Sie haben ganz Recht. ’s ist ein Wunderkind an Kraft und Gewandtheit. Das lais’ ich mir auch nicht abftreiten. Wenn Sie das schon finden, —- tomm’ her, mein Otto, Du liebes, zartes, lriiftiges . . .'« »Wunderlind,« ergänztemeinMann. »Das war Nummer -drei!'« Jch schwieg beschämt, hatte ich doch selbst nicht geglaubt, daß der-Wunder tinderunfug solche Wurzeln geschlagen habe. Ein freudiges Gefühl durchzog mich: ich fühlte mich von diesem Un fug frei. Als ich nun erst sah, wie der Stubenbohner sich zwei Tage lang la Mart 7.50) abmühen mußte, um das Partet wieder halbwegs gangbar zu machen, war ich von den Wunderkin dern lurirt, sogar gründlich turirt. Daß meinen Kindern Unrecht gefchehen sollte; wollte ich nicht, aber sie waren « einmal Kinder, nicht besser und nicht schlechter, wie Kinder nun mal sind. Da vernahm ich eines Abends aus dem Arbeitszimmer meines Mannes jämmerliches Geschrei. Jch hörte auch die laute Stimme meines Mannes, der schien Jemand anzuschnauzen. Sollte etwa mein Lieschen das Opfer dieser Vrutalitiit . . . .? Eilends stürzte ich hinzu. Richtig, dieser, große, starte Mann hatte das wehrlofe Kind geschla gen. Und was hatte das verbrochen? Den Goldstreusand in das Tintenfaß geschüttet, den Bleistift in das Faß ge steckt, vom Blaustift die Spiye abgebro chen und den Kleister in den Papierlorb geschüttet. Wegen dieser kleinen Scher ze hatte der Mann das Kind geschla gen, ich sa es auf den ersten Blick, auf der rechten Backe war ein rother Fleck. « »Wie kommst Du denn hierzul« rief ich in höchster Aufregung »Du mar teesi mir ja das arme Kind. Komm ber. - mein haschen-, mein Engel, meine s lihe