Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, September 25, 1896, Sonntags-Blatt., Image 10

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    Die Mauer-.
Minore-te von Julius Renard (Paris).
I.
Sie waren sich böse oder gut von
ganzem Herzen und jedes Vierteljahr
hatten fre eine Woche lang Streit mit:
, einander. Ein-e Zeit lang waren sie die
besten Nachdarinnen von der Welt, und
plötzlich schienen sie einander gar nicht
mehr zu kennen. Alsbald machte sich
dann Frau Morvaud dar-an, die Fehler
ihrer Nachbarin, Frau Gagnard, aus
zuzahlen Bei dieser arbeitete die Zun
ge vielleicht nicht so leicht, aber dafiir
gelang es ilfst am häufigsten, die Letzte
beim Nachaeben zu sein-. Enlvlich lächel
ten sie einander wieder zu. Frau Gag
narid wurde zu einem Besuche eingela
den und betrat die Wohnung ihrer?
Nachbarin, wo sie von Neuem die Sau- «
berkeit der Fenster, des Osens, derä
Lade, des Geschirrs und vor Allem des«
Wassereimers bewunderte, der so einla
dend glänzte, daß man vorn Ansehen
Durst bekam.
»Wie stelien Sie es nur an, Alles so
sauber zu halten? Bei mir ist es immer
so schmutzig.
Dies log sie, um die Andere auszu
forschen.
»Bei anen,« antwortete Frau Mor
vaud, ,,lönnte man glauben, Sie leckten
die Möbel ab."
Und so tauschten sie Komplimente
M, ohne ihrer Würde etwas zu verge
Aus der Thürschwelle gerieth Frau
Gagnard nochmals in Elstase vor dem
Mistbaufen der Morvauds. Er war
viereckig, glatt und regelmäßig geformt
Pfähle und Baumzweige hielten ihn
zusammen. und man konnte über eine
sehqu gelegte Planke hinausgehen, Inie
aus eine Bühne.
Lassen Sie sich bald bei mir sehen,
Schatzsp sagte Frau Gagnard.
»Jet. komme bald!« antwortete Frau
Morde-un
2.
Worüber sie sich an diesem Tage ent
zweit hatten, brachte das Dorf nie in
Erfahrung Die Einen behaupten, die
Gagnard hätte einen Eimer Spülwaffer
in den gememfamen Hof ges chiittetz die
Art-dem-h zn den-en der Schulmeifter ge
hört, berichten, die Morvaud hätte ih
rer Nachbarin einen Korb fauler Aepfel,
Vielleicht unabsichtlich, zwischen die
Füße geworfen. Und was geschah nach
her? Die Gagnard zerbrach mit einer
Mistgabel einer Gans, die ihr nicht ge
hörte, beide Beine, und die Morvnud
drehte einem Gänserich den Hals um,
ohne das Recht dazu zu haben. Und
dann machten sich Beide tapfer daran,
ihre Stimmen zu gebrauchen. Die
Morde-nd schalt und die Gagnarts
fchimrfta Die Morvaud lief in den
Hof, raffte Dinge auf, die sie fallen ließ,
um sie wieder aufzuheben, und zerkratzte
sich mit aufgeregten Fingern das Ge
sicht. Jhre einzige Beschäftigung be
stand darin, laute Schreie auszustoßen
die nicht set-r harmonisch, aber recht
kriegerisch flangem Häufig näherte sie
sich der Feindin, indem sie ihre nach
dem Gesicht der Gagnard zuckean
Hände hinter dem Rücken festhielt. Und
auf ihren rothen Kopf, auf ihren Hals-.
auf ihre Schultern hagelten wie
eine Die-Weiße Douche die iochenden
Schirnpfworte der Gagnard hernieder.
Diese blähte sich auf wie ein Trut
hahn, wenn sie so mit getreuzten Ar
men, keuchend vor Wirth ihre Gegnerin
anfchrie. So standen sie einander ne
geniibsr. heulten und zeierten und wa
ren nahe daran, vor Zorn zu platzenx
If
Z.
Die Morvaud zog sich aus dem Hof
zurück und betrat die Schreinerwerk
statt ieres Mannes. Sie warf sich auf
die Hobelsptilxne und blieb lange Zeit
liegen, ohne ein Wort zu sagen. Sage-.
nicht klebte sich an ihr schweißbedecktesj
Gesicht Sie drehte sich mechanisch ei-?
nen Ring ans einem Hobelfpahm Mitl
trockenen Augen seufzte sie von Zeit zu
seit, daß es iaft wie Schluchzen klang.
Phtttpp Morvausd sah nicht nach ihr
hin. Er war ein kaltbliitiger Mensch
nnd brachte fein Leben mit Nachdenken
. BLenn er ein Brett gemessen hatte,
o ums-, er ed noch einmal, unsd wenn er
—· sie-selbe Länge fand, dachte er nach. Be
» sonder-s aber dnchte er nach, wenn er ei
J" sen Sarg machen mußte. Dann nahm
et seine Maße, ohne die Leiche zu her-Ih
m, need er zitterte in allen feinen Fa
· fem. toenn er dachte, er kiinne am Ende
i . staat-h arbeitern sodaß man den Tod
- nuiainrnentnicken mtisse
»Das kann nicht lo Wesens stöhnte
» die Winden-d dumpf.
W erwies-nie keine Siche. Er
Nie ein Wirt M vor sich nnd
- tM text m den tin-Wink eue,
W er ein case schlei. Dann saht
sein Hob-I rasch darüber hin, undt
schaffte die Buckel in dünnen Streifen
weg.
»Dieses Leben isi nicht zum Wust-al
ten!« sagte die Morvaud und fügte
hinzu, es müsse ein Ende gemacht wer
den.
Philipp widersprach nicht, stimmte
»aber auch nrcksi bei. Er begann nachzu
denken. Die Morvaud setzte ihm die
Sache auseinander. Sie war ruhig·
und um gerecht zu erscheinen, insultirte
sie Nie-ianden. Sie räumte ein, weder
sie nocki die Andere war sehr sanfmii
thi·g. Sie batte nichts dagegen. Zuge
geben, auf beiden Seiten ist man im
Unrecht. Wenn man sich nicht mehr
vertrat-en kann, geht man eben am be
sten auseina nder.
»Nun, was sagst Du dazu, Phi
!ipp?«
»Dannerwetter.« sagte Philipp,
»lehr’ ilpr den Rücken !«
»Wenn si-: aber zu mir spricht Z«
»Gieb leine Antwort!«
»Damit sie mich Gans schimpft!«
»Dann gieb es ihr zurückt« sagte
Philipp. »Wenn Du einer langen
Stanae alte Lumpen anzögest und die
Vogelfchmckie in der Nacht vor ihrem
Fenster aufstelltest, würde die Gagnard
sich am Morgen gehörig ärgern. Man
kann es wenigstens versuchen.
»Du thust mir leid!« sagte die Mor
band.
»Dannerwetter!« sagte Philipp.
Der Fall interessirte ihn. Gern hätte
er einen anderm Rath gegeben, aber er
hatte keinen. Er nahm seine Pfeife
stopfte sie. unsd da er inmitten seiner
Hobelspähne vor Feuerngahr Angst
hatte. begann er ernsthaft und ruhia
talt zu tauchen. Von Zeit zu Zeit schob
er die Pfeife in den andern Mundwin
tel oder nahm sie ganz heraus, spuckte
auf den Boden, trocknete sich die Lippen
und schien im Begriff, etwas zu sagen.
Es war ein falscher Alarm. Einmal
nahm er seine Brille von der Nase, legte
sre feierlich zusammen und deponirte si
in einer sauberen Ecke der Hobelbanl
Man bäitte geschworem er sei zu einem
Entschluß gekommen. Die Marvand
warteie. Aber Philipp wartete eben
salls.
»Weißt Du was," sagte endlich die
Frau des Schreitens-, »ich habe eine
Jdee.«
Sie hoffte, daß Philipp antworten
würdet »Welche?'« Philipp schwieg.
»Und ich lkabe nur Deinen Rath ver
langt um Dir zu zeigen, daß Du noch
dummer bist als ich.«
Philipp· dachte nicht daran, seinen
Hammer zu ergreifen oder überhaupt
eine nach Revolte schmeckende Bewe
gung zu machen. Er hatte schon andcre
Dinge angehört und kannte sdie Frauen,
seine eigene nicht ausgenommen Di
Morrartd aab es auf, feine Effekte ber
auszullügeln, sondern befahl einfache
»Du gehst zu Gagnard und verstän
digst Dich mit ihm, eine Mauer zu
bauen, die den Hof in zwei Hälften
theilt, boch genug, daß ich die Pers In
nicht mehr Zu sehen brauch’, aber nicht
zu hoch, so daß ich den Hahn auf dem
Kirchtbum sehen kann, denn ich hör
besser das Messeläuten, wenn ich den
Hahn betrachte.«
l »Das wird theuer sein," sagte Phi
ipp.
»Gagnard muß die hälfte bezahlen
Er hat so viel Nutzen davon wie wir.
Jeder Hat dann feinen eigenen Hof."
»Die Sache gefällt mir nicht sehr,«
gigte Philipp. »Gagnarsd ist ein guter
erl."
»Und mir gefällt die Sache seh-r gut,«
; erwiderte die Morde-nd »Und dann,
toor allen Dingen gehst Du mir von
» heute an Deinem Gagnard aus dem
Wege-«
»Er bat mir nichts gethan.«
»Es schickt sich nicht, dasz die Männer
gut Freund bleiben, wenn es die
Frauen nicht mehr sind. «
»Drine Feindschaft wird nicht lange
dauern.«
»Nun hör’ aber auf, Philipp. Wenn
Du das noch einmal sagst, werde ich
ernstlich böse. Wahrhaftig ich wollte
lieber mit unserem Schwein gut Freund
sein, mit unserm Schwein«
»Ja. was soll ich da zu Gagnard sa
gen?
»Saq itskn, Du wolltest nichts mehr
mit einem Dreiliiseboch zu thun haben,
dessen Beine aufhören, wo bei anderen
Leuten die Knie sitzen.«
»Na, na,« meinte Philipp.
»Jawohl, sechs Zoll lange Watschel
beinex hast Du etwas dagegen?«
Sie reckte sich auf, gar Schlacht o-·»
reit, und die Hobelspalme uni sie her
zitterten und bebten Philipp feste sei
ue stille wieder auf und besichtigte das
Brett, ob noch Umbenheiten da seien
Willst Du nicht still sei-M sagte er
mehr tragend als drohend
Unbill, wenn ich will!«
t, dann rede weiten« ·
Seit er die Jahre der Vernunft er
reichtbatte, warernichtmehriusorn
gerathem unid die Jahre der Vernunft
hatte er bereits vor seiner Heirath er
reicht. Die siegreiche Frau fiillte ilrre
Schürze mir Hobelspähnem was sie nie
unterließ, wenn sie die Werkstatt ihres
Gatten betrat. Am Abend leuchtet und
wärmt ihre Flamme zu gleicher Zeit.
Dann ging sie davon.
4.
Die Unterhandlungen zogen sich in
die Länge, denn Theodule Gagnnrd
war ztzsar kein böser Mensch, aber er
hatte die Angewohnheit zu sagen: »Das
kommt darauf an.« Jn Folge dessen
war es schwieriger-, den Plan für die
Mauer feitzustellem als sie zu-.banen.
Zu Anfana schlug Philipp eine »so nie
idrige Mauer vor, daß eine Ente hätte
darüberspringen können, unsd jener
jBacksiein mehr schien ihnen unter
JSchmerzen aus dem Leibe gezogen zu
; werden.
; »Mir-lieu Toir die Mauer einen Meter
hoch und damit gut,« sagte Theodulr.
»Dann geben sie sich Ohrfeigen dar
iiber hinweg,« sagte Philipp.
»Dann noch eine Backsteinlage,« ent
schied Theodulr.
»Sollen svir Mörtel nehmen?«
»Mir scheint, man könnte einfach eine
trockene Mauer hinstellen.«
»Unsere Weiber schmeißen sie mit den
Schuttern zufammen«, sagte Philipp·
Theodule ließ den Kopf sinken und
sagte etwas lauernd:
»Deine Frau hat die Jdee gehabt
Mir scheins, Du könntest die Geschichte
bezahlen.« ·
»An-r Freund,« erwiderte Philipp
und machte eine Handhewegung zuerst
als fegc er etwas, vielleicht die Mauer,
von dcr Erde weg, und dann, als werfe
er ein-its Anderes gen Himmel. Dies
bedeutete ohne Zweifel: »Wenn das der
Fall rit, dann möge meine Frau die
Deine nach Luft rölten und in kleine
Stück-nen- rcißen.« Theodule war nicht
eigenf··nnig nnd verlanget nur, daß ein
Papier unter-zeichnet würde· Natürlich
würden sie die Mauer selbst bauen. Das
war billiger und die Mauer würde je
denfalls schöner. Jeder gab dem An
dern nach, und das stimmte sie weich.
Sie waren untröstlich darüber, daß
ihre Reundschast bedroht war, denn
auch die Gagnard hatte zu ihrem Theo
dule ·c»isagt:
»Dir wirft mir den Gefallen thun,
auf der Stelle Streit mit ihrem Mann
anzufa:iger., nicht wahr-?a
»Das ist ein Unglück!« sagte Philipp.
Beil-e wollten nichts von einem Ende
ihrer Freundschaft wissen. Beide saßen
im Geneinderath und stimmten stets
miteirsander, und obgleich der Eine
groß nnd der Andere klein war, schätz
ten sie einander gleich hoch. Sie verab
redeten. sich böse zu stellen und sich
heimlich zu treffen. Der Eine wiirde
ein wenig mit dem Kopf nicken, der An
dere wurde dies Zeichen verstehen, und
dann würden sie sich beide im Hinter
zimmer des Wirthshauses treffen.
Dieser Ausweg tröstete sie, uan Beide
riefen.
»Ac- die Arbeit!"
Bei der Arbeit halfen die Frau-n
tapfer mit. Sie präsidirten bei der Auf
zeichnung der Baulinie und machten sich
späte: nützlich. Die Morvaud reichte
ihrem Gatten eine volle stelle und sagte:
»Da, Lipp!«
Und die Gagnard brachte einen Back
iiein und sagte:
»Hier-, Dule!«
Sie redeten voller Liebe zu ihr-n
Männern, um sich gegenseitig zu zeigen-.
wie gut ihr häusliches Leben war, und
heimlich dachte eine Jede:
»Da siehst Du es, wie glücklich mein
Mann mit mir ist, und das beweist,
dafz von urisr Beiden Du die unt-erträg
liche Person und die Schuld an tun
Streit bist'
Auf-,erdem gaben sie dem Bedürfnis
nach, sich an eine andere Person anzu
schlieizein wie dies die Regel ist, wenn
man einen Freund aufgiebi. Ueber die
sen Liebtosnngen hatten Mowaud und
Gagnard nicht die Kraft, die Frauen
wegznjager, unsd waren so verwirrt
daß sie togar die Kosten des Märtle
ver-gaben
5
» Sie arbikieten drei Tage lang. Als
H am driiten Tage Alles beendet und ein
.Velohi-ung verdient war, gab Willst-n
«Morvaud das verabredete Zeichms
Theodule Ekagnatd zwinlertemit dem
Auge. und tsimi schlich sich Einer nach
dem Andern fort. Sobald sie weg wa
ren, weilten die beiden Feindinnen Be
sitz von der Mauer ergreifen. Die Mor
vaud stellte eine Hühnetleiter daran
um ein-: kleine Relognoszitnng vor-u
nehmen, und im nämlichen Augenblick
wo ihr Kopf übe-e der Mauer erschien
zeigten sich die Haare der Gage-card auf
der anderen Seite. Dies war ihnen un
angenehm, aber trosdem verhatkzenz
Beide in ihrer Stellung denn sie wa
ren davon Eil-erzeugt, dazu das Recht m
haben Philipp und Theodnle hatten
die Mauer oben hübsch glatt und eben
gemacht. und dies brachte Frau Mor
vaud auf die Idee, da oben ihre Blas
rnentörfe auszustellen, uin in Zukunft
statt der unangenehmen Gestalt ihrer
Nachbarin Rosen und Reiten vor sich zu
haben. Die-s war eine gute Jdee und
gesiel der Gagnard so sehr, daß sie als
bald las Beispiel ihrer Nachbarin nach
ahmtc und ebenfalls ihre Blumen her
beibrachte.
Ohne ein Wort zu sagen, fingen die
beiden Frauen an, Jede an einem an
deren Ende der Mauer, ihre Töpfe ani
zustellen, und rückten so einander im
mer näher. Plöhlich entwich ein Topf
aus den Händen der Morvaud und roll
te aus die Gagnarg zu, die ihn zur rech
ten Zkik auffangen konnte.
»Danie!« sagte Frau Morvaud.
Bitt-sk« erwiderte Frau Gagnard
Das- war trocken, aber höflich. Sie
konnten natürlich ihre Blumen nicht
alle a-- demielben Platze aufsiellen, s on
dern mußten einander näher und näher
kommen. Schweigend arbeiteten die
beider Frauen, als zwei hohe Maßliebz
litausxchen sich begegneten und ihre trüb
schen deichen zusainmensteckten. was
nicht ohne einen Schauer von Blüthen
bliittchcn abging. Schnell wurden sie
getrennt und Eine machte der Anderen
Platz.
»Nein, nein," sagte Frau Gagnard.
»Ist-ch, s:ellen Sie Ihren Ton da
hin,« erwiderte Frau Morwaud, denn
ihr hatte dii Feindin den letzten Gesal
len gethan und sie mußte sich revanchi
ren. Die Wagnan gab nach, rächte sah
aber einen Augenblick später.
»Was,« sagte sie in mürrischem To
ne,« Sie verstecken Jhre arme Reseda
hinter meinen großenDahlia und glau
ben, die Sonne könne dort dazu tax-i
men. Der Stock muß dort ver-derben
»Er sieht gut vons
,,Acl; was, Sie verstehen nichts da
von.«·
Und mit gewaltthätigen Händen er
griff sie die arme lleine Reseda nnd
stellte den Topf allein für sich auf einen
schönen sonnigen Platz Das war ein
Signal. Eine überließ der Andern die
besten Plätze und es schien, als ob alle
Töpfe der Einen nach der Seite der An
dern auswanderten Und das ging so
lange fort, bis Frau Gagnard mit
feuchten Augen und etwas gedruckter
Stimme sagte:
»Was-ist man doch so dumm manch
mal!«
Und Frau Morvaud antworteten-U
nicht alles aus den Frauen sihen su
lasset-:
»Unsere Männer sind diimmer als
wir. Die haben die Mauer gebaut,
nicht wirt« »
»Und wrnn man jetzt mit einander
plaudern will, muß man den Umweg
da herum machen,« sagte Frau Gag
nard, und obgleich »da unten« eine
Thür lautr- drei Schritte von ihnen
war, zeigte sie mit ausgestrecktem Arm
aus sen fernen Horizont
»Als ob das für immer unsd ewig
wäre,« fing die Morwaud wieder an,
»man zanlt sich, weil man sich gern hat
zur Abwechslung zur Unterhaltung
Weshaib sind wir uns eigentlich böse
geworden? Wissen Sie es? Jch weiß es
wahrhaftig nicht. Nein, meine Freun
din, das geht über meinen Horizonts
am set-ten Sonntag war hier keine
Mauer, und jeht ist eine da, eine hohe
Mauer, zwischen uns Beides-U
»Ein schön-e Mauer, meiner Treu,«
erwiderte Frau Gagnard, »ich könnte
so ein Männchen mit dem Fuß umsto
ßen!«
«Mein Schah,'« sagte Frau Mor
vaud ohne Weiteres und breitete ihre
Arme aus, »geben Sie mir einen Kuh,
und dann holen wir unsere Blumen
wieder herunter: Ich habe eine Jde2!«
Noch- einek Das- war die dritte, die
iriinende Jdeel
W
J
6.
i Philipp und Theodule kommen vom
Wirihshaus zurück. Sie hatten ge
nug getrunken, um ihre Ueber-einkauft
zu vergessen und Arm in Arm zu gehen.
an dcc Gefahr hin, ihre Frauen zu cr
zuknm
»Ich denke nach,'« Philipp. »Viel
l leicht lassen sie uns jetzt in Ruhe.«
»Das kommt darauf an,« antwortete
The-wille
,,A!ik was-W fragte Philipp beantw
higt.
, ,,O, das kommt darauf an,« wieder
zholte Jsheobule und wiegie fein zwei
ifelndes haupi hin und her. »Wenn
Ewir uns jetzt trennten?«
»Wir haben Zeii,« sagte Philipp
«(.7-I ist kein Mond und kein Stern am
Himmel. Sie können uns nicht sehen.«
Die Dunkelheit und der UmstanDH
daß st: beide zusammen, die Frauen »
aber anderswo waren. machten ihnen
WI
,,Dar-:mk karmst Du Dich verlasserg,«
sagte Philipp, »wer-a mich meine Aste
Eärgerh so werde ich sie schon zurecht
idrechseln.«
»Siill!« sliisterte Theodule, und bei
de bild. en sich plötlich nnd schlichen
dann wie Jagdbunde auf einer Fähre
leiie und behutsam vorwärts
»Was machen sie denn eigentlich?«
fragte Philipp.
»Das kommt darauf an,« erwidertei
fein Genosse, und Beide blieben stehen»
und schaut n dem Treiben ihrer Frau
en zu. Träumten fie? War es ein
Gaulelspiel der nächtlichen Dunkelheit
oder die Wirkung des Weins, den sie
getrunlen l;ntten? Gebiickt standen Te
bewegungssos und tauschten anzusam
menbängensde Bemerkungen aus.
»Das ist ein Frauenzimmer!«
»Da hört doch Alles auf!«»
»So eine Geschichte!«
Aber anstatt sich auszurichten und
drohend ·au5 der Finsierniß aufzutau
chen, wie zwei tüchtige Ebemönner Ins
Zwei Ebeweiber, die Priiael verdienen,
setzten sie sich auf den Boden, iibernJM
tigt vor Erstaunen.
Vor ihnen, ganz in der Nähe, stan
den die Mcrvaud und die Gagnard,
die Eine mit einer Spitzbacke, die An
dere nsit einem Brecheisen, keuchend
wenn ein Stein zu feft saß oder wenn
ein Brocken Mörtel ibnen in’ö Gesicht
spritzir. zuweilen Nase an Nase und
immer Herz an Herz, voller Eifer, und
rissen heim Schein einer kleinen La
terne die Mauer ein.
« .- » ....
Anf dem Lande.
» "Uovellette von Guy de Maupassant.
Am Abhange eines Hügels in der
Nähe eines kleinen Badeortes standen
dicht neben einander zwei Hütten, de
ren Besiher in harter Arbeit den un
fruchtbaren Boden beackerten, um ihre
Kleinen zu ernähren. Jede Familie
hatte vier Kinder. Vor den beidsn
Thüren krabbelte der kleine Hauer
vom Moran bis zum Abend· Die bei
den ältesten waren sechs Jahre und die
beiden tleirtsten ungefähr fünfzehnMo
nate.
D(.s erste Häuschen, das vor Der
Station de. Bäder von Rolleport lag,
wurde von der Familie Tuvache be
wohnt, die drei Mädchen und einen
Jungen hatte; das andere beherbergt
die Vallins, die ein Mädchen und drei
Jungen hatten.
All das fristete sein Dasein von
Suppen," Erdäpseln und der freien
Luft. Um sieben Uhr Morgens, dann
Mittags- und des Abends, versam
melte die Familie ihre Kleinen, um sie
abrufiirterin ungefähr, wie Gänsehir
ten ihre Thiere zusammentreibenf
Die Kinder wurden der Reihe nach vor
den lactirten Holztisch gesetzt, der ieit
fünfzig Jahren im Gebrauch war
Das kleine Schmutzfintchen reimte
kaum mit dem Munde an den Tisch.
Man stellte vor sie eine große Schüssel,
in der man Brot mit Wasser aufers
weichi hatte unsd worin sich Kohl mit
Zwielseln gekocht befand. Die gam
Gesellschaft asz, bis der Hunger ne
stillt «onr. Die Mutter sütierte selbft
das Kleinste. Ein wenig Fleisch isn
Topf war des Sonntags ein Fest für
Alle, und der Vater, der sich an die
isem Tage länger der Ruhe hinan-»
Ewiederholte oft: »Ich möchte es wohl
alle Taae so haben.«
An einem Nachmittage im August
hielt einmal ein leichtes Gefährt vor
den beiden Hütten, und eine junge
Dame, welche selbst tutschirte, sagte
zu dem Herrn,der an ihrer Seite saß:
»O, sieh’ :nal,Heinrich, diesenHaufen
von Kindern, wie reizen-d spielen sie im
Sande heruml«
Der Mann antwortete nichts, denn
er war an diese Art Begrifterung ne
wiihnt, die einen Schmerz und fast ei
nen Vorwurf fiir ihn ausdrückte
Die Zunge Frau fuhr fort: »Ich
möchte tie nnarmen!« Ach, wenn ich
doch eins haben könnte, das da, das al
lerklernite!«
Unt. damit sprang sie vom Wagen-.
lief zu den Kindern, nahm eins der
jüngsten, dasvon Tuvaches, umarmte es
und tut-te es so leidenschaftlich aus die
schmutzian Backen, aus die blonden
Haare. die von der Erde unordentlich
und feucht geworden waren, und auf:
die Händchem daß es sich sträubte vor
diesen ungewohnte-i und übertriebenen
Liebloiungen
; Daan stieg sie wieder in den Wagen
kund fuhr davon. Aber sie kam schon
tin der folgenden Woche wieder, fette
ifich mit zur Erde, nahm das Schmutz
sintchen in die Arme, stopfte es mit
Kuchen, gab den anderm Bmäons und
spielte mit« ihnen wie ein Straßen
iunae, während ihr Mann geduldig in
feinem kleinen Wagen wartete.
Ihr Name war Frau Dem-h von
Ohr-bietet
Eines Tor-ex als sie wieder aekom
men war, stieg ihr Mann mit ihr sa
ammen vom Wagen herunter, nnd
hne sich bei den Bälgern die sie jetzt
schon tanrtem aufzuhalten, traten
beide in die Wohnung der Landieuke
em.
Diese wandten sichganz verwundert
um, gaben den Gästen Stühle und
warteten dann auf ihr Begehren.
Schiießlich begann die junge Frau
mit stockender, zitternder Stimme:
»L:-:k«e.Leute, ich komme, um euch zu
spsechem weil ich —- ich möchte — ja,
ich möchte euren tleinenJungen — ich
möchte ihn mit mir nehmen«
Die-Bauern, die ganz verdutzt waren
und nicht verstanden, antworteten da
rauf nichts.
Sie schöpfte Athem und fuhr fort
»Wir haben keine Kinder, wir sind
allein. mein Mann und ich — wir wer
den ibn pflegen —- wollt ihr?«
Die Bäuerin begann zu begreifen-.
;Sie sagte:
»Sie-wollen uns unsern Charlot
nehmen? Daraus wird nichts!«
Herr von Hubieres unterbrach:
»Meine Frau hat sich schlecht ausge
drückt. Wir wollen ihn adoptiren,
aber er wird euch besuchen. Sollten
wir doch noch Kinder bekommen-, wird
er gleichmäßig mit ihnen theilen.
Sollte er indessen nicht unsern Wün
schen sntivrechen, werden wir ihm,
wenn Or mündig ist, die Summe oou
zwanzigtausend Franken geben« die
sofort bei unserem Notar deponirt wer- ,
den soll. Unid da man auch an euch ge
dacht bat, wird man euch bis zu euren
Tode eine Renie von hundert Franken
monatlich aussetzen. Habt ihr wohl
verstanden?«
Die Frau hatte sich ganz wüthend er
-hoben.
»Was-r Jch soll kaen venCvarZoi
verkaufen? Nein! Das ist ia nett: so
etwas einer Mutter anzubieten, ach
nein! Das- wäre ja eine Niederträch
tigtert.««
Der Mann sagte nichts, er war ernst
und nachdenklich, stimmte aber seiner
Frau mit einer kräftigen Kot-share
gung.;:1.
Frau von Hubieres war sehr betrof
fen und sing an zu weinen und sich an
ihr-en Mann wendend, stammelte sie:
»Sie wollen nicht, Heinrich, sie wol
len nicht«
Daraus machten sie einen lentenVers
such
»Avcr liebe Freunde, denkt doch nn
die Zukunft eures Kindes, an sein
Glück, an —«
Dis Bäuerin schnitt ihnen empört
das Mart ad:
»Um-B ist gesehen, alles gehört, alles
iiberlegt —- Gehen Sie, psui!«
Beim Herausgehen bemerkte Frau v
Hubieres, daß zwei ganz kleine Kinder
da waren. und sie fragte unter Thra
nen mit der Hartniickigteit eines eigen
sinnigen und verzogenen Kindes, das
niemals warten mag:
»Aber das andere Klein-e gehört doch-.
nicht ruch?«
Der Vater Tuvache antwortete:
»Nein, das gehört den Nachbarn.«
Und er aing in sein Haus zurück, wo
man die Stimme seiner empörtenFran
immer noch hörte.
Dis.l Vallins saßen gerade bei Tisch
nnd ais-en gemächlich, währen-d Je
Stücke von Brot in einer Schüsset rie
ben, die zwischen ihnen stand.
Herr von Hubieres begann wieder
mit teinsen Vorschlägen, aber unter
schmeichelhaster Einleitung, mit Vor
sicht und List.
Die beiden Landleute schüttelten den
Kopf zum Zeichen ihrer Abweisung,
als sie aber hörten, daß sie hundert
Franken monatlich erhalten sollten,
überlegten sie, fragten sich mit den Au
gen und waren unschliissig.
Lange schwiegen- sie unter Qualen
und Zweifeln.
»H-. Mann, was sagst Du dazu?«
Er meinte in feierlichem Ton:
»Ich sage, daß das verächtlich ist."
Frau von Hubieres, die vor Anaft
zitterte-, sprach daraus von der Zutunit
des Kindes, von seinem Glück, von all
dem Gelde, das es ihnen später geben
xtönntr.
Der Bauer fragte:
»Mitt) die Rente von zwölfhundert
Franken bei ’nem Notar versprochen?«
Herr von Hubieres antwortete:
»Aber gewiß, schon morgen-"
Jetzt nahm die Frau, die die Sache
überlegte, wieder das Wort:
»Hundert Franken monatlich, das
ist nicht genug, um uns unsern Klei
nen zu rauben-. Jn einigen Jahren
wird das Kind schon arbeiten. Hun
dertundzwanzig Franken müssen wir
schon habest«
Frau von Hubieres, welche vor tits
geduld fiebrrte, bewilligte sie sofort,
nnd als sie das Kind aufhob, gab sie
ihr hundert Franken zum Geschenk,
wahrend idr Mann etwas Schristli
che- aussetztr. Der Bürgermeister und
ein Nachbar-. die sosort gerufen wurden.
dienten gern als - . «
Die junge Frau trug glücksteahlend