Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, September 04, 1896, Sonntags-Blatt., Image 14

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    Komödie
Von F. v. KaofisEssenthcr.
»Ach, ach, ich tann nicht weiter,« rief
die junge Frau und mit einem innen,
schmerzhaften Ausschluchzen fiel sie in
einen Stuhl und drückte die Hand«aus’s
Herz. Dies war der vorläufige Ab
schluß einer leidenschaftlichen Szene,
die sie ihrem Mann gemacht hatte, weil
er zu ihrem Auftreten in einer Wohl
thätigkeits-Vorstellung seine Zustim
mung versagte.
»Komiidie,« sagte er finster und
blickte zürnend nach der jungen Frau
mit dem pitanten Gesichtchem der-c rei
zend wirren Haar, den dunklen, glän
zenden Augen. Sie stieß einen kleinen,
schrillen, sehr essettvollen Schrei der
Entrüstung aus.
»Wieder Komödie,« schrie er. »Du
kannst es nicht verlernen. -
Denn vom Theater weg hatte er sie
geheirathet. Eigentlich hatte er, das
Kind einer philiströsen Familie, Miß
"trauen gehegt gegen die Damen vom
Theater-. Aber era war so reizend,
so anständig, so über allen Zweifel er
haben! Eine wirkliche Mama, keine
»Theotermutter«, wich ihr nicht von
der Seite. Wie gesagt, er nahm sie
vom Fleck weg, beinahe stolz auf seinen
Muth.
»Zwar«, pflegte er zu s agen, ,,grund
sätzlich habe ich mich von den Theater
prinzessinnen fern gehalten, aber meine
rma!« u. s. w. u. s. w. Jetzt aber
rummte er:
»Weißt Du, in dem Moser’schen
Lustspiel —- Teufel, wie heißt es doch
— da sielst Du gerade so in den Stuhl,
da schriest Du genau so aus«
»Dummes Zeug,« ries sie, ihre Thra
nen trocknend »Das war doch nur
Komödie«
»Als-) ist es heute auch nur Komö
»die«, schrie er noch gereizter, »mach« ein
Ende damit. Ich will nicht und Du
siigst Dich, weil ich Dein Mann bin,
weil es diesmal Ernst ist.«
»Du bist ein Tyrann.«
»Aus welcher Komödie Eit- das?
Doch, wie kann ich fragen? Das steht
in unzähligen Rollen, die Du gespielt
hast.« « f
· »Nur, daß es mir diesmal Ernst ist«
Ein wenig getroffen, suchte er sich zu
mäßigen.
p-: L--c -1.-.--( h---:2.-IAZ- Mem-«
t
«OII VII-L, LIIIIILUI Ubssluibsslv, odiisesp
Gerade weil ich Dich liebe, will ich
Dich gar nicht mehr aus der Biibne
sehen. Jmmersvrt erinnerst Du mich
an das verhaßre Theater, und ich will
Dich doch sür mich allein haben! Du
spielst nämlich immerfort Komödie;
täglich und stündlich irgend ein Bruch- .
jück aus Deinen Rolleni Keine ver-.
nünstige Frau beträgt sich so wie Du.
Die Gardinenpredigt, die Dn mir
hältst, wenn ich einmal etwas später
nach Hause komme, die ist so Zugcspitzz
daß die Leute applaudiren mikßtem
wenn nur welche da wären. Ja, sogar
wie Du Dich freuest, sieht es nach Thea
ter aus. Sowie Du- dich binsetzest, ja
wie Du nur »Herein« sagst, wenn Ie- E
mand klopft, immer wie aus der Büh
ne! Und so gebt es fort! « Und speziell
mit mir, mit mir spielst Du Komödie!
Wenn Du mich tüssest, so ist es immer
so, als ob Jemand zusehe, ob Du es
auch hübsch machst; glaubst Du, das ist
ein Vergnügen sür mich? Neulicb, als
ich über das harte Fleisch schimpft-k. da
bist Du vhnmiichtig geworden! Aber so
nach allen Regeln der Kunst, so male
risch! Na, Du spielst eben in ver Ehe
Komödie, dieselbe Komödie, die ich Dir
aus den Brettern verboten habe, und
darum hasse und verabscheue ich diese
«weltbedeutenden Bretter« und darum
wünsche ich nicht, daß Du sie noch ein
mal detrittst, und darum verbiete ich
Dir, bei dieser sogenannten Wohlthä
tigkeits-Vorstellung mitzuwirken«
Donnernd stand er vor der kleinen
Frau mit dem «zcrzoddelten" Kopfe,
die jetzt mit riesengroßen Augen aus
schaute.
»Das bischen Komödie!« stammelte
sie, »es war gewiß nicht böse gemeint.
Und ich weiß eigentlich nichts davon.
Aber wenn Du durchaus nicht willst, so
werde ich nicht mitspielen im »Bei-be
pseil«.
Und während sie das sagte, ganz
fromm und resignirt,rannen zwei große
glänzende Thränen über ihre blassen
zarten Wangen, denn zart und blaß
war sie überhaupt. Er sah es und
fkhlte sich ergriffen· Diese beiden Thra
nen waren keine Komödie, sonst hätte
sie, Jema, ihr seines Spitzentuch gezo
geerti nnd die Thriinen esseitvoll getrock
n .
Das that sie nicht, obgleich es am
Ende gar nicht überflüssig gewesen
wäre. Nein, nein, da konnte von Ko
mödie gar keine Rede sein, das arme
Kind weinte unbewußt, weil sie nicht
Iritspiflen durfte. Und nun erschien er
sich selbst als Tyrann.
»Mein Gott«, · er mit einem leich
» M Miser- emem fett. vexfsch Ort
:. M sühn- seh-M t hatt-. »so
istete nun doch « e, einzise Malt
Aber es dars nicht wieder vorkommen
Nur unter dieser Bedingung ertheile ich
meine Zustimmung!«
Sie glaubte, ihren Ohren nicht
trauen zu dürfen, guckte ihm in die Au
gen, fand darin das ersehnte »Ja« und.
sprang ihm jauchzend an die Brust.
Auch das war keine Komödie, sie
jauchzte wirklich. Es that ihm leid,
denn er liebte sie ehrlich, er litt schwer
unter all« den Bühnenreminiszenzem
aber dies eine —- eine Mal mußte er
seine Zustimmung geben« Sonst wäre
er in der That ein »Thrann« gewesen.
Und wie viel kleine und große Srcnen
hätte er verursacht, welche in anwider
ten und das Band zwischen ihnen im
mer mehr lockerten. Das durfte nisht
sein. Mochtses dies eine Mal hin
geben«
Sie kam von der ersten Probe zurück.
Nur drei davon waren angesetzt und die
erste hatte darum lange gedauert, lange
bis nach der in era’s Hause festge
setzten Tischzeit. Sie glühte oor Freu
de, bat rührend um Verzeihung, Ußte
inbrünstig ihren Mann und aß mit un
aeheurem Hunger. Sonst hatte sie zu
seinem Aerger meist nur gegessen i- ie
aus dem Theater. A s nur Komödie,
sogar das Essen! Stillschweigend iah
er ihr zu. Jn diesem Augenblicke war
sie ganz Natur, dachte nicht an das Ro
miidiespielen, denn sie freute sich wirt
lich, sie wollte wirklich ihren Mann ver
söhnen. und wirklich, sie hatte Hunger
und aß, wie man wohl nach dem Thea
ter, aber auf dem Theater niemals ißt.
An diesem Tage, da sie bis haib 4 Uhr
gespielt hatte, kam es ihr nicht in den
Sinn, zunhause noch Komödie zu spie
len. Aus den drei Proben wurden fiinf
und eine Woche lang lebte era. nur
fiir das Mater Sie gab sich zu Hause
jedoch, wie sie war, erfreut oder geär
gert, müde oder hungrig wie sie war.
Ja, bei Tische nahm sie sogar Hühner
fliigel und Hammelrippchen in die
Hand, um daran zu nagen. Vorher
hatte sie das nie gethan. »Weil man
es auf-der Bühne nicht thut", wie ihr
Gotte behauptete
Sie küßte herzlich und natürlich,
weil sie ja während der mehrstiindigen
Probezeit ihren Mann entbehrt hatte
Sie hielt ihm auch keine Gardinenpre
digt, wenn er spät nach Hause lam,
denn auch sie kam spät nach Hause,
wenn auch nur zur Tischzeit. Genug,
sie war wie ausgewechselt
Ermüdei und innerlich in Ansvruch
genommen von den langen Proben,
dachte sie zu Hause nicht mehr ums
Theater und gab sich mit einer Rom-ha
lance, mit einer einfachen Ungebunden
heit, die er nur — in ibrer Brautzeit an
ihr bewundert hatte. Nachher hatte die
Komödie wieder begonnen.
Cis-Cis senkt-Ists 60 III-I- IIOUO NIHEPT
uspres ""-·--- «·- »s-- -———s- »
woche. Denn in ihrer freien Zeit Liber
schüttete sie ihren Mann mit Zärtlich
keit und freute sich ehrlich, ihn siir sich
zu haben. Er gewahrte dies alles mit
mildem, melancholischem Lächeln und
sagte tein Wort. Man sah jedoch, daß
er sich etwas dachte. Nur era sah
nichts davon. Sie war erfüllt non ih
rer Rolle und dem Erfolg, den sie haben
würde. .
Und wirklich — der Erfolg fiel iiber
alle-s Ermatten glänzend aus. So
hatte ihn Keiner gedacht. Nicht nur
Beifallsstiirme, sondern jenes lächelnde
Behagen im Publikum, in dem langenti
behrten Publikum, was viel mehr werth
ist, als alles lärmende Klatschen
Schweigend, blaß, nachdenklich s aß
era’s Gotte im Hintergrunde einer
Loge. Nach Schluß der Vorstellung
soupirten sie zusammen mit den Kolle
gen und waren Alle sehr heiter.
»Sie spielt großartig Komödie!"
Darüber war man einig.
Zu Hause angekommen, fiel sie ihrem
Mann um den Hals; sie zerknüllte sein
Oherhemd, sie nieste dazwischen, denn
in dem offenen Wagen war ihr kalt ge
worden, sie ruinirte ihre Stirnlöckchen.
Genug, es war nichts weniger als thea
tralisch.
»Mein Geliebter", ries sie, weinend
und lachend zugleich, »der Direktor,
mein ehemaliger, weißt Du, hat mir ei
nen wunderbaren Antrag gemacht.
Wiederengagementl Natürlich, ich lehne
ab, denn ich will nur Dir gehören!«
Freilich, sent weinte sie mehr, als sie
lachte. Aber soweit der gute Wille
reichte, lachte sie noch immer ein bischen
dazwischen.
»Das wollen wir uns bedenken«,
sagte er ernst.
»Was giebt es da noch zu bedenke-i«,
ries ste, »natürlich, Du willst nicht. Und
ich lehne ab. Wolltest Du mich doch
nicht einmal aus »Wohlthiitigteit« mit
spielen lassen. Aber sei ruhig. Jch
will nicht mehr Komödie spielen, nie
mehrt«
Ruhig, gelassen erwiederte er ihre
ftiirmischen Küsse.
»Höre mich ruhig an, era«, und
wie ein Kind drückte er sie in einen Ses
sel nieder-, «wasDu mit versprichst, das
bist Du außer Stande zu halten«
»Wie solt« frag sie verwundert
Vielleicht ohne es zu wollen, hatte sie J
F —
wieder Komödie gespielt. Denn ihren
heroischen Entschluß hatte sie ibni mit
freudiger Emphase mitgetheilt und das
war nicht ehrlich, wenn auch gut ge
meint.
»Du mußt Komödie spielen«, fuhr er
mild und ernst fort. »Das liegt in
Deiner Natur. Und kannst Du es nicht
aus der Bühne, so thust Du es außer
halb derselben, d. h. in unserem Hause.
Hast Du Dich aber in dem Theater aus
getobt, dann bist Du zu Hause ein
Mensch wie andere, bist mein liebes
Weib. das seine Rolle hinter sich hat.
Jn dieser Leidenswoche habe ich Dich
beobachtet, mich und Dich strenge ge
prüst. Jch wähle das kleinere Uebel.
Spiele Du lieber aus der Bühne Komö
die, anstatt in meinem Hause-«
Wieder rannen zwei große glänzende
Thriinen über ihre Wangen. Auch
diesmal trocknete sie dieselben nicht ab.
Es war keine Komödie.
»Es ist nicht Dein Ernst, lieber
Mann! Du wolltest doch nie ———’und
wie könntest Du jegt2«
»Es ist doch mein voller Ernst«, be
harrte er. »Ich war in einem Jrrtliuim
den ich jetzt erkannt habe.« Du gelpörsi
nun eben der Komödie. Spielst Du sie
regelrecht aus der Bühne, so wirst Du
zu hause einfach und natürlich sein«
Wenn Du jetzt »entsagst", wie Du es
wolltest, wirst Du mir ohne Ende diese
Rolle in allen möglichen Varianten vor
spielen. Denn nur ich bin dann Dein
Publikum, und zwar ein undankbar-es
Du wirst Dich stets unbefriedigt fühlen
und neue Nüancen versuchen. Also
kehre-zum Theater zurück und spiele
nach Herzenslust Wenn ich dabei nicht
ganz glücklich werden sollte, so jeden
salls glücklicher als bisher."
»O, wie gut, wie groß, wie klug Du
bist«, ries sie überwältigt. »und —— das
Eine weiß ich sicher —- meine anbetende
Liebe zu Dir wird immer echt, wird nie
Komödie sein!«
»Das hosse auch ich«, und ihre Lip
pen fanden sich. Es war kein Theater
tuß!
—-———-——.O.o.—---————
An des Meeres Strand.
Eine Eommergeschtehtr.
Es war in den Nachmittags-stunden
eines sehr heißen Julitages, als fah die
Terrafse eines großen, eleganten
Strandhotels plötzlich mit Gästen an
füllte, so daß bald kein Stuhl mehr un
besetzt blieb, während noch kaum säus
zehn Minuten vorher nur hier und da
ein paar Personen iiber das Geländer
nach dem Sonnenlicht blitzenden Wel
lenspiel des »Surss« hinab gebiiekt
hatten.
Aber auch hier belebt sich das Land
zusehends, allerlei Gestalten in blauen
Flanellkostiimen kamen über den wei
ßen Sand getrippelt und wagten sich
zögernd in das rauschende Meerwasser,
vorsichtig die Taue ersassend. die iiir
ein badendes Publikum gezogen waren
Andere tamen die tleine Stranderhöd
ung herab gelaufen und stürzten sich keck
in Neptuns Arme, so daß die spitzen
den Wellen ihre Anianst durch lautes
Geplätfcher kundgaben und die Zu
schauer-, oben am Geländer, mit einer
kleinen Tusche beehrten, die sie wie ein
Stoßregen überschauertr.
»Daß Dich doch!'« muri-wär ein
elegant gekleideter Herr, indem ers-von
dem Zeitungsblatt, das ihm zur Un
terhaltung gedient, die Wassertropien
abschleuderte und sich bestrebte, seinen
Stuhl ein wenig zurück zu s chieben, mo
bei er erst bemerkte, mit welcher rapiden
Schnelligkeit sich der Hotelplatz ange
füllt hatte·
Auch an seinem Tisch, an welchem er
noch vorhin unbelästigt eine keine
Stärkung genossen, war eine ganze
Familie angelangt, deren Oberhaupt
bei einem ooriiberjagenden Kellner so
eben sechs Gläser Bier bestellte.
Mit raschem Blick taxirte er die neu
en Tischgenossem »Ein wohlkonservip
ter Vierziger, Contraktor Miller, wie
ich glaube, mit Frau und einer alten
Jungfer, die mir übrigens bekannt tor
kommt, zwei kleine Jungen und ein —
ja, die ist in der That verdammt hübsch
—- die reine »sweet-sixteen« —- merk
würdig, daß diese massiven deutschen
hat-später so hübsche Töchter« —
Er sah sich in seiner Betrachtung
unterbrochen, eine band legte sich von
hinten aus seine Schultern und eine hei
tere frische Stimme sagte: »Da bin ich,
Papa, mach’ Platz, willst Du?"
»Ah —- das Boot schon angelangt,
henrh!« ries der Andere, indem er
sich rasch umwendete und die Hand des
jungen Menschen schüttelte. »Ich hatte
ganz die Zeit vergessen, wußte nicht ein
mal, daß es schon so spät ist. Aber setz«
Dich doch — wie geht's sonst ?« «
»Geber« Das ist ja keine Möglich
keit, es ist hier so voll wie in einem« —
«Rehnten Sie meinen Stuhl, Mi
sier,« bat da aussprin end einer der
kleinen Knaben. »ich ehe dort den
Geer ich darf doch bin, Mutter-, ach
gewi —- hiet, fes-U Sie sich-« —
Damit brach er sich Bahn nach einem
F I
der entfernteren Tische, wo fein soeben«
fugelangter Freund bei seinen Clterni
a . -
»Dann bestens!« Vater und Sohn
machten eine grüßende Bewegung und ,
Letzterer nahm den angebotenen Stuht
in Beschlag. s
»Es ist hier wirllich nett,« bemerktei
er. »Deine Sommerfrische gefällt mir, s
Papa, Du hast Dir nichts Uebech aus- s
gewählt. Run, werde mir nur wieder
recht frisch und gesund.'« I
»So ein Aufenthalt ist manchmal
gut fiir’s Geschäft,« versetzte der An- I
dere, »man macht allerlei Bekanntschaf
ten, weißt Du. Aber sieh da —- wie
der der alte Kerl mit seinem Leieria
sten, ich wollte, ich lönnt’ ihn im Meere
ersäufen den hund!«
»F was —- Papa —- Du bist ebenl
noch etwas nerdös, schön tlingt’s frei
lich nicht, aber der arme alte Mann ist
auf sein Geschäft angewiesen, gerade
wie wir auf das unsere. Sieh, du un
ten hockt er im Sand, gerade so misera
bel, wie sein verstimmter Leierlasten—0
wie selten, dasz ihm ein paar Cents zu
flie en —- ein trauriges Loos, wahr
haf ig!'« . ;
Da hatte der mitleidi e junge Mann,i
der so glücklich und hosiinungsreich in’
die Welt schaute, wohl recht« denn wenn «
man den armen Handorgler da unten,
am iandigen Ufer, nach seinem Schick-E
sal gefragt hätte, so wäre wohl eine
traurige Geschichte an’s Tageslicht ge- «
kommen. Aber es fragte ihn Niemand,i
s ein hageres, faltenreiches Gesicht neigtek
sich tief über sein mißtönnendes Jn
strument, seine abgezehrte Hand, diei
den Griff drehte, zitterte und mit sei
nem spärlichen weißen Haar spielte der «
Wind. Jn seinen matten, lebensmiiden -
Augen aber, die er auf denjenigen rich
tete, der barmherzig genug wa, ihn mit
einer milden Gabe zu bedenken. stand
der letzte Abschnitt seines verlorenen«
Lebens geschrieben:
»Da nichts, da mir gar nichts geblie-«
ben. !
I
Als der Gram — und mein alten-des
Haut-U
»Wir könnten ja eine kleine Collette.
für den Alten veranstalten,« bemerkte!
der behöbige deutsche Familienvatrr, Y
der selbstverständlich das Gespräch von;
Vater und Sohn vernommen hctttr.j
Dabei zog er seinen Beitrag, ein an- ;
sehnliches Silberstiicl, gleich hervor. !
»Ich stimme bei,« ries ersreut derI
junge Mann, indem er den gleichen Bei- I
trag spendete· Z
»Ach was« murmelte dessen Tatch
ich gebe kein Geld her zu Sausgelagrn,k
der alte Tramp versöust jeden Cent und -
man soll die Trunksucht nicht unter
stützen. Jch gebe nicht«
»Das ist nicht Dein Ernst, Pava,«s
versetzte ties erröthend der Sohn, Du«
bist nicht wohl und daher verstiisimti
Jch werden Deinen Beitrag einstw:ilcn
auslegen — hier.'« 7
»Ich gebe auch etwas,« sagte Mråx
Pintet, dieselbe Dame, welche vorlini
sür eine alte Jungfer und Verwandte
der Familie Miller gehalten worden,
war, was sie beides nicht war. Sie Ziff-s
nete ihr Täschchen und brachte einenz
Dollarschein an’s Tageslicht .,Cb.::it2);
über alles!" citirte sie ein weni. selbst
gesällig »Im Ganzen«« setzte ie nach
drücklich hinzu, »helse ich zwar lieber
armen Frauen, aber der da ist ein zu
altersschwacher Greis, um noch viel zuj
sündigen, dem gönne ich’s.« l
»Wer iriigt’s ihm aber hinunter?«s
fragte die Familienmutter, welche mit i
stillem Lächeln dem Beginnen zuge-;
schaut. s
»Ich, Ma —,«' bat der kleinere ihrers
beiden Söhne, sein händchen aus-stre
ckend, um das Geld in Empfang .-,u
nehmen«
»Du allein, Edel, ach nein, das dars
nicht sein.'«
»Ich gehe mit ihm,« sagte rasch ans
stehend, sein älteres, schönes Schwester
chen. »Adolph kann uns begleiten, sieh,
da tommt er schon von seinem Freunde
zurück."
»Und ich nehme das Kleeblati nnter
meinen Schutz, ich wandele hinter
drein,« beschloß, sich erhebend, der jun
ge Ameriianer, dessen hübsches Gesicht
vor Freude strahlte.
»Wenn wir nicht im Augenblick wie
der hier sind, so ängstigen Sie sich
nicht,« wendete er sich im Fortgehen an
die Zurückgebliebenem »wir mache-i
Vielleicht einen kleinen Abstecher und
sehen uns ein wenig um.«
Sie nickten ihm beistimmend zu.
»Ein vrächtiger Mensch!« bemerkte
Frau Miller.
»Ja wohl,« stimmte Mö. Pintet bei«
«'eine rühmliche Ausnahme seines Ge
schlechtes—Sie sind dasselbe auch, Me
Miller, aber sonst —"
Dabei blinzelte sie nach dem Hsrrn
hinüber, der sich wieder in seine Zei
tun vertiest hatte und weder zu sehen,
nochg zu hören schien, was um ihn her
vorging.
Die anderen Drei richteten jetzt ihre
Mze Aufmerksamkeit aus den alten
« rmann am Strand, bei welchem
nach wenigen Minuten richtig der kleine
Edek anlangte, um ihm das Geld Zu
l
»
überreichen. Seine Begleiter waren
ein paar Schritte zurück ebliebesi und
blickten lächelnd dem kleinen Almosen
spender nach. Der Alte schien in Aus
segung zu gerathen und nicht zu wissen,
was er von » derreichen Gabe denken
sollte, er schien eine Frage an das Kind
zu richten, woraus der junge Mann
näher trat und die Sache bestätigte,
was zu Folge hatte, daß si der Greis
herzlich bedankte, seine alte appe sogar
nach den aus der Terrasse Sihen«1en
schwenkte, sein Instrument aus tin
Rücken lud und von dannen ing.
»Das wäre abgemacht,« seigte Mrs.
Pintet zu Herrn und Frau Miller,
»aber," seste sie, einen tritisirenden
Blick aus die Badenden unten im Was
ser werfend, hinzu, »schickt sich das
auch, daß wir hier sitzen und uns die
sreche Gesellschaft da unten besehen?«
»Na, das ist doch nicht so schlimm,
Mrs Pinlet. sie haben ja alle was an,«
entgegnete Herr Miller, »und wenn sie
im Wasser sind, guckt überhaupt nicht
viel Sehenswerthes heraus-« -
»Nein seht doch!« rief er plötzlich,
seht blos die Woge, heh. —- das triibt
——na! na!«—Wupp dich! jetzt schläng
aus! Da haben wir’s, bis hier herauf
gesprist und wie die da unten im Was
ser herum lrabbeln, die reine Nabel
suppel Ein netter Anblick, ein schöner
Lärm —- seht nur das Frauenzimmer
dort, sie lann sich kaum halten, das
nasse Haar hängt ihr um’s Gesicht.
Na, da fängt Einer sie aus, wahrschein
lich ihr Mann. und fuhrwertt sie an den
Strand. Da steht si: im Sand, pudel
naß, das Zeug klebt ihr ordentlich am
Leibe, aber —- wahrhastig, ein schönes
Fauenzimmer, prächtig gewachsen, nicht
mager« —
»Schäm’ Dich was. Mann, wern’s
nun Jemand härt,« rannte ihm seine
Gattin unwillig zu, indem sie sich so
riicktr. daß sie ihm die Aussicht ver
sperrte.
»Ach was,« rief er lachend, »’s ist ja
nur mein Spaß, brauchst nicht eiser
siichtig zu sein« Du bist fiir mich die Al
lerschönste.«
,,":Icarren5ponen!" murmelte Its-.
Pintet, einen Blumenstrauß ergreifend,
der neben ihrem Schirm aus dem Tisch
lag und in welchen sie ihre spitze Nase
tief versenlte.
Eine ganze Weile saßen die Drei
nun schweigend bei einander. Der Zei
tungslesende Herr blickte nicht aus bis
er endlich ein Nagelscheerchen aus seiner
Westentasche nahm und einen ttcinen
Satz aus dem »Personal« schnitt, des
sen Jnhalt ihn sehr zu interessiren
schien. Nach einigen Minuten zog er
seine Uhr, blickte nach der Zeit, schleu
derte das Zeitungsblatt aus die Seite,
strich mit der hand über Haar,
Schnurrbart und Halsbinde und be
gann eine ausmertsame Musterung der
hin und her streisenden Pers orien.
Plötzlich schien er gesunden zu haben,
was er suchte. Eine Dame, die, wie es
schien, nach ihm hinüber blickte, stand
einige Fuß entfernt, im dichten Ilsen
schengetviihL Sie war aufsallend in
weiße Sommerstosse, mit bunten Bän
dern und Spitzen bis zum Ueber-maß
garnirt, gekleidet, hatte eine üppige,
mittelgroße Figur, ein roth und weißes
Gesicht, mit etwas ausgestiilpter Nase,
dicken Lippen und kleinen Augen u:.d
trug drei rothe Nelten an ihrem Busen.
Jhr röthlichblondes Haar, das ein stei
nes weißes Hütchen kaum bedeckte, zeigte
auch die Spuren eines Tuschbades,
denn obgleich zierlich aufgesteckt, ran
nen daraus doch noch Wassertriivschen
über den weißen Hals in den Ausschnitt
des Kleides. Der Herr, welcher sie eben
so dringend ansah. als sie ihn, sulxr in
die höhe, schaute an sich herab, als ob
er etwas suchte, und langte mit großer
Dreistigteit nach dem Blummstauß der
Mrs. Pintet, dem er mit der turzen
Bemerkung: »Erlauben Sie, Moto
me," eine rothe Nelte entnahm und
dieselbe an seinem Rockiiberschlag be
sesiigtr.
»Wollen Sie zum Pserderennen2«
fragte verständnißvoll die Betaut-te,
»nehmen Sie doch noch eine rathe Blu
me, viel hilst viel.«
Aber er lächelte nur und verabschie
dete sich mit einer stummen Verbeug
ung. Jm nächsten Moment schon hatte
er die Dame in Weiß erreicht und, ihrs-n
Arm traulich ersassend, steuerten Beide
dem Ausgang zu.
»Das war dasselbe Frauenzimmer.
welches vor einer tleinen Weile so stan
dalös im Surs gebadet hat!« schrie
Mrs. Pinlet außer sich aus, »da. kann
man sehen, wie schlecht die Welt is«.«
«Vielleicht seine Frau,« bemerkte
ruhig Herr Miser, »das macht ja weiter
nichts auö·"
»Ach, bewahre, ich weiß, was er ist,
er ist Mr. nry Jenes sen., und iein
Sohn ist Ehean Jouesjum Je
der lebt siir sich, und eine Frau ist über
haupt gar nicht vorhanden, ich sag’s ja
immer. daß die Männer nichts tauaen.«
Durch die offen stehenden Glasthii
ten sah man gedeckte Tische, speisende
Gäste und bin und her eilende Aufwär
ter in den hotelsälem auch begann sich
der Dust von gebackenen Clamö und ge
- dratenen Fischen zu verbreiten.
»Was meinst Du, Mutter,«« sagte
Herr Miller, »wenn wir da hinein aim
gen, um Etwas zu essen, ein Gläschen
Situm würde mir auch gut thun, es trird
einem so öde und leer im Magen, an ler
Seetüste.«
»Mir wär’s schon recht,« stimmte die
Gattin bei, »wenn ich nur die Kinder
mit dabei hätte, wer weiß, wo sie sich
herum treiben.« «
; »»Msch’ Dir leine Sorgen um die
sKrnden Mr. Jenes jun· ist in mit ih
s nen, da hat’s keine Gefahr.«
; »Meis. Pintet,« wandte er sich höf
i lich an die Freundin seiner Frau, ,.darf
sich Sie einladen, unser Gast zu sein,
I wir wollen eben da hinein gehen und
Etwas zu uns nehmen«
; »Nein, danie, habe gar keinen Hun
« ger, sehe mich lieber ein wenig um. will
ausfindem wo ein Gewisser mit meiner
Nelte hin gerathen ist. es ist mir nur
um seinen guten, braven Sohn, der
auch einen besseren Vater werth gewesen
wäre. Hier habe ich ja noch drei große
rothe Nelten in meinem Strauß, die
stecke ich nun gerade an und gehe cuf
j Entdeckungen auss«
i ,,Stecken Sie einen ganzen Lustgar
« ten an, Mrs. Piniet und spazieren Sie
. den ganzen Strand ab, Sie können das,
i denn Sie sind noch jung, aber wir bei
,den Alten« wir sitzen am liebsten auf
sunserer Bequemlichkeit und sorgen für« «
unseren Magen.«
» »Wenn Sie die Kinder sehen solltrn,'«
? ries Frau Miller der sich entfernenden
Freundin nach, »so schicken Sie sie nur
ddrt hinein zu uns. thun Sie mir ten
Gefallen, Mrs. Pinlet.«
Letztere nickte beistimmend zurück und
verlor sich in der Menge.
J »Wie lannst Du ihr auch wegen ihrer
Jugend schmeicheln, Mann, sie ist älter
. wie ich,« tadelte die Gattin, während sie
ihren Schirm und Umhang nahm und
sich anließ ihrem Gatten in den Speise
saal zu folgen.
»J« was,« entschuldigte sich derselbe,
»das- hört sie gern, und ich verdiene Et
was von ihr, ein Haus habe ich ihr
schon gebaut, und das hat sie so gut ver
rentet, daß sie sich wahrscheinlich noch
ein zweites wird bauen lassen; dsg- darf
ich mir natürlich nicht entgehen lassen."
»Ja dem Fall — da hast Du schon
recht, und übrigens halte ich ja auch die
allerng ten Stücke auf sie, obwohl sie
eine ges iedene Frau ist. Dafür kann
sie aber nichts-, denn ihr Mann war ein
ganz schlechtes Subjekt.«
»Das wa er, und mich wundertZ
nur, daß sie ihn überhaupt hat heira
then tönnen.«
»Jetzt mach’ Dich aber dünn. Mann,
und dränge Dich durch, wirf auch nicht
den Stuhl mit dem Babh um. Suche
im Saal auch keinen Tisch aus, der zu
weit hinten steht, hübsch vorn, wegen
dsm-Lstss.-sg«—« .
,-««· sahn-«- OO «—-..
»Hu Veseyh gnaotge Drau, scherzte
er und that Alles, was sie wünschte.
Um dieselbe Zeit saßen in einem
großen Zelt, wo freie Burleskendorftck
lnngen stattfanden, Mk. Jonks spin.
mit seinen drei Schützlingen, und alle
Vier aßen Eiscream und amiisirten sich
königlich. Aus der Bühne stand die
Karikatur eines alten Stuherz mit ei
nem weißen Gesicht und einer roth-n
Nase, der in irischern Dialelt das
tragische Schicksal von dem »Fellow«
vortrug, der die Wahl hatte, zwischen
dem reichen »girl" und der armseligen
»Whislet) Bottle«; ach, und er wählte
die letztere, daher »meine Nase so tu
psern und meine Tasche so leer," Dazu
spielte er den Betrunkenen, und Alles
lachte. Er hatte taum geendet. als eine
komisch gelleidete Frau aus der Bühne
erschien. Sie trug einen großen
StrickbeuteL dem sie eine alimodische
; Brille und ein Notenblntt entnahm, er
s stere setzte sie aus, und von letzterem be
l gann sie zu singen. Jhre Stimme zit
z terte und war nichts weniger als wohl
; klin end, auch brachte sie keinen richti
igen - on hervor, aber natürlich waren
die Zuhörer überzeugt, daß las tu
Iihrer Rolle so gehörte. Nur Js- ihr
IGedüchtniß sie zu verlassen schien, ihr
lMienenspiel eine gewisse Angst verrietly , i
kund ihr Gesan häufig stockte, wurde
hier und da im Flublikum eine höhnische
Bemerkung laut.
; Jetzt tam es von ihren zuckenden
jLiopem »With all my heart J lobe
s thee ——« dabei brach sie in Schluchzen
; aus, wars Brille, Notenblatt und
» Strickbeutel von sich und lies wie ein ge
; jagtes Wild über die Bühne.
l Ein schrecklicher Lärm, mit Jonlen,
) Kreischen und Pseisen brach los, und ei
Inige junge Bengel drängten sich herbei,
« um das Opfer zu sangen.
Jn demselben Au enblick segelte
MM Pintet dierelt au MrIoneii jun
los, der sie erst bemerkte, als sie ihn un
redete, denn trotz des Tumultes
» ringsumher, hatte er mit Ellen Miller
ein so interessantes Gespräch gesiilzrt,
daß er kaum sah und hörte, was ge
schob.
) »Mr. Jones,« begann die Dame
s höchst vorwurssvolL Jst das auch ein
lPlan sür einen moralischen Jüngling,
- M , —- .... -