Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, September 04, 1896, Sonntags-Blatt., Image 12

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    Das Musikanten-Kreuz.
Imerikanische Stizze von Albert Herrmann
Eines Tages betrat eine schön und
reichgetleidete Dame den Laden der Ju
welenhändler von Stephens ä- Mart
ley am oberen Broadwah in New York.
Sie war in einer eleganten Kutsche
vorgefahren, die vor der Thür auf sie
wartete, und bat, man möge ihr Dia
mantenkreuze zeigen.
Der Beriäufer legte ihr eine Anzahl ;
sehr werthvoller Kreuze vor, welche;
Edelsteine von großer Reinheit und
Schönheit enthielten.
Nach längerem Bedenken wählte sie
endlich eines derselben aus und fragte
nach dem Preise. ?
»Dreizehnhundert Dollars," erwi-:
derte der Berläufer. !
Die Dame entnahm ihrem Porte-’
monaie zwei knisternde neueBanknotenH
und überreichte sie dem jungen Manne,s
welche sie zu dem Kassirer trug. !
Der Letztere prüfte die Scheine sehrj
sorgfältig, um zu sehen, ob sie echt sei- ;
en; dann öffnete er die Geldschublade, J
um den überschießenden Rest herauszu- ;
bezahlen. Da er aber sah, daß er nur
einen geringen Borrathan kleineren No- i
ten hatte und er sich nicht gänzlich von i
densele entblößen wollte, sandte ers
die beiden Scheine der Dame zurücks
und ließ fragen, ob sie nicht in minder
hochwerthigen Roten zahlen könne.
Der Käufer entledigte sich seines
Auftrages, indem er gleichzeitig die bei
den Scheine vor die Dame auf den La
dentisch hinlegte.
Lächelnd nahm sie dieselben in die
hand und fragte, ob sie nicht gut s eien,
und als ihr der Sachverhalt erklärt
wurde, öffnete sie das Portemonaie
und zeigte, daß dasselbe außer weiteren
drei TausenddollavBanknoten nur ei
nen ganz geringen Betrag in klingen
der Münze enthilt.
Der Kassirer warf nun die ihm neu
erdings übergebenen Scheine ärgerlich
in die Schublade, zahlte den überschie
ßenden Betrag svon 700 Dollars aus
und wandte sich verdrießlich einer an
deren Arbeit zu. Die Dame aber
schwebte mit ihrem Diamanten-Kreuz
lächelnd aus dem Laden, bestieg ihre
Kutsche und fuhr davon.
Eine Stunde später sah sich der Kas
sirer gezwungen, wieder die Geldschub
lade zu öffnen; dabei fiel fein Blick auf
die Tausenddollarnoten, und eine ei
sgenthiimliche blaue Linie sprang ihm
sin die Augen. Er untersuchte dieselbe
enauer und fand, daß beide Scheine
, alsch waren. Er zweifelte nun keinen
·Moment, daß die Dame, als er die bei
Manknoten zurückgeschickt hatte, die
selben zurückbehalten und statt dessen
lsifikate hergegeben hatte. Es war zu
’ pät, um die schöne Schwindlerin selbst
zu verfolgen, und die Firma ließ einen
»als geschickt bekannten Detettive rufen.
Derselbe kam sofort.
Der Beriaufer war zwar sicher, das
Gesicht der Dame sofort wieder zu er
kennen, er erinnerte sich auch, daß sie in
·blaue Seide gekleidet gewesen war und
einen Spitzenshawl getragen hatte;
aber ihr Antlitz zu beschreiben, war er
außer Stande. Er berichtete nur noch,
daß die Kutsche Räder mit bronzirten
Speichen hatte.
Mr. Martin, der Detektioe, notirte
sich Alles und verließ den Laden mit
nur geringer Hoffnung auf Erfolg; er
war aber trotzdem entschlossen, die An
gelegenheit ernstlich zu verfolgen
Mehrere Tage hindurch sah er sich in
den Straßen nach einer Kutsche mit
bronzefarbigen Rädern um — anfangs
vergeblich; endlich, nach fast einer
Woche, erblickte er ein rasch dahin rol
lendes Fuhrwerk, das völlig der ihm
egebenen Beschreibung entsprach. Er
eß den Rosselenter halten und fragte
ihn aus.
Das Gespann war ein öffentliches,
und der Kutscher erinnerte sich, daß er
vor mehreren Tagen eine Dame in
blauem Seidentleide nach Stephens Fc
Matley’s Geschäftsjahren habe. Die
Ladh habe seinen gen am Union
Sauare, wo er zu jener Zeit gehalten,
auf unbestimmte Zeit engagirt; nach
dem Besuche der Juwelenhandlung ha
be er sie nach einem Modewaarenge
schäft in der Sechsten Avenue gefahren,
wo sie ihn entlassen. Seitdem hatte er
sie nicht wieder ges ehen.
Der Detettive notirte sich die Num
mer des Kutscherj und entließ ihn. Für
tjeßt war nichts weiter zu thun; er s and
te jedoch eine allgemeine Beschreibung
des rauenzimmers und des Diaman
ten- reuzes nach den größerm Städ
ten des Landes.
Nach Berlan einiger Monate erhielt
Mr. Martin von einem Collegen in
Bestr- die Nachicht, daß ein berüchtig
ter Spieler mit- dem Spitznamen
.Jum.ping Johnny«, der bereits zwei
mal wegen Falschmünzerei im Zucht
nse esessen habe, in jener Stadt
Erzc in vertrautem Verkehr mit ei
ner Frau- gesehen worden sei, welche in
der Columbus Ave-me wohne und
Martiw Beschreibung jenes Frauen
zimmer3, das bei Stephens Fa Martley
den Schwindel verübt, so ziemlich ent
spräche. Gerade weil die Frau in der
Columbus Avenue wohne und ihre Er
scheinung für eine so enge Verbindung
mit »Jumpin Jonnh« zu respectabel
erscheine, mit e dieser Vertehr Verdacht
erregen.
Der Benachrichtigte hatte nicht das
Vergnügen, »Jumping Johnnh,, zu
kennen; allein er reiste noch an demsel
ben Abend nach Boston ab, um sich nach
der Frau umzusehen und nahm den
Vertiiuser von Stephens Fc Martley
mit, damit auch dieser sich dieselbe an
sehe. Dort angekommen, begab er sich
aus das Polizeiamt und ließ sich ein
paar Polizisten mitgeben; daraus der
fiigte er sich nach dem bezeichneten Hau
se in der Columbus Adenue.
Er postirte einen Polizisten auf dem
Trottoir und einen zweiten in der Gas
se hinter dem Hause und wies sie an,
auf die Hinterpforte und das Dach ihr
Auge zu richten. »Ich will »Jumping
Johnnh« nicht haben," erklärte er den
Beamten: »ich bin hinter einer Frau
her, welche Diamanten erfchtvindelt
und Falschgeld verausgabt hat. Wenn
Sie eine Frauenspers on aus dem Hau
gestentfernen sehen, so halten Sie sie
e .« «
Der Name auf der an der Thür be
festigten Porzellanglocke lautete ein
fach: »Lorrison«.
Martin zog die KlingeL und nach
einigem Verzuge, während dessen er de
merkte, daß ein paar Augen hinter den
-Fensterläden des Keller eichosses ihn
und seinen Begleiter s arf betrachte
ten, wurde die Thiir durch eine sehr or
dinär aussehende Magd mit wir-rein,
brandrothem Haar geöffnet. Dieselbe
stellte sich in die entstandene Oeffnung
und fragte nach dem Begehr der beiden
Fremden-»
-« »s- - n se
»;FcI-1 mochte gern wer-. Luxus-ou
s brechen; ist sie zu Hause?« begann der
Deteltivr.
»Weiß ich nicht,« laxn es unfreund
J lich zurück.
j »Haben Sie die Güte, dies gefälligst
’ zu ermitteln,« fuhr er fort, »unser Ge
’schäft ist sehr dringender Art."
J »Was ist es?«
Martin legte seinen Finger geheim
Tnißvoll af die Lippen, während er ihr
; zuflüsterte: »Es geht nicht an, dies hier
; auf der Straße zu erklären; ich bemerk
I te soeben aus dem Trottoir ein paar
Gesichter, die Spürhunden der Polizei
verdammt ähnlich fehen.«
Das Mädchen blickte ihn an, als ver
stände sie ihn ohne Weiteres, und indem
sie ihm zublin elte, lam es über ihre
) Lippen: »O, » ie gehören auch zu uns,
lnicht wahr? Bitte, treten Sie ein!«
: Sie führte die beiden herren nach ei
jnern geräumigen, hübsch möhlirten
; Parlor und ließ sie dort allein.
) Wenige Minuten später sahen sie
Idurch die offene Thür eine elegant ge
fkleidete Dante die Treppe herablom
i men.
! »Wahrhaftig,« rannte der erstaunte
Berliiuser dem neben ihm Sitzenden
zu, »das ist die Dame, welche das Kreuz
gekauft hatt« Martin’s Augen leuchte
) ten aus; er befand sich also endlich aus
dem richtigen Wege
Inzwischen betrat Mrs. Lorris on in
stolzer Haltun das Zimmer, die beiden
Besucher mit orschenden Blicken he
trachtend; sie war ein bildhiibsches
Weib. Augenscheinlich erinnerte sie sich
des jungen Berliiusers "nicht, oder,
wenn dies der Fall war, so beherrschte
sie sich vollkommen.
»Dieser Zerr hier,« begann Martin,
aus seinen» egleiter weisend, »ist ein
Angestellter der Firma Stephens und
Martley in New Yorl.«
Sie wurde ganz bleich und griff nach
einer Stuhllehne, um sich zu stützen.
»Ich, Madame;« fuhr er fort, »bin
ein Mitlied der New orler Criminal
poliei. Wir kamen ierher wegen ei
nes Diamanterr-Kteuzes, das sie vor
einigen Monaten von Stephens F
Martley lausten und mit falschen
Banlnoten bezahlten.«
Sie sank aus einen Stuhl und zit
terte am ganzen Körper. »Welche
Strafe steht daraus?« fragte sie nach
einer Weile.
»Dariiber wollen wir später spre
chen. åst dass Kreuz noch in Ihrem
Besi
? re Gesichtsziige erhellten sich und
sie ah den Geheimpoliziften leuchten
den Auges an. »Ich habe es noch!« rief
sie; «wollen Sie mich straffrei aus
gehen lassen, wenn ich das Kreuz und
as Geld zurückgebe? Jhnen ist es doch
sicherlich nur darum zu thun, daß hre
Austraggeber keinen Verlust erlei !
Ich gebe Jhnen Alles zurück und noch
mehr dazu, wenn Sie mich nicht verhaf
Sie saß da, die Hände ringend, ihre
schönen Augen Voll Thrlinen, ein Bild
voll Verzweiflung das ein Stein rüh
ren mußte. »Sie wissen nicht,« fuhr
sie fort, »was es heißt, zu einem Leben.
wie dem meinigem verdammt zu fein;
Sie ahnen nicht die Pein, von Jeman
dern, der Einen ganz in seiner Gewalt
hat, zu allen möglichen Verbrechen ge
1
l
zwangen zu werden! Gott weiß es, ich
würde besser sein, wenn ich lönnte.«
- »Unser Zweck ist vornehmlich, das
Eigenthum der Herren Stephens und
Martley wieder zu erlangen; doch kann
ich Jhnen vor der Hand keine Stras
sreiheit vers prechen. Geben Sie das
Kreuz und die 700 Dollars zurück, und
wir wollen Jhren Fall weiter erwä
gen.·«
Mrs. Lorrison erhob sich, um das
Gemach zu verlassen, und jetzt erst fiel
es den Herren aus, wie klein sie, selbst
siir eine Frau, war; ihre stolze al
tung hatte sie vorher größer erscheinen
lassen ; sie ging in das ansioßende
Zimmer und schloß die Thüre.
Martin sandte seinen Begleiter in
den lur und beauftragte ihn, die an
dere hür nicht aus den Augen zu las -
sen, während er selbst im Parlvr blieb.
Er fürchtete nicht, daß ihm der Vogel
entfliehen könne« denn er wußte, daß
sie das Haus nicht zu verlassen ver
mochte, ohne von den draußen ausge
stellten Polizisten bemerkt zu werden«
Mrs. Lorrison blieb lange Zeit fort,
während man ein lebhaftes Gespräch
im Nebezimmer vernahm; besonders
waren die treischenden Töne einer Kna
benstimrne deutlich zu unterscheiden,
ohne daß indessen die einzelnen Worten
verstanden werden konnten.
Endlich war der Detektiv des War
tens überdrüssig, und er stand schon im
Begriffe, in das Nebengernach einzu
dingen, als die Thür ausging und ein
mißgestalteter Knabe heraustrat, der
an einer Krücke hinlie. Derselbe mochte
höchstens 14 Jahre alt sein, war buck
lig, und eine abscheuliche slrophulöse
Narbe entstellte die eine Hälfte des Ge
sichtes. Während des Oessnens der
Thiir sah Martin. daß die Herrin des
Hauses in einem Armstuhle saß, ein
Taschentuch vor die Augen hielt und
anscheinend weinte.
»Meine Mutter hat mich beauftragt,
Ihnen dies zu überreichen,« sagte der
Krüppel mit derselben triihenden
Stimme,die vorher hereingedrungen
war: »in wenigen Minuten wird sie
selbst wieder hier sein. Sie werden sie
doch nicht verhaften, mein Herr?«
»Ich weiß es noch nicht,« antwortete
der Deteltio, indem er ihrn das Dia
mantlreuz abnahm und in die Tasche
steckte. ,.Wo sind die siebenhundert
Dollars?«
»Ich bin aus dem Wege, das Geld zu
holen,'« sagte der Knabe, indem er ei
nen ausgefüllten Check zeigte! »warten
Sie nur kurze Zeit, und Sie s olen be
friedigt werden« Er hintte aus der
Thür, die Straße hinab, seine Klump
fuß beschwerlich nachschlepdend
4
l
i
Martin war froh, den abscheulichen
Anblick nicht mehr vor Augen zu haben.
Er wartete länger als eine Viertelstun
de, aber weder Mrs. Lorrison noch der
Knabe ließ sich sehen. Zulest war seine
Geduld erschöpft; er öffnete die in’s
« Nebenzirnmer führende Thür, und auf
den ersten Blick sah er, daß die Dame
des Hauses noch immer in der vorigen
Stellung saß. »Kommen Sie!« rief er
ihr zu; Sie hahen später noch genug
Zeit zum Weinen. Kleiden Sie sich
« zum Ausgehen an und folgen Sie
mir!«
k Die Angeredete rührte sich jedoch
nicht« und als er sie an der Schulter be
rührte, erfolgte ein rohes Auflachen der
Dasitzenden Das Taschentuch fiel her
I ah, und die ordinären Züge der Dienst
s magd wurden sichtbar; sie steckte in den
! Kleidern ihrer Herrin. und ihr wirres,
Trothes Haar war durch eine blonde
Perriicke bedeckt, die ihrer Herrin Haar
« vollkommen glich. »Sie dachten, ich sei
! die Dame des Hauses, nicht wahrt-«
rief sie ausspringend. »Dan! Ihrer
i Höflichkeit, daß Sie so lange warteten,
ist Madame jeßt vollständig außer ih
rem Bereiche, wenn ihre Mücke und der
. schöne Klumvfuß ihre Eile nicht beein
, trächtigt haben.«
! »Zehntausend Teufel!« schrie der De
» tective, sie heftig am Arm packend und
schüttelnd, »Sie sagen, daß ———"
»Ja, das sa e ich;« fiel sie ihm
; grinsend in’s Isari. »Das konnten Sie
- nicht vermuthen, da die schöne Lado
sich so häßlich ma n konne, nicht
wahr? Herr Detectiv, Sie sind hübsch
an efiihrt!«
artin ließ ihren Arm fahren; er
lief in den Flur, riß den Vertäuser mit
sich fort, und als er aus der Hausthiir
auf die Vortreppe trat, blickte er die
Straße entlang. Aber keine Spur des
an eblichen Kritppels war mehr zu ent
« en. »Der Bogel ist ausgeflogen-«
sagte er, grimmig auflachend; MU.
leison ist uns mai-tschi jedenfalls
aber haben wir das Kreuz!« Er holte
dasselbe aus der Tasche hervor und
reichte es dem Begleiter. «
Dieser nahm es und reichte es im
Sonnenlichte hin und her.
»Es ist sehr schön,« verfeßte der De
tectiv, ihm über die Schulter blickend.
»Ja,« erwiderte der junge Mann
traurig lächelnd, .es ist sehr schön.«
»Diese Diamanten sind ungewöhn
lich hellstrahlend.«
« »Ja, ungewöhnlich strahlend flir- —
l
L H
falsche Steine! Es ist die beste Nachah
mung, die ich jemals gesehen habe."
» st das nicht Jhr Mequ fragte
der eteetiv verwundert.
»Die Einsassung ist die uns eige,"
antwortete sein Begleiter. »Die Dia
manten sind nichts als geschliffenes
Glas oder anderes werthloses Ma
terial.'«
Es war nichts weiter u thun. Die
verschlageneFtauensper on war, wahr
scheinlich mit dem erschwindelten Gut
in der Tasche, unbehelligt an ihren Ver
solgern vorbeigegangen und befand sich
nunmehr bereits in Sicherheit. I
Beginnt
Dumotistjiche Plaudern von Freiherr von
Schickt-L
Zum ersten Mal steht das ’enent
auf dem großen Exercierplatk. isher
hat man nur in den Roms-eigenem höch
stens einmal im Bataillon » elt«,
nun aber hat der Herr Ober die « ache
selbst in die Hand genommen. jetzt
geht’s los. Kein anderer Mensch lann
irgend etwas so gut machen wie er selbst
— weni stens nach unserer eigenen, al
lein maggebenden Ansicht. Dies gilt
natürlich noch viel mehr beim Jlttlitär.
»Der Häuptling, der deim Exerziren sei
H nes Lieutenants zusieht, hat im Stillen
tausenderlei zu tadeln und auszusetzem
s der Herr Major ist absolut nicht damit
seinverstandem wie die Herren Haupt
s leute ihre Kompanien ausbilden, und
iwenn ein Major und Bataillonstow
I mandeur auch lein Säugling mehr ist,
; sondern unter tausend Fällen neun
k hundertundneunzig Mal ganz genau
, weiß, was er will, so ist er nach der An
sicht des Herrn Oberst doch mehr oder
weniger ahnungslos. Jnsolge dessen
haben sich bei dern Exerziren durch die
Unsähigteit der Lehrer allerlei Fehler
eingeschlichen, die Disciplin ist nicht so,
wie sie wohl sein könnte, es ist lein rech
ter »3ug« in der Sache — das wird
nun aber Alles anders werden, das Re
gimentsexerziren nimmt seinen Anfang
und bei der Gelegenheit wird der Herr
Oberst den Kerls und den Herren Kerls
einmal zeigen, was eine Hatte ist·
DieBataillone, jedes site sichinBreit
lolonne, stehen nebeneinander, die Her
ren Batillonslommandeure halten etwa
dreißig Schritt vor der Mitte ihres Ba
taillons —- vor der Mitte des Ganzen
hält aus seinem großen Rappen der
Herr Oberst, ihm zur Seite sein Ade
tant —- was der Lehtere seinem berrn
werth ist, weiß oft nur der Herr selbst
zu beurtheilen. Es soll Regimentstom
mandeure gehemdie schon lange »a. Dz«
ooer z. w. waren, wenn ne nichr von m
ren Adjutanten gehalten würden. Ein
Regimentöadjutant ist allmächtia und
darum werben um seine Gunst die
Stabsossiziere nicht minder als die jun
aen Lieutenants«« die, wenn sie an den
älteren Kameraden ein Goldstück im
Pfennig-Etat verloren haben, nach ih
rer Meinung zum mindestens ein An
recht aus ein fechsmonatliches Korn
mando nach Berlin besthen
Nun blitzt es durch die Luft —- der
Herr Oberst hat zum ersten Mal vor
der Front seines Neaiments den Degen
gezogen, und wenn Zeus, um einmal
wieder zu Ansehen unt- Wiirde zu ge
langen. seine Donnerteile ergreift, kann
dies auf seine Unterthanen keinen
qrößeren Eindruck machen. als wenn
der Herr Oberst, wie man sich kurz aus
drückt, »zieht«. Uebrigens hat dieses
Wort »ziehen" auch noch eine andere
Bedeutung —- man bezeichnet mit die
sem Ausduck den Marsch nach halb
rechts und nach haldlinks. Jnsdlge
dessen passirte einem blutjungen Lim
tenant einmal ein kleines Malheur. Er
sollte seinen Zug vorexerzirent er that
es und erwarb sich die Zufriedenheit
seiner Vorgesetzten, aber als er das
Kommando gab-. »halbrechts —
· marsch«, zog er plötzlich sein Schicch
j tenschwert.
i »Aber so lassen Sie doch den Säbel
!stecten, herr Lieutenant,« rief man
l ihm zu.
z Der aber beendete erst ruhig den
I Marsch halbrechti,»,tommandi"rte desin:
»gerade —- aus«, und steckte dann sein
Schwert wieder in die Scheide.
Und als man ihn befragte nach dem
Grund seines sonderbaren Benehmens,
gab er zur Antwort, er habe nur das
Regiement beso t. Man holte das
Buch herbei und and dort derzeichnet:
«Marsch halbrechts, hat-stinkt iste
hen.« Der kleine Lieutenant hatte ge
glaubt, bei diesem Kommende »ziehen'«
zu müssen —- er soll ei übrigens nie
wieder gethan haben
Die Augen des herrn Oberst schwei
sen prüfend iiber die vor ihm stehenden
Bataillone — nun hebt er sich etwas tm
Sattel —- allgemeine Spannung und
Aufmerksamkeit und nun das scharfe
Kommandm »Negiment stillstehen.«
«Stillgestanden,« tomtnandiren die
Bataillonitomnandeure ein iedee stir
sein Bataillon nach, wie aus Erz gegos
len stehen die Leute« nur im dritten Va
tatllon M Ins-« einige fWen
nach, das liegt daran, daß der Herr
Major mit seinem Kommndo später
fertig wird als seine »stellegen«, denn
er tommandirt nicht »Stillgestanden«,
sondern »Stiiiiifillgestanden !«
«Regiment ruht-U befiehlt der Herr
Oberst und »Nührt Euch« befiehlt jeder
Major für sein Batcrillon.
»Die Herren Stabsoffiziere,« ruft
der Herr Regimentskommondeur und
sie, die gerufen, setzen den Säbel vor
schriftsmäßig auf die rechte Lende und
reiten zu dem, der da in gewissem Sinne
fiir sie die Frage entscheidet, über die
schon ein Hamlet sich vergebens den
Kopf zerbrach.
«Da giebt’s was aus den Hirt«, fliii
stern die Haupleute einander zu — sie
haben bei dem Bataillonsexer « vor
dem Herrn Major so viel Lie sit-tit
digieiten zu hören bekommen, daß sie,
gutmüthi wie sie im Grunde ihres
rzens Firdwiinfchem daß Der-fertige,
der bisher nur gab, endlich auch! einmal
empfängt
Jm arriere kommen die Herrn Ba
taillonstommandeure zurück und gleich
darauf befiehlt der Herr Oberst zum
zweiten Mal: »Regiment stillstehen.'
Und dieses Mal klappt es, denn der
Herr Major vom »dritten« kann Mön
lich gar kein »i« mehr aussprechen und
kommandirt: ,,Stllgestanden.«
»Regiment —- das Gewehr über-«
Das hört sich so einfach an und ist doch
so schwer.
»DasGewehr übers-über—iiiiiiber,'"
drei verschiedene Kommandos, wo es
doch daraus ankommt, daß der Griff
gleichzeitig von den drei Bataillonen
ausgeführt wird.
»Aber meine Herren! Regiment Ges
wehr ab und rühren.«
»Gewehr ab. Rüdrt Euch«
»Die Herren Stabsossiziere!« tönt
es abermals und sie, die gerufen, setzen
den Säbel vorschriftsmäßig auf die
rechte Lende und reiten zu dem, der da
in gewissem Sinne für die Frage ent-l
scheidet, über die schon ein Hamlet sttshi
vergebens den Kopf zerbrach. s
Dieses Mal dauerte die Unterhald
tung schon bedeutend länger, und je»
länger sie dauert, desto mehr, freuen sich
die Kerls und die Herren Kerls — die
Mannschaften und die Subaltern
Offiziere, denn »riihren" ist nächst dem
Schlafen für jeden Soldaten die ange
nehmste Beschäftigung
Was da vorne vor der Front verhan
delt wird, hört man natürlich nicht«
aber wer nicht zu thöricht ist, kann sich
sein Theil denken.
Nun kommen die Herren im Galopp
zurück nnd gleich darauf befiehlt der
Herr Oberst zum zweiten Mal: »Regi
ment stillstehen und Gewehr über.« (
«»Stillgeftanden —- das Gewehr —
' uber."
Schön war es immer noch nicht, aber
es« ging -doch schon bedeutend besser,
weil die beiden Bataillonslommandeu
re, die die Flügel-Bataillone haben, sich
mit ibrem Kommando nach dem herrn
in der Mitte gerichtet haben.
Nun hebt der Herr Oberst seinen De
gen:
»Es-nimmt —«
»Bataillon,« lommandirt jeder Ma
sor.
»Marsch,« rust der Herr Oberst und
senkt seinen Degen.
» Marsch,« rusen die Herren Bote-il
ldnskommandeure und senten auch ih
rerseits den boch emporgehaltenen De
gen —- aber wer«da glaubt, daß dies drei
Bataillane nun gleichmäßig mit dem
linken Fuß antreten, der irrt sich. Wahl
fliegen die linken Beine in die« Höhe,
aber der Tritt ist nicht rein, und so
tommandirt denn der Herr Oberst mit
« lauter Stimme:
.Reginient —«
»Bataillon —«
.Bataillon ——«
«Halt.«
»Halt«
Gleichzeitig senkten sich die Degen,
aber troydem hält das eine Bataillan
heute, das andere morgen.
»Regiment Gewehr ab und rühren.«
»Sewebr ab —- riihrt Euch.«
.Die herren Stabsosslziere.«
Abermals setzen sie, die gerufen, ib
ren Säbel vorschriftsmäßig aus die
Lende und reiten im Galdpp nach vor
ne. Und dieses Mal dauert die Unter
haltung der hohen herren noch viel län
ger als verbin, aber als die Versamm
lung sich endlich auslbsie und abermals
das Antiindigungswmmando »Nein
ment« ertönt, nimmtsich Jeder vor, sich
die größte Mitbe zu geben. Sie thun
es und so fliegen denn diesmal die Bei
ne tzkeichzeitig boch und werden qleich
zeitia wteder niedergesetzt
»So ist der Tritt gut," rust der herr
Oberst.
Die herren Stabsosstjiere freuen sich
iiber dieses va, aber die Kerls selbst
äraern sich eigentlich darüber, ihnen
wäre es viel lieber. die Sache wäre min
der schön, damit sie bald wieder zum
Ritbren kamen.
Vorläufig ist dazu keine oder wenig
Aussicht vorhanden, denn der herr
Oberst ist froh. das er sein Regiment
endli- tn M M Inn Mct sich-.
L
es vorzeitig zum Stehen zu bringen.
Mit seinem Adjutanten reitet er ini ge
streckten Galopp von einem Batailldn
zum andern-—Alles sehend, und was er
trotzdem übersieht oder vielleicht gar
nicht merkt, sieht der Adjutant.
»Die Fahne des zweiten Bataillons
geht nicht gradeaus,« ruft er dem Kom
mandeur zu und dieser versäumt nicht«
sofort den Fehler zu rügen.
»Das zweite Bataillon geht nicht ge
radeaus», ruft er mit Stentorftiniine,
»die Zwischenräume werden nicht ge
halten, die Fahne geht ganz nach —"
»Linls,« flüstert der Adjutant.
»Nach lints —- noch mehr rechts der
Fahnenträger, noch mehr —« Herr
Major, der Mann hat teine Ahnung«
Endlich haben der Herr Oberst und
sein Adjutant den Mann da, wo sie ihn
haben wollen« aber schon wieder bemerkt
das scharfe Auge der Adjutanten einen
hier.
»Das erste Bataillon marschirt nicht
auf Vordermann,« flüstert er und der
here Oberst ruft:
»Das erste Bataillon hat nicht eine
Spur von Vordermann — Herr Ma
jor, das Bataillon schiebt sich hin und
her —- das geht so nicht, Herr Maja-«
Aber auch dieser Schmerz geht vor
über. die weni en Bewegungen, die das
Regiment im - ritt marschirt, sind in
wenigen Minuten erledigt, dann tommt
das schwierige Thema, das »Taier
Iorniiren'.
Das ist nun schon bedeutend unange
nehmer sowohl fiir den herrn Oberst
selbst, der, wenn er seiner Sache nicht
, anz sicher ist, dabei eine heillose Kon
gusion anrichten kann, als auch fiir die
Herren Baiaillonstommandeure.
Durch das Regiment selbst aber geht«
ais der Befehl kommt: »Auf das erste
Bataillon zwei Treffen formiren —
hundert SchrittAbstand und Zwischen
raum« ein Seufzer der Erleichterung-—
und die Kerle irren sich nicht — kaum
haben die Stabsoffiziere ihren ersten
Befehl egeben, um die Bataillone da
hin zu gringem wo sie hin sollen, ais
es auch schon wieder heißt:
»Regiment —"
»Bataillon —«
»Halt-«
,,Hali.«
»Gewehr ab und rühren. Die Her
ren Stabsosfiziere.«
Dann geht die Unterredung von
Neuem los, wie der Befehl am lürzesten
und klarsten zur Ausführung hätte ge
langen tönnen —- es dauert lange, ehe
der Oberst iiber diesen Punkt ausge
sprochen hat. Aber endlich weiß er nichts
mehr zu sagen, er läßt die alte Formo
tion wieder einnehmen und will »den
slthens Vers« noch einmal durchmachen.
Sei es aber nun, daß er sich nicht
klar genug ausgedrückt hat, sei es, daß
er zu deutlich geworden ist —- genug,
die- Sache geht wieder nicht und aber
- mais hieß es:
»Regiment -—«
«Batuillon —«
t.«
»Hast-:
-.« -. ,- x s r Api- - «
)
AU, wie Jem, ver oen Ocau u uuo
KOurraMNeveille schluckt, sich freut,
wenn das Wort: »Regiment ——« an
sein Ohr tönt! Schon der Abwechs
lung wegen erheitert es sein Gemiith,
denn sonst ist ja Alles ,,Bataillon«. Ein
Bataillon ist im Kriege tausend Mann
stark —- im Frieden heißt es selbst wenn
man nur einen einzigen Mann ererzirt:
»Bataillon s— marsch!«, und will man,
daß dieser Jüngling, über den man
beim Exeziren sich beinahe die Schwind
zsucht an den Hals ärgert, uns einmal
seine schönere Seite, den Rücken, zu
wendet, so wird bei dem Kommenden
damit besagter Jüngling sich um seine
Längsaxe dreht, aus dem »Bataillon«
sogar »Ganzeö Bataillon«. Auch in
der Kommandosprache s oricht bei dem
Militär stets in Hyperbeln —- wenn cin
einzelner Kaoallerist eine Stunde zur
Strafe reiten muß und sein Pferd in
die siir den Reiter unangenehme Gang
art des Trabes bringen soll, so sagt
man nicht: »Meyer. mein Junge, nun
rette Trab!«, sondern man komman
dirt: »E5cadron. Terraaaab!·'
Mit dem Ausdruck »Regiment« wird»
die Truppe endlich mit dem Titel be
legt, der ihr zukommt —- das Militiir
ist ebenso empfindlich wie der Civiliit,
der doch auch mit seinem wahren Ma
men an eredet zu werden verlangt —
der Na twiichier wird wiithend, wenn
man ihm Nachtrath nennt, und der
»Sokdat, der anz allein auf einem zehn
thadratmei en roßen Exerzierolah
lsent-un en übt, iihlt sich geuzt, wenn
man zu hm »ganzes Bataillon" sagt.
Je kleiner die Abtheilung ist, desto
mehr wird der Einzelne gesehen — da
her ist das Rettuten-Exerziren, selbst
wenn die ersten Schwierigkeiten über
witnden sind, so anstrengend —- das
Regirnents-Exerziren ist im Vergleich
damit die reine Badereise. Man wird
inie nasz bei dieser —- dasilr sorgen der ·
zhimmel und die Vorgesetzten —, aber
? man hat auch seine Erholung und seine
Muhr. Man lann seine Knochen mehr
schonen, und man schont sie auch, denn
Jeder Soldat ist sa Wesen- dcs er dak