Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, August 28, 1896, Sonntags-Blatt., Image 10

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    Eine Nacht tu der Mörder-hätte
Eine HochmldsGeschrchte von John Peter.
Lange stand ich in tiefer Bewunde
rung aus der weit überhäugenden Fels
platte der Seewand, welche fast sent
recht in den Plöckensteiner-See nieder
stürzt; im Hintergrund der hochragende
Stifter- Obelisi, und darüber die ge
waltige Kuppe des großen Plöckenstein.
Ringsum breitete sich majestätischer,
schwermuthspoll rauschenderWald,und
in schwindelnder Tiefe unten gähnte der
regungslose, schwarzbraune Spiegel
des märchenhaften Sees den uns
Stifter in seinem Hochwald so unver
gleichlich geschildert. Ein Gefühl be
mächtigte sich meiner, als müßte ich an
dieser wildschönen Stätte, die schon das
Ziel meiner jugendlichen Träume ge
wesen, weilen für und für.
Den Weg von Oberplan bis zum
weltverlassenen Hochwald-See hatte ich
nach fünfstiindigem Marsch ganz allein
uriickgelegt. Kein Lebewesen tam mir
rn diesen vorweltlichen Wildnissen vor
Augen; je tiefer es hineinging in die
schier endlosen Nadelforste, desto welt
verlassener fühlte ich mich in der schau
rig-holden Einsamkeit. Nur die vom
See niedertosenden Wasser schreckten
den Urwald aus seinem Schlafe aus,
und zeitweilig llang aus der Tiefe des
Forstes der verhallende Schlag einer
Axt an mein Ohr. Ueber den regungs
losen Wipfeln lachte ein tiefblauer Him
mel und im Geiste bewunderte ich schon
die sterngekrönte Nacht und den Son
nenaufgang aus dem Felsenthrone des
Dresselberges, dessen Schutzhaus das
Ziel meiner heutigen Wanderung war.
Als ich nach langem Verweilen beim
Stifter-Denkmal endlich hinaus-trat
auf die über der grausigen Tiefe schwe
bende Steinplatte und das Spiegelbilt
des Hochwaldes im einsamen See unten
bewunderte. da hielt es mich, wie durch
geheimnisvolle Mächte an den Ort ge
bannt, so daß Stunden vergingen, be
vor ich ausbrach, um den Kamm des
Gebirges entlang, knapp an der Lan-.
desgrenze, die noch zweistündige Wan
derung auf den Dreisessel fortzusetzen
Ich hätte wohl noch länger geweilt
wenn mich nicht plötzlich ein kalter
Wind in die Gegenwart zurückgefiihrt
hätte. Wie erstaunte ich nun, als wii
auf einen Zauberschlag das holde Son
nenbild verschwunden war und wild
dräuende Nebelschlangen vom Gipfel
des Plöckenstein herniedertrochen, den
weiten, schönen Hochwald im Nu in nn
heimliche Wetternacht verwandelnd?
Und ich kannte die Wetterlaunen mei
ner theuern Waldheimath nur zu gut
hatte mich anzustrengen, wenn iei
ungefährdet die Spitze des Berges er
reichen wollte, die von dieser Stelle oft
kriechend erklommen werden muß.
Jch täuschte mich nicht. Kaum das
ich auf Ver sogenannten Kanzel def
Plöckenstein stand, so fing es an in
Stürmen zu regnen, und eine Dunkel
heit erfüllte die Wildniß, wie wenn ei
plöslich Mitternacht geworden wäre
Und so stand ich nun allein und rathloi
4000 Fuß über dem Meeresspiegel unt
überle te, wie ich so rasch als möglich
das Sgchutzhaus auf dem Dreisesselfels
erreichen könnte. Mein einziaer Wen
genosse war der Kompaß-. ihm ver
traute ich wie einern guten Freund,
denn die chaotische Felsenwildniß war
mir vollständig fremd, der gedruckte
Führer veraltet und die farbige Weg
rnarkirung fast gänzlich vermischt.
Jch wußte nur, daß der über Hoch
moore und sumpfige Blößen führende
Pfad aus dem Kamme nordwärts gebe.
und so schlug ich diese Richtung ein.
Allein nur zu bald mußte ich erkennen.
daß ich da vor einer kaum zu lösenden
Aufgabe stand, und die Nacht war
nicht mehr fern! So lange es noch
durch den Hochwald ging, konnte ich die
Spuren wandernder Touristen so ziem
lich erkennen, als ich aber die Dreiecks
marke erreichte, wo drei Länder sich be
k nen, verschwand in dem Gras jeg
ieche Spur, und der Nebel lag so dicht
auf dem Gebirge, daß ich nur zu bald
die Richtung verlor und nun trotz der
Magnetnadel herumirrte.
Mir wurde jetzt ernstlich bange. Bis
auf den Körper durchnäßt, gänzlich er
schöpft und verlassen in endloser Wal
deiödr. wünschte ich mir sehnlichft ein
leitendes Wesen heran. Drei Stunden
war ich schon herumgeirrt, jetzt brach
die Nacht aus den leise rauschenden
ochwald hernieder, aus weiter Ferne
am wie auf Tranknezschwingen ge
diienpfter Glockenklang an mein Ohr
gez en, und meine Augen schlossen sich
unw llkürlich
Eine Stunde etwa mochte ich so im
lbschlummer gelegen haben, als lei
ei Frästeln mich auswecktr. Ueber dem
Mpfelmeere thronte jetzt der diaman
tene Kronlenchter des Firmoments und
nnfäqltch trauriges Rauschen und
Sausen zog wie Geister-ruf aus fernen
Welten durch den ?ochwald. Und wie
der nahm ich d e Wanderung aus.
Ueber riesige Jeliblscke nnd durch eine
Wildniß von Schlingvflanzem Bär
I lap und Farn, ging es weiter, rastlos
weiter.
Plöhlich blieb ich überrascht stehen.
Da unten, in einer wilden Schlucht, lo
derte eine Feuergarbe in die sinstere
INacht empor, und das Prasseln der
i Flammen drang vernehmlich durch den
; stillen Tann. Dort mußten Menschen
i s ein! Freudig erregt schlug ich die Rich
stung danach ein. Doch plötzlich lam
; mir der Gedanke, daß ich in ein Zigeu
znerlager gerathen könnte -— und un
’ willkürlich hielt ich inne. Jch hatte meine
ganze, so sauer erworbene Reisebar
. schast und sonstige Werthsachen bei mir
— —— und wer kennt sie nicht, die braunen,
diebischen Nomadent
. Und dennoch mußte der Versuch ge
z wagt werden, wollte ich nicht einsam im
.Walde nächtigen. So schlich ich fast
aus den Zehen allmählig näher, bis ich
endlich nahe aus einem Sieinriegel
stand und das Ganze deutlich über
z schauen konnte. Und nun bemerkte ich
eine aus rohen Holzstämmen gezück
merte, mit Streu und Moos überdeckte
Hütte, und an dem laut prasselnden
Feuer davor saß ein untersetzter Mann
å mit einer Zipfelhaube, welcher emsig im
;Feuer herumschiirte und mit großem
Behagen seine Pfeife tauchte.
» Ein Stein siel mir vom Herzen:
mein guter En el hatte mich zu einem
gHolzhauer geführt! Ohne Bangen
; näherte ich mich nun dern hiedern Sohn
des Hochwaldes und bat ihn um eint
Nachtherberge.
os
III If
Bald saß ich mit dem weitergebräum
Z ten Manne am Feuer und wärmte mei
E ne halb erstarrten Glieder. Die Ueber
s kleidet hatte mir der dienstbeslisseni
. Wirth abgenommen und an einen Tan
Z nenast in der Nähe des Feuers gehängt
Edarnit sie trocknen sollten; dafur hatt«
er einen Sack um meine Schultern ge
; legt, damit ich mich nicht erlälte. Dank
H lud er mich ein, mit ihm sein bescheide
k nes Mahl zu theilen, das er sich so eher
i zubereitet. Es bestand aus Ziegenmilch
Brod und gebratenen Kartoffeln. Ei
nen Krug eisfrischen Wassers holte e1
1aus der nahen, leise durch die still
«« Nacht plaudernden Quelle.
Das ärmliche Gericht mundete mi1
köstlich. Dann, als wir vergnüg
» rauchend neben einander saßen, Uhu
» uns den gestirnten Himmel und um uni·
, den rauschenden Wald, zog ich mein
’ zwei in Oberplan gefüllten Weinsla
schen und eine stattliche Portion Schin
- ten hervor und lud den Mann ein, es
’ jetzt mit mir zu halten, was er auck
ohne Ziererei annahm. Mit Behager
trank er den Wein, sein blasses-, einge
sallenes Gesicht überzog sich mit eine1
leisen Röthe, und allmälig wurde des
»wortkar e Mann redselig. Währeni
« des Ma les hatte ich Gelegenheit, mi1
den Waldmenschen genauer anzusehen
Er tonnte vierzig Jahre zählen. war ii
rohes Linnenzeug gekleidet; In der
’IFiißen sinken die Waldübliasen Holz
schuksz aus dem Kopfe saß et . Iiofel
:niitze. Der Mier war stämnsir nni
. untersetzh Brust und Schultern waret
? breit, und das vollbärtige Gesicht hatt
’ einen Ausdruck von tiefer Schwermuth
Wie wir nun so da saßen und ich ein«
Handvoll Cigarren aus eine Steinplatt·
legte, da fragte ich ihn, ob er den ganzer
Sommer so im Walde lebe.
«Sommer und Winter,und das schot
seit sechs Jahren«, lautete die Antwort
»Am wenn mir die allernothwendigster
Lebensmittel ausgehen, was zumeist in
Winter ges chieht, schnalle ich meins
Schneereisen an die Füße und man
hinunter in die Lackenhäuser, um mi1
frischen Vorrath zu holen in meint
»Mörderhiitte,« wie man diese Hütte dc
gern·nennt.«
. ------ C- dass Ost-O
i »Oui« Wut-um sit-unu- psp ·»- »-....
! so ?«
T »Warum?« brauste er auf. »Weil
I der Zapfer-Jogl ein Mörder ist, unt
der Zapfer-Jogl bin ichs«
Fast wäre mir vor Schreck die Ci
garre aus dem Munde gefallen, unt
nur mit größter Selbstbeherrschung be
wahrte ich scheinbar meine Ruhe, wie
wohl mir das Herz lauter klopfte.
Mit erzwungenem Lächeln entgegnete
ich: »Sie wollen doch nur Ehren Scherz
mit mir treiben, um mir ngst eian
slöszen· Jch aber kenne meine Lands
leute zu gut. Wenn Sie auch nach außen
rauh erscheinen, so bergen Sie doch ei
nen ldenen Kern im Innern. Nein«
Sie d kein Mörder!«
»Herr- was ich spreche, ist so weht
wie das Amen im Gebet«, ent egnete ei
traurig. »Aus meinem Gewi en lastet
ein Mord, und die tausend Thränen«
welche ich hier in meinen einsamen
Nächten geweint, haben das liihende
Feuer der Reue über meine Schmutze
That nicht wegwaschen können . . . und
die Wunde da drinnen wird brennen. s s
lange mich die Erde trägt. Aber fürch
ten Sie sich nicht vor mir, herr. Ih
soll kein Haar gekrümmt werden, denn
der Jogl hat nur ein Mal in seinem
Leben gefehlt nnd dafür dann chwer
gebiißt . . . heute zertritt er lein meis
lein im Walde.«
Sprach er die Wahrheiti Der Mann
redete so gewählt und verständig, und
auch sein war derart, daß ich «
wohl s ah, daß ch keinen einfachen Holz
hauer oor mir hatte. »Und doch kann
ich es nicht glauben«, sagte ich, .tros
dem Sie es so hartnäckrg behaupten,
und drum müssen Sie mir nicht böse
sein« wenn ich Sie um niihere Aufklä
rung bitte.«
»Wean Sie morgen den Touristen
droben auf dem Dreisesselfels und auf
dem Hohenstein und dann den Leuten
draußen in den Walddörfern erzählen,
daß Sie in der Mörderhiitte geschlafen
und lebendig dadongetommen sind, so
werden die guten Menschen die Hände
zusammenschlagen und sagen: Danien
Sie Gott, daß Sie noch athmen! Ie
dermann bleibt der Mörderhiitte fern,
und wirklich bekomme ich auch den gan
en Sommer keinen Menschen hier zu
Zehen, denn Alles flieht den Jogl wie
T den bösen Feind. Sie sprechen aber so
! herzlich und sind heute mein Gast, und
k deshalb sollen Sie erfahren, wie es zu
H gegangen ist, daß ich ein Mörder wurde.
« Jch will nur doch frisches Reisig zule
:gen, daß Jhre Kleider gehörig trocknen.
« Zum Schlaer auf der Pritsche da
« drinnen haben Sie nachher noch lange
I Zeit genu . . . Sie können sich den Rie
L gel vor-schieben damit Sie sich vor mir
« nicht zu fürchten brauchen, und ich will
hier bei dem derglimmenden Feuer den
; Anbruch des Tages erwarten.«
? Der Mann legte neues Reisig zu, daß
, die Flammen laut prasselnd himmel
F wärts lohten, nahm einen Schluck aus
ider Weinflasche, lehnie sich dann mit
· verschränkten Armen an einen Fichten
s ftamm und begann zu erzählen.
»Nicht immer fühlte ich ein so armse
s liges Leben wie seit der Zeit, da ich aus
- dem Kerker beraustam, worin sie mich
- acht Jahre eingeschlossen hielten. Der
! Zapfer-Jogl hatte dereinst bessere Tage
gesehm und stand in Ansehen bei Je
- dermann. Da hat es der Böse gewollt,
— daß ich Demjenigen das Leben nehmen
- sollte, der meine einzige Schwester
- lchövdxickmsntksggssgsa »Es-D- JIM 3975
zugelloglua georawl qui. Jus suur un
’ Erbe des größten Bauernhofes in den
E Postbergwiildern,und die schönsten und
reichsten Mädchen machten sich eine Ehre
' daraus, wenn ich mich herabließ, mit
T ihnen beim Sonntagstanz einen Länd
ler zu schleifen. Mein Heimathsdorf
liegt hart an der Grenze, am Ursprung
der Braunen Moldau. Dort war mein
- Vater Alles in einer Person; seinem
s Willen gehorchte das ganze Dorf; er
bewirthete im Zapferhof den Bezirks
bauvtmann, den Grenz-Jnspektor und
T den Forstmeister, und hoch ging es da
- bei her, wie bei der nobelsten Herrschaft.
7 Jch und meine Schwester, das schönste
Mädchen im ganzen Grenzwald· wuch
sen da sorglos auf, und das Leben lag
T im schönsten Glanz vor unsern Augen.
Hoch hinaus wollte meine Mutter mit
der Schwester.·
»Eines Tages kam der Kommissar
in’s Dorf, um die Finanzwache zu be
sichtigen. Er war ein stattlicher Mann
mit feurigen Augen, und er fand in
meinem Vaterhause die gastlichste Auf
nahme. Leicht war es ihm, das junge,
· unerfahrene Mädchen zu bethören, und
meine Mutter glaubte bereits ihr Ziel
zu haben, da sie immer nur von einem
«- »noblen« Eidam geträumt. Damals
ging ich in die Studie; denn mein Va
- ter wollte, dasz ich mehr lernen sollte,
- als ein gewöhnlicher Bauer-, und so
«- sollte ich wenigstens die Unterrealfchule
» durchmachen
.Wiihrend meiner Lernzeit wurde
T das Verhältniß zwischen dem Kommis
« sar und meiner Schwester immer fester
T und inrzigey bis es auf ein Mal hieß, es
- solle h
Zeit emacht werden zwischen
den Beiden. as war gerade bei mei
I nem Austritt aus der Schule der Fall.
« Jch war damals sechszehn Jahre alt,
« ein Bursche von strotzender Kraft und
Gesundheit und st.olzem, hochfahrendem
Sinn. Schon war der Tag des Festes
angebrochen und Braut und Gäste war
teten auf den Bräutigam. Vergebens;
statt seiner kam eine Absage und die
Mittheilung daß er seinen Abschied ge
:nommen habe und an die sächsische
Grenze abgereist sei, wo er ftir sich zu
leben gedenke. Nun kam Jammer und
Elend iiber meine Familie. Mein Va
ter bekam einen Anfall von Tobsucht,
und am nächsten Morgen fanden wir
ihn an einer Steinbuche erhängt. Mei
ne arine, verführte Schwester wurde ge
miithskrank und genaß später eines
todten Knäbletns, und die Mutter al
) terte zusehens. Da beschloß ich. meine
arme Schwester zu rächen, wo und
wann sich mir nur immer die Gelegen
heit-bieten sollte-.
... -..-1-fl-- 0---..- ,
»Vls zll lllklllkm zwanzigsten Heu-us
jahre bewirthschafieie ich noch unsern
HEN- dann kam ich zum Militäk; denn
meine Mutter ließ mir meinen Willen,
Soldat zu werden, trondem sie hätte re
· llamiren lönnen· Vierthalb Jahre
verbrachte ich bei der Kriegsmarine en
, Bord der »Adria«; vier Welttheile habe
ich gesehen und eben so viele Menschen
iRaeen lennen gelernt. Und überall,
- auf hoher fiiirmiseher See, in fremden
Städten nnd fernen Ländern, trug ich
den Gedanken rnii mir, meine Schwe
Lf l
ster zu rächen, und ich lonnte ihn nim
mer los wer
Endlich lam ich na haufe. Meine
Schwester hatte inzwi chen den schwe
ren g überwunden und mit einem
braven urfchen sich verlobt; zur Land
tirchweih sollte nun wirklich gehochzeit
werden. Da kam das Berhiingmß über
mich. An einem herrlichen Julimor en
machte ich mich aus« um den Dreis el
berg u heftet en, auf deffen Gipfel man
das arobiqsfeft feierte. Wie es bei
diesem Vollsfeste hetgeht, wollte ich mit
eigenen Augen schauen; denn Ober
öfterreicher, Baiern und Böhmen ver
briidern sich da alljährlich, heitere Mu
sik ertönt und vollsthiimliche Tänze
werden aufgeführt. Hunderte von Tou
riften strömen dazu herbei, und des
baierifchen Braunbieres will es iein
Ende nehmen.
»Noch fechsstiindiger Wanderung
stand ich endlich auf dem steilen elfen
und fah hinaus in die weit aufge chlos
senen Lande. Die redenreichen Fluren
Niederöfterreichs. die obftgefegneten
Gefilde Oberösterreichs, das herrliche
jBöhmm und Vater-Land lagen wie
"ein Riefenteppich vor meinen Augen,
« und des Böhmerwaldes breite Waldes
wogen erfüllten mein Herz mit hoher
Freude. Viel Schönes habe ich in der
weiten Welt gesehen. allein was ich von
xdiefer ftolzen Felsenzinne anfchaute,
das machte mir das Herz im Leibe
lachen; denn das war ja meine einzig
fchöne Heimath die ich noch nie inniger
geliebt. als in diesem weihevollen Au
" genblick. Unten auf dem grafigen
jAnger unter hohen Fichten und Tan
nen lärmte und braufte es aus tausend
Kehlen, Alles war in freudiafier Stim
« muna, und auch mich ergriff eine Won
ne, daß meine Jauchzer weit hinaus
hallten in die Wildniß
Z »Soeben spielte unten die Passauer
EReaimentsmusil» einen Strauß’fchen
«; Walzer. Jch ftiea die breiten Steinftu
; fen wieder hernieder, und mifchte mich
l unter die Menge da, wie vom Blitze
getroffen, stand ich ftill, als ich plötzlich
! einen Mann erblickte, in dem ich sofort
; den Betrüger meiner Schwester erkann
«te. Das Herz klopfte mir zum Zer
fpringen, und meinen heißen Kon er
faßte ein Schwindel. Der Mann« von
i dem ich auf dem Meere, in Afien, Aftita
! und Amerika geträumt, dem ich Rache
aus Tod und Leben geschworem stand
auf einmal fo unvermuthet vor mir,
- daß ich mich an den erftbeften Stamm
lehnen mußte, um nicht davon über
mannt zu werden· Und jeßt lam mir
der Gedanke, meinen Rachefchwur aus
zuführen.
»Er hatte mich nicht mehr erlannt;
Ldas erleichterte mir mein Vorhaben
- Jch setzte mich zu ihm und lniipste ein
Gespräch mit ihm an. Da erfuhr ich·
sdaß er als Tourift den Böhmerwald
bereife; er fei in hiesiger Gegend gut zu
haufe, erzählte er, da er vor Jahren
längere Zeit hier gelebt habe. In mei
ner Aufregung sprach ich dem Münche
ner Stoff mehr zu, als gerathen er
fchien, und bald umnebelte sich mein
Geifi. Der Satan hatte feine Schlinge
um mich geworfen.
— .-«-- . .
s »Hu ver murren macnasche trug ich
ein langes, scharses Messer, wie solches
die Grenzer beim Rausen gebrauchen·
An dieses Messer dachte ich sogleich,
und fortwährend war es mir, als sollte
ich’s dem Eidbrecher bis an’s Heft in
die Brust stoßen. Jch wäre im Stande
ewesen, mein schreckliches Vorhaben
sogleich auszuführen wenn sich mir nur
halbwegs eine Gelegenheit dazu geboten
hätte. Da, als ek- zu dämmern begann«
stand mein Opfer auf, um vom Hohen
stein aus den Sonnenuntergang zu be
trachten. Rasch entschlossen bot ich mich
zum Begleiter an.
»Anscheinend in fröhlicherStimmung
wanderten wir dem etwa zehn Minuten
entfernten, aus dem Erdboden in
schwindelnde öhe emporragenden rie
sigen Felstolo zu. Achtzig Steinstu
sen führten zur Zinne hinauf, von wo
sich eine unbeschreiblich schöne Fernsicht
namentlich über den Böhmerwald und
tief hinein in's Böhmer and eröffnet·
Seid Jhr schon oben gewesen« herr?
Fast senkrecht fällt dort die Felswand
in die schauerliche Tiefe nieder. Aus
den Ri en des Urgestsins spri tsunges
Tonni t, aus welchem der charlach
des Trauhenhollunders blutroth her
vorleuchtet. Tief unten dehnt sich ein
unübersehbares Winseltneer anz, und
es ist einem, als könnte und rniiszie man
von hier itber dasselbe hinwegfliegen.
Zu Westen stieg die Sonne unter die
ipfel der fernen Wälder hinab, mit
ihrem Glanze die ganze Landschaft
noch ein Mal wundervoll ver-klärend
»Der nichts ahnende Mann trat
; knapp an’s Geländer und betrachtete in
heiligem Schweigen das roßartige
NaturschanspieL Ich stand Hinter ihm
nnd elt den Griff meines Messers in
der z tternden hand. Plöhlich rief- in
meiner Brust: Jeht mußt Du ihn töd
ten, hier ist der geeignete Ort, und kein
Späherauge ist in der Rithet Ein
Sturz von dieser hdhe muß ihm den
Satans machen, und sollte er sich zur
Wehre sehen, so machst Du Gebrauch
—-1
oon Deinem Mc er! Sterben muß er
ohne Gnade und rmherzi teitt
»Und rasch sagte ich i n an der
Schulter und weckte ihn mit dem Don
nerwort aus seinen Träumen aus : »Er
kennen Sie mich wirklich nichts«
»Etwas verwirrt entgegnete er: » ch
hatte nie die Ehre, Jhre werthe
ianntschasi gemacht zu haben.«
»So schauen Sie mich nur einmal
recht ordentlich anl« slii erte ich ihm
»Sollten Sie wirtli nicht tn mit
die Zii e jenes Mädchens aus dem Za
pserho e erkennen, das Sie so namen
ios unglücklich gemacht?«
»Der Mann trat rasch zwei Schrittes
zurück und suhr mit der hand in dies
Rocktasche.
»Lassen Sie den Revolver nur hübsch;
drinnen! Der Zapser- Jogl, der mit
dem Meere geiiimpst hat, zittert nicht
vor einem solchen!«
»Also Sie sind Mariens Bruder!'«
lenkte er in begütigendem Tone ein
»Ja,1etzterienn ich Sie wirklich! Sie
sind hrer schönen Schwester wie aus.
dem esichte geschnitten!« »
»Meiner schönen Schwester, die Sie
so schändlich hintergangen haben!«
höhnte ich.
»Sie scheinen furchtbar erregt zu
sein! Vielleicht ist Ihnen das starte
Bier zu Kopfe gestiegen? Lassen Sie
uns in Frieden den Rückweg antreten,
ich bin Jhnen zu jeder Genugthung de
reit."
»Nein, hier machen wir unsern Han
del auitt! ier sind wir allein, hier
will ich ausführen, was ich Jhnen seit
jenem Tage geschworen, wo Sie meine
Schwester der Schande preis egeben!
Jch hat-? gewußt, daß Ihr eg Sie
sriiher oder später in meine Hand süh
ren muß, und nun laß ich Sie nicht
mehr so leichten Kauses los! Sie müs
sen Jhr Unrecht büßen, und zwar gleich
hier aus dieser Stelle-is m
l
I
i
(
J
Raum hatte ich orefe Worte gespro
chen, so stieß der Feigling ein klägliches
Hülfegeschrei aus, das weithin durch
den abendstillen Wald gellte. Wie ein
Tieger warf ich mich Auf ihn und
schniirte ihm mit eiserner Faust die
Kehle zu. Jch hatte alle Besinnung ver
loren, denn ich wußte gar nicht mehr,
was ich that. Als endlich meine Kraft
erlahmt war, ließ ich ihn los, und nun
erst tam ich wieder zu mir selbst. Da
hallte es durch meine Seele: Mörder!
und fast hätte ich mich selbst erstochen.
»Doch bald kam wieder ruhig Blut
über mich. Jsch hob den Todten auf
und stürzte ihn den Abgrund hinunter,
um so glauben zu machen, er wäre ab
gestürzt. Doch Gottes Rache folgte mei
ner That auf dem Fuß. Grade als ich
den Leblosen über die Felswand warf,
tauchten unten mehrere Männergeftal
ten auf, die auf das Hiilfegefchrei her
beigeeilt kamen. Mir verging Hören
und Sehen. Kopfiiber wollte ich mei
nem Opfer nachstiirzen, doch plötzlich
fehlte mir der Muth dazu ..... ein
Schwindel erfaßte mich, und ich stürzte
bewußtlos zusammen
»Als ich die Augen wieder öffnete,
war ich in der Obhut zweier Germar
men, die zum Sicherheitsdienfte beim
Voltsfeste auf dem Dreisessel anwesend
waren . . .. und nun, mein Herr, war
es mit meiner errlichteit aus für im
mer. Der Zap er-Jogl war ein Mör
der,ein ausgestoßenes Glied der mensch
lichen Gesellschaft fiir immer . . .
»Was weiter geschah? Jch brauch«
es Jhnen nicht mehr zu erzählen. Jch
tam vor die Geschworenen. Mein An
walt vertheidigte mich glänzend. Er
wußte der Sache fo beizukommen, daß
es den Anschein gewann, als hätte ich
in der Nothwehr gehandelt, was ihm
auch gelang. Vom Meuchelmord wur
de ich freigesprochen, dage en wegen
Todischiagö zu acht Jahren erker ver
urtheilt. Meine Mutter traf vor Kum
mer der herzschlag Bevor ich meine
Strafe antrat, iiber ab ich meine
Witthschaft meiner Schwester, und
heute ist sie mit ihrem Manne gänzlich
Herrin derselben, nachdem ich nach mei
ner Freilassung beschlossen hatte, meine
schwere Schuld durch ein entsagungs
volles Leben in freiwilliger Verban
nung zu sühnen. hier ließ ich mich nie
der. baute mir diese Fette die ietzt weit
und breit verrufene örderhiitte, und
seit sechs ahren verdiene ich mir den
kareen Bi en alt holzhauer. Auf diese
We se hoffe ich die Verzeihung des him
mels zu erlangen . . . .«
k i i
Der Mann schwieg. Thriinen roll
ten ihm iiber die Wan en. Das Feuer
war erstorben, durch d Wipfel däm
merte der rsnnge Mor en.
Sprach os vor Nil ung drückte ich
ihm die hand. »Seien Sie getrost,
mein guter, armer Freund«, sprach ich
mit zitternder Stimme. »Sie haben
schwer gefrevelt, aber auch schwer ge
hiißi und bitter bereut. Gott hat Ih
nen gewiß schon derziehen.«
Jn diesem Augenblicke drang der
Klang der Morgens-locke von den
Lasenhönsern in die Wildniß herauf,
und die Wipfel der Bäume erstrahlten
im rostaen Lichte der aufgehenden Son
ne. Die Vögel begannen fich zu regen,
l—
und der Wald wurde lebendi . In
diichiig beteten wir Beide den Eiter en
segen. Dann machte ich mich reise er- «
tig. Und nun geleitete mich der «hoiz
hauer« zum Rittsteig, der gerade aus
den Dreisessel führt. Noch ein sinmmer
Händedruck — und er verschwand unter
dem Gewirr der Bäume.
Als ich im nächsten Jahre wieder aus
dem Dreisesiel stand, pilgerte ich bin
unier, die einsame Mörderhiiite aufzu
suchen. Sie stand jedoch nicht mehr;
sie war dem Erdboden gleich gemacht,
und auch von meinem selisamen Freund
war ieine Spur zu finden.
Erst beim Rosenberger in den Locken- » »
häusern, wo Adalberi Stifter so gern
geweili und so Herrliches geschrieben-i .
erfuhr ich, daß ihn im vergangen
Winter eine fallende Tanne erschlagen. ;
Nun ist er dort, wo es ieinen Haß unhj ; . «« -
keine Rache mebr gibt. Jch aber will
ihm ein stetes Angedenken bewahren.
»O
Jean Paul der Zweite.
Hamen-sie von August Fernw.
Wir saßen dreimal im Hotel an der
Mittagstasel neben einander, wir hat- :-«»
ten uns zweimal »gesegnete Mahlzeit« s
gewünscht, einmal mehrere Minuten
lang iiber das Wetter die bekannt » ·
geistvollen Beobachtungen ausgetausch T
und schließlich sagte der junge Man -«
indem er sich zuerst sein Haar und dann«
seinen blonden Bart strich:
habe die Gewohnheit, mich erst ;
bei ängerer, genauer-er Bekanntschaft · -"
vorzustellen, darum gestatte ich mir, ·
anen hiermit meine Karte zu über- ;
reichen.« — —
Nach dieser mit passender Betonung I
losgelassenen Ansprache entnahm er »
seiner Brieftasche eine Visitenlarte, aus "«
der ich, ohne mit der Wimper zu zucken,
folgende Worte las:
zean Paul Vorr,
Schriftsteller. ;
Darunter war eine Gänsefeder mit .
Fahne und Spitze äußerst naturgetreu
und erläuternd hinzugefügt und ein «
liinftlerisch tomponirter Klecls bildete
denchs Abschluß. .
Da mir im Augenblick nichts Ge
scheidteres einfiel, sagte ich nur bedeu- «
tungsvoll: ;
»So, so —-- Schriftsteller·« -.
»Allerdings Schriftsteller«, nahm
Jean Paul der Zweite das Wort ———«
»eigentlich nicht dazu erzogen, aber von
innerster Neigung darauf gekommen. ,
Meine Haupttraft sind Naturschilde- H.
rungen. Das ist der Grund, der mich J
an die Schweiz fesselt und ich habe — " ·
erlauben Sie mir, es zu sagen —- eine «
eigene Theorie für mein Fach erfunden.
ch schildere die Natur in den treueften
otaltönen, als Momentaufnahme,
Momentempfindung, nicht wie andere
nachträglich der Gelegenheit angepaßt,
und sii e in den Rahmen, der doch un- —
zweifel aft echt und originell ist, erst .
später die Novelle, die ich auch zu erle
ben suche oder aus Erzählungen Ande- -
rer schöpfe, ein. Jch tann behaupten.
daß meine sämmtlichen Sonnenauf
und Untergänge. Gewitter, Sonnen- «
scheine, Bergesspitzen, Thäler, Weiden, «
Gewäfser, Schnee- und Waldbilder,
Blumen und Früchte echt und unver- )
fälscht sind, daß mein Heugeruch und
Kuhgeläute nicht vertannt werden tön
nen. Jch halte mein System fiir tief- .
ernst, besonders fiir sittlich erhebend .
und habe bereits die freudige Genug- .
thuung der Anertennung einiger Zei
tungen, von denen »L’Echo de Ven
teaux« meine jüngste Arbeit zum Ab- »
druck brachte. Jch werde nicht verfeh
len, Jhnen ein Exemplar zu überrei
chen.«
Wir waren während dieses Vortrages
in den Garten des Hotelit hinausgegan- .
gen und setzten uns auf eine Bdnt Vor
uns lag fast unbewegt der Spiegel des »
Genfer Sees, gegenüber ragten wie un- ·
ter leichten Schleiern die zackigen Berge ·
empor, rechts und links lachten häuser
aus noch voll belaubten Baumgruppen
heraus, hinter uns stiegen die hohen im
bunten Herbftlaub empor, überragt von
dem lahlen Rocher de Nahe und neben
mir —- saß ein Menschenkind, dessen
Narrheit asmiisant zu werden versprach —
Mehr konnte ich nach dem guten Ga-»
belfriihstiick, das wir soeben eingenom- »
men hatten, wirtlich nicht verlangen.
Jch ziindete mir also eine Cigarre an
und ließ den Schriftsteller, von dem
erwarthtzääaß erirtwch länge nich -
aus r e, we er re en.
»Beste nun, mein werther herr,« be ..
gann er wieder, nachdem er einen pr’
senden Blick auf die landwirthichaf .
liche Umgebung, die er aber wahrschein
lich schon längst erschöpfend abgeschri
ben, geworfen hatte. »nun richte ich et "
Bitte an Sie. Es scheint mir. daß E
hier im Hotel unter den vielen anwes «
den Damen Bekannte haben. ich we
daßsSie schon seit einigen Jahren u «
längere Zeit in diesem Dotel wohn
Können Sie mir nicht einiae int -«
sante Notizen geben, tleine Geschi»
erzählen, die ich zu meinen Arbeiten