Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, August 21, 1896, Sonntags-Blatt., Image 9

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    J
Zorn ein ehbriges Tagewerk voll
r
acht. der Du sollst nicht umsonst
r mich gearbeitet haben.«
» «« Jch schwieg, dachte aber an die Wor
« te meiner Mutter: »Da wird e wohl
auxetwasfiir Dich thun, was ir sehr
zu tatten lommen ibnnte.«
»Du willst Dich diesen kommenden
Derbst verheirathen, wie ich höre.«
»Ja, Großmutiet!«
»Aber mit Nichts läßt sich der Ehe
ftand nicht ut anfangen.«
»Ich weiz das, Großmutter.«
»Aus diesem Grunde bin ich zu dem
Entschlusse gekommen, Dir jetzt zu ge
ben, was ich Dir so wie so teftamenta
risch vermacht haben würde.«
»Jetzt gleich, Großmutter?«
Jetzt gleich, heutkAbend noch. Mein
übriger Nachlaß ist bereits milden
Stiftun en vermocht. Du bist von der
an en Fbande meiner Nachkommen
chaft der Einzige, den ich bedacht habe.
Jch denke, George, zweitausend Dol
lars könnten Dir gut thun, he?«
Jn meiner freu igen Erregung fand
ich keine Worte,um zu antworten, fon
i dern nickte nur befahend mit dem
Kopfe.
»Du hast doch die Blechbiichse gut in
Acht genommen, George? Jch will’s
hoffen-«
Gut, daß es dunkel war, so daß die
alte Frau meine Verlegenheit nicht be
- merkte. Jch murmelte etwas wie ,,o
· gewiß, Großmutter,« das aber zu un
s deutlich klang, um von ihr verstanden
zu werden. Was hatte aber die Pan
dorabüchse mit meiner Heirath und ih
rer Geldfchenkung zu thun? Jch sollte
es sogleich erfahren.
»So geh mein Junge, und hole die
Büchse. Sie enthält Dein Erbtheil in
lauter neuen gundertdollarfcheinem
Du wirst Deine p; reude daran haben.
So geh doch, Junge, ich werde unterdesz
Licht anmachen.«
Die Finsternifz deckte gütig auch die
Leichenbläsfe meines Gesichts. Es war
zu viel, was ich in kaum drei Minuten
an Hoffnung und Enttäufchung gefühlt
hatte. Jch schlich aus der Stube und
dann zum Hause hinaus, das ich nie
mals wieder betrat, lief durch verschie
dene Straßen, immer an den noch strö
menden Gossen entlang, und als der
letzte Schimmer von Hoffnung erlo
schen war, kehrte ich zur Mutter zurück,
die meines langen Ausbleibens wegen
in Sorge war
i
-«- s o
TIJIUCIII, Illslc Iw, »lllslgclc lll chl
Fruh werde ich m die Fremde gehen."
«Wohin denn, George?« sragte die
überraschte Mutter.
«Gleichviel, wohin. Jch dente nach
dem Westen, wohin so viele «unge Leute
gehen. Ich werde mein lück versu-.
en "
»Und die Frida i« T
»Ach ja, die Frida!« seuszte ich.J
«,,Sag der rida, daß diesen Herbst aus?
der Hochzeit noch nichts werden könne«
Winn sie noch ein paar Jahre wartenj
wt --—«
»Na, Yagef unterbrach die Mut
ter, «leg ich nur ertt schlafen, Du bist
müde. Morgen früh läßt sich das ja
weiter überlegen-«
Am anderen Morgen sah die Mutter
mich nicht mehr. Ohne Abschied und
sast mittellos wanderte ich zum Städt
chen hinaus, von Ort zu Ort, bis ich
Arbeit fand. So trieb ich mich mehrere
ahre in den mittleren und westlichen
taaten umher ohne die Meinigen mei
nen Aufenthalt wissen zu lassen. Erst,
als ich erfuhr, daß meine Großmutter
gestorben sei, tam ich in die Heimath
zurück.
Wie ich erfuhr, hatte die Großmutter
tein Wort von der Schentung entfallen
lassen, wohl aber hatte sie erzählt, daß
ihr bei dem bewußten Umzuge zweitau
send Dollar abhanden gekommen und
ich mich in so aussallender Weise von
ihr weggeschlichen habe. Daraus hatte
meine Mutter geschlossen, daß das Geld
von mir gestohlen sein müsse, und mein
plötzliches Verlassen der Heimath schien
ihren Verdacht ja auch tlar zu bestäti
gen.
Es war schwer« ihr den Glauben
auszureden, und ich weiß nicht, ob sie
überhaupt von meiner Unschuld über
zeugt worden ist. Die Frida hatte ei
nen Anderen geheirathet; auch sie muß
te mich wohl iiir einen Dieb gehalten
haben. Die Pandorabiichse, die allein
meine Unschuld hätte beweisen lönnen,
ist niemals wieder zum Vorschein ge
kommen.
OOO —
—·"Abwehk.«
Ar t: ,,Unverbesserlicher! . .. Also
Zwei Zitsund Spietaal mit Rattosfelsa
at haben Sie egessen und sich damit
selbstverständli wieder den Magen
grtindlich verdorben t«
Patient (iir erlich): »Natürlich, —-—
·e t muß wie er der Spictaal daran
i uld sein! Mit war vorher schon so
miserabels«
— « — OOO - s
Kühner Schluß.
»Warum wird denn heute so start ge
löuteti«
»Ach. da ist sicher ein Schwerhiiriger
gestorben t«
A
Praktisch; Nächstenliebe
—
Stizze aus dem Großstadtleben·
Von Otto Wilhelmy.
In allen Großstädten der Welt giebt
es eine Menge Leute, von denen man
nicht so recht weiß, wovon sie eigentlich
ihr Dasein fristen. Anscheinenb glei
chen sie den Lilien auf dem Felde, sie
saen nicht, sie ernten nicht« aber die All
gemeinheit ernährt sie doch. Wilde Re
porter, Buchmacher, »Naturforscher«,
fliegende Geldwechsler. ,,Sonnenbrii
brüder,« — all’ das sind Typen, die
speziell Berlin erzeugt hat. Es kann
aber sicher kein Berliner an eben, wel
ches »Einkommen« diese reibhaus
pflanzen der Reichöbauptstadt haben.
»Gut keins« wird in den meisten Fällen
geantwortet werden, aber das stimmt
nicht, denn von nichts tann der Mensch
nicht leben. Auch die Enterbten bemü
hen sich, Geld zu erhaschen, sei es nun
aus diese oder jene Weise, allfällig aber
fo, daß dieselbe erade noch vor den
Gitteisnfenstern staat-its vorüberfiibrt.
Wer nun unter den fahrenden Gesel
len einen neuen ,,tric« sich ausgeiliigelt
hat, der gilt nicht nur unter seinesglei
chen als großer Mann, sondern er ver
dient auch ein nettes Stiick Geld da
mit. Einem solchen »Spezialisten«
unter der sanft der Nichtsthuer bin ich
zufällt auf die Spur gekommen und
das ge chah so: i
Jm April mußte ich eines Morgens
hinaus zur Kontrollversammlung in
eine der Kasernen in der Hasenhaidr.
Es war ein tühler Frühlingsmorgen,
die Sonne drückte die Nebel nieder, daß
ein blauer Schleier iiber die Gewäfser
gebreitet schien. Eili en Schrittes
passirte ich die Belle- lliance-Briicke.
Da springt plötzlich ein Mann an’s Ge
länder, blitzschnell ist er droben, wirft
Rock, Stock, Hut auf die Brücke und
stürzt sich topsiiber in den Landwehr
tanal.
Eine Pause todtlichen Cntsetzens —
— dann lvmmt Leben in die Menge.
Der eine halt den Rettungsball los, der
zweite schreit nach einem Schutzmann,
der Dritte macht den Rettungslahn
stei. Zwei steigen hinein, der dritte ru
dert lanalabwärts. Da unten steigen
Strudel aus dem langsam dahinslie
ßenden Wasser, dann ein Arm, ein
Kopf, —- sechs Hände greifen zu, ein
kurzes Ziehen und Zerren, und der
Selbstmordlandidat liegt im Kahn.
Dieser wird zur Landungsstelle ge
bracht und der pustende und schnaufen
de durchweichte Mensch am Ufer empor
geführt. Die Brille hatte er noch aus
der Nase, was mich sehr wunderte.
Mich interessirte der Aermste, der in
zwischen voll Eifer seinen Rock, Stock,
hut ausgesucht hatte. Auch andere mit
leidische Menschen drängten sich hinzu.
»Was steht Jhr denn hier und
gafft?'« ries da em starker, breitschult
riger Herr. »Prattische Nächstenliebe,
das ist die Hauptsache,"—und da nahm
er den Hut des Durchnäszten und warf
ein Markstiick hinein, woraus er den
Hut seinem Nachbar hinhielt. Alles
griss in die Tasche, —— da kam ein Ni
ckel, dort ein Fünszig-Pfennig-Stiicl,
ich verstieg mich zu einer Mart. »Sie
sind wohl stellungslos?« sragie ich
theilnehmend den jungen Mann, der
sich eben mit der linken Hand die
Haare ordnete und mit der rechten den
Jnhalt des Hutes in die Tasche ver
senkte.
«·«
»Ja roou , uuuouum rr pruni-m
»Schonst zwee Jahre, et is zu schwer,
Arbeet zu lrie en.« ;
»Was sind ie denn ?« s
»Ja bin jelernter Buchhandlu, —
aber wissen Se, det Jeschäst, nee, da
vor dank ick.« »
»Bielleicht ist es mir möglich, anen
wieder eine Anstellung zu verschaffen,«
meinte ich. »Ich will Jhnen meine
Adresse geben . . . .« .
»Det lassen Se man,« unterbrach er,
mich hastig, »et jeht ooch sol« —— und
schnell trottete er am Ufer entlang, als«
die helmspitze eines Schutzmannes am(
Belle-Allian:e-Pla2 austauchta ·
Jch batte den Vorfall fast wiederT
vergessen, als ich an einem linden Mai- I
abend nach den Zellen wanderte. Derj
Thiergarten war außerordentlich be-i
lebt von Menschen, die srische Lufti
schnappen wollten. Die Gärten der
gelte waren dicht besetzt und längs der
pree wälzte sich der Menschenstrom
vorüber an dem Schloß Bellevue bis
zum Kassee Gärtner. Mit Mühe er
oberte ich hier ein Plätzchem um in
Ruhe ein Glas Bier u trinken.
Am Nebentisch sa ein starker breit
schultriger Herr, den man siir einen
Pastor hätte halten können. Glait ra
siertes Gesicht, lange, etwas ergraute
Saate, hoher weißer Kragen, schwarzer
ebrock. Nur die Stimme lontrastirte
merkwürdig mit diesem Respelt einslös
ßenden Aeußern. Es klang verdächti
heiser, als er dem Kellner zuriesx »N
’nen Cognae, Kellner.« Der brachte
das Verlangte, der Mann leerte das
Glas in einem Zuge und blickte dann
H YI
aufmerksam nach der Spree. Er zog
die Uhr heraus, ergriff seinen Stock und
: machet sich fertig zum Weggehen. Noch
einige Au enblicke blieb er wartend
stehen . .. a entstand unter den Pas
santen draußen eine lebhafte Beweg
. ung, man drängte unter Ausrufen des
i Schreckens nach dem Flusse.
l Mit langen Schriten eilte jetzt der
Cognactrinter an mir vorüber.
,,Wieder ein Selbstmörder, Sprung
in die Spree, lommen Sie, wir müs
sen helfen,« rief er mir mit der heiseren
Stimme im Weitergehen zu. Jch schloß
mich ihm bereitwillig an. ·
Am Ufer war eine aufgeregte Menge
versammelt. »Dort, dort," schrie der
Eine, —- und wirklich tauchte in der
Mitte des Flußbettes ein Kon auf.
Die Arme wurden sichtbar, es schien,
als ob der Aermste verzweifelt ge« en
das Untergehen kämpfe. anwis en
hatten Schiffer einer vor Anker liegen
den Zille ein Boot ausgesetzt und ru
derten riistig auf den mit den Wellen
Ringenden zu, ihn durch Zurufe zum
Ausharren ermunternd. Das Ret
tungswerl gelang auch glücklich, und
bald befand sich der Selbstmordlandi
dat im Boote, das dem Ufer sich zu
wandte.
»Na liel einer an,« meint der Hei
sertz »Noch Stock und Hut hat er sorg
iiltig auf den Rasen niedergelegt. Was
mag nur den armen Menschen zu der
entsetzlichen That getrieben habench
Man muß ihm helfen, denn ,,edel seis
der Mensch, hilfreich und gut. . .«, ,etzte
er salbungsvoll hinzu. l
Inzwischen war der Durchnäßte ge
landet worden. Jch dränge mich durchk
die Menge, der Heisere folgte mir auf
dem Fuße. Als ich den Geretteten er
blickte, stutzte ich: er trug wahrhaftig
eine Brille auf der Nase und auch sonst,l
—- natiirlich, das war ja mein Bekann
ter, der stellenlose Buchhandler von der
Belle-Alliance-Brücke! l
m-J- -f.- Lx -s--.- -:— M--A L-« ft
Jst-W LVG IDV UUSS kllc OULD Ucp US
ftaunens laut werden lassen konnte,«
war der Heisere an der Seite des Geret- —
teten. »Was hilft das hier Stehen?«l
wandte er sich mit lebhafter Geberde an
das Publikum, ,.prattifche Nächsten-F
liebe, das ift die Hauptsache . . .« und
mit kühnem Griff hatte er den Hut vom l
Boden aufgerafft, griff in seine Tasche, I
zog ein blanles Markstiick, das lofe ini
der Tasche gesteckt haben mußte, hervorl
und legte es in den Hut. Diesen hielt
er feinem Nachbar hin, der sich dieser(
dringlichen Aufforderung nicht ent
ziehen tonnte und ebenfalls in die Ta- J
fche griff. Und wiederum kamen von’
allen Seiten Silber- und Niclelftilckel
geflogen, so daß der Boden des Hung
bald damit bedeckt war. Und der Oel-·
fer sammelte unermüdlich weiter, I
Der Gerettete brachte inzwischen, fo
gut es ging, feine Garderobe in Ord-.·
nung·
»Vaden Sie denn immer noch reine
Stellung?« redete ich ihn an.
,,Nee, ick brauche auch leene,« platzte
er heraus- Dann besann er sich und
lorri irte sich, mich mit einem miß-.
trautechen Blick musternd: ,,Et is zu·
schwer, Arbeet zu lriejen.« ·
»Was sind Sie denn?«
»Ja bin eejentlich jelernter Knos
mann . .
»So?« frug ich gedehnt. »An der.
Belle-Alliance-Brücle waren Sie doch
gelernter . . . .«
Noch ehe ich den Satz vollendeni
konnte, drängte sich der Heifere mit dem i
Hute heran. Der Gerettete griff haftigT
darnach, im Nu hatte er den Jnhalt ge- !
leert und in seine Tasche gesteckt. I
,,Praltifche Nächstenliebe, daß ift die;
Hauptfache,« hörte ich den Heiferens
noch sagen, dann sah ich, wie er dem?
Geretteten einen derben Stoß gab unds
mit der Hand nach der Brücke deutete,1
die nach Moabit hinüber führte. Meh
rere Schutzleute eilten auf uns zu . . . .
Wie derBlitz verschwand da der Selbst
mordlandidat in der nach dem Thier
garten mündenden Allee und ebenfox
schnell war auch der Heisere verdiiftet.!
Jch zweifelte nun teinen Augenblick
mehr: das waren zwei ganz gerissene
Gauner, die mit einander gemeinschaft
liche Sache machten.
Am vergangenen Sonntag fuhr ich
nach der Ausftellung in Trdeptow Die
Sonne meinte es rechtschaffen gut, fo
daß ich mich entfchloß mit dem Dani
pfer zu fahren, auf dem Wasser ift es
noch am erträglichften. Als ich zurl
Jannowitz-Brücke lam, fehlten nur
noch zwei Minuten bis zur Abfahrt.
Der Dampfer war dicht besetzt, na
mentlich mit Provinzbesuchern, welche
in Begleitun ihrer Berliner ,,Bären
führe-« die erkrichreitm im Tuns-I
wer Parl be ichtigen wollten« Auf dem «
Vordertheil des Dampfers war lein
Stehplatz mehr frei. Jch wollte mich
nach hinten verfügen und ging eben an
der Thür vorüber, die in die Kajüte
führt. »Noch ’nen Cognac, Kellner,«
tönte da eine heifere Stimme herauf.
Ueberrafcht blieb ich ftehen und blickte
in die Kajitte hinunter. Richtig, da faß
er ja mit dem blank rafirten Gesicht und
dem hohen Kragen und goß den Geg
t
c
snac hinunter mit der Miene eines Man
- nes, der zu leben versteht.
i Wo aber war sein Sozius? Ver
’ geblich spähte ich umher, ich konnte ihn
nirgends entdecken. Oder er mußte
dann gerade unter der Menge stecken,
die sich vorn auf dem Bug zusammen
gedrängt hatte. Vielleicht aber war das
Kompagniegeschäft in die Brüche ge
gangen . · . .
Wir hatten Rummelsburg passirt,
das Kirchlein des Dorfes Stralau kam
in Sicht, und rechts leuchtete die Altj
min-K«uppel des Haupt-Ausstellungs
gebäudes. Da sah ich, wie plötzlich der
Heisere aus der Kajiite hervorbrach.
Seine hohe, kräftige Gestalt bahnte sich
rücksichtslos einen Weg durch die Men
ge. Er hatte es augenscheinlich eilig,
denn nach einem Blick aus die Uhr schob
er die vor ihm Stehenden kräftig bei
Seite, so daß es ihm wirklich gelang,
bis an den Bug vorzudringen
Da tönte plötzlich die schrille Pfeife
des Kapitäns, der auf der Kommando
briicke stand. Einige Worte durch das
Sprachrohr in den Maschinenraum,
die Dampfpfeife gellte weithin hörbar
über das Wasser, das Schiff stoppte.
Man drängte sich erschrocken durchein
ander. War die Maschine nicht in Ord
nung, hatte es ein Unglück gegeben?
Die Bemannung stürzte auf Deck, des
weiteren Befehls wartend.
»Mann über Bord!« rief ihnen der
Kapiiän entgegen und zeigte nach
rechts. Nicht weit vom Schiffsrumpf
entfernt, aber gerade so weit, daß er
von den Schaufeln der Schraube nicht
erfaßt werden konnte, tauchte der Ober
törper eines Mannes aus dem Wasser.
Als das Schiff still stand und die
Schrauben nicht mehr kreisten, kam der
Berungliickte mit kräftigen Stößen auf
den Dampfer zugeschwommen. Man
sah es an jeder Bewegung, es war ein
vorzüglicher Schwimmer. Geschickt
fing er das ihm zugeworfene Tau auf,
an welchem er wieder an Bord gezogen
wurde.
k-- -. « - . - -
,,«uec uermne , jagte eine warne ne
ben mir, ,,er hat den Selbstmord sorg
fältig vorbereitet: Rock, Stock und Hut
haterzurückgdassen,dann unnrnahm
er den fürchterlichen Sprung.«
»Die Brille aber hat er aufbehalten,«
warf ich ein« »denn er ist sehr kurzsich
ttgundlannsiebrininssTBassnfprin
gen nicht entbehren.«
»Die Brille?« zweifelte die Dame.
Noch ehe ich antworten konnte, kam
der Durchnäßte, er wurde in die Kajiite
geleitet. Natürlich trug er eine Brille,
ich kannte die ebenso genau wie ihren
Träger-.
»Heler müssen wir,« tönte die hei
sere Stimme, »praktische Nächstenliebe,
das ist die Hauptsache . . .« Und genau
dieselbe Komödie spielte sich ab. Der
Hut, in den der Heisere zuerst das be
kannte Markstiick hineingeworfen hatte,
zirkulirte unter den Passagieren und
die Ernte gestaltete sich sehr einträglich
Jch kletterte in die Katiite hinunter.
Der Gerettete kroch in trockene Kleider,
welche die hilfsbereite Schiffsmann
schaft her-angebracht hatte. Er erkannte
mich sofort wieder, aber in Verlegenheit
gerieth er nicht. Ehe ich ihn anreden
konnte, meinte er gemüthlich:
»Ist weeß, wat Se mir sagen wol
len. Aber eh ick verhungere, verdiente ick
nrirtnrin Brod durch inrin Juvnbe
janz ehrlich un zünftig.«
»Durch Jhr Gewerbe? Jch denke,
Sie sind Buchhändler oder Kauf
«
mann?
Ic- s-«IJ- Imll «»c EIN-e c-»-- Is
V· »Im-«- »s« UUIO »»u »v- »s
man blos so. Jck bin jelernter
Schwimmlehrer, bei’s Regiment war
ict der allerbeste Schwimmer. Jn vol
ler Kluft mit gepackten Affen un ’s
Fechtjewhr, —- immer rinn in’s Wasser.
Von sämmtlichen Offizieren bin ick je
lobt worden, mein Diplom habe ict
heute noch.«
Also Schtvimmlehrer war dieser
Schlauberger! Jch mußte unwillkür
lich lachen, der verstand es, sein Ge
schäft lutratio zu gestalten, das mußte
ich mir eingestehen.
»Nur mit die verfl . . . . Brille,« suhr
er, gesprächig geworden, sort. »Ist biet
so mächtig turzsichtig und ohne die
Brille traue ick mir nicht rinn . . . Aber
et is noch Kernen usjefallen, det man
eejentlich mit der Brille keenen Ver
saufsversuch macht.«
,,Prattische Nächstenliebe, das ist die
Hauptsache,« hörten wir den Heiseren
oben von Neuem erzählen.
»Der is mit von’g Jeschäst,« erklärte
der Schwimmlehrer. Der kriegt 33
und ein Drittel ab. Jcl habe ihn extra
engagirt, weil er so würdevoll aussieht,
er hat was von ’nem Pastor an sich.
Det zieht bei’s Publikum immer. Dann
war er auch bald an’s Verhungern,
denn mit die Flickschusierei war schon
jar nichts nich los. Blos det er jerne
schnapst, sonst bin ick mit seine morali
s che Führung zufrieden.«
Als o Flickschuster war der edle Men
schenfreund! Das sah ihm Niemand
mehr an.
»Er hält wat uss sein’ äußeren Men
schen,« fuhr der Schwimmlehrer sor·t.
p.
1
»Propretitti ist bei ihm die erste Num
mer, auch au er dem Jeschäst. « s
Der Dampfer legte an, wir waren in;
Treptow angekommen »Ich will man
erst die Kledasche trocknen lassen, denn’
tomm’ ick ooch in die Ansstellung. JmI
Karpfenteich ist’s janz mollig, ick jehe
von die Spreewaldschenke aus rinn.«
Det letzte Mal brachte det 82 Märkers
Dei Sonntagspublikum in der Aus
stellung is mächtig splendit. Komm’
Se doch so um Uhre sieben mit ran, —j
Sie brauchen ja nischt mehr zu jeben, es
jiebt ja andere Dumme genug.«
Die dreiste Raivität des Bürschchen
belustigte mich, trotzdem aber konnte ich
der ,,Vorstellung« im Karpfenteich nicht
beiwohnen.
Als ich aber mit der »Elektrischen«
nach Hause fuhr, hörte ich, wie eine
jungeDame zu ihrem Begleiter äußerte:
»Mein Himmel, der arme Teufel, —
wie kann man denn an einem so schönen
Sonntagabend Selbstmordgedanken
haben. Daß es doch so viel Elend in
der Welt giebt» . Der alte Pastor,
der traf den Nagel auf den Kopf: prak
tische Nächstenliebe, das ist die Haupt
suche! Wie viel hast Du denn gege
ben?«
,,Zwei Mark.«
,,Zwei Mark? Na, weißt Du, da hät
test Du auch den Thaler voll machen
können. Du wußtest doch, daß DU’S
keinem Unwürdigen schenktest."
Der »fmarte« Schwimmlehrer hatte
Recht gehabt: es gab noch genug andere
Dumme außer mir!
—-A-—-- -00- -—-----——
Schweden’s Reichthümer.
Jn keinem Lande Europas liegen
noch so ungeheure Naturschätze unge
nützt da, wie im nördlichen Theile
Schwedens, der Provinz Norrland,
insbesondere dem Lehn Norrbotten,
das sich ungefähr vom 65. bis über den
69. Grad erstreckt. An Umfang nimmt
es fast den vierten Theil Schwedens
ein, wird aber nur von etwas über
100,00() Menschen bewohnt, wovon
über 4,000 Lappen und über 19,000
Finnen sind. Die Schweden nennen
Norrland ihr »Land der Zulunft«, und
das mit Recht, denn eneben den unge
heuren Waldbeständen ist es in erster
Reihe der unermeßliche Reichthum an
Eisenerzen, von dem nur erst ein ver
hältnismäßig kleiner Theil abgebaut
wird, während die meisten der gewalti
gen Erzlager noch der Bearbeitung
harren. Die Bedeutung dieser nord
schwedischen Eisenerzlager ist um so
größer, als, wie vor mehreren Jahren
auf einer Generalversammlung der
»British Jron Trade Association«
ausgesprochen wurde, das Eisenerz,
das bisher am meisten auf dem Welt
markt erschien, angeblich nicht mehr
länger als 20 Jahre vorhalten soll, so
daß dann die Ausbeutung der Erzla
ger in den nördlichsten Theilen Schwe
dens eine Nothwendigkeit werden wür
de. Der einzige große Grubenbetrieb
in diesen Landestheilen findet bei dem
2000 Fuß hohen berühmten Gellivara
Erzberg statt, dessen Jnhalt auf über
800 Millionen Tons Eisenerz veran
schlagt wird Bei einer Erzeugung
von 600,000 Tonnen jährlich würde
dieser Erzberg somit ein halbes Jahr
tausend ausreichen Die Ausbeutung
des Erzbezirks von Gellivara ist erst
durch den Bau der 130 Meilen langen
Bahn Gellivara-Lulea möglich gewor
den, denn durch diese wird das ge
sammte Roherz nach Lulea gebracht,
von wo aus es in’s Ausland geht. Jm
vorigen Jahre wurden fast 400,000
Tonnen verladen, doch rechnet man in
diesem Jahr auf eine weit größereAus
beute.
Mollihnrn ist- nbpk nie-fis fmä bin-in
bedeutende Erzgebiet dieses Landes
theiles; hier liegen noch die Eisenerzla
ger von Luossovara und Kirunavara,
die den Berechnungen nach jährlich
über U Millionen Tonnen Erz auf
unabsehbare Zeit liefern können. Da
sich die Aufmerksamkeit in immer höhe
rem Grade auf diese kolossalen Erzge
biete richtet, wird der s chwedis che Staat
kaum mehr lange damit warten können,
durch weiteren Ausbau der Gellivara
Lulea-Bahn die unbenutzt daliegenden
Reichthümer zu erschließen,um so mehr,
sich im Besitz des Staates befindet, bloß
da die eben genannte Bahnstrecke, die
durch die Fracht des Eisenerzes eine der
lohnendsten ist. Berechnet man nach ei
ner niedrigen Schätzung den Abbau
dieser drei Erzgebiete,Gellavara, Buos
sovara und Kirunavara, auf jährlich
zwei Millionen Tonnen zu einem Preise
von sieben Kronen für die Tonne, so
würde sich ein jährlicher Gewinn von
etwa 14 Millionen Kronen ergeben,
wogegen zur Zeit nur der dritte Theil
gewonnen wird.
Jm nördlichsten Schweden wird aber
nicht nur Eisenerz allein gesunden.
Hier liegen noch mächtige Lager des
werthvollen Apatit, ebenso findet sich
Kupfer, Blei und Silber, auch Gold,
ferner Magnetit, Schweselkies, Mar
mor,Talkstein,Schiefer,Platina, Kalt
stein, Arsenik, Magneikies, Zink u·s.w.
Angesichts dieser Schätze kann es nicht
zweifelhaft fein, daß Schweden in sei
nem närdlichsten Landestheile viele
,,schlummernde Millionen« besitzt, die
über manche finanzielle Schwierigkei
ten hinweghelfen können. Um so merk
würdiger ist es, daß der fchwedifche
Staat noch keine Anstalten gemacht hat,
diese Schätze zu heben. n neuerer
Zeit ha«t sich die Presse ver chiedentlich
mit der Sache befaßt, und auf der
jüngst in Malmö abgehaltenen Ver
sammlung des schwedifchen Agrarier
bundes beschäftigte man sich gleichfalls
mit der nördlichsten Provinz als einem
Absatzselde für die Landwirthfchaft des
füdlichen Schwedens, da ihr die aus
ländifche Absatzgebiete verloren gehen.
So schwach nämlich gegenwärtig auch
der nördliche Theil Schwedens bevöl
kert ist, so könnte eine Eifeninduftrie
hier doch Wandel schaffen. Denn die
Wirkung der Ausbeutung aller Erzla
der würde sich vollens zeigen, wenn das
Erz auch in jenen Landes-theilen ver
edelt werden könnte, während es jetzt
in’s Ausland gehen muß. Es fehlt nun
zwar an Steinkohlen, dafür sind aber
zahlreiche, gewaltige Wasserfälle vor
handen, die der Industrie dienstbar ge
macht werden können. Mit Jnsleben
treten einer solchen Eisenindurstrie
würde auch eine zahlreiche Arbeiter
fchaar herangezogen, die Landwirth
fchaft würde ein erwünschtes Abfatzge
biet finden und die Erzbezirke Nord
schwedens müßten zu einer Goldgrube
für den Staat werden.
-—-- »O- - —--—-—
Philosoph und Bummler.
Man schreibt aus Paris: Die Pari
ser Polizei ist eines- wahrhasten Dioge
nes habhaft geworden, eines Mannes,
der dem großen Alexander zwar nicht
erwidert hätte: »Geh’ mir aus der
Sonne«, der aber gesagt hätte: ,,Laß’
mich im Freien schlafen!« Seit einiger
Zeit nämlich macht sich die Polizei das
Vergnügen, die armen Teufel, die kein
Obdach haben und deshalb im Bois de
Boulogne, auf den Bänken der äußeren
Boulevards und unter den Pariser
Brückenbogen kampiren, mit ihren Hä
scherarmen zu verfolgen. Dabei soll sie
schon mehrere Spitzbuben erwischt ha
ben, die große Mehrzahl der bei Mutter
Grün oder im Gasthause zum Golde- '
nen Stern Uebernachtenden aber sind
harmlose Gesellen, denen außer Ar
muth ketn Verbrechen nachzuweisen ist.
Gestern nun ist der Polizei ein Mann
Namens Raphael Benoit in die Hände
gefallen, der nicht nur kein Verbrecher,
sondern auch kein armer Teufel ist, und
der aus philosophischen Gründen seit
zehn Jahren nur bei grimmigster Kälte
unter einem Dache geschlafen hat. Herr
Benoit hat eine Jahresrente von 6000
Franken, kann also fiir einen wohlha
benden Mann gelten und« könnte ein
Ichones Beben fuhren. Dies thut er
auch, nur hat er andere Ansichten von
»fchön«, als die große Mehrzahl feiner
Zeitgenossen. Benoit hätte vor 2200
Jahren im schönen Hellas leben müs
sen, dann hätte ihn die Polizei nicht
belästigt, und man würde heute von 8
statt von 7 Weisen sprechen. Also sprach
Benoit zu Cochefert, dem Oberhäscher
von Paris-: »Ich bin ein freier, unab
hängiger Mann, dem jeder Zwang zu
wider ist. Jch kann nur in der freien
Luft leben, im Hause würde ich ersticken.
Seit zwanzig Jahren führe ich dies un
gebundene Leben, und es gefällt mir
von Jahr zu Jahr besser. Kein Mensch
kann kommen und sagen, daß ich etwas
Böses begangen habe; aber Viele mer
ner Schlafkameraden werden Jhnen
bezeugen, daß ich sie in ihrer Noth un
stiitze und sie durch meine Unterstützung
schon oft vom Verbrechen zurückgehal
ten habe. So lebe ich als Bummler
und Philosoph und habe weiter nichts
zu thun, als jeden Monat zu meinem
Notar zu gehen, der mir meine Rente
auszahlt. Auf dem Nordbahnhof habe
ich einen Koffer stehen, der mein ganzes
bewegliches und unbeweglicheg Eigen
thum enthält, und dorthin gehe ich,
wenn ich Kleider wechseln oder sonst et
was holen oder bringen will. Tags
über gehe ich fpazieren, betrachte mir
die Schaufenster, die Vorübergehenden,
die Gäste der Kaffeehäuser u. s. w. und
wenn ich davon genug habe, gehe ich in
die Nationalbibliothek, um mich in der
Literatur auf dem Laufenden zu erhal
ten. Am Abend besuche ich ein Theater
oder ein Konzert und nachher suche ich
mir einen passenden Schlafplatz im
Freien, und zwar lege ich mich am lieb
sten unter einen Brückenbogen, weil da
der Regen nicht zu befürchten ist.« Die
sen Bericht schloßBenoit mit der Droh
ung: »Wenn die Polizei nicht aufhört,
mich zu belästigen, werde ich mich ge
zwungen sehen, mein Vaterland zu ver
lassen!« Natürlich denkt Herr Coche
fett nicht daran, einen fo verdienstvol
len Bürger zu vertreiben, und f o wurde
Herr Benoit alsbald aus der Haft ent
lassen und seinem herrlichen Leben, um
das ihn mancher im ausgetretenen Ge
leise der Ordentlichkeit wandelnde
Mensch insgeheim beneiden dürfte, zu
rückgegeben.