Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, July 24, 1896, Sonntags-Blatt., Image 10

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    Ihr Knien
Skizze an- dem Alltagsleben von R. Borst.
( Gotksenburg) .
—
I
Tom Wässer begleitete den Doktor
aus Odem Krankenzimmer. E
»Wie steht es, Herr Doktor? « i
»Ebenso wie sonst, beste Frau III-geh
der körperliche Zustand ist nicht seh-Tech
ter. Jhr Vater kann noch lange Jahrez
ume ;
»Kann es niemals besser werden-As
»Das ist leider nicht «ma«ärscheinlich.« I
»Und er kann- diele Jahre in diesem
Zustande leben, ohne Interesse für An-;
der-es als Essen undTrinlm zurHälstei
gelähmt und nur sim Stande, unartjiJ
tulirte ILaute aus-zustoßen Das ist
entseylichX I
»Ja, es ist ein schweres Geschick.«
Eine lange Pause. .
N» »Wie sollen wir es mit ihm machenH
Es wird mir schwer, noch länger von
hause fort zusein. Jch selyne mich sehrl
nach meinem Mann und meinem kleinen
Jungen-. Wir haben immer aus eine;
Veränderung gewartet .zurn«Besten und
— zum Schlechterm « Das letzte Wort:
kam nach einigem Zögern her-von ·
»Nein, »wir gesagt, es hat sich nichts
geändert Natürlich wäre es am Be-«
sten, Frau Högen wenn Sie den Kran
kmswärter mit sich nehmen tönnten.«
»Gebt das an?«.
»Ja gewiß. Wann beabsichtigen Sie
zu reisen?«
»Ich werde heute an meinen Mann
schreiben Kann er Csich frei-machen, so
wird er uns wohl abholens. Es ist ja
keine lang-e Reise, etwas iisber sieben
Sdrnvdmz Er wäre schon längst nach
Stochcklsm gekommen, wenn ich ihn
nicht gebe-tm, daheim zu bleiben. »Es
würde mich unruhig machen, den klei
wen Einer blos unter des Mädchens
Obhut zu wissen-, ckber es wird wohl
schw, sich allein mit Papa auf der
Reise zu behelfen«
HDas ist unmöglich«
»Das sdatf nichts hier auf Erden
seit-, lieber Doktor-, wenn es auch sehr
schwer sein Min«
»Ist-, aber ISie dürfen es nicht versu
chen, Sie shaben sich schon zu seh-r an
gestrengt Adieu, ich komme morgen
tot-den«
Dser Doktor schloß die Thür. Zi.e
war allein. Aus dem Zimmer neben
an hörte srnan das lallende ,,Ba-daba«
des-Vaters den einzige-n Laut, dem er
stammeln konnte, den einzig-en Laut,
welchen sie diese langen Wochen von sei
nen Lippen gehört. Das Zimmer, in
dem lsie sich «besa«nd, war groß, gewürd
lich unsd sehr lhell mit seinen weißen
Garde ohne scharren-de Draperien
Es war ihrer Mutter Arbeitszimimer
gewesen und Alles war noch eben-so wie
zu ishr-m Lebzeiten An den Wänden
standen Sophu und Stühle, sowie ei
nige andere plusrnpse Mahagonirnöhei.
An dem sei-wen Fenster stand ein almo
discher Nähtissch mir einem Untergestell
sisn Form einer Leier und mir einem
Rande von Holzmvsaisk Längs der ova
lerr Platte An der kürzeren Wand
hing-m über ein-ern gebrechlirchen Da
menschreibtksch rnsit gewölbt-er Klappxs
zwei Porträts in Oel, die Eltern in
ihrer Jugend darstellen-U Die Mutter
sen weiß-ern Brautgewanv, mit schräg
sjkber die Ohren gelämsmtem haar, der
Vater stattlich sund schön, mit etwas
srekser, vornehmer Haltung und stren
gem Blick in den dunkelblauen Augen
lSo hatt-e er lange ausgesehen und so
rann-te sie ishn aus ihrer Jugend; er
war ein Mann aus der alten Schule
gewesen, mrid Tora und ihre Geschmi
sterswaren streng erzog-en worden. Die
Mutter war eins Muster peinlicher Ord
nung und die Kinder wuchs-en auf in
heilsamer Furcht. Unter den Porträt-I
der Eltern waren einige Daguerroty
pen angordnet, deren Bilder man nur
schwer fangen konnten, wen-n man sie
nicht von der Wand herabnsahsxn und aus
ein-e besondere Art gegen das Licht hielt.
Dann ergab es sich, daß besonders
Goldbwschen und Ohrrin sehr na
türlich, Züge und Gesteh-is sdruck je
doch unldeutlicher wiedergegeben »wa
ven. IDie größre der Dagwerrotypen
stellte Tore und Ma«rie-L«uise Hand in
M nnd Bruder Erich dar, ein run
des kleines Kerlchen »in schwarzem
Sammetröctchem aus ein-ern Tische
Ideal-. MarieEuise »Ur in Paris
Mheimkhet, Erich Seelwiräm also
war nur sie da, um sden Vater zu Me
gen Zu untersk shing die große Pho
togsaphsie can ihr-, ihrem Man-n und
den Lin-deren die sre zum sechzig-stets Ge
burtstag After Mutter hatte aufnehmen
Wen. Sie ordnete ein wenig die
« Ohms-Mk Cdie sich mn alle Porträts
Den-usw M deren- klar-weißen
sz « wirtser Moment-Pf aus einer
Newshdztpnsole oben am Fenster
, Mir-l wer. cis-Mich war sie an den
Weh Vetter-n mn einen Bogen
Wer kmzznnehnkem Doch war He
M set »Aber-IM« steh-! geblie
s
sen und hatte sich darin vertiest in Ge- I
danken daran, wie das heim ihrer
Kindheit Isich geändert hatte, nnd tn
der Sehnsucht nach ihrem eignen gelieb- -
ten Heim. Sie nahm Tinte und Feder
und setzte sich an den großen rusnden
Tisch, von dessen einer Ecke sie vorsichtig
die Decke zur Seite rollte. Sie wollte
dort schreiben den«-: die Kind-Freitng
fühle waren iksr noch fo lebendig, daß
ishr gar nicht eingefallen wäre, sich an
»Mama’s Schreibtisch« niederzulassen
Sie nat-m die-z ever und tauchte sie in
das kleine Reise-Tintensasz.
Es llin«gelt-e. Die atte Stina larn
ans dem Schlafzimrner des Landrich
ins.
»Es ist der Attuarius, das disk ich
am Aslinsgeln,« sagte sie, als sie durch
das Zimmer ging.
Tora legte die Feder bin. Ja, es
war Onkel, sie mußte das Schreiben
aufschioben, bis er wieder gegangen
Es dauerte lange, Obis er sein-en Pelz
mantel im Flur abgelegt hatte.
Tora erhob sich, uxn Onkel Magnuä
entgegen- zn gehen.
»Guten Tag, Ton, wie steht es mit
Vater?«
»Noch genau ebenso, Onkel. Der
Doktor sagt. so könne es noch viele,
viele Jahre bleibe-n.«
Der Onkel war stattlich, wie der Va
ter. aber er hatte einen mehr wohlwol
lenden Ausdruck im Gesicht und einen
gutmütthig sartastischen Zug urn den
zMund Er war Junggeselle nnd war
ädiele Jahre hin-durch am statistischen
IBurensu angestellt gewesen; vor Kur
-zem hatte er seinen Abschied genommen
Er war Völlsig in seinen Ziffern und
Tabellen aufgegangen-. Doch ist dies
nicht so zu verstehen, als ob sie ihn zu
eine-m trockenen Zahlenmewschen ge
macht hätten. Jm Getgenrljeih sie
griffen in besonderer Art in sein Leben
ein. Er baute Alles aus statistischer
Grundlage und mar, wie er sich aus
drückte, »stat«rst-sischer Philosopb«. Es
lag etwas Origsinelle3, Persönliches in
dieser PhilosoMe »was bei vielen Ge
legenheiten zu Tage karn.
»So so, armer huren-al« sagte der
Attuaoiuö, sich neben sTora aus dem
irothen Sofa niederlassend. »Ich kann
HDir heut-e nicht sagen, in wie vielen
lähnliche-n Fällen Besserung eintritt, in
wie vielen Fällen Verschlimmserung,
aber ich will mir Angaben verschaffen.«
»Weißt Din, Ort-tel, ich finde, das ist
W gleichgültig. Was hilft es mir,
wenn dreißig Prozent wieder berge
ftellt werden »und Papa nicht«
»Es ist irrt-mer gut, die .WaHrichsin
lichteitsrechrrung zu haben. Uebrigens
kamt es nicht so viel sein, wie dreiszig
Fig-sent ich will morgen einmal nach
e n.«
!
; »Ich muß immer In e: ne kleine Ge
zfchichte senten, die ich ein-tax gelesen
oder gehört, wennTu Dr ch Und Andere
n1t« Wahrscheinlichke: tsrechnungen ver
tröstesL Während des Krimtriegs oder
Ebei sonst einer Getegen Jeit te! eng
phirte ein russkfcher Befestsbaber nach
Hause, daß bei einem Scharmützel
Alles gut abgestrwfen wäre, nur ein Ko
sak sei gefallen. Dieses wurde einer
LFrIU deren Mann Dabei gewesen, zurn
Trost gesagt: ,,-De«nk Dir, Sah mir
einer ist gefallen, ein einziger Result«
»Was frage ich danach wenn es mein
Kosak ist!« antwortete sie.«
»Sei-te Franentogin Daß es den
Frauen soschver fällt,etwas imGroßen
zu sehen-. »Die ganze Geschichteschrumpft
für sie zu Schlagworten und Unetdoten
zusmmnenx es wäre besser, wen-n sie
ihr Gedächtnis ern etwas Ort-deutlichem
üben-wollten«
Echten zum Beispiel."
»Ja, warum nicht! Wenn die Frauen
etwas mehr Arithmetit lernten, dann
fis-hie es wohl in ihren Köpfen etwas or
denttsicher aus, »unt- studirten The Stati
stik, so würden see sicher viel weniger
hystersisch sein. Ja, Du bist noch keine
von- dsn Schlimmste-m Du bist wirklich
Mtfchtossan mitd unt-ernehinmk·d. aber
cDu sbisi nicht ilogisch.«
»Viel, findest Du wirttich, daß das
Leben so ungeheuer logisch ist und daß
Ziffer-w Alles entiiiren sobald sie in
Tckbellen gewidmet werden-W
,-,«Das will ich nicht Unbedingt be
bannte-m aber das sitt auf jeden Fall
jtms ein-Fig Sollte woran man sich hal
ten kann. Untd dar-m versteht Ihr
Frauen gar nicht zu generaklisiren —
Jst-c tschi AM- so wiss-stich
r »Still, ich glasusbe Papa bewegte
rch.«
»Ju. das thut er. Adieu, lvreturn gehe
ich. Jch komme hol-d wieder.«
KMLPU nicht hineingehen mnd ihn
»Nein, tin- thnt keinen Wert-h, ei
wirdeniwtsofchwer ihnzuschw und
ich las-be rucht, tvaß er mich ers-mit «
« ,« klang ei aus der
Im kitßte W Mk schnell auf die
Stirn M ging Mem Vater hinein
Wie Tage später war Tora an der
Statiorh mn ihren Mann zu erwarten. ·
Sie ging auf dem Perron voller Unge
duld hin unso her.
sicher Verspätung Kommt er den-n gar
Nichts«
»Wer-u drei Uhr zehn Minnten,«
antwortete Onkel Mag-aus« aus seinen «
großen Chronsometer sehenso. »Es feh
len noch fünf Minuten Sehnst Du
Dich denn so sehr nach ihm ?«
»Ja, ich have mich lese-c, seh: nacht
ihm gesehnt. Heute bin ich schon vier
Wochen hier.«
»Und oier Wochen hast Du aus-gehal
ten und hist ganz außer Dir, daß Du
noch fünf Minuten warten mußt. Das
ist auch so ein echt weiblicher Zug."
Tora antwortete nicht. An »der
Mündung ver Halle sah sie den Rauch
der Lotomotive, der Zug näherte sich,
der Boden erzitterte -— dort, dort, im
vorletzten Rompefenster stand Hugo! Er
winslte ihr zu. Jsm Nu war sie an der
Kvupethiire. er war herabgesprungen
und hielt sie umarmt.
»Das war ein-e lange Zeit, nrein
Der Zug hatte ·
Liebling« »
»Hast Du mich entbehrt?«
»Was für eine Frage. Jch habe so
Zgar entdeckt, daß ich gar nicht zumL
ITastrohnrittioer passe. Aber lomsm ein-»
mal in’s Koupe, Toka, da sollst Du et- »
was sehens- Jsch habe Dir etwas mitge
bracht. Willst-Du es«hahon?«
»Nicht fest. Laß uns damit warte-n,
bis wir zu Hause sinkt-. Papa lann
nicht so lange ohne nrich sein. Romas
MU« )
»Nein, das hilft nichts. Du mußt
Dir erst das Geschenk nehmen. Sieh
doch hinein, so gut. Nu«n?«
»Einar, Einen-, mein kleiner Kerl!
Hugo, Du bist ein Engel, daß Du mir
solch’ eine Ueberraschung ausbeuten
konntest!«
sDer Kleine hatte sich aus vie Banl
gestellt und streckte der Mutter hie Arme
entgegen:
»Marna, sich hin mit dem Dampf
pserde gefahren und das pfeift so to
nrisch. Es kanns gar nicht wiehern·
Dammes Pferd, nicht wahr?«
. »Er ist gewachsen, Hugo, und wie
prächtig er aussieht! Onkel Magnus,
tomkn’ einmal her und sieh Dir meinen
kleinen Jungen an. Jst er nicht für
dwi Jahre ungewöhnlich groß? . . . .
Haft Du viel Mühe mit ihm gehabt,
»Hu-go? Wie kamst Du auf den Gedan
ken? Er hat-doch gmiigend an? Darf
ich sehen, mein Liebling? . . . . O, wie
ich mich nach Euch gesehnt habe, O, wie
herrlich, daß ich mein kleines Schelm
chen wieder habe! Ach, Hugo, das war
wirklich zu nett von Dir! .. . . Nein,
Onkel Mit-ganz steh nicht so ironisch
aus. ich sbin nicht hnfterisch, ich bin nur
so recht von Herzen srohl . . . . Nein,
ich möchte ihn tragen, das kann ich
schon. Jch kann ja Papa aufheben«
Sie setzte-n sich in den- bereitstehem
den Wagen, sder zur Königinstraße hin
abrollte. Tora hatte ihr Kind aus dein
Seh-rosig und hielt nie band ihres
Mannes in der ihren. Ihre Augen
strahlten. Aber als der Wagen sich ih
rer Wohnung mehr und mehr näherte,
legte es sich wie ein Schatten auf ihre
LFreudk
I
»Vugo, ich mus; Dich vorbereiten,
Papa ist sehr verändert Raum wieder
zu erkennen. Er sann feinen Kopf nicht
ftill halten und tann nicht sprechen·«
»Meine arme, kleine Toka, Du hast
eine schwer-e Zeit hinter Dir!«
»Ja, leicht sist es nicht gewesen, aber
ich konnte doch an Dich und Den Jun
gen den"teu.«
»So, da sind wär! Toka, Laß Doch
den Jungen gehen! Du sollst doch nicht
den großen Burschen dieTreppe hinauf
tragen. Wenn er schon getragen wer
den muß, da wir jeht ja in der Haupt
stadt find, so will ich es thun Ra, beide
Arme. um Papas Hals! So, nun geht
es ja.«
Tor-a folgte sihrenannne Ats er
sboi dem erstens Treppenabsatz stehen
blieb. bog Xsie sich vor und küßte die ruin
den, festen Händchem Iste um den Hals
sdes Vaters lagen,
»Das ist schon Dei-n Kosat,« be
merkte Onkel Magnu3, scherzend mit
dem Kopfe schütteln-T
»Ja, Ontett« «
»Was sind das für rufsische Geschich
ten, die Ihr da miteinander habt?«
»Das ist Ton-PS L-ie«btinsgsgeschsichte,
die tsie meinen Ziffer-n mtgegmhält
Jhre Theorie besteht darin, daß es nicht
auf das Wieviel, sondern auf das Wer
einkomme« und da vor Allem sollen ei
seine bestimmten- Sahlm send-«
»Nein, Onkel, nicht scherzen, das
macht mich so ärrgfttich.«
Eo, fest M tote entrlsich oben.
M, wasftiäsrepzenP «
Mo wart-rinnen bei feinem Schwie
gewctet get-seien mut- tvm ganz erregt
wieder heraus. Er trat an den Tisch,
W ein Mai Wasser ein md traut
CI var W We Aar-sieht die
sen- vosm Schlag Wesen M mit
Gurt-se Ort W und täglich die
sen nickenden Raps zu sehen, diese lal
lenden Laute zu Hörer-, aber es war
nothwendig ihn mitzunehmen Tora
lwiirsoe sich daheim niemals ruhig süh
Len wenn sie wüßte, daß Jbr Vater (
fremden banden überlassen iwiire, und
Hugo konnte sie nicht länger entbehren
Onkel Magnus hatte »sich neben dem
Tisch niedergesth ern-d sbaute Karten
böuschen sitt den kleinen Einar, der,
sein Kinn ans sdie kurzen Aerrnchen
stützend, die kaum bis zur Tischiante
hinausreichten, äußerst interesstrt war s
und den Atlkem anhtelh so daß er ganz
roth im Gesicht wurde.
»Das ist ikeins erfreulicher Anblick da
drinnen, Hugo!«
»Nein, es ist entsehlich Wie sonder
bar ist es doch shier in der Welt, daß
man es fiir so unendlich wichtig, fiir
eine beikige Pflicht sbalten soll, das rein
anirnalische Leben- urn jeden Preis zu
erhalten-. Jst d:e Seele eines Men
schen verschwunder so wäre es doch
besser, ihn sterben zu lassen, als ilm zum
Leben zu zwingen,toenn man das über
haupt noch Leben nennen s oll.«
»an mancher Beziehung magst Du ja
Recht haben, aber man dars in seinem
Falle lJemandem das Leben nehmen
Die Statistik zeigt, daß von Hun
deri.
»Ja, das ist schon gut. Du brauchst
kein-e Angst haben Onkel, ich dente
nicht daran, Schwiegervater das Leben
zu nebment Aber es ist hart, daß Tora
sich für etwas so hoffnungsloses aus
reiben soll.«
»Papa, nicht die Häuser anpustem
sonst fallen ssie anri«
»Verzeih mein Kleiner-, ich that es
nicht gerne Aber ich finde, sie fallen,
auch ohne daß ich blase, nicht wahr,
Ontel?«
»Ja, von acht fallen zehn, nein, ich
mein-e von zehn fallen acht.«
Tora trat ein. ,,3antt Jbr Euch?
Jch hörte Euch svon da drinnen.'«
»Nein, durchaus nicht. Wir bauen
Kattenhäuser, nnd halten den Athem
an, damit sie nicht ums-allen«
»Bist-gen könnt Ihr-weiter bauen;
dieser Schlingel muß jetzt in’s Bett.
Gib Vater und Onkel einen Ausz, Ei
nar, dann wird Marna Dich zu Bett
bringen«
»Wer macht so ?« DerMeine lauschte.
Die Thiir zum Zimmer des Land
richters stand ossen und man Lbörte sein
Lallen.
»Das ift der arme Großvater.
»Einn: will Großvater einen Gute
nachttusz geben«-«
Sie hob den Kleinen zum Bilde des
Großvaters hinaus. .
»Gute Nacht- Großvater Du sollst
sie-ten richtigen Kuß aus den Mund ba
n.'«
sTora büllte ihr Tuch um den Kleinen
und ging hinaus.
- O sc It
-«- -- i
Arn folgend-en Tage war Tor-, wie
gewöhnlich, beim Vater, um iiyn fiir den
Tag in Ordnung zu bringen. Sie gab
ihm gerade zu essen, wie sie soeben Ei
nar feine Speise gegeben hatte, als sie
die fröhliche Stimme des Kleinen im
Wohnsimmer hörte, dessen Thiir sie ge
schiofsm hatte. Sie wollte nicht, daß
Einar in das Krankenzimmer komme.
Jetzt hörte sieHugos Schritte und seine
Stimme, er zeigte »dem Kleinen die
Leute auf der Straße, die schönen Sol
daten, den bösen Schutzmsann, der un
gehorscmu Kinder nicht gern hat, und
die Pferdebaim die gerade vor-Wer
fubr. Es wurde Tora schwer-, nicht die
Theetasse hinzusehen uind zu Manns und
Kind hinauszugehen aber das konnte
nicht in Frage kommen. Erst mußte
Papa das Seien habe-n und außerdem
wußte sie fa, daß sie nur durch die Thür
zu gehen brauchte, um dort die Andern
Fu sie-idem sobald sie hier fertig war.
Doch sie konnte ihre Gedanken nicht zu
sammenhalten, die Laute aus dem
Wohnzimmer lenkten sie ab. Jetzt trug
hung den«-kleinen zu den Portraitö
und zeigte sie ihm. sSie hörte, wie ihr
Junge sagte: »Das ist Papa und
Manier und Klein-Einun« Jetzt war
es einen Augenblick still, und man hörte
deutlich das ungeduldige »Babababa«
des Lan-drichters; ja, ja, sie mußte an
das Wien, womit sie beschäftigt war,
sie hatte vergessen-, die Theetasse an die
Lippen des Vaters zu führen. Daan
hörte sie:
»Das ist Großvater, der arme Groß
vater.«
Jetzt hob Dugo den Jungen in die
Luft, das hörte sie an seinem jubexnsden
Ruf. Ob er auch vorsichtig war, sie
kenn-te dieses Emporheben nicht leiden.
So ein« junger Vater denet nur daran,
Weisen, und bedenkt nie, wie ge
Grechiich fokch sin- sleinses Wesen ist
Wmuer es dochirur hassen wolltet Sie
Patente W nebendem Bett still sicu,
während sie Isich damit tröstete, sz
Hugo et viele, viele Mute sethaty mäh
reud fie von Wie Muts-, und daß
sie fett mer Wil- so unruhig spat
M sie M miß-te So, endlicht
Gott set Dani. seit spielt-u sie Pserdz
I , f v —I
—
und ste hörte, wies-use zu I Kett
sagte, er solle recht leise seine vielleicht
wollte Großvater schlafen. iSie lächelte.
Nach einer Weile schienen sie müde zu «
sein, denn es wurde wieder still, »dann
hörte sie Hugo ganz dicht an der Tinte
irnd mit der deutlichen Ansicht, daß ei
an seine Adresse kommen möchte, sagen:
»Findestss-Du nicht, Eimr,’daß-Mama
bald fertig sein und zu uns herauskom
men tön-nte?'« Und dann ein leise ge
sltjsterteik: »Klops’ an »die Thür, tri
nar!«
Gleich daran hörte sie die kleinen
Fingerchen gegen die Thiir zum Kran
kenzimmer trommeln.
VI sit O
vaei Tage später stand Tora im
Flur und wartete auf den Doktor.
»Wie steht es? Der Landrichter hat
doch keinen neuen Anfall gehabt?"
»Nein, Papa geht es noch ebenso,
aber ich weiß nicht, wie es mit unserm
klein-en Jungen ist« er hat heute Nacht
nicht geschlafen, er sagt, die Zunge
thäte ihm weh. Jch fürchte, daß er
trank !ist.«
»O, das hat wohl nichts zu bedeu-.
ten!« - T
Aber als der Dottor in das Zimmer
getreten war, ivo der Kleine lag, und
ihn unt-ersucht hatte, sah er nachdenklich
aus. Tora folgte jeder seiner Bewe
gungen mit gespanntester Aufmerksam
;teit. Sie war Teichen-blaß geworden
;und stützte sich mit der Hand auf die
fiiiiicklehne eines Strahles-.
»Aber, um Gottesivillem Frau Hä
sger. Sie sind doch sonst so ruhig und
überlegt!«
Sie hatte ihm fein Hansdgelent so
fest umspannt, daß es ihn schmerzte, ein
Beben durchfuhr ihren Körper. — —
Die Eltern saßen beständig am Bette
des Kindes. lDer Vater war außer sich
vor Verzweiflung und machte sich lei
denschaftliche Vor-viter daß er den
Kleinen mitgenommen
»Tora, glaubst Du, daß er auf der
Reise angesteckt worden, daß er sich er
kältet hat, oder daß ich ihm zu wenig
angezogen hatte?«
»Wir wollen nicht sprechen, Hugo,«
sliisterte Tera. »Ich kann nicht«
Mit-unter tam Stina herein und bat,
die Frau möchte zum Landrichter tout
mens, er war so gewohnt, iich von der
Frau helfen zu lassen, daß er sich von
einem Andern nicht anrühren ließ. Mit
schweren, mitdenSchritten ging sie »zum
Vater hinein und hats ihm zurecht.
Während er mit ungewöhnlich gutem
Appetit einen Löffel Suppe nach dem
andern verzehrte, dachte sie fortwährend
daran, swie unmöglich es war, klein
Ginar dazu zu bringen, daß et einige
Tropfen- der fieberstillenden Medizin
herunterschluckr. Während sie sich hier
drinnen beschäftigte waren all’ ihre
Gedanken in dem anderen Krankenzim
mer. Vor einiger Zeit hatte der Doktor
gesagt: »So lange noch Leben, ist auch
hoffnt odrhan·den!« aber das war ja
wicht wahr: hier war Leben, doch leine
Hoffnung und dort? . . . .
Sie fuhr smit der Hand siiber ihre
Stirn-. Wenn sie doch nur weinen
könnte, aber es lag wie ein schwerer
Stein auf ihrem Herzen —- rvie eine
Eistruste . . . .
Als sie durch das Wohnzimmer ging«
merkte sie, daß Qntiel Magnus auf dem
Sofa saß. Sie reichte ihm die Hand
und wollte weitergehen
»Wie sieht es, Toka?«
»Mit Papa ist es noch ebenso.«
»Nein, mit dem Kleinen ?«
»Es ist gewiß sehr gesährlich.«
»Nein, Tora, gewiß nicht« ich habe
die beste Hoffnungen.«
»Mit der Dottor etwas gesagt?«
»Nein, er war schon gegangen, als ich
tam, atber ich sah gestern in den Tadel
len nach. Im Jahre 1887 Musen
8,465 von 9,698 Scharlachtnaniem Ich
glaubte, es würde sich schlechter stellen.
Seh’ Dich doch einen Augenblick und
ruhe aus. Du siehst so angegriffen
aus.«
»Nein, ich lann nicht, Onkel, ich habe
keine Ruhe. Laß mich gehent«
O O O
Eine Woche später traten sie ihre
heimreise an. »Der Vater begleitete sie,
doch ihr Lin-d hatten sie zurücklassen
müssen.
——. . . A.—.- --..—.—.
Tie kleine Märtyrerin.
Von Emicia Pqtdp Bazam
Es Exaktheit sich ohiet nsicht uns eine
jener Ckwiusvem welsche under-machet
die Presse W Miste-y- «dräugens, form-,
welche in Lumpen get-Mk abgeschrt
·m Huwgey starr vor Mitte, mit
Sie-baten und Schürfen Bedeckt, oder
zerrime von M weißtziMM Ei
sm, Das eine Why Skießmusktek an
Ist-Me- leiichgelthJvterkveu su
später Nu unde, mkven Stunden
aufs-est Diejenhy von wer sich be
sond, beim MMücke zu
Dache-them gefürst, mät Krone mid
l—
emqu gez-wach mit Mich-m
von echten Valenciennes beniisht. Von
England sandte nun ihr in ensorrnen
Schachteln die Anziigr. die Mäntelchen
suntv wie häubchem aus ihrer Tafel gab
es in Fülle wahrhaft-e Speisen untd
anserlesense Weine, die Kälte san-d sie
eingehiillt in Pilze, »in Eidevoounem
untv teile wusch sie ein ewgliks I
Atmcemevmödchon imit feinsten So· n
und Iwrtlfslriechcnlden Wasserm Im
Winter bewohnte sie einen kleinen, mit
Tapeten ausstwfssirtom sinit Oefen nnd
thei«zungöröhrm- reichlich ver-schonen
Palast; im Sommer eine Bill-a one
E«Strwnde, rnit Paris, Blumengiiriem »
Qllleen von hundertjöhrigen Pappeln,
mit Göttingen aus Marmor, die sich
lhinsctbbeugen sum tsich, durch »den Schlei
er von Nixentblwmen thinsnrch, in idem
Spiegel Oder Teiche zu betrachten . . . .
Wollte ·fte in’s Freie, so war ein Phae
ton in Bereitschaftx zog sie es vor, zu
Hause Unterthaltung zu suchen, so öff
nete man ihr einen Schrank, der mit
seltenen Spielfachen ern-gefüllt »...,
Tanz-wann entstiegen ihm, wie einer leb
traften Phrntassie ldie Mäskchen wun
lvensame Gegenstände Schöpfungen
ider modevnen Magie: Ider in blauen-n
Atlas »und mit Gotdlsnöpfchen erglän
zende «Jo(tei smit seinotn Pfeilbe, das
wirtiich gckloppirt »und iilbet Gräben
wogt mit- vie Augen öffnet iurid Papa
und Mma mit ider Stimme ein-es ver
-hätschelten, wohtlwgortden Kirlochsns
vuftz tdie andere Puppe, eine Ballet
täntzerism Idie mif eine-m Reisen mät Blin
imen postirt, -sich bricht, sich -scht.1wteit,
«uniherfbattert, tanzt, mit den Füßen
an Glocken Mschlögt lund zuletzt das
Publikum grüßt, indem see ihm eine
Kuß-hont- znwivftx ldie elettrische klei
nesKutsche, der Seiltänxzen der Violine
spiean Affe »die mechanische Nacht-i
galL chelche schlägt, den Kon schüttelt
und die Federn empor-sträubt; alle die
Amt-muten alle wie Mtchäffiungcn des
Lebens, sdie um ·so hohen Preis gekauft
wenden, um tote Kinder swolslhaberioer
sEltenn Fu zerstreuen
Doch snichtglvefictxoeniger tara-n sich
oevsichern.sdaß Ioie Kleine, von der icher
-zähle, eine Märtyrerin war, daß sie als
Märtyrerin sitt-vix sundldas Gesicht nach
ihrem Tode zwischen ler Falten des
NinsseiinJSchleiers deutliche-r als je
einen bei dont ans-beteten vevzärtelten
Wesen von zelm ithren sgansz Tit-univer
sutn beriihrenden Ausdruck von Ernst,
von Triwsina zeigte, eine Märtyrer-im
ylaubt Mir, lso sdhr Märtyrerin, wie
spie Verlussmm, sdie sich in den Ja
næarnächten fröstelrid an Ver Schwelle
eines Thores yirsanrmentyucken Das
es seinen Wevmuidstelch, nur ist er
bei idem Einen cruz cis-akirte:n Golde,
bei ldem Anderen Me Gloße Höhlung
ioer Hand. anettschötislich ist Ioie
Fruchtbarteit ldes Schwer-»O die ei
nen Miit-e fest er seine Kinder in IIie
Weit, wus Betttücher kvon fein-ern Lin
nen, »Die ask-Dem Male auf die Stiefel
wes Rinnsteines.
Leben ist nun einmckl so, Jedem reicht "
,0
setzt; Idie Puppe, ldie Iden Kopf bei ,.
Die Tochter betageer Eltern, welche
jede Hoff-sung auf Nachkommenschaft
verirren gaben. sdie oiruzige Erbin eines
illustren Namens Und einttiiglichsr
Lwiidgiitey ward sie von ihrem ersten
Lebensjahre an »das Opfer ihres glän
Jeriven Geschicke-L An ihren leiseste-n
Regungen hör-gero, ihre Aåhemgiige
whorchenT die Schläge ihres unschul
digen Herzchens zählean so pflegt-en
äsie die thesi-ein Fikinfzigen wie man im
Treibt-risse ldie seltene Biume pflegt,
die Idas Opfer Ides ersten Nonvminives
wird. Ein Arzt, wen Swir keck ein-en
Leibsan nennen idiirfon, hatte eigens
Uns Amt, Steigen mild Fallen der phy
siologischen Fitwiiionen Ides lloinen
Wesens zu Ideal-achten Die Züge wur
den viel-zeichnet ldie das Miiwdchen des
Rindleins ans lder Brust der Amme
Wai. Eine überaus pünktliche Uhr be
zeichnete «wa die Minute idie Dauer des
Schlosses, die it des Evroachms, die
Speisefiusrlm1, r Sinnide des Amici
ldens, idie des Asuölfnchkens. Ein Ther
tnsomsier ibeisiimmie den Wätmegrad
des sWischrousseksz mof einer exaeten
Wenige Mulden lobe Nacht-uns und die
Verniman wagen misptechmd Even
VovschMtac, den Peinlich new-wen
Veern des Amtes. Als die
Krisis wes inpnens Ma, und sich mit
ihr Unruhe, Weisen einstellte-m
toevwmädelte sich das hatt-s in ein Trav
visimitloftsr. Mensarld euhosb die
Stimm- Niemand tmt sinkt auf, um
was Kind nicht zu erschrecken, ihm nicht
idm ISQM zu rauben Diese Lebens
weise erschien Oder Hmime gemäß und
wurde demnach schon in Petitionen-z er
klärt Man hörte diese taume
Bei-TM eine Kapelle nennen kön
nten, sdie man idem Gotte-des Schwei
gsns erriet-ich und idas Man-, das mit
der eigewrkigesn Divimäon, wie sie
sit-weilen ide- MW M, The-mus
fikhlte, cdaß hier Lärm kein- Echo sinnt-,
nochemchssas Men, sum von-ver
Zeit-In, Hader et Zu gehen anfing,