Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, July 17, 1896, Sonntags-Blatt., Image 11

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    Inn. Rasch gab 1ie das lKind dem
Mädchen nnd trat in die Küche. die ein
Ziemlich enger Raum und sehr niedrig
Var und die von dem Kochherd den
sithifem dem Spiilstein, den Sieben
und Geschirrem dem Küchenschrank und
dem Tisch, woran-f die lSpeisen ange
richtet wurden, genügend ausgefüllt
war, so daß sich zwei Personen gleich
zeitislaum umdrehen konnten. Durch
ein ewfter, das nach dem Hofe ging,
drang ein aschfahles Licht ein.
An diesem Fenster, halsb ohnmächtig
auf einem Stuhl, lag Lorenzo, einen
Arm hatte er in die Oeffnung der
Blouife gelegt, und der andere hing sent
recht herab, eben-so der Kopf.
Er rührte sich nicht und sprach lein
Wort. Anita, durch die Lichtsfleelen des
gez-Mem geblendet, sah ihn nur durch’s
gen-licht wie eine undeutliche Masse.
Dieses Schweigen deunruhigie sie und
alle ihre Vorscine vergessend, nähert sie
sich ihm, und als -sie sieht, daß er die
Augen geschlossen hat und sein Antlitz
in’.c Geidliche spielt.sda zögert sie nicht
mehr, ihn zu berühren: ein eisiger
Schweiß lhadet ihre Schlafen.
»Lorenzd, Lorenzo, was hast Du ge
than?"
Er öffnet die Augen, deutet mit dem
Kopf auf den Spiilstein und stammelt
mit traftloser Stimme:
»Ich werde Dich nicht mehr schlagen!
Verlaß mich nur nicht!«
D« ein Wunder des Himmels fiel
Anitz diesem Augenblick nicht be
wußtlos zu Boden. iAuf dem Marmor
des Spiislsteins lag sbluttriefend eine
einzelne, vorn Arm abgetrennte hand,
ihr zur Seite ein mit Blut besprintes,
noch rauchendes Hackibeii. Es war die
Buße eines Wilden, es war —- die Hand
der Ohrfeige!
—ffv
. Der Brief der Schwester
—
Aus dem auffälligen Benehmen
Paolo Cardolli’s gegen die reizende
Engländerim die seit Wochen schon hier
weilte und zeitweile smit ihrem Ballon
«Diamond« einen Aus-fing in die
Lüfte unternahm, begann man in der
sogenannten besseren Gesellschaft
Totests ganz eigenartige Schlüsse zu
ziehen; Einige zucktan die Achseln und
wieder Andere bedauert-n den jungen.
lebensfrohen Eleganh der sich mehr als
zu viel mit dieser gewissen Mifz Harriet
Lee abgebe und sdadarchj übergenug
Stoff zu merkwürdigen Gerüchten lie
sere . . . ., bis sich eines Tages Constan
tin Pretis. einer seiner besten Freunsbe
noch von der Schulbank her, ein Herz
saszte und damit den löblich-n Vorsatz,
den offen-bar arg verliebten Paolo wie
der in’s alte gute Geleise zu bringen,
ausführen wollte.
Und nie fand sich dazu auch eine
günstigere Gelegenheit als diesmal.
Paolo saß allein an einem Tische vor
dem Tasse Oriental und lauschte den
bezaubernden Melodien eines Wiener
Mal-zers, den die tunitgeiibten Musiker
der Militiirlapelle auf der Piazza
Grunde zum Besten"gaben. Die stolze
handelsftadt an der Wdria zeigte heute
den flott-sröhlichen Sinn ihrer Kin
der; Alles, was Zeit und Muße hatte,
wogte aus dem gewaltigenPlatze durch
einander; die vier Cafes, die ihn inn
siinmen, und die sechsfachen Reihen
Stühle vor dessen Thüren waren alle
besetzt. Aus dem Gewühle der Prome
nirenden glänzten goldbordirte Uni
formen und strahlten in sommerlich
hellen Farben die gewählte-n Toiletten
einer vornehmen Damen-welt, dem gan
zen bunt bewegten Bilde ein charatte
ristischsaristotratisches Gepräge ver
leihen-d
Die Hitze, die tagt-über geherrscht,
stvar einer erfrischenden Abendtiihle ge
tvichenz ·toeiße, durchsichtige «Wolten
glitten am Nur-blauen Himmel dahin,
Zu welchem die majestiittschen Kuppeln
mächtiger Bauten nnd zahlloser Kirch
thürme strebten. Jn der tlaren Atmo
sphäre schwammen die Diifte den«-Iwan
der und Granatsbäume und glühten
golden die Orangen in den vor den Ca
ses paradirenden riesigen Kübeln . . . .
Kerzengerasde fast stieg »der Dampf der
Cigaretten in die Höhe und ver-mengte
sich mit den erquistten Parfüms der
Mode zu einem süßberauschenden
Wohlgeruche. Bloß daß Constantin
mit feinem Betehrungsversuche tein
Glück hatte. Paolo Cardolli ließ ihn
einfach ausreden, ohne ihn zu unter
brechen, und nur fein glattrasirtes,
mattgebriiuntes Gesicht färbte sich bei
den eindringlich ermahnenden Worten
des « des mit eine-r schwachen
Mühe I dieser geendet, drückte er
ihm herzlich die Hund«
»Sie-ver Constantin,« sagte er dabei
und durch seine Stimme ging ein un
merltiches Zittern, »ich muß Dir site
Deine Theilnahme danken; aber dass
Du es weißt, teine Macht der Erde soll
mich jemals von Hat-riet trennen-«
»Ah, ein-fuhr es dem betrübten
Freunde, »sollte es wahr sein? .....
.—«l
»Man muntelt don einer geheimen Ver-(
.lobung — —
« »Jn sdrei Tagen wird sie leine ge
heime mehr sein.«
« « Constantin Pretis schüttelte mißbG
irgend den schwarzlockigen Kopf. »Du,
der Sproß eines der ältesten Geschlech
gser der Stadt unsd sie, die abenteuern
e —«
Oarriet ist rein und malellos wie
ein Engel,« unterbrach ihn Paolo fast
leidenschaftlich, »und ihr Gewerbe soll
kein Hindernis sein, ssie zu meiner Frau
zu machen. Wir lieben uns gegensei
tig; das genügt mir.... Ueber-mor
gen ist ihre lekte Ausfahrt, unld was sie
Niemandem gestatten würde, bei smir
iisberwand sie alle tleinlichen Bedenisem
ich werde .sie begleiten dürfen, hinaus
in das Reich der Lüfte, der Welt, ihren
boshasten Laster-sangen und Chikanen
auf Stunden wenigstens entrückt. . . .«
Conftantin blieb stack vor Staunen;
allerdings, aus diese Kunde war et
nicht vorbereitet gewesen —- unsd Paolo
fuhr fort:
»Ein-Oeigenthiimliche AMICI-sings
kraft die Hat-riet aus mich ausübt, fast
möchte ich Isagem eine Aehnlichkeit mit
einer Person, die einst meine Sinne —
wohlberstanden bloß meine Sinne,
nicht mein Herz, ganz und voll gefan
gen hielt» ·
Seine Blicke lich-meisten träumerisch
über die den Piatz füllende Menschen
men-.ge Pretis dagegen, einsah-ind,
daß eine jede Anstrengung, den Freien-d
auf den richtigen Weg zu leiten, »vor
läufig vergeblich gewesen wäre, verbiß
feinen Aerger und begniigte sich mit
der Frage, wie denn eigentlich diese
tiefe Neigung zu der Aeronautin ent
standen.
; «Schr einfach.... Es ift eben das
:Schicksal, das mich mit ihr zufam
anienfiihrte,« erwiderte der Gefragte
Hund ein Schatten legte »sich iiber seine
»sympathisch offenen Züge, »-vorerst
faber möchte ich Dir etwas anvertrauen
"——— es drängt mich dazu . . . Eine kleine
Liebesgefchtchte ein Roman, der aber
sder Tragil nicht entbehrt . . . .«
Seine Stimme verriet-h die Erre
gung, die sich feiner bemächtigte; seine
Mienen hatten sich verdüstert Er
schwieg auf Augenblicke wie Scenen
aus vergangenen Tagen an seinem
Geiste vorüberziehen lassen«d.
" Dann hub er in leisem Tone an:
»Ein Zufall, der mich idamali- ——— es ist
über ein halbes Jahr iher —- mit Car
lotta bekannt werden ließ — eine mei
ner Vergnsiitgungstouren die mich nach
Sicilien brachte. Hier in Cavalarga
—- einem kleinen Städtchen bei Neapel
—- wirlte sie als Erzieherin der Kinder
der gräflichen Familie, bei der ich.zu
Gaste war . . . . Jch verliebte mich quasi
aus Langeweile. . . . Armes Mädchen!
Es war entzückend in feiner rosigen
Frische und unschuldsvollen Schönheit,
verführerisch in der iheißen Gluth, die
es msir entgegenbrachte — eine vom
schmutziaen Staub der Welt noch unbe
riihrte Knospe von- lauen sechzehn Jah
ren, aber voll der Leidenschaft ein-es
gereiften Weibes."
J Die Stimme drohte ihm zu versa
aen, aber es gelang ihm, sie zu beherr
schen. —
i »So wahr mir Gott helfe, hatte ich
die besten Absichten — bis ssich zwi
schen uns das Fattum in Gestalt einer
Erbschaft drängte, die ich in Triest per
sitnilich in Empfang nehmen sollte. ..
Nie werde ich den Moment vergessen,
da ich mich von Carlotta verabschie
«dete!...«Sie wollte mich nicht fort
·lasfen —- ach, in ihr-ernv reinen, tin-d
lichen Herzen sagte ihr eine Ahnung,
daß es ein Abschied aus ewig sei . . ..
Fund doch gedachte ich nur die zur Ab
«wicilsunig meiner Angelegenheiten aller
;not-hwendigste Zeit weg-zubleiben; es
! war dies mein fester Vorsatz, und hätte
Fmir Jemand gesagt, ich wiirde meine
kGesmnang ändern, ich hätte ihn zu Bo
Tden geschlagen, so felsensest überzeugt
war ich von der Unwandelbarleit mei
ner Neigung» . Jch kam damals eben
nicht zur Crienntniß, daßl ich in Car
lotta nicht ein Weib, sondern nur dag
Weib liebte . .. und wochenlang nach
her noch, ais 1sich die Hebung mein-er
Erbschaft bedeutend den-zögerte spürte
ich noch den zarten Druck der weichen
Arme der Geliebten um meinen Hals
und brannten mir ihre letzten verlan
genden Küsse auf den Lippen . ..
»Bist ich mich endlich daran gewöhn
ie, auch ohne «sie leben,« fuhr er ausgib
mend fort, »und ich ihre Briefe nicht
mehr so piiniltlich beantwortete. Die
Zerstreuuiägen unseres heißen Pfla
stets, »die olle, die ich in 1den Cirteln
spielte, in denen ich gewissermaßen aus
gewachsen und ein gern gesehener Gast
von jeher gewesen, Oder wogende Stru
del des großstädtischen Lebens, die
Vornehmtheit und das Behagen meiner
Umgebung ließen smich bald diejenige
vergessen, die mir vor turzem noch das
Theuerste auf Erden gewesen. Meint
Briefe swurden seltener-: trotz ihrer an
muthigen Reize verblich die einfach
)
c H
Carisatta, die Kleinsttidterim vor den
weiblichen Repräsentanten des »High
life« Triefts —- wäshrend mir ihre
Schreiben immer einen Stich ian herz
versetztem in dieses laun«en-hafte, wan
telmuthisge Herz . . . . Und doch ent
hielten tsie nie einen Vorwurf, nie ein
bitteres Wort, nie eine Klage! Aber
ach, ich las es zwischen den Zeilen —
diesunausgesprochene Wehmuth, den
Schmerz »der ihre Brust zermarterte ..
Und troydem hoffte sie noch; hätte Ifie
an snreine Unstreue gedacht, wäre der
Schlag der schreckliche Schlag nicht
mehr fo unmittelbar auf ihr liebendes
Herz gefallen . . . . «
i »Es war dies, als Harriet zum er
fftemnal in meinen Gesichtskreis trat —
ein Ereigniß, welches ich ais Wen-»de
puntt in meinem Leben bezeichnen
möchte. Wenn ich vielleicht noch an
Carlotte dachte, that-riet in dem be
rücken-den Glansz ihrer Schönheit ließ
fte mich gänzlich vergessen, sie aus mei
nem Herzen sbannend und in mir die
Flamme der wahren Liebe, iwie ich sie
bis jetzt noch nie empfunden, entfachen-d
. . . Ein Prvmenade-Konzsert gleich die
sem, das mich mit ihr zufammen
brachte. Wie oft geniigt eine Kleinig
leit, usm unsfer Dasein von Grund aus
umzugeftalteni . . . Hier war es ein
Musitprogramm welches ich ihr ver
fchaffte —- aus bloßer Höflichkeit auch
gegen unbekannte sDamen...Als ich
aber in ihre dunklen, smärchenhaften
Augen geb.lickt, kam es über mich wie
eine stürmische Offenbarung —- unsd
dann, in wahnwitzigem Eifer die Ban
de zu lösen, die mich an jene fesselt-en.
die mir nur noch ein leblofes Traum
bild -diin·tte, fansdte ich in fliegender
Hast den Brief ab, einige Zeiten nur,
deren Latonissmus grausam klang ohne
mein Zuthun —- ich gab Carlotte die
Freiheit wieder.«
,,Ungliickliches Mädchen,« murmelte
Conftantin ergriffen, »das hättest Du
ihm ersparen sollen-«
Paolo blieb eine Weile stumm; dann
erzählte er weit-er mit gepreßter
Stimme:
»Das Schlimmste vtommt noch; denn
am nächsten Tage erhielt ich ein Tele
grarnm von der gräflichen Familie:
Carlotta liege im Sterben; im De
lirium des Fiebers verlange sie nach
mir...Eine unbändige Angst, sdie
mich packt-e, — und wie ein Irr-sin
näger reiste ich mit dem nächsten Zuge
a
»Mein rücksichtsloser Brief hatte ein-e
furchtbare Wirkung aus-geübt . . . Dem
Ende nahe, blaß entstellt, so sa ich sie,
das bliihende Wesen, wieder —- unsd an
ihrem Bette hinsiiirzend, überfluthete
ich sie mit mein-en Thvänen, die vor
nicht langer Zeit noch mich zärtlich ge
lieblost . . ..
,,L)b sie mir der-zieht —- Jch weiß
es nicht . . . . Jhre Worte tönten an
mein Ohr wie sernes Lisoeln . . . Eine
letzte Bitte, die ich ihr noch erfüllen
mußte . . . Sie dittirte mir einen Brief,
dessen Sinn ich nicht verstand und des
sen Buchstaben vor meinen Augen tanz
ten — an eine Cousme, Schwester oder
sonstige Verwandte gerichtet, der ein
zigen, die sie noch besaß »Mir summte
es im Hirn; was ich geschrieben und
was sie mich nachher sragte, ist wie ver
löscht aus meiner Erinnerung — und
nur, daß sie das Schreiben noch unter
zeichnete —- ich glaube es wenigstens,
tann ich mich duntel besinnen . . . Nach
St. Petersburg oder Kopenhagen oder
sonst irgendwo sollte er abgehen, un
ter einer Chifsre adressirt . . . Jch war
betäubt, gelähmt. «
Wenige Stunden nachher war der
j«uaendschöne Körper eine Leiche . . Mein
sgeistiger Zustand näherte sich dern Pa
roxhstnus des Wahnsinn-Z- . . .«Eine
Woche später aber trat die Vergangen
heit wieder zurück und die Gegenwart,
das Glück in seine Rechte.«
Erbrach den Satz kurz ab; es schien,
als entriickte ihm das bloße Denken an
Harriet die traurigen Stunden von
einstmals in serne Weiten . . ..
Constantin nagt an seiner Unter
lippe, dann stand er hastig auf. —
,,Driiben sehe ich Deine Dulcinea
mit ihrer steifen, echt englischen ma
ger-en Mama dir-hinwandean Deine
Beichte that aber aus meine Nerven so
gewirkt, daß ich taum im Standewiirh
gleichmiithig in Mis; Leck- satcintrende
Sirenenaugen zu blicken . . . ."
Und dem betrossenen Freunde die
Hanld reichend, tauchte er unter im re
gellosen Strome der Promentren
den« —
Als Paolo an diesem Abend, die ele
aasnte, stolze, schöne Harriet am Arme,
längs der Niva shinschritt, die künftige
Schwiegermutter wie immer ernst,
schweigend und etwas hölzern, zu
Seiten ihrer Tochter nur so des An
standes halber mitaehenld, vergaß er
rasch das Bild voll düsterer Schatten,
das er idem Freunde entrollt, um sein
z-weisellosö, daran trankendes Herz zu
entlasten.
Mit goldigetn Glanze war die Son
F 1
ne geschieden — asber an deren Stelle
überstuthesre ·der Voll-manch mät seinem
milchigens Lichte die spiegelgliitten
Wasser sder Adria, um Land und
Stadt seine vsilbernen Fäden webenld,
die Erde beglückensd mit dem weihend
len Zauber einer sternenprächti en
Sommernacht, der-en unsagibar sdu tig
poetischer Schimmer die Herszen zu
schnellerem Pochen antrieb, die Blicke
zu wärsmerer Gluth entslammte und in
jedes Wort in jedem Athernzug die be
redte Sprache der Liebe unsd Leiden
schaft legt-e....
Der ,,D·iamons « schwebte empor zu
schwindelnsder Höhe. . »
Usnten verblieb die vieltasusendilö
pfige Menge, »die denVisale von St.An
drea — diesen paraViesischen Vorort
Triests —- fiillte; alle Gesellschafts
tbassen waren hier vertreten. Don
nernde Hurrarufe und Evisoas beglei
teten das großartige Schauspiel. Dann-«
verzogen sich langsam die Zuschauer,
sdie mit Opernglösern untd Fernrohren,
»Hüte und Tücher schwenkend, dem Bal
:lon nachgeschaut, bis er shintsr ballen
spen, weißlichm Wonmsbankm sper
schwunden . . . .
Seinen Jnsassen bot sich einsherrlicheiizl
Bild. Es war ein entziickendes Pa
norama. Die Adria swie ein bläulich
glitzen der Spiegel von schier unbegrenz
ter Ausdehnung; die einzelnen Buch
sten iprungend im reichen Farbenkleid
Isiidlicher Vegetation; in verschwomme
snen Umrissen Villen, halbversteckt im
zGriin die Palmenlronens» .. tzDann
zdie Vai von St. Antdrea unsd ihre Ver
längerung der Golf rvon -M-wggia. Ein
köstlich-es dell! Am Gestade, an dem
die Wellen murmelnd, sanft sich bra
chen, eine exotische Flor-a, blühend in
allen Nuancen; Cypressen reckten ihre»
dunklen Stämme in die balsasmischenj
.Lüste, und die dicken Blätter der Aloess
und sdie saftigen, stachesligen Stengels
»wer Kasttussesenschienen zwischen den;
Ischiängelnden Farnlräuiern und matt-;
nglbens Mimosen gleich seltsamen
sHieroglyphen der Pflanszenwelt . . Und
dann Triest mit seine-m Hasen, einem
chaotischen Gewirre von Schiffen, Ma
sten und Raan; die Stadt, sich ma
lerisch ausbreitend, buntbewegt, ein-e
Welt für sich, voll imposanter Bauten,
phantasttisch geschmückter Kirchen, riesi
ger Fabriten und qualmender Schorn
steine . . . .
»Der Ballon —- der um Vier Uhr
Nachmitags, seiner Fesseln los und le
dig, sich in die -Liiste geschwungen —
schlug nach einer halben Stunde schon
eine südsivestiiche Richtung ein. Die
Kontnren des gottgesegneten Land
strichs da unten verdämmerten — nur
die sSee sblinstte noch herauf in rät·hsel
hsastem Spiel der Farben und den sal
zigen Odem aushauchend in die reine
Atmosphäre
Zwischen Paolo und Harriet, den
einzigen lebenden Wesen in dieser Höhe,
kam eine eigentliche Unterhaltung nicht
«recht in Gang. Er war wie berauscht
l. . . . Mit der lGeliebten allein — ganz
allein! Die Englänsderin starrte san
das Geländer geneigt, hinaus; traum
hast glitt-en ihre Blicke in die in Son
nenglanz gebadete, rosige Weite. Jhr
Antlitz war aussallend bleich und ihre
Lippen zuckten.
Pacslo näherte sich ihr und schlang
in trunkener Seligkeit seinen Arm um
ihre elfengleiche Gestalt. »Wie schön
Du bist . . . ! Ein Engel . » ; flüsterte
er bebend vor Aufregung.
Und iste war es auch. Das edel ge
schnittene, seine Gesicht, die braunen
nach englischer Mode bis über die
Schultern lwallen-den Locken, die halb
verschleierten, unergriindlich tiefen Au
gen von langen sammetnen Wimpern
beschattet — und dazu der elegante
Laswntennis-Anzug, der die sberiickende
Plastik ihrer Gestasit hervortreten
lie . . .
Mit nervdser Hast entwand sie sich
seiner Umarmung, beugte sich nieder
zu dem am Boden des Korbes gestan
ten Ballastsäctchen nnd entleerte zwei
derselben ihres Inhaltes —- und alles
dies mit einer Anmut-h und Grazie, die
in der gewöhnlichsten ihrer Bewegun
gen lag.
Der »Diamond« arbeitete sich noch
höher.
»Bist Du mir böse, mein Lieb’?«
fragte zärtlichider junge Mann, durch
ihr beharrliches Schweigen beunruhigt.
sLangsam wandte isie Estch um und
zeigte ihm urplötzlich lveränderte Züge:
»und seltsam klang auch ihre Antwort:
,,«Böse! Was soll dieses armselige
Wort bedeute-litt —- Miißte ich nicht
die Stunde versluchen, die unsere Be
kanntschaft vermittelt — jene unheil
volle«Stunde, »die Dich niir zusii-hrte,
ohne das Mal des Verbechens aus
weine Stirn gedrückt zu haben?«
Er taumelte entsetzt zurück.
»Sieh mich nur so erstaunt an,«
sagt-e ssie dann mit einem schrillen Aus
lachen, das ihm sdas Blut in den Adern
fast zum Gerinnen brachte, »die Zeit
»der sLiebe ist sür uns vorbei "-—- ein
I
anderes Schicksal, das unser wartet . "
und mit ihren Fingern blitzschnell sein
widerstandloses Handgelen-: dampf
haft umsspannend, bohrte sie ihre du
ster glimmenden Blicke in sein verstör
tes Gesicht. —
,,sHast Du so bald Carlotte derges
sen?« tam es dann leise, zischensd von
ihrem Munde.
Wäre cder iErdball Zu seinen Füßen
geborsten, auf Chrdolli hätte dieses
elementare sEreigniß keine erschüttern
deoe Wirkung hervorbringen können,
als es jetzt die furchtbare Frage der
sAeronasutin that. »Ein -un-n-ennbaes
Grau-sen sträubte Idie Haare auf sei
nem Kopfe und durchschüttelt-e seinen
Körper. . . Sie wußte Alles! — Wie
sie zu dieser Entdeckung gekommen —
in diesem entsetzlich-en Moment war ihr
dies gleichgiltig . . .«-Miihsam rang er
nach-Worten, nach Athem —
,,Harriet — v.erzeih!«
»Dir vertzeihen?« schrie sie auf mit
unsagbarer schmerzlicher Betonung,
,,Uns-eliger, ahnst Du denn nicht, daß
Du meine Schwester durch Deinen
Berrath getödtet . . .?«
Kraftlos sant er auf das Strohge
Iflecht zuriick, welches in der Gondel als
Sitzt-laß diente.
Carlotta Harriet’s Schwester! —
Narrte ein entsetzlicher Traum seine
Sinne? Umnachtete der Dämon des
Wahnsinns sein Gehirn .. . oder war
es eine teufliche Spuckgestalt seiner
krankhaft zerriitieten, bis zum Ueber
maß erhitzten und aufgeregten Phan
tasie, sdie ihm grinsend und z-ähnes-1et
schend die Hölle, die unentrinn«bare,
mit allen ihren Schrecken unsd Abgrun
deorgautelteZ
Aber nein —- keins Traumgebilde,
keine Hallucinationl —- War er denn
blind gewesen die ganze Zeit über, daß
ihm die Aehnlichkeit nicht aufgesallen
zwischen dem Gegenstand seiner einsti
gen Leidenschaft und dem seiner jetzi
gen Neigung? — Hätte er in sdiesem
Augenblick die Kraft gehabt, sein
Denk-vermögen zum Suchen logischer
Schlüsse anszustrengem leicht erklärlich
wäre es ihm gewesen, worin die Macht
bestanden, die Harriet über ihn, über
sein-e Sinne und seine Empfindungen
ausgeübt —- jene magnetische an-I
ziehensde Gewalt, iderien veinsame er
noch immer war . . . . Kein-e . sterotypse
Aehnlichkeit der Gesichter —- ansdere
Augen, anderes Haar-, aber doch im all
gemeinen eines und dasselbe. . .
s lEndlich nach einer geraumen Weile,
Frichtete er sich slanigssam auf; er schien
jum Jahre gealtert. i
i »Verda-mme mich nicht ungsehört,««
bat er mit heiserer Stimme, ,,kon«nte ich
denn anders, nach-dem ich Dich ge
sehen?«
Und in die Kniee fallend, bedeckte er
ihre Hände mit Thränen und Küs
sen . . . Sie erschauerte . . . . Jhre ver
zerrten Zügen- glästteten sich
»Liebst Du mich? Wie ein Hauch
zitterte diese Frage durch die stille Eust.
»Mehr als mein Leben,'· murmelte
er in seliger Verzückung
Sie brach in ein hhsterisches Schluch
zen aus und rang verzeveiflungsvoll
die Hände.
»Ich wollte Dich tödten — Dich Unsd
mich . . . Denn auch ich kann ohne Dich
nicht leben . . . Und fiir uns ist doch Al
les aus-; denn nie werden wir uns an
gehören dürfen — Carlotta’s Geist
der uns auf ewig trennt . » Sie schrieb
mir mein Urtheil . .
Ein Blatt Papier inisterte zwischen
ihren Fingern . . . Vor Vaosio’s Augen
flimmerte es...Er erkannte seine ei
gene Handschrift. — Und doch nichts
Verfäirg-liche«5, was er entworfen: die
Abschiedåworte der Sterbenden an ihre
Schwester — keine "Anllage....
Aber weiten unten? —- diese unregel
mäßigen Eharaltere, wie von der zit
terigen, altersschkvachen Hand des To
des gezeichnet.
»Jetzt erfahre ich es aus seinem eige
nen Munde, daß Du eS bist, die er
liebt; Deinetwegen verließ er mich, gab
er mir meine Freiheit wieder —- und
diese Kunde tödtet mich. Schwester,
fürchtest Du nicht den Fluch des Him
mels auf Dich und Paola Cardolli?«
Und dann die Unterschrift . . . Der
junge Mann grub sich die Zähne tief
in die bleichen Lippen. Hatte er nicht
selbst jene verhängniszsvolle Frage der
Sterbenden, sich vergessend, beantwor
tet. «Ha«rriet Lee« hatte er damals »ge
sagt· Eine Grausamkeit gegen die
Verrathene — ein-e Grausamkeit gegen
sich selbst! Ein-e merkwürdige Ruhe,
die ietzt plötzsiich über ihn kam. Mit
zärtlich-cui Drucke ergriff er »die schlaff
herabhängende Rechte »der Geliebten —
,,Du sprachst nur zu richtig! für
uns bliiht kein Glück mehr auf dieser
Welt; die Erinnerung an Deine un
glückliche Schwester wär-de es verscheu
chen . .Aber meine Schuld muß ge
siihnt werden. — «
Mit festem sSchritt trat er an den
Rand des Korbes . . .«Sein Begleiterin
hielt ihn san-it zsuriick. —
»Noch einmal — liebst Du mich?«
,,Dich nur Dich —- einzig und al
lein!«
»Dann werden wir zusammen ster
ben! Auf Erden keine Möglichkeit, die
uns vereint — aber der Tod Idarf uns
nicht trennen.«
f Er lächelte glücklich; und sie fuhr
ort:
»Als ich den Brief Garlotta’s em
pfing, sa"h"ich schon den Abgrund, sder
unser Glück verschlingen mußte; aber
welche Mühe, mich zu beherrschen-, -’
welch’ dornsenvolle Maske!«
»Und trotzdem verlor ich Deine Liebe
nicht!«
»Nein . . . Aber mein heißes, »sizilia
nisches Blut trieb mich, Rache zu neh
mekn . .. Hätte ich nur meine Leiden
schaft unterdrücken können! Da gab
mir das Schicksal seinen Wint: Auf
dieser Fahrt wolltest Du mich beglei
ten . . . Jst es nicht eine Fügunig Got
tes? Jch schmeichelte mir mit der Hoff
nung an kDeine Liebe sbis über das
Grab binasus.
»Und sie soll Dich nicht getäuscht ha
ben .!«Komm
»Warte, « sagte sie tief Athem sho
lend, ,,zuerst will ich das Räthsel lösen,
das mich .umgie«bt. —«
Jn kurz-en Zügen folgte nun die Ge
schichte ihres Lebens . . . Wie ihre El
tern rasch hintereinander starben und
sie und ihre Schwester armen Ber
wandten zur Last fielen . . . Bis dann,
vor Jahren noch ein Engländer mit
seiner Frau, Jtialien «bereis·end, zufälli
geriveise mit ihr zusammentraer und
Gefallen an ishr fanden; sie nahmen sie
mit — Mr. Lee wollte sie in seinem
Berufe —- er war Altobat unsd Aero
nan — unterrichten... Zu gleicher
Zeit gsisng auch Carlotta in sdie Welt,
sich das saure Brod als sErzieherin zu
verdienen. Und isie hatten »sich so lieb,
die beiden Schwestern! lWelch schmer
zensreiche Stunde ihnen die Trennung
bereitete!
»So zogen wir herum,·' schlosz Este mit
einem Seufzer, ,,bis Mr. Lee eines Ta
ges nach kurzer Krankheit iverschied und
ich aus Dankbarkeit gegen seine Witt
we, die mir eine zsweite Mutter gewor
den, unser Handwer sortssetzte . . . Be-«
ruhigt kann ich nun sterben, den-n sie ist
viersorgtz die lEinnahmen sder letzten
Zeit sichern ihr einen sorgen-losem fried
lichen Lebensabend . . .«
Erschöpft lehnte sie sich zurück.
»Sterben . . . st-erben,« flüstert-e sie
nnd ein Leuchten sverklärte ihre sbIassens
Mienen, »sterbe«n —- mit lDir tier
eint . . .«
,,Msorgen hätten wir unsere Verlo
bung gefeiert,« entfuhr es ihm leiden
schaftlich; noch einmal -bäumte sich ldie
jun-ge, glückheischende Natur gegen ein
aewsaltsamses Ende . .. So viele Hoff
nungen und Zukunftssträume — und
nun!« « «
»Wir sterben als Vrautpaar,«——-un’d
ein fast heiter-es Lächeln zauberte zwei
Verführerische Griibchen auf ihre-n tsich
rosig färbenden Wangen, »ein Sprung
in die Tiefe und Schmerg unld Trasuer
und Ungemach ist aus«
Einige weitere Säcke Ball-ask flogen
hinaus Der Ballon hob sich höher
und höher; in wenigen vcszsetimden se
gelte er zwischen grausen, undurchsichti
gen Wospken
»Jetzt!« sagte isie einfach.
Sie stiegen auf die Brüstung der
Gondel, sich an den Tauen des Nietz
rrserks haltend... Unter ihn-en nichts
als eine u«nendliche,"bläulich schimmern
de Fläche.
»Die Adria . . .«
Jhre Blicke begegnete-n sich und ihre
freigebliebenen Hände trafen sich, unsd
dann ihre Lippen in einem langen,
gluthdurchströmten Kusse . . . J«n inni
jger Umarmung wollten ist-: in das ferne
i tand des Friedens ziehen. Sie schwie
igen ----- - aber ihre Herzen klopften unsd
ihre Augen redeten ein-e laute Sprache.
Dann — einem gleichen Impuls-e ge
zhorchenn stießen sie sich los von den
sSeilen Und wiihrend ihre Körper
,cna umschlungen hinuntersstiisrzensd dein
snebetigen Raum idurchmaßen, schnellte
sder »Diamond« mächtig erleichtert in
die Höhe, verschwindend im Dunstkreis
der Erde.
-—-- In Tolsedo, Ohio, ist Folgendes
passirt: Als der Deutsche Louis Oehlke
vor einigen Abenden »von der Arbeit
nach Hause kam, fand er in seiner
Wohnung in Links-Straße einen Zettel
des Jnhalt vor: »Ich bin so weit fort,
daß Du mich nicht einholen kannst.«
Unterzeichnet war derselbe von seiner
,,«besseren Hälfte«. Es ergab sich auch,
daß die Frau ihr Babh sowie Oehlte’s
Ersparnisse im Betrage von 81600 und
ihr Piano ini Werthe von 8400 mitge
nommen hatte. Das Paar hatte zehn
Jahre lang zusammengelebL Oehkte
soll eisersiichtig auf seine Frau gewesen
und es soll infolge dessen oft zu stürmt
schen Auftritten zwischen den Ehebu
ten gekommen sein. Er glaubt, daß
seine Frau sich nach Detroit zu ihrer
Mutter begeben hat.
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