Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, July 03, 1896, Sonntags-Blatt., Image 14

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    Die kleine Flenrettr.
Erzählung von Ctise Polko.
Watte, wir müssen uns trennen,
Wams immer, Gericht-, wie ich hoff-,
chet wenime so lange, bis ich einen
Wen Platz errungen «ha!de, der mir
das Recht giebt, Dein junges Leben an
nnich zu- "ketten«. Du wirst svernünftig
fein, ich weiß es. Mit Versen und mit
einer Geige stosment Man nicht zu einem
Hei-m ziu Zwei-en, iwensilgzstms hier in Pa
ris nicht. Vielleicht in Deutsch-land,
tw, wie nnani sagt, jeder Mensch Vers-e
macht und sesm Publikum findet, dem er
sie Zerrissen darf. Sie-hist Du das Alles
oms «
UNDFTeurestte war eiben eine echte Pa
sniserim ebenso vernünftig swie hiisbsch,
medscih Alles ein. Eine Deutsche würde
gesagt haben: »Jch(".-vill lieber mit Dir
darben und hungern, wenn es sein muß,
aber laß uns beieiinander blalben und
ansettimndesr setstshnitent Jch warte auf
Dich, so lange Du willst!« Von solcher
»so-genannten Roman-fis wußte die kleine
Franxzsöisins nichts. Sie fansv eine Exi
M ohne ein- ksleines Issonniges Stäbchen
mit dem- Zubehör eines Kasnarslenvogsels
und ein) paar Blum-Msiöcken, einigen
frischen billigen Kleidern Häubchen,
tadellnsen Hsandschuhen und Stiefelet
tm sowie sonncksäknlichen Auålfliisgen in
die nächste Uimigeibunq ihres geliebten
Var-is einfach unmöglich, Urid ihre
Mr dacht-e genau ebenso. Durch
Ihre geschickten Hände konnte sie sich Idas
Alles schaffen. Gott Fleurette doch für
ein-e der geschicktesten Putzmacherinnen
die won« Eben Gesten Maigazinen Arbeit
erhielt, aber einen Mann mit zu ver
ioxgenz wenn er auch noch so bescheiden
wack, wie der Grade IEsdmond, da J toin nste
doch Niemand von ihrderlangen Und
denn hatte sie so oft gelesen, daß nichts
In Idek Weilt Schönheit unid Frische ra
scher zerstöre, als eben der-artige Sor
gen. und ein klein wenig eitel, wie es
oben jede Frau auf ihre äußeren Vor
ergse sein soll, Cwar sie ausf ihn allerlieb
stes Getfrchtchen mit den ichparzen
Schelmuan dem Stnmpfnäschen,
tdesrn Dividenden Munde mit sden pracht
wollm Nein-en- Zäkhnen Das-i kam noch
sine zierliche Gesstalt sdie in der schlich
ten, aber stets etwas Xockettem Meivsamen
Mkesttgr. wie tsie nur eine Paritferin und«
eine Malerin zu machen verstehen, ziir
bastrw thung kam, Kinderhände Und
sFitße und einsHaar, spvie es die büßende
Mwndalenu des Cvrwggio zeigt, und
das ider anme Edrnonb so leidenschaft
Iich bewunderte
Es wurde ichr durchaus nich-i leicht,
awf ihren ergeben-en Freund zu versich
tm, Idesnin es iwar sgar zxu schön, wenn er
Iilhr Tim Waijoe von Meudon oder im
Pack svon Trianon in irgend eine-n ver
steckten Winkel s ein-e Verse vorlas, wäh
rewdtsieim Grase oder ans ein-er Moos
tbcmt saß san-d dsie Blumen und Zweige,
idiseste Beide im Wandern gepftiickt zu
Sträußen und Kränzen ordnete. Der
Inhalt der Verse blieb ihr freilich gar
vsttdunlkeh asber sie klangen doch so s chön
wie wirtliche Musik. Und wenn das
Junge Mädchen in die sonniendurchflm
thete grüne Wsalrtdärntmerung hinein
schaute, dann schien ihr alles seitsam
verwandelt, rann schimmerte das weiße
Kleid der Maria Antoinett-e, der bezau
berde Müllerin von Trianon, aus
lttsen Gabüschen hervor, ursd die schönen
Ehofdamsen her-schien sich mit sden Kava
llierens in der Ferne unter wen Bäumen.
Die arme Königin! Hatte sie doch das
reizende Sich-u Maria Antoinette« er
funden, in dessen Herstellung dsiie kleinen
Hänldse Fleuretteå eine ganiz besondere
Geschicklichkeit entwickelt-m ,
Gewiß, leicht wurde es der kleinen
Modiftisn nicht, von ihrem Freunde zu
scheiden, waren sve doch Nacktbasrstinder
enmrd hatten miteinander gespielt
sen einer sver Seitensstvaßen des Fau
sbourg Poissonniere. Asnch vie Mutter
Murg-M »die bei ihrem Kinde lebte unld
noch immer eine ges-achte Weißzeug
näherinwar, wenn auch inie Arbeit jetzt,
bei vorgerücktem Alter« nur langsam
von den hart-d ging, zeigte »sich betrth
über idie Lösung sdes Verhältnisses, unw
W sagtessin »Er Ihat Recht! Du
darfst Dir keine Partie verscherzen
durch sein aussichtslwses hin-schleppen
Ida-zu sintd wir leider zu arm, mein
Indi« Und ssietschaute iisber islyre große
We W zu fder Tochter bin, die
Ich wieder sberirhsiiat :l)"atte, with sagte
ist-IM: »Wer-Um ist Ean
sticht ein Mer Mersitant geworden,
Ida er doch sso schön die Geige spielt?
Solche sLeute kann srnan iiberall bran
chem Gast Manch-er kann fnie Woche
« m den-e laben, wag er sich Sonntags
ergetzt Wozu hat idenin Edmond das
Seinensvieil bei Haber-ed erlernt, der ja;
ein berühmter Meister ist unid Poch anchH
Wß wanches Jahr mit ausgespielt
" Hak. wen-a er sich mchts damit nennienttt J
H-. M m qar seine Verse! Die brinsgenj
M test kein Brot-F i
»Q, Manna, Du Vergiß-i unseren Be
L I
rangerl Mit Gold haben sie jedes
Worin-in ihm bezahlt«
»Ja —- init Gold —- aber erst, als er
so alt gewonden war, daß sihni nichts
mehr sonderlich Freude smachte« und als
sein Magen lerne Austern mehr vertra
gen konntet«
«Und Fleurette glaubte Alles. Die
) seiden Liebenden trennten sich denn auch
wirtlich
»Biselleicht verlangt irgend ein König
einmal nach meiner Geige,« awwortete
ider junge Mann auf dsie praktischen
Vorschläge der Mutter Mavgot, »dann
tret-e ich in seinen Dienft —- asber nur
dann! Warten wir also darauf! Es
geschehen noch Wunder in der Weltt«
Ohne Thräne ging das Scheiden
nicht ab —- einsige trübe Tag-: schlichen
Idann sehrzlanigsam hin für die Kleine,
aber es war szuirn Glück eben- Frühling
-- und Fleurette kaum neunzehn Jahre
aslt. Auch ließen es Sich die Freundin
nen —- unsd ldie allerliebste Modiftin
hatte deren viele —- tbssonders angelegen
sein, sie Fu zerstreuen, und der Erfolg
dieser Bei-suche blieb nicht auf-. Wer
sbei den gemeinsamen LandPartien oder
bei lden kleinen- harmlosen Tanz-benann
guwgen Fleurette lachen hörte und tan
zen sah, Eder hätte wohl nsinisnier geahnt,
naß dies fröhliche Geschöpf sinit den
mutig-billigen Augen sich vor gar nicht
langer Zeit von seinem liebsten Freunde
getrennt hatte unter ibittereni Weinen.
Und doch war er nicht von dem jungen
Mädchen ver-gessen! Gar oft fuhr sie
aus mitten- in der Nacht. Es war dann,
als www-ehe sie der Duft jener kleinen
Bill-til - und Blättersiräußchen, die
Edmoiid ishr immer mitzubringen
pflegte, unsd als habe seine sanfte Stim
ine ihren Namen genannt. Nicht selten
geschah es auch, daß ihre niedlichen
Finger ein Tuch über das Vogelbauer
Ideatem swie sie sdas zu thun pflegte,
Hivenn der Freund ihr angeiiinsdigt, Idasz
Ier ihr neue Verse vorlesen werde.
Der kleine gefiederie Schreihals hatte
die Whnheih wann sofort snrit lau
tem Geschwister eine Begleitung zu im
provisireir
Die Verse —- die Verse! Wie sie sich
nach ldids er wsundersainen Musik sehn-te,
dielleine Flaurettel Ader freilich nicht
mit »Haragen unt-d Bangen«, Gram unsd
Thriinen, rdeiigeirheii macht ja häßlich
und alt.
Er Tor-schwand ldenn auch wirklich
aus ihre-m Gesichtskreise, und das junsge
Mädchen hörte mir zufällig auf Umwe
aen, daß Edrnond Rache einen lleinen
JPasten als Zollbeamter gefunden habe
Tauf ein-ein der Bahnhöfe der Weltstadt
)und nun mit aller Energie arbeite, uni
Hieneö Lastschion aufzubauen, in Idas er
jderinaleinft seine klein-e Fleurette als
iHerrin zuführen hoffte.
i Wunderliche Beschäftigung für einen
lDichter unsd Musiker —- das Zollarnt.
IDenn in der That lebte in Edmviilos
ISeele eine hechgradige Leidenschaft für
»die Musik, die s r zuweilen die zärt
liche Liebe zur beste shei Seite schrit
«uan die süße Arbeit des Dichte-W so
waltsain unterbrach, daß er die Feder
ortrvarf und statt einer Mahlzeit sich
—- eiii Opernbillet im allerijbersten
Nana kaufte
Ach, hätte er Musiker werben dürfen!
Sein guter Bat-er hatte ihn ja ausf das
Pariser Konssewaiorium geschickt, weil
er die Begabung des Knaben ertannt3,
Habeneck war sein Lehvrneiiter aus Oder
Geige geworden unid hatte iiber seine
Fortschritte gestaunt; als aber der
treu-: Ver-sorger piötzlich starb, da hörte
auch aller Unterricht auf, —- der junge
Mann such-te sich durch Stunden-geben
zu erhalten. Dazwifchen iognponsirie
unid dichiete er still im Dachiösmmerlein
und hoffte und träumte wie eben alle
Dichtetieeken von irgend einem wunder
baren Glüclzufall, Oder doch nur einmal
— wie jene märchenshafte Aioe —- in
tausend Jahren erbliiihen für iben, der
ihn eben heiß evsihnt, träumte von ein-er
Geisterinisel voll Duft und Glanz-, wo
Allessang unskilanz und wo man un
ter Palmen «un-d biüheriden Rosenhü
schsen schiiesf unid von Nektar unsb Am
boosia Tal-in unid das schmacng irdische
Geid zu den- hakbooengessenen Sorgen ge
..M
Fleurette erssufhr von jenen Phanta
sien nichts, denn Este hätte ihn tüchtig
ausgelacht aber im Still-en war Ed
mwidkbochfessi entsschiossem die reizende
Kleine mitzunehmen auf seinr selig-e
»Geistenirisel«.
Da war ihm denn ein-mal durch sei
nen Lehrmeister habe-reck, mit »dem er
immer in Verbindung gelblisbem die
Paris-im einer wunderbaren Oper eines
neu-en deutschen- Konrponisten vor die
Augen gehstan die ihn in ein wahres
Fieber von Gestiftet-uns Ver-setzt hatte.
»Tannhäuser« hieß ste, und der Name
Mrd Mr« war seiiidem mit
Waben von Feuer eingebrannt in
sei-»rein herzenx Fest-it die Zoll-oth
iWMg Vsmvchtd sticht- iie mich
nur um einen Schein verbiassen zu
lassen.
Einzelne Melodien verfolgten ihn ge-v
l— J
geradezu Tag un"dNacht. Wie oft dachte
er daran, daß es herrlich sein -nriisse,
unter den Klängen des Pil«gerchores, der
da fang: »Nun laß ich ruhn den Pil
gerftab«.
L »Wie er wohl aussehen mochte, der
gottbetgnadeee fremde Tondichter-P
fvagte die Dichterphantwste wieder usnd
wieder-. Ohne Zwersel groß, schlant
shlontd, ldenn er war ja ein Deutscher mit
blauen träumerischen Augen, sdazu ein
wenig hintisch unld schüchtern, mit einer
sanften Sprechstinemse Wie der span
issische Dichter und Muse-ter- ihn schon
liebte! Nein, mehr als liebte, leiden
sschaftlich the-wunderte Und was »die
Zieherausregung tdes jungen Zollbeam
ten noch steigerte, roar das Gerücht, daß
eine geniaile, vornehme Frau und Mu
stttfrewndin d:e schöne Kaiserin Entge
nie den Kaiser unablässig zu beroden
suchte, d. esse neue Oper sin- Paris aus
fiihresn zu llassen ja tdaß sogar schon
Unterhandlungen angeknüpft sei en mit
dem Komponisten der kommen solle,
um sein Wert einzustudieren
An einem Oktobertcrge des Jahres
1859 sgeischdEh es, daß auf Edmwid’s
Zollftation ein« gnwattiger Streit iant
wunde, der ihn aus der Arbeit in sei
nem Burean ausschrecktez zwei seiner
Kollegen konnten offenbar smit irgend
einem Reisenden nicht fertig stvetlden
und geriethen mit diesem aneinander
sDiesscharfe Stimme des Fremden über
tönte alle anderen. Edenond wurde zu
Hälse gerufen gegen den Widerstreben
den, der sich immer heftiger in gebroche
nem Franziififch weigerte, jene Bestim
mungen zu erfiillen in Bezug auf ein
Gepack,ideren Erledigung man von ihm
verlangte Estvar ein kleiner, schmäch
tiger Mann mit ausfallen-d geformteni
Kopf, geistvoller Stirn und eckig ge
tfchnittenem Gesicht von großer Un
ruhe und Leidenicknsitlichteit in allen
Bewegungen E: n geöffnerter Koffer
aus dem Paoiere hervor-wollen stand
;z—u seinen Füßen. Edmontd erhielt die
Werfung, seinen Namen zu Protokoll
zu nahmen. »Richar(d Wagner!« tont
es wie siebet-mächtiger Glockenklang an
das Ohr des Poeten, Msiters und —
Zollbeasmten und macht ihn für einige
AmgerMicke ganz Mitteln: dann fragt
er bebend: Der Komponist des- »Dann
böuser«?«
»Nein Anderer!«
Mit zitternd-er Hand »und Neuheit-un
ten führte Ebmontb' den Fremden in das
Ienge Arbeits-Zimmer und driickte ihn
dort mit srrtrster Gewalt aus den einsi
gen harten-Stirbt
»Ich werde Alles siir Sie oft-nen,
mein Herr, einen Moment nur Ort-Mo
ich bin sogckeich wieder bei Jhnen-!«
O. wart-m war dies elende Bureou
tein Könbgsgemach mit schwellend-en
Polstern!
Der junge Zollbeamte stürzte hinaus,
blaß urjd evie wn Sinnen. Wenige
Wort-e genügten, um die streitige Ange
legenheit zu ichtem Er schleppte
Dann eigenhä ig ben Kosser in das
Stäbchen, mit Schauern des Ent
zückeng sgctoahrte er, baß Die sich ihm
entgegenbransgenben Blätter mit Roten
bedeckt waren.
Alles ist in Ordnung; darf ich Sie
zum Wagen geleiten? Branchen Sie
einen Führer in dein großen Paris?
Befehlen Sie über mich. . .. ich nehme
Urkausb. «
»Aber lennen Sie mich »denn Z«
Ein-e schwache Stimme intowirt aus
diese Frage statt jeder and-ern Antwort
bas Motiv des Piigerchores ans dem
»Tann«häuser«.
Der Deutsche Komponist lächelt
»Sie-when Sie «mir,« sagte nun Eo
mond, »ich twiikbe glücklich sein, Ihnen
einen Dienst erweisen zu dürfen, und
wenn Sie mich bvauchen tönnten
ein ganz klein-es Stück Musiker steckt
auch m mir. Hobeneckwar mein Lern
nreister, er wird mir ein gutes Zeug
wiß geben! EbmonoRoche ist Jhr Die
ner!«
Da zog Richard Wagner aus bcm
Koffer ohne Wahl ein Bündel beschrie
bener Notenblötter bekam und drückte
ei in die hantb soes neuen Freundes.
»New Sie dies zum Antoenten
naso zugleich zum Pfand, baß wir uns
wiedersehen mein Gart«
Man sschiittelte sich tot-e Hände unso
ginig zur Diligence, ibie Den Reisenoen
und sein Gepiick wach Paris bringen
sollte.
»Wir neiissen uns näher kennen ler
nen," rief der deutsche Komponist noch
aus dem Wagwienstee cherdbz «bei Ha-.
beneck werden Sie mein-e Adresse ersah
iren «
i Untd sie begegneten sich toieder, jene
IW Das Zeugnis habenecks mußte
Meinvowiches gewesen sein« denn
ERichartd Wagner ermannte Eisde
Noche zum Französischen Ueberseyer sei
wes «Tannkhiitrset« -Textes.
; »Es toittd viel Arbeit geben, aber ich
brauche eben einen Dichter unko MusFrter
in einer Person, nnd Sie werden unter
meine-r speciellens sLeitung und Aussicht
MS Wert geben« sagte er mit seinem
L ]
bezaubern-den Lächeln. »Fretlich, Jhre
Stelle müssen Sie dann ausgeben, mein
Freundi«
Kam sie denn noch in Frage? Alle
Stellen der Welt hätte Edmond den
Arbei ebern vor sdie Füße geworfen
Kein ort verlor er tdariiiber Voll
und ganz gab er sich der Riesenausgabe
hin, die ihm sein« bogvunlderter Freund
zuwensdete, aber an das geliebte Mäd-«
chen schrie-b er:
»Das Wunden aus das ich heimlich
hoffte, ist geschehen: Ein König hat
mich zu seinem Dienst befohlen. Meine
Hoffnung Mr bald einen Teppich un
ter Deine kleinen Füße lbreiten zu tön
nen, schlägt ungestiim mit den Flügeln.
Nur noch eine tleine Weile Geduld.
mein geliebtes Kind, —- nn til-· aber un
sere gute Mutter auch getdnn i seiniJ
Bald hörst «Du Froh-es von einem«
glücklichen Edmsontx « "
Diesen königlichen Dienst beschreibt
ein Biograph ides Dicht-ers Edmonsd
Rache, ein geseierter lebender Dichter,
Victorien Sardan, solgendersrnaßen
unter dem Tit-ri: »Pegassus im Joche«.
»Um sieben Ushr irvaren wir schon an
der Arbeit, Tag ssiir Tag, die ohne Un
terkaß ohne Ruhe bis Mittag fortging,
ich— Edrnonw Rache — gabiiclt, schrei
bend, lotrigirend unld die samose S: lbei
suchend welche aus die sarnose Natej
pa,ßte ohne dem Sinn etwas zu ver-ge
ben; Wagner aufgerichtet gehend unle
tonnnend glühenden Auges gestibuli
tend, schreiend vor Erregung und im- !
mer nur rufend: »Vorwärts« nsur vor- I
wärts!" Gegen Mittag oider ein Uhr-J
ließ ich erschöpft und »aus-gehungert die-?
Foder fallen, einer Ohnmacht nahe« i
»Was sehlt Ihnen, mein Freunds ";
fragte Wagner erstaunt. ;
Z
i
»Ach, ich bin hungrig!"
»Richtig. daran habe ich nicht ge
dacht! Also rasch einen Bissen, dann
fahren wir sort.«
So aßen wir wirklich e: nen Bissen«
rasch — und der Abend tam und trasj
mich vernichtet, ver-thieri, mit glühen-;
dem Kopf, ganz irn Fieber habb verrückt
dsuvch di e ewige Jwckd aus die barocksten -
Silben.«
Untd in denselben Stunden stand;
gar oft die kleine Flor-rette vor dem
Spiegel. singen-d und sorglos, zupfte
das kleine dunkle Löckcherh das ihr so
tokett in »die Stirn hin-g, etwas tiefer,
lächelte das allerliebste Mädchenbild
an und sliisterte wohl: »Ich bin noch
hiibsch geblieben bis fest, trotz aller Ar
beit! Das ist ein Wunder und ein
Glsiick zugleich. Er hats freilich besser
als ich, mein guter Edanond er steht in
eines Königs Diensten, da braucht er
such nicht zu plagen unsd bekommt hohen
Lohn. Nun, er soll nsur für ein war
mes Nest.sorsgen!«
Ja er sorgte in seinem Herzen und
in seinen Gedanlen fort nnd fort für
jenes warme Restchen, io viel ihm ir- ;
gend welche Erinnerung und Fähigkeit
et1.vas anderes zu denken nnd zu ern-J
pswinden get-neben war, jener stille Mit
arbeiter des großen peitschen Konnt-o
nisten — sein König mußte ihm ja hei
fen! War es idoch im Grunde io ok
scheiden, das Heim, idas zwei Lieben-Erde
zu bewohnen sich sselynten War die ge- ·
waltige Arbeit erst mollen«det, mußte ja«
and-auch endlich der bis zur Stunde imj
Dunkeln geb-lichem Name Edmondx
Roche auf den Theaterzetteln der gro-.
fzen Oper, als Uebersetzer wenigstensJ
in hellster Beleuchtung erscheinen, und
die natürliche Folge davon war und
würde sein daß die Dichtermappe sich;
offnen durfte, und die verschiedenen«
Trauer- und Luftipiele sich hervorroagq
ten, und ihrer Ausffiihrung an den ver
schiedenen Pariser Theatern ni: chtsi
mehr im Wege stand.
Welch ein Dichter-traten neben der
klein-en staunen-den Flenrettse eine-sz
Abends in irgend einem Gunsten Logen
winket sisen und den einzelnen Versen
zu lanfchen ans der »Velleda« rber aus
dem »Der-narr- Palissn« oder endlich
aus den heftigen »Streichen Scapins'«!
Geduld Geduld! Bald mußte die
Sehnsucht gestillt, ider Traum Hur
Wirklietjlpit werden. Und der-schritte«
Ruf: »Poesie-Eins vorwärts!« hatte
feine Schrecken verloren. Der «scht:vache,
erfchöpfte Körper des Dichters hielt sich —
nrist der Rieferrtrasft des Willens aus
recht, so toll auch zuweilen das herz
schlwz sso ask-endlos oft die arme, zu
Mmenzzepreßte Lein-ge leuchte. Er
dient-e fernem König —- und der Gelieb
tm.
Mitsllerweile evar es Winter aewors
iden, rund wenn Edenond mit glühender
Stirn nach der til-glichen Riefenaribeit
und allerlei newenaufreiszenden Ge
sprächen mä sei-nein Köniq in fein
Wseliyes Wiimrnerlein troch.
ichiitteltm ihn Fiel-erschauen es war
idort ·fo eifip ist-M Und der Schle
wollte nicht kommen, so verlangend er
Mr auch tief. Immer und immer
scheute der qErstliiispite mit brenneM,
wachen Augen in die Dunkel-hell din
au3, die sich mit Buchitwsn und Wor
ten belebte. Und diese Zeichen fährten
f- l
eitdlich in wilder Verschlingung einen
Tanz aus, wohin er nur blickte, oben an
tden Ballen, an den Wänden. aius der
Beiwerk aus ldem Fußboden, sbis sie
endlich iin tollen Durcheinander im
Wasschsbeaen ertranten.
Wie es nur aus-sehen würde, wenn
aus den vornehmen Theaterzeteeln der
Großen Oper, in allen Blättern und an
allen Straßenecken zu den Füßen seines
Königs, Richard Wagner-, ein zweiter
Name ideutlich zu lesen stand — der
Name eines unbekannten Verse-machers:
Edmond Noche. Und was die kleine
Fleurette sagen lviirtee , wenn sie ihn
las?
Dann aber begannen allmälig die
ausregenden Protben der wunderbaren
Oper, und Edmond mußte noch man
ches ändern an der Arbeit tdes Textes
und sich schelten lassen und »ja-h seinen
»Hört-is sast noch ereiyter als fridher
und wundertesich otä Nßsdiegewaltige
Spannung nicht ldie tleine schmächtige
Musikergestalt zusammenbrechen ließ.
Aber während dieser Probe urnrauschkc
den Dichter und Mitarbeiter die Musil
mit ihrem vollen sascinirenden Zauber
und boÖ sibn empor iisber »die Erde und
ließ ihn momentan Alles vergessen,
selbst —- sdie kleine Fleurettr.
Aus der Bühne starld ein junger
deutscher Sänger als »Tannl)iiusser««.
til-Ubert Riemann der ins seiner Helden
gestalt und dem bloniden Haar genau so
aussah, swie einst Edmontd lich den
deutlichen Komponisten geträumt er
vertörperte die Rolle in Gelansgs nd
Spiel in einer Weise, daß Schauer des
Entzücken-'s sdas Poetenherz durchwühl
ten.
Jn- einer der Logen erschien auch
stets eine lunstbageisterte Freundin sei
nes Königs, eine österreichische Fürstin,
die ihm Richaud Wagner als die »gute
Fee« bezeichnete die eigens zu seinem
Beistantde ausf die Erde herabgekommen
sei.
Ach, sie war machtlos, diese Fee, denn
der »Tannbiiutser« wurde damals bei
der ersten öffentlichen Ausführung zu
Grabe getragen, mit wüstem Geschrei
und Trommeln unsd Pfeilen —- wer
wüßte es nicht?
Einer aber ging damals hinaus und
weinte bitteelich, den Theaterzetstel
lrasmpshast in ider Hand Herr-rückend
Man bat-te vergessen, den Namen Odes
Mitarbeiterz unsd Uebersetzers zu nen
nen! Edmond Rache mußte sich mit der
Hoffnung auf eine nächste Aufsiihrung
zu trösten versuchen. Aber wann diese
wohl sein tönte-les Ach, zu bossen
ist so leicht, zu entsagen aber so schwer!
Usan sdie Dachlaenmer wurde immer
kälter.
Sein »Kiinisg« aber verließ damals
im hellsten Zorn das unmntlbare Pa
ris so schnell, daß er sogar seinem Mit
arbeiter tein Lebe-wohl sagte.
Am 11. November übertam den nun
so hoffnungsarmen Poe-ten ein Blut
stursz. Jm Dezember ließ Esdmonld
Rache iden irdischen Pilgerstab ruhen,
um in jenes gelobte Land über-zuste
«de'·ln, in dem es ieine lalte ils-achtsam
mer, lesinen Orangen keine unbezahlten
Rechnungen und teine Enttäueschung
mehr giebt. Aber an Veilchendust fehlte
es ihm nicht während seines turzen
Krankenlaaerst die tleine Fleuxette
lam täglich, um ihm zärtlich zuzu
lächeln und nach inrn zu sehen Veilchen
in den Händen.
Mutter Margot aber war logar ganz
zu dem ehemaligen Nachbarstinde über
gesiadel-t, um den Kranken zu pflegen,
wenn ssie sich auch üCber die versetzt-te Be
stimmung des armen Edmond, und da
rüber, daß er es nie verstanden, Gekd
zu verdienen, nicht zu beruhigen ver
mochte.
Von seinem König hatte er ihnen
mit leuchtenden Augen erzählt, aber sie
verboten ihm, ferner von dem Ent
schwundenen zu reden, es regte ihn doch
gar zu sehr auf! Fleurette erklärte so
gar unurn den, ldaß sie ihn hasse
Wenn aber röter die kleine Modisstiim
als sie schon längst eine giückliche Frau
war, an dem wiederkehrenden Todes
dag des Freundes einen Veilchmsstrasuß
auf seiner kleinen verblichenen Photo
graphie beseitigte, stieg doch immer ein
seltsames Verlangen Ein ihr auf, das ssie
Niemand zu beichten wagte: nur ein-mal
noch den Ton seiner Stimme hören
zu dürfen, wen-n er seine Verse las.
Jetzt ist es nicht smehr nöthig, durch
einen Dheaterzettal den. Namen des
tapferm Mitarbeiters Wagners be
kannt zu machen; die Pariser kennen
Edmond Roche, untd die Sammluan
seiner voetischen unld geistvollen Werte
schmückt viele Bibliothetem Schöne
Hände berühren sdie lllletne elenalrte
Ausgabe seiner träumerischen Verse,
schöne Amen iiberftteaem die Blätter,
unld melodifche Frauen-stimmen frassen
immer und immer wieder von Neuem:
»Ist es was-by dasr der Dichter in Ar
muth und Elend starb? Wie traurig!
Aber warum fhat er denn nicht früher
seine Gedichte herausaeaebem man
roilude ihn doch sgewiß mit Gold über
lschüttet haben! Sie sind unid steil-enf
eben entsetzlich unpraktifch, diese Poe
ten»
Für uns Deutsche gehört die richten
Ve GeME des Dichters eben zu jenem
lerntf en »Pilgerchor«, der den Schrit
ten des großen Komponisten «fol«gte;
sie taucht in jenen Tagen auf, wo Ri
chard Wagner noch rein jeden Fußbreit
Erbe seines späteren Reiches verzweifelt
kämpfen mußte. Die mächtigen Wo
gen der »Tannhöutser-Mwsit« raste-schen
nun iiber Beide hin, deren »Pivgerstwb«
ruht, iisber sden »König« wie iisber feinen
treuen, begeisterten Diener und fleißi
aen Mitarbeiter, iden Poeten Edmonds
Rache.
-.—-——--—-." »sp-—W-—
Karm.
Hainen-se von Vally vom Münster.
Mit lautem Schellensgetlingel stoben-.
die bei-den kräftigen-Pferde der K . . . er
Pensonerepost die hartgefrorene Dorf
straße entlang, an deren Ende sie der
gastliche Stall des »Wirthshauses zur
schönen Polin'« zu mehr-stündiger Rast
’aiifnely:nen würde »Auch »der biedere
Postillon Stanislaw schien die Unge
duld sseiiier Rosse zu theilen, -denn er
trieb sie durch fortgesetztes Knallen mit
der Peitsche zu immer größerer Eile an.
»Es twar aber auch teine Kleinigkeit,
bei achtzehn Grad Kälte zwei Stunden
lang auf dein Bock izu sitzen, da ift’s
doch besser in der Wirthsstube zur »fchö
nen Polin«, und Stanislaw schnalzte
mit den dicken Lippen iin Vorgeschmack
oon einem Glase heißen Geog, das sei
ne Maruschta fiir ihn bereit hielt. Der
sStanislaw war nämlich ein Don Juan,
und in jedem Wirthshaus, wo er auf
seiner weiten Tour Station machen
und Pferde wechseln mußte, hatt-e er ein
Mädel. Und er stand-sich — was feirr
leibliches Wohl sbetraf —- nicht schlecht
dabei. «
Endlich war das ersehnte Ziel er
reicht; die Pferde begriiszten wielhsernd
i ihren Stall, und Stanislaw wickelte sich
aus seinen Decken von Schafpelz und
schwang sich schwerfällig vom Bock, um
dem einzigen Passagier »den Wagen
sschlag zu öffnen. Aber ehe er noch Von
seinem hohen Sitz zur Erde getommen
war, eilte aus dein hause eine tagel
ounde, trotzdem aber äußerst beweg
liche Frau auf den Wagen zu.
Rasch haie sie die Wagen-thut geöff
net, und mit einein Schwall von Wor
ten den darin befindlichen Neisenden
begriiißt; sie riß der-selben first aus dein
Wagen, überschüttete ihn mit einer
Fluth von polnischen und deutschen Ko- «
senamen, während csie wieder und wie- -
der seine Hände «tiifzte. Endlich zog
sie den oor Kälte halib erstarrten jun
gen Mann ins haus, aber nicht in die
große tahle Gaststube, sondern in ihr
eigenes Zimmer, dessen sweiszgescheiierte
Diele mit Sand sbestreut war, und wo
an deni großen Kachelofen, der eine be
ihagliche Wärme ausstrahltr. ein mäch
Ttiger Lehnstuhl bereit stand, während
aus dem Tische, der mit schneoweißein
Leinen bedeckt war, der Samovar ein
ladend summte;·hinten in der Ecke stand
das große Himmelbett, und an der
Wand hingen die Bilder der heiligen
Familie.
Hier also ließ »die Polin ihren Gast
eintreten. Er war ein überaus zierlich
gabaiiter junger Mann in preußischer
Fähnrichs-llniform. sein hübsches offe
nes Gesicht war von niädchenhaster
Zartheit des Teints, und auch nicht die
leiseste Spur eines Bärtchens war über
dem feingeschnittenen Munde zu ent
decken. Lichtbraunes Haar zeigte trotz
vorschriftsmäßiger Kürze die unwider
vstehliche Neigung, sich zu locken, und die
sanften braunen Augen wurden von
langen dient-ten Wimpern beschattet.
»Mso ich gefalle Dir als preußischer
Soldat,« sagte Fähnrich Karl von
Trottau, indem er sich stranim aufrich
tete und seinem Gesicht einen möglichst
triegerischen Ausdrus zu geben ver
suchte.
»O Pan Karla, mein Täsubchen ist
sich wunderschön! Wie wird sich Ma
minta freuen, und Pan Trottaii und
tvielmozna Pani (das gnädige Fräu
tein)!« Die beweg-liche Alte tiißte wie
der seine frauenhaft kleinen Hände, von
denen er die Militärshaiidschuhe abgezo
gen, und dritckte ihn sdann in den mach
tigen Lehnsesfel. »So, nun muß Pan
Karla sich erst wärmen,« und Annuschs
Ia nahm aus der Ofenröhre ein paar
bereitgehallene Schuhe aus Schafpelz,
Kniete vor ihrem jungen herrn nieder,
und nachdem sie ihm seine hohen Stie
fel ausgezogen-hatte streifte sie ihm jene
iiber die tatlten Füße.
Karl von Trottau ließ sie ruhig ge
währen; die liebevolle Sorge seiner
einfiisien Amme that ihm nach der lan
gen. beschwerlichen Reise sowohl und
weilte in seinem Herzen das heimaths
aefiihi. Mit danlbanm Blick fah er zu
ihr nie-der. »Wie gut Du bist, An
nuschta, und eoie freundlich Du mich