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About Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901 | View Entire Issue (June 19, 1896)
Sonntags-BUT Beilage des »Anzeiger nad Herold« za No. 4l, Jahrgang ts. J. P. Windolph, Herausgehen Grund Island, Nebraska, den 19.Zuni 1896.— IFEUUIOW « Umringt-aufsu Roman von Etatre v. Glitmer (Fortsehung.) · »Schäme Dich —- wie kannst du so setwas zu mir sagen!« flüstette Mage lone, indem sie sich erhob und thn mit Bligenden Augen ansah. ewig wurde aufmerksam. »Jsi’s möglich — Ihr zantt Euch!« tief sie, indem sie neugierig heran kam Magelone faßte sich schnell. »Nicht doch, wir sind die besten 'Freunde,« sagte sie lächelnd mid reichte Otto die haust-; aber er küßte sie nicht, wie sonst bei jeder Gelegenheit, ließ sie leich wieder fallen und verließ das. Zimmer Magelone nahm sich vor, ihn dafjir zu Asttafem ; Dazu sand sie jedoch keine Gelegen-( heit. Bei den Mahlzeiten war der Frei-s herr, durch Johann Leopold’s Besser-s werden angeregt, gespriichiger als sonst« und Otto nahm an der allgemeinen Un-! techaltun iedhast Antheit Gleich nach dem Frühstück schloß er sich Karl und» Eduard zu einein lebten Waldritt an, .un«d nach dem Mittagessen schien er an Johanncki Seite gebannt zu sein. ( Sie war ihm heute shmpathischer als je. »Da sist Wahrheit, Einsaacheihz Güte,' sagte er zu sich selbst, wähde er ihr in die strahlenden Arn an sah.! Wie müßten diese Augen von iede re-; den können! —- Vielleicht, wenn er ge-. wollt, hätten sie zu ihm geredet. — "Melleicht, wenn er sich darum mühte, thaten sie es noch. Wenn er auch mor gen sort mußte ——«, er lam ja wieder, und inzwischen mochten Erinnerungen fiir ihn wirken. - Je länger er mit Johanna sprach,l um so warmer wuode sein Ton und gal-l auch scherzhasten Worten ernste Bedeu tung. Und nach und nach wurden auch seine Worte ernsthaft. . Er hatte von seinem Leben in der« Garnison dem Verkehr smit den Kante-; raden und Der Geselligleit im Hause? der verheiratheten Offksiere erzählt. »So bunt und heiter das aussieht und auch "wirtlich ist,« suhr er fort, «tvird mir doch der Abschied von Dön ninsgshausen schwer. Dies-mal beson ders, s— warum, weißt du wohl?« l « »Ich kann mir’s denlen,« antwortete sie und wars einen Blick zu Magelone hinüber. hatte sie nicht verstanden oder wollte sie nicht verstehen? s »Ich weiß doch nicht, ob du richtigs denkst,« sagte Otto. »Mir ist’s eine neue Ersahrnna, mit der ich mich noch nicht zurecht finden lann. Willst du mir helfen?" i »Ich verstehe«dich nicht,« antwortete sie und erröthete unter dem Blick, der «biese Worte begleitete. ! »Was ich berlange, ist Uns-inul«l fuhr er fort. »Wie sollst bu mir hel-. «fen können? Das Versäumte ist ver-« säumt, es muß eine neue bessere Zeit erJ wartet werden« »Was hast du denn versäumti« frag -te Johanna. »Das Gute, bat Glück, dich!« gab ser zur Antwort. »Wenn ersten Moment unserer Bekanntschaft habe ich gewußt, was du rnir sein könntest —- aber statt dir das zu zeigen, habe ich bie Tage ver-» Fiedeln aus Thorbeit, »aus Gewohn it.« . Jetzt warf er einen Blick zu Ringelp ne hinüber. Johanna hatte eine pein liche Empfindung i »Warum willst du verleugnen . . . ««fing sie an. Otto fiel ibr in’S Wort. i »Nichts will ich verleugnen . . . ich fuche nur bit und eigentlich auch rnir selbst zu erklären was in mir vor geht,« sagte er. »Du hast gewiß die Eitelkeit sber Männer anklagen hören — nie genug, das glaube mir! Sie gibt uns gegen unler besseres Wissen, gegen die Anforderungen unseres herzeng sogar, rettungslos in die Gewalt jeder koletten Frau, die dieser Eitelkeit zui ichmeicheln weiß. Die Kokeiterie an sich ist die Schmeichelei, der wir nie wi-; dersteben. Aber wie oft, während wir diesem Zauber verfallen, dürstet unsere Seele —- und verdurstet, wenn ihr nicht die rechte Liebe zu hilfe kornth Johanna schlug das herz, aber sie wollte iunbesangen scheinen und sagte lächelnd, ohne von ihrer Arbeit aufzu sehen: »Die arme Liebe! — wie soll sie das anfangen, wenn sie nicht auch zu Met tiren sweiß?« »Das braucht sie nicht!« fiel Otto leidenschaftlich ein »Sie braucht sich nur zu zeigen, ernst und einfach, wie sie ist, und alle Hexentiinste werden zu Schan"den. —- Glaube mir, Johanna, wenn ich sie jemals fände, — und ei n Ton, e i n Blick würde sie mir offenba ren —, ich wäre gegen Alles gefeit.« Er hatte das betabbiingende Ende ihrer Stickevei erfaßt, so daß sie die hände sinken lasse-n mußte, aber sie wagte weder zu sprechen, noch ihn an zusehen. »Johanna!« sing er nach einer Pause in gediimpstem Tone an; in demselben Augenblick rief jedoch der Freiherr-: « »Komm’, Otto, ich möchte zu guter Letzt mit Wildenhain’ö und dir eine Partie spielen.« s Der junge Mann stand aus-. »Du Sublime au ridicule,« sagte er mit seinem gewöhnlichen spöttisch-hei seren Lächeln, ging an »den · Spieltisch und hatte diesen Abend teine Gelegen Iheit mehr, ein vertrauliches Wort mit sJohanna zu sprechen. i Am nächsten Morgen erschien Tante Theiln, zum ersten Male seit Johann Leopold’5 Unfall, wieder am Früh stückstische, den Abreifenden zu Ehren, Idie alle zu dem Zehnuhrzug nach Thal tode fuhren. Auch sie war voll hoff nung siir den Kranten und nickte zu stimmen-d, als der Freiherr daraus zu rückkam, daß sich a e Familienmitglie der zu Johann LeopolW Genesungs feier in Dönninghausen zusammensin den müßten. »Walburg«ö gehören natürlich auch dazu; wenn sie komm-n, fehlt Walde mar sicher nicht, und das verschobene gest wird desto schöner,« schloß der alte err. Magelone sah Otto an; er schlürfte ruhig seinen Laffen und sie fragte sich mit einer gewissen Betlommenheit, ob er es über sich gewinnen könnte, ohne ein Wort der Verständigung fort zu gehen. »Wenn er es kann —- meinetwegen!« ; sagte sie in aufwallender EmpfiwdlichO teit zu sich selbst und machte sich nach! beendigtem Frühstück mit den Kindern; beendigtem Frühstück mit den Kin d rn zu thun, die zum Ab iednehmen gebracht wurden. Dabei behielt sie — unbewußt vielleicht — Otto beständig im Auge. Er sprach mit dem Großvater, mit Tante Thetla;( jetzt ging er ams Johanna zu. Mage lone mußte wissen, was sie sich sagten! —- Schiiternd trieb sie den kleinen Jo hann Eduard im Zimmer umher, bis sie « in die Nähe der Beiden gelangte; dann 1 kniete sie nieder, dem Knaben das Hät chen sester zu binden, und hörte Otto be klagen, daß er keine Nachricht von Jo-? hann Leopold erhalten würde· I »Tante Thebla schreibt nie,« fügte ers hinzu. »und Großpapa nur, wenn er mir vie Levjteu za lesen hat. —- Bitt-J liebe Johanna. schreib’ du mir zuwei len, wie es ihm geht.« l ; Jn welchem Tone er das sagte! Un swillliirlich sprang Magelone aus, um sdas Gespräch der Beiden zu unterbre chen, aber in demselben Augenblicke ties Eduard: « »Beeilt euch, es ist hohe Zeit.« Otto küßte Johanna zum Abschied die Hand, dann wandte er sich zu Magelone. »Aus baldigess fröhliches Wieder sehen,« sagte er kalt. Magelone lächelte und sagte ruhig wie er: »Aus Wiedersehen!« Aber als end lich das Umarrnen und Lebewohlsagen, das Einsteigen und Zurechtriicken vor über war, und die drei Wagen, denen sie und Johanna von der Freitreppe nach sahen, vom Hofe fuhren, konnte sie sich nicht länger beherrschen und eilte, in Thränen ausbrechend, in’s Haus zu rück. Jm nächsten Augenblick war Johan na an ihrer Seite. »Liebe Magelone . .. » sing sie freundlich an und wollte die Hand der Weinenden fassen, aber ungestüm mach te sich Magelone von the los. ,.Laß mich!« rief sie, stürzte die Treppe hinan in ihr Zimmer, schlug -die Thür shintet sich zu und schob den Riegel vor. ( »O diese Heuchlerin!« tief sie und» hob die gefalteten Hände zum Himmel auf. »Uebetall drängt sie sich vor! k Jch lann das nicht länger ertragen ; nein, ich kann es nicht!« Sie sank in den nächsten Sessel und weinte wie ein Kind in edantewlosery Verzweiflung; adet plöhkich richtete sie ! sich aus und trocknete die Augen. ! »Welche Tshovheit!« sagte sie zu sich; selbst; »din ich denn stveht- und wasserr-; los? —— ich bin schön-et als meine Sag-z netin, sollte ich nicht auch tliiger und; sewandtek sein? —- es gilt den Ver-s ch —, Otto soll und muß zu mirs zurückkehren.« ! i Elftes Kapitel. Es kamen nun wieder stille Tage für Dönninghaufen, aber sie hatten einen anderen Charakter als vor dem Weih nachtsbefuch Wie damals der Frei sherr, so war jent Johann Leopold der Mittelpunkt, um den sich Alles drehte. Ludwig hatte jede Aufregung seines reizbaren Patienten fiir gefährlich er klärt und verlangte, daß die Wünsche desselben so viel als möglich erfüllt würden. So war denn Jeder, den er in Anspruch nahm« aller anderen Rück sichten überhaben; selbst die Mahlzei ten, von denen sonst nur ernsteö Un wohlsein frei machte, durften um Jo hann LeopolW willen versäumt wer den. Mit dem Eigewsinn der Krankheit; verlangte er,sdaß den ganzen ANYij wenn er schlummerte, entweder Lin egz oder Tante Thetla bei ihm blieben« ; Auch der Besuch des Großvaters war T ihm angenehm, so lange der alte Herr« ftillsitzen konnte. Asber sobald er sei-( ner Gewohnheit nach anfing im Zim mer auf und nieder zu gehen, kann eine Unruhe über den Kranken, die Ludwig veranlaßte, den Freiherrn hinaus zu stumplimentiren »Wie ein nervöses Frauenzimmer ist .der Junge,« sagte dieser dann wohl mitl kärgerlichem Stirnrunzeln, fügte jedoch »im nächsten Augenblick hinzu: »Nun, Twir wollen zufrieden sein, ihn so weit zu haben. Nach und nach wird er ja wollends zur Raifon tommen.« i Damit ging es jedoch über die Ma ßen langsam. Ganz allmälig nur schien die Erinnerung an Menschen und Er eignisse in ihm zu erwachen. Eines "Morgens, als der Großvater bei ihm saß. sagte er plötzlich: »Johanna!« und nach einer Weile fügte er hinzu: »Ich möchte sie sehen —- sie soll kom men.« »Gut, lieber Junge, ich werde sie dir fchicken,« antwortete der Freiherr. »Aber laß auch Magelone komimeng sie fühlt sich sonst geltiintt.« Der Kranke warf den Kopf auf dem Kissen hin und her. « »Magelone!« wiederholte er nde seine Augen bekamen einen angstvollen ! Ausdruck. »Magelone! — Nein, neinlj sie darf nicht kommen, — ich will stei nicht sehen -—, sie ist an Alle-m schuld.«’ Der Freiherr erschrak; Johann Leo pold war lränler, als er bisher ge glaubt hatte ,.Jch werde dir Johanna schicken," sagte er, indem er sich erhob; aber auch sie swollte der Kranke jetzt nicht mehr sehen. »Nein, Doctor Werner soll »kom men,« erklärte er in gereiztem Tone;i ,.ibn will ich hier haben — er ist der Einzige, der immer weiß, was mir aut thut.« Am folgen-den Morgen lam Johann Leopold darauf zurück, daßer Johanna z schen möchte. und sie gqu zu ihm. «Setze dich, ich habe viel mit dir zu sprechen,« saate er nach der ersten Be ariißuna. »Bitte, Tante Thella, laß uns allein« Die alte Dame entsernte sich mit ver wunderter Miene. Johann Leopold lag still und starrte in’s Weite, wäh rend ihn Johanna ivoll Mitleid betrach tete. Die eingesunlenen Schlafen, der stkuppige Bart, die matten Augen ga-« sbenithm noch immer das Aussehen ei nes Schwertranten. »Der rothe Jakob — weißt du was von ihm ?" fragte er endlich. »Ich habe Ludwig gebeten —- Doktor Werner meine ich — deine Stelle zu oertreten,« antwortete sie, »du tannst dich auf ihn verlassen . . .« »Das weiß ich!« siel Johann Leopold ein. »Nun, was meint er, wie steht’s mit dem Jakobs« »Nicht gut; Ludwig ist überzeugt, daß sein Arm unbrauchbar wird.« I »Das habe ich erwartet,« sagte der Kranke; »in-iß es Christine schon?« »Ja, ich habe es ihr geschrieben,« ant wortete Johanna. ,,Daraus ist sie ge stern bei ihm gewesen und tasm dann zu mir. Sie war sehr traurig . . ." »Und hat natürlich den armen Bur schen ausgegeben,« fiel der Krante ein. »Das ist nicht deine wirkliche Mei nung,'« sagte Johanna »Weißt du nicht mehr, daß du sie, die glücklichen Unglücklichen« genannt hast? —- Chri sti-ne sieht es als selbstverständlich an, daß sie nun sür den Hilslosen sorgeni Imuß »Den kleinen Jakob hat mir der! Iliebe Gott genommen, nun tann ich ums so besser siir den großen arbeiten,« sagte sie, nnd fiigte hinzu: »sie würde das mit Freuden thun, wenn er dabei zufrieden wäre; aber es würde ihm das Herz abdrucken, nicht mehr sein Brod kverdienen zu können. i »Er kann es vielleicht sdoch — ich» kann ihm vielleicht dazu verhelfen, sagtej Johann Leopold, und nach einer Pausei fuhr er in scharfem Tone sort: »Wass meinst du, wenn ich das Majorat ver-! Tliire und bliebe krank, ein Krüppel aus] iLebenszeit —- tvie würde sich dabei die ;mir bestimmte Braut benehmeni — HAntworte nicht — ich weiß, daß wir darüber derselben Meinung sind, und sdasz ich keinen Anspruch aus Liebe ; machen dars.« l j Er sah bei diesen-Worten so unglücH llich aus. daß sich Johanna getrieben« sit-hlte, ihm zu widersprechen, aber er’ Esiel ihr ungeduldig in die Rede. I »Ueber den rothen Jakob laß uns be ’rat-hen,« sagte er. »Mit gesunden Glie dern lhätte er —- Großpapa’s Wildstand zu Liebe —- sortgemuszt. Mit gelähm tem Arme mag er bleiben. Ich habe etwa anderthalb Stunden von hier in den Bergen ein kleines Besitzthurm ein Erbstück meiner Mutter. Waldklause heißt es und ist nicht viel mehr als ein Aussichtsthurm Aus dem dazu gehö rigen Waldareal ihabe ich einen Forst garten ausgelegt; der bisherige Aufseher will "in’s Thal zu seinen Kindern ziehen, —- was meinst du, werden Jakob. und Chxistine in dieser Einöde leben wol-. len « i »Gliickselig werde-n sie sein . . . .« sing Johanna an. s Der Kranke fiel ihr in’s Wort. »Gut, " so mag Doctor Werner dem rothen Ja- T lob meine Vorschläge bringen,« sagtes er, legte die Hand über die Augen und’ athmete schwer. »Mit mir in der Ein-s öde zu lebe-n, würde Keine beglücken,«2 sagte er zu sich selbst, während Johan- l na, voll Besorgniß, daß ihm das leb hafte Sprechen geschadet haben möchte,! Tante Thetla aus dem Nebenzimmer hereinholte. I Aber es war, als hätte Johann Leo-! pold durch »diese Anstrengung die Kranheit vollends besiegt. Von Stund’ an machte seine Genesung rasche Fort schritte; bald konnte er das Bett ver lassen, und in den letzten Januartagen ver-sündigte Tante Thetla eines Mor gens mit Freudenthränem »Heute Mit tag kommt er herunter.« Als gleich daraus Magelone und Johanna allein im Zimmer blieben, fragte die junge Frau: »Hast du an Otto geschrieben ?" »Nein, noch nicht," antwortete Jo hanna, indem sie sich tiefer auf ihre Ar beit beugte. »Er hat dich so inständig darum ge beten — warum bist du denn so grau sam gegen deinen Freund?« fuhr Ma gelone fort. »Du mußt es wirklich thun — ich bitte darum tm eigenen Jn teresse. Otto muß mein kleines Eler betnbüchelchen, das er aus Neckerei ein gesteckt hatte, mitgenommen haben. Schreibe ihm, daß er es wieder schickt.« »Willst sdu das nicht selbst thun?« fragte Johanna. »Du könntest ihm vielleicht von Johann LeopoldNachricht geben« »Ich? Wo denkst du bin!« rief Ma gelone. »Ich sinde es tattvoll, daß er dich darum gebeten hat« «Taltvoll?« wiederholte Johanna; Hch verstehe dich nicht« - »Nun-»ja, es stoäre peinlich ssiir mich, iOttcks Hoffnungen-zu zerstören,« ant stvortete Magelvne. »Du bist unbethei jligt, du kannst es eher. Wie du mich Tansiehst!'« fuhr sie fort. »Weißt du Jettoa nicht, daß wenn Johann Leopold ;stiitbe, Otto Majoratsetbe wäre?« i »Magelone, »du glaubst doch nicht, Idaß Otto daraus sgerechnet hat?« rief Johanna ; »Ich glaube nicht —- ich weiß. Er That mehr als einmal mit mir davon ge ssprochen,« antwortete Magelone und Hnach einer Pause fügte sie spöttisch Flächelnd lhinzu: »Wie siehst du denn saus, liebe Johann-a —- hast du dir etwa über Vetter Otto Jlluksionesn gemacht? ssEr ist durchaus kein idealer Charakter, sondern ein echtes Welttind voll Egois mus und Begehrlichkeit.« Johanna antwortete nicht und war sroth, als Magelone sie bald darauf allein ließ. Wie war es möglich, daß diese Frau, die Otto von Kindheit auf kannte, ihn so falsch beuriheiltel Ein «Welttind, ja, das war er, aber ein viel zu leichtfinniges, warmherzigeö, usm der Berechnung fähig zu sein, die ihm Ma gelone zuschrieb. Wie ein Unrecht fiel es Johanna auf die Seele, daß sie ihm die erbetene Nachricht bis jetzt nicht ge geben hatte, und sie nahm sich vor, es Iheute noch zu thun. I Aber als sk- dem Bkiksbratte gegen »iiber s aß, empfand sie, daß Magelonens ;Aeußerungen gewirkt hatten. Die Un jbesangenheih mit der sie vor diesem Ge spräch ihrer Freude über Johann Leo pold’Z Genesung Worte gegeben hätte, war bald dahin. Bald klang, was siel schrieb, wie ein Protest gegen Magelo nens Behauptung, bald fand sie ihre Ausdrucksweise zu warm. Nachdem sie( mehrere Briefanfänge vernichtet hatte, begnügte sie sich damit, in wenigen Zei- l len von Johann Leopold’g rascher Bes serung zu berichten und Magelonens Notiszch zu erbitten. Als der Brief fort war, hätte sie ihn gern zurückge nommen. · Ludwig wünschte, daß bei Johann Leopold’s Wieder-erscheinen im Fami lientresse alle Demonstrationen unter bleiben möchten, sund als der Reconva- I lescent erschien, wurde er von demFrei her-rn, Tante Thella und Johanna nicht Ianders begrüßt, als ob er täglich dage wesen wäre. Nur Goldhund wollte sich nicht bedeuten lassen; freudig bellend, sprang er an dem Lansqvermißten in die k Höhe und riß ihn fast zu Boden. Jn diesem Augenblick trat Magelone in’s Zimmer. »Johann Leopold!« rief sie jubelnd, eilte san ihn zu, nahm seine Hand inz ihre beiden Hände und ssah mit schim mernden Augen zu ihm auf. Er wurde ! noch blasser als zuvor. ,,Berniihe dich nicht —- ich weiß wies du es meinst, ich kenne meine Freunde,« sagte er nur ihr verständlich und entzogl ihr die Hand. I Sie wechselte die Farbe, doch ims nächsten Moment lächelte sie wieder und ging smsii leichtem Achselzucken nach ih rem Fensterplatz. Tante Tlheklm die zwar nichts gehört, aber die Mienen der Beiden beobachtet hatte, warf einen ängstlichen Blick aus ihren Bruder. Der Freiherr, der im Gespräch lmit Ludwig aus und nieder ging, schien jedoch nichts bemerkt zu haben. « ,,Abreisen! Nein, lieber Doktor, das dürfen Sie uns nicht anihun,« sagte er jetzt, indem er stehen blieb· »Noch allen schweren Tagen, die Sie mit uns ver lebt haben, müssen Sie Dönninghausen nun auch von der heiteren Seite kennen lernen.« ,,Heitere Seite!« wiederholte Mage lone in Gedanken und wars einen viel sagensden Blick sgen Hirn-mel. während der Freiherr hinzusiigtet »Sie sagten mir neulich, daß Sie ein Buch schreiben wollten —, das thun Sie 1doch hier.« »Besten Dank, Herr von Wnninek hausen,« antwortete Ludwig, »aber zum Bücherschreiben würde mir hier wohl die Muße fehlen. Gut arbeitet sich’s nur unter Arbeitenden.« Der Freiherr bog den Kon zurück. »Da haben wir den Hochmuth der ge lehrten Herren!« rief er, und seine Au gen lblitzten unter iden zusammengezoge nen Brauen. ,,Meinen Sie etwa, Vdaß ich· nicht arbeite?« Ludwig lächelte. ,,Lassen Sie uns einen Unterschied machen,« sagte er. »Sie beschäftigen sich je nach Lust und Laune, während das Arbeiten, das ich meine, einem gewiss en inneren oder äußeren Zwang unterworfen ist. Uebri gens bleibt mein projectirtes Werk bor läufisg ungeschrieben; ich gehe nach Jn dien.« »Und das sagst du erst jetzt, nun du fort willst?« rief Johanna Dorn-rufi voll, und Tante Thekla fragte, indem sie die Arbeit in sden Schooß sinken ließ-. »Um Gottes willen, lieber Doktor, was wollen Sie denn in Indien ?« J Ludwig trat ans Fenster, wo Ue sps Beiden saßen. ’ ,,»Stu"dien machen, mein gnädigei Fräulein,« sagte er; »es handelt sich um eine halb wissenschaftliche, halb mer kantilische Expedition nach Gutscherat und dem Vin·dhyagebirge. Jch sioll als Arzt mitgeben. Uebrigens shabe ich mich erst heute definitiv entfchlossen.« »Was sagt dein Vater tmqu fragte Johanna. »Er hatte natürlich allerlei Einwen dringen zu machen,« antwortete Lud wig; ,,nach und nach hat er sich jedoch umstimsmen lassen unsd sieht ein, daß die Reise für mich Oon sehr großem Nutzen sein kann.« Der Freiherr unterbrach sein Auf und Abmarfchiren. »Nuszen!« wiederholte er im grollen- - den Tone. »Was kann ndien dem deutschen Arzte nützen! - ber freilich, Wissenschaft und Handel sind diev Götzen der neuen Zeit, denen man nicht nur Menschen opfert, sondern auch die gesunde Vernunft!« - - Mit diesen Worten verließ er das Zimmer und schlug krachend die Thtir hinter sich zu. · Tante Thella war blaß und roth ge worden. »Bitte, seien sie Meinem Bru der nicht böse . . . « fing sie an; Johann Leopold fiel ihr in’s Wori; »Was ist da böse zu sein?« sagte er mit mattem Lächeln. »Sie können sich nur ge schmeichelt fühlen, lieber Doktor. Groß psapa möchte Sie shier behalten und ist zornig, daß Sie deien unserem Dön ninghausen vorziehen. Dönninghau sen, müssen Sie wissen, ist in den Au gen aller Familienmitglieder der Inbe griff der Vollkommenheit, das Para dies auf Erden.« ,,Jn meinen Augen nichit« rief Ma gelone vom zweiten Fenster herüber; es war ihr unerträglich, daß sie von Nie mandem beachtet wurde. · »Aber Kind, swie kannst du das sa gen!« mahnte Tante Thekla. »Warum denn nicht?« antwortete Magelone. »Ihr Alle habt doch sonst solche Passion fiir Wahrheit — warum soll ich nicht sagen, ldaß mir Berlin tau sendmal, millionenmal besser gefällt als Dönninghausen —- daß ich mich so gar in Papa’s kleinster Garnison besser aimiisirt habe als "hier?« Sie gäshnte. »Jeden Morgen, wenn ich aufwache, wundere ich mich, da· swir nsoch nicht von Dornröschens chias befallen sin«d?« Während sie dies sagte, blickte sie Un ter den gesenkten Lidern zu Jobamr Leopold hinüber; sie wollte ihn ärgern, er war doch gar zu unfreundlich gewe sen. Aber smit gleichgiltiger Miene stand er auf — die Tischglocke hatte eben geläutet —- kam ausf sie zu und bot ihr den Arm. »Bei dieser Ansicht der Dinge würde ich dich also auf meiner Seite haben, wenn ich’s dem Doctor nachmachte und auch in die weite Welt ginge?« sagte er. »Aber still jetzt —- Großpapa darf noch nichts davon «wissen.« Und nun saßen sie wieder nebY ein ander, wie Vor Johann Leopold Un fall, und Maqelone zwang sich, in aleichgiltigem Tone von gleichgiltigen Dingen zu sprechen; aber dabei drängte sich ishr immer wieder die Frage aus, swas sie von des Vetters »Jn die weite Welt gehen « denken sollte Hatte er nur gescherzt, oder war es eine Versteckte Drohung, oder eine flüchtige Krank beitslaune?