Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, May 22, 1896, Sonntags-Blatt., Image 12

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    Eine herzlose Mutter-.
—
» (
Von Karl Reuter Konzer
«Geh’, Sena, und hole die Mail!«
»Aber es ist ja taum zwei Uhr!«
»Dummes Ding, haft Du wieder ge
träumt? « Schon vor fünf Minuten
hat es geschlagen!« «
Stumm erhob sich das junge Mäd
«chen bei den barschen Worten der Mut
ter.
Eine schlanke graziöse Gestalt war
es, die in dem einfachen Hauslleide so
recht zur Geltung kam. Das Gesicht
hätte schön genannt werden können,
wäre es nicht so mager gewesen. Das
Haupt neigte sich etwas vornüber, wie
gedrückt von der Last der lockigen gold
hraunen Haare. Entschieden schön wa
ren die schwarz-bewimperten großen
tiefblauen Augen, die jetzt die Mutter
Init einem fast an Haß grenzenden
Ausdruck streiften. Diese aber, eine
Frau in den Vierzigern, von robuster
Gestalt mit verdrossenen strengen Zit
gen, kleinen grauen Augen, achtete nicht
darauf. Sie saß« mit einer Handar
beit beschäftigt» in der Nähe des kni
sternden Ofen, welcher in der Wand
eingelassen war und zugleich das
'«Wohnzimmer und den Laden erwärm
te, denn Mes. Jentins war Eigenthü
mern einer Droguen- und Spezial
trauten-Handlung
Das junge Mädchen hatte sich ein
wollenes Tuch um das Haupt geschlun
gen und schritt hinaus.
Ein scharfer Nordwind blies ihr ent
gegen. Die breiten, ungepflasterten
muschenleeren Straßen, mit wenigen
weit auseinanderliegenden Häusern
eingesäurnh verloren sich bald in der
offenen weiten Prairie von Nebraska.
Eine graue Wolkendecke ruhte in star
rer Einförmigkeit auf der mit Schnee
bedeckten, fast umdämmerten Land
schaft. .
Lena bog um eine Ecke in die Haupt
ftraße des Städtchens, in welcher et
was mehr Leben herrschte. Vor einem
Grocery-Store, in welchem sich auch die
Post-Osfice befand, hielten mehrere
Fuhrwerte, große . rohgezimmerte
Schlitten der Farrner. Hieraus er
kannte das Mädchen, daß der Post
Zug noch nicht angekommen war.
Zögernd öffnete sie die Thür und zog
sich vor den sie angasfenden Blicken
scheu in einen Winkel zurück.
Jn der Ferne- donnerte der Zug
vorüber, und bald trat ein Bursche her
ein, und warf den die Postsachen ent
baltenden Sack auf den Ladentisch.
Der Postmeister leerte ihn und begann
bereist-theilt zu sortiren. Lena war die
erste, der er lächelnd einen Brief hin
reichte, worauf.sie sich hastig entfernte.
" Erst draußen angekommen warf sie
einen Blick auf die mit fester Hand ge
schriebene Adresse, und blieb betroffen
stehen. Jhsre Brauen zogen sich sin
ster zusammen. Sie kannte die Hand
; schrift, es war die ihres Bräutigams
Ein bitteres Lächeln umzog ihre Lip
. M«
Jhres Bräutigams —- wie eine
heuerlich mertwiirdig düntre ihr dies.
- Und doch war es fo. Es war die
Handfchift des ältlichen, tränklichen
»F "Mannes, mit dem ihre Mutter sie ac
"gen ihren Willen verlobt hatte. Wa
rum? Weil er reich war, und ihre
Mutter das Geld über Alles liebte. s—
Er besaß in Omaha eine Apotheke
Anfangs hatte er ihr oft geschrieben,
doch sie hatte nicht geantxvortet, dazu
konnte die Mutter sie nicht zwingen.
: Was hätte fie dem Manne schreiben sol
len, den sie verabscheute? So korrespon
dirte er denn nur noch mit ihrer Mut
ter«
, Jn ihrer Erregung hatte fie verges
sen, das Tuch festzuhalten. und plötzlich
rieß ein heftiger Windstoß ihr dasselbe
W Haupte, und führte es quer über
Ue Straße Vor die Thiir des- »Einn
Mreial Hotel«.
Noch ehe fte die Straße gekreuzt hat
zg trat ein junger Mann aus demJn
W, ergriff das Tuch, trat mit einer
Wen erbeugung zu ihr, und legte
We dasselbe mit einem freundlichem
DMuben Sie, mein Fräulein?« über
Sie goidbraunen Haare, nicht ohne vor
It mit einem bewundernden Blick die
Fälle desselben zu muftern.
» Sie schaute in ein hübschesdffenes
MIMQ das ein dlonder Schnurrbart
Herre, in zwei graue, freundliche Au
MBM einer plötzlichen unertlärlichen
Mrnng ergriffen, flüsterte sie:
- danke hnenZ« und eilte wie ein
ehdavon.
" der Bemerkung: »Das hat aber
gedeutet-LM nahm ihre Mutter den
« in Emphng erbrach und las ihn
»Ja durch. Dann sprach sie in
s- Tone: »Wer Smith be
sieh über Dein nnbegreifliches
VII-sinnst ast iDYchwZiUFen
« W c i t
- name-« . 7
»Nein!«
»Du willst also wohl nicht?«
»Nein!«
Die Frau ließ ihre Hände mit dem
Brief in den Schooß sinken und schaute
ihre Tochter verblüfft grimmig an
,,Wart nur, Dirne, Dein Trotztöpst
then werden wir schon noch weich trie
gen!« Ruhiger werdend, fuhr sie fort:
»Was hast Du denn eigntlich an Dei
nem Bräutigam auszusetzeni Jst-er
nichtckin ehrenwerther Manns Hat er
nicht Geld und ein gutgehendes Ge
schäft? Sollst froh sein, daß er ·n Dich
järnmerliches Ding. so närris ver
schossen ist; der könnte ganz Andere
kriegen! Was hast Du nur eigentlich
gegen ihn, daß Du ihn nicht mags Z«
»Das habe ich Dir schon ost gesagt:
weil ich ihn nicht liebe!«
Frau Jenkins lachte hönisch aus.
»Jhn nicht liebe — dummes Ding,
was weißt denn Du von Liebe?«
In diesem Augenblick ging die Thiir
auf und herein trat ein junger Mann
— der höfliche Fremde vom »Commer
rial Hotel".
Das Mädchen erröthete heftig und
verließ rasch den Laden.
. Frau Jeniins schaute den freundlich
Grüßenden mißtrauisch an und trat
hinter den Ladentisch.
»Geä’en Sie mir einige gute Eigen
ren,« « each der Fremde, »von diesen
hier!" s
»Die? Davon kosten zwei B Cents.«
Schweigend legte er einen halben
Dollar hin, nahm vier Cigarren aus
der Kiste und zündete sich eine davon
an, und sprach:
»Nicht wahr, ich habe das Vergnü
gen« mit Frau Jeniins zu sprechen —
Erlauben Sie mir, daß ich mich Ihnen
darstelle, mein Name ist Hans Bert
hold, bin beschäftigt bei der Vermes
sungs-Ahtheilung der Methwesterw
Eisenbahn-Gesellschaft Jm Sommer
cial Hotel:-wo ich logiere, wurde mir
gesagt, hier sei der einzige Platz, wo ich
eine deutsche Zeitung finden könne
Sollte dies nicht auf Jrrihum beruhen,
würde es mir seht angenehm sein, durch
die Lettiire derselben in diesem einsa
men Neste an solchen Tagen, an welchen
zu arbeiten uns die Witterung nicht ge
stattet, die Zeit todt schlagen- zu tön
nen.«' «
Frau Jenting nickte nur, schritt in’å
Nebengernach, und kehrte mit einer
Handvoll Zeitungen zurück, die der jun
ge Mann mit einer dantenden Verbeug
ung entgegennahm. Einen Stuhl in
die Nähe des Ofens ziehend, vertiefte er
sich in den Inhalt der Blätter.
Unterdessen saß Lena im Wohnzkm
mer arn Fenster, und starrte aus die öde
Landschast hinaus-. Ihre Gedanken
weilten ferne hinter den Prairien und
Bergen, jenseits des Oreans in dem
von freundlichen Wäldern umgehenen
Dörfchen ihrer Heimath in Mittel
deutschland. Jhren Vater sah sie, den
stillen bleichen Mann init den träu
Zrnerischen blauen Augen. Er war der
jSchullehrer des Dorfes Mit der gan
Izen Kraft ihres jungen Herzens hing
«.sie aii ihm denn gegen ihre Muirer ern
ivfand sie von jeher mehr iyurcht al
iLiebe; auch er hatte unter der Herz
losigteit dieser Frau zu leiden, die
durch ihr rauhes, herrisches Wesen ihm
das Leben auf jede Weise oerbitterte.
—- Dann sah sie ihn still und blaß im
Sargr. Die dunkle Gruft verchloß ihn
Liebstes und Theuerstes auf Erden.
Mit den dumpfen Schlägen der Erd
schollen aus den Sara schlossen sich die
Thore ihres Kindheitsoaradieses fiir
immer hinter ihr.
Sie war damals neun Jahr alt, und
versuchte nun, ihre Mutter lieh zu ge
winnen. Es wollte ihr nicht gelingen.
Immer« wurde ihr zartempsindende
Herz von dem rauhen Wesen derselben,
durch lieblose Bemerkungen über den
theuren Todten, den unprattischen
Träurnevv der es nicht weiter gebracht
hätte wie zu einem hungerleidenden
Schulmeister, wieder rauh zurückge
stoßen. Auf einmal hieß es: »Wir
gehen nach Amerika.« Ein Verwandter
hatte von doKher dasReisegeldgeschickt.
Noch einmal tniete sie an dem unver
geszlichen Grabhügel, ihre Thränen be
netzten die Blumen, die ihre hiinde ge
pflanzt hatten; dann ging es fort. —
Jhr Ziel war St. Louis. Hier über
nahm ihre Mutter ein Beardinghaus.
Horte Zeiten siir sie begannen; teine
Minute Ruhe wurde ihr gegiinnt von
des Morgens früh bis spät in die
Nacht. Ihre Mutter spilete die große
Dame, und unterhielt sich mit ihren
Miethern. —- Ein Jahr verging. Sie
erhielt einen Stiesvater welcher Eigen
thum in Nebraska besaß, wohin sie
dann übersiedelten —- Endlich ging der
schaltet-sie Wunsch ihrer Mutter in Epj
fitmmz durch vorthetlhaste Verkauf-;
ihrer Ländereien wurden sie wohlha
bend. Doch damit michs in ihr die
Gier nach noch mehr-. Sie ließ ihrem
Mann reine-Mit er mußte immer mehr
M zusamt-mi- larsen nnd spekuli
mh—— MeMvardeeeiM
; " , . -
l
Haus gebracht. tädtlich verwundet,
das Opfer eines Eisenbahnunsalkes.
Ehe er starb, bestimmte er, daß, im
Falle ihm noch ein Kind geboren wür
de, sein Vermögen zwischen dieser und
Lena gleichmäßi getheilt werden und
feine Frau die Jännießung der Zinsen
haben solle Sechs Wochen später gab
ihre Mutter einem Tächterchen das Le
ben. Auf dieses kleine Wesen til-ertrug
sie nun, alle ihre Zärtlichteit deren ihr
Herz fähig war. Auch Lena liebte das
tleine braunlockige Schwesterchen mit
großer Hingebung Doch erntete sie
nicht was sie gesäet hatte. Das der
zogene, verhätschelte eigensinnige We
sen betrachtete, als es größer wurde,
die ältere Schwester als Dienerin, als
Sllavin ihrer Launen. — Vor einigen
Monaten hatte die Mutter ihren Lieb
ling in ein Convent nach St. Joseph,
Mo., geschickt; sie sollte ja eine fein ge
bildete Tsame werden. Zu den intimen
Freunden ihres verstorbenen Stiefm
ters gehörte George Smith. der auch«
später noch öfters zum Besuch lam;
sie hatte aber nicht die leiseste herang
daß dies ihretwegen geschehe, nd war
deßhalb wie aus den Wollen gefallen,
ais-ihr die Mutter eines Tages mit
theilte, Mister Smith hätte um ihre
Hand angehalten, und sie hätte ihnz
dieselbe zugesagt. Obschon sie fiihltg
daß sie nie das Weib dieses Mannes
werden könnte, hatte sie doch gefürch
tet, ihrer Mutter dies zu sagen, und
stillschweigend ihre Einwilligung gege
ben, in der geheimen Hoffnung daß·
mit dsr Zeit sich schon ein Ausweg
fände. » — ,
. Hans Berthold tam fast täglich auf
kurze Zeit, oft auch auf Stunden, zu
Mrs. Jentins und die Frau fand im
mer mehr Gefallen an dem jungen
Mann. Sicher war es ihm nicht an
der Wiege gesungen worden,daß er einst
auf schneebedeckter Prairie Nebrastcks
einein Surveyor Kette und Stange
werde nachtragen müssen. Leichtsinn,
Schulden, ein strenger Vater: Das wa
ren die Fattoren gewesen, die ihn ge
zwungen hatten. »Hu schwimmen,« das
heißt nach Amerika auszuwandern und
zu dieser Beschäftigung zu greifen. Um
das junge Mädchen tümrnerte er sich
seltsamerroeise nicht im geringsten· und
heachtete ihre Anwesenheit nicht weiter
als wie die äußeren Formen der Höf-(
lichteites geboten. , j
Am ersten Sonntag im April
herschte zum erstenmale mildes Früh
lingäwetter, goldener Sonnenchein und
Fheiterblauer Himmel.
; Hans Berthold erschien in Mts.
Jetitins’ Storc, als eben das Mittags
mahl beendet war. Nachdem er sich ei
nige Cigarren ausgesucht Muth-sprach
er:
f
7 »Heute, meine verehrte Frau Jen
kins, möchte ich von Ihrem freundlichen
Anerbieten, Jhr Pferd und Vuagy be
nutzen zu dürfen, Gebrauch machen.
Das Wetter ist herrlich zu einein Aus
flug in’-5 Freie Und vielleicht schenken
Sie mir das Vergniiaen Jhrer Gesell
fchait, zu Zweien ift der Genuß der
schönen Natur ein doppelter!« ;
»Es thut mir leid, Herr Berihold,?
aber ich erwarte heute Nachmitag einiges
Freundinnen Natürlich steht das
Fuhrwerk-Ihnen zur Verfügung; viel- ;
leicht haben Sie einen guten Funan
den Sie mitnehmen können.«- H
T »Ich wüßte keinen —- rviirde mirs
vielleicht Jhre Fräulein Tochter die;
Ehre erweisen?« , ( i
T Das Mädchen erröthete und iprachi
heftig: »Nein, ich dantel Jch mag»
nicht!" Dann eilte sie hinaus. j
Hans nickte mit einer gleichgültigeni
Miene, die zu sagen schien: »Nun, dann ;
nichte« » i
Die Mutter aber, durch« das Bernh-i
nien ihrer Tochter gereizt, sprach: I
»Entfchuldigen Sie das dumme Ding,(
Herr Berthold, sie ginge schon gerne«
mit, aber das ist ihr Eigmhnnx warten
Sie nur!«« - — «
»Aber wenn fie doch ni i mag — ich
bitte Sie, Frau Jenkins —«
»Sie mußt« rief dieie gereizt und
eilte hinaus. .
Mit einem befriedigenden Lächeln
schaute er ihr-nach.
Bald kam sie zurück mit der Mel
dung, daß ihre Tochter sich bereit er
klärt habe, ihn zu begleiten, worauf er
hinging und anfpannte.
l Hinaus’ging es in die weite, sannige
iLandfchafL Die beiden sprachen kein
HWort zufammen. Wie ein versetzt-ich
terteö Mal-then iafz Lena an der Seite
des jun en Mannes und wagte kaum
i aufzublntem «
: Luftig zwitfcherten die Vögel in den
blauen Lüften, buntes Schmetterlinge
flatterten treuz und quer, Bienen und
Käfer iuurmten behaglich im warmen
Sonnenschein-.
Endlich kamen sie an eine Riederunz
durch welcheffich ein klarer Bach schlän
tr. Wes knespendez Beschwert
amnte die Ufer ,
"-Men wir hier sieht ein-wenig
-
halten, Fräuleins« fragte Hans, «e5
ist so wunderschön hier!«
Sie nickte stumm.
Zwischen dem Smaragd der Gras
balme, die sich schüchtern zum Sonnen
lichte emporschrniegten, tauchten neben
dunkelblauen Veilchen die Sterne der
Kettenblurnen Zwischen der Weiden
saftgriinen Blättern hingen, wie große
goldene Tropsen, die den Sonnenstan
enthaltenden Blüthen, von Bienen um
schwärmt. - I
Hans pflückte einen Strauß und
reichte ihm dein Mädchen mit den Wor
ten:
»Des jungen Frühlings Gruß!«
Stumm und errötbend nahm sie den
Strauß in Empfang. Doch hielt er
ihre. Hand sest, ergriff auch sanft die
andere und sprach weich und innig:
,.Lena, wollen wir endlich die Maske
fallen lassen? Du mußt es doch ahnen,
doch fühlen, daß ich Dich liebe, Dich
so iiber Alles liebe! —- Und Du —- bist
Du mir nicht auch ein wenig guts«
Sanft zog er sie an sich, küßte sie ans
die Stirne, aus den Mund. Und sie
ließ es geschehen, sie wußte nicht« wie
ibr geschah. Dann barg sie ihr Haupt
on seine Brust und schluchzte, ais ob ihr
das her-Z brechen«sollte. Jbr Hut glitt
ihr dabei in den Nacken. Zärtlich strich
er über das dichte, glänzend golddraune
Saat und sliisterte:
»Ich habe Dich geliebt von der ersten
Stunde, als ich Dich sah —«
»Alten« tinterbrach sie ihn und erhob
hastig ihr Haupt, »wie konntest Du
denn so handeln? Wie tonntest Du]
nur immer so talt gegen mich sein« sol
fremd, so —" «
»Das mußte ich ja, mein Kindl«
Glaubst Du, daß mir sonst Deine
Mutter gestattet hätte, so oft in Deiner
Nähe zu weilen? hätte ich Dich sonst
heute entsühren können in die schöne
Frühlingswelti Doch, da ich den
Gleichgültigen spielte, mich um die
Gunst Deiner Mutter bewarb, ist es
mir gelungen· —- Aber Du hast mir ja
noch gar nicht geantwortet —- willst Du
mein sein?«
Leidenschaftlich schlang sie ihre Ar
me um seinen Hals und flüsterte: »Auf
ewig Dein!« —- .
Eine Woche später war es, am
Nachmittage.
« .».-.--..i
chock stlll Lcllcl Dck Poll-L"1cc ]
zu, aber nicht länger trug sie ihr Haupt
gebeugt, in ihren Augen lag ein feuch
ter, warmer Glanz und eine matte
Röthe belebte ihsre Wangen, welche sichj
plötzlich dunkelroth särbten, als sie mit tf
glückseligem Lächeln den Gruß des-Hi
jungen Mannes erwiderte der imi
Commercial Hotel am Fenster stand. !
Wieder tehrte sie rnit einem Brief
zurück, der die ihr so verhaßtr. Hand
schrift trug. i
Dies-mal grüßten sie die Augen ihresj
Geliebten nicht. Sie war enttäuicht,j
er wußte doch, daß sie wieder vorbei-s
lam. Schnell aber schwand ihr tin-J
niutt), als sie das Haus betrat. Dorts
saß er ja, die Zeitung lesend, ihrer;
Mutter gegenüber i
Letztere, als-«- sie die Handschrift des;
Briefes ertannte, spran: »(Fntschul-L
digen Sie mich einen Augenblick, Herr’
Berthold, ich bin gleich zurückl«
Sie gab ihrer Tochter einen Wint
und Beide schritten ins Neben-zittr
mer.
Hastig erbrach Frau Jenlins das
Schreiben und til-erflog den Inhalt.
Dann spza ch sie
.»George wird nächste Woche herkom
men um Vorbereitungen zur Hochzeit
zu treifen.«
Es war ganz still im Ziriimer. Aus
der Brust des jungen « Mädchens kam
ein tieser Athernzug
»Wenn ich aber —- diesen Mister
Srnith nicht heirathen lann, Mut
ter s—'«
»Wie? Was?« ’
»Mutter —- feit einer Woche bin ich
Hans Berthold’ö Braut!«
Frau Jentins blickte ihre Tochter ei
ne Weile starr an und lachte plötzlich
höhnisch auf.
»Also darum-—darurn drückt er sich
hier täglich herum, —- o, dieser
Schwindler! Und Du? Glaubst Du
denn —- es ist ja lächerlch, nachste Wo
che kommt George, und dieser Lump
hier kommt mir nicht mehr über die
Schwelle!«
»Liebe nicht so, Mutter! Jsch hei
rathe George Sinith nicht — niemals!
Mein herz gehört band Werth-old und
nat er wird meine hand besihen!«
»Und ich sage Dir, Du wirst mir ge
horchenl Geer ers-K Smith ist Dein Ver
lobten er hat in Wort -—-«
»Mein Worts hat man mich denn
»Mir-Te tecta-syst Js» D
an age ir,
Du wirst Gen-ge Smitlyi Braut«
»Und ich sage Dir, ich werde e
nichtt«
Frau enkins schwieg. Der Brief
in ihrer nd knisiette Sie wurde
bleich m Muth PW ergriff sie
ein Bügeleifen welches in ihre Nähe
auf einem Tisch stand.
«Verfluchte Dirn!" lam es zischend
über ihre Lippen. Doch ehe sie dass
schwere Wertzeug nach dem erschrocke-«
nen Mädchen schleudern lonnte, wurde
ihre Hand ergriffen und ihr dasselbe
entrissen
Vor ihr stand Hans Berthold mit
blitzenden Augen.
»Frau Jentins, find Sie von S
nen?' Wollen Sie zur Mörderin h: .
res eigenen Kindös werden? Lena ist·
meine Braut und ich habe die Pflicht, «
sie ezu befchiitzent-— Komm, Lena wir
verlassen sogleich das Haus wo Deink
Leben in Gefahr schwebt, geh und:
mache Dich fertig, mein Kind!«
»Was? Das wagen Sie mir zu?
bieten in meinem eigenen Hause? Sie
nichtsnutziger Lump, Sie —«
Hans Zog das Mädchen an seine:
Seite und sprach:
»Frau Jentins, Sie haben durch
Ihre Handlungsweise alle Mutter
rechte an meiner Braut verloren und da
sie großjährig ist, können Sie auch
nicht das Gexetz anrufen, um sie noch
ferner tnrann siren zu dürfen. — Und
nun, Lein-, frage ich Dich, willst Du
gleich mit mir zum Standesamt « hen,
damit wir heute noch getraut wer A
»Ja!« kam es fest von den Lippen
des Mädchens.
»Sie hören es, Frau Jentins. Ehe
die Sonne untergeht, ift Lena mein
Weib!«
Frau Jentins blieb stumm, schaute
vor sich nieder, nagte an ihren Lippen
und zertn«tterte den Brief in ihrer
Hand zu nem kleinen Knäuel.
Plötzlich löste sich das Mädchen vom
Arme ihres Geliebten. Jn ihren Augen
schimmerten Thränen Zagend trat sie
näher und sprach:
»Mutter — verzeihe mir! Jch lann
doch nicht anders!"
,,Nenne mich nicht Mutter, Dirn!
Ich bin es nicht« mehr! Geh’ nur mit
dem Lump -- geh’ nur! hungere mit
ihm, aber komme mir nie wieder über
die Schwelle! Jch verstoße Dicht Jch
ve r—«
»Komm Lena1- sprach Hans laut
und streng·
Das Mädchen nahm seinen Arm,
und ohne noch einmal umzuschauen,
verließen sie das Gemach, von dem;
Hohngetächter der erregten Frau ge
folgt.
si- « si
Vier Jahre sind seitdem verslossen.
Wieder ist es Winter-, ein tiefe;
Schneedecke hüllte die weiten Ebenen
Nehmt-stos
Fraus Jentins saß in ihrem Laden
beim glühenden Ofen und stricktr. Sie
hatte sich wenig verändert, nur die
Haare waren etwas bleicher geworden.
Die Thitr ging auf, die Magd trat
mit den Postsachen herein, und entfern
te"sich wieder.
Frau Jcntins betrachtete die Auf
schristen. Plötzlich umflog ein hämi.
sches Lächeln ihre Lippen, sie ertannte.
die Handschrift ihrer Tochter-, und er-J
brach mit einem triumphirenden «hmj
lim« dasJ Schreiben, welches folgender-Z
rnaßen lautete: « !
Kansas City, den 7. Februar List-Das
Liebe Mutter!
Dies ist seit vier Wochen der drittes
Brief. den ich Dir schreibe, doch immer·
noch habe ich keine Antwort. Wenn;
Du auch seht noch stillschweigst und uns i
nicht hilfst, so möge Dir Gott ver
zeihen —- ich tann es nicht« Unser tlei- «
ner Eduard ist seit lehter Woche immer-f
triinler, immer schwächer geworden; esF
fehlt ihm an kräftiger Nahrung, an«i
Medizin, an Wärme. Die Kohlens
sind alle und es ist bittertalt. Währendz
ich dies schreibe« sitze ich am Bettchenj
meines Kindes, und meine Finger sind«
ganz steif. Hans ist hingegangen, um
noch einmal zu versuchen, ob er nicht
irgendwo etwas verdienen könne. Er
ist ganz verzweifelt,und geht umher wie
ein Jrrsinniger. O Mutter, es ist
schrecklich! Du mußt uns helfen, Du
mußt! Wir haben keinen Cent mehr
im Hause und alles Entbehrliche ist
Versetzt. szhilf uns Mutter-, wenn Du
auch nur zehn Dollay schickst, aber so
gleich per Telegraph hörst Du? sonst
möchte es zu spat sein. Du tannst doch
nicht wollen Mutter, dasz unser einziges
Kind sterben soll vor Mangel und
Entbehrungi Darum hilf Mutter-,
aber sogleich —- sogleich? sonst ist es zu
spät!
Lena.«
Dies war der vierte Brief, den sie
von ihrer Tochter erhalten hatte. Der
erste kam, nachdem dieselbe ein Jahr
verheirathet gewesen und theilte die
Geburt eines Kindes mit. Sie hatte
nicht daraus geantwortet. Drei Jahre
main en. bis der zweite-sann gleich
nach eujahr war et. worin Lenailzr
mittheilte, daß ihr Mann schon seit
außer Stillung set, und troh
aller Mühe seinen Verdienst ssinden
tsnnr. Der nächste tara zwei Wochen
später-. band habe-immer noch teine
-
F
Stellung das Kind sei trant gewor - z»
Und nun diesen letzten. Sie las tij
noch einmal. ?
Die Uhr schlug drei. Wenn sie s «
das Geld mittelst Telegrapb unwied
konnte es bis Abend dort sein ——— Abe
lächerlich, was ging sie denn diese Fraij
Berihold an? i
Sie öffnete den Ofen und schle
derte den Brief in die Glutb. T
Aber merkwürdig, daß sie immer, .«
wieder daran denten mußte. Jeden ;jj« «
Augenblick verlor sie eine Masche. End- HI
lich warf sie das Strirlzeug ärgerlich ""
beiseite. —
Drei Tage vergingen. Frau Jentins
befand. sich in übelster Laune sie hatte
schlecht geschlafen gespenstige Traum
bilder hatten sie erschreckt. Unruhig
ging sie pom Laden ins Wobnzimmer
und wiedek zurück, Heu-se nicht wissend. as
was sie wollte. Sie mußte immer wie- «
der an den Brief deuten, an den der- H
wünschten Brief. Z
Auf einmal kam ihr der Gedanke,
ob es nicht besser sei nach Kansas City
zu fahren und sich persönlich zu erkun
digen, sich überzeugen, ob der Brief die«
Wahrheit enthalten habe. Sie konnte
ja gleichzeitig größere Eintiiufe ma
chen, der dadurch erzielte Profit würde
die Reisetdsten decken. —
Am Nachmittag bestieg sie den Zug,
welcher am folgenden Morgen um 10
Ubr am Union Depot in Kansas hielt.
Bald stand sie vor der in dem Briefe
angegebenen Nummer. Es war ein
vierstöckiges schmutziggraues Haus,
Sie zog die Glocke. Nach einer Weile
erschien eine alte Frau mit ausgepräg
tem irischen Typus.
»Motiven B-erthold’s hier«-»
»Topfloor, Mam.«
Sie stieg die schmalen inarrenden
Treppen hinauf, und gelangte aus ei
nen engen duntlen Flur. Alles war
still Schüchtern klopfte sie an
Keine Antwort.
Sie tlopfte stärker.
Drinnen blieb alles still.
Sie öffnete zögernd, und betrat ein
ärmliches, tahles, aber sauber gehal
tenes enges Gemach, welches zugleich
als Küche und Wobnzinimer zu dienen
schien. Kein Mensch war darin.
Eine Tbür zum angrenzenden Ge
mach stand halb offen. Leise nahte sie
sich derselben.
,-.. .«.. - -. - » .- -
Wie gelähmt blieb Frau Jentins auf
der Schwelle stehen.
Vor ihr arn Fenster saß ein junger
Mann. das Haupt auf dem Arm auf
der Fensterbant ruhend. An einem
Bette lniete eine Frau, das Antlitz tief
in die Decke gepreßt. Auf dem Bette
ruhte, ganz in Weiß gekleidet, ein
Kind. Goldene Locken umgaben das
liebliche Gesichtchen wie mit einem
Glorienschein, aber die starre friedliche
Ruhe des Todes lag auf dem schmalen
Antlitz.
Es war Frau Jentin5« als stände ihr
Herz, das eben noch so heftig gellopft
halte, nun auf einmal still. Die tleine
Reisetasche entsiel ihrer Hand, wag sie
nicht gleich gewahrte.
Die junge Frau am Bette wandte
sich bei dem Geräusche um. Als sähe
sie ein Gespenst, starrte sie die Mutter
an, streckte abwehrend die Hand gegen
fie aus, und schrie:
»Mutter —-— zu spött« —
Der Mann am Fenster war aufge
sprungen. Seine Wangen waren tod
tenbleich, seine Augen glühten. Er trat
zu der alten Frau, ergriff sie am Arm,
zog sie aus dem Gemache die Treppe
hinunter, ohne sie loszulasfem ohne ein
Wort zu sprechen; öffnete die Thiir
und schob sie hinaus.
Erst setzt schien Frau Jenlins zur
Besinnung zu kommen. Fast verblüfft
starrte sie an der grauen Wand empor
zu dem schmalen Fensteer oberen
Stock. Mechanisch streckte sie ihre Hand
nach der Klinke aus« zog sie aber gleich
wieder zurück und murmelte vor sich
hi : »Auch gut — dann nicht —- ich
ha e meine Pflicht gethant«
Sie entfernte sich, und bald lag wie
der der alte gleichgültige Zug um ihre
Lippen, dem fast eine Spur innerer
Zufriedenheit beigemischt war. Trug
sie doch das schöne liebe Geld noch voll
zählich bei sich in der Tasche; sie konnte
jetzt große Einiiiuse machen, und wäh
rend sie ich im Geiste den dabei heraus
tommen n Profit ausrechnete, erhellte
sich ihr Gesich- immer mehr
Der Winter ist vergangen. und hei
ter strahlt die Maienfonne vom blauen
Himmel
Frau Lena Berihold steht am offenen
Fenster und blickt auf die Blüthen und
Knospen im Rachbargärichen, und zum
ersiennssle fitrbt fett langer Zeit wieder
ihre hagern Wangtn ein mattes Noth.
der Wiederschein der hoffnung, die un
ter der belebenden Frühlingssonne
geuäknospen treibt in der Menschen
ru . « .
Daftige Schritte kamen die Treppe
heraus, die Thitr wurde ausgerissen,
und vor ihr stand Harm, mit gllicks