Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, May 22, 1896, Sonntags-Blatt., Image 12
Eine herzlose Mutter-. — » ( Von Karl Reuter Konzer «Geh’, Sena, und hole die Mail!« »Aber es ist ja taum zwei Uhr!« »Dummes Ding, haft Du wieder ge träumt? « Schon vor fünf Minuten hat es geschlagen!« « Stumm erhob sich das junge Mäd «chen bei den barschen Worten der Mut ter. Eine schlanke graziöse Gestalt war es, die in dem einfachen Hauslleide so recht zur Geltung kam. Das Gesicht hätte schön genannt werden können, wäre es nicht so mager gewesen. Das Haupt neigte sich etwas vornüber, wie gedrückt von der Last der lockigen gold hraunen Haare. Entschieden schön wa ren die schwarz-bewimperten großen tiefblauen Augen, die jetzt die Mutter Init einem fast an Haß grenzenden Ausdruck streiften. Diese aber, eine Frau in den Vierzigern, von robuster Gestalt mit verdrossenen strengen Zit gen, kleinen grauen Augen, achtete nicht darauf. Sie saß« mit einer Handar beit beschäftigt» in der Nähe des kni sternden Ofen, welcher in der Wand eingelassen war und zugleich das '«Wohnzimmer und den Laden erwärm te, denn Mes. Jentins war Eigenthü mern einer Droguen- und Spezial trauten-Handlung Das junge Mädchen hatte sich ein wollenes Tuch um das Haupt geschlun gen und schritt hinaus. Ein scharfer Nordwind blies ihr ent gegen. Die breiten, ungepflasterten muschenleeren Straßen, mit wenigen weit auseinanderliegenden Häusern eingesäurnh verloren sich bald in der offenen weiten Prairie von Nebraska. Eine graue Wolkendecke ruhte in star rer Einförmigkeit auf der mit Schnee bedeckten, fast umdämmerten Land schaft. . Lena bog um eine Ecke in die Haupt ftraße des Städtchens, in welcher et was mehr Leben herrschte. Vor einem Grocery-Store, in welchem sich auch die Post-Osfice befand, hielten mehrere Fuhrwerte, große . rohgezimmerte Schlitten der Farrner. Hieraus er kannte das Mädchen, daß der Post Zug noch nicht angekommen war. Zögernd öffnete sie die Thür und zog sich vor den sie angasfenden Blicken scheu in einen Winkel zurück. Jn der Ferne- donnerte der Zug vorüber, und bald trat ein Bursche her ein, und warf den die Postsachen ent baltenden Sack auf den Ladentisch. Der Postmeister leerte ihn und begann bereist-theilt zu sortiren. Lena war die erste, der er lächelnd einen Brief hin reichte, worauf.sie sich hastig entfernte. " Erst draußen angekommen warf sie einen Blick auf die mit fester Hand ge schriebene Adresse, und blieb betroffen stehen. Jhsre Brauen zogen sich sin ster zusammen. Sie kannte die Hand ; schrift, es war die ihres Bräutigams Ein bitteres Lächeln umzog ihre Lip . M« Jhres Bräutigams —- wie eine heuerlich mertwiirdig düntre ihr dies. - Und doch war es fo. Es war die Handfchift des ältlichen, tränklichen »F "Mannes, mit dem ihre Mutter sie ac "gen ihren Willen verlobt hatte. Wa rum? Weil er reich war, und ihre Mutter das Geld über Alles liebte. s— Er besaß in Omaha eine Apotheke Anfangs hatte er ihr oft geschrieben, doch sie hatte nicht geantxvortet, dazu konnte die Mutter sie nicht zwingen. : Was hätte fie dem Manne schreiben sol len, den sie verabscheute? So korrespon dirte er denn nur noch mit ihrer Mut ter« , Jn ihrer Erregung hatte fie verges sen, das Tuch festzuhalten. und plötzlich rieß ein heftiger Windstoß ihr dasselbe W Haupte, und führte es quer über Ue Straße Vor die Thiir des- »Einn Mreial Hotel«. Noch ehe fte die Straße gekreuzt hat zg trat ein junger Mann aus demJn W, ergriff das Tuch, trat mit einer Wen erbeugung zu ihr, und legte We dasselbe mit einem freundlichem DMuben Sie, mein Fräulein?« über Sie goidbraunen Haare, nicht ohne vor It mit einem bewundernden Blick die Fälle desselben zu muftern. » Sie schaute in ein hübschesdffenes MIMQ das ein dlonder Schnurrbart Herre, in zwei graue, freundliche Au MBM einer plötzlichen unertlärlichen Mrnng ergriffen, flüsterte sie: - danke hnenZ« und eilte wie ein ehdavon. " der Bemerkung: »Das hat aber gedeutet-LM nahm ihre Mutter den « in Emphng erbrach und las ihn »Ja durch. Dann sprach sie in s- Tone: »Wer Smith be sieh über Dein nnbegreifliches VII-sinnst ast iDYchwZiUFen « W c i t - name-« . 7 »Nein!« »Du willst also wohl nicht?« »Nein!« Die Frau ließ ihre Hände mit dem Brief in den Schooß sinken und schaute ihre Tochter verblüfft grimmig an ,,Wart nur, Dirne, Dein Trotztöpst then werden wir schon noch weich trie gen!« Ruhiger werdend, fuhr sie fort: »Was hast Du denn eigntlich an Dei nem Bräutigam auszusetzeni Jst-er nichtckin ehrenwerther Manns Hat er nicht Geld und ein gutgehendes Ge schäft? Sollst froh sein, daß er ·n Dich järnmerliches Ding. so närris ver schossen ist; der könnte ganz Andere kriegen! Was hast Du nur eigentlich gegen ihn, daß Du ihn nicht mags Z« »Das habe ich Dir schon ost gesagt: weil ich ihn nicht liebe!« Frau Jenkins lachte hönisch aus. »Jhn nicht liebe — dummes Ding, was weißt denn Du von Liebe?« In diesem Augenblick ging die Thiir auf und herein trat ein junger Mann — der höfliche Fremde vom »Commer rial Hotel". Das Mädchen erröthete heftig und verließ rasch den Laden. . Frau Jeniins schaute den freundlich Grüßenden mißtrauisch an und trat hinter den Ladentisch. »Geä’en Sie mir einige gute Eigen ren,« « each der Fremde, »von diesen hier!" s »Die? Davon kosten zwei B Cents.« Schweigend legte er einen halben Dollar hin, nahm vier Cigarren aus der Kiste und zündete sich eine davon an, und sprach: »Nicht wahr, ich habe das Vergnü gen« mit Frau Jeniins zu sprechen — Erlauben Sie mir, daß ich mich Ihnen darstelle, mein Name ist Hans Bert hold, bin beschäftigt bei der Vermes sungs-Ahtheilung der Methwesterw Eisenbahn-Gesellschaft Jm Sommer cial Hotel:-wo ich logiere, wurde mir gesagt, hier sei der einzige Platz, wo ich eine deutsche Zeitung finden könne Sollte dies nicht auf Jrrihum beruhen, würde es mir seht angenehm sein, durch die Lettiire derselben in diesem einsa men Neste an solchen Tagen, an welchen zu arbeiten uns die Witterung nicht ge stattet, die Zeit todt schlagen- zu tön nen.«' « Frau Jenting nickte nur, schritt in’å Nebengernach, und kehrte mit einer Handvoll Zeitungen zurück, die der jun ge Mann mit einer dantenden Verbeug ung entgegennahm. Einen Stuhl in die Nähe des Ofens ziehend, vertiefte er sich in den Inhalt der Blätter. Unterdessen saß Lena im Wohnzkm mer arn Fenster, und starrte aus die öde Landschast hinaus-. Ihre Gedanken weilten ferne hinter den Prairien und Bergen, jenseits des Oreans in dem von freundlichen Wäldern umgehenen Dörfchen ihrer Heimath in Mittel deutschland. Jhren Vater sah sie, den stillen bleichen Mann init den träu Zrnerischen blauen Augen. Er war der jSchullehrer des Dorfes Mit der gan Izen Kraft ihres jungen Herzens hing «.sie aii ihm denn gegen ihre Muirer ern ivfand sie von jeher mehr iyurcht al iLiebe; auch er hatte unter der Herz losigteit dieser Frau zu leiden, die durch ihr rauhes, herrisches Wesen ihm das Leben auf jede Weise oerbitterte. —- Dann sah sie ihn still und blaß im Sargr. Die dunkle Gruft verchloß ihn Liebstes und Theuerstes auf Erden. Mit den dumpfen Schlägen der Erd schollen aus den Sara schlossen sich die Thore ihres Kindheitsoaradieses fiir immer hinter ihr. Sie war damals neun Jahr alt, und versuchte nun, ihre Mutter lieh zu ge winnen. Es wollte ihr nicht gelingen. Immer« wurde ihr zartempsindende Herz von dem rauhen Wesen derselben, durch lieblose Bemerkungen über den theuren Todten, den unprattischen Träurnevv der es nicht weiter gebracht hätte wie zu einem hungerleidenden Schulmeister, wieder rauh zurückge stoßen. Auf einmal hieß es: »Wir gehen nach Amerika.« Ein Verwandter hatte von doKher dasReisegeldgeschickt. Noch einmal tniete sie an dem unver geszlichen Grabhügel, ihre Thränen be netzten die Blumen, die ihre hiinde ge pflanzt hatten; dann ging es fort. — Jhr Ziel war St. Louis. Hier über nahm ihre Mutter ein Beardinghaus. Horte Zeiten siir sie begannen; teine Minute Ruhe wurde ihr gegiinnt von des Morgens früh bis spät in die Nacht. Ihre Mutter spilete die große Dame, und unterhielt sich mit ihren Miethern. —- Ein Jahr verging. Sie erhielt einen Stiesvater welcher Eigen thum in Nebraska besaß, wohin sie dann übersiedelten —- Endlich ging der schaltet-sie Wunsch ihrer Mutter in Epj fitmmz durch vorthetlhaste Verkauf-; ihrer Ländereien wurden sie wohlha bend. Doch damit michs in ihr die Gier nach noch mehr-. Sie ließ ihrem Mann reine-Mit er mußte immer mehr M zusamt-mi- larsen nnd spekuli mh—— MeMvardeeeiM ; " , . - l Haus gebracht. tädtlich verwundet, das Opfer eines Eisenbahnunsalkes. Ehe er starb, bestimmte er, daß, im Falle ihm noch ein Kind geboren wür de, sein Vermögen zwischen dieser und Lena gleichmäßi getheilt werden und feine Frau die Jännießung der Zinsen haben solle Sechs Wochen später gab ihre Mutter einem Tächterchen das Le ben. Auf dieses kleine Wesen til-ertrug sie nun, alle ihre Zärtlichteit deren ihr Herz fähig war. Auch Lena liebte das tleine braunlockige Schwesterchen mit großer Hingebung Doch erntete sie nicht was sie gesäet hatte. Das der zogene, verhätschelte eigensinnige We sen betrachtete, als es größer wurde, die ältere Schwester als Dienerin, als Sllavin ihrer Launen. — Vor einigen Monaten hatte die Mutter ihren Lieb ling in ein Convent nach St. Joseph, Mo., geschickt; sie sollte ja eine fein ge bildete Tsame werden. Zu den intimen Freunden ihres verstorbenen Stiefm ters gehörte George Smith. der auch« später noch öfters zum Besuch lam; sie hatte aber nicht die leiseste herang daß dies ihretwegen geschehe, nd war deßhalb wie aus den Wollen gefallen, ais-ihr die Mutter eines Tages mit theilte, Mister Smith hätte um ihre Hand angehalten, und sie hätte ihnz dieselbe zugesagt. Obschon sie fiihltg daß sie nie das Weib dieses Mannes werden könnte, hatte sie doch gefürch tet, ihrer Mutter dies zu sagen, und stillschweigend ihre Einwilligung gege ben, in der geheimen Hoffnung daß· mit dsr Zeit sich schon ein Ausweg fände. » — , . Hans Berthold tam fast täglich auf kurze Zeit, oft auch auf Stunden, zu Mrs. Jentins und die Frau fand im mer mehr Gefallen an dem jungen Mann. Sicher war es ihm nicht an der Wiege gesungen worden,daß er einst auf schneebedeckter Prairie Nebrastcks einein Surveyor Kette und Stange werde nachtragen müssen. Leichtsinn, Schulden, ein strenger Vater: Das wa ren die Fattoren gewesen, die ihn ge zwungen hatten. »Hu schwimmen,« das heißt nach Amerika auszuwandern und zu dieser Beschäftigung zu greifen. Um das junge Mädchen tümrnerte er sich seltsamerroeise nicht im geringsten· und heachtete ihre Anwesenheit nicht weiter als wie die äußeren Formen der Höf-( lichteites geboten. , j Am ersten Sonntag im April herschte zum erstenmale mildes Früh lingäwetter, goldener Sonnenchein und Fheiterblauer Himmel. ; Hans Berthold erschien in Mts. Jetitins’ Storc, als eben das Mittags mahl beendet war. Nachdem er sich ei nige Cigarren ausgesucht Muth-sprach er: f 7 »Heute, meine verehrte Frau Jen kins, möchte ich von Ihrem freundlichen Anerbieten, Jhr Pferd und Vuagy be nutzen zu dürfen, Gebrauch machen. Das Wetter ist herrlich zu einein Aus flug in’-5 Freie Und vielleicht schenken Sie mir das Vergniiaen Jhrer Gesell fchait, zu Zweien ift der Genuß der schönen Natur ein doppelter!« ; »Es thut mir leid, Herr Berihold,? aber ich erwarte heute Nachmitag einiges Freundinnen Natürlich steht das Fuhrwerk-Ihnen zur Verfügung; viel- ; leicht haben Sie einen guten Funan den Sie mitnehmen können.«- H T »Ich wüßte keinen —- rviirde mirs vielleicht Jhre Fräulein Tochter die; Ehre erweisen?« , ( i T Das Mädchen erröthete und iprachi heftig: »Nein, ich dantel Jch mag» nicht!" Dann eilte sie hinaus. j Hans nickte mit einer gleichgültigeni Miene, die zu sagen schien: »Nun, dann ; nichte« » i Die Mutter aber, durch« das Bernh-i nien ihrer Tochter gereizt, sprach: I »Entfchuldigen Sie das dumme Ding,( Herr Berthold, sie ginge schon gerne« mit, aber das ist ihr Eigmhnnx warten Sie nur!«« - — « »Aber wenn fie doch ni i mag — ich bitte Sie, Frau Jenkins —« »Sie mußt« rief dieie gereizt und eilte hinaus. . Mit einem befriedigenden Lächeln schaute er ihr-nach. Bald kam sie zurück mit der Mel dung, daß ihre Tochter sich bereit er klärt habe, ihn zu begleiten, worauf er hinging und anfpannte. l Hinaus’ging es in die weite, sannige iLandfchafL Die beiden sprachen kein HWort zufammen. Wie ein versetzt-ich terteö Mal-then iafz Lena an der Seite des jun en Mannes und wagte kaum i aufzublntem « : Luftig zwitfcherten die Vögel in den blauen Lüften, buntes Schmetterlinge flatterten treuz und quer, Bienen und Käfer iuurmten behaglich im warmen Sonnenschein-. Endlich kamen sie an eine Riederunz durch welcheffich ein klarer Bach schlän tr. Wes knespendez Beschwert amnte die Ufer , "-Men wir hier sieht ein-wenig - halten, Fräuleins« fragte Hans, «e5 ist so wunderschön hier!« Sie nickte stumm. Zwischen dem Smaragd der Gras balme, die sich schüchtern zum Sonnen lichte emporschrniegten, tauchten neben dunkelblauen Veilchen die Sterne der Kettenblurnen Zwischen der Weiden saftgriinen Blättern hingen, wie große goldene Tropsen, die den Sonnenstan enthaltenden Blüthen, von Bienen um schwärmt. - I Hans pflückte einen Strauß und reichte ihm dein Mädchen mit den Wor ten: »Des jungen Frühlings Gruß!« Stumm und errötbend nahm sie den Strauß in Empfang. Doch hielt er ihre. Hand sest, ergriff auch sanft die andere und sprach weich und innig: ,.Lena, wollen wir endlich die Maske fallen lassen? Du mußt es doch ahnen, doch fühlen, daß ich Dich liebe, Dich so iiber Alles liebe! —- Und Du —- bist Du mir nicht auch ein wenig guts« Sanft zog er sie an sich, küßte sie ans die Stirne, aus den Mund. Und sie ließ es geschehen, sie wußte nicht« wie ibr geschah. Dann barg sie ihr Haupt on seine Brust und schluchzte, ais ob ihr das her-Z brechen«sollte. Jbr Hut glitt ihr dabei in den Nacken. Zärtlich strich er über das dichte, glänzend golddraune Saat und sliisterte: »Ich habe Dich geliebt von der ersten Stunde, als ich Dich sah —« »Alten« tinterbrach sie ihn und erhob hastig ihr Haupt, »wie konntest Du denn so handeln? Wie tonntest Du] nur immer so talt gegen mich sein« sol fremd, so —" « »Das mußte ich ja, mein Kindl« Glaubst Du, daß mir sonst Deine Mutter gestattet hätte, so oft in Deiner Nähe zu weilen? hätte ich Dich sonst heute entsühren können in die schöne Frühlingswelti Doch, da ich den Gleichgültigen spielte, mich um die Gunst Deiner Mutter bewarb, ist es mir gelungen· —- Aber Du hast mir ja noch gar nicht geantwortet —- willst Du mein sein?« Leidenschaftlich schlang sie ihre Ar me um seinen Hals und flüsterte: »Auf ewig Dein!« —- . Eine Woche später war es, am Nachmittage. « .».-.--..i chock stlll Lcllcl Dck Poll-L"1cc ] zu, aber nicht länger trug sie ihr Haupt gebeugt, in ihren Augen lag ein feuch ter, warmer Glanz und eine matte Röthe belebte ihsre Wangen, welche sichj plötzlich dunkelroth särbten, als sie mit tf glückseligem Lächeln den Gruß des-Hi jungen Mannes erwiderte der imi Commercial Hotel am Fenster stand. ! Wieder tehrte sie rnit einem Brief zurück, der die ihr so verhaßtr. Hand schrift trug. i Dies-mal grüßten sie die Augen ihresj Geliebten nicht. Sie war enttäuicht,j er wußte doch, daß sie wieder vorbei-s lam. Schnell aber schwand ihr tin-J niutt), als sie das Haus betrat. Dorts saß er ja, die Zeitung lesend, ihrer; Mutter gegenüber i Letztere, als-«- sie die Handschrift des; Briefes ertannte, spran: »(Fntschul-L digen Sie mich einen Augenblick, Herr’ Berthold, ich bin gleich zurückl« Sie gab ihrer Tochter einen Wint und Beide schritten ins Neben-zittr mer. Hastig erbrach Frau Jenlins das Schreiben und til-erflog den Inhalt. Dann spza ch sie .»George wird nächste Woche herkom men um Vorbereitungen zur Hochzeit zu treifen.« Es war ganz still im Ziriimer. Aus der Brust des jungen « Mädchens kam ein tieser Athernzug »Wenn ich aber —- diesen Mister Srnith nicht heirathen lann, Mut ter s—'« »Wie? Was?« ’ »Mutter —- feit einer Woche bin ich Hans Berthold’ö Braut!« Frau Jentins blickte ihre Tochter ei ne Weile starr an und lachte plötzlich höhnisch auf. »Also darum-—darurn drückt er sich hier täglich herum, —- o, dieser Schwindler! Und Du? Glaubst Du denn —- es ist ja lächerlch, nachste Wo che kommt George, und dieser Lump hier kommt mir nicht mehr über die Schwelle!« »Liebe nicht so, Mutter! Jsch hei rathe George Sinith nicht — niemals! Mein herz gehört band Werth-old und nat er wird meine hand besihen!« »Und ich sage Dir, Du wirst mir ge horchenl Geer ers-K Smith ist Dein Ver lobten er hat in Wort -—-« »Mein Worts hat man mich denn »Mir-Te tecta-syst Js» D an age ir, Du wirst Gen-ge Smitlyi Braut« »Und ich sage Dir, ich werde e nichtt« Frau enkins schwieg. Der Brief in ihrer nd knisiette Sie wurde bleich m Muth PW ergriff sie ein Bügeleifen welches in ihre Nähe auf einem Tisch stand. «Verfluchte Dirn!" lam es zischend über ihre Lippen. Doch ehe sie dass schwere Wertzeug nach dem erschrocke-« nen Mädchen schleudern lonnte, wurde ihre Hand ergriffen und ihr dasselbe entrissen Vor ihr stand Hans Berthold mit blitzenden Augen. »Frau Jentins, find Sie von S nen?' Wollen Sie zur Mörderin h: . res eigenen Kindös werden? Lena ist· meine Braut und ich habe die Pflicht, « sie ezu befchiitzent-— Komm, Lena wir verlassen sogleich das Haus wo Deink Leben in Gefahr schwebt, geh und: mache Dich fertig, mein Kind!« »Was? Das wagen Sie mir zu? bieten in meinem eigenen Hause? Sie nichtsnutziger Lump, Sie —« Hans Zog das Mädchen an seine: Seite und sprach: »Frau Jentins, Sie haben durch Ihre Handlungsweise alle Mutter rechte an meiner Braut verloren und da sie großjährig ist, können Sie auch nicht das Gexetz anrufen, um sie noch ferner tnrann siren zu dürfen. — Und nun, Lein-, frage ich Dich, willst Du gleich mit mir zum Standesamt « hen, damit wir heute noch getraut wer A »Ja!« kam es fest von den Lippen des Mädchens. »Sie hören es, Frau Jentins. Ehe die Sonne untergeht, ift Lena mein Weib!« Frau Jentins blieb stumm, schaute vor sich nieder, nagte an ihren Lippen und zertn«tterte den Brief in ihrer Hand zu nem kleinen Knäuel. Plötzlich löste sich das Mädchen vom Arme ihres Geliebten. Jn ihren Augen schimmerten Thränen Zagend trat sie näher und sprach: »Mutter — verzeihe mir! Jch lann doch nicht anders!" ,,Nenne mich nicht Mutter, Dirn! Ich bin es nicht« mehr! Geh’ nur mit dem Lump -- geh’ nur! hungere mit ihm, aber komme mir nie wieder über die Schwelle! Jch verstoße Dicht Jch ve r—« »Komm Lena1- sprach Hans laut und streng· Das Mädchen nahm seinen Arm, und ohne noch einmal umzuschauen, verließen sie das Gemach, von dem; Hohngetächter der erregten Frau ge folgt. si- « si Vier Jahre sind seitdem verslossen. Wieder ist es Winter-, ein tiefe; Schneedecke hüllte die weiten Ebenen Nehmt-stos Fraus Jentins saß in ihrem Laden beim glühenden Ofen und stricktr. Sie hatte sich wenig verändert, nur die Haare waren etwas bleicher geworden. Die Thitr ging auf, die Magd trat mit den Postsachen herein, und entfern te"sich wieder. Frau Jcntins betrachtete die Auf schristen. Plötzlich umflog ein hämi. sches Lächeln ihre Lippen, sie ertannte. die Handschrift ihrer Tochter-, und er-J brach mit einem triumphirenden «hmj lim« dasJ Schreiben, welches folgender-Z rnaßen lautete: « ! Kansas City, den 7. Februar List-Das Liebe Mutter! Dies ist seit vier Wochen der drittes Brief. den ich Dir schreibe, doch immer· noch habe ich keine Antwort. Wenn; Du auch seht noch stillschweigst und uns i nicht hilfst, so möge Dir Gott ver zeihen —- ich tann es nicht« Unser tlei- « ner Eduard ist seit lehter Woche immer-f triinler, immer schwächer geworden; esF fehlt ihm an kräftiger Nahrung, an«i Medizin, an Wärme. Die Kohlens sind alle und es ist bittertalt. Währendz ich dies schreibe« sitze ich am Bettchenj meines Kindes, und meine Finger sind« ganz steif. Hans ist hingegangen, um noch einmal zu versuchen, ob er nicht irgendwo etwas verdienen könne. Er ist ganz verzweifelt,und geht umher wie ein Jrrsinniger. O Mutter, es ist schrecklich! Du mußt uns helfen, Du mußt! Wir haben keinen Cent mehr im Hause und alles Entbehrliche ist Versetzt. szhilf uns Mutter-, wenn Du auch nur zehn Dollay schickst, aber so gleich per Telegraph hörst Du? sonst möchte es zu spat sein. Du tannst doch nicht wollen Mutter, dasz unser einziges Kind sterben soll vor Mangel und Entbehrungi Darum hilf Mutter-, aber sogleich —- sogleich? sonst ist es zu spät! Lena.« Dies war der vierte Brief, den sie von ihrer Tochter erhalten hatte. Der erste kam, nachdem dieselbe ein Jahr verheirathet gewesen und theilte die Geburt eines Kindes mit. Sie hatte nicht daraus geantwortet. Drei Jahre main en. bis der zweite-sann gleich nach eujahr war et. worin Lenailzr mittheilte, daß ihr Mann schon seit außer Stillung set, und troh aller Mühe seinen Verdienst ssinden tsnnr. Der nächste tara zwei Wochen später-. band habe-immer noch teine - F Stellung das Kind sei trant gewor - z» Und nun diesen letzten. Sie las tij noch einmal. ? Die Uhr schlug drei. Wenn sie s « das Geld mittelst Telegrapb unwied konnte es bis Abend dort sein ——— Abe lächerlich, was ging sie denn diese Fraij Berihold an? i Sie öffnete den Ofen und schle derte den Brief in die Glutb. T Aber merkwürdig, daß sie immer, .« wieder daran denten mußte. Jeden ;jj« « Augenblick verlor sie eine Masche. End- HI lich warf sie das Strirlzeug ärgerlich "" beiseite. — Drei Tage vergingen. Frau Jentins befand. sich in übelster Laune sie hatte schlecht geschlafen gespenstige Traum bilder hatten sie erschreckt. Unruhig ging sie pom Laden ins Wobnzimmer und wiedek zurück, Heu-se nicht wissend. as was sie wollte. Sie mußte immer wie- « der an den Brief deuten, an den der- H wünschten Brief. Z Auf einmal kam ihr der Gedanke, ob es nicht besser sei nach Kansas City zu fahren und sich persönlich zu erkun digen, sich überzeugen, ob der Brief die« Wahrheit enthalten habe. Sie konnte ja gleichzeitig größere Eintiiufe ma chen, der dadurch erzielte Profit würde die Reisetdsten decken. — Am Nachmittag bestieg sie den Zug, welcher am folgenden Morgen um 10 Ubr am Union Depot in Kansas hielt. Bald stand sie vor der in dem Briefe angegebenen Nummer. Es war ein vierstöckiges schmutziggraues Haus, Sie zog die Glocke. Nach einer Weile erschien eine alte Frau mit ausgepräg tem irischen Typus. »Motiven B-erthold’s hier«-» »Topfloor, Mam.« Sie stieg die schmalen inarrenden Treppen hinauf, und gelangte aus ei nen engen duntlen Flur. Alles war still Schüchtern klopfte sie an Keine Antwort. Sie tlopfte stärker. Drinnen blieb alles still. Sie öffnete zögernd, und betrat ein ärmliches, tahles, aber sauber gehal tenes enges Gemach, welches zugleich als Küche und Wobnzinimer zu dienen schien. Kein Mensch war darin. Eine Tbür zum angrenzenden Ge mach stand halb offen. Leise nahte sie sich derselben. ,-.. .«.. - -. - » .- - Wie gelähmt blieb Frau Jentins auf der Schwelle stehen. Vor ihr arn Fenster saß ein junger Mann. das Haupt auf dem Arm auf der Fensterbant ruhend. An einem Bette lniete eine Frau, das Antlitz tief in die Decke gepreßt. Auf dem Bette ruhte, ganz in Weiß gekleidet, ein Kind. Goldene Locken umgaben das liebliche Gesichtchen wie mit einem Glorienschein, aber die starre friedliche Ruhe des Todes lag auf dem schmalen Antlitz. Es war Frau Jentin5« als stände ihr Herz, das eben noch so heftig gellopft halte, nun auf einmal still. Die tleine Reisetasche entsiel ihrer Hand, wag sie nicht gleich gewahrte. Die junge Frau am Bette wandte sich bei dem Geräusche um. Als sähe sie ein Gespenst, starrte sie die Mutter an, streckte abwehrend die Hand gegen fie aus, und schrie: »Mutter —-— zu spött« — Der Mann am Fenster war aufge sprungen. Seine Wangen waren tod tenbleich, seine Augen glühten. Er trat zu der alten Frau, ergriff sie am Arm, zog sie aus dem Gemache die Treppe hinunter, ohne sie loszulasfem ohne ein Wort zu sprechen; öffnete die Thiir und schob sie hinaus. Erst setzt schien Frau Jenlins zur Besinnung zu kommen. Fast verblüfft starrte sie an der grauen Wand empor zu dem schmalen Fensteer oberen Stock. Mechanisch streckte sie ihre Hand nach der Klinke aus« zog sie aber gleich wieder zurück und murmelte vor sich hi : »Auch gut — dann nicht —- ich ha e meine Pflicht gethant« Sie entfernte sich, und bald lag wie der der alte gleichgültige Zug um ihre Lippen, dem fast eine Spur innerer Zufriedenheit beigemischt war. Trug sie doch das schöne liebe Geld noch voll zählich bei sich in der Tasche; sie konnte jetzt große Einiiiuse machen, und wäh rend sie ich im Geiste den dabei heraus tommen n Profit ausrechnete, erhellte sich ihr Gesich- immer mehr Der Winter ist vergangen. und hei ter strahlt die Maienfonne vom blauen Himmel Frau Lena Berihold steht am offenen Fenster und blickt auf die Blüthen und Knospen im Rachbargärichen, und zum ersiennssle fitrbt fett langer Zeit wieder ihre hagern Wangtn ein mattes Noth. der Wiederschein der hoffnung, die un ter der belebenden Frühlingssonne geuäknospen treibt in der Menschen ru . « . Daftige Schritte kamen die Treppe heraus, die Thitr wurde ausgerissen, und vor ihr stand Harm, mit gllicks