Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, May 08, 1896, Sonntags-Blatt., Image 10
Die Klavierspieler-km Skizze aus dem Wiencr Leb-Is- Voxx M. Wem dcxhuwuwn Sie legt rasch Mantel und Hut ab, Ue kleine Klavierspielerin, und eilt eis tig an’s Instrument. Es ist noch zu früh, sie ordnet hastig ihre Roten und ut umher. Der Glanz der beiden llsäle — so erscheinen ihr die zum nz her-gerichteten Zimmer —- blenden ihr das Auge, sie sieht schüchtern, be wundernd und überrascht da. Wie hat sie sich gefreut, herzutommenl Mit welchem Stolz hat sie ihr schwarzseide necKleid angelegt,ihr einziges hübsches us alter, glücklicher Zeit! Die Frau des reichen Großhiindlers hat von ihren armseligen Verhältnissen gehört, hat versprochen, sich ihrer anzunehmen. nnd hat sie selbst siir diesen Abend als Klavierspielerin in ihr Haus citirt. Die Dame will sie sogar in anderen Familien empfehlen, wenn sie die Tan Ienden heute zufriedenstellte O, sie wird es! Sie reibt eifrig die vor Kälte er qsinrrten Finger und denkt an ihre Mut terl daheim, zu dessen Unterstützung ihr seht eine neue Hälse-quelle in Aussicht seht Sie ist heute so hoffnungsfrob vorn Hause weggegangen Jetzt—dieser strahlende Anblick, die vielen glänzen den Lichter, die hellen Gestalten, die Inn austreten und an ihr Vorbeipro eneniren —- dies Alles senkt sich ilsr be dtiickend aufs Herz. Es sieht sie Nie mand an. Kaum, daß einer der inn gen Herren einen Blick auf ihr Gesicht wirft, auf dasT Gesicht das sieh trotz Armuth und Elend rosia und than-— frisch Von dem Dunklen Kleide nlhebt Jn ihr steigt etwas wie Llnast ani. Von dem Anblick geblendet, senkt sie die Augen und macht sich mit den Roten zu schaffen, bis das Signal zum Be ginn ertönt. Dann spielt sie, erst stinken tern und leise, bis sie auf die Rufe-: «Lauter und rascher, bitte!« ein wahrer ereifer packt: sie wirft irr-r von ·t zu Zeit einen berauschten Blick in die Menge nnd die tijlfnen Walzer und Polkas gleiten ihr fest und taktdoll von den Fingern. Während derPause streift sie sieh das Haar aus der erhitzten Stirne und sieht ein wenig sicherer um her. Nach ein paar Tänzen ist die arme Kleine selbst schon in Stimmung ge kommen, ihre Augen glänzen, wie sie die MenGestalten in diesem eigentlich selt samen Wonnewirbel betrachtet, und wie Sehnsucht kommt es über sie. Sie hat nie getanzt—nicht einmal zu Lebzeiten ihres Vaters-, des armen Postbedienste ten, als der Sternberger Edi noch osi drüber kam und sie mit seiner schmei ckselnden Stimme bat, Abends zum Tanz zu kommen. was sie ihm ihrer armseligen Verhältnisse und der tränk liehen Mutter halber verneinen gemußt. Und im strahlenden Glanze der Lichter, der ihr die Augen flimmern macht, im lauten Geschwirr der Konoersatiom im schwillen Dunst, der sieh in einem Ran me erhebt, in dem man sich heiß getanzt hat, taucht die Erinnerung vor ihrem Geist aus. Die Kleine hat auch ihren Oliickstraum gehabt, kurz Und armselig zwar nnd in seiner Art harmlos nnd — shne Ende. Sie sieht den Sternberger Edi, so hübsch in seiner slottenSammt Zacke. und sieht ihr einstmaliges Wohn Jimmer mit den grünen Möbeln, die sie verkauft haben, ihren »Salon« —- aus dein man ihren Vater fortgetragen — -—— Sie spielte weiter, doch das heitere, iefriedigte Gefühl, das sie beim Kom men gehabt, sinkt. Das Geräusch der schauenden Füße dringt zu ihr. Eine Quadrillr. »Valancez!« und »Hier die PaateH schallt es zu ihren Ohren-. Wie im4 Saume sieht sie die verfchlungenen Fi ten des Finales, die kleinen Scherze, · der mit Cotillonorden geichmijcktei Urtangeur txiumvhirend veranstaltet.l —- «a stockt ihr plötzlich der Puls. Es T ist. Gott sei Dank! geradeeine Pause, ? und sie blickt starren Auges in das dich-; sehe Gesicht des Edi Sternberzien Ihrs Vers droht, still zu sieben, und eine bei-l se Röiiie steigt ihr in’s Gesicht. j Alles ist vergessen. Sie denkt nimmer i daran, daß sie ihn nicht mehr sehen-I llt, weil er nicht schön an ihr ge- ; Egew weil er nicht mehr zu ihnen ge- i - men, wie Alles trank war und fiel elend nicht einmal einen kurzen Theil mhmsbesuch gemacht hat nach dem Ins-l de des Vaters. —- Sie schaut ihn strah Iend an eins den seimfiichti5,xen,«;;liinzen-l den Augen und traut sich nicht, zu sa-; Fen: »Cdi, grüß Ihnen G;.«-ti! WisHl » ommen denn Sie her? Rennen Si denn Jhnere akien Bekannten net Mehrs« Sie fühlt, daß er sie erkennt, doch et Ietzt weg. nnd dieses unwillng genirie Gichwegwenden von ihr, die ihm dochs M zu schieeht war in feiiberen Tagen, i knien ihr ein-u Stich inss Herz. Dcchl se denkt « »Er bat mich vielleicht doch net fiit Ue gehalten die ich bin, und meinti suec-: wie !äm’ denn die daher?« Dann spielt sie halb peiriistet weiter-. Sie sieht ihn einigeseit nicht und-schaut( L j sich vorn Klavier die Augen aus nach ihm. Ihr wird heiß, schwül, nnd der Kopf brennt. Und eine Sehnsucht hat sie und weiß selbst kaum wonach. Jhr ist so nngemiithlich. Jhre Nerven vibri ren, und in ihrer Kehle isi’s trocken. Und wie sie ihn auf einmal wieder er blickt, lächelnd, daß feine weißen Zähne Unter dem Schnurrbart herausblitzen und seine Blicke die ihren treffen — denn er geht mit feiner reizenden, blon den Dame ganz nahe an ihr vorüber — nickt sie ihm zu— ihre alte, vertrauliche Bewegung: »Herr »von« Sternbergert Herr Edi! « Guten Abend!« ; Er wird ganz roth und murmeltd »Guten Abend, Fräulein!" und gehti rasch vorüber-, als ob er sich nicht genau besinnen könnte, mit wem er’s eigent lich zu thun hat. Und ihr treten thö richte Thränen in die Augen. Das iit es. Sie hat ganz recht geahnt undj weiß nun, daß er sich ihrer schämt.' daß ihm die kleine, arme Klavierspielerin zu schlecht geworden ist. Sie fühlt, er ge hört nicht mehr in ihren Kreis. sie sieht an seinem weichen Lächeln, mit dein er seine Tänzerin ansieht, daß er nur ge wohnt ist, mit anderen Damen zu ver kehren, als mit der Mizzi Binter vom Stamme-Hob So sitzt sie da und spielt, währer die Nötve in ihrem Ge- i sicht einer müden Bliisse gewichen ist. und schluckt ihre kindischen Thriinen bi nunter. —- Läant hat sie gedacht. ihn aufgegeben zu haben, als er so langes nichts von sich hören liefe, aber Dochä thut-s ihr jetzt bitter mehr nnd ins-Z mer weiter muß sie spielen. und imme: : heißer wird ihr und fehnsiichtiaez DaJ endlich die Pause. Die Paare ordnenk sich nnd gehen zum Sauper in der SveiiefaaL Sie bkeibt allein sitien Ter: Bediente bringt ihr zu essen: Schinkens nnd Bier und später Tor-te Wein imdf Gefrorenes. Da zieht ein Lächeln Ein-is ihr müdes Kinder-gesteht Na, und; wenn ihr noch so öde zumutise ist. ihrs Gefrorenes will iie mit demselben Ver-, aniiaen auslöifeln, wie dama!s, asz sie mit der Firnivathin zum Zucker-J bittrer aecanaen ist. Sie ist kaum zu; Ende mit ihrer Schaale Eis-, als sie Lenz Edi Sterberaer kommen sieht. Jhr is. als miisie sie fliehen. Doch nein, tommtj es über sie. sie wird dochnicht so feigj fein! Und sie bemüht sich, ihrer Stimme ; einen kalten Klang zu geben, sich nichts rühren zu lassen, dem Allem zum Trotzj aber blicken ihre Augen in einem glü-; ckesdnrstigem vorwurfsvollen Blick zul ihm auf. »Da ist ja die szzerl!' tust er aus und möchte harmlos thun und heiter, unbefangen reden, aber es gelingt ihn-L nicht. »Sie hier zu treffen, hätt’ ich net gedacht. Na, wie qeht’s Ihnen den?n, und was macht vie Frau Mut ter « »Wenn Sie’s hätt’ interessirt, zu hö ren, wie es uns geht, hätten S’ ja zu uns kommen iönnen,'« giebt sie halb ce träntt zur Antwort. Sie will ihm bös sein« ihr ist auch erbärmlich bitter zu Muthe, doch steigt das alte Glück-Sege fiihl in ihr auf, als sie seine Augen so zärtlich aus sich gerichtet sieht. »Es-sind S’ net bös, Mizzerl.« sagt er lächelnd nnd sieht sie treuherzia an. «»Schaun S’, ich bin extra vom Sou per weggegangen, urn mit Jhnen zu sprechen!« »Ja, und vor die andern Leut, da schaun S’ mich net an, net wahr?« ent gegnete sie. »Da bin ich Ihnen net gut genug, da geniren S’ Jhnen und knot len net thun, als ob S’ mit mir bekannt wär-n! So ist es ja,« fährt sie bitter fort, »die alte Zeit ist gar —- der Vater ist todt, und Sie haben gar net nach ihm gefragt, wie er traut war, und wie« er begraben war, sind S’ net ein einzig-Ils mal zu uns gekommen, als hätten S· uns nie in siiberer Zeit Ihre Freund schaft bersprocben.« »Armes Hascherl!« tonmi es von seinen Lippen. »Ja. die alten Zeiten sind um, es ist zwar net lang ber, aber glauben S’ mir, auch ich bin jetzt nim mer so glücklich wie damalH!« »Ach Sie!« sagt sie seufzend, ,,geh’n S’. Sie können leicht reden. anen geht’5 ganz gut, und unterhalten thun S’ Jhnen auch prächtig, wie ich seis. Aber ich! Wir müssen alle Zwei tiichs tig schauen, wie wir uns weiterdenk gen, mein Mutterl und ich!" »So bringt Ihnen Jhr Klavierspiel was ein S« fragte er. »Ach. ich bitt’ Sie! So viel, dasz ich unt-errichten tönnt’, kann ich doch nett Freilich· eine Stund’ geb’ ich,'· fiiate sie stolz hinzu, »und zwar der Tochter von unserem ausherrn, dem reich-en Tape zietermei ter! Und mein Mutterl ist so alt geworden!" So klagt sie ihm vor, und das ist ihr eine Wohlthat. Aber Alles, wag dIe muthige, kleine Seele start und heiter getragen hat, fentt sich ihr «eßt, da es wieder grau an ihrem Gei te vorbei zieht, bei-rückend aufs Herz. « ,Arnres Kindl« ruft er wieder mit leidivoll aus. Sie thut ihm so leid. Er hätte sie glücklich machen können und hat nichts Gutes ftir sie gethan, deshalb hakt ihn nicht unten beirn j Souper gelitten, elje er nicht bei ibr ge wesen nnd ihr Theilnahme gezeigt. Aber et will sich nicht rühren lassen. »Gebn’n S’ Mizzerlm sind S’ ein-l mal sesch und lassen S’ gut seini( Kommen S’ heut mit mir. Jch begleit’ Sie nach Hans, nnd wir wollen unsl noch ein Bissel unterhalten. Wollen S’ net, Mizzerl?« Sie schüttelt beinab’ angstvoll den Kopf. »O nein, ich geb’ nimmer mit Ihnen, Herr v. Sternberger, und bei-P schon gar net. — Sie kommen mir beut’ so unbescheiden vor.« fährt sie sebr bitter fort und lacht— ein lnrzes Lachen, das ihm web thun könnte, wenn er darnach aestirnnit wär, »Sie haben heut’ Un terhaltnna seit acht Ubr Abend —- nnd, wer weiß? Vielleicht haben S’ net ge nug an dem und wollen sich später auch noch vergnügten Nein, Herr Edi, gean « S’ nur allein nach Hans. Jch geh« net mit anen.« » Da hören sie Schritte lomrnen. Er sieht sich hastig um nnd rnst ihr noch zu »Gehn S’ sind S«’ net sod, Mizzert Jcb werde Sie schon noch absangen. wenn der Tanz zu End’ ist. Und bis dabin leben S’ wohll« Er eilt wen. Wie betäubt sißt sie dai und bätte Lust, auszuspringen, die Hausfrau zn bitten: »Lasseu S’ mich nach Haus um Him melswillen!' Doch sie besinnt sich. Das acht nicht. » Sie gehört sich ja siir heute nicht selbsts an, sondern bat ihre Zeit vergeben undt wäre, abaeseben von dem Gelt-verlust, eine Wortbriichiae. Das kann nnd will sie nicht sein. —- Und das Fests aebi strahlend weiter. Die schönen, ge schniijclten Mädchen-gestalten gleiten an ihrem Auge vorüber-, lächelnd. alkiellichi anscheinend, daß etwas wie Neid im Herzen der lleinenKlavierspielerin aus I l taucht. I Die Indelnden Wellen des Ianzeox tlinaen ihr arell in’s Ohr. es schsvimmti Vor ihrem Auar. Der Edi sieht sie nicht mehr an, doch siiblt sie es tanm mehr. Sie spielt wie eine Maschine und lommt sich selbst so vor, nur das Herr pocht zitternd und ängstlich wie die Flügelschliiae eines verwundeten Vo aels. Sie hat auch keine Zeitberechnung melir und spielt mit wahrer Todeeverx achtung weiter, während die Tanzen den immer lauter und lustiger werden. Endlich ist der Tanzsaal leer geworden, die Paare gehen nochmals zu Tisch, um sich vor dem Fortgehen abzutiihlen »Das wird wohl das Ende sein!" denkt sie mit tiesem Ausathmen und schaut umher. Fetzen von zerrissenen Tim roben, zerbrochene Fächer und verweilte Blumen liegen umher. Kurz vorher ein glänzender, bezaubernder Anblick, jetzt öde, verlassen, macht ihr der leere, schwille Raum einen trüben Eindruck. Sie kommt sich selbst nicht anders vor als eines dieser derweltten, zerdrückten - Dinger am Boden. Sie hat Sehnsucht, nach hause zu gehen, doch muß sie dies Hausfrau erwarten, die sie verabschie den wird. So steht sie längere Zeit in» ihrer Ecke heim Klavier Sie hat Kopf-i schmerzen, und ein großes Verlanaent nach Schlaf macht ihr die Glieder miide· ? Ein plötzlicher Schreck durchzuckt sie,s als sie, wie vorhin beim Souper. denj Edi Sternberger kommen sieht. Er ists seht lustig und tacht vor sich hin, pro-i wohl er ganz allein ist; er sieht gar nichtl nach ihr hin und wendet sich gegen einei Ecke, in der das Entree einer der sum-en4 Damen, wie sie das zierliche, pelzbesetztes Dina nennen, liegt. Er hebt es aus und die Mizzi hört, wie er halblaut: »Ein scharmantes Dina, die Eltschic!' vor sich hin sagt. —- D bemerkt er sie plötz-? lich und sie blickt erschrocken in sein cis-! röthetes Gesicht« in seine lachenden Au aen »Die Mizzerl ist auch noch da!« saqt I er lachend und schreitet aus siezu »Na, i was ist denn mit Jhneni Warum sind’3j net lustig, Kleine? Schau S’, beut ists ein Tat-, an dem alle Leut lustig sein. sollxm Wollen S nachher mit mir oder net " . »Nein, Here v« Sernberaer, hab’ ich« Ihnen schon Mast Meine Mutter wartet aus mich,« enaegnete sie und weicht in ihre Eile zuriich »Ach, sind S’ doch fesch!« fährt er sort und sieht sie lächelnd an — wenn er auch schon ein bissel zu letter ist« schaut er noch immer sehr hübsch aus »Sie, Mit-zerl, ich sühr’ Sie in eine schöne Restauratiom wo S’ noch nie waren. Und nobel ist es dort, sag’ ich Jlmenl Geh’n S’ Meine, spiel’n S’ net so die Spröd-, das ist net schön von Ihm-IX i Sie'fchweigt. ; »Sie ethatmen mich«« beginnt et wieder, »so biibsch und jung, wie Sie sind, und haben aber auch aar nix vomj Leben. Eine traute Mutter, das ists Jänete einziae Unterhaltung Das! detf net fein.« Er fährt mit der Hand in die Tasche Und holt sein Poriefeville beten-L Sie sieht ihn verwundert an und bat seine Ahnung-, baß er ihr Gest- bieien will. Er aber holt gutmüthigeu Blickes einen l- l Kiefer ans der Brieftasihe und legt hn auf's Klavier. »Da, nehmen S’ Mizzerh und ma chen S’ Ihnen morgen mit der Mutter einen guten Tag, —- und net wahr, Sie warten auf mich. Jch trink noch mei nen Champagner ans, und dann gehen wir mitsammen.« Er nickt ihr zu und eilt so rasch um die Ecke, daß er die zornigen Thriinen nicht mehr sieht, die ihr aus den Augen stürzen daß er ihre Stimme nicht mehr hört, die ihm, vor Erregung zitternd, zart-in «Nehmen Sie’s zuriicki Jch mag Jhnee Geld net!« Sie wirft ihm den Schein nach· Be zahlen möcht’ er mich.« dentt sie, »in-zu wär’ ich ihm gut genng!« Entsetztich bitter isi ihr zumuthr. Sie dentt nichts Anderes, als: »Fort, fort!« Zum Glücke kommt nun die Hausfrau, ent lohnt sie und sagt: »Ich danie, Fräu lein Linien Meine Gäste waren zu frieden. ich werde Sie meinen Bekann ten einpfehlen.« Sie verabjchiedet sich und nimmt in rasender Hast ihren Mantel um, steckt den hat an, dann eilte sie hinunter. Bei der Thüre sieht sie sich um. —- Nein, Gott sei Dant, es hat sie Niemand ge sehen. Die Nacht ist kalt, und Schnee liegt auf der Straße. Die Fiater vor dem Hausthore fragen sie: «Js ta Wagerl g’fa«llig?« Und sie geht weiter, das heißt, sie läuft, so raxch sie ihre Füße tragen. Von Zeit zu Zeit sieht sie sich Um und be ruhigt sich allmählich, denn es ist Nie-« mand hinter ihr. Doch läuft sie im mer noch, denn sie weis-« daß er den Weg zu ihre Wohnung tennt —- und endlich hält sie atltemlos an ihrem Ziele an. Hier ruht sie sich aus und schöpft tief Athem. Sie kommt sich vor wie ein lchutzloses. arbetztes Wild. Ja — fchntzlos sind sie und ihres-gleichen! —— —— Sie sperrt die Hauotliiir auf und; eilt hinauf. Das dunkle Bienenne hiiufe ist ihr noch nie so hoch vorne tornmen wie heute. Wie sie die Woh-» nung betriit, fühlt sie sich im Hafen. Die Mutter wartet nnd sitzt aufrecht im Bett. lind an diesem treuesien al- ; ler Herzen. dem einzigen, das auf der Welt iiir sie ichliiat, weint sie sich ihren Jammer von der bedrii ten, rund-nich ten Seele aus Meinem-sinnt Von Mamndr Steno. I l Sie sahen sich nur inmitten vieler Leute, sie tauschten einen turzen nnd« zerstreuten Gruß, sie saßen stets vonI einander entfernt. Zwischen ihnen gab; es weder Blicke noch Lächeln. Sie kann- i ten sich nur dem Namen nach und hats-· « ten nichts gemeinsam. Er, Reime-, von deutscher Abstam mung, von den Seinigen getrennt, un ter der drückenden Erinnerung erst tiirzlich durchtömpster Schmerzen, war - ernst und schwermiithig von Natur und I besuchte die Sammelpliitze der heiteren s Welt, um den Vorwurf eines Wen-i schenfeindes von sich abzuwenden s Sie, Cherubina, ein bescheidenes und! fchtichterneå, vor der Zeit in die Ge sellschaft geschleudertez Kind, das sechi l ängstlich vom wirbelnden Strom der Welt ergriffen fühlte, war voller Un sicherheit und wie betäubt. Ihrer zar- i ten Natur, der feinen Enipsindsamteits ihres herze-is hätten der Friede und dies Stille des Hauses besser entsprochen, aber ihre heiterm und kräftigen Schwe- « stern nahmen sie überall niit sich; sie,l welche dieselben liebte, waate nicht nein ? zu sagen. So brachte sie denn auf die Mille, ins Theater. in die rauschenden Vergnügnngen ihre aroßen erstaunten Auan und ein Antlitz, welches bei der geringsten Erregung erreichet-. Aber Renato wußte nichts von ihr, sie ahnte nichts von Neuem-, sie waren einander fremd. Der Zufall allein vereinigte sie in den strahlenden Sälen voller Blumen und ichcrzender Paar-e, der Zufall führte sie aus der Straße zu einander, wo die glückliche Welt ihren Prunt entfaltete. dem Zufall allein sie-l es ein, das schüchterne junge Mädchen und den schwermiithigen nnd ernsten. Jüngling einander acgeniiber zu setzen.l Sie suchten sich nicht. ; Und doch, im tiefsten Geheimnisz sei-; nes Herzens liebte Renato das junges Mädchen. Jenes Herz, das so viel ge-; litten kalte, das von den Sliirmen der Leidenschast und des Ehrgeizeg war er-] schüileri worden, jenes arme Herz, das Z da schmerzlich gezuckl und einsam gu ilagl hatte, vereinigle alle Kraft seiner I Inbrunst, ans Cherubim zu lieben. Es war eine Liebe voller Bewußtsein, das heißt die Liebe eines Mannes, der bereits geliebt hat mit dem Geiste, den Sinnen und mit der Seele, und wel cher schließlich alle diese Asselle in ei nen einzigen vereinigt. Aber es war seltsam, et empsand leinen Wunsch, sich zu ossenbaren. ihn quälte nicht unalt volle Besorgniß um Gegenliebr. Viel leicht war er gewiß, niemals einen dem l l seinen ähnlichen Affekt erwecken zu ihn-s nen. vielleicht war kraft einer erhabenen Reflexion fein Gefühl der Liebe ihm theurer als ihr Gegenstand. Wenn er an den langen Winterabenden allein in seinem Zimmer faß, fah er das liebliche Antlitz der Jungfrau erscheinen; dann sprach er zu dem geliebten Ge bilde, welches er als das fei nige von der Leere seiner Umgebung forderte. Aber das Licht des Morgens» vertrieb die Schatten, der Träumer ward wiederum Mann, und wenn Re nato Cherubina wiedersah, die wirt liche Cherubina, konnte er ohneT Schmerz den Blick von ihr abwendenJ konnte sie sehen, ohne ein Wort an fie1 zu richten. Die ganze Nacht hatte er sie 1 angebetet,k,atte er ihr denWeihrauch der Liebe gebrannt. Wozu wäre die Wirt lichleit noch gut gewesen! Geben konnte sie feinen Träumen nichts mehr, viel leicht aber sie zerstören. Die lichte Er scheinung feiner Nächte war ein strah lendes Bild ohne Flecken und ohne Schwächen, während vielleicht . das wirkliche Geschöpf ein einfaches und be fchränttes junges Mädchen war. Das gute junge Mädchen, das da nichts von Träumen und Erscheinun gen wußte. welches sich, einem gehorsa men Lamme gleich, auf die Balle füh ren ließ und zurückgekehrt mechanifch die Blumen aus den blonden Haaren nahm, um ihre kindlichen Gebete zu murmeln. das gute Kind war Renato hold gesonnen. Da sie jedoch nicht ge wiß war, ob die Liebe eine schwere Sünde sei oder nicht, behielt sie ihr Ge heimniß recht versteckt- in ihrem kleinen Herzen, sie versteckte sich im unbestimm ten unßtsein einer ernsten Schuld« sie schlug ihre großen Augen zu Boden und erröthete mehr ais jemals-. Sie be neidete die fröhliche Offenheit der Schwestern und hätte ihm ein einziges süßes Wort faaen niöaen, aber sie schämte sich fo sehr, so sehr! Es war in ihr ein undestimmtes Gefühl der Scham, als wenn die Liebe ihr das Ge- ; heimniß des Leben-«- enthiillt hätte. Sie batte dass- Mütterchen nicht mehr, jenes theuere Mütterrhem in dessen Ohr fie alle ihre unbfangenen Kinderwiinsche geflüitert hatte; das Mütterchen war von ihr gegangen. und Cherubina ver rieih niemand das geringste. Siezitterte sogar bei dem bloßen Gedanien, daß er - etwas von ihren Gefühlen verstehenl möchte, und sie sehie sich in einen fernen ; Winkel, wo sie vor Gefahren geborgen: war. « Und die Zeit verging! Eines Abends, aus einein Balle, war Cherubina damit beschäftigt die Staubiäden ihrer Blu men aufzurichten, we che inmitten des Glanzes und der künstlichen Wohlge riiche verweilten, als sie Reinaios Stimme an ihrer Schulter vernahm. »Weißt Du schon ?" sagte er zu einem Freunde, »ich reise abs« »Kehrsi Du bald zurück?" »Kann sein« aber ich glaube es tauni.« Das junge Mädchen biß sich in die Lippe und verschlang ihr Thränen, sie hatte den Muth, sich nicht umzuwenden und ihr Spiel mit ihren Blumen fort zusetzen, ja sie empfand eine bittere Freude iiber ihren Schmerz. Gewiß, die Liebe war eine Sände, und sie muß te die Buße fiir dieselben auf sich neh men. Renato reiste ab rnit seiner Liebe im Herzen. Sie sagten einander nicht ein malLehewohl. Sie betete fiir ihn: er nahm das liebliche Gebilde seiner Träume mit sich. Zweimal sahen sie sichtvieder,zweimal schieden sie, und die Jahre schwanden. Die Jugend beider verging, die schönen Stunden, die Stunden der fröhlichen, heißen Hoffnungen entflohen nnd ge hörten der Vergangenheit an; sie mach ten nach einander frohe und trübe Jah re durch, wie jeder andere Mensch, sie lebten, und ihre Jugend erstarb. Schon verlor ihr Antitz die Frische, schon ward der Lan ihrer Gedanlen weniger stür misch, schon eilte ihr Leben langsamer und langsamer dahin. Aber wenn sie sich widersahen. fanden sie sich nicht verändert, weil sie im Herzen eine ewige Jugend bewahrten und wie in den er sten Zeiten ihrer Liebe schweigend ein ander gegenüberstanden. Sie hatten einander Treue arhalten, ohne sie sich arschivoren Fu haben. sie waren einer Jdee treu gebliebn. Cherubinen erst als halbes Kind, dann als reife Jungfrau hatte nur jenes eine Gefühl gekannt und aenährt, und dasselbe Gefühl ver-« lieh ihren Augen einen sanften und ar- » heimnißvollen Glanz, machte ihres Vlässe so durchsichtig daß ihre Seele: hätte durchscheinen miisien, wenn esi möglich gewesen wär-m Sie trug einen Schatz von Beaeilterung, von Hoff nasse-, von Bestrebungen in sich, sie siihlte ihr Herr sich dehnen unter dem reichen Ueberflusz an Liebe, und doch eint-fand sie ein besonderes Die-wägen zu schweigen, wie immer, still in ihrem entfernten Winkel zu verweilen, an sQeinend ruhig. aber ien Genusse. eines sehr bewegten Lebens. Dienste-, vertielt in die heftigen Käm pse der Wissenschaft, verzehrt von dem Durst nach Ehrgeiz und Macht« trn in- « dem unbelanntesten Theile seines e ge nen Selbst ein frisches und lächelndes Bild mit sich umher, ein Bild, vor des sen Jnlarnation er stets zurückgeschreckt war. —- Es lam ein Tag, ein Au en- ; blick, in welchem sie einander allein, rei, ohne Pflichten gegenüberstanden. Sis« hatten den Frieden auf dem Gesichte, aber nicht im Geiste, nnd die Liebe stürzte sich auf ihre Lippen wie aus ein lange ersehntes Ziel. Aber auch an je- f - nein Tage, in jenem Augenblick blieben « sie kalt, stumm, gleichgiltig. Sie san den teine Worte, keine Bkicte, ihnen half tein mitleidiger Sonnenstrahl, tetn Blumendust —-— die Natur wollte viel leicht nicht. Sie verließen einander nnd lehrten zu ihren Träumen zurück, indem sie jenen Auaenblict bereuten, in welchem sie in Gefahr gewesen waren, ihren Schatz durch Offenbarung dessel ben zu verlieren. Die Jahre vergingen; sie starben. Diese beiden nennt die närrische Welt närrisch und lächelt ob ihrer Thorheitj jedermann mit sogenanntem gesun dem Menschenverstand nennt sie dumnt und zuckt die Achseln ob ihrer. Liebe. Sie sind der Gegenstand des Mitleids. Und doch weiß ich, daß sie glücklich wa ren in ihrem Schweigen, glücklicher als viele anderen, welche in der Trunken heit einer qeossenbartenLiebe schwärm ten, und das-, einer ihrer Träume mehr iverth war als tausend glühende Wirt-« lichteitcn. Ich treis)« dass sie nicht itn Finnipf mit dein Alltäqliehen des Le bens nnterninnm und daß, voller Hochachninq siir ihr (i;cfiil:l, sie das selbe nicht in einen riet-en itnd lleinli««-l den Kreis bannten, in welckrem sie es an Iattlieit bätten sterben sehen. Weil der Tini-tei- geicint int, das; es weite. Unbegrenzte, unendliche Begriffe gibt weisse »so-d teiner menschlichen Form miterwerfen können. Vielleicht ist einer derselben die Liebe, welche um in niskizer ist« je nnverletrter sie ist; und. Vielleicht besteht das Geheimnis-, vom Sterben der Liebe in der iieitiindigen Verletzt-ite- derielben, welche die Men schen berief-indem «—-7-— Eine statistiiase Famitär. Jahresbericht Der Vater: »Ich habe im verflosse nen Jahre 1 22 ) Schuppen Vier getrun ken und 2780 Zigakren getaucht Jn det Siammlneipe bin ich 360 mal ge wesen; 120 mal bin ich nach 12 Uhr nach Hause gekommen. Von meinen Kleidunasltiiclen sind mit insgefammt 223 Knöpfe abgesptungen; davon sinb,. obgleich 3 Frauenzimmer im Haufe, nur 74 wieder angenäbt worden.« Die Mienen »Ich habe 360 Gar dinenprebigten gehalten, habe 55 mal bittere Thtänen vergessen, bin 16 mal« in Ohnmacht gefallen und habe mir 10 Raben und 12 Hüte machen lassen können. Die Gardinnen im Zimmer meines Mannes mußte ich 8 mal wa ichen lassen. 92 mal habe ich den Haus .schliissel verstecken können Ich habe 9 islaffeelränzchen veranstaltet und war ian 125 solchen außer dem Hause be itheiligh « " Die älteste Tochter l17 Jahre): »Ich habe 352 Liebesbeieie lvon ver Fschiedenen Antorem empfangen, habe die Mutter 531 mal in der Küche vertre ten und im Gamen 49 Sappen ver- . branni oder versalzen. 413 Tänze habe - lich getan-il davon 247 mit J hin 81 Name-ne habe ich gelesen »in 64 trie- « « gen sie sich i Tei- ällesle Sohn Uf; Jalkre): »Mein « Va er im sich. Von den 3780 Agat ren dieet aerancht tzu haben glaubt, . Hommen Lis« « auf mein Conta. 88 mal hab-e ich rot islvirens Fels-s net Abends - gestanden 87 mal ohne Resultat; 1 Hnal hat sie mir Elpselsinenschalen aus ; »den Kopf aercerien Lölilsedichte habe I ich gemacli un D dieselben in 76 Fäl en vorgelelem -.-"3 mal hat man mich hinanszxekvesklc-n.« Ter jiznalle Sohn (10 Jahre): »««."'JZein Vater lkal k« Nolirsiiscke, meine Mutter- « «- kl: muthen an mir im » verflossenen Jal re verbraucht Ich bin« .« ils « n-. al ,,imsitli«a»» aewesen, habe 134 mal Besseruan aelobt und16 mal mich ihaliäsiklich gebessert. Jch habe — 224 Mailäier an meine Kameraden » — vetlauft und diiiirs 2 Briefmarlen . und-· O Pfenniae baar einaenommen.« Das Dienstmädchen: »Ich habe 1 · . Stück Porzellan- und clzleiåspcöachmv zetbeoelem 72 mal den Besuch meine . Karl in der Feiiche empfanan und ihm-v 45 Pfund Wurst gespendet Meine Gnäviae hat nxich 299 mal ausgeschal- , ten und mirs. 5 Ohrfeigen angeboten, - wovon ich II accepiitlef Gewissenhaft Dichten »Sie wollen alle mein Feuilletan n: chi abdruck II?« Redakteur: »Bei-alter lebt —- in di sz iem Falle halte ich Tielrclean für Eh :ensachel« "