Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, April 12, 1896, Page 3, Image 3

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    uqu dem Transpori.
Auf idem Bahnhose des Eisen
s· stenpunktei B. stand der
tsdesiher Albert Röhre-dors, esin
« von ungefähr dreißig Jahren
site-sem. gutmiithigem Gesicht
. « treuherzigen Augen, die ver
- list-in die Welt blickten, als wenn
« sagen wollten: »Na, wo kriegen
ir denn- heute ’was Schönes zu
Wi«
Die Augen sollten nicht lau-ge zu
"-« ten haben. Aus dem Marte
s; aal dritter Masse trat ein jung-es
« « ädchen non etioa achtzehn Jahren,
. chchen nachtoug. Das junge
iidchen hielt die Augen zu Boden
’ senkt, aber die schöne Form des
- ists, der zierliche Hals, aus dem
«" -i dem grasuen-Neisehtitchen her
ssr braune Locken in üppiger Fülle
is-- »W, ließen Röhrsdors vor
htnsprechem »Alle Wetter, das
« « ein nettes Ding!« Fast unbe
. «.- , ßt toar er ihr in den Weg getre
s · k- Sie amßte —- wohi oder ais-I
E us»die Augen ausschlagen Welchs
— « chutk,dtger ja angstvoller Blick
» - «-« sihn aus diesen großen, braunen
- « « inderaugen
« qdas ungleiche Parr bestieg eine
heilung dritter Klasse für Nicht
’-' ucher, und Nöhrsdors folgte ihnen,
roydem er eine Fahrtarte erster
« Klasse gelöst hatt-e.
So gewandt Röhrsdors auch
onst war, so wenig wollte es ihm
« Priich zu ziehen, in das er bald
it dem älteren Mann gekommen
ar. Dieser sithlte sich geschwi
lt, sdasz ein so seiner Herr ihu ei
er eingehenden und liebenswürdi
sgen Unterhaltung würdigte; sobald
Jaber Nöhrsdors sich an das junge
iidchen wandte-, zuckte dieses
chreckhast zusammen, und aus den
man Augen sprach die Nehmt
icheBitte, sie mit all’ und jeder An
dde zu verschonen.
Wenn es ihm nur möglich gewe
en wäre, zu ermitteln in welchem
gBerhiiltnisse das ungleiche Paar zu
einander stand! Aber da Beide
kein Wort mit einander wechselten,
« . war das unmöglich. Vergeblich
ch er mit dem Manne über alle
dentlichen Dinge, so weit sie in
ssen geistige-n Bereich zu liegen
"fchienen; er ersuhr nur, daß sein
.0egeniider zeitweise siir die nächt
« Sicherheit seiner Vaterstadt zu
habe, daß er Regenschirme,
« ,«chigensatls auch Schwarzwälder
ausbrssere, und endlich, daß
»sich auch schadhaster Nerven be
usö Reparatur durch kalte Abrei
n und durch Massrren anneh
M. Jetzt dätnmerte es bei Rohr-Z
»ioors: das junge Mädchen war gei
««steskransi; ihr Begleiter sollte sie ge
wiß nach einer Heilanstalt drin
M.
So jwng, so lieblich, so gesund
· ausssehensdt Was konnte sie nur in
iesen Zustand gebracht haben!
Seine Vermwthung wurde da
durch bestärkt, »daß ihr Begleiter sie
reicht aus den Augen ließ, ja, baß er
förmlich gezwunng hatte, mit
· ssisen in dem Wagen Platz zu nehmen.
« Wie leicht konnte «sie sonst die Thür
«- , öffnen Und sich aus dem Zuge stür
Im.
Die Bahn siibrte durch eine br
kiihnite ·Obstgegen«a; aus einem
Whose wurden die schönsten Ga
ben des Wtes — Weintrauben,
sie-unrec- rinsd Birnen — aus gro
F Pappkellern seit-geboten. Den
größten dieser Teller erstand Röbrss
ors und reichte ihn, ohne ein Wort
TM sprech-m seinem Grum
?
mit bittend-er Miene.
« s junge Mädchen aber brach in
i Trhriinen aus: »Nein, mein Herr.
ich danke bereist Ich habe mir ge
k. lobt, von Deinem-d mehr etwas an
J sit-nehmen seit »dem Unglück, das
mich betrossen hat«
»Di) weht« dachte Nöhrtbors
»Da habe ich etwas Schönes ange
richtet! Wahrscheinlich bekommt sie
seht ihre Ansälle.« Dabei blickte er
hilseslekyensd den Begleiter an.
Der aber saß ganz still und sagte
Ort-irr gelassen: »Aber Fräuleinchen,
das könnten Sie doch ruhig anneh
. arm. Ich weiß überhaupt nicht,
i warum Sie sich bie dumme Geschich
I te so zu Herzen nehmen! Der herr
Direktor hat mir vor unserer Abt-ei
1 »Aus exzahie Sie ma- ia um
F Strafe gekommen, wie ein armn
zur Schlachtbant!«
Das junge Mädchen aber ries
. s- t fast wilder Hestigieit: »J?2k
l H
haben Sieet gehört, mein Herr! Sie
Minnen e Aufmerksamkeit einer
ehrlos-en son —- einer bestraften
Berbrechertnt Jch bin wegen Werei
zu sdrei Monaten Gefängniß verur
theilt W nnd werde jeht nach der
Stadt geschafft, um in einer anderen
Diebstahlösache Zeugniß abzulegen
Lassen Sie sich das zur Lehre dienen
und suchen Sie nicht hinter einem hüb
schen»Ge-ficht auch eine schöne Seele!«
Mrcdorf war zunächst teines
Wortes mächtig. Dieses Iholsde Kind
eine Verbrecherin! Unmöglich! Nochå
immer hatte er seiner Nachbarin sdenj
Obstteller shingehaltenz jetzt setzte er«
ihn neben isich auf die Vani.
z »Mein Fräulein, ich kann nicht als-«
jles glauben, dessen Sie sich selbst an
klagen. Dieser wackere here hier hast
ja eine ganz andere Anschauung von
der Sache — stund auf Grund »der be
sten Autorität, der des Gesängnißdi-—
«rottor5. Wollen Sie mir nicht sag-rn,l
wie Sie in so unverschuldetes Elend
gerathen smde
»Ja-wohi, in's Elend!« schluchztes
sie. »Meine Eltern haben mich ver-I
;stoßens, mein Bräutigam, der nrich hei
rathen wollte. sobald er eine gewissej
iGehaltsstufe erreicht hatte —- er ists
tGerichtsschreiber und hofft einmali
ESchusltheiß in seinem heimathsotte zu«
i
zwerden —- hat sich von mir losgesagt
IDenn eine bestrafte Hehlerin darf ers
ja nicht zur Frau nehmen, will er sich«
nicht selbst um Amt und Brod brin-!
kam« s
I Röhrsdorf war geriihrt. »Sie sind
xja aber gar dein-e Verbrecherin, wie.
sich höre,« versetzte er. -
I »Nein, das ist sie auch nicht!« fiel
der sbiedere Begleiter ein. »Ich will
Ihnen jetzt erzählen, was mir der Di
Trettor gesagt hat. Das Fräulein war
Vertäuserin in einem Weißwaaren- u ;
Bandgeschiift unid hat sich da mit einer
Janderen Vertiiuferin befreundet. Und
Ida hat ihr ihre gute Freundin ab und’
zu einBand oder ’ne Schieife geschenkt ;
Ernte das so unter Freundinnen vor-«
«tomrnt. Und einmal hat sie gebeten!
gihr ein großes Packet aufzubewalfrext4
sk— es wäre ’ne Ueberraschung zum Ge I
;burtstag siir ihre Mutter. Mittler »
itoeile aber ist es herausgekommen
jdaß die Andere das Geschäft bestsohleti
Zhat, und da haben sie denn auch Ver-«
tdacht gegen unser Fräulein hier ge
Ifaßt, und die hatte gerade so ein Band
xunn den Hals und eine Schleife in
Haar, wie die Andere sie duszendweise
zsortgeschieppt hatte. Und da herben si
Jdenn auch bei ihr.Haussuchung gehal
lten und das Packet gesunden. Di
iAndere aber hat gesagt, daß das
HFriisulein wohl wissen werde, was in
zdem Partei sei. Und weil nun das
xFriiulein standhaft dabei geblieben
Tdaß sie nicht gewußt habe, daß das
Band und die anderen Sachen gestoh »
Zlen seien, habe sie sie siir eine ganz soc-J
Z«fonders ver-stockte Verthrecherin gehal-;
Tten und sie zu drei Monaten Gesäng
Eniß verurtheilt Der Direktor aber
Zglaubt nicht daran, daß das junge
Glut eine Spitzduvm in, fonft hatte er
jfie nicht fchon nach vierzehn Tagen zu
Zfeinen Kindern genommen. Er hat
kmir das Alles erzählt, damit ich ’ne1
Unterschied mache, und« ——— hier däm
spfte der Grade Mann feine Stimme —-·«
j»dann fagte er: «Paffen Sie auf, Pat
;fchow, dafz sie sich nicht etwa ein Lei
"de3 antbut.«
i Tief ergriffen hatte Röhrsdorf dei
ZBericht des fchlichten Mannes angr
xhiirt Er streckte dem jungen Mädchen
Eidie Hand entgegen und «fagte: »Mein
!Friiulein, ich bitte, geb-en Sie mir die
Hspand Jch habe noch Niemandes Hand
!geschiittelt, den ich nicht für ehrenhaft
khielt.«
« Sie blickte aus; ihre Thkanen fkos
.fen fanfter. »Sie sind gut und edel
Lmein Herr. Aber was fünf rechtsae
lehrte Richter fiir Recht anerkannt ba
Zben, das bleibt auf mir sitzen, das
kann rnir Niemand ers-nehmen«
«Attenmäßia freilich nicht! Aber
wissen wir nicht Alle — die Richter
fesbft nicht zum Wenigsten — daß
auch Richter irren können, zumal
wenn sie fo überaebeitet und abgehetzt
sinld, wie in unseren Tagen ?«
»Das fage ich aucht« fiel der brare
Gerichts-dienen Reacnsfchirnrausbesses
srer u. f. w. ein. »Die Herren kommen
« ja gar nicht dazu, zu inidi——, zu indi
vi—, zu individu—, hol« der Denker
die Frentdtviirtert —- Das geht immer
in Bausch und Bogen, Alles in einem
Ravefcht Wo foll da das Vertrauen
herlomrneni Und fo stoßen sie fo ein
armes Ding unter Räuber und Spitz
Vubem Wenn unser Direktor nicht
fvlch’ braver Mann und fo ein Men
fchenkenner wäre. dann wäre Fräulein
Etfe Vetter aut in’s Gefängniß und
fchtecht herausgekommen!«
Das junge Mädchen hatte sich mitt
ler-weile einigermaßen beruhigt.
I J
»Iriiulein· Becken W Sie mir die
Handl« wiederholte Röbrsdorsi
Eise legte fast mechanisch die kleine
hand in die seine. »
»· o, ldas wäre abgemachti Und
nun nehmen Sie etwas von diesen
Früchten.«
Zagbaft nahm Eise eine Traube;
Patschow genirte sich weniger; auch
Nöhrsdorf aß zur Gesellschaft mit.
Es fing an, gemütshlich zu werden.
Da laen dem Gutsbesiber ein tollerl
Gedanke. «Sagen Sie mal, lieberI
Patschow, wo bleiben Sie denn mitI
threr Schunbefoblenen über Nachti«
fragte er.
Paischotw guckte die Achseln. »Di
muß ich im Gefängniß abgeben; ichs
selbst gebe in ein Gaftbaus."
Herr Patschow, unt All-es in der Welti
nicht! Binden Sie mich und legen SieI
mich in ein verschlossenes Zimmert
Aber nur nicht in’s Gefängniß unter
diese rohen Weil-erl«
Patschow schüttelte den Kon »Es
ist die Vorschrift Allerdings hat mirs
der Direktor bei’mAbschied fiinf Mart
in die Hand gesteckt und so beiläufigI
gesagt: »Patschow, es wird Sie Nie-I
mand vor Gericht fragen, wann SieI
mit der Gefangenen angekommen sind; i
weiter bat er nichts gesagt « I
»Das sollte Jhnen doch genügen!«4
lachte Rohr-dort »Aber die fiirf
Mart werden gerade fiir zwei Zimmer;
rnit liaffee in einem einfachen Gasthof;
genügen, und wo bleiben sonstige sie-«
sstenZ Jch will Ihnen etwas sagen:
Sie kehren mit dem Fräulein in einem
soliden Gasthofe ein; da hole ich Si I
Beide ab, und wir verieben den Nach I
mittag und Abend miteinander Jch
weiß eine ruih ge, sehr gute Weinstube,:
wo uns Niemand setzen kann; da neb- I
men wir unser Abendessen ein.« I
Der brave Patschotv »wurde ganz
verlegen Herr, Herr — I
,,Nifhrsdorf,« stellte sich dieser mit
einer Verbeugung Eise vor I
»Herr Nöhrsidorsi ich bin ein armer,
einfacher Manni«
»Herr Patschotv, ich bin nur ein rei
cher, einfacher Mann, aber ich weiß
daß wir alle Drei hier brave. ordent
liche Leute sind, und die müssen, wenn
sie sich ’rnal irn Leben treffen, zusam
menhalten. Nicht wahr, Fräulein
IElse?«
? Ei sa hatte bis dahin ganz hülflos
Idagesessem sie hatte die Hände gefaltet
Iund vor sich hingestarrt. Bei dieser
Iunerwarteten Frage brach sie wieder
m Dhränen aus: »Das kann ich nicht I
Ida-z gebt nicht mehr, das ist fiir mic
Iborbei!«
. ,,.llfo Sie bekennen sich schuldig?«
frag-te Nöbrsdors scheinbar streng.
I »Das nicht, aber —-««
I ,,Kein Aber! Sie sagen, dafzSie sich
nichts vorzumerfen haben. Wir glau
Iben das, der Gesängnißdireltor glauth
es auch, also warum sollen wir nicht
Iveraniigt fein?«
s Diese letztenWotte kamen so iornischI
heraus daß Patschosw geradezu lachteI
Iund auch Eise ein Lächeln nicht unter- I
sbriielen konnte. I
i Röhrsdosrf verfolgte seinenVortheiL
sihn reizt-e nicht nur die Sonderbarlein
sder Sache, mit einer Gefangenen und
ideren Wächter einen Abend in Berlin
Izu ver-leben; nein, ihn trieb auch sein
jgutes Herz, dem arm-en Mädchen eines
Freude zu bereiten. Ja, noch mehr. Er
hatte bereits einenPlan, wie er diesel
-tnnft E«lse’s gestalten wolle, nachdem
Ier sfich durch eine Anfrage bei deren
Vertheidiger und durch dessen sach
männi sches Urtheil überzeugt hätte,
duß sie in der That nicht schuldig sei.
i »Als-) Sie können noch lächeln,
Fräulein Eise!« sagte er. »Nun, dann
ist noch nicht Alles verloren! Sie sol
len heute Abend sogar noch lachen. Al
so abgemacht!«
i Wie-der hielt er ihr dieHand hin, in
Idie sie diesses Mal schon herzhofter ein
schlag. Sie tout ja erst achtzehn Jahre
san-som- ssk sich nicht auf ein paar
heitere Stunden freuen?
« Usm drei Uhr lief der Zug in Berlin
«ein; um fünf Uhr sollte. Röhrsdors
seine Gäste, als solche betrachtete er sie,
akbholem Er hatte beiläufig den Na
men des Vertheidigers erfahren und
fuhr sofort, nachdem er sich in seinem
Gasthofe umgelleidet hatte, zu ihm. Er
erzählte ihm mit liebenswürdiger Of
fenheit,wie erElse lenneni gelernt habe
und daß er sich ihrer in ehrenwerthester
Absicht anzunehmen beabsichtige
»Das ist schön von Jhnent« rief der
Rechtsanivolt »Die Sache verhält sich
ganz so, wie rn«anJhne-n berichtet hat
Es war eine meiner schmerzlichsten
Niederlagen, als die lleine Vetter ver
urtheilt wurde. Und woran hing es?
Sie wissen, daß es einer Majorität
von Vier gegen Einen bei unseren Ge
richten bedarf.
Wie ich nun ganz im Vertrauen
erfahren habe und Jhnen ebenso un
ter dem Siegel der Verschwiegenheit
anvertraute, waren zwei Beisitzer für
idie Freisprechung zwei wegen des Jn
dizienbetveises dagegen. Der Präsident
aber brachte seine bekannten Ansichten
aus den einen derErsteren in so nach
driickl« r Weise zur Geltung- daß die
Berurt eitung des armen, nach meiner
innersten Ueberzeugunig vollständig
unschusdigen Kindes erfolgen mußte.
Jsch wiirde darüber nie gesprochen ha
ben, wenn ich es jetzt nicht imJnteresse
meiner KlientinJhnen gegenüber thun
müßte. Jedenfalls aber, Herr Röter
dors, drin-te ich Jshnen, daß Sie mich
ausgesucht haben. Sie haben mir eine
wahreErfrischung bereit-et in »der trost
laseniWiiste erbärmlichersStreitigteiten»
um das Mein und Dein und dem stin-»
kensden Sumpfe etler Verbrechen, zwij
schen denensich nun- eiwmal größten-»
theils die Praxis eines Rechtsanwalts
dewegt.«« .
Mit noch ges-estertem Bewußtsein,!
daß er nur thue, was recht sei, holte;
Röhrsdorsseine Gäste ab. Patschowi
fah ganz anständig aus und Eise hattei
durch einige Ileine Zuthaten zu ihrers
Toiiette sich being-he geputzt
»So, jetzt tann’s losgehen,« sasgtes
Röhrsidors gemiithsich »Aber noch Ei
nes! Wir tönntenBetannte treffen, de
nen gegen-über eine Vorstellung uner
läßlich ist. Also Sie, Herr Patschorv»
sind der Mühlendesitzer Müller, behä-(
big genug sehen Sie ja aus und einer
grauen Rock haben Sie auch an. Undj
Sie, Fräulein Eise, sind Fräuleins
Müller, die Tochter-natürlich Nach
barn von mir. Also Herr Müller,
Fräulein Müller, darf ich bitten!« .
Er führte seine Giiste in ein seines
Speiseljaus, in dessen tleinenZirnmern
man sast ungesehen ist, und freute sich,
wie sie allen guten Dingen, die er auf
tragen ließ, zusprachen, nachdem sie«
die erste Schüchternheit iiberwundenJ
hatten. Die Unterhaltung machte sich
auch ganz gut, da einGutsbesitzer niitj
so vielen einfachen Leuten zu verkehrenj
hat, daß er den richtigen Ton dafür
zu finden weiß. So war es sieben ge
worden, als der Kellner eintrat unds
drei Eintrittstarten zum Opernhausej
aiuf den Tisch legte, die Röhrsdors be-·
reits vor-her bestellt hatte.
Eise erschrock. »Aber, Herr Röhrs
dors, in’s Theater soll ich, unter die
Men e von Menschen? Wenn mich
nun emawd erkennt?«
»Wir gehen in die Partettloge. Da
Minnen wir gut sehen und hören, ohne
gesehen zu werden. Sie können ganz
ruhig sein.«
; Patschow schüttelte das graue
Haupt· »Ich habe imsmer so viel von
der Oper gehört, daß ich selbst ’m-al
hineingehen würde, und bei solcherGe
legenheit, wenn mir das Ein-er gesagt
hätt-e, wiirde ich geglaubt shaben, er
wollte mich aufziel)en!"
(
i
i
Es traf sich site Eise griicklich, daß
gerade «der,,Freifchiitz« gegeben wurde,
eine Oper, die selbst den hlasirtesten
,Theatergänger stets aufs Neue an-»
regt. Wie viel mehr war Elfe ent
-zitckt, die alles Elend, allen Kummer
vergaß imBann der himmlischen Mu
sik, während Patfchow sich freilich
Imehr für die Handlung die ja so echt
deutsch und allgemein verständlich ist,
jinteressirtr. Während der Vorstellung
Jsprachen dieDrei so gut wie gar nicht
)—— auch nicht in den Zwischenatten —
iRöhrsdorf wollte nicht durch alltäg
lliche Worte die Wirkung der Muisit
auf Else’s wundes Herz stören-. Pat
schow sprach überhaupt nur, wenn er
gefragt wurde.
Als der Vorhang zum letzten Male
gefallen war, erhob sich Elfe mit einem
tiefen Seufzer. Die Märchenwelt, in
die sie sich eingesponnen, war ver
schwunden; die rauhe Wirklichkeit trat
wieder in ihre Rechte. »Wir müssen
Iheim,« flüsterte sie. Jhr war das
Gasthaus ein Heim, wenn sie auch
wußte, »daß Patschotv sie einschließen
müsse.
·,,So schnell geht das nacht, Fräu
lein Else! Erst noch einen kleinen Jur
hiß nach der Anstrengung!« rief
Nöhrsdorf unter. Er führte seine
Gäste in eine vornehme Conditorei,
weil in einem besuchten Cafe doch Nie
mand ihn erkennen konnte, während
dort sich nach zehn Uhr nur selten Je
mand aufhielt, außer harmlosen Zei
tungsleferm
Jn der That saßen dort nur einige
ältere Herren, und so in ihre Zeitun
gen vertieft, daß sie die Ankömmlin
ge gar nicht beachteten. .
Da trat Plötzlich aus dem letzten
Zimmer ein Herr auf Röhrsdorf zu.
,,Albert, alter Junge, Du wieder ein
man in der Hauptstadt? Aber ent
schuldige, ich sehe, Du bist nicht al
lein!« Das heißt überall: »Stelle
mich vort«
»Herr Assessor Enzberg — herr
Mühlenbesitzer Müller, Fräulein Elfe
Müller, Nachbarn von mitt«
Der Herr Affessor, den Elsen’s
Schönheit aus dem letzten Zimmer her
beigefiihrt hatte, machte sich denn auch
sehr liebenswürdig und schnitt der
schüchternen, kleinen Provinzlerin rie
sig die Kur, so daß diese frah wat,
als »Herr Müller( mit väterlicher
Würde sagte: »Komm, mein Kind, es
ist jetzt Zeitl« s (
Sie wußte nicht, wie sie Röhrsdorf.
danken sollte. Dieser aber sagte nur
fmit Bedeutung: »Ich suche Sie mor
Igen noch auf.« Er blieb auch ruhig
zfitzem um den Assessor, der sich viel
’leicht angeschlossen hätte, nicht wissen
’zu lassen, wo die Beiden wohnten.
I Enzberg aber war ganz Feuer und
Flamme.« »Ein entzückendes Wesen!
Eine Rosentnospe, von welcher die
Sonne die Thautropfen noch nicht
hinweggetiißt hatt« rief er begeistert.
I Der gute Affessor war nämlich auch
lhrischer Dichter, aber ein ganz moder
Tner, denn er fragte weiter:
- »Vater hat wohl riesig viel Draht?
Solcher Miiiler in der Provinz sind
meist schwer reich, das kenne ich—an
noch vom letzten Manöver. Jch hätte
gleich dableiben können, aber die Toch
ter war gerade fo häßlich, wie dieser
Engel anmuthig und hold it.———Und
Geld hat der Engel auch?«
,,Riesig viel!« bestätigte Röhrsdorf
lachend. »Aber Du entschuldigst mich
wohl k- ich bin sehr müde von der
Reise.
»Bitte, bitt-e! Aber wäre es nicht
möglich, daß ich die Holde wiedersii
he? Jch weiß ja, daß Du nach an
derer Richtung engagirt bist!«
i »Kann» lieber Oskart Die Herr
schaften reisen schon morgen ab.«
»Dann muß ich auf einen günsti
gen Zufall hoffent«
Der gute Assefsor sollte nicht ver-.
»geblich gehofft haben.
; Am nächsten Morgen strchteNöhrs
dorf den Rechtsanwalt nochmals auf,
den« ihm war eingefallen, ob sich nicht
ein Wiederaufnahmeberfahren in El
sen’s Angelegenheit ermöglichen lasse.
Der Rechtsanwalt zuckte die Ach
seln: »Ich habe feiner Zeit alles auf-f
geboten, aber es würde jetzt zu nichts
führen unsd nur halb Bergessenes wie
der anfriihren. Auch der früher-e
Bräutigam der kleinen Becken der Ge
richtsschreiber Münders, hat das glei
sche Ansuchen wiederholt an mich ge
fftellt.«
»Nun war das?"
»Zuletzt vor etwa acht Tagen-«
»Also er liebt sie noch? Dann weiß
ich, was ich zu than habe! Lebt Mün
ders hier?«
»Im Zeit ja. Jch verstehe, was Sie
thun wollen, Herr Röhrsdorf, und ich
sage nochmals: Das ist brav, das ist
edel von Jhnent«
Aus dem Corridor des Gerichts-ge
bändes in Moabit traf Röhrsdors El
se und ihren getreuen Wächter-Bei
de aber in der größten Aufregung.
Gerade hatten sie die Worte gehört:
»Da ist der St-aatsanwalt!« als die
ser schon vor ihnen stand. Trotz des
schwarzen Talars hatten sie den Her
ren von gestern Abend sofort erkannt;
er sei ganz erstaut gewesen, sie hier
zu treffen
,,Auch als Zeugen vorgeladen?« hat
te er gesagt. »Ich habe Jhren Namen
gar nicht in den Akten gesunden. —
Wahrscheinlich als Entlastungszeugen
eines der Angellagten nachträglich ge
laden und von dem Vertheidiger in
Reserve gehalten. Freilich, solche
Entlastungszeugen läßt nran sich ge
sallen·«
Zum Glück sei er abberusens wor
den, bevor Eines von ihnen hatt-e
antworten können. Was würde er
sagen, wenn aus Eise Vetter würde
Else Becken sdie Hehlerinl
»Gut nichts wird er sagen, Sie klei
ne Närrin!« lachte Röhrsdorf. »Er
wird froh sein, wenn ich nichts sagei
den er hat mir gest-ern gestanden, daß«
er sterblich in Sie verliebt ist, der Herr1
Staatsanwaltsvertretert Soll ich il)m’
Hoffnung machen-, Fräulein Becker?"
»O, Herr Röhrsdorf, sSie spotten
meiner!«
,,Wirllich nicht! Jch kann Sie nur
nicht weinen sehen, deshalb mache ich
lieber schlechte Witze! Aber jetzt bleibe
ich während der ganzen- Verhandlung
hier. Das Gesicht des Enzberg muß
ich sehen, und wenn ich hier verhungern
spuken- l
Dazu war aiuch alle Aussichck, den-n
da Ider Prozeß sich um ein-en Laden-s
Idiebstashl drehte Ein dem auf jeden der
zehn- Aengetlagterv etwa ebenso viele
Zeugen kamen, sso dehnte sich die Ver-»
hansdlsung endlos wus. Erst nach msetty
reren Stunden wurde Else aus«-gerufen
sunsd betrat Oden Gerichttssaal, währer
Röhrsdoorf ien Iden- Zuschauervawm
stürzte. Er wollte ja das Gesicht Guss
berg’s sehen!
Es war auch der Mühe wert-h! Der
Herr Assessov stand mit osfenem Mun
de -da, nahm den Kneiser ab, seyte ihn
wieder aus usw-d hat-te gerade noch so
Viel Gristeisgaaemvurh mu- dem Präsi
denten, der Else einige gilseichsgiltige
Fragen voogslsgt hatte —- ste wurde,
da iste nsichttis zur Sache auszusng
wußte, gut nicht onseisoigt —- usnd dann
weite-r suec-Ate, otb dier Hm Stiagths
malt sdie Zeugin noch etwas zcu fraqu
hätte, kopfschüttemd etn heiseus»Nein««
zu mtsgogsnm
Nach diesem Frag- und Antwort
s splsszl tout-die eim Pause- anbeoasuimt,
unsd der Assessor, der Röhrssoorss seht
gut bemerkt but-te, stürzte nun seiners
seits aus- d«em Smal, um Etw- zur Rod
zu stell-en
Rohsvssdors stieß ihn gut nicht zu
Wort-e kommun: »Na, Oslur, Dru bist
ja so ausger-egt? Armser Kerl, unst
ich konnte Dir nicht 'm«a-l helfen-, sich
war gezwungen, Dich hersesiusiallen Fu
lassen. Aber Du bist vow jeher ein sau
tsev Kersl giewesenx wen-I Du auch jetzt
Staatsanwalt bist, deshalb paß nu«s:
ichhlwevdie Dir dte Wisse Geschichte er
za en.«
Das thust Röhrstxorss denen auch, wird
nach zehn« - staut-m sing EnzbeTg aus«
über sich sepbst zu lsachmk Schutt-h daß
man von der Such-e schweigen mußt-et
Der Präsident hætte bestimmt, daß
teiw Zeuge sich Entfernen s olle, bis das
Urtheil gesprochen sei; das konnte bis
in den späten- Nachmittag dauern.
Nachtwm hoher Röhrgtoorss für vie los-ib
liche Stärstsunsg seiner Schützlsikrge ge
sorgt hat-te, besurlaubte er sich dosn ih
nen, da er noch eiwmi nöttjigetn Weg zu
mache-u haibir. Den. heutisgctn Abmd
wollte er snsoch mit ihneni Verte- :n, VI
ihr Zug cost gieigsen Mittvmucht ging.
Ess war ein« schwer-er Gang, den
Röhrsooirf vor-hatte: er wollt-e Män
ders aussuchtan Er sah ein, daß er ei
gentkich nicht der rechte Mann sdsasur
sei; schon sein· Atthsr unsd ssesini Aeußeres
mußt-en ihn verdächtig machen-. Aber
wer s ollte sonst sitt IItie arm-e Eise ein
trietenA
’ Er trsass Münders, der eben· aus dem
Büoeau gekommen war, zu Hause sunsd
stellst-e sich ihm wor.
»Wom-it rann sichs Ihnen dienen,
Herr Röshrsdsoan« srwgte der Gerichts
schreiben
»Im-est dasmsit,«·d-aß Sie mtir verspre
chen, mich rsushsig anzuhören, bis ich ge
endet habe, suno auch wähnend meiner
längeren Asussieinwndercssettzsung mich we
der zu under-brechen noch Eaufszsailyren«
»Sie stellen ern-Er in meiner eigenen
Behaung eine s ontoetbarse Zumu
thunig, Herr Rohr-swer antwortete
Mündens, sein Manns von etwa fein-f
und zwanzig Jahr-en- msit einem blas
sen, energischen Gesicht, aus dem man
die Spuren tiefe-n Kummers deutlich
lesen kannst-e.
»Das weiß »ich, »aber »ich mache oft
die tollsten Sachsen, besonders wen-n ich
es sgiut msit Jemand im Sinne hab-«
»Wie käme ich zu der Ehr-e? Ich
glaubte Ihnen gänzlich iunbelsainknit zu
ein.«
»Nicht so ganz, Herr Münd:rs, MS
weshalb —- das sollen Sie ersachrsem
sobaid ich die von Ihn-en erbetene Zu
snge erhalten habe. "
»Gut, ich verspreche es JhnenA
Da Röhrådorf sdiie Geschicht-e bereiiss
einmal erzählt shattie, so ibesaß er schon
eine gewisse Betrübnis-g Er sah wohl,
wie schwer es Miinderss wurde, selin
Versprechen zu halten; er wurde bald
rot-h, ban blaß und wollt-e bei verschie
denen Asnslässen sent-weder losbrechen
oder auch sich vertheidiigem da Wahrs
dors ihm sogar Vorwürfe macht-e, daß
er seine Braut weniger richtig beur
theiislt hab-e, als ein- Fremsder, usnid daß
er auch ihre-m- Verihseiidigier nicht ein
mail Gbasusben geschenkt habe.
Hier machte der schitatte Röhrsidiorf
eine Pause und blickte Miiwdiers fra
gend an. Dieser nahm das für ein-e
Evollgtiltti .e Erlaubi iß, jetzt auch sei
nierseits fpvechien ziu dürfen
»Das sist ja eben das- Esnitisetzlichse,
sdaß ich von Eises Unschuld über-zeugt
bin, und daß ich ssise doch nisemalts mein
nennen kannt« rief er.
So weit wollte Röhrssidorf ihn ha
ben. »Na, Sie sind mir csuch ein net
ter Herr! Da sitzt der Mann und ge
steht zu, daß seine Brasuit nichts Böses
gethan hat, und doch bat ser nicht dsen
Mut-h, zu sag-en: WKHmrn Eise, sei
niseinsi Wir gehen üben s Meer und
sehen zin, wtie stir sum-s da sont-bringen«
Nein, das klebt hier am Amt umtd hat
immer Angst vor Ader vorgesetzten Be
shörkde.«
»Sie haben nur halib Recht, Herr
Rö»hrsldoir-f!« sagt-e Münders. »Warst
ich Teiche-isten Handwerker, so könnte
ich iitbsevall mein Brod verdienmz aber
was ich gelernt hain ist mir für hie
sige Verhältnisse berechnen nicht für
das- Axuslvann ier ich wage es nicht,
Eslse mit miir In locken, in ein Unge
wisses emd awstsichtioses Schicksle
»Nimm da ließe sich auch Rath schaf
fen. Wuf mein-am großen Guit- brauche
ich gern-de ein-en Amtmsannx mein bis
heriger isst alt und giebrsechiich Stie wer