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About Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901 | View Entire Issue (Dec. 6, 1895)
III Wer Fremde. Isaria von Rabm—xiohlrausch. Gortfesungh , "»Wte Sie veseyien. So meisten wir mit dem iufrieden sein, was wir ge habt haben, und ich muß sagen, mir : hat dieser lleine Feuersouber eigentlich ganz gut gefallen. « " »Gesallen? Sie sind ein schlechter —- nein, Sie sind doch ein guter Mensch. Kommen Sie herl« Sie lachte ihn an nnd eilte neben ihm den Anderen nach, die, langsamer sich fortbewegend, eben den Ausgang gewonnen hatten. "« Jn der lalten Wst, die ihnen von Bitten entgegenftrömte, schien Mr. -- Sealdfield neue straft zu gewinnen; r trat fester aus und ging sast ohne . Iilfe bis zum Wagen. Hier nahmen « Buterweet und Martha Abschied mit seenndlichen Worten, Bohsen stieg ein mit Eva und ihrem Vater, der Schlag fiel zu, die Pferde grissen aud. Co war kalter geworden, nnd in reinem Weiß glänzten die Straßen, durch die » sie dahinfuhren. lleiner sorach von "" den Dreien im Wagen, Jeder saß . schweigend, mit seinen Gedanken be schäftigt. Zum ersten Male setzt seit jenem Augenblick des Schreckens fand ’ en Muße, klar und ruhig zu liber . « »F en, was geschehen war, s ich Rechen W abzulegen iiber ein geheimes « » »»l der Erleichterung und Be i« s,--i’--«ttng, das trotz des traurigen Vot ganged in feiner Brust sich regte. Jetzt erkannte er die Quelle, aus der , eo strömte. Ganz im Geheimen, so , hr er sie auch gewaltsam von sich ge choben, hatten doch die Gedanken, hatte jener Verdacht an ihm genagt, der durch dan anonhme Schreibenep ’eugt war. Das heutige Ereigniß aber zertriimmerte die in Stunden diisteren Grübelns erbaute Brücke, die von dem - Amerikaner Zu seiner Mutter hinüber »·iihrte.. Eine Be;ielsung, eine selt «. me, noch unerklärte, bestand Zwischen L r. Seawsield nnd Zassi, dass war ,. m heute llar geworden; hier aber endete das Band, das die Schicksale - cheinbar fremder Menschen mit ein nder oerlniipste, ed leitete nicht hin « iider zu der fernen, verehrten Nestnlt. Sassi, Sealosield und noch ein Name, ;- ein neuer, dritter, im Tone deo Ent - sehend heute genannter, tam hinzu-» Valesdta Der Name llang fremd an sein Ohr, und doch war es ihm, alo . habe er ihn schon aus bekannte-m —- - Munde gehört, alo bestehe auch siir ihn reits eine Beziehng zwischen diesem jxliamen und den Menschen, deren sZchicksal sein Herz und seine Zeele in Fern Augenblick beschäftigte-. lind szn m er grnbelnd hinanestarrte aus . i flimmerude Zchneedeete, die so rasch vorüber-zog ivuskte er rundlich »-wo er den Namen bereit-J gehört. « . Fassi selbst hatte ihn genannt, alo sie hm von der armen Blodsinnigen er Lihlt hatte, die alo ihre Mutter galt. ; » , Passi, Zealasield, Baleesta »der Iliing Haar geschlossen, aber die Erklärung des J« lsseheimnisseo ruhte in einem tranken Geist, in einem zerriitteten Gehirn Wenn nicht der Eine sie gab, der sie gleichsallo lannte, und Buhlen wandte die Augen aus ihn, auf den Mann ihm n « gegenuber in der dunklen Ecke dcoj j« . ·" Wagens-, aus der zuweilensein Gesicht, i « ( wenn das Licht einer Laterne hereiusiel, ; in geisterhaster Blässe siir einen singen- i . sick aufleuchten-. Er konnte reden,s O « enn er wollte, er mußte reden das D- war die Forderung, die Bohsen stellte, während sie dahinsnhren durch die Nacht. Er wollte sich endlich befreien and diesem Wust von Geheiinnisien, die ihn umdriingten, er wollte osfenej Bahn vor sich sehen auf seinem ferne ren Ledeudwege, wollte reine und klare , ruft wieder athtnen. lind auch Eva; glaubte er es schuldig zu sein, deuI dunklen Schleier zu zerreißen, in denj ihr Dasein gehüllt war; er vertraute l aus die straft der Wahrheit, auf ihre Macht zu heilen und zu begltielen, auch i weiss ca zuerst schmerzen sollte, ihrs in's-Antlitz zu schauen. · Der Wagen hielt vor dem Hause » des Anteriianei«e·. Bohsen dssnete den « - —- lag und sprang hinaus-; dann driiette ; r auf die Glocke am Thor, den Diener « herbeizurusetn Mit itberraschter und verstörter Miene half dieser seinem Herrn and dem Wagen, Eva ftiinte sich aus Bohsend Hand, die er ihr«hilse bereit bot «Macht keine Umstande mit mir,«« sagte Mr. Sealssield, »ich hatte schon al ein herauskommen tonnen. Der windet ist voriiber—-sahren Zie d fort, was haben Sie an mir zu gehen-« herrschte er den ilutscher an, r nur gewartet hatteka er sein Geld erhalten. « Kopfschiittelnd blickte der Geschol -- tene auf den heftigen Mann, dann Es trieb er seine Pferde zur Heimsahrt. Der Wagen rollte fort, und rascher, » « EsBotssen ed ihm Zugetraut hatte, stieg der Anieritaner die Treppe hinan. l Eifrig und freundlich sorgte Eva silr Licht und Warme, dann ging sie, die sestliche llleidung abzulegen « «Deddemoua wiiuscht Jhnen gute No ,« sagte sie Zu Bohsen tritt einem U uch zu scherzen. »Wenn ich tut-int- i komme, bin ich wieder eine gewahrt-L » - liche- Sterbliche.« ; « ; .. mich werden Zic dao niemalaz s set ,« gab er leidenschaftlich zur rlntis : wart, um dann, als sie gegangen war, s " einen fragendeu Blick ans ihren Vater i sen, ob er den ltlang der Liebes J Worten vernommen. ist Der aber saß, gedankenvoll dar sich -' « »W— S «»i·v hinf uend, in einein Sessel, abgestor ben cheinbar fiir Alles, was tun iln her vorging. Bohsen betrachtete ihn schweigend von den Gedanken auf’is ene durchwogt, die ihn auf der Fahrt fo gewaltsam ergriffen hatten. Alb eine geraume Weile in solcher Stille vergangen war, fragte er: »Möchten Eic allein sein, foll ich geben«-« »Nein, nein, nicht gehen! Sie müssen bei mir bleiben.« Deo war Alles, was er erwiderte; gleich war er von Neuem in sein düste reS Brüten versunken. Voysen zan derte noch einen Augenblick, bevor er weiter fragte, doch der Gedanke-, dass er vielleicht gerade in diesem Zustand der Schwäche den Träumendcn ani leichte ten zum Reden bringen würde, gab ihm Muth nnd Entschlossenheit. »Sahen Zie das Mädchen heute zum ersten Mal, Mr.Seale-field·.-«« Ein inhaltsloser Blick ans weit ge öffncten Augen lain Zn ihm her; er fah, daß die Frage nnverstanden ver klun en war. . » as Mädchen, dessen Anblick Sie fo sehr erschrecktc bei dein Fest heute Abend. Mochten Sie wissen, wer es wars-« Ein tur;es, net-böses, angstvolles Kopfschiitteln war die ganze Antwort. Als aber Voner nun hinzu iigte: »Ich kann es Jhnensagem Mr. Heule ield,« dn sprang dieser empor, faßte ihn an den Schultern und rief: »Was wollen Sie denn von mir? Weshalb fangen Sie auch an, mich zu quälen? Was habe ich Jhnen gethan, daß auch Eie nii martern müssen? Ruhe will ich baten, Ruhe, nichts weiter! Das ist doch nicht zu viel, daß man mir ein wenig Ruhe laßt!« Seine Stimme war zuletst heiser vor Erregnng, und seine Augen gliihten dicht vor Nonsens isiesichr Dann gab er ihn frei, ging ein paar Mal im Zimmer ans nnd ab, trat wieder nahe var ihn hin nnd sagte ohne jenen Schmerz in der Ztinnne, der vorhin die Leidenschaft begleitet hatte, kalt nnd zornig : »Und war- aibt Ihnen ein Recht zu solchen Martern-« »Ich will es Ihnen sagen, Mr. Sealssield: Jch liebe Jhre Tochter-. Meinen Zie nicht, daß mir das ein Recht gibt, zn forschen, tvelch’ ein Ge heimnis; Sie selbst umhiillt? Jchhasse das Dunkel, helfen Sie mir, ich bitte Sie, daf; Licht wird zwischen und. « »Ein seltsamer Rechtsanspruch in der That! »Ich aber sage Ihnen, wenn Sie est-noch einmal wagen, so zu mir Fu spre en, so sehen wir einander zum ehteni ial. llnd wenn Zie sich Hoff nung gemacht haben aus meiner Tochter Hand, so hören Zie, daß diese Hofs nung vergeblich war. Daß niemals, niemals etwas der Art geschehen kann. Verstehen Sie mich, Herr Botsseti?« »Ich verstehe Sie, aber ich glaube Ihnen nicht. Es gibt ein altes, hei liger Wort, das heißt: die Liebe ist starker ale der Tod! Aus dies Wort vertrane ich, ans ihm schöpse ich meine straft. Sollte die Liebe nicht auch star ker sein, ala der Wille eines Vaters-, als die Schatten einer dunklen Vergan genheit vielleicht?« Er sah, wie seine letzten Worte den Anderen trafen. Zusannnenschreckend trat Mr. Eealdsield einen Schritt uriick, schaute ihn lange schweigend an, feine Ziige verloren den Ausdruck det Zorned, nnd eine tiefe Wehmuth llang aus seinen Worten, als er nun sprach: »Es kann ja nicht sein, Richard Boh sen. Meine Tochter kann niemals die Jhre werden, glauben Sie ed mir, nic mals, tiientaltp——trietttale ! « Ja Thriinen erstickte die Rede, wei nend-wars er sich aus einen Sessel und verbarg mit der Hand seine Augen. Vohsen aber wagte einen letzten Ver such. Ganz nahe trat er zu dem Wei nenden heranund mit leiser Stimme fragte er: »Ist eo Valedla, die zwischen mir und Ihrer Tochter stehn-« Derselbe Schreckenelaut, den er an diesem Abend schon einmal veruvnnnen, abihm Antwort. Bleich und bebend uhr Mr. Senlesield empor, wich vor ihm zurück bis an die Wand des Ne machea und ries mit erstickter Stimme »Jch will nicht mehr geantilt wer den, meine Kraft ist am Ende! Wes halb verfolgt Jhr mich denn Alle, wed halb martert Ihr mich so bei Tag und Nacht'- Jch toill sterben, weint Jhr es verlangt, aber ich sann diese Qual nicht langer ertragen! Ich bin auch nur ein Mensch- - warum hat denn Niemand, Niemand Mitleid mit mir's« »Sprich nicht sol« Es war Eva, von dercn Lippen die tröstenden Wyrte kamen; sie war ungehört wieder einge treten und stand ihm gegeniiber, die Augen singend und schnterzvolt ans ihn gerichtet. »Sag« nicht, das; Niemand Mitleid mit Dir hat. Jch kann es nicht bren, denn mein Herz ist so voll von « itleid mit Tir, das; es fast bricht.« Da breitete er die Arme and nach der Tochter nnd preszte die zu ihm Geeilte an seine Brust· »Y, Eva, Du bist gut! Du wirst mir sistehen und mich beschützen, nicht wahr? Sie verfolgen mich ja Alle und lauern mir ans nnd wollen nicht, daß ich schlafe· Und dieser Mensch hier, den ich lieb gehabt habe, ist der Schlimmste von Allen. Er will Dich mir nehmen, Dich, mein Rind, mein Glück, meinen Friedens Ich aber lasse Dich nur im Tode. Gehen Sie -—— ch will allein sein mit meiner Tochter-« Bohsen gehorchte den besehlendeu Worten dern abwehrend erhabenen Arm. Ieise ging er hinan-, von einein letzten Blick Evas begleitet, in dem er eine Bitte um Nachsicht mit dem kranken Vater las. Aber während er durch dcn Schnee der Straße hinüber chritt zum kliachlmrhauz sah er noch mmek vor seinem Auge die siustcrc Grstaltdrsz Mannewa der ihn fortwies von seiner Schwelle, die Tochter fest in seinen Armen l)nlt(«11d, als miisse cr sie verthcidigcn gegen ihn, der sie liebte — 1o. Kapitel. Der Ameritaner verweigerte ihm des Geheimnissee Lösung«-nun gut, so mußte er auf andere Mittel sinnen. Ohne Weiter-ed zu verzichten, in der beilemmendeu Finsternis; weiter u leben, dagegen wehrte sich der beste Theil seines Wesens-. lind wenn ihm dort versagt worden, um was er bat, so gab ed noch eine Helferin in diesem Wirrsal, eine kluge, gewandte, ihm treu ergebene Helferin: Sasfi selbst! Mochte sie iiber ihre Vergangenheit auch bisher nichts Anderes wissen, als wag sie ihm schon gesagt, jetzt, da ein bestimmter Fingerzeig gegeben war, konnte sie doch vielleicht Neues erfor chen, konnte Fäden verknüpfen, deren nsänge sie in den Händen hielt. Das war das Ergebnisz von Bonsens eisrigem Ueberdenien der Dinge, die er in der vergangene-n Nacht erlebt. Er wollte Zafsi aufsuchen, wollte sehen, ob ed ihm nicht gelang, sie allein zu sprechen und endlich auch den Schluß der Warnung Zu hören, die sie sisir ihn begonnen. Die Rücksicht aus den Freund hielt ihn nicht mehr zurück; hier kam Wichtigeres in Frage, als die Eifersucht eines Verliebtem Die sriihere Dämmerung eines trü ben Niweiiibertageo, der Thauwetter und Schmutz gebracht hatte, lag schon im Schatten der Häuser, als Bohsen den meg antrat nach Sasfis Wohnung. Wo diese lag, hatte er gelegentlich von Buterweek gehört, und die Straße fand er mit Hilfe dee Stadtplans leicht heraus. Er war erstaunt, in ein rei chee, elegantes und neues Viertel zu kommen, dessen Häuser mit Erkern und Baltonen drei und vier Stockwerke hoch empor-stiegen Als er aber, nach den Nummern blickend, an ihnen entlang schritt und seinem Ziele sich näherte, sah er, wie plönlich zwischen den räch tigen Gebäuden eine dunkle Lti e sich austhat; in dieser Lücke stand ein altes, ileineth nur zwei Stockwerie zählendeo Paus, fast erdriickt von seinen hohen Wachbarm schwarz und häßlich hervor blickend auo der Dännneruug, die hier zwischen den beiden mächtigen Gebäu den dae weiche-um Licht schon besiegt hatte. Seltsam nnd fremdartig erschien dao Haue zwischen den beiden stolzen Genossen, ein lieberbleibsel der ge sehwundenen Straße, die ehemals hier zwischen ärmlichen Wohnungen entlang geführt haben mochte. Zurückweichend linter die gegenwärtige Häuserfront, schräg gestellt gegen die Straßenliuie, von einem dichten Mantel aus Schmutz und Rauch nmhiillt, de die gelben nnd rothen Backfteine der » kauern auf den gleichen, diisteren Ton abgestimnit hatte — so stand ro da wie ein gebrech licher, scheu sich verbergender Greis zwischen jungen und kräftigen Gefähr ten ! Nach einein Eingang spähte Nonsen zuerst vergeblich sinr tu ciuemt --,aden aus dessen Fenstern neben stanbigcn Materialwaaren und einer Echicht non Haselniissen ein paar djieklatnebilder tnit Lialllsteitsew nnd Gigerlgestalten bunt hervorschautett, führte eine Thiir hinein. Ein kleiner Garten war ehe mals daneben gewesen, dessen hölzerne, zerbrochene litnziiunung noch miihsant aufrecht stand; Blumen aber hatten wohl seit Jahren hier nicht mehr ge bliiht, und seist gab es auf dem schmutzi gen Erdreich, von dein der Schnee bei nahe hinweggeschmolzen war, ein paar Austernschalen und Papiersetzen als einzigen Schmuck. Auch hier vom Garten aus war kein weiterer Eingang —Bot)sen tnnsztc sich entfchlienen, auf der Rückseite des Hauses nach einein solchen zu suchen Ein schtnaler Gang, in dein zwei Menschens i eh nebeneinander nicht hatten bewegen können, ftihrte an der kahlen, nuichtig empor-steigenden Wand des Nachbarhauses entlang in die Tiefe des Grundstücke-T Nur am Ende des Gan ges, der zu dieser stunde schon völlig in Dunkelheit getaucht war, zeigte sich eine schmale richtflache, nnd der laute, gleichmäßige Ton sallender Tropfen in einer dort niedergehenden Dachrinne kam Bohsrn entgegen. Ein kleiner Hof, noch dlisterer und sehmuhiger, als der Raum vor dem Hause-, that sich san der Rückseite auf; von hier leitete eine schmale Thiir auf den Flur nnd zu der engen, ausgetretenen, in ihren Fugen krachenden Treppe-, die nach oben siihrte. Indern er sie hinanstieg, mußte Bohsen an den Gegensatz dieser diifte ren Behansnng u Saffis heller, ssreuudlicher Erscheinung am vergange uen Abend denken; er sah im Geiste die blnntenstreuendl Schönheit, von der sich dennoch eine ähnliche Finsternis ans eine aeauiilte UJlenschenseele herab gesenlt hatte. Lben herrschte nur noch gerin es Licht, und unihsant erkannte Bohssen aus einein sliapierschild an der Wand den in großen Buchstaben daraus ge malten Namen Glanstedn Eine Glocke, durch die er sich hatte anmelden kön nen, war nicht zu erblicken, nnd so klopfte er leise an die nachstgelegene Thür. Er mußte dar ttlopfen lauter wiederholen, bevor sich drinnen etwas regte; jetzt aber hörte er sich nähernde, schllirsende Tritte, und während er das delikt-en einer Sicherheitskette vernahm, sah er, wie die Thiir zu einein schmalen Spalt sich öffnete. Im Zimmer war schon Licht, und in seinem gediimpsten Schein vermochte Boysen durch die Thüröfsnung einen scheinbar alten, weiblichen iron zu erkennen, der dar aus hervor-schaute. »Ist Fräulein Sassi zu sprechen?« fragte er höflich. Ein mißmuthiger, unverständlicher Ton war zuerst die ganze Antwort ; dann sagte eine- müde, weinerliche Stimme: »Nicht zu Hause, Niemand zu Haus« »Und Herr Glohstcdt——ist auch er nicht da?« »Nie1nand Zu Hause-Niemand zu Hause.« Sie nmrmelte es leise ein paar Mal, wie eine auswendig gelernte Formel. Aber sie schlos; die Thiir nicht, wie er erwartet, sondern brachte ihr isjesicht uiiher an die Oeffnung und schaute, von der Neugierde einsamer Menschen erarissen, zu ihm hinaus, in die Dunkelheit Ein rascher« Gedanke fuhr ihm durch den Sinn. Es war kein Zweifel, die Frau, die hier vor ihm stand, war die amie Blödsinnige, von der Sasfi ihm erzählt; ein Zufall hatte es gesiigt, daß er sich ihr allein gegenüber sah; sie war es, deren Lippen den Namen Valesta zuerst genannt hatten-—sollte er den Versuch nickzt wenigstens machen, ob in ihrem getrü ten Geiste ein Schimmer von Klarheit nnd sicherer Erinnerung nicht doch noch zurückgeblieben war? »Das thut mir sehr leid, « sagte er ,,ich habe einen weiten Weg gemacht und bin unide. Darf ich nicht einen Augenblick zu Ihnen hineinkommen und wartete-« »Nicht ausmachen, hat er gesagt, nirlt ausmachen, hat er gesagt. « sie prach die Worte in derselben monotonen Art wie vorhin. Er aber trat näher an die Thiir heran, deren Griff er fasiie, und sagte: »Ich weiß ja, wer Sie sind, Frau Gloystedt, und eigentlich«——er sprach leise und eindringsich ,,eigentlich bin ich gekommen, um Sie zu besucheu.« »Getotnmen, um Sie zu befuchen.« Sie wiederholte die Worte und nickte ein paar Mal mit dem Kopfe, aber er sah, daß sie den Sinn derselben noch nicht beariffen hatte. - »Zu Ihnen, Frau Gloystedt,« sagte er hastig und nachdriicklich, »es ist ein Perr gekommen, um Frau Gloystedt zu esuchen.« Nun lachte sie, ein heiseres, sast wie Weinen tlingendes Lachen »Jemine, Zu Frau Gloystedti Ein Besuch fiir Frau Gloystedtl Taniusz Frau Glohsiedt wohl aufmachen, nicht wahr?« »Gewiß muß sie das; einen Besuch läßt man nicht warten.« - »Nicht warten —- natiirlich —- nicht; warten. « « d( Sie löste die Sicherheitskette, un 1 er hörte, wie sie dabei noch immer vors sich hin lachte und murmelte. «’ Die Thiir that sich auf und Boysen trat ein in das kleine, ärmliche, von einer erstickenden Hitze und einein schar fen Geruch von tiräuterthee erfüllte Gemach. Auf einein runden, von keiner Decke uinhiiltten Tische aus Eschenholz in der Mitte des Zimmers stand eine altmodische Lampe, an deren Kuppel nach der einen Seite hin ein halb durchsichtiges Stiick grünes Papier be festigt war, das die Hälfte des kahlen Raumes mit seinen geweißten Wänden in ein grunliches Dämmerlicht tauchte und einen rothgliihenden Fleck im. Fenernngsraume des iiberheizten eiser- I nett Lfens deutlich hervortreten ließ. Dicht zu diesem herangeriickt stand ein alter, hoher Vehnsessel mit einer Fuß bank davor-; sonst gab es nur noch einen einfachen Niihtiskh an dem einen der beiden mit blauen Rouleaux verhange nen Fenster und ein paar abgenutzte Nohrstiihle in dein unfreundlichen Ge mach. »Jetzt kann ich ausmachen, sawohl,« sagte die Frau, indem sie einen Stuhl s fiir ihren Nast heranschob. ,,!Sonst haben sie mich immer eingeschlosseni Bis druwa Sie okach ab, und wie-i der tönte ihr dein Weinen so ähnlichesj Lachen durch die Stille. Zugleich wies s sie aus den Tisch, der in der Mittes stand, schlug die Hände zusammen wie i ein nind, das sich freut, und sagte »"«as hat schön gebrannt damals.« »Geb1·annt?« fragte Bohsem der sich gesetzt hatte und sie aufmerksan betrach tete. Er sah, daß sie noch nicht alt, kaum den Fiinfzigen nahe war, aber dasz Krankheit und vielleicht auch stum mer ihr unbedeutendes tåiesicht entstellt hatten. Zie schien bereits wieder ver gessen iu haben, wovon sie gesprochen; denn sie gab feine Antwort, sondern iauerte sich in dein Lehnstuhl lzusam men und begann, die Hände ineinander zu reiben, als wenn ihr friere, troh des glühenden Ofens, trotz der schwarzen, gestriekten Jacke, in die ihr Lberlörper fest eingetniipft war, nnd trotz des lan gen, weißen Shawls, den sie um Fion und Hals gewunden hatte. ,, s ist so kalt hier in Miinchen,« sagte sie, »ich mag hier nicht sein, es ist so kalt hier. « Zum ersten Mal bemerkte Boysen die Eigisiitlsiiiiiliitskisit, von der Zafsi erzählt, daß die Frau den Begriff von Zeit nnd Ort verloren hatte, daß sie ergangenheit und Gegennnnst s innlos durcheinander warf. Er kam vielleicht am weite-sten, wenn er ans ihre Ideen einging; so sagte er nur: »Ja, es ist kalt in München, es liegt zu hoch. Warum sind denn die Anderen ausgegangen bei dein schlechten Weiten-« — »Ausgeganasn, sowohl, ausgegan gen.« Das war Alles, was sie erwiderte; »nun schwieg sie. und rieb von Neuem »die srierenden Hände, indem sie mit ihrem Stuhl sieh noch dichter an den Ofen herandriingte. »Und sie sind Alle fort, Alle ausge ganaen«.-« »Alle-Alle—««?llle.« Er hörte, das: sie die Worte zuerst nur wiederholte, ohne einen Sinn darin zu suchen. Atl mälig aber schien es ein wenig klarer zu werden in ihrem runden Gehirn; denn sie sagte nach einer Pause: »Alle ausgegangen, der Alte und dat- Mild ehen und Heinrich. « ,,Heinrich?« Sie bedachte sich einen Augenblick, dann fiiate sie hin;u: »Der kommt gleich wieder-, der ist nur gegangen, Sennneln holen bei Buterweit Beim reichen Buterweek, der hat jetzt Geld wie Heu. Ja, wenn ich den genommen hatte ! « » Hoch anf horchte Boysen bei dem be- " rannten Namen. Es konnte sein Freund nicht sein, von dem sie sprach, auf den Bäcker, seinen Vater, verwies deutlich die wunderliche Rede. Woher konnte sie ihn kennen, den seit Jalren Ver storbenen, den einfachen Bii er in derJ ernen ProvinzialftadtP War sie selbst einmal dort gewesen, befanden sich hier; vielleicht die unbekannten Straßen und ; Plätze-, deren Namen Sasfi gehört inH sden irren Reden der kranken Frau?’ lDie Worte: »Wenn ich den genom fmcn l)titte!« denteten auf engere, nähere Beziehungen zu jenem Ort nnd n jenem Manne-, durch dessen Namen sie Bohs en iiberrafchte. i Er hatte schweigend einen Augenblick überlegt; nun fragte er rasch: »Der wollte Sie heirathen, nicht wahr?« Aber während seines Schweigens war ihr der Faden des Gespräches schon wieder entglitten. Sie gab keine Ant wort, sondern begann zu reden, bunt durcheinander, was ihr in den Sinns kam. » »Ja, gestern waren wir tm Praterl und heute gehen wir aus die Piazza d’armi, da vorn, wo die Buden tehen. I Da ist es schän! Sie sehen mi ) Alle an, weil ich bloud bin. Ach ja, es ist lange her! Und es ist heute so kalt. Jch wollte, er wäre wieder zu Hause. Aber es gibt mehr Unglück in der Welt —ach, die artne Frau Boysen!« Schreckersiillt sprang er empor. Das konnte nur seine Mutter sein, von der sie sprach in diesem Tone des Mit leids! Zum zweiten Male im Laufe des seltsamen isiespräches nannte sie einen Namen, der heitntvärts wies in die Vaterstadt, nnd nun war es dieser Name, den er selber trug, den mit ihm das geliebte Wesen theilte, an das ihn eben diese traute-, verwirrte Frau ge heimniszooll erinnert hatte. Er wußte -——zu seiner L.ual«daß er vergeblich ssragcn würde, aber wider seinen Wil len drängten die Worte sich ihm aus die Lippen: »Kennen Sie Frau Bot)sen«.-«« Der Ton seiner Frage war so drin- x gend, er war in seinem Eifer so nahe? zu ihr herangetreten, dasz sie erschrak. »Nicht schlagen!« rief sie und hob die mageren Hände abwehrend empor. »Ich labe nichts gethan, er ist von selbst )ereingekommen, ich habe nicht aufgemacht. « - Langsam wich Boysen von ihr zu rück. Ihr Geist schweifte schon wieder auf anderen Bahnen, er konnte ihn nicht leiten, ihm die Wege nicht wei sen, die er wandeln sollte. Aberes war eine bittere Qual, dieser Kranken gegenüber zu stehen, den Jrrlichtspriini » gen ihrer wirren Seele zuschanen zu! müssen, ruhig- abzuwarten, bis ein plötzlich auszuckender Schimmer das Dunkel erleuchtete. Nun Bohsen wieder fern von ihr dastand, ward sie ruhiger, und der Aus druck des Schreckens in ihren matten Augen verlor sich. Sie begann wieder vor sich hin zu reden. »Die Nachbarin sagt, das; nichts erauskommen würde. Aber es gibt luge Leute mit spitzen Nasen. Sie hat ihr nettes Tuch um gehabt, das roth und blau iarrirte. Ein hübscher Herr, hat sie gesagt, mit schönen, blauen Augen« Sie blickte aus Botsseuz er hatte das » Gefühl, daß er es war, von dem sie so redete. Die Zeit ver-rann, die Anderen » konnten heimlehren—-gab es kein Mit tel, die Erinnerung zu weckenin diesem schlummernden lsieistP Er vermied es diesmal, sie In erschrecken, aber er hef tele die Blicke fest anf ihr Gesicht, als könne er sie zum Reden bringen durch magnetische Kraft, und jede Silbe deutlich betonend, fragte er: »Sie haben Valesla gekannt, nicht wahres-« »Valesla ist ein schöner :liame,« sagte sie mit leisem Lachen, »ich wollte, ich hieße Valeska.« Dann jedoch verlor sich das Lachen, ein Schauder iiberlies sie, durch eine er wachende Erinnerung erzeugt, und mit bittender Stimme sagte sie-: »Aber ich heiße nicht Ball-sta, glauben Sie nicht, daß ich Valesia heiße.« Sie versank in Schweigen, doch die « Angst in ihrer Seele schien zu wachsen;. er sah, wie ihr Körper liebte nnd wie die Hände sich sein flehend zusammen krampsten »Ich will nicht todt sein!« rief sie. »Es ist nur ein lleines Weh in der Brust, aber sie ist doch todt und steht nicht wieder ans. Das schöne, neue Kleid ist ganz voll Blut. Tasiir habe ich es nun genähtl lind er hat es dock » gethan, ich weist es fganz gut, nur da tch es nicht sagen dar s Jhre Stimme war immer leiser ge worden, und von diesen ersterbenden, von den angstvoll auf ihn gerichteten Augen gelockt, trat Bohsen langsam wieder nahe zu ihr heran. Diesmal er schrak sie nicht, wie zuvor, sie schien einen Helfer, einen Tröster in ihm zu erblicken, umklammerte seine Fand und preßte ihre kalten, zitternden in ger fest in die seinen. »Ich soll ja schwören, i soll ja vor’s Gericht! Und ich kann och nicht schwören, was nicht wahr ist, ich will nicht in’s Zuchthaus, da ist es noch käl ter. seh weiß es ja ganz genau, als ob ich dabei gewesen wäre. Er hat es ge than, vor einer Viertelstunde war er hier. llnd Jaritz hat mir gesagt, daß er es gethan hat.« Jaritz-—der dritte Name, herüber klingend aus den fernen Tagen der Kindheit, austauchend aus einer schni tenhaften Vergangenheit, in der er be graben geschiencn. War dieses kahle Zimmer mit seinem griinlichen Licht, mit seiner dumpfen Gluth, in der die eingepreßte Luft zu erzittcrn schien, die Behausung einer Seherin, eines Zau berweibes, das Verborgenes zu künden wußte? Zerrissen vor diesem kranken Geiste die Schleier, die Gewesenes ver hüllten, zog diese Frau, anstatt die Zukunft zu künden, die graue Decke von ioder und Staub hinweg, unter der sich entschwundene Tage verbargen? Vermochte sie Todte zu erwecken und Menschen reden zu machen, die atten schweigen sollen sür immer und die nun Dinge veriiindeten, vor denen sie selbst erschrak? Immer noch zitterte ihre lHand, mit der sie sich angeklammert hatte an Bohsen, und er fühlte, wie die Pein ihrer Seele herüberstromte in die seine, auch ihn durchschauernd mit einem unklaren Graus en. »Nichts wiedersagen,« flehte sie leise- »er schlägt mich, wenn er es hört ! «Und die Herren vom Gericht ollen es auch nicht wissen, ich will ni )t schwö ren. Sie wird ja nicht wieder le endig davon und singt ja doch niemals wie der.« »Ich sage es Niemandem, keiner soll es erfahren. Aber mir können Sie sagen, wie er heißt, nicht wahr? Das müssen Sie noch thun, da Sie mir schon so viel erzählt haben.« Er fühlte, wie ihre Finger sich lösten, die seine Hand umfaßt hielten, und sah, wie ein neuer Ausdruck von Spannung auf ihr Gesicht trat. »Er kommt nach Hause,« fliisterte sie, ,,gehen Sie dort hin, setzen Sie sich an den Tisch. Er darf nicht mer ken, daß Sie hier gewesen sind. Jch will im Gesangbuch lesen, dann wird er mich nicht fragen. « Bohsen gehorchte ihren dringenden Bitten und setzte sich auf den Platz, den sie bezeichnet hatte. Sie aber that, als halte sie ein Buch in den Händen, als blättere sie darin und beginne zu lesen, wobei sie die Lippen gleichmäßig bewegte. Nun hörte auch er ein Ge räusch auf der Treppe, dann ward im Nebenzinnner eine Thiir ausgeschlossen und Stimmen crtönten, unter denen er die Saffis zu erkennen meinte. Es widerstand ihm, durch Schweigen seine Anwesenheit zu verleugnen und unge sehen sich fortzuschleichen. So begann er, von Neuem laut zu der Kranken zu sprechen, gleichgiltige Worte, die sie durch itngstliches Kopfschütteln beant wortete. Vom Nebenzinnner her aber kam, sobald er zu reden begann, der Ton sich nähernder Schritte, die Thiir ward geöffnet und Herr Gloystedt stand vor ihm. Einen Augenblick nur zeigte sich auf dem gelben Gesicht ein Aus druck der Unruhe, des Unbehagens, dann legte sich’s in freundliche Falten, und mit einer höflichen Verbeugung begrüßte der Heimgekehrte seinen Gast. »Herr Bohsem wenn ich nicht irre,« sagte er, »das ist ja eine ganz besondere Ehre. Da hast Du ja einen seinen Besuch gehabt, Mutter; ist recht, daß Du ihm aufgemacht hast, bist eine ver ständige Frau.« Er war zu der Kranken herangetreten und hob die Hand, sie auf die Schulter zu klopfen; sie aber zog sich hastig vor ihm zurück, als erwarte sie eine weni ger liebevolle Berührung von dieser Hand. Er lachte und sah mit seinen blitzende-n Brillengliisern zu Bohsen hinüber. »Bist eine närrische Person, Alte,« sagte er, »kennst mich wohl nicht ein mal heute, daß Du so ängstlich thust? Ach ja, Herr Bohsen, es i t ein Leiden mit so einer Kranken. c--ie haben es wohl schon gemerkt, wenn Sie ein Stück mit ihr geplaudert haben. So ist sie nun schon seit vielen Jahren, es kommt kein verniinsti es Wort aus ihrem Munde-. Der liege Gott hat mir ein schweres streuz auferlegt.« Er zog ein Taschentuch hervor und führte es an die Augen, während cr die Brille ans die Stirnhinausschob. Boh sen aber achtete nicht auf ihn; Sassi war in die Thiirössnung getreten, sobald sie seinen Namen gehört, hatte Zu mit einem tiefen Blick, in dem sich esorgniß und Freude mischten, be griißt nnd trat nun heran, da der Alte schwieg. .,Gnten Abend, Herr Bohsem « sagte sie und hielt ihni die Hand entgegen. Er sah, daß sie blast nnd leidend aus Zchauth wie nach einer dnrchwachten iacht. »Was briiigeii’oriiw Gutest« fragte sie mit einem Versuch, den alten, heiteren Ton wiederzufinden, aber er hörte wohl, daß eine bange Sorge-vielleicht um ihn selbst-aus ihrer Frage hervor-klang. »Ja, was verschafft uns die Ehre, wenn ich sragen barst-« begann der Alte von Neuem, dessen Rührung rasch ver gangen war, als er Sassio Kommen