Grand Island Anzeiger und Herold. (Grand Island, Nebraska) 1893-1901, November 22, 1895, Page 5, Image 5
-— Wer Ifremda » Rom-n von Robert Kahn-ansch. (Forisepung.) F. K il p i t c l. Zwei Tage hatte Bohsen s ich gesetzt ( wie lang erschienenihin die Stunden eser Tage!—bie er der Einladung - ir. Sealssields solgte, seinen Besuch m Nachbar-haust ab usiatken. Erniochte nicht zudringlich erscheinen, wallte den Eindruck meiden, als koniine ei· wegen des endgiltigen Kauseö dee Othellw Bildes. Berstohlen spiihte er durch die « Gardinen iiber die Straße hinüber-, ,uer er sah weder Eva, noch ihren —" ther, und auch in der Ansstellung, ", er täglich stundenlang umherschlen Trte, suchte er Beide vergebliai. Wenn . r es endlich ansgah, sie noch in ent «« eisen, dann ließ er die Augen auch J- ·ohl suchend durch die Siile sanreisen, « ab er nicht Sassis zierliche, im Gehen ausi lich wiegende Gestalt in der enschenmenge erblickte. Aber auch .ie blieb ferti, und iin Nrnnde war « r zufrieden, daß es so war. Ihre leh ten Worte freilich, ihre halb ausge sprochene Warnung beschäftigten seine «’ edanlen, doch als er Buterweck von . ."Begegiiiiiig in der Ausstellung » Jst-J, war dieser zum ersten Mal is« ft heftig gegen ihn geworden d hatte dein Freunde vorgeworsen, ,- aß er falsches Spiel mit ihm treibe. s ann war er lange Zeit schweigend im " k- mer aufs und abgelaufen, hatte sich - angsant aus sich selbst besonnen und, « schließlich seiner guten Natur gehor -iiiend, den ungerecht Beleidigten um ’« Terzeihung gebeten. Zugleich aber tte er Bohsen das gern gegebene Jkersprechen abgenommen, sich Saffi nicht weiter zu nahern. So war die ssMiiglichkeit ausgeschlossen, sie aufzu « chen und den Rest, den eigentlichen » nhalt ihrer Warnung zu hören, von -r Bohsen dein eisersiichtigen Freunde « ichts gesagt. Wenn Safsi ihm in der Ausste lung zufällig begegnete und ihn nsprach, dann hatte er sein Versprechen s-«it gebrochen und erfuhr doch viel chi, was er wissen sollte, aber lieber »ar- es ihm schon, wenn er den Freund —atich ohne eigene Zchnlds——nirht auf’s — eue tränkte. Andere Gedanken erfüllten daneben seinen Geist und ließen Zasfio Bild anehr und mehr erblassen. Der bevor ehende Besuch bei Evas Vater, das W edersehen mit ihr in ihrem eigenen z; Keim, das er zum ersten Mal betreten sollte, driingte alles Andere in den »Es ergrund. lind uni sich davon abzu n, hatte er sich Hals iiber stops iti ei e« Arbeit hineinget·tiir;t, die ihm eigentlich keine Arbeit war, mehr ein — stiges Spiel der Gedanken, eine 1cisrfrischnng der stets nach irgend einer Form des Ausdruekes ringenden Zeelc. «r hatte den Professor Bach besticht, war von ihm und seiner Frau mit ge xssnender Herzliihkeit, von der kleinen Uartha mit drolliger Wurde, die nicht Enge vorhielt, aufgenommen und hatte erfahren, daß man wirklich in Noth sei » nin den Dichter eines Festspiels siir das «· bevorstehende große ttiinstleriesr Sogar «eine Konkurrenz wollte man aiieschreii ben, um Lust und straft zum Dichten - anzuspornen. Seit er dao gehört, » te es aus und nieder von bunten Wtaltem Bildernund Reimen in sei ner Seele-worum sollte er es nicht s versuchen, mit ost erprobter und leicht i elibter Kunst den Beranstaltern des stes aus der Verlegenheit zu helfen? Er hatte sich den Plan in großen siigen schildern lassen, und indem er sch hinein vertieste, tauchte dat- reiche, s strahlende Venedig des Mittelalters vor ihm empor, mit weißen Marmor palilsten hinausglänzend iiber die Lagu nen, während der Lotve des San Marco leuchtete iin heißen Sonnenlicht. Nasch füllen die weißen Zettel aus dem ibtisch sich mit Versen und Ent en, leicht hingeworfen ohne viel Zaudern und Ueberlegen, wie sich's geziemt siir ein heiteres Spiel MEC war am Vormittag des dritten ages, der ihn hiniibersiihren sollte in's Nachbarhaus, als er wieder ein mal an diesen Schreibtisch herantrat-— ein paar Verse waren ihm eingefallen, die er festhalten wollte. Als er nach dein Papier griff- das ihin am nächsten lag, erkannte er, daß es ein Brief war, noch uneritssnet, an ihn adressirt. Aber es war keine bekannte Handschrift, die er daraus erblickte—tnit großen, unge lenken, scheinbar versiellten Zügen war sein Name mit Bleistift geschrieben, das Konvert war uiniiodern utid von schlechtem Papier. Kopfschiittelnd öff nete er das Schieiben-——ein Blatt. viel leicht aus einem Notizbuch herausgeriss sen, steckte darin. Es zeigte dieselbe andschrift, wie das trouvert, nur i ige Worte, gleichfalisniitBleistist mühsam hingezeichnen standen darauf. i « iiie Dich, aus dein Wege weiter zu i, ge n, den Du angefangen hast«-das I war Alles. Kein Darum, leiiie Unter sschrisk, kein weiterer Anhalt irgend f welcher Art. Auch das Konvert gab keine Auskunft. Der Brief war mit der Stadtpost befördert uitd in den ersten Morgenstunden abgestanden-er ni " in aller Frühe, wahrscheinlich ex t in der Nacht zur Post gegeben ·« ein. Je mehr Bohsen die Handschrift ; trachtete, mn so klarer ward es ihm, der Schreiber entweder wirlli ebildeter Mensch war, oder da » - die olle eiiies solchen gut gespielt M aame Mike dteles Bete- ’ Eses wies in die Tiefen der Gesellschaft. s Was hier geschrieben stand, war eine Warnung, und in unwillkürlicher Jdeenverbindung dachte Bahsen zuerst an Sassi. Aber bald erwachten Zweifel un der Richtigkeit dieser Spur. Solch’ unbestimmte Warnung hatte sie ihm jbereits ausgesprochen, was hiitie die dunkle, gehennniswolle Wiederholung »derselben Mahnung in anderer Form !geniiht? Auch war sie in all’ ihrem F Thnn zu zierlich, zu gewandt, um solch’ Jungelenken Brief zu verfassen. Und zwas die Hauptsache: ohne Eitelkeit zmußte er sich's gestehen, daß er ein i starkes Gefühl, eine heiße Liebe in ihr ;erweckt hatte —- wenn sie ihn warnte, idann bereitete sie sich gewiß auch zu ;gleich die Freude, ihn zu sehen, zu ihm qu sprechen, sden Dank von seinen Lip Ispen zu hören. Trotzdem aber hielt der z Gedanke an Safsi ihn ab, dem Freunde xdas seltsame Schreiben zu zeigen —- er kußtch daß Eifersucht und Vernunft igqr schlechte Freundinnen sind, und sdaß ein besangenes Auge zwischen den« JZeilen lesen könne, was dort nicht stand. Auch den Diener zu fragen, ver ;schunihte er —- daß ihm von dort keine Wahrheit kommen werde, stand ihm setzt fest, und vielleicht hätte der Bursche auch in der That nichts Ande res auszufegen gewußt, als daß der Brieftriiger den Brief abgegeben. Was Boysen mehr beunruhigte, als« die li..gewißheit über den Absender, war die Warnung an fich. Zum zwei ten Male ward eine solche ihm zuge »rufen, und doch vermochte er nirgends um sich her eine Gefahr, ein drohendes Mißgeschick zu erblicken. Sah er es vor sich, konnte er dem ilnheil in’s Auge schauen, dann hatte er auch den Muth, »den Kampf mit ihm aufzunehmen. HAber dies iinbestimnite, Dunkle, Ge heimnißoalle beklemmte ihm die Brust, und die Worte des Fremden klangen wieder an sein Ohr: »Zniueilen ist man von einem Neue umsponnen, ohne daß man es weiß-« Zugleich aber gaben diese nachhallenden Worte seinem Denken eine andere Richtung. Da driiben, jenseits der Straße, weilte die Lichtgestalt, vor deren Anblick—das mußte ers——die sinsteren Gedanken ent fliehen iviirden, wie Nacht und Nebel vor dem sieghaften Licht. Er sollte heute die Sonne schauen dürfen — was fragte, griibelie und zauderte er noch langer? Rasch kleidete er sich an siir den « Besuch, dessen Stunde gekommen war, »und schritt hiniiber in’e Haus des Anierikanerd. Ein kiihler Hauch kam ihm entgegen, alo er das schwere sEichenthor geöffnet und auf feinen Druck an der elektrischen lsilocke ein Diener die Entreethiir vor ihtn aufge than halte. Triibeö Halblicht herrschte im Treppenhaug, das reich gebaut, aber ohne behaglichen Schmuck geblie ben war und in dem schwarze Marmor stusen nach oben leiteten. Bohsen sah das, während er auf die Niickkehr des Dienero wartete, der gegangen war, ihn zu melden. lind indem er die diistere Pracht beschaute, tam ein Ge fiihl deo Mitleide, die Liebe verstar »iend, iiber ihn fiir das junge, zarte Geschöpf, dao in dieser ernsten Um gebung des Lebend Bliithenjahre welt abgeschieden verbringen mußte; Der riickkehrende Diener bat ihn, zu folgen, und siihtte ihn durch ein paar leere Zimmer itt dao Gemach des Haud herrn. Eva war nicht zugegen, aber Mr. Sealefield katn auf den Besucher zu, die Hände ausgestreckt zu herzlicher Begriifzung, ein freundliches Lächeln auf dent ectigen, jetzt wieder gesunder-e Farbe tragenden Gesicht. »Seien Sie mir willkommen, herz lich willkotmnen,« sagte er, und eswar so viel aufrichtige Freude, eine tiese, kaum versteckte Bewegungsogar in dein Ton seiner Worte, dafz Bohfcn fast erstaunt, aber zugleich mit dem Gefühl einer warm aufanellenden Dankbarkeit ihn anschaute. War es doch der Vater der Geliebten, der zu ihm sprach, und so weckte sedeo freundliche Wort einen doppelten Widerhall in seinem Herzen : Dank und Hoffnung »Ich habe ein paar Tage vergehen lassen," entgegnete er bescheiden. »Ich wollte nicht zudringiich scheinen." »Wie wenig Sie mich noch kennen! Wenn einen Einsiedler einmal die Lust nach einem Menschen anwandelt, dann wartet er auf ihn tnit größerer Span nung, alo eo bei anderen Leuten ge schieht. Aber nun sind Sie ia da, wir werden einander besser kennen lernen Sie setzten sich nieder, und Mr. Sealssield betrachtete den Maler mit einent langen, prüfenden Blick. »Sie heißen Richard, nicht wahr'." fragte er, und als der Andere stimmt bejahte — verwundert iiber die Wiederholung der Frage, die er schon einmal beantwortet --nturmelte der Amerikaner ein paar Mal halblaut, indem er sinnend dazu nickte: «Richard Pausen-—- Richard Bohsen.« Dann warf er den sion mit energischer Bewegung zuriick, als wolle er andrangenden Gedanken wehren und sagte «Wir warten mit Ungeduld darauf, daß Ihr Bild nun wirklich unser sein wird hier in unseren Räumen. Wie fteht’o mit dem Erfolg, was sagen die Leute«-« »Ein paar bösartige Kritiken auo modernen Federn kümmern mich nicht --im Uebrigen habe ich viel Gutes ge hört und bin sehr gliictlich." «Gliicklich und bescheiden, so isteo recht. Ihnen sehe ich's an, das; Sie sich durch den Erfolg nicht verderben lassen-« .Ich verstehe ee nicht, wie der Erfolg den Menschen unbescheiden machen kaut-. Deo beste an den Sachen- die H wir schaffen, gibt sa doch nicht der Fleiß-Hure viele Menschen sindsleiszig in ihrem Verusl—das gibt nur die Gnade des Himmels, eine verborgene, geheimnisivolle Macht in unserem Innern, die uns selbst ost liberrascht und sast erschreckt-« Mr. Sealssield nickte wieder niit iiachdenilicher Miene, dann fragte er haltigt « »Und haben Sie Nachricht von zu Hause? Hat Ihre Frau Mutter sich iiber den Verlauf des Bildes gefreut?» »Ich bin ein wenigin Sorge um sie. sAuf mein Teleqrannn hat sie nur mit Yein paar Worten-sehr herzlichen frei lich-—an einer Postkarte erwidert. Das istsonst nicht ihre Art, und ich siirchte beinahe, daß sie trank ist.« »Man» Das wollen wir nicht hof sen! Ich miifzte sonst fürchten, daß ich Ihnen linglitck gebracht hätte.« Der Amerikaner hatte die Worte rasch hervorgestoszen nnd es war Bohsen nicht entgangen, daß er nervös zusam niengeschrerlt war. Jetzt aber hatte er sich wieder gefaßt und sagte mit einer Stimme, die weicher klang als sonst »Nein, nein, das wollen wir nicht hoffen. Konnnen Sie, erzählen Sie mir ein wenig von Ihrer Mutter. Wundern Sie sich nicht iiber meine Bitte, auch ich bin ein guter, liebevol llen Sohn gewesen, so lange meine iMutter lebte, aber ich habe sie sriih ver ?loren.« Er hatte den letzten Sas auf eine Frage in Bohsens Augen hinzugefügt, und als dieser die Erklärung des Ver langens gehört, das ihm zuerst seltsam erschienen war, begann er freudig über ein Thema zu plaiidem, das ihm so sehr am Herzen lag. Er erzählte von einer Heimath, von seiner Jugend, von der innigem unzerstörbaren Liebe, die ihn mit seiner Mutter siir Leben und Tod verband. Aber es schien i m, ais interessire sich Mr. Sealsfieldi nicht allzu sehr fiir das, was ihm die’ Hauptsache war. Oft unterbrach er ihn durch Fragen, die ihn iiberraschten, weil sie Dinge betrafen, die dem« lFremden ihrer Natur nach fern liegen ; ;munten. Und einmal, als er das Aen- s zszcre der Mutter geschildert und ihr sweißes Haar erwähnt hatte, sah er, Ewie der Amerikaner beinahe erschreckt iemporblickte i »Weißes Haar?« fragte er. »Ist Ihre Mutter so alt?« - »Nicht alt im eigentlichen Sinn. Aber sie hat sich sehr gegramt um den Tod des Vaters, und das hat sie ge saltert vor der Zeit-« ; »Um Ihren Vater? Eristim Kriege sgebliedem sagten Sie, nicht waler »Er verstummte, dann fügte er leiser nach einer Pause hinzu: »Ja, ja, das kommt, wenn man sein Herz zu sehr an einen einzigen Menschen hängt. Das rächt sich immer. Sie sind noch jung, hiiten Zie sich davor, hören Sie auf meinen Nath. Sonst kommt ein ;Tag, an dem Sie-mit einem Male merken, daß Zie ganz allein sind auf der Welt. Allein mit den Schatten jvon Hoffnungen, die Sie begraben haben, und mit Erinnerungen, die Sie ängstigen, anstatt Sie zu erfreuen. Die treten dann in der Nacht heran zu Ihrem Bett und hauchen Sie an mit ihrem kalten Athem, und davon erblei chen die Haare. « Er hatte immer leiser gesprochen, in kaum verständlichem Gemurmel waren die Worte erstorben. anien wagte nicht zu reden; er hatte das Gefühl, als » sehe er einen Nachtwandler vorsich, den er durch einen Ruf aus der Welt der Wirklichkeit wohl erwecken, aber auch verderben konne· Minuten vergingen in dem tiefen Schweigen, das durch die Worte des Fremden herausbeschworen war. Der ver-harrte noch immer in sei nem tt«aiunh-.1it verlorenen Zustand, nnd als er nun oou Neuem sprach, schien er eine Gedankemeihe fortzuspinnen, deren Anfang in jenem Schweigen begraben lag. »Ich möchte wohl wissen, was Sie davon halten,« sagte er in gedämpstem Tone. »Wovon?« fragte Bohsen erstaunt. »Nun, von dem Bilde. « »Von welchem Bilde?« »Ah so! Ich dachte, wir hätten davon gesprochen·« Er athmete tief nnd schaute Bohsen mit einem weltfremden Blicke an. Tann sprach er in veränder ter Art, als habe er sich aus sich selbst besonnen. » Jch meine das Bild mei ner verstorbenen Frau. Mir ist eslieb, denn es ist sehr ähnlich. Aber ich hörte gern das Urtheil eines Künstlers dar iiber; wollen Zie es sich ansehen? Und da kommt Eva gerade recht, um es Ihnen zu zeigen.« Die Thiir hatte sich geräuschlos ge öffnet, und Eva stand vor ihnen. Sie reichte Bonsen die Hand, und mit stil lem Entzücken sah er, daß ihr Antlitz gerothet war, und dasz ihre Augen leuch- « teten. Auch liest sie es geschehen, das; er ihre Hand langer in der seinen» hielt, als sichs gebührte. Aus des Vaters wiederholten Wunsch aber er-’ klärte sie sich gleich bereit, Boysen das Bild ihrer Mutter zu zeigen; der sBater machte keine Anstalt, ihnen zu folgen, auch forderte Eva ihn dazu nicht auf. So gingen sie- allein durch eine Flucht von Zimmerih die zum Theil durch herabgelassenc Bot-hänge in. alb licht getaucht waren, bis sie eines erra ten, das nach der Straße zu lag, nnd in dem Bohsen jenen Raum erkannte, der durch die geheimniszvvlle, allabendi liche Beleuchtung seine Aufmerksam-; keit erregt hatte. Sie blieben vor dem Bilde stehen, das an der SeitenIVand unweit des einen Fensters hing, und von dem man von drüben ein kleines"Stückchen erken . w--·--·-· J nen konnte. Eswar ein trefflich ge nialtes Portrait, ein anmuthiges Frauenbildnisi, das ein wenig schwer miithig mit jugendlichen Ziigen aus dein Rahmen herausschaute. Boysen betrachtete es lange, nnd im Anschauen war es ihm, als mahne eine merkwür dige Aehnlichkeit ihn an das Antlitz der Tisinttetx »Es ist seltsam« sagte er, »aber dies Bild gleicht auffallend meiner Mutter-. Wir haben auch von ihr ein gutes Irigeiidliildiiis:, und daran erinnert mich dieses. Hielte man sie nebenein- . ander, wiirde die Aehnlichkeit wohl ver schwinden, die Farbe des Haares, auch ! der Schnitt des Mundes ist anders-es ist mehr eine Aehnlichkeit des Aus druckes, der Seele-, von der ich sprecht-. Als hiitte die Natur eine Menschen-» seelc getheilt nnd in zwei verschiedene « Formen gegossen; an die schöne Lehre l von der Seelenwandcrung möchte ich denken, wenn die Beiden nicht gleich zeitig gelebt luitteu.« »Aber Ihnen ist es besser geworden, s als mir,« sagte Eva traurig. »Sie ist gestorben, uud dies Bild hier ist Alles, was mir von ihr geblieben ist. « »O nein,« sagte Boysen mit einem Ausdruck festen Bertranens in seinen Worten. »So rasch vergeht das Wirken J eines guten Menschen nicht. Wir leben noch nach, so lange Menschen da sind, die mit uns gelebt haben. Au in Jgres Vaters Seele —dessen bini » genn ——lebt Ihre Mutter nach unds schafft dort Liebe und Zärtlichkeit für Sie.« Eva sah ihn dankbar an. »Das ist ein gutes Wort,« sagte sie, »ich will mich niemals wieder be la gen. Aber fiir ein Mädchen ist es dop pelt schwer, ohne Mutter zu sein ; wir entbehren die Liebe so schwer.« Bohseu kämpfte mit den Worten, die sich ihm auf die Lippen drängten, aber das Alleinsein mit ihr, der milde, freundliche Blick, mit dein das Bildnisz ihn anschaute, gaben ihm Muth; er meinte, von dein stimmten Munde die Worte zu hören: ,,:).Iiache sie gliicklich.« So begann er mit tlopfendern Her en: z »Ich kann mir’s denken, daß Sie sich arm fühlen, ohne die Liebe der Mutter. Aber doch nur, bis eine andere, größere, gewaltigere Liebe zu Ihnen kommt, durch die Lippen irgend eines Menschen zu Ihnen spricht und Jhnen sagt: Da bin ich, lasf’ Dich glücklich machen. Fräulein Eva, glauben Sie an diese Liebe?« »Ich glaidbe daran,« sagte sie, aber kein Ton des Glücks zitterte inihrcr Stimme ; sie sprach ernst, beinahe feier lich, nnd leiser, gepreßt, fügte sie hinzu: »Aber ich werde meinen Vater niemals verlassen.« »Niemals'.-« »Nic, so lange er lebt. Er hat mich lieb, er ist krank nnd kann mich nicht entbehren. « ,,.il"ranle können gesunden, also auch er.« »Jch fiirchte, nein. Teun es ist mehr eine Krankheit det· Seele als des Körpers. Was ihn peinigt und angstigt, ich weis; es nicht, aber gerade an dieser Stelle, in diesetn Zimmer darf ich es nicht vergessen, wie trank mein Vater und wie nöthig ihtn meine Nähe ist.« »Und waruttt gerade hieri« »Weil ihn die Krankheit nach unse rer Herkuuft in diesem Raqu zum ersten Mal und am surchtbarsten ergri· fen hat. Wenn Sie darauf achten, so werden Sie sehen, daßjeden Abend und jede Nacht hindurch alle Lichter in die sem Zimmer brennen. Das ist seit damals, als er so krank war.« Sie blickte schweigend einen Augen blick zu dem Bilde ihrer Mutter empor; Bohseu wagte nicht zu fragen, aber auch ohne seine Aufforderung sprach sie bald weiter: »Friiher war mein Papa ein starker, energischer, zuweilen sogar harter Mann. Aber in den letzten Jahren, als wir driiben waren, erfaßte ihn oft eine eigenthiitnliche Unruhe, eine merkwürdige Hast laut in sein Thun und Wesen, ich kannte ihn nicht wieder, so sehr war er verwandelt. Und schließ liel gestand er mir’s, daß ein wunder li es Gefühl ihn plage, das Heimweh nach einem Lande, das er nientals ge kannt habe. Meine Großeltern sind Deutsche gewesen — der Name Seals ield ist nur angenommen — uttd nach hrer Heitnath, hierher nach Deutsch land, trieb ihn die Sehnsucht.« »Dars ich den Namen Ihrer Groß eltern wissens« »Sie hiesien Schilling und haben in Berlin gelebt, sind aber schon lan e ge storben Zo habe ich deutsches B ut in en Adern und ich bitt froh darüber. Ich freute tnich fast kindisch, als Papa sich entschlos;, von driibeu fort zugehen. Auch die Abreise betrieb er tntt der seltsamen Hast, die ihn ergriffen hatte, uttd erst aus der Fahrt wurde er rulis ger. Aber auch das nur fiir kurze Zett. Dann laut die Unruhe von Neuem über ihn, das Schiff lief ihm nicht rasch enug, er schalt über Kapitän, Mam sten und tlliaschine. Als wir in Ham burg ankamen, sagte cr, daß er nun ganz beruhigt uttd glücklich sei. Er be griifne das i«and, als sei es wirklich seine Heimath, fand Alles schöner als driibett und war fiir acht Tage so milde, sanft nat- sroh, wie ich ihnkaum ge kannt hatte. Aber dann-« »Damit-« Bohsen fragte es leise, da sie mit einein tiefen Seufzer die Rede abgebrochen hatte. »Dann kam es wieder und ward schlimmer tutd schlimmer. Jetzt weiß ich’s, er hat sich selbst belvgen, als er von Heimweh sårach Diese Unruhe selbst ist seine rauft-ein ein Uebel AI das m der Seele, oder doch iu den zuer bcn wohnt. Der Arzt gibt nur ils-« It die Schuld, um mich zu beruhig«i. Damals in Hamburg brach es uxh einer Woche von Neuem aus. Es tut dete ihn nicht in der Stadt, die .r zuerst so sehr gepriesen hatte ; er nahm den Vorwand, mir Deutschland zeigen zu wollen, wir reisten und reisteu, bis g; miide und trank war von all’ dem ehen. Durch Deutschland, die Alpen, Italien und Frankreich hat er mich ge führt, immer wieder vorwärts getrieben von einem Orte zum anderen. Es war wie eine Flucht!« Sie atlmete tief auf. »Da ist es heraus das Wort: eine Flucht! Ja, das ist das Gefühl, das immer stärker in mir geworden ist und mich immer mehr geängstigt hat. Es ist, als glaubte er sich verfolgt. Er, der Jedem frei iu’s Gesicht blicken könnte, der gewiß niemals etwas gethan hat, was er bereuen müßte. Aber wenn auf der Straße Menschen hinter uns gehen, so bleibt er stehen, um sic vorüber zu lassen, und wenn Jemand ihn an schaut, so kann er ihn anfahren ohne Grund-—Sie haben es ja se bst erlebt in der Ausltellung neulich. Damals hat er mich von Land zu Land, von Stadt zu Stadt ruhelos weiter getrie ben, bis meine Kräfte zu Ende waren, und bis er erkannte, er werde mich zu Grunde richten durch dieses Leben. Und sehen Sie, das werde ich ihm nie ver ge sen, und darum wiirde ich ihn nie mals verlassen, auch wenn er nicht mein Vater wäre —- da hat er mir ge zeigt, daß seine Liebe zu mir groß und start genug ist, um diese Qual in sei nem Innern zu besiegen. Als er ge sehen, daß ich die Unruhe und die Sorge zugleich nicht länger ertrug, da hat er ein Ende gemacht, rasch, mit einem Male. Wir sind hierher gefah ren, er hat sich dies Haus bauen la - sen, wir haben im Hotel gewohnt, bis es fertig war —- dann sind wir einge ogen in dies eigene Heim, das er voll tiebe siir mich hergerichtet hat-« « »Und das Leben hier, hat es keine; beruhigendc Wirkung auf ihn geiibt?« » »Zu Anfang habe ich es geglaubt, aber es war ein Jrrthuur Am Besten ging es, so lange der Bau und die Ein richtung dauerten, da hatte seine Un ruhe ein Zicl. Doch dann, als wir ein gezogen waren, als er die tiefe Stille dieses Hauses mehr und me r empfand, da ist die Angst, die ihn peinigt, wie der gewachfen. Damals erfuhr ich es nicht, denn er beherrschte sich mir zu Liebe mit gewaltiger Energie, bis dann in der einen Nacht-J Pervorqnelleude Thränen ließen sie ver tummen. Vohsen trat zu ihr, cr griff ihre Haud, die sie ihm nicht ent zog, und sagte: »Vertrauen Zie mir, erzählen Sie mir Alles, vielleicht erleichtern Sie dadurch Jhr Herz. « Wieder sah er die schnelle Verände rung, den raschen Uebergang von Schmerz zu ruhiger Heiterkeit, der ilm schon ein paar Mal an ihr aufgefaleen war. Während noch Thranen in ihren Augen schimmerten, lächelte sie ihn an und sagte: »Sie haben Recht. Das i t ja noch das Beste am Kummer, daå er und theilnehmenden Menschen niiher bringt. Ich will es Ihnen erzählen, was in jener Nacht geschah. Mein Schlafraum ist nur durch ein Zimmer von diesem hier etrennt, das damals noch nicht erleu tet war· Nur der Mond schien, und sein Licht fiel gerade aus das Bild Pier von meiner Mutter, wie ich später ah. Ich hatte geschlafen, gut und est; denn in der Ruhe der Häusli keit hatte meine kranke Schwäche sich rasch verloren. Es war vielleicht ein Uhr, als ich geweckt wurde durch einen Laut, den ich niemals vergessen werde. Es war kein eigentlicher Schrei, mehr ein unterdriiittcr, unartitulirter Hi seruf, aber so voller Angst und Pein, daß er mich emporsahren und horchen ließ. Er wiederholte sich nicht, ich auschte ver gebens. Und doch konnte ich mir nicht einreden, dasz iche nur geträumt hatte. Auch über die i ichtung, aus der der Ruf gekommen, war ich nicht im wei sel. Jch stand auf, warf meine K eider über und ging mit Licht hierher in die ses Zimmer· Mein Ohr und mein Gesiihl hatten sich nicht getäuscht. Ich kam zu rechter Zeit; hier auf dem Boden, lang hingestreckt, lag Papa regungslos im Starr-trampf. Es dauerte lange, bis ich ihn zu sich brachte, bis er sich in sein Zimmer führen ließ. Als er die Sprache wieder gewonnen hatte, war das Erste, daß er mich nachschanen ließ, ob Niemand von der Dienerschaft wach geworden sei, und als ich ihn darüber beruhigt hatte, mußte ich alle Thüren verschließen und mich zu ihm setzen. Er wollte mir das Versprechen abnehmen, keinem Men schen, auch keinem Arzte von seinem Zufall zu sagen, doch darin habe ich ihm nicht nachgegeben. Abgerungen durch stundenlanged Bitten habe ich ihm die Erlaubniß, heimlich, allein hinaus zu gehen in die Nacht, um einen alten, zuverlässigen Arn zu holen, den ich in der eigenen Krankheit kennen gelernt hatte. S o habe ich damals zum ersten Male den Weg gemacht, ans dem Sie mich dann bei ähnlicher Gelegenheit trafen.« »Und haben Sie niemals erfahren, was ihn in diesem Raume erschreckt ben kann, wie er iiberhaupt hierher am mitten in der Macht«-« »Nein- Jedesnmh wenn ich davon u reden begann, sah ich, wie die Angst ihn von Neuem erfasite; da habe ich denn nicht mehr gefragt· Im Zimmer ier war nichts zu entdecken, es war les wie sonst. Seit iener Stirn-de avet vtennen in jeder Nacht hier die Lichter.« »Seltsam — seltsam und traurig. Was müssen Sie gelitten habenin die ser Einsamkeit neben dem kranken Vater! Aber nun haben Sie einen Freund gesunden, dessen höchster Wunsch es ist-das müssen Sie iihlen, Ihnen bei ustehen, Ihnen zu dienen.« sie sah ihm lange und ruhig in die Augen, dann sagte sie: »Ich ji«-hie ce. Würde ichs neu das Alles sonst erzählt haben? ber nun lassen Sie uns wieder hinüber zu Papa; er wird sich schon gewundert haben, was Sie so lange an dem Bilde zu sehen gehabt. « Sie gingen langsam den Weg zurück s den sie gekommen waren. Die Sonne iwars ihr Licht aus die herabgelassenen sBorhiinge und umwob die beiden Ge stalten mit einem warmen, gelbli en Schimmer. Mr. Sealssield saß in ich »versunien, traumerisch in die Ferne blickend da, als sie sein immer be « traten; er schien ihr langes ortbleiben ,nicht bemerkt zu haben. Auch ließ ihm Eva nicht die Zeit zu einer Frage. »Heute Dir, Papa,« sagte sie rasch, öFerr Boys en findet, daß das Bild von ama seiner eigenen Mutter ähnlich sieht.« »Finden Sie das auch?« ,,Auch?« Boysen stieß die Frage hastig hervor, nnd es schien, als wecke ein Wort den Träumenden aus. »Nicht doch. Wie kann man so zer sstreut sein und so thörichte Fragen thun!« i Mr. Scalssield versuchte zu lachen, aber es war mehr ein Zug des Schiner zes, der dabei seinen Mund umspielte: »Ich war so tief in Gedanken,« fiigte er hinzu, »daß ich kaum gehört ’halie, was Eva spra .« - »Daß Herr Boy en das Bild von Mama seiner Mutter ähnlich gesunden hat, sagte ich.« »Aehnlich'.- Seiner Mutter? So, so? Ich glaube—was i tdas wieder?« Ein feiner, heller on hatte das Haus durchzittert, der Laut einer elek trischen Klingel irgendwo in den unte ren Räumen. Aber Mr. Sealssield fuhr bei dem fernen Klange zusammen, als ertöne eine laute Glocke dicht an seinem Ohr; dann eilte er ueiner Thür, die unmittelbar auf den orridor führte, trat hinaus und spähte über das Geländer der Treppe nach unten. In dein Schweigen, das entstanden war, hörte man in der Tiefe ein paar un deutliche Stimmen, deren Rede nicht zu verstehen war. Dann siel eine Thür in’s Schloß, und es ward still. »Was war das ivieder?« schrie Mr. Sealsfield in’s Haus hinab, laut und heftig. Eine Antwort kam, auch sie nicht verständlich fiir die Beiden im Zimmer. Dann rief der Hausherr: »Ich bin siir Niemanden zusprechen. Für Niemanden, vergessen Sie das nicht« Er trat in das Gemach zurück ; die träumerische Stimmung war nervöser Erregtheit gewichen. Ruhelos gin er auf und nieder, riiekte an den Stüh en, nahm einen Gegenstand auf, um ihn wieder niederzulegen, und begann das Spiel von Neuem, bis ein schwar es Buch von großem Format ihm in ie Hände kam, das er aufhob und Boysen entgegen hielt· , »Meine Lieblingslektiire,« sagte er. »Id- erzählte Jhnen schon davon.« »Was ist es?« »Lombroso, ,Der Verbreeler.’ Ein interessantes Buch, das Sie es en müs sen. Eines von denen, worin die Revo lution wohnt, die stille Revolution unseres Jahrhunderts, die von der Wissenschaft gemacht wird. Da geht viel alter Plnnder zum Teufel, ehr würdiger Plnnder, der uns heilig war, weil er es den Vätern und Großvätern gewesen ist. Ja, diese cingewnrzelten, festen, nnerschiitterlich ge laubten Be griffe, die wir ererbt ha en und mit enen wir ausgewachsen sind, je t wird »auch an sie die Axt elegt. Und sie fal ;len, jawohl, ie fal en! Alles ist Kon svention, dnr die Nothwendigkeit er ,gu t, durch diesen harten Kampf um’s I asein Auch das Verbrechen ist nur sein leerer Begriff, aus dem Selbst .erhaltungstriebe geboren. Die Natur viilker kennen ihn nicht; bei ihnen ist Diebstahl Zeitvertreib, der Mord eine ehrenvolle oder doch leicht gesiihnte That.« »Was willst Du? Es schadet Dir inicht, wenn auch Du einmal von diesen ? Dingen hörst, die ein kluger Mann uns berichtet. Weißt Du, was es bei den Afghanen kostet, einen Mord zu sühnen? Nein, Du weißt es nicht? Zwölf Wei ber kostet ein Mord, sechs aber mußt Du zahlen, wenn Du einen Ohrring stiehlst. Ein Menschenleben wiegt also nur doppelt so viel, als ein Ohrring.« Jetzt lachte er wirklich, ein hartes und kaltes Lachen, das Evas Gesicht erblas Jsen ließ. Er aber hatte keinen Blick idafiir nnd fnhr immer lebhaster fort: »Aber es gibt auch Völ er, wo das Verbrechen zum Verdienst wird. Für den Fidschiansulanerist es das be eh rcnswertheste t-oos, ein bekannter eu chelmörder zn sein, und auf Bomeo findet kein junger Mann ein Weil-, der nicht zuvor mindestens einen Mord begangen hat. Was sagen Sie dazu Herr Bonsen«.- Sie sind ja in dem Alter, in dem man an’s Heiraten »denkt!« Er hatte sich isn einälwildc - »re nng hineingeredet; eine ugeu - keizten wie Stahl, sein Mund war-cea zerrt. Boysen empfand einen Widerwillen »den er nicht nieistern konnte- er ian und sagte so ruhig, ais er vest Imän . . i is . . ..«........·...... «