Fsz Der Fremde « Roman oonYobert Kahn-ansch. Is s. i Gassenan Im Zwetiet an seiner Muttert War es denn Inoqlich, daß feine Ge da·-ken sich io weit verirren hinnen? in Zweifel an ihr, in der sich lin fchnsd und Reinheit fiir ihn oertörpert j hatt « , seit er gewußt, was Sünde nnd Bat-Nin bedeuteten2 Und Wenn ed as ynuk ein leiser, ganz in der Seele IHinter-stund auftauchender Zweifel war, nicht am Leben und Handeln, nur Denken und Linn-finden der gelieb n Frau, auch das schon diinkte ihm edel, vor dem er erschrak. Er ver uchte zu lachen, als könne er durch den « on feiner Stimme die dunklen, heran s'schleiit)enden Gedanken bannen—unb doch, nach ein paar haftigen, unficheren e Gängen durrkfd Zimmer schritt er noch « einmal hinüber in’e Nebengesnach, k: öffnete aufs Neue den Koffer und k holte wieder das Papier hervor, das er s dort geborgen hatte. Dann trug er ed ’ ’- - T se -. »so-« - zur Lampe nnd breitete dae grelle ) eiß auf die rothe Fläche, von deren etn Leuchten es kalt sich adhob. ptas und tas, doch die Schrift gab teine Antwort auf seine sich drangen den Fragen. Die Worte, das Datum blieben unverändert, aber keine Erin » rung tauchte in feinem Denken auf, I diejie ergänzt oder erläutert hätte. f W( Nun begann er zu grübeln, woher d Papier stainme und wie es in seine Hände gelangt sei. Ei- hatte auf der Erde in seiner Mutter Zimmer ge k- legen, als er zu ihr gegangen war, um - die Vorbereitungen zur Reise mitihr in vollenden. Sein Koffer, oben im Giebelstiibchen bereite fast ganz gestillt, war hierher eschafft, weil die Mutter P « ch einige Oachen hinzupacken wollte. « ie lagen auf dein runden Sophatisch beisammen, Papier daneben, sie zu umhüllen Jhui war ausgesallen, daß die Mutter mit dein Einpacken noch -. nicht begonnen hatte, sondern unthiitig KLr der niedergeschlagerien Klappe ihres d« chreibselretiiro saß, in dein sie die ; Familienpapiere, ihre Haushaltobiicher s und andere Schriften ocrwahrte. Und als Bo sen iii seinen Erinneruiigen so weit ge oniinen war, wußte er plötzlich - woher das Papier stammen mußte, dad « ,i·p heil aus dem Noth zu iiim san-ach » tete. Er betrachtete es noch einmal-— « ganz recht, das Blatt zeigte ein golde nes Blinen auf seinem seinen, scharfen « «)iande, ess war offenbar absichtlich and einein Buche herandgerissen——er sah ti) a »Auch vor sich, zu dem eo geliiirte. « e Familienchronii nannte die Mut terdas braune, mit lsioldschriitt ver sehene Heft, in das sie alle Dateneins trug, die wichtig schienen iin stillen Verlauf-»was Daseins, dont Tode ihrer Großeltern bis zur Geburt des i Sohnes und zu seinem Aneng in die Welt am gestrigen Tage. lind nun erinnerte er sich auch der Worte wieder, die sie gestern sprach, als er leise zu ihr herantrat und sie weilte aus ihren stillen Träumereien. Zie hatte Theorien in den Augen, wie sie zu ihm eint-erblickte, aber dann lächelte sie ihr Lächeln unendlicher Her 4sent-gute und untilgbarer Heiterkeit und sagte: »Ich habe ein wenig aus riluuit in alten Papieren und Schrif - n, damit Du Alles in Ordnung fin dest, wenn ich einmal todt bin.« Er machte einen Scherz iiber ihre ernsten Gedanken, sie aber entgegnete: »Nein, nein, mein Herz ist nicht in Ordnung lschon seit ein paar Jahren, .- wao die lugen Doltoren auch sagen »- iiiiigen. Es kann geschehen, daß ich , mich Abends einmal lege, um nicht "— iviederjtiszustehen Jch siirchte mich - aber nicht davor und ich habe ia auch meinen Antheil gehabtan Glück. Nun : miissen Andere kommen, s ich ihr Glück "" zu suchen, Du voran, mein lieber e.« Dann stand sie aus, schloß » n Seitetiir und begann mit Eifer kdie Zurüsnnigen zur Reise« Bohsen wußte seht, dasz senett Blatt i rch der Mutter Hand ane der Fami Jenchronit heraydgerissen war, daß sie ktvahl mit anderen zusammen, die» s Jener wirklich verzehrt—·—hatte ver ittichlen wollen, ttttd »daß es nicht siir -; seine Augen- destimmt gewesen. Er sagte sich, daß es ihtn nicht gezieme, weiter darüber ztt grübeln, dasz der 1 Mutter Wesen zu hoch stehe siir seden Verdacht und jeden Zweifel, nnd doch, wenn er seine Gedanken in einen sanf ten, ruhigen Fluß znrtictzwingen wollte, hier war trine Klippe, an der » die Wasser ausdrandeten ttnd dem Blick i dae Hineindringen mehrten in eine E tlare. durchsichtige Tiefe. Er zürnte mit sich selbst und tngleich slannle er, « als sein Blick zufällig auf die Uhr atts »dem ltantine siel nnd ihnt zeigte, daß: M zehnte Stunde schon gekommen sei. Nun, so war es dad Beste, alle thiirichs i tett Gedanken gewaltsam zu dannen, « "- sich nr Ruhe zu begehen und im Schlaf Ersrjschttng nnd Vergessen zu suchen. » Er tllttgelte noch einmal dem Tie- i tter, ttnt ihm zu sagen, dasz er seiner esttltht mehr bedürfe, nnd als dieser dad Schkaszimnter erleuchtet hatte, suchte oohsen das Lage-, das graste, von den o· en Seidenvothiingen ntntvallte ; .-s)’ inmelbett Er sant lies ein in dies « weichen Kissen-nnd nachdetn er dies Lichter geldscht, betrachtete er warltenj « noch eine Zeit lang die hellen Jttrett, die von der Straße heraus- ; tt nder Lichtschein ans die weißen, » W lassenen Vorhanae zeichnete. l « - »so-F- W.-.-s—- ( ( » -..,.... , ,.- .-. - i Bald aber verschwammen die gelblichenl liirhen ineinander, die Augen fielen hm zu, Bohsen schlief ein« Zuerst war es ein ruhigen traum la er, erquickender Schla , der ihn in se ne Arme nahm—-—dann begannen all mälig Gestalten und Bilder aus der? blauen Dämmerung der Traumweltl aufzutauchen, wechselnd, unbestimmt, ohne sichere Farbe und Ranken Plötz lich aber gewannen sie feste Linien, bekannte Züge, und zugleich bemäch tigte sich des Schläfers eine herk betlemmende Angst, die er kannte, w e» das Traumbild ihm vertraut war feit langen Jahren. Es kehrte ihm immer wieder-, wenn eine große Erregung seine Nerven in Aufruhr verseht hatte, und jedesmal brachte es dieselbe Empfindung einer tödtlicheu Angtt, eines namenlosen Grause-as mit sich, wie es die Erinnerung erweckie ans jene Nacht, als der Knabe diesen Traum zum ersteu Male geträumtz hatte. Eb war geschehen, als er drei; oder vier Jahre alt gewesen, in einen stiirmifchen Nacht im Frühling oder» Herbst. Als er schlafen ging, schlugf der Wind mit den Weinranten gegenj das Fenster des Schlafzimrners, er er- ; fchrat dariiber, und die Mutter deii ruhigte ihn. Dann bettete sie ihn mit H sanften Händen, ließ ihn beten und! setzte sich an den Tisch, aus dem die! Lampe brannte. Der Hinabe lag nachj eine Zeit lang mit offenen Augen in; seinem Gitterbett und sah-zwischen ( den runden, fchwarzen Staben des« Gitters hindurch auf das Zimmer, die Lampe nnd die Gestalt der Mutter-. Er selbst war im Dunkel, denn eins alter Lichtfchirm, der von der Großmut- s ter flammte und über einer rilthfelhafs j ten Landschaft eine Vollinondsfcheibe; aus gelbem Oelpapier zeigte, stand vor s der Lampe und wars feinen großen,j biereetigen Schatten iiber die Hälfte des Zimmers. Drüben in dem erleuch teten Raum trat Alles ilar und deut lich hervor. Die Mutter saß int vollen Licht ein wenig seitwärts hinter der Lam e und nahte an einem weißen Sto f. Das Alles fah der Knabe und ließ die Blicke von Einem zum Ande ren gehen auf dem abendlichen Bilde, » das fiir ihn durch die Stabe des Gitss ters in hohe, parallele Felder zerlegt» wurde. Dann fah er nichts mehr, ers fchlief ein. lind nun begann der Traum, zuerst nur mit einem unbe stimmten Gefühl des Erfchreekens, mit einer Empfindung der Furcht, siir die er keinen Grund und keinen Namen wußte. Dann kam ein Erbeben der Luft, wie von einer tiefen, heftigen, donnernden Stimme, und endlich das Seltsamfte und Schrecklichfte von Allem. Es war dem Knaben mitten im Traum, als erwache er, aber doch wehrte ihm der Schlaf oder eine rath felhafte Erstarrung, zu fprechen, um Hilfe zu rufen, zu schreien. Erfah das Zimmer ganz wie zuvor, den Licht-. fchirm, die halbverborgene Lampe, dies Gestalt der Mutter. Aber sie fasz nicht ( an ihrem Platz und sie war nicht mehr allein. Ein schwarzer, fürchterlich anzufehender Mann stand neben ihr, ein Mantel hing lose um feine Gestalt, ein weicher, dunkler Hut war tief in’s Gesicht gezogen, ein mächtiger Bart fiel ihm bis auf die Brust. An des Knaben Ohr schlugen Laute, die er nicht verstand-er horchte und horchte, : aber er vernahm nichts, als dumpfe, I verklingende Töne, und während er. sich vergeblich bemühte, fie in Worte zu J liedern, wuchs und wuchs die räßliche ngft, die ihm die Kehle znfchniirtk Und nun plötzlich hob der Mann die Hände, griff in feinen Bart und riß ihn mit einer einzigen, heftigen Be wegung herunter von feinem Gesicht. Ein Schmerz durchfnhr den Knaben, wie er ihn nie zuvor gefiihtt. Es war ihm, als werde ihm selbst die Haut. vom Gesicht geriser, und die Wunde fchmerre ihn bis in die Fingerspitzen hinein. Dabei aber ftarrte er unver wandt auf den Mann, der das Schreck liche gethan, und wunderte fich im Traum, daß kein Blut von feinem Ge ficht herunterfloß. Dann ward es mit einem Male dunkel unrihn her, nnd in der Dunlelheit erwachte er rvirtiich. »uerst lag er unbeweglich mit heftig l opsendem Herzen und wagte es nicht, einen Laut von sich in gebeu. Aber dann kam die Angst hm zurück, aut der Finsternis meinte er leises Finstern und das kaum oernehtnliche Flutstern heranschleichender Schritte zu hören — er begann zu weinen und nach der Mut ter zu rufen. Sie mußte nebenan in ihrem Wohnzimmer gewesen sein, denn sie laut gleich herein mit der Lampe. Das Schreien und Weinen des Sohnes hatte sie so erschreckt, bnszsie zitterte-— die Lampe lltrrte in ihrer Hand, und sie beeilte sich, sie auf den Tisch zu stellen. Dann setzte sie sich neben dat Bett des Knaben, strich mit kalten, bebenden Fingern iiber sein Haar und ließ sich, erzählen, was er geträumt. Einmal, alt- er von dem schwor en, schrecklichen Manne sprach, fragte fie «lind Du hast auch getrnuint, was er gesagt hatt-« Als aber der Knabe be richtete, wie er lich vergeblich bemiiht, die Worte zu verstehen, bie die Erschei nung gesprochen, da niate le stumm vor sich hin nnd sagte: » iehstDu wohl, ed war nur ein Traum Schlas’ nun wieder ein und vergiß, was Du geträumt hast«- lind sie blieb neben ihm sitzen, die anb aus seine Stirn legt, bis das lut in seinen Adern ich beruhigte, bitt der Athem re el tniißig kam und ging, bit ein fr ed licher, traumloser Schlummer ihn hin wegsiihrte nnd ihn Traum, Angst und Mutter vergessen ließ. seit ten-r fritrmischen Nacht in sei- « ner Kinderzeit hatte dieser Traum ihn verfolgt, am häufigsten in den Jahren, I die jenem ersten Male am nächstens waren, aber auch später noch, als er! heranwuchd mtd zum Manne wurde.i Es machte leinen Unterschied, dasz ers fein Schlafzimmer wechselte unds hinaufzog in’d Giebelstiibchen nach» Norden, sobald er grosi genug war, die s Nähe der Mutter entbehren zu können. Der Traum verseute ihn zurück in das Kinderstiibrhem er ward im Schlafe wieder zum dreijährigen Knaben, lags in seinem alten Bett, und die Stäbei des Gitter-d zogen ihre schwarzen, senk- I rechten Linien in das Bild, das ihn ängstigte. Und heute, in der ersten Nacht, die er in der fremden Stadti unter dem Dache des gaftlichen Hauses s zubrachte, iibersiel ihn aufs Neuei jener Traum. lind heute zum ersten’ Male erfuhr das vertraute unddoch seit ; Jahren gehaßte Traumbild eine Blende- ; rang. Der Anfang war wie sonst, aber j als jener Augenblick kam, in dem ders Mann seine Hände hob und den Bart » herunterrisz vom Gesichte, da geschah? etwas Neues, llrierwarteted. AnstattI in’d Dunkel zuriictzutauchen und zu( verschwinden, trat er nahe heran an die j Lampe, wandte sein Gesicht dem( Schlafenden zu und sah mit scharfen Augen voll zu ihm hinüber. lind Boh- . sen kannte das Gesicht. ErstseitStun- s den freilich, erst seit dem Abend dess dahingegangenen Tages, aber diese1 Zuge, dies bahrende, sragende und zu- l gleich erstarrende Gesicht, gesehen im! Scheine der Kerzen, die drüben im! einsamen, verlassenen Zimmer braun-! ten, Abend fin Abend, Nacht in- Nachti --er hatte den Blick dieser Augen ge fühlt und er siihlte seine Gewalt, mäch- s tiger noch und durchdringender, jetzt» aufs Neue im Traum. Er versuchte zu reden im Schlaf-— er wollte zu der Erscheinung sprechen, wollte ihr zu rusen: »Ich kenne Dich, Du bist der Mann, den ich heute gesehen, Du bist der Freinde!» —- aber seine Stimme schien eingefroren, er brachte nichts hervor, ald ein heiseres, dumpfes, angstvollea Stohnem und von diesen Tönen der Angst und der Qual, die in der Stille der Nacht aus seiner eigenen Brust hetvordrangen, erwachte der Schläfer Auch nach dem Erwachen fühlte ths s sen noch daa Beben der Nerven, die! der Traum in Schwingungen versetzts hatte. Er mußte sich, als er die Augen geöffnet, zuerst besinnen, wo er sich befand, nnd ale ihm das Bewußtsein davon zurückgekommen war, iibersiel ihn ein Gefühl dce Sijiißdeliagene, daß dieser widertviirtige Traum ihm in die ser Nacht gekommen war. Dann lag er und grilbelte iiber dad, was er ge sehen. Seltsam, daß gerade heute das Traumbild zum ersten Male sich ver andert, und daß der Mann die Zuge des Fremden getragen hatte! Und doch nicht seltsam. Das eigenartige Ge sicht hatte ihn interessirt und beschaf tigt, und später aui Abend war es das Bild der Mutter gewesen, das ihm am lebhaftesten vor der Seele gestanden —- s tvar eeL ein Wunder, daß der Traum die beiden Gesichter nebeneinander-! stellte und sie in eine Beziehung zu-! einander brachte, die es nicht gast War es ein Wunder-mitten in seinen « wachen Träumereien fuhr Boysen zu-? samtnen. Es war ihm gewesen, als» habe eine Hand an die Thiir den Schluszimmers gefaßt und leise daran geritttelt. Und nun, während er noch daraus horchte, ob das Geräusch sich wiederholen werde, ein anderer Ton, ein seines Klirren und Stoßen, das vom Fenster herzulomnten schien. Dann ausn- Neue jenea Riitteln an der Thür, und wieder dad Klirrem das er zuvor gehört. Bohsen mußte lachen iiber sich selbst. »Man wird kindisch bei solchem Trantii,» murmelte er vor sich hin. »Die verdammten Nerven! Er ist der Wind, nichts weiter. Ja, ja, die neuen Häuser-! Glanz und Pracht und Marmor und Plusch—aber gute Tischlerarbeit können die Leute nicht mehr machen. Da waren wir in unserem alten Kasten besser verwahrt, ala hier der reiche Nachbarssohn in sei ner Villa.« Der Wind, der am Tage gänzlich geschwiegen hatte, mußte sich bei Nacht ausgemacht haben, und tvenn er gegen das Haue stieß, dann gaben die Thüren und die Lustscheiben des Fen stere ihm Antwort. Bohsen hatte die Ursache der seltsamen Geräusche her ausgefunden, aber trotzdem fuhr er fort, darauf zu horchen und zu warten, wann sie sich wiederholen würden. Dae qualte ihn nnd steigerte die Un ruhe der Nerven, und als ihm zur Ge wißheit geworden war, daß der Schlaf doch nicht wiederkehre, erhob er sich von seinem ragen Er tastete im Dunkeln nach seinen Kleidern, die neben dem Bette lagen, und kleidete sich an. Dann ging er zum Fenster, schlug den Vorhang zuriict und schaute hinaus. . Die t-oterne, die vor dem Hause Jgebrannt hatte, war ausgeldscht, es smnßte tief in der Nacht sein. Der sWind suhr gegen die Mauer, der am lTage so klare bin-met hatte sich mit einer arauen Waltenichicht bezogen, kein Stern war in sehen. lind indem Bohsen hinunterblntte in die Straße zu seinen Füßen, sah et· sie jeht wirt s lich angefüllt mit dem diisteren Nebel sstrom, den seine Phantasie am Abend sourch sie hatte dahiniluthen lassen, sienent Strom der Finsternis;, der ihm jentgegeniam aus seinem Weg in einen streuen Abschnitt dee Lebene. lind iiber sder Dunkelheit nur ein einziger heller sPunitl Jene Flammen, die aue der iNacht selbst ihre Rohr-un zu sau en ischienem die mit ihrem onnnen sich entzündeten nnd dahinstatben, wenn sie schied. Jene Lichter-, die mit ihrem einsamen Leuchten vielleicht irgend ein Phantom bannen sollten, das in der Dunkelheit lebte und var ihnen entfloh. Jene Kerzen, die auch jetzt in dieser dem Schlafe geraubten Stunde, inmitten der schivcigenden, von der Stimme des Windes allein erfiillten Nacht herüber-strahlten zu dem Wochenbett aus dem leeren, glänzen den, in all’ seiner Pracht so verödeten Prunkzimmer des Fremden. Z· Kapitel. »Du, kiinnen sie Dir schon vor Er dfsnung der Ansstellung eine Medaille anhängen'.«" fragte Buterweck den Freund, als dieser am anderen Morgen das Friihstiickszinnner betrat. »Hier ist ein großes Schreiben fiir Tich vom Vorstand des .iiiinstvereins." Hastig grifi Boysen nach dem Papier —was konnte man von ihm wollen? Er ward bleich, dann aber hob ein Seufzer der Erleichterung seine Brust. »Deiner Desdemona ist doch kein Unglück passirt7" fragte Buterweck, der ihn aufmerksam beobachtete. »Ein kleines allerdings-zum Glück nur ein kleines, das ich rasch wieder gut machen kann. Sie schreiben mir, daß das Bild unterwegs durch ein abge sprungenes Stück des Rahmens ein wenig beschadigt sei, und laden mich ein« heute hinauszukommen, um den Schaden zu repariren. Gott sei Dank, daß es nichts Schlimmeres ist!" »Da u gratulire ich auch. Aber wie die Sa e liegt, würde ich ihr die an e nehme Seite abzugewinnensuchen. - n kommst auf die Weise heute schon zu Deinem Bilde, kannst sehen, wie sie es aufgehängt haben, kannst Dich viel leicht mit ein paar Mitgliedern der Jury anfreunden, die dort gewiß noch herumschnüffeln-so etwas muß ein Sohn des neunzehnten Jahrhunderts nicht versäumen. Habe ich Recht oder nicht?" »Necht hast Du freilich. « »Na, dann wollen wir frühstiieken." Sie setzten fich, nnd Buterweck suchte durch doppelt lebhaftes Geplauder den Rest der Unruhe zu vertreiben, die sei nen Freund beim tkesen des Briefes ergriffen hatte, und die er nicht ganz verbergen konnte. »Ein rechter Lümmel bin ich eigent lich doch, daß ich Dich gestern am ersten s Abend allein gelassen habe,« rief der; Gespriichige aus. »Aber unsinnig dank- ; bar bin ich Dir trotz alledem, daß Du I mich haft ziehen lassen.« »Es ist nett, daß Du aufrichtig bist,» gab Boyfen mit einem Lächeln zur Antwort. »Ach, nmicu titi«,wer kann gegen die Liebe ! « »Du, treib’ mir keinen Unsng mit dem Wort. Verliebt habe ich Dich schon ungezählte Male gesehen, aber daß Du je bisher geliebt hast im Leben, das glaube ich Dir nicht« »Und Du vielleicht?" fragte Bitter wect in gekränltem Tone. »Auch ich noch nicht. Aber wenn es einmal geschieht-—wenn es einmal ge schieht-» . ; »Dann wirft Du ebenso verrücktl sein, wie andere Menschenkinder, ob! sie lieben oder verliebt sind—in der Verriicktheit macht das keinen Unter schied. lind Du solltest sie nur sehen, ich sage Dir, es ist ein himmlisches Weib ! Das hei fzt, eigentlich mehr teuf lisch-ein hinimlifcher Satan — das lommt der Sache am nächsten. « »Eine neue Spezies, die mir bisher nicht vor-gestellt ist." »Ja, warum willst Tit sie denn nicht einmal sehens« »Ich habe mich meines Wissens noch nicht geweigert.« »Na, so loinm’ doch mit !« ,,Zunachst möchte ich fragen, wies dereinst in der lateinischen Stunde:; Wen oder was liebst Du? Wer ist fie, T was ist sie, wie kann ich sie sehen?« »Was sie ist? Sie singt." »Auf der Biihne·e» »Nein, vorläufig nicht. Sie ist in einein Ting-—-e6 ist sehr anständig da —sie nennen es itonzerthalle." Bonicn mußte laut auslachen, obwohl er vorhersah, daß ein grim inigee Neficht des Freundes der Lohn sein werde. ,,Jn einent Tingeltangel also?« »Weißt Du, so grob beanchtest Du nicht gleich zu sein. Ein Tingeltangel iit ganz etwas Anderes-. Eine Konzert halle, wie ich Dir gesagt habe. Es wird dort getaucht und Bier getrunken und gesungen, aber darum brauchst Du es doch nicht gleich einen Tingeltangel zu nennen. Sie könnte anf der ersten Biihne singen, wenn sie nur wollte." »Das sagt sie wohl selbst-« »Bl) nein, das sagen i«eute, die sehr viel davon verstehen. Aber dies Leben macht ihr nun einmal riesigen Spaß. Nothig hatte sie ed gar nicht, unt’s Geld zu singen, sie hat Vermögen» »Bennogen'.- Und singt in einer KonzerthalteP starolus Buteriveck, ich komme ans der Provinz, aber Du hast sDir in all’ dem Staub und Lärm der Großstadt ein glaubigeres Kinder ’ genliith bewahrt, ale ich.« »Du kennst sie einfach nicht, varie siiuu mit-. Wenn Du sie erst einmal gescheit hast-J » »Was dann?« ? »Dann wirst Du keine Deedetnona »mein- malen. Solch’ ein Weib hat iDein vielgeliebter Shaiespeare liber j haupt nicht aufzuweiseii——ganz habe ich i den alten Knaben allerdings nicht ge !lesen.« ) »Nun denn, ich konnue mit Dir und E sehe dies Wunden-« ) »Um übrigens Desdetnona nicht zu kergessem ich habe Billetg holen las en." »Billets? Aktiqu ! »Ah, das weißt Du noch nicht? Zu lChren des großen Malers, der heute mit seinem noch größeren Bilde den Einzug in unsere Stadt hält, haben sie im Theater den ,Othellos’ angesetzt. Eine zarte Aufmerksamkeit, was? «- rgend ein beriihintes Thier spielt den thello, den Namen habe ich natürlich wieder vergessen. Aber Billets zum ersten Rang habe ich holen lassen-— » immer nobel, unserem Vermögen ange messen. Wenn sie liegen bleiben, scha det es nichts, wenn Du gehen willst, « soll es mich freuen-« » »Ich gehe sehr gern— aber Du T kommst doch mitT-" s »Natürlich! Eigentlich sehen wir i moderne Menschen diese veralteten Ge »schichten ja nicht mehr an, aber wenn ’ ch Dich hinführe, kann man mir s ja jnicht übel nehmen » ! »Also einverstandeul Zunächst gehe ich nun-« ,,N,a selbstverständlich, Du sitzest ja doch schon aus Kohlen. Zunächst gehst Du—das heißt, Du fährst, ich lasse Dir einen Wagen holen, da Du ja doch Dein Handwerkszeug mitschleppen mußt. Du fährst also zur Kunstaussteli lang, malst, was zu malen ist, kommst zu Mittag—heute um drei Uhr-zurück und gehst am Abend mit mir in’s Theater. Wenn aber Desdemona todt ist, führe ich Dich zu der lebendigen Safsi." »Sasfi heißt sie?" »Getauft ist sie, glaube ich, ganz rechtlich und christlich Sophie—aber in dem Ding, im ,Zigeunerbaron,’ heißt die eine Person Ia Sassi, und das hat ihr besser gefallen. Seitdem läßt sie sich so nennens Boysen erhob s ich—es drängte ihn, zu seinem Bilde zu kommen »Alle Antrage des geehrten Herrn Vorredners sind unverändert angenommen," sagte er und gab dem Freunde die Hand. ,.Leb’ wohl bis zum Mittag ,,i"-eb’ wohl und guten Erfolg mit der Mohrengattin !" . Boysen nickte ihm noch einmal zu, dann machte er sich bereit zur Fahrt. sAls er wieder herunterkani, begegnete ihm im Flur der Diener, der den Wagen besorgt hatte. Beim Anblick des Menschen fuhr ihm von Neuem die iAehniichteit durch den Sinn, die er gestern entdeckt zu haben glaubte. So fragte er im Vorbeigehen, ob er jemals in der Vaterstadt Bohsens und Amer wecks gewesen. »Die Herren stammen von dort, ich weiß es," antwortete der Gefragte, dessen Gesicht im Morgenlicht noch blasser erschien, als am Abend. »Ich selbst kenne die Stadt nicht." »Sie waren niemals dorti» »Niemale, ich bedaure." Boysen ließ ihn stehen und wandte sich zum Wagen. Die Antworten waren auch diesmal prompt nnd ohne Zögern erfolgt, und doch traute er ihm so wenig wie zuvor. Mit der Aehnlichkeit hatte er sich aber doch wohl getauscht—sie er schien ihm heute geringer, als er ge dacht, und es lag wirklich kein ersicht licher Grund vor, daß der Diener sei s nen wahren Namen verheimlichen sollte » Als Boysen in den Wagen stieg, be grüßte ihn derselbe triibe Herbsthiw ’mel, den er schon beim Ertvachen ge sehen, und der auch jetzt seinen grauen Mantel iiber die Stadt breitete. Nur mit dem Unterschied, dasi ein seiner Regen seit der Frühe niederfiel, so daß die Trottoirs und die Basaltiteine des Pflafters in schwarzem Glanz zu den mit Tropfen bespriihten Wagenfenstern hereinschauten. Bohsen aber achtete kaum daraus-seine Gedanken waren . bei seinem Bilde. Farben und Gestal ; ten wogten vor seinen Augen, und aus I der Wirrniß von bunten Tönen blickte ein schönes, ungliickliches Frauenantlih zu ihm her, das er selbst geschaffen und das er im Schafer lieben gelernt hatte. Der Wagen hielt vor dem Gebäude des Kunstvereins. Die breiten Stufen var dem Portal waren menschenleer— das Wasser hatte auch iiber sie seine glänzende Decke gebreitet. Zwei Flag genniasten standen zu beiden Seiten, heute noch ohne den wehenden, wallen den Schmuck, der morgen die Eröffnung der Ausftellung verkünden sollte. Bohsen wies dem Beamten das Schreiben, das er erhalten« und die sestgeschlossenen Thüren thaten sieh siir ihn aus. Allein schritt er durch die mit Statuen und Pslanzengruppen gezierte Vorhalle, hinein in die Räume, wo die seltsame Stille der nur von todten, gemalten Wesen belebten Einsamkeit ihn empfing. Durch den grauen Him mel gedämpft, fiel das Licht von oben in matten, breiten Strömen herein, von fern tönte zuweilen das Hännnern der beim Aufhängen der Bilder noch beschäftigten Arbeiter leise herüber, ein kräftiger Firnißdust strömte von den bunten Bildflächen aus. Ein paar Säle musite er durchschreiten, bevor er feine Desdemona entdeckte-mit Freude fah er, daß man ihr einen guten Platz gegeben hatte, nnd diese Freude wuchs, als er bei genauer Priisung erkannte, daß die Schaden, die das Bild erlitten, nur ganz geringe waren. Mit Eifer machte er sich daran, fie zu beseitigen« und es war ihm ein eigenthiimliches Gefühl, hier in der fremden Umgebung wieder an dem vollendet geglaubten Werke zu arbeiten, das nun seit Man-; den all’ sein Denken beschäftigt, fein ganzes Können bis zum Aeußersten an gespannt, die verborgensten Tiefen sei ner Seele in Thäiigkeit versetzt hatte.: Niemand stärte ihn, kein Mensch durchschritt das Zimmer-so war seine Arbeit rasch beendet, und als jede Spux des Unsalls getilgt war, blieb er noch lange vor seinem Bilde stehen« es ruhig mit priifeuden Blicken betrach tend. Dann blickte er auch zu den ande ren Bildern hin und ließ die Augen von ihnen zu der eigenen Schöpfung zurückkehren »So viel wie ihr kann ich auch, vielleicht noch ein wenig mehr," sprach er vor sich hin, fuhr aber doch leise zusammen, als er an einem sich nähernden. gediiinpsten Schritte bemerkte, daß er nicht mehr allein mal-, und daß sein stolzes Selbsterlenntniß einen Wusther gehabt hatte. Fiir fremde Ohren waren seine Worte nicht bestimmt gewesen, und ed that ihm weh, das; man fiir Aninaßung halten konnte, was nur das Ergebniß einer scharfen, auch gegen sich selbst gerechten Prüfung gewesen war. Als er sich umwandte, erblickte er einen kleinen, dicken, noch sehr jungen Herrn, der auf spitzschnäbeligen Gunt mischuhen daherschritt. Jn der moder nen Tracht, in Haar- und Bartschnitt konnte er an Buterweck erinnern, aber aus dem rothen, trotz der Jugend be reits einigermaßen verlebten Gesicht schauten ein paar dumme, blaßblaue, erstaunte Augen ganz anders in die Welt als die des Freundes. Es mußte ein Mitglied der Juty sein, da kein anderer Maler die Ausstellungvor Er öffnung betreten durfte, und Boysen fühlte sich veranlaßt, ihn höflich zu begriistew Aber der Dank, den er ern tete, war kiihl und kurz, und ein hoch utiithiger, fast verachtender Blick ging iiber ihn dahin. Er selbst war zur Seite getreten, und gleich faßte der Andere breitbeinig vor seinem Bilde Postv, holte einen Kneifer hervor, den er nicht ohne Mühe aus der kleinen, dicken Nase befestigte, steckte die Hände in die Hosentaschen und widmete so ein paar Augenblicke einer scheinbar eifri gen Betrachtung des Bildes, das er doch schon kennen mußte. Lange dauerte es nicht, bis er seinen Urtheilsspruch verkündete. Er nahm den Kneifer herab, tiemmte ihn zusammen, steckte ihn sorgfältig in die Westentasche und murmelte sehr vernehmlich, indem er einen halben Blick erneuter und ver stärkter Verachtung zu dem Schöpfer der Desdemona hinübersandte, nur die zwei Worte: »Alter Kessel-« Dann verließ er aus seinen Gummischuhen mit den Schritten eines Triumphators den Saal. Bohsen sah ihm nach und lachte. Das Männchen hatte ihn amüsirt, aber ein wenig eng ward ihm trotzdem um’s Herz, wenn er dachte, daß er in diesem verachtungsvollen Kritiker viel leicht doch den Repräsentanten einer Zahl, einer Klique, einer Macht vor sich gehabt habe. Und es trug nicht zur Erhöhung seines Behagens bei, als « dem ersten Priiserseines Könnens bald eine zweite, noch weniger vertrauen erweckettde Gestalt folgte. Diesmal hörte er schon von Weitem einen lauten, polternden Schritt, durch den eine lange, hagere Gestalt in unten durch gescheuerten, braunen Hosen und einer alten, grauen, mit ehemals grünem Bande eingefassten Lodenjoppe sich ankündigte Auch dieser Kollege war noch jung, aber sein Gesicht war mager, gelb, hungrig und verwittert, durch schwarze, unruhig und leiden schaftlich umhersuchende Augen belebt· Der blieb ein wenig länger vor Boh sens Bilde stehen, indem er die Blicke hin und her, auf und nieder darüber hinschweifen ließ und ein paar Mal mit den Händen sich durch das strup pige Haar suht, von dem er den nassen Lodenhut heruntergerissen hatte. Er sagte gar nichts, als er mit seiner Be sichtigung fertig war, ·:r wandtesich nur ein wenig zur Seite und spuckte aus. Dann ging er so laut, als er ge kommen war, zu einent Gemälde von riesigem Umfang, das zur Linken an zder Wand hing und das zuvor schon ! Boysen, der einen sliichtigenBlick dar iauf geworfen, mit Schrecken erfüllt i hatte. Es stellte ein fast nnabsehbares sFeid mit Zuckerriiben dar, an dessen ; vorderem Rande ein schmutziger, feuch ter, von Wagengeleisen tief durchsurch ter Weg entlang führte. So weit das Auge reichte, erblickte er nichts als Rüben, die in regelmäßigen Reihen hinter einander aufmarschirt waren. Nur eine von ihnen, durch eine leicht sertige Hand aus der Erde gerissen, lag auf dein Wege-, verweilt und ver lonimen, durch ein Wagenrad zer malint. Ein regenschwerer Himmel, Inur ant Horizont durch einen blut rothen Streifen unterbrochen, senkte sich tief auf das Feld herab. Vor dieses Bild trat der Große, Magere und begann durch Pantorniinen alle Stadien des Entziickens auszu drücken. Bald ging er nahe hinzu, als müsse er eine wundervolle Einzelheit ganz genau betrachten, bald wich er an die feisnste Wand des Saales zurück, hielt die Hand iiber die Augen, als blende ihn die Fiilie von Schönheit, oder legte den Kopf auf die Seite, unt die Perspeltine ganz zu genießen. End lich brachte er den Korper in eine Art von Tur-neri1altunq, stellte sich parallel zu dein Bilde auf, stetnnite die Hände auf die Knie, verdrehte den Hals auf angsterregende Weise und betrachtete so unter unsaglicher Anstrengung das Ritbenfeld von unten heraus. Bohsen hatte zuerst auch über diesen Mann zu lachen versucht, aber dann wallte der Zorn ilber dessen tolles Gebahren und die offene Verachtung, die er seiner Tesdemona in so derl r Weise bezeugt hatte, doch heiß in il i empor. lind schon hatte er die Lipp geöffnet, um durch ein vielleicht unn w