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About Grand Island Anzeiger. (Grand Island, Nebraska) 1889-1893 | View Entire Issue (May 13, 1892)
Im Dami Y der Leidenschaft s Nov-a- vpu E. L phd e. I »Nein, nein-Du mußt leben, Frido, leben « Sie hatte sich halb erhoben und sank fest mit Ilugendem Tone auf ihren Sitz -zntück. 7 ,.Si) willst Du mich verdam .,nen weiter zu leben, fern von Dir weiter zu leben? Ach, Felix, wie viel süßer wäre der Todt« »Frida, vielleicht ist des Tod uns nä her, als Du denkst. « s In der That wälzten sich immer Jaewaltigere Wogen heran. schon er i lickte man die furchtbare Brandung am Ufer. »Herr, jetzt sei Gott uns gnädig,« schrie der Schiffer, ,lassen Zie das Steuer los und nehme-« -1c Ihr Weib Wir müssen schwimmend suchen durch die Brandung zu kommen, das Boot hält nicht Stand!« Felix schlang seinen Arm uni Erwa, drückte sie fest an sich; sie lehnte ihren Kopf an seine Brust. »Felix mein einzig Geliebter!« Ein wilder Gischt umtobte sie, aus bitiimend sttirzte eine rollende Welle über Be hin. Das Boot schlug um. Felix, « ie theure Last sest an die Brust gepreßt, rang mit der tobenden Fluth, doch immer aiatter, immer schwerer wurden seine Bewegungen, endlich hörten sie gänzlich aus-um ihn wurde es« Nacht,dunk1e, ewige Nacht. 4. In banger Erwartung harrten die Be - wohner des Hotels währenddessen der Rückkehr Stratsord’6. Würde es ihm gelingen, die Waghalsigen zu retten, oder waren diese inzwischen glücklich in Vrienz angelangt ? Trotz des niederstür zenden Regens stand Marie aus dem an das Zimmer von Miß Noberts stoßen » den Balton und spähte hinaus in die , rasch zunehmende Dunkelheit. Da plötz lich löste sich ein Schreivon ihren Lippen, zugleich wurde die Glaethüre dest- Sa-— long ausgestofzen und Blanche trat her aus; auch sie sah bleich ang, und die sonst so stolzen Lippen stammt-lieu angst voll die Frage: »Was ist geschehen - Kommt er zurück ?« Marie deutete statt aller Antwort nur in die Tiefe, dort bewegte sich ein un heimlicher Zug heraus; eine Tragbalire in der Mitte, aus der unter Tucherii zwei menschliche Körper lagen. Zunächst der Bahre schritt eine hohe Mannes-ge stalt, den Hut ties in die Stirne ge druckt. Jetzt, nahe dem Hause, rich xete er den Blick hinaus. Es war Streit: ord. »Eilen wir,« ries Blanche, sich zu fassend suchend, »vielleicht braucht Lnlel Reginald unsere Hilfe.« Durch die im Vestibul versammelte Menge ging ein Gemurniel, das die Herunteriommenden empfing. Doch Alle wichen verstummend zuriick, als die Man . ner mit schweren Schritte die Bahre an ihnen vorbei in den anstoßenden Saal trugen, wo ein Arzt mit einigen Ge hilsen schon Alles siir die Wiederbe« lediingsoersnche an den Veriingliickten be reit hielt. Die Thüre schloß sich wieder hinter der Bahre; die alte Frau Eiiben lehnte mit gesalteten Händen todteebleich an der Wand. Marie trat theilnehmend zu ihr. »Dossen wir, gute Frau Eyben!« suchte sie die Fassungslose zu trösten. »O mein Herr, mein armer, guter Herrl« wiederholte die Alte nur immer klagend von Neuem. «Welch’ ein Un glück, welch’ ein Unglück!« Lange, bange Minuten vergingen; endlich trat Stratsord heraus, er suchte mit dein Auge Frau Enden, aus die er hastig zuschritt. »Jhre Herrin lebt. Eilen Sie in ihr· Schlasgeinach, Alles stir sie zu be reiten.« xxs Frau Eis en starrte ihn einen Augen blick sassungsloö an, der Schreck hatte sie wie elähint. » dannen Sie,« sagte Marie und faßte der noch immer Negiingslosen Arm, »ich werde Jhnen helsen.« ! Stratsord nickte ihr nur beisällig zu Je t legte Blanche ihre Hand aus sei nen rni. «Vielleicht kann auch ich’ irgendwie ilse leisten.« " »Sie? ein gewiß nicht, gehen Sie aiis Jhr Zimmer und überlassen Sie nur Ihrer Gesellschafterin den Samariter dienst.« Blanche unterdrückte jede Regung der Empfindlichleit. Fiihlte doch auch sie daß jetzt seine Zeit dazu sei. s »Und wie steht es mit dein Baron?«; fragte sie, Stratiokd, der an ibr vorübers wallte, noch zurückhaltend. Stratsord’s Brust hob sich schwer; um seine Lippen zuckte es schmerzlich. Alle Wiederbelebungøversuche blieben bis jetzt ersclglost« Blanche schaudertr. »Entsetzlich s« kam es bebend von ihren Lippen. Bleich und verstört wankte sie nach ihrem Zimmer zurück. Frida lebte. Viele Tage aber lag sie in hestiqstem Fieberdelirium Eudlichs wurde sie ruhiger, die Phantasien hörten I aus· Mit geschlossenen Libera, reget-I mäßig atlnnenv, wenn an das Antlitz marmorbleich, lag sie in hten Kissen.l Der Arzt nickte zufrieden. »Das märe überwunden,« sagte er,· sich zu Max-le sendenty welche die todt-i müde Kammer-statt eben zu Bett geschicktl hatte und seht allein bei der Kranken T weilte. Bleiben Sie während der Nacht hier mein Fräulein P« Mari- bejahte das. »Die traute wird aller Wahrschein lichkeit nach, fobald sie erwacht zum vgllen Bewußtfein kommen, wird Fragen t un«——— - Marie verstand fein Zögern. »Was foll ich antworten ?« fragte fie. »Die Wahrheit, mein Fräulein, fo fchvnend als möglich, aber die ganze . Wahrheit. Es ift am beften, fie erfährt )das Schlimme, das ibr doch nicht lange verborgen bleiben kann, gleich beim Be ginne ihres neuen Lebens, mit dem lfie nun doch einmal fertig werden muß.« « Wie ermitthigend drückte er dabei das jungen, zaghaft zu iym auffchauenden sMädchens Hand und verließ leise das Gemach. Marie trat an s Fenster: im Garten, auf der Veranda und den Balkonen be fanden sich zahlreiche Geiste, die Beleuch Ituiig der Fälle anzusehen Der Abend war von löstlicher Milde und Klarheit; Iw: iß schimmerte das ftürzende Wasser yaug dem dunkeln Grün des gegenüber liegenden Bergwaldes ihr entgegen. Und Jnun flammte es auf, roth, grün, weiß; ein Gemurmel der Bewunderung ging durch die schauluftige Menge; dann-»s »nur wenige Minuten »und wie ein ’ Traum war das zauberhaste Farbenspiel wieder verschwunden, dagDunlel doppelt empfinden lassend. Marie seufzte auf. »Sind die Freu den und Genüsse der Erde alle so rasch versitnglich, je glänzender, desto flüch tiger?« fragte sie sich, und ihr Blick wandte sich unwillkürlich nach dem Lager lzurüch auf dem das schöne bleiche Frau Ienbild noch immer regungslos lag. « Doch jetzt-feist regt es sich hinter der Gardine, Marie eilt ausdas Bett zu, ! schlägt die Vorhänge zurück. Dort sitzt saufrecht mit weitgeöffneten Augen die zKrauke und schaut verwirrt in das mit sleidig auf sie niederblickende Antlitz. » »Wer sind Sie, tvo bin ich ?« » Marie wollte antworten, da ging es zaber wie ein Erwachen über das weiße I Gesicht, ein furchtbares Erwachen. Ein Schrei löste sich von den bleichen Lippen die Erinnerung war da mit ihren Schmerzen, ihrer Pein. »Stille, sprechen Sie nicht,« sliisterte sie zuriielsiniend, »ich weisz Alles, Alles!« Marie setzte sich schweigend an das Lager ; Frida hatte von Neuem die Augen geschlossen, doch nur fiir wenige Mitin ten, dann öffnete sie dieselben abermals groß und angstvoll. »Aus Barmherzigkeit, die volle Wahr« heit! »Glaubt der Arzt, dasz ich leben werdet-« »Ja, gnädige Fran, er erklärte eben Sie seien ausser aller Gefahr« ’ Aus Frau v. Bertow’s Brust drang nur ein leises Stöhnen. »Ich werde leben« wiederholte sie »tonlos. »Und er?« fuhr sie dann nach kurzer Pause fort, ihren Blick mit banger ; Frage indas Antlitz ihrer Pflegerin boh ;rend, »er — Sernow? Jst er gerettet ? .——-Sprechen Sie! s( O mein Gott, warum zögern Sie?-- Sagen Sie, daß er lebt—ich flehe Sie an s---« »Guädige Frau,« bat Marie mit ge preßter Stimme, »fassen Sie sich! Er ist todt !« Die Ungliickliche brachte anfangs lei nen Laut hervor, wie im Kranin waren ihre Zähne geschlossen. Dann aber fuhr sie empor, in wildem Schuierze die Hände ringend. »Er todt!« schrie sie auf, »und ich, die ihn in’s Verderben trieb, ich, seine Mör derin, zum Leben verdammt! O, es ist entsetzlich !« Marie fand kein Trostwort für diesen Jammer. Jn den sanften Zügen das innigste Mitgefiihl, neigte sie sich über die nach dem Ausbruch dieses Panth mus wieder niatt in die Kissen Gesun lene, während helle Tropfen über ihre Wangen rieselten. Frau o. Berlow sah diese Thriinen. »Sie weinen,« rief sie, »Sie gütiges, unschuldiges Kind? D wenden Sie sich ab von mir, ich bin dieser Thrcinen nicht wertb.« Marie war aus’s Tiefste erschüttert, Sief faßte Frida’s Hand nnd strich sie san t. »Gott ist barmherzig,« sliisterte sie. »O, nicht für mich, nicht für michl Er stieß mich in’s Leben zurück, mich, für die der Tod eine Gnade gewesen wäre! O, vermögen Sie denn zu begreifen, was es heißt, Jemand zu lieben, bis zum Irr-H vel, bis zum Verbrechen zu lieben, unds ihn verloren zu haben ? Allein bleiben zu s müssen auf einer Welt, die uns ver dammt, die uns nicht versteht und die wir nicht verstehen können ?« Marie neigte traurig das Haupt Ja, sie begriff die ganze Schwere dieses Lon seø—-s-nnd doch; nab es der Siinderin die Möglichkeit, den begangene-n Fehl tritt noch zu bereuen ? Diese fuhr, in wildem Schmerze die Hände ringend fort: »Lassen Sie mich sterben, das ist die einzige Gnade, die mir noch werden lann.« Rathloo blickte Marie anf sie nieder· Sie wagte die Verzweifelnde an ihre Kinder, an ihre Pflichten gegen dieselben zu erinnern. heftig wies diese sie zurück: »Darf eine Mutter noch von Mutterrechten, Mutterpflichten sprechen, die im Begriffe war, die von ihr Gebot-essen fiir immer zu verlassen? Nein, nein, fiir mich gibt es kein Erbarmen, keinen Trost, weder aus Erden noch im Oinnnell« ,Ee gibt einen, wenn Sie ihn nur er fassen-wollten, gnädige Frau! Der Er löser kam ja ni t für die Gesunden, sondern fiir die ranlen. Er wird auch Balsam fiir die Wunden Ihrer Seele finden.« "Verstnmmend lauschte Frida diesen Worten, die fo glaubenevoll von Ma riens Lippen flossen, und Ruhe fing all - mal-lich an sich über ihrwildes, trohiges Zerz zu bereiten. Matt sank sie in die issen zurück, und über die todesbleichen Wangen siahlen sich einige heiße Tropfen »Gott seig edanlt, sie weint, « dachte Marie, ,,endlich, endlich hat sie die er lösenden Thränen gesunden !« Stille war es im Zimmer, während die Athenizüge der Kranken immer ruhi ger wurden und der Schlaf barmherzis sich aus ihre müden Lider senkte k s I Der erste Morgenstrahl, derdurch die Vorhänge in s Zimmer drang, weckte Marie aus einem kurzen, unruhigen Schlummer Sie saß noch im Lehn stuhl neben dem Bette; vor ihr aber stand Frau Eisbem die sie beider Kran ken abzulösen kam. Frau v. Berlow schlief noch immer, und obwohl sehr bleich, verrieth doch nichts eine Verschlinnnerung ihres Zu stande-S, wie Marie es nach der ausregen den Nacht gefürchtet hatte. Fliisternd gab sie der treuen Dienerin noch einige Weisungen und verließ dann leise das Gemach Aber nicht ihr Lager ging sie a11f,-,11sucheii, eg trieb sie hinaus in den köstlichen Sommerniorgen, um durch den Anblick der herrlichen Natur die beunruhigie Seele wieder in’s Gleich gewicht zu bringen. Jn Gedanken verloren schritt sie den Weg entlang, der zu den Fällen führte, bis sie einen der zahlreichen Aussichts punkte erreichte. Heimliche Morgenstille umgab den lieblichen Platz, klar und ruhig breitete sich der weite grüne See aus, und gleich einer sanften Musik drang das Rauschen der Wasser in der Einsamen Ohr. Da ballte ein Fußtritt hinter ihr. Sie erschrak nicht, sondern wandte sich dem Näherkommenden still grüßend entgegen. War’s ihr doch, als könne es nicht anders sein, als müsse er kommen, der Heißer sehnte, um ihre zagende Seele mit neuem Muth zu erfüllen, ihre alle Räthsel des Lebens, die sie noch bedriickten, durch sein erhebendes Wort zu lösen. Stratford ergriff ihre Hand und drück te sieinnig. ,,.L)ielten Sie Zwiesprache mit den; Wassern?« fragte er sienndlich »Und: was erzählte Ihnen der brausendei Fall ?« »Viel Trostreiches!« entgegnete sie einfach. »Ich wußte es! Verrieth mir doch Jhr klares Antlitz, daß Sie der Schat ten, welche die letzten Ereignisse auch auf Jhre Seele geworfen haben, wieder: Herr geworden sind! Mein liebes ; Fräulein, welche Aufgabe ist Jhnens zugefallen, und wie tapfer suchen Siei dieselbe zu lösen! —- Wie war die Nacht! für unsere arme Patientin ?« s Marie setzte sich auf ein hervorragen- ; des Felsstiick, er sich ihr zur SeiteJ Schweigeud, die Augen oft voll stiller Bewunderung auf das Antlitz der Sprecher-in heftend, hörte er ihrem Be richte zu. »Dein Leben ist sie also wiederge wonneu,« sagte er, als Marie geendet hatte, möge nun auch ihre Seele ge: nesen!« »Nicht wahr,« rief Marie voll Wärme, »auch Sie hoffen daman »Wie sollte ich nicht hoffen, da Sie mit Jhrer Milde und Gute ihr zur Seite steh(n?« entgegnete er, ihr innig in’s» Auge sehend. Plötzlich jedoch wurdei sein Blick ernst. , Ihre liebevolle Seelej denkt nur immer an Andere. Doch Sie; selbst, mein armes Kind, sehen bleichi und angegriffen aus. Denken Sie, ich’ bitte, mehr daran, sich zu schoneu!« ! »Wie darf man, wenn ein so großesj Unglück die ganze Theilnahme sordert,’ auf ein Paar bteiche Mädchenwangen achten ?« »Und doch hat man ein volles Recht dazu, wenn Einem dieses Mädchen thener ist !« . Heiß schoß das Blut in Mariens Ant-? lih, höher klopfte ibr Herz. Auch in Stratford wallte es stürmisch aus, dochi er kämpfte das erregte Gefühl gewaltsam nieder. War es jetzt wohl an der Zeit, Worte der Liebe zu wechseln? Außerdem war er gekommen, um von ihr Abschied zu nehmen, wenn auch nur für wenige Tage, da ihm die Pflicht gegen den ver storbenen Freund auferlegte, dessen Leiche nach seinem Erbgute zu geleiten nnd dort der Beisetzung derselben in der Familiengrnft beizutvohnen. Ehe er aber Marie aus ihrem Verhältniß bei Blanche zu lösen vermochte, gebot die Rücksicht auf sie, das bindende Wort noch ungesprochen zu lassen. Deshalb drückte er nur sanft ihre Hand und sagte: »Ich sah Sie von mei nem Fenster aus den Weg hieher ein schlagen und folgte, um Ihnen Lebewohl zu sagen.« »Sie gehen fort-— jetzt?« »Mir siirtnrse Zeit,« entgegnete er und blickte ibr so erinntbigend, so innig in’s Auge, daß jede Sorge von ihr wich. »Geber! Sie mit Gott,« sagte sie leise, aber mit einem Ausdruck hingebendsten Vertrauen«-, der Strats. rd aufs Tiefste rührte. »Holdez, süßes Mädchen!« sliisterte er. »Der Ernst des Lebens tritt noch hindernd zwischen uns und unsere Hofs nungen. Hatt-e geduldig, und die Zeit wird bald kommen, wo wir ein Recht haben, an unser Glück zu denkenl« 9. Miß Nobertö nahm eben aus dein Balken ihres Zimmere den Morgenkassee· Bessie, ihre Zose, hatte ihr ein bequemes Kissen und die mirs blauen Atlaspani tösselchen bekleideten Füße geschoben und reichte ihr Feuer zum« Anzünden der Tiger-rette, die sie aus einem silbernen « . Etui genommen. Nachdenklich in den Schauselftuhl zurückgelehnt, blickte Blanche den aufsteigenden Wölkchen nach, als sie plötzlich erbleichend empor fuhr. Vom See herauf fah sie Strat ford an der Seite ihrer Gesellschafterin dein Hotelzuschreiten Die schlaue Jungfer, die mit ihrer Herrin die Anlommenden gesehen hatte, zog sich mit einem spöttischen Lächeln stillschweigend zurück. Wußte sie doch, daß nach solchem Begebniß die Laune von Miß Roberts zu fürchten war. Die se sprang denn auch, sich allein sehend, jäh von ihrem Sitze empor und durch maß mit heftigen Schritten das Zimmer. ,,Unerl)ört,« zischte sie, »dem muß ein Ende gemacht werden, je eher, desto lieber.« Dennoch zeigte sie Etratsord, als er einige Stunden darauf auch von ihr Ab schied zu nehmen ka1n,da5 gewohnte lie beuswürdige Lacheln Ja, mit herzge winnender Anmnth ergriff sie seine ihr dargebotene Hand und sagte mit unge wohnt theilnahnisvollem Tone: »Sie nehmen eine schwere Pflicht auf sich mit dieser Reise, Onkel Reginald! Fast deuchte mir, der duntxl Stunden wären genug gewesen Doch ich weiß ja, Ihr edles Herz muß sich genug thun. Wann darf ich sie zurück erwarten 9« »-oas vermag ich heute noch nicht zu bestimmen,« entgegnete er mit etwas küh ler Höflichkit »Deshalb möchte ich Ihnen auch keinesfalls auferlegen, mich hier zu erwarten. Der Aufenthalt dürfte Für Sie auf längere Zeit nicht angenehm ein. »Gewiß nicht mit diesen Erinnerun gen! Doch fordert die Konvenienz viel leicht, daß ich bis ztr Ankunft des Gemahls der Frau von Verkow hier bleibe?« »Herr von Verkow ist eben ange lommen.« »Ah, um so bessert So werden auch Sie ruhiger von hier fortgehen können. Läßt doch die Ankunft des verrathenen Gatten hoffen, daß er geneigt ist, das Geschehene zu vergessen.« »Das hoffe ich allerdings. Scheint Herr v. Bertow doch, so viel ich nach der ersten Begegnung mit ihm urtheilen kann, ein großherziger Charakter zu ein.« »Und Frau Frida——hat er iie schon gesehen ?« »Noch nicht: der Arzt wünscht erst eiiie Vorbereitung Es ist daher mög lich, daß ein bis zwei Tage noch vergehen, ehe er die Genesene begrüßen dar .« Blanche spielte gedankenverloreu mit dem Fächer, der an ihrem Gürtel hing. Stratforb, schon in der Thüre, wand te sich von einem plötzlichen Gedanken erfaßt noch einmal unt. »Eines möchte ich Ihnen an·"s Herz legen, Blanche! Pflege-n Sie unsere klei- ; ne Samariterin gut! Sie sah heute an-s gegriffen aus, und ich iviinschte«———er be- s tonte die letzten Worte bedeutsam »und ich wünschte bei meiner Rückkehr sie in ihrer alten Frische wiederzusehen! Bin ich doch die Veranlassung, daß sie sich fast iiber ihre Kräfte der Pflege der Geretteten gevidcnet hat.« Ohne eine Antwort abzuwarten, schlon er die Thüre hinter sich· Manche olickte ihm mit einem spöttischen Auf lachen nach. »Du wirst sie nicht wiedersehen,« mur melte sie, »zum Mindesten nicht bei mir.« Kaum war Stratford abgereist, so wurde Marie zu ihrer Gebieterin ge rufen. Blanche empfing die Eintretende mit gerunzelter Stirne und mit einem kalt messenden Blicke, vor dein diese unwill kürlich erbleichte. Mit einer Handbe wegung die mit schüchterner Frage zu ihr Aussehende auffordernd, ihr gegenüber Platz zu nehmen, begann sie mit einer fast rauhen Stimme, aus welcher der ganze Haß ihrer Seele gegen die glück liche Nebenbuhlerin klang: »Ich bedaure mich genöthigt zu sehen, ein ernstes Wort mit Ihnen zu sprechen, Fräulein Feld heini, das Sie mir besser hätten ersparen können. Zuvörderst möchte ich eine Frage an Sie richten: Jn welchem Ver hältnisse stehen Sie zu meinem Onkel Reginald, mit dem Sie sich nicht scheuen, der Sitte Jhres Landes zum TrotzSpw ziergänge zu Zweien zu machen in so früher Morgenstunde, wo die übrige Welt noch der Ruhe pflegt?« Eine dunkle Vlutwelle schoß in Ma rieniJ Wangen. »Misz Roberts,« rief sie, vor Zorn und Zcham erbebend, »Sie können, Sie werben nicht glauben, dasz etwa-J Anderes alr- der Zufall mich mit Herrn Stratford heute Morgen ;,usammenfiihrte, ein Zu fall freilich, den ich mit Freuden begriisz te, da ich lieinem lieber begegne als Herrn Stratford, dein ich in jeder Be ziehnng zu Dank verpflichtet bin.« So stolz, so ernst sprach diese Worte das sonst so bescheiden zuriickhaltende Mädchen, daß Blanche einen Augenblick verblüfft zu ihr aufschaute. Dann tiinte ein kurzes, höhnisches Lachen von ihren Lippen. »Bravo, Sie kleine Unschuld, bravo! So hätte ich eigentlich lanm noch etwas hinzuzufügen. Doch möchte ich Sie aus Mitaefilhl für Ihre Unerfahrenheit da ran erinnern, daß man die Höflichkeit eines Herrn nicht ernster nehmen darf, als sie gemeint ist· Jst Mr. Stratsord doch, was Sie vielleicht noch nicht wissen, mein zukünftiger Gemahl-« Marie erbleichte »Ihr zukünftiger Gemahl ftammelte sie.« »Ah, also hochl« rief Manche, und ans ihren Augen flammte es wie wilder Triumphs »Dachte ich’ö mir doch, daß es so kommen mußte. Sie lieben den Mann, ver mein Verlobteevish der mein s Gatte werden soll. Armes Kind,« fuhr sie mit fpöttischem Mitleid fort, »ich be klage Sie! Sie kannten noch nicht die Männer So find sie Alle; unbeküm mert um das Leid, das sie durch ihren Leichtsinn anrichten. « Die Wirkung dieser frivolen Lüge war nun doch eine ganz andere, als die kluge Umerikanerin vorausgesetzt hatte. Marie erhob sich und ihre sanften blau en Augen eriist auf die Verleumderin richtend, sagte sie mit einer Würde und jungfräulichen Hoheit, die sie wie die Ge bieterin, die stolze Blanche als ihre Un tergebene erscheinen ließ : »Sie klagen Herrn Stratford mit Un recht an, Mifz Roberts· Jch habe ihm nichts vorzutoerfen. Setbst wenn ein edler Mann sich von seinen Gefühle weiter hinreifzen läßt, als er sollte, wird er doch nie im Stande sein, niedrig zu handeln. lKein Wort, das mich zu direkten Hoff nungen berechtigte, ist über seine Lippen gekommen, und ist in meinem Herzen ein Gefühl für ihn erwacht, wie Sie glauben es annehmen zu können so trägt meine Unerfahrenheit allein die«Schuld. «. Etwas wie Scham bei den hochherzi gen Worten des Mädchens stieg in Blanche auf »Um so besser, « stammelte sie ver »Mir bleibt nur noch Eins übrigJ Miß Roberts,« fuhr Marie, alle ihre Kraft zusammennehmend und dennoch mit einer von Schmerz zitternder Stimme fort, »unter diesen obwaltenden Umstän den mir meine Entlassung von Ihnen zu erbitten.« ! Blanche neigte zustimniend und mit einem Athemzug der Erleichterung das Haupt. »Ich habe es nicht anders er wartet.« Wankenden Schrittes verließ Marie; das Gemach. Blanche starrte ihr eine Weile regungslos nach. Jhre Stirnek faltete sich düster. »Wenn es nun doch unnütz wäre, unnütz dieser ganze Auf wand von Lüge und Verstellung? Wenns er dieses Mädchen genug liebte, um ihrs selbst in die Ferne zu folgen? Pah,«f suchte sie sich indessen nach einer Weile wieder zu beruhigen, »was ist’s denn weiter? Von einer Nebenbuhlerin suchte ich mich zu befreien, es war ein Mittel wie jedes andere, und istim Kampfe un1’s Dasein nicht jedes Mittel erlaubt? Ge winne ich den Sieg, so war es gut. Der Erfolg erst wird entscheiden.--—-« Am anderen Morgen verließ Blanche mit dem ersten Dampischiffe den Gieß bach, um nach Jnterlaken zurückzukehren Marie stand am Fenster und blickte ernst der zum Landungsplatz Schreitenden nach. Sie dachte jetzt des warnenden Abscluedswortes der Mutter: »Du sehnst Dich in die Welt, in die Fremde, unser stilles Städtchen wird Dir zu eng; ach, mein gutes Rind, wie bald wirst Du einsehen, daß es doch besser ist, da heim ein stilles Leben zu siihren, als draußen in der großen Welt allein zu stehen, ein Fremdling unterkalten gleich giltigen Menschen !« Ein Fremdling, ja, das war sie in der Welt-als ein Vogel mit gebrochenen Schwingen kehrte sie nun heim zur Mut ter, aber auch gründlich geheilt von dem Drange in die Ferne, der sie daheim oft mit veinigender Gewalt gequält hatte. » Dennoch verlor sie keinen Augenblick den Muth. Wie weich und nachgiebig sie auch erschien, so barg diese junge; Brust einen starken und festen Willen.’ Sie klagte Stratford nicht au, wie durf-« te sie das? Litt er doch vielleicht selbst ebenso schwer, wie sie; denn daß es Wahrheit gewesen, was seine Blicke, was sein Mund zu ihr gesprochen, das fühlte sie im innerften Herzen, daran zweifelte sie keinen Augenblick. Aber das Schicksal trat hindernd zwischen sie und ihm, der Traum der Liebe, der so süß für sie Beide gewesen, mußte been det sein. Der Eintritt des Arztes entriß die Sinnende ihren Gedanken. Er blickte in ein feuchtschimmerndes Auge, in ein müde und bleich aussehendes Antlitz.; Besorgt faßte er Mariens Hand. »Sie sehen angegriffen aus, mein Fräulein, angegriffener, als es mir lieb ist. Fiihlen Sie sich nicht wohl ?« »Ganz wohl,« entgegnete sie sanft. »Und wie geht es Frau von Ber kow?« »Noch Umständen gut. Soeben habe ich sie von der Ankunft des Herrn v. Beriotv unterrichtet. Sie nahm meine Mittheilnug merkwürdig gefaßt aus. Befindet sie sich doch augenblicklich in ei nem Zustande der Apathie, der Besorg nisz erregen könnte, wenn man nicht hof sen diirste, das bevorstehende Wieder sehen mit Gatten und Kindern werde neuen Willen zunc Leben in ihr er-: wecken.« »Dars ich jetzt zu ihr gel)en?« »Ich bitte Sie daruni.« Marie trat leise bei Frida ein, die be reits das Bett verlassen hatte nnd aus einer an das ossene Fenster gerückten Chaise longue ruhte. Jhre große Augen schauten ans einem erschreckend bleichen Antlitz sast stumpf in die Ferne, als sei sie völlig dem Leben und ihrer Umge bung entrückt. Bei der Annäherung Mariens schreckte sie zusammen, lächelte dann aber, als sie ihre Pflegerin er kannte, derselben« mit wehmüthigem Ausdruck zu: »O, Sie sind es—ich dachte er,« und wie ein nervösess Beben flog es durch ihren Körper. »Bleiben Sie hier bei mir. Sie waren mir viel, sehr viel, Sie sanftes, liebevolles Kind, obgleich ich kaum weiß, ob ich Ihnen dafür danken soll, daß Sie dazu beitra gen,- ein Leben zu erhalten, das mir verhaßt ist.« Gmievtmg folgt-) M—« « » Deutschland- mekmuuqe sum l»iserl. Tageblatt.« Ein Wald von tausend Schornsteinen und dampfenden Essen ragt anf; Je bril an Fabrik, soweit das Auge reicht. im Stadtgebiet, in den Vororten, m der ganzen Nachbarschaft, stundenweit rings um, Fabriken im weiten Thale nnd ring auf den Höhen, in der wasserreichen Ebene nnd auf den sanften Abhängen des Erzgebirges. Chemmitz ist fast amerikanifch groß geworden; es ist wild in die Höhe geschossen. 1830 hatte es wenig über 15,000 Einwohner, 1860 etwa 45,()00; 1870 ca. 67,000, 1880 über 9 ) ,000 und bei der letzten Volls zählung,189(), gegen 139 ,.000 Heute zählt es schon 14:3,,00() und gegen Schluß dies ise Jahres-, welches die Ein verleibnng zahlreicher Vororte bringen wird, werden wenig mehr an 2()0,000 Einwohnern fehlen Dazu kommen reichlich1()(),()»0Köpfe, und zwar fast ausschließlich Arbeiter, die im Umkreis von etwa einer Meile und in mehr oder weniger unmittelbarer Verbindung mit der Stadt hausen. Ehemnitz nimmt unter den exportiren den Städten nicht nur Deutschlands, sondern Europas einen der ersten Plätze ein —- nach dem ziffermäßigen Umschlag rangirt es wohl schon an vierter Stelle unter allen Städten Europas. Die Chemnitzer Industrie hat zunächst Hand und Fuß, d. h. sie hilft Hand und Fuß mit Wollhandschuhen und Strümpfen bekleiden und ist in dieser Branche, in der Baumwollspinnerei, Weberei und Wirkerei vielleicht der erste Platz der Welt. Nur ganz kurz seien erwähnt-außer den großartigen Baumwollspinnereien-— die Maschinenfabriken aller Art, die Fabrikation der Möbelstoffe, die Fär- « bereiu und Appreturanftalten, die chemi schen und die Drahtgewebefabriken, die Kartonagefabriken und die Mahl wühlen Daß die politische Vertretung einer so industriellen Stadt zunächst im Reichs tag in den Händen der Sozialdemokra ten liegt, versteht sich wohl von selbst. Aber auch im Landtag ist Chemnitz halb —-is giebt da zwei Wohlbezirke, Chem uitz: Stadt und ChemnitzLandsoZals demokratisch, halb fortschrittlich ver treten. Die eigentlichen Beherrscher der Stadt, die Fabrikanten, sind meist kon servativ oder nationalliberal, mit einem Stich in’s Kirchlich:Frömmelnde, wie ec- den Herren Sachsen« der schwach liberalen Prooeuienz überhaupt eigen ist. Die publizistischen Organesjdieser Herrschaften — das ,,Leipziger Tage blatt«, die ,,Dresdener Nachrichten« und das »Chemnitzer Tageblatt« — gelten ja als Vertreter der satten Tugend und der zahlungfähigen Moral Gesellin und gesellschaftlich findet na tiirlich eine strenge Sonderung statt. »K«asino«—»Erholung« —— »Gondelge sellschaft« bedeuten die drei Stufen, vom Allerhöchsten zum Hohen und gewöhnlich Bürgerlichen herabschreitend. Das-Chem nitzer ,,Kasino« ist das Seitenstück zur Leipziger ,,Harmonie«; es bedeutet das Allerheiligste, in das nur die Hohen priester Zutritt haben. Es ist auch ein stolzer Bau, den die industriellen Großherren sich da errichtet haben. Kunst und Wissenschaft werden von der großmächtigen Jndustriestalt Chemnitz nicht stark strapazirt. Unter den reichgewordenen Herrschaften finden sich zahlreiche, aus kleinen Verhältnissen EmporstiegeneiParvenus klingt zu häß lich !—die es Gott sei Dank nicht nöthig haben, sich um solchen Ksrimskrams zu kümmern. Wenn der frühere Handar beiter und heutige Millionär sich eine prachtvolle gothische Villa bauen läßt-— seine Frau spricht bartnäckig von einer ,,gothaischen«:Villa-so hat er damit sicher seinem Stylgefühl keinen Ausdruck geben wollen, sondern nnr seinem viel leicht durch die Konkurrenz aufgestachel ten Repräsentationsbedürsniß. Immer hin verdientdieser Millionär noch den Vorzug vor einem zweiten, der sich aus feiner Arbeiterzeit die absolute Bedürf niszlosigkeit hinübergerettet hat und ei nen beinahe dürftig zu nennenden Haus halt führt, weil »noblesse oblige« eine sranzösische Redensart ist und er nur sächsisch und keine andere Sprache ver steht. Eine andere Kategorie reich ge wordener Chemnitzer sind die Epikuräer, die, nachdem sie genug erworben, ihrer schornsteingesegneten Vaterstadt den Rücken kehren nnd ihre schönen Revenuen in fchiineren Gegenden ver zehren. So ganz aus Rosen gebettet sind üb rigens heute auch die Millionäre nicht; die Meseinley Bill und verschiedenes Andere haben einen starken Riickschlag erzeugt; kurz vor dem Inkrafttreten der Bill wurde mit allen verfügbaren Kräf ten gearbeitet, und so entstand eine Ueberproduktion, deren Folgen heute noch nicht überwunden sind. Die gro ßen Firmen können es ja verwinden, aber verschiedenen kleineren hat es doch den Hals gebrochen, und namentlich das Vermittlerthum, die Kategorie des ,,Faetors,« die vom Fabrikanten Roh stofse in beliebiger Menge erhalten und dieselben meist in hausindustriellem Betriebe verarbeiten lassen, hat stark gelitten Am l. Mai wnrde bei Unn, Jll., ein Betrunkener von einer Locvmotive erfaßt und hoch in die Lust geschleudert. Er blieb ohmnächtig liegen und der Doc tor erklärte, er- müsse in einer Stunde sterben. Der Mann starb jedoch nicht, sondern verlangte nur Whiöky und ist jetzt wieder ganz wohl.