Grand Island Anzeiger. (Grand Island, Nebraska) 1889-1893, April 01, 1892, Image 7

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    uDie Grundniiihle. i
Kriminalroman v. Friedrich Jacobsen.
Der Amterichter wußte, daß ein
Mörder, vielleicht ein bewassneter Mör
der hinter ihm drein schreite, aber er
hatte in diesem Augenblick nur das Bild
des zum Tode erniatteten, vollkommen
gebrochenen Menschen vor Augen, und
dann— warum wäre jener denn ge-(
kommen, wenn er Schlimmes itn Schilde
führte?
Dennoch verschloß er vorsichtig die
Thür des Gerichtsiimmers, deutete auf.
einen Stuhl und setzte sich selbst hinter!
seinen breiten Altentisch !
Maus Merten nahm aus den angeis
botenen Stuhle Platz, stiitzte den Kopf
in die Hände und schloß seine Augen,
es hatte den Anschein, als wenn er ein
schlafen wollte.
Stein wartete geduldig einige Minu
ten und blätterte indessen in den Alten;
er konnte iein sörmliches Verbör ohne
Protokollsührer anstellen, aber einige
Fragen wollte und mußte er doch stellen;
jener sollte sich nur etwas erholen.
So vergingen etwa zehn Minuten;
der Richter wurde endlich ungeduldig
und räusperte sich vernehnilich.
Was war denn das? Schlies der
Mörder wirklich oder stellte er sich nur
schlafend? Eine Verstellung war doch
wahrlich überflüssig, nachdem er sichs
selbst dem Gericht übergeben hatte.
,,Merten!«
Nun hob jener mit einem Seufzer
den Kops und sagte:
»Haben Sie meinen Namen genannt,
Herr Anttgrichter? Verzeihen Sie,»
aber ich bin das nicht mehr gewohnt,
Jm Zuchthause war ich Nummer siini:
unt-zwanzig, weiter nichts.« .
»Klaus Merten, Jhr wißt, wessen
man Euch anllagt.«
»Seit einer Stunde kann ich es mir
denken, Herr Amtsrichtei.«
»Seit einer Stunde?«
»Gewiß, aber ich verstehe es doch
nicht ganz. Es mag eine Stunde her
sei-ti, als ich in den Laden des Bäcker
meifters Schulze trat, um ein Brod zu
laufen. Ich konnte es vor Hunger nicht
mehr aushalten. Als die Gesellen mich
erblickten, schrieen sie: ,Da ist der
Vatermöeder, haltet den Vatermörder!·
Einer warf mit demFeuerhaken nach mir,
und der andere kam mit einem Gewehr.
Da bin ich sortgelaufen, um mein arm
seliges Leben zu retten, und die ganze
Meiste war hinterdrein. Erst als ich
auf den Wald zu lief, ließen sie von mir
ab. Jch wollte zuerst im Walde die
Nacht zubringen, aber ich fühlte, daß
ich es nicht ausgehalten hätte. Darum
bin ich hierher gekommen, Herr Amts
richter, Sie müssen mich doch schützen
und vielleicht können Sie mir auch fageu,
was die Leute denn eigentlich von mir
wollen«
Er sprach die Worte mit ruhiger, mü
der Stimme, aber aus seinen Augen leuch
tete eine angstvolle Frage.
Der Amtsrichter faßte sich an die
Stirn; was war denn das wieder siir
eine santaische Falle?
Er erhob sich und fragte mit tiefern-»
ster Stimme:
»Und Jhr wißt es wirklich nicht,
Merten?«
»Ich kann es mir ja ungefähr den
ken,« gab jener gelassen zur Antwort,
»aber es ist doch sonderbar. Jch habe
ja meine Zeit richtig bis auf die letzte
Minute abgesessen und bin von dem
gerrn Direktor selbst entlassen worden«
as scheinen die Leute hier nicht zu
wissen, sie glauben wahrscheinlich, dasz ich
ausgebrochen wäre. Und wenn sie mich
Vatermbrder heißen, so ist das wohl
ein hartes Wort, aber schließlich hab’
ich’s ja verdient. Denn ich hätte da
Gunal meinen Vater ebenso gut mit der;
xt todt schlagen können, und daß es
nicht so gekommen ist, das lag vielleicht
zum wenigsten an mir. Nicht wahr,
Herr Amt-richten so hängt die Sache
zusammen?« «
Durch den Kopf des Richters flog blitz
schnell ein Gedanke, würdig eines arg
wshnischen Kriminalisten ?
»Der Mann,« so dachte er, »hat
die Möglichkeit des Entrinnens aufge
geben und stellt sich deshalb freiwillig,
um durch sein harmloses Auftreten
den Verdacht der That von sich abzu-;
lenken.« , s
Und mit dem Bewußtsein, einen:
abgehiirteten schlauen Verbrecher vors
sich zu haben, änderte er sein Benehmen.s
Er stellte sich dicht vor den Zuchtlsauss
ler und sagte mit strenger Stimme
«Eg ist jetzt keine Zeit, ein Verhör
anzustellen, und zum Niederschreibem
Eurer Lügen habe ich keine Lust. Iler
werdet niir seht unverzüglich und ohne
den geringsten Widerstand in die Froh-i
veste solgen, denn ich verhaste Euch,
Klaus Merten, wegen dringenden Ver
dachts des Mordes, begangen ain gestri
gen Abend an Eurem leibliche-n Vater,
dem Grundiniiller Merten in der Grund
mtihle. Erhebt Euchs-«
Und Klaus Merten stand aus, aber
nicht wie ein Mensch, dessen Gedanken
klar sind und dessen handlungen vom
Willen beherrscht werden.
Er blickte wie irrsinnig um sich, subr
ein paarmal mit den Händen durch die
Lust nnd brach dann lautlos zusammen
wie ein gesallter Baum.
Als Stein am nächsten Morgen sei
nen Ptah aus dem rothgepotsterten
Richterstuhl eingenommen hatte, erschien
der Gesan enmeister zum Newport
Der mtirichter sah ihm unruhig
entgegng mä- sra te: ei M
» er u sg angene er
ten Monats-Thus
,,tsolttounnen, perr Inn-richterl«
»He-den Sie gestern Abend noch einen
Urze gerufen ?«
»War nicht nöthig ; eine warme Suppe
und ein tüchtiges Stück Brod thaten die
selben Dienste.«
»Er hat’s genommen ?« »
»Und od! Die Ohnmacht war
nichts als pure Schwäche; der hatte
sicherlich seit zwei Tagen nichts geges
en.«
»Also keine Verstellung, Brand ?«
»Nein, Herr Amtsrichter, so kann sich
keiner verstellen.«
»Und was macht er jetzt?«
»Ich habe ihn mehrfach durch die
Klappe beobachtet; er schien geschlafen
zu haben nnd sitzt seitdem ruhig aus sei
ner Pritsche. «
»Haben Sie noch Gelegenheit gesun
den, ihm mitzutheilem daß auch seine
Mutter todt sei?«
»Wie der Herr Amte-richtet befohlen
haben!«
»Und was sagte er darauf?«
»Nichts!«
,,Fiihren Sie ihn vor, Brand!«
Der Richter hatte mit jener Mitthei
lung einen besonderen Zweck verfolgt;
der schreckliche Gedanke in der einsa
men, dunklen Nacht mußte den Gesan
genen mürbe machen, und dann sollte
das Verhör wirken wie Essig in einer
Wunde.
Klaus Merten kam und septe sich aus
das Armensünderbiinkchem er blickte
vor sich hin, ganz still mit gesalteten
Händen.
»Haben Sie sich besonnen während
der Nacht ?« fragte Stein«
Er sagte nicht mehr ,,Jhr,« wie die
Richter zu den ledigen Bauernburschen
zu sagen pflegen, er hatte ein unbe
stinimtes Gefühl, als ob jener stille
Mann in irgend einer Weise über den
Bauernburschen stehe—im Guten oder
Schlimmen.
»Nein, Herr umtgnchter,« entgegnete
der Gefragte, »ich habe die Nacht ge
geschlafen.«
»Konnten Sie schlafen ?«
»Man lernt das, Herr Amtsrichten
Jch meine, im Zuchthause. Da möchte
auch mancher lieber laut schreien, aber
das Schreien hilft nicht, das Schlaer
hilft. Man denkt nicht dabei.«
»Warum haben Sie sich gestern Abend
gestellt, Merten ?«
»Ich hab’ es ja schon gesagt; um zu
hören, warunt man mich verfolgte, und
um mein Leben zu retten. Man wollte
mich ja todtschlagen. Und dann noch aus
einem andern Grunde.«
»Aqu welchem ?«
Dei Zuchthäusler zuckte die Achseln.
»Was soll ich denn draußen machen,
Herr Amtsrichter? Jch hab’ ja gesessen.
Es ist schon besser, daß ich weiter sitze,
wenn ich auch nicht weiß, weshalb. Es
ist hübsch warm und trocken in der Zelle,
sein Eisen hat man auch, und die Ge
fangennteister find gewohnt, tnit unser
einem umzugehen. Die spucken nicht
ausz, wenn man ,Grüsz Gott« sagt. Ich
wollte wenigstens so lange sitzen, bis man
ntich fortgeschafft hatte nach Amerika oder
sonst wohin-«
»Also das ist Ihr Wunsch ?«
»Jetzt schon noch mehr, seit ich weiß,
dasz meine Mutter todt ist.«
»Und Jhr Vater P« sagte der Richter
ernst.
»Der war schon gar lange für mich
todt oder ich für ihn,« entgegnete finster
der Bursch. ,,Daium hatte ich nicht erst
nöthig, ihn todtzuschlagen Wer hat’s
denn gethan, Herr Atntdrichtm und wie
ist’s gekommen ?« :
Das war die seltsamste Frage, die
wohl jemals aus dem Munde eines
Angeklagten gekommen war. Der»
Richter wollte die Antwort erforschen,
und jener fragte den Richter ganz ge-»
lassen. E
Stein tonnte eine kleine Verlegenheit
nicht unterdrückeu,"«:es entstand eine
Pause. Dann änderte er die Art des
Verlust-.
»Wann sind Sie aus dir Anstalt ent
lassen ?«
«Vorgestern früh.«
»Mit Zwangspaß in die Heimath?«
»Mit Zwangspaß.«
»Sind Sie geradewegs nach Schön
born gegangen ?«
,,Nein,auf einem Umwege durch die
Wälder-«
»Warum ?«
»Im ersten Dorf liesen die Kinder
hinter mir drein und warsen mich mit
Koth. Sie sahen wohl meiner Jacke an,’
daß Niemand es ihnen wehren dursteJ
Da ging ich abseits.«
»Haben Sie die sogenannte alte:
Uiaussee zwischen Hagenbnrg und Schön
horn berührt?«
»Nein, Herr Amtsrichter.«
»Sie kennen das Haus des Revier
sbrsterö Selling?«
»Ja wohl.«
»Es ist oorgestern Nachmittag oder
gegen Abend aus demselben eine geladene
Büchse entwendet worden«
Merten zuckte die Achseln.
,,-lliöglich ich weiß es nicht.«
»Um wie viel Uhr sind Sie bei der
Grundmiihle angelangt.
Der Gesanqene lzögerte einen Augen
blicl mit der Antwort.
»Ich habe das Haus gar nicht betre
ten-«
»Das stimmt. Aber Sie besanden sich
Abends in der Nähe desselben.«
»Nicht gerade in unmittelbarer Nähe,
derr Amtsrichter, aber auch nicht weit
entsernt.«
Stein machte eine ungeduldige Bewe
IUU9. «. s«
»umzwei bis tikei schim- wia ich
nicht mit Ihnen rechten. Nachdem sie
sich any eine weite tu des Nah- m
Hauses aufgehalten hatten, —- was Sie
dort gethan haben, will ich vorläufig
nicht tragen-begaben Sie sich zurück aus
die Heide, in der Nähe der sogenannten
Heidebuche.«
Der Gefangene schaute ruhig empor.
«Verzeihen Sie, Herr Amtsrichter,
Sie scheinen ja alles ziemlich genau zu
wissen, aber der soeben von Ihnen
gebrauchte Ausdruck ist doch nicht ganz
richtig. Jch habe mich nicht von der
Grundniühle zurück an die Heidebuche
begeben, sondern ich kain zuerst an den
erwähnten Baum und bin von dort aus
nicht näher an die Grundmühle heran
gegangen.«
»Sv,so!«
Stein erhob sich nnd ging einigemal auf
und ab. Dann wandte er sich rasch gegen
seinen Gefangenen.
»Was hatten Sie an dein Stamm der
Heidebuche zn suchen, Merten?«
Jener sah den Richter aus einen An
genblick ungewiß forschend an, dann glitt
ein mattes Lächeln um seine Lippen, und
er entgegnete:
»Ach so, nun entsinne ich mich. Sie
sind also selbst jener Herr gewesen,
welcher um dieselbe Zeit über die Heide
ging.«
»Sie haben nicht zu fragen, das ist
meine Sache,« verwies der Richter.
»Schon recht, Herr Amtsrichter,
nichts für ungut. Was ich an dem
Baume wollte? Sie wissen vielleicht, daß
der Stamm desselben bohl ist. Es war
kalt in jener Nacht, es hatte geregnet
und drohte mit mehr Regen. Jch wollte
dort Unterschlupf suchen für die Nacht.
Aber die Oeffnung war zu eng, darum
scharrte ich auf der nebenanliegenden
Wiese etwas Heu zusammen und wühlte
mich hinein.«
»Warum thaten Sie das, Merten?«
»Ist es ein Unrecht?« fragte jener
dagegen.
. »Das wohl nicht, aber es ist auffällig.
Sie befanden sich eine Viertelstunde vom
;Elternhause entfernt, warum haben Sie
Inicht dort Unterkunst gesucht? Sie muß
;ten es ja schließlich doch. «
Der Zuchthäusler schüttelte den Kopf.
»Sie wissen nicht, wie das ist, Herr
Amtsrichter. Sie sind nicht mit dem
Beile auf Ihren eigenen Vater losge
gangen und Sie haben nicht dafür im
Zuchthause gesessen. Denken Sie sich
doch nur in meine Lage! Nach Hause
mußte ich ja und nach Hause wollte ich
auch, aber als ich in die Gegend kam,
da begann ich mich zu fürchten. »Wenn
Du so in der dunklen Nacht heim
komms ,« dachte ich, »was werden sie da
sagen ?« Meine Mutter war ja krank,
und mein Vater —««
Klaus Merten legte den Kon in die
Hände und schwieg. Dann fuhr er leise
fort:
»Ja, Herr Amtsrichter, es schüttele
mich, ich kam mir so recht vor wie ein
wildes Thier, das aus seinem Käfig
gebrochen ist und vor dem die Leute
davonlausen. Jn dem Aufzug, Herr
Amtsrichter, und mit den kurz geschore
nenHaarenl Und ich dachte: Wenn
Du ein Thier bist, so sollst Du es auch
haben wie ein Thier-, und da kroch ich
unter» Ich habe gefroren in dem nassen
Heu und ich hätte zu Hause wenigstens
im warmen Kuhstall liegen können oder
beim Hektor in der Hundehiitte, viel
leicht hätten sie mir auch ’was Besseres
gegeben, aber es würgte mich, wenn ich
daran dachte.«
»Das Gewissen, Merten ?«
»Ja, Herr Amtsrichter, das Gewis
sen. Solange ich im Zuchthause saß,
hatte es geschwiegen, ich war trotzig
gewesen, aber als ich frei war, da
kam’s.«
»Und nur das Gewissen über jene alte
That, Merten?« fragte Stein abermals
dringlicher.
»Woriiber denn sonst, Herr Amts
richter? Die Leute sagen, ich hätte
meinen Vater erschlagen, und das ist
mir die ganze Nacht durch den Kopf ge
gangen; ich weiß ja von nichts, lieber
Herr, so theilen Sie mir wenigstens
mit, ob er wirklich und warhaftig todt
ist!«
»Es hat einen entsetzlichen Eindruck
auf mich gemachi,« erzählte später der
Anitsrichtm »ein Mörder, welcher den
Richter bittet, ihm zu sagen, ob sein
Opfer wirklich todt ist!«
Stein erhob sich, nahm ane einein
verborgenen Winkel ein Gewehr und
legte es auf den Tisch.
»Angetlagter, kennen Sie diese
Büchse?«
Ein plöhliches Zittern flog über den
Körper des Mannes.
»Ich kenne sie nicht !« sagte er dann
heiser
»Dieses Mordgeivehr hat man ver
steckt in dein thamui der Heidebuche auf
gefunden !«
»Ich habe es dort nicht beiuerlt,«
sagte Merten fest
»Die Miaise ist abgeschosseii,« fuhr
Stein fort, ,,undhier« -er nahm ein
Papier und rollte eö auf »diese Nu
gel hat im Laufe gesteckt, sie paßt we
nigstens hinein. Wissen Sie, Anges
llagter, wo man diese Kugel gesunden
hat Y«
Klaus Merten sprang auf.
»Wo, Herr Anitörichter?!« schrie er
erdfahl.
»Ja der Brust Jhres Vaters, « ent
gegnete Stein tiefernst: »und sie ist von
der Landstraße aus durch's Fenster aus
Ihren Vater abgeseuert worden, just
eine halbe Stunde vos dem Augenblick,
wo ich selbst Sie an der Heidebuche
etwas habe verstecken sehen: -— die
Mordblichse,« fügte er dann nach einer»
Pause hian
Es war mit dem Zuchthäueler eine
seltsame Veränderung vorgegangen,s
während er zuvor ruhig und mit ossenerl
Miene geantwortet hatte, flog jetzt ein
Fixieren verbissener Zug über sein Ge
i t.
Er saß lange regungslos aus seinem
Platze und starrte vor sich nieder, dann
fragte er mit dumpser Stimme:
»Was steht aus Todtschlag für Strafe,
Herr Amtsrichter ?«
,,Lebenslängliches Zuchthaus; aber
es handelt sich um Mord.«
Jener schien die letzten Worte nicht
zu hören.
»Zuchthaus—-ganz recht! Wen das
Zuchthaus einmal gehabt hat, den läßt
es nicht mehr los. Lassen Sie mich im
merhin absühren.«
»Soll das ein Geständniß sein ?«
»Nein-en Sie’s, wie es Ihnen am
besten paßt, es ist ja doch alles einerlei.«
»Da sei Gott vor,« entgegnete der
Amtsrichter, »aber ich bin noch nicht zu
Ende.«
»So? Noch nicht zu Ende? Jch
dächte, diBOuälerei hätte lange genug
gedauert; aber das ist auch einerlei.«
Stein spielte seine letzte Karte aus
»Sie wollten das Haus Jhres Va
ters am Abend nicht betreten; — aus
Furcht vor dersersten Begegnung, sagen
Sie. Das will ich gelten lassen. Wo
sind Sie aber am gestrigen Tage ge
wesen ?«
Klaus Merten biß sich aus die Lip
pen.
»Im Walde, Herr Amtsrichter. Jch
weiß. was Sie mit Jhrer Frage be
zwecken; Sie meinen, wenn ich nicht
bei Nacht heimkommen wollte, so mußte
ich es doch am Tage, — falls es über
haupt meine Absicht war. Wenn ich
nun sage, daß ich mich am andern Mor
gen, als es hell geworden war, vor den
Leuten schämte, so glauben Sie mir das
doch nicht. Darum will ich lieber ganz
schweigen.«
Damit war das Verhör geschlossen,
und Klaus Merten wurde in seine Zelle
zurückgeführt.
Der Amtsrichter sandte die Alten an
den Staatsanwalt ein und beschloß, das
Kommende ruhig abwarten.
Er war mit dem Erfolg seiner Thätig
leit nicht zufrieden und wußte nicht, wes
halb. Es war da etwas nicht in Ord
nung. Das wurde am deutlichsten sicht
bar, als vor der gesetzlich nothwendigen
Seltion die Leiche des Ermordeten dem
Gefangenen zur Anerkennung der Iden
tität gezeigt wurde.
Es hat bei diesem Anblick schon man
cher Verbrecher gestanden, fast keiner ist
ohne Bewegung geblieben; Klaus Mer
ten aber trat ruhig an seinen todten Va
ter heran und sah ihm fast theilnamlos
in die gebrochenen Augen.
llnzweifelhaft hatte er den rauhen
Mann nicht geliebt, oder die Liebe war
erloschen: aber ist mangelnde Liebe
denn schon Haß, und ist Haß denn schon
Mord?
Drei Tage waren seitdem verflossen.
Der Frithschoppen in der ,,K«rone«
erfreute sich heute einer anszergewöhn
lichen Beliebtheit; denn einmal war
Markttag, an welchem die umliegenden
Gutsbesitzer zur Stadt kamen nnd im
Herrenstiibchen verkehrten, sodann aber
hatte der Bäckermeister Schulze die
Unterhaltung an sich gerissen nnd schil
derte mit großer Lebendigkeit, wie er
beinahe den Zuchthäusler, den Mord
bengel aus der Grundmühle eingesau
gen hätte. Denn der Mord bildete be
greislicherweise das Hauptthema, wenn
zwei oder drei friedliche Bürger beisam
".·.ien waren.
Der Amtsrichter Stein huldigte nicht
der Sitte des Frühschoppisns; er war unt
diese Zeit gewöhnlich beschäftigt und traf
auch selten Bekannte. An jenem Tage
aber ging er dennoch in die »Krone«; er
wußte, daß Selling dort häufig ver
kehrte, und wünschte den Revierförster
in der Merten’schen Untersuchungssache
zu sprechen.
Jn einer Fensternische stand ein lee-·
res Tischen, dorthin setzte sich Stein,
bestellte einen Krug Bier und blickte auf
die Straße.
Am Stammtisch dröhnte die laute
Stimme des Meisters Schulze, und die
Augen der meisten Gäste hingen gespannt
an seinen Lippen.
»Ich sage Ihnen, meine Herren, von
so wag kann man einen Schlag kriegen.
Den ganzen Nachmittag haben sie den
Mordbengel schon gesucht, und wir den
ken natürlich alle, daß er längst über die
Berge ist. Da kommt er am Abend mir
nichts dir nichts ganz frech in den Laden,
legt einen harten Thaler ans den Tisch
und verlangt Brod. Na, ich und meine
lGesellem wir haben dem Burschen warm
Brod gegeben, es mag ihm noch jetzt im
Magen liegen. Aber kriegen thaten wir
zihn doch nicht, denn als mir ihm die
Ohren so ein bischen mit ,Vatermörder«
gelihelt hatten, slog er zur Thiir hinaus
wie eiu Gummiball. Schade, daß mein
Gewehr nicht los-ging, ich hätte dem
Staate Mühe und Kosten gesparrt.«
Die Umsitzenden lachten, und der Wirth
bemerkte im Vorbeigehen:
»Der ist keinen Schuß Pulver werth,
Meister Schulze, nnd Ihre alte Don
nerbüchse wird wohl gar nicht geladen
gewesen sein.«
»Und obt« schrie der Meister entrü
stet· »Ich hatte sie ja denselben Morgen
geladen, ehe noch irgend Jemand von der»
Geschichte was wußte. Extra sur den
Merten hatte ich sie geladen.«
»Wieso denn '2« fragte man.
»Na, Selling hatte mir schon am
Vormittage erzählt, daß der Zuchthänös
ler wieder im Lande sei, und da weiß
man schon, wie der Wind bläst. Ver
laßt euch daraus, es währt gar nicht
lange, so giebt es irgendwo einen Ein
brug nnd-J
» aß bei Meister Schulze was zu
«
holen ist, weiß Jedermann, « bemerkte
ein junger Gutsbesitzer aus der Umge
gend. »Also der Selling hat’s Ihnen
gesagt, Herr Schulge?« s
»An dem Morgen nach der Mord
nacht. Er wollte just aufs Amt gehen,
um, wie er sagte, eine Anzetge zuerstat
ten wegen eines Gewehres, welches man
ihm gestohlen habe. «
Stein hatte dem Gespräch ziemlich
theitnanmlos zugehört, das waren ja
lauter bekannte Dinge, welche dort er
zählt wurden. Bei den letzten Worten
des Bäckermeisters aber fuhr er mit demi
Kopfe herum und ries:
«Sollten Sie sich nicht irren, Herr
Schulze? Der Herr Revierförster ist
wahrscheinlich vom Amtsgericht herge
kommen, als er Jhnen von Klaus Mer
ten erzählte. «
Es entstand eine kleine Pause; die
Anwesenden schienen zu fühlen, daß die
Betheiligung des Amtsrichters am Ge
spräch eine besondere Bewandtniß habe.
Nur der phlegematische Bäckermeister
schüttelte mit ruhigem Lächeln den Kopf
und entgegnete:
»Nichts für ungut, Herr Amtsrichter,"
aber was ich weiß, das weiß ich. Da
kommt ja der Herr Revierförster selbst«
den können Sie fragen. « l
Jn der That erschien in diesem Au-!
genviickdie schlanke Gestank-es Erwähn- I
ten unter der Thür. i
Der junge Beamte blickte sich flüchtig
um und wollte, als er außer am Tische
des Amtsrichters keinen Platz frei sah,
wieder umkehrenz Stein rückte jedoch
beiseite und forderte den neuen Gast
freundlich auf, neben ihm Platz zu neh
men.
Die Revierförster nahmen in jenem
Staate eine Mittelstelle zwischen Ober
beamten und Subalternen ein; im Hin
blick hierauf schien der junge Mann ei
nen Augenblick zu zögern, dann aber
folgte er mit einer gewandten Verbeu
gung der Einladung und sagte:
»Ich wollte nur ganz schnell einen
Schnitt trinken, meine Geschäfte erlau
ben mir selten ein ruhiges Stündchen. «
»Zumal Sie wohl schon im Umzuge
begriffen sind ?« l
»Ich breche in den nächsten Tagen
auf,« entgegnete Selling mit einem dü-l
stern Blick auf sein Glas; »in den näch- !
sten Tagen— —«
Dann stützte er den Kon in die Handi
»Sie gehen nicht gerne, Herr Revier-i
förster. -’« s
»Wer fragt danach, Herr Amtsrich
ter? Wir sind nicht alle so glücklich ge
stellt wie Sie «
Stein brach ab !
»Es ist mir lieb, daß ich Sie noch
sehe. Jch wollte in der Untersuchungs-: ;
suche gegen Merten eine Frage an Sie
richten « (
»Gegen Merten? Merten? Ach so,
jetzt entsinne ich mich!« i
; Da kam etwas hastig und gemacht
Iheraus, aber Stein achtete nicht darauf.
Er nahm ein zusatnmeugewickeltes Pa
pier aus der Tasche, legte es vor sich aus
den Tisch und sagte halblaut: i
»Esiste1gentlick, nicht hier der Ort
zu so ernsten Dingen, aber es soll’ nur
voilciustg eine Prioatfrage sein. Sie
wissen, daß Ihre Biichse in dem Stamm
der Heidebuche aufgefunden worden ist,
und es ist Jhnen ebenfalls bekannt,;
daß der Grundmüller Merten an dem’
Tage der- Entdeckung erschossen wurde. J
Man hat die Kugel in seiner Brust ge
sunden «
»Ja seiner Brust gesunden ?« wieder
holie Sclling mit einem zerstreuten Blick
durch das Fenster.
»Man hat sie mit dem abgeschossenen
Laufe Jhrer Büchse verglichen, Herr
Nevterförster; die Kugel paßt genau in
den Lauf. «
? »Natürlich --— natürlich —« sagte
ISelling mit einem nervösen und unge
duldigen Zacken der Lippen.
s »Und damit ist der Beweis eigent
lich abgeschossen,« fnhr Stein fort.
!,,Dennoch dürfte es vielleicht nicht über- !
isliissig sein, Jhnen die Kugel zu zei
gen sie Jhnen zur Rekognition vorzu- !
legen « i
! Er streckte die Hand nach dem Papier
aus, aus welchem die Augen des Forst- !
beamten mit eigenthiimlicn Ausdruch
ruhten, und wollte es ausrollen. !
Da stand Selling aus. s
. ,,Eine Kugel ist eine Kugel, Herr
Amtsrichter, wie soll man die wieder-.
erkennest Es wird eine Spiykugel sein,
wie sie aus fast allen Büchsen geschossen
wird. «
« Aber schon rollte das matt glänzende
Blei aus den Tisch, und die in der:
Nähe sitzenden Gäste drehten den Kopf
herum
Stein legte die Hand daraus; er wollte
am Biertisch mit amtlichen Asservaten
kein Aussehen erregen.
Selling alter stiisterte hastig: »Es ist
meine Kugel, Herr Amtsriclster; ich
meine, sie gleicht meinen Kugeln; es war
ja so wie so kein Zweifel.«
Dann verließ er rasch mit hastigem
Gruß die Gaststube, nachdem er sein
Gewehr iiber die Schulter geworfen
hatte.
Stein wickelte seine Kugel wieder ein;
drüben am Stammtisch nahm das Ge,
spräch seinen Fortgang, nur klang es
etwas gedämpster.
»Dem konnte auch nichts Aergeres
passiren, als gerade jetzt versth zu wer
den,« sagte einer.
»Wieso P«
»Nun, wenn man ans Freiersstißen
geht —«
»Ach, Unsinn, es soll ja gar nichts an
der Sache sein i«
(isortsetzung folgt. )
In G r ee n B a y wird Mathias
Bau de Lauen processin, der in seinem
Saloon drei Männer geschossen hatte.
—Hs "
Oel-hem- - den«-h «
Das »Verl. Tageblatt« weiß zu es
zählem Einer der humorvollsten Os- -
lehrten ist der Chemiter Geh. Rath Il.
W. v. Hofmann. Wenn er, um nachzu
weisen, daß der Diamant aus Kohle be
steht, einen winzig kleinen Splitter ver
brennt, so pflegt er an den Glaöballpn
die Hand zu halten, da es, wie er hin
zufügt, ihm nicht alle Tage vergönnt fei,
sich an einem Diamantfeuer zu wärmen.
Und wie Homer von einer schaumgebo
renen Aphrodite spricht, so nennt of
mann die bei der Verbrennung entfte en
de Kohlenfäure die ,,Diamantgeborene«.
WDer Humor Virchow’s ist aus derbe
rem Stoffe. Eines Tages sprach er von
dem Bau der Leber und meinte dabei,
daß ihm regelmäßig eine Gewebsart ge
nannt werde, die in der Leber vorhanden
sein sollte. »Ich gebe Ihnen aber drei
Mark,« rief Virchotv mit erhobener
Stimme, »wenn Sie mir dies Gewebe
nachweisen wollen« Als sich bei diesem
Anerbieten schallendes Gelächter erhob,
setzte er trocken hinzu: »Lachen Sie nicht;
drei Mart sind für mich eine große
Summe.« Jnteressant ist es, wie der
Gelehrte parlamentarische Redefloskeln
in den Hörsaal verpflanzt. Wenn er
fein Kolleg ausfallen läßt, so spricht er
von »vertagen«, und nach den Weih
nachtsserien will er seine Zuhörer ,,wie
der einberufen«. Als er jüngst bei ei
ner Verspätung durch das übliche Schar
ren empfangen wurde, wandte er sich an
die »Herren von der rechten Seite« mit
dem Ersuchen, jene Begrüßung einzu
—«.
neuen-Auch oer jungst in den Adels
stand erhobene Prof. v. Bardeleben weiß
seine Reden durch Humor zu würzen,
manche seiner ,,»chnurren« kehren aber
stereotyp in jedem Semester wieder. So
erzählt er regelmäßig von folgender
Examenfrage eines alten Generalarztes:
»Was würden Sie thun, wenn Sie avk
das Schlachtfeld gerufen und Ihnen ge
sagt würde, das Pferd des Majors wäre
gestürzt und hätte sich das Schlüsselbein
gebrochen ?« Der Examinator habe alle
möglichen Berbande und Heilmittel als
unzweckmäßig abgewiesen und nur die
Antwort hören wollen: »Ich würde
das Pferd für eine hohe Summe an ein
großes Museum verkaufen, denn sonst
giebt es keine Pferde mit Schlüsselbu
nen!« Prof. du Bois-Reymond pflegt
bei der Akkommodation der Augen die
Thatsache zu betonen, daß es unmög
lich sei, beide Augen verschieden zu be
wegen. ,,Nur ein Thier hat die Fähig
keit, gleichzeitig nach mehreren Seiten
zu blicken; das ist der Basilisk.DDes
wegen wird von »Basiliskenblick« ge
sprochen. Allerdings besitzt auch eine
Kategorie von Menschen diesen Blick;
ich meine die Heuchler, die das eine
Auge auf die Erde richten und trit dem
andern nach dem Himmel schielen.« —
Geh Rath Leyden ist vielleicht der lie
benswiirdigste aller Professoren Es
war in der letzten Stunde eines Seme
sters, da nahm der berühmte Kliniker
bei Vorstellung eines Patienten die Ge
legenheit wahr, hinsichtlich der Ernäh
rungsfrage besonders auf Alkoholika die
Rede zu lenken. Auf einen Wink er
schien nach der Demonstraiion ein Wär
ter mit einem Korbe von sechs Flaschen
Champagner, die dem Geh. Rath. von
einer Firma zu Prüfung übersandt wa
ren. Der Professor schien die bis zum
Semesterschluß ausharrenden fleißigen
Studenten belohnen zu wollen. Bald
hatte jeder ein gestilltes Glas in der
Hand, unter dem Rufe »Prosit, Herr
Geheimrath,,,prosit,.L)errKollege« wurde
der Wein ,,geprüft« nnd für gut erklärt
—wenigstens für Gesunde.
Reife ·G—ifrke"issr75.
Ueber eine neue Einführung aus dent
Gebiete der Gemüsezucht weiß der be
kannte Kunst- und Handelsgärtner J.
C. Schinin in Ersuit zu berichten. Ei
handelt sich um eine vollständige Um
wälzung im Gurkenbau Während bis
jetzt sehr viel Platz dazu gehört, um
Gurken am Boden liegend zu ziehen,
während bis dahin durch diese Zucht an
der Erde oft Krankheit und Mißwachs
eintrat, hat die neue Gurte die Eigen
schaft, zu klettern, sie rankt sich, an
Stangen, Spalieren u. s. w.gezogen, bis
zu 2 Metern hoch empor und bringt ein
Fülle von prachtvollen spannenlangen
Früchten, die ebenso zum Einmachen,
wie zum Salat vortrefflich sich eignen.
Ein Krank- oder Bitterwerden ist aus
geschlossen. Es wird weniger Jahre
bedürfen und die weitläufiigen Garten
beete werden vergessen. Die Neuheit
stammt aus Japan. Hr. J· C. Schmidt
hat ihr den Namen ,,8i»letiernde Delikats
eßgnrke« gegeben.
Aue C a r s o n, Nevada, berichtet
man iiber einen wiithenden Kampf zwi
schen einer Bulldogge und einein Luchs,
welcher eine Stunde währte, und mit ei
nein Siege des Hundes endete. Die
beiden Thiere sprangen gegen einander,
sobald man sie frei ließ. Die Bnlldogge
packte die rechte Vorderklane des Luchses
nnd hielt dieselbe zwischen seinen Fängen
bis der Luchs in Folge von Erschöpfung
nnd Blntver·iist verendete. Der Luchl
bisz den Hund an vielen Stellen, konnte s
ihn jedoch nicht dazu bringen, seine .
Klane los zu lassen. Die Bulldogge
lief unmittelbar nach ihrem Siege gra
den Weges nach Chiuatotvn, und kämpfte j
mit jedem Hunde, dein sie begegnete.
Der Daiupftessel der Sägmühle Ro. .
2 der East Jordan Lumber Eo. in E a
J or d a n, Mich» zerplahte neul« ,
wobei sechs Arbeiter sofort getödtet und J
vier schwer verleht wurden, ausser-den III
eine große Anzahl leichter. Die Mithlekjt
die 010,000 werth war, ist gänzlich des-Je
molirt Die Ursache der Explosion M
noch nicht festgestellt. l-’;«,j