Grand Island Anzeiger. (Grand Island, Nebraska) 1889-1893, March 25, 1892, Image 7

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    —
Die Grundmühlc.
Kriminalromau v. Friedrich samtnen
Als die Männer dann durch den Hof
schritten, fiel der Blick des Doktors auf
den Hund, welcher ruhig in einem Win
kel lag nnd abermal-z an seiner Vorder
pfote leckre.
Er blieb stehen nnd fragte-:
»Was hat du«-z Thier ?«
»Ich weiß es nicht,« entgegnete Grete
mich nnd wollte weiter-gen
»dem da, Mädchen; laß ihn ’nml
am Hat-band«
Sie gehorchte zögernd.
»So. Alle Wetter-, das ist ja ein
grenlicher Schnitt, bis auf den Knochen
Das arme Vieh wird wohl zeitlebens
lahm bleiben: wenn der Hund mir ge
hörte, würde ich ihn iodtschießen.«
»O, nicht doch, Herr Doktor,« sagte
das Mädchen leise, »er hat ihn sc gern
gehabt-«
e
»Wer? Der Grunoinunere via,
Lind, der ist ja auch tadt·«
Sie schien noch etwas erwidern zu
wollen, schwieg aber und folgte mit ge
fenttetn kva in das ans-.
»Und nun an’s Ge chaft,« sagte der
Doktor. »Aha, da liegt ja der alte Mer
ten auf dem Sofa, wir können ihn gleich
untersuchen.«
»Sie meinen also, r Pfarrer.«-—
»Ich meine zunä ft nicht6,« fiel
hartuiann mit einem Seitenblick auf
das Mädchen rafch ein. »Geh in die
Miche, Grete; enn der Herr Amts
richter Deiner edarf, werden wir Dich
rnfen.« «
Während er das Mädchen hinaus
schpb, war der Arzt an das Kanapee
getreten und hatte die Decke von der
ruft des Todten zurückgefchlagen
Er warf nur einen flüchtigen Blick
auf tie Wunde nnd fragte dann rafch:
»Alfo in einen Nagel will der
Grundniiiller gefallen sein, Herr Pfar
per-(
»So’hat er mir kurz vor feinem Ende
mitgetheilt, und das Mädchen bestätigte
diese Aussage-·
»Glauben Sie selbst daran Herr
Pfarrer?«
»Nein, Herr Doktor, sonst hätte ich
das Gericht nicht bemüht.«
Der Arzt nahm eine Sande aus der
Teiche und wandte sich an den Amte
richter.
»Sie find Jäger, wenn ich nicht irre;
für was halten Sie diese Wunde ?«
Auch Stein hatte nnr einen Blick auf
die Leiche gewarer und entgegnete
bestimmt:
»Für einen Schußlanal, Herr Dot
tar.«
»Für einen Schitleanal, ja wohl. Und
hier,n1eine Herren, hier,« « er führte
die Sande in die Wunde - ,,hier habe
ich auch die Kugel«
Der Doktor legte das kleine Metall
ftück auf den Tifch und blickte mit sehr
ernstem Gesicht feine Gefährten an.
Keiner sprach einWort,nur der Attuar
breitete feine Papiere ane; er wußte
daß die Thatigleit der- Gerichts begin
nen würde.
Und es war nur ein schwache-r Ver
such, die Enthiillnng der grausigen
Wahrheit hinaneznschiebem als der
'Ainterichter fragte:
»Halte-i Sie einen Selbfnnord fin
niitglich, Herr Davon-«
»Nein, lieber Herr, unter feinen
Umständen; der Schnßlanal liiust sent
recht, ein Selbstmdrder konnte nur eine
Pistole in dieser Richtung halten, diese
Kugel stammt aber aus einer Büchse.
Ueberdies würde eine Büchsentugel,
aus unmittelbarer Nähe abgeseuert, viel
tiefer eingedrungen sein, eile es that
sachlich der Fall gewesen ist, und endlich
ist mir belannt, daß der -- sagen tvir
vorläufig der Verungliielte — niemals
eine Blichie besessen hat; das letztere
festzustellen, ist freilich Sache des Ge
richte, meine Thätigteit ist zu Ende.«
»Und die nteinige beginnt nn dieser
Stelle,« sagte Stein, aus das Fenster
deutend, durch welches man iiber den
Zaun hinweg auf die Landstraße blickte,
»denn in jener Scheibe bemerke ich ein
rundes Loch, und solche Oeffnungen
können nur durch eine lingel hervorge
rufen werden; jede andere Einwirkung
hätte das Glas zertrümmert; somit steht
fest, daß von außen aus den Ermordeten
eschossen worden ist. Gendarni Werner,
hren Sie die Dienstmagd des Grund
tnüllerd Merten herein; ich will die
Untersuchung niit ihrer zeugenfchastli
chen Vernehmung beginnen «
Der Amtsrichter nahm hinter dem
Tisch neben seinem Protokollsührch
Platz, legte die Büchsenkugel neben sier
und stityte nachdenklich den Kopf in die
Hand.
Als er wieder ausblickte, stand Grete
mit gesalteten Händen und bleichen Zü
gen vor ihn-.
Stein eröffnete das Verhör mit einer
in ihrer Schlichtheit erschütternden Fra
c;
. »Um wie viel Uhr ist Dein Herr
ein«-n Abend erschossen worden, Mäd
Keiner von den Anwesenden hatte
diesen Beginn der Bernelnnun erwar
tet, und das« einfache Bauern ind ver
mochte dem etoaltlgen Eindruck von
der Mwissen tdei Gerichts nicht zu
widerstehn-.
Stammelnd und unter einein Strom
von Thrllnen ent egnete sie:
»Es san-ex neun getvesen sein,
Herr Ilnuirt er; toir hatten gerade
abgegessem und der Bauer wollte just zu
sett gehen-«
»Er le den Vergang«
« ott ich toeij es nicht. Ich
hatte den Iisch til-geräum, nnd der;
Gmndmuller sagte zu mir, ich solle den
Hund hereinrnfen, weil er gar fo arg
draußen bellte. Es wehte sehr stark,
und darum that ich das Tuch um, wel
ches ich vor acht Tagen von dem Fräu
lein zum Geschenk erhalten hatte
»Von welchem Fräulein, Grete?«
unterbrach der Amtgrichter die Erzäh
lerin.
»Aus der Rosenhainer Pfarre, Herr
Amtsrichter.«
»Ach fo! Nun also, weiter !«
Ich hatte das Tuch just unt die
Schulter gelegt und fragte, ob ich den
Hektor an die Kette legen solle; ich
stand dabei mit dem Rücken gegen das
Fenster, und der Bauer stand da hinten
am Ofen und wollte eben feinen Rock
ausziehen. Da fiel draußen von der
Straße her ein Schuß, es flog mir etwas
heiß an der Backe vorbei, und zugleich
griff der Grundmiiller an feine Brust
und schrie laut auf, dafz er getroffen fei.
Das kam alles auf einmal, und was
weiter geschehen ift, das lann ich nicht
augfagem der Hektor heulte draußen
ganz fürchterlich, und die kranle Frau
fiel vor Schreck in Ohnmacht· Als ich
dann dem Bauer auf das Kanapee ge
balien hatte. denn er war aar ara
schwach, befahl er mir, zum Herrn Pfar
rer zu laufen und-—«
Das Mädchen schwieg und blickte ver
wirrt zu Boden
»Grete,« sagte der Richter ernst, »ich
glaube, daß Du bis jetzt die Wahrheit
erzählt haft, aber jetzt eben wolltest Du
anfangen zu lügen, oder mindestens
etwas zu verschweige-r Jch will daher
lieber eine Frage an Dich richten, und
die Antwort wirst Du später beschwören
müssen Warum befahl der Grund
müller Dir, dem Herrn Pfarrer mit
zutheilen, daß er in einen Nagel gesal
len sei?«
Das geängstigte Mädchen blickte sich
Ischeu um.
l «Muß ich es sagen, Herr Amtsrich
te r?«
»Ja, Grete, Du mußt es «
Sie athmete tief auf.
»Nun denn, in Gottes Namen! Wir
wußten, daß der Klang aus dem Zucht
hause entlassen sei, der Herr hatte mit
der Frau darüber geredet Und als der
Grundmiiller nun aus dem Sosa lag
und die Frau wieder zu sich kam, da
sagte er: »Mutter, die Kugel kam von
Klaus, das ist Gottes Strafe. Aber es
soll nicht mehr Schande auf mein Haus
kommen, als schon daraus ruht, wir
wollen den Leuten sagen, daß ich im
Keller über ein Faß gestürzt sei und
mir einen Nagel in die Brust gerannt
i habe. « Und dann nahm er mir das seier
liche Versprechen ab, dasselbe zu sagen,
ywenn ich gefragt würde, und er meinte,
sdie Sache hätte nichts zu bedeuten.
sAber dann wurde ei immer schwächer,
Iund schließlich mußte ich auf fein Geheiß
zum Herrn Pfarrer laufen. Dag- ist die
reine Wahrheit, und mehr weiß ich
nichth
Der Anitsrichter ließ das Protokoll
niederschreibenund von dem Mädchen
unterzeichnen Dann fragte er noch:
»Weißt Du denn, Grete, auf welche
Weise der Hund seine Verwnndung er
halten hat. 'D«
«Jiein, Herr! Der Hektor war noch
gegen Abend frisch nnd munter; erst
später, als ich mit dein Herrn Pfarrer
zurückkam, bemerkte ich, daß er hmkte «
Stein ließ die Zeugin abtreten, ver
nahm den Pfarrer Hartmann und den
Gerichtsarzt zu Protokoll nnd sagte dann
mit ernster Miene:
»Bevor ich ans den bereit-I festgestell
ten Verdacht hin weitere Schritte nn
ternehme, wollen wir uns zu der Heid
buche begeben; vielleicht findet sich dort
ein stummer, aber dennoch beredter
Zeuge Kommen Sie, meine Herren!«
Er wickelte die Kugel sorgfältig in
ein Stück Papier, befahl dem Gendarm
Werner, in der Grundmühle zu blei
ben, und verließ mit seinen Begleiter-n
das Haue-.
Jn einer Viertelstunde hatten sie die
Heide erreicht und näherten sieh erwar
tungsvoll dem alten, weithin sichtbaren
Baume.
Etwa dreißig Schritte vor demselben
blieb Stein stehen und blickte sich nm.
Hier war die Stelle, wo der Fremd
ling sich am gestrigen Abend mu nenn
Uhr in das Heu eingennthlt hatte, nach
dem er von seiner geheimniszbollen Ve
schastignng am Stanune des Baumes
zuruckgelehrt war.
Das Heu lag noch aus einen Hausen
geschichtet, nian bemerkte deutlich den
Eindruck eines menschlichen Körpers
Ilnd die Heide lag einsam und schwei
gend ini Sonnenschein
Der Stamm der Heidebuche tuar zum
Theil ausgehöhlt, ein schmachtiger
Mann hätte sich darin verbergen können
Aber es barg ein anderes Geheimniß;
der Richter griss in die Oeffnung und
zog aus derselben ein Gewehr hervor,
eine schön gearbeitete Büchse, deren
Schast mit Silber aus-gelegt war.
Die Drei Männer blickten sich stumm
und bedeutungsvoll an, sie wußten alle
aus der Erzählung des Richters, daß
dies dieselbe Buchse sein müsse, welche
dem Reviersörster Selling Tage zuvor
aus seiner Wohnung entwendet worden
war.
Das Gewehr war nicht eladen, aber
eöttug ietnlich frische ulverspuren,
und dte ugel, welche man in der Brust
des Ermordeten gesunden hatte, paßte
genau in den Laus.
Noch an demselben Tage erließ der
Amt-richtet einen Dastbesebl gegen den
entlassen-n Zuchthausstrtifling Klaus
Werten ans der Grundmähle wegen
dringenden Verda tsdes Mord-s, be
angen an seinem eiblichen Vater-, dem
rundmttller Werten.
—
Dann legte er Akten an und faßte ins
demselben alle Verdachtsmomente zu-j
sammen, um der Staatsanwaltschaft die
Uebersicht zu erleichtern. ’
Der junge Richter hatte selten einen
so schlüssigen, klaren Fall unter den
Händen gehabt; aus den festgestellten
Thatsachen ergab sich das Verbrechen
mit fast unanfechtbarer Gewißheit
Der gewaltthätige rachsüchtige Cha
raIter des Angeschuldigten ergab sich
aus seiner Vorstrafe und aus den
Zeugnissen des Anstaltsgeistlichen; die
Beweggründe der That waren Haß ge
gen den Bater, welcher ihm die Braut
genommen und ihn selbst der schimpfli
chen Strafe überliefert hatte.
Einige Stunden vor der Mordthat
war dein Revierförster Selling ein ge
ladenes Gewehr entwendet worden, wel
ches von der Landstraße aus sichtbar am
Fenster der Försterwohnung gelehnt hat
te; Klaus Merten mußte diese Land
straße entlang gekommen sein, wenn er
von der Strafanstalt aus nach Hause
ging; er war mit der Oertlichkeit hin
länglich vertraut und hatte ein Interesse
an dem Besitz der Waffe, während der
Bestohlene selbst nicht im Stande gewe
sen war, gegen irgend eine dritte Person
die geringsten Verdachtsmomente vorzu
bringen.
Genau zu derselben Zeit, wo der
Mord ausgeführt sein mußte —- dafern
nämlich das Mädchen aus der Grund
milhle die Wahrheit berichtet hatte-—
waren der Amtsrichter Stein und der
Pfarrer Hartmann durch den zwischen
Schönborn und der alten Chausfee ge
legenen Wald gegangen, und mitten in
diesem Wald hatten sie jenen räthselhaf
ten Schuß fallen hören, dessen Schall
enau aus der Richtung der Grundmüller
gerübertlang
Wenn man annahm, daß dieser
Schuß auf den Grundmüller abgeseuert
wurde und daß der Mörder nach voll
brachte-e That anf; die Heide flüchtete,
dann tras die Zeit, welche er von der
Grundmühle bis zur Heidebuche ge
brauchte, genau mit dem Augenblick zu
sammen, wo der Amtsrichter den un
heimlichen Fremden am Stamme des
Baumes erblickt hatte.
Jn diesem Baume war das Mordge
wehr versteckt, denn die in der Brust
des Grundmiillers anfgefundene Kugel
paßte genau in den Lauf der Büchse;
jener Fremde hatte das Gewehr in dem
Stamm verborgen, denn ein anderer
vernünftiger Zweck seiner Thätigteit
war nicht aufzufinden, und die Züge des
Mannes, welche der Richter seinem Ge
dächtniß unausldschlich eingeprägt hatte,
stimmten genau mit der in den Mer
ten’schen Akten enthaltenen Personalbe
schreibung überein.
Nachdem Stein dieses vorläufige Er
gebniß seiner Ermittelungen zu Papier
gebracht hatte, legte er die Feder hin
Hund sann nach.
s Das war ein strasrechtlicher Muster
fall, es bedurfte eigentlich nur einer
iKleinigteiL nämlich der Einlieferung
des Fliichtigem um eine spannende Ge
srichtsverhandlung in Scene zu setzen;
faber dennoch fanden sich zwei Punkte,
iwelche nur mit einein gewissen Zwang
Lin die sortlausende Linie der Beweise
l eingesetzt werden konntet-·
Der Mörder hatte kaum eine halbe
Stunde von der Mordstiitte entsernt
lan der Heide übernachtet; er hatte es
Jmit dem Bewußtsein gethan, daß we
Hiigstengs ein Mensch ihn an dieser Stelle
gesehen, und er hatte dennoch just die
sen Lrt ausgesucht, obgleich ein began
gener Fußpfad an demselben vorbei
führte.
Konnte dieses Gebahreu wirklich mit
dem gewöhnlichen Anstreten eines
schuldbeladenen seigen Mörders, oben
drein eines Vatermörders, in Einklang
aebracht werden ?
Wer eine so unnatürliche, grauen
haste That vollbracht hat, den peitschen
hintendrein die Furien des Gewissen-J,
der bricht wie ein gelietzter Wolf durch»
die Busche und mochte bis ans Ende dier
Welt tausen, um zwischen sich und sein»
starre-I Opfer wenigstens den Raum zus
legen, weil er dae Vergessen nimmer-i
nicht zu finden vermag. i
Klaus- Merten konnte kein MenschJ
er inusite ein Ungeheuer sein, wenn er
im Stande war, ander-J iu handeln.
Aber es giebt solche stumpfe Unge
heuer, das allein war kein Beweis
gegen die belastenden Thatsaehen
Anders verhielt es sich mit dein zwei
ten Punkte.
Die Wunde-, welche der Hund des Er
mordeten an seiner Vordisrpsote trug,
staininte nach dein Gutachten des Arztes
von einem Messerschnitt.
- sturz vor der That hatte das Thier
sdiese Wunde noch nicht gehabt, kurz
snach derselben war sie bemerkt worden.
Stein selbst hatte sie ja gesehen, als er
sich an jenem Abend der Grundniiihle
näherte, um Auskunft über den Weg
zu erhalten.
Unmittelbar bevor der Schuß fiel,
hatte das Thier hestig gebellt und ge
tobt, es erschien daher sast gewiss, daß
es mit dem ans der Chaussee stehenden
Mörder zusammengetrossen und von
diesem verwundet worden war, wahr
scheinlich im elnspringen durch einen
Schnitt oder Hieb mit irgend einer schar
sen Wasse.
Klaus Merten hatte sicherlich bei sei
iner Entlassungg aus dem Zuchthause
Keine derartige asse nicht besessen, aber
er konnte sie ebenso gut gestohlen haben,
wie er das Gewehr entwendete.
Aber hatte denn der Hund den heim-s
Iehrenden Sohn seines Herrn nicht er-’
kannt? Wäre ee nicht natürlich gewe
sen, wenn er jenem sreudig entgegen
sprang, anstatt ihn wüthend anzusal
len?
Freilich, Klaus Merten war zwei-Jah
Jahre ootn Hause abwesend und er
kehrte so ganz anders zurück, als er
wegging, aber das treue Gedächtnis
eines Hundes überbrückt Zeit wie Um
stände, das läßt sich kaum aus Augen
blicke täuschen.
Hier lag einWiderspruch, welcher auf
geklärt werden mußte.
Stein ließ den alten Werner rufen,
der Mann kannte jedes Kind im Bezirk,
warum auch nicht jeden Hund.
Das Amt war schon geschlossen, und
es ging stark aus neun Uhr, beror der
Gendarm in die Privatwohnung des
Richters kam.
Er sah müde und verdrießlich aus,
ganz anders als sonst, wenn er eine
tvichtige Sache unter den Händen hatte.
Stein empfing ihn mit der Frage, ob
er bereits auf den steckbrieslich verfolg
ten Klaus Merten gefahndet habe.
»Wie es meine Pflicht ist, Herr Amts
richter,« entgegnete der alte Beamte,
»aber bis jetzt olme Erfolg. Die Bür
germeister der umliegenden Ortschaften
sind alartnirt, diese Nacht soll die Hatz
abermals losgehen.«
»Und wie steht es mit den Aussichten,
ihn zu sangen ?«
»Na, kriegen thun wir ihn schon,Herr
Amte-richten Was soll denn so’n armes
Menschenkind anfangen, wenn alle
Welt hinter ihm drein ist, wie die Wind
hunde hinter dem Hasen? Ja, wie die
Windhunde, Herr Amtsrichter Das
knäfst unds schnappt an allen Ecken und
Enden nach dem fetten Braten, und der
Bursch mag sich ducken und wenden und
all seine arinseligen Kunststückchen an
bringen, schließlich liegt er zappelnd auf
dein Rücken und muß sein Fell lassen.«
»Und das mit Recht, Werner.«
,,Jawohl mit Recht. Haben der Herr
Amtsrichter sonst noch ’was zu befeh
len ?«
»Eine Frage. Kennen Sie den
Wolfshund des ermordeten Grundmtil
lers ?«
»Ich kenne das Vieh, ’s ist eine Teu
felsbestie, aber an der Hasenhatz würde
sie sich nicht betheiligen.«
»So, so. Sie meinen, ein Hund
verräth seinen Herrn nicht D«
»Juft dasselbe meine ich, mit Ver
laub, Herr Amtsrichter «
Stein riebs sich die Stirne.
»Ja, Werner, das paßt nun doch nicht
ganz auf diesen Fall. Der alte Grund
»miiller hat nun seine Ruhe, den hetzen
die Hunde nicht mehr «
»Wenn er sie hat, « entgegnete giftig
den Gendarin. »Aber einerlei, ich meine
auch den jungen. Der hat den Hund
ausgezogen, und es müßte ein undank
bares Vieh sein-— -«
Der Alte brach ab und wandte lau
Ischend den Kopf gegen das Fenster· Es
klang von der Straße heraus wie ver
worrenes Geschrei, wie Fusztritte lau
ernder Menschen und Hundegebell
Werner riß das Fenster anf, horchte
hinaus und sagte:
»Gott’s Donner, Herr Amtsrichter,
lich glaube, sie haben ihn. Jst es mir
doch just, als wenn ich den dicken
Bitckermeister Schulze- Mord und Todt
schlag rufen hörte. Da muss ich uur
gleich hin, sonst priigelu sie den armen
Schelm zu Tode.«
Der Gendarui griff heftig nach sei
nein Helin und stiirzte hinaus. Stein
aber blickte niit eigeuthiiiulich gemischten
Gefühlen auf die Thür, welcher jener
verlassen hatte.
War es denn denlbar, das; der streng
rechtliche Beamte mit dein Verworfensten
unter der Menschheit, mit einein ruch
losen Vaterinörder auch nur das ge
ringste Mitleid hegen konnte ?
War es möglich, daß er seinen Dienst
vielleicht lau versah, um jenen der Ge
rechtigkeit entrinnen zu lassen ?
Nein, das letitere sicherlich nicht, da
von war der Richter selsensest liber
zeugt, und dasz erstere liesz sich nur dann
erllaren, wenn man annahm, dasz Wer
ner nicht an die Schuld des Ver-folgten
glaubte. Aber wer konnte denn daran
zweifeln?
Freilich, die Geschichte mit dem Hunde
wurde immer rätljselljafter, immer vers
worrener.
War vielleicht noch ein Helfersljelsey
ein Coinpliee vorhanden ?
Stein hatte Dienstwohnung in dem
Amte-gericht, unter seinen Füßen besan
den sich die Linn-any nndindeni Audienz
zimnier aus dein groszen Schreibtisch lag
dac- allerneueste Aktenstück in Sachen
sllaus Merten ans der Grnndmiihle
wegen Mord — es sollte morgen an den
Staatsanwalt abgeben.
Der Atutsrichter sah auf seine Uhr;
er tjatte noch ausgehen wollen, um ein
Glas Bier zu trinken, aber es war
schon neun vorbei, die agenburger
Honoratioren saßen sicherli schon bei
dein letzten Schnitt.
Und dann lockten die Alten den eis
rigen Kriniinalisten; er mußte sie noch
»einmallesen, er mußte noch einmal
prüfen, ob das verljängnißvolle, rotlje
JFormulay aus welchem der Hastbefehl
geschrieben stand, nicht vielleicht dennoch
"zu voreilig ausgefüllt worden war.
i Stein nahm die Lampe vom Tisch
und stieg die Treppe hinunter-.
Seine Schritte hallten unheimlich in
dem weiten leeren Bau wieder, jede
Thtir knirschte in den Angeln und ächzte
in den Fugen.
Das hört man nicht im Lärm und
Partei eziink des Tages, aber in der
stillen acht ist der Sitz des Rechtes
wie eine Leichenhalle.
Und als der junge Richter nun in
seinem eilgentlicheu Reich mitten unter
seinenAten saß und seine Hand ausj
das rothe, fürchterliche Blatt legte,
welches Glück und Ehre eines Menschen
flehens vernichtet, da durchschauerte es
sihn seltsam, und er fühlte zum erstenmal
in seinem Leben die entsetzliche Wucht
jund Verantwortung des richterlichen
EAmtes
Zufolge eines einzigen Federzuges,
den im Namen des Königs feine Hand
geführt hatte, wurde draußen durch die
Nacht ein Mensch gejagt, wie man ein
Thier hetzt, vielleicht heftete sich an
seine Ferse das unerbittliche Recht, viel
ileicht auch ein Jrrthum, ein Wahn
! Stein legte den Kopf in die Hände
iund wagte nicht, sich umzuschauen; er
fühlte, daß hinter seinem Stuhle un
sichtbar jenes Gespenst stand, welches
mindestens einmal im Leben seine kalte
Hand auf jeden gewissenhaften Richter
legt, das Gespenst des nagenden Zwei
fels über Recht oder Unrecht.
! Draußen schien der Mond klar und
Ilalt, wie er in stillen Septembernächten
u scheinen pflegt, jeder Gegenstand
ragte, von seinem Licht übergossen,
unbewegt in die dunkle Luft, am unbe
weglichsten drüben jenseits des Hofes
die düstere Mauer des Gefängnisses
mit ihren kleinen, vergitterten, lichtlosen
Zellen.
« Es war ein seltsamer Gedanke, wel
’cher plötzlich den einsamen Richter über
kam; er wollte in dieser späten Abend
stuude eine Revision der Frohuveste un
ternehmen, die Gefangenen sollten mit
dem Bewußtsein einschlafen, daß nicht
nur eine strafende, sondern auch eine
siirsorgende Hand den Riegel ihrer Zel
len verschlossen hatte.
Er ließ die Lampe auf dem Schreib
tisch brennen und trat in den Hof hin
aus; eg- waren von dort nur wenige
Schritte bis an die Wohnung des Ge
sangenmeisters.
Das große, von Bäumen beschattete
Gitterthor des Hoer stand noch offen,
es wurde erst mn 10 Uhr geschlossen,
und eben schlug es erst dreiviertel vom
Thurme.
An dem Thore führte eine Landstraße
vorbei, sie ließ hier die letzten Häuser
der Stadt hinter sich und tauchte etwa
zehn Minuten weiter in einen dichten,
umfangreichen Wald; man konnte durch
die Steinpseiler des Thores hinaus
auf den grünen Saum des Gehölzes
blicken.
Neben dem Thore, im tiefen Schatten
der Linden regte sich etwas-, als der
Richter durch den Hof schritt; dann
löste sich eine Gestalt von der Mauer
und trat mitten auf den freien, mond
hellen Platz.
Stein blieb wie gebannt stehen und
griff an seine Stirn.
War das denn ein Trugbild der
Nacht oder ein Wesen von Fleisch und
Blut ?
Wie vor vierundzwanzig Stunden
auf der einsamen, stiirmischen ·Heide,
so stand jetzt mitten im Bannkreise des
Gericht-:- die seltsame, verwilderte, ab
gehetzte Gestalt eine-J Mannes-«- vor dem
Amtsrichter, stumm und regungslos-,
vielleicht nur müder nnd gebrochener
Das war derselbe braune, billige
sTrödleraniug nur aus Hemd, Hofe und
l Jacke bestehend, das waren dieselben
schlaff en, bartlosen, gealterten und doch
jugendlichen -3iige, da-: war dasselbe
grausam kurz verschnittene Haar, welche-J
überall die it opfhaut durchschimiuern
ließ.
Der Mann stand in deiniithiger Stel
lung da und griff mit der Hand an die
Stirn, als- wotle er seine Kopfbedeckung
ehrerbietig abnehmen, dann schien er
sich zu eutsinneu, daß er barhäuptig
sei, und fragte leise:
»Sind Sie der Herr Amt-« richter?«
Stein siihlte instinktiv, daß e-: diesem
Manne gegeniiber unreiuiger Bestimmt
heit bediir,se um ihn vollends zubrechen,
und er entgegnete daher gelassen:
»Es-I ist gut, Klaus Merten, daf; Jhr
Euch freiwillig stellt, dass Umherlauseu
in den Wäldern um diese Jahreszeit
hält doch leiu Mensch ausz.«
Der Mann blickte scheu auf.
,,Also Sie kennen mich, Herr Amtsz
richteer Freilich, das ist ja nicht schwer,
liuich zu kennen, jedermann kann es
Fasten «
« »
Er zerrte mit beiden Händen an sei
iier Jacke und fiilir bitter fort:
»Die ist siusi nicht nach der Mode-,
Herr Aiiitczricl)ter, aber die Kinder
haben wenigsten-:- ihre Freude darau.
Sie haben recht, mit den Wäldern ist
es nichts-, dass Zeug ist gar zu diiun, in
der ersten Nacht biu ich schier erfroren.«
Abgerissen iiud wie aiisz einetii hal:
ben Traum kamen die Worte iiber die
Lippen des lliigliicklichen, dann griff er
mit den Händen iu die Luft und tau
iiielte.
Der Auitsrichter spraiia hinzu nnd
vackie den Mann fest am Ariu; dabei
fragte er hastig:
»Seid Jhr verwundet, Merteii?«
Jener hatte sich wieder aufgerichtet
und entgegnete:
,,Verwundet? Nein. Wenigstens
glaube ich nicht, daß man auf mich ge
schossen hat; gewiß weiß ich das freilich
nicht. Nein, Herr Anitsrichter, aber
gehetzt haben sie mich ein wenig, und
das macht auch müde, denn aus dem
.Zi-chthause bringt man nicht übermäßig
viel Kraft mit Wenn ich einen Angen
blict sitzen dürste
»Komm mit, « sagte Stein mit einem
unwillkürlichen Aiiflug von Mitleid,
»du drunten könnt Jhr Euch einstweilen
ausruhem dann will ich eine Zelle in
Stand setzen lassen.«
Er deutete nach dem Gerichtszimmer
und ging voraus; Klaus Merten folgte
ihm wie ein Hund auf den Fersen
(Fortsetzung folgt. )
—
Reue astronomische Entdeckung-m
Die ungeheuren Fernröhre der Neuzeit
)— oder vielmehr die neuesten Fernrohre
von ungeheuerster Bergrößeriings-Krast,
, wie das aus dem Lick’schen Observatoriuni
jin Calisornien, haben erstaunliche Ent
deckungen in der Sternen-Welt ermög
licht. Und die Photographie derselben
hat große Veihülfe dazu geleistet. Nach
stehendes wird Dies zeigen.
Die Beobachtungen des Mondes-, von
welchen jetzt die genauesten Karten vor
liegen, gehen ohne Unterbrechung weiter
und haben gezeigt, daß in dessen Jnnerem
noch nicht alle Wärme und alles Leben
erloschen sein muß, so todt auch seine
Oberfläche erscheint. Man hat bemerkt,
daß aus einem seiner als ausgestorben
angenommenen Krater sich Rauchwolken,
wie von einem inneren Feuer herrüh
rend, gezeigt haben.
Die Sonnen Corona, die Sonnen
Flecken, die Messungen der Größe der
Sonne und ihrer Umdrehung um sich
selbst haben viele neue Aufschlässe ge
bracht. Die Sonnen-Flecken, die alle 11
Jahre ihre höchste Größe und Anzahl er
reichen, lieferten das Mittel zur Bestim
mung der Umdrehungs-Zeit der Sonne
um sich selbst — die 27 Tage dauert —
ihres Aequators und ihrer"Pole, sowie
des Sonnenjahressz
» sure neuene Beobachtung geht dahin,
sdaß die Sonnen-Flecken einen gewaltigen
TEinsluß aus den Erdmagnetismus aus
üben, und zwar in den Jahren ihrer
größten Anzahl natürlich den größten,
was sich dann durch Nord- und Süd
Lichter offenbart. Ein Astronom hat
entdeckt, daß sich dieser Einfluß erst le
merkbar macht, wenn die Flecken nach
ihrem Umgang über die Sonnenscheibe
sich deren Rand nähern.
Von der Sternen-Welt sind dem blo
ßen Auge nur 6000 bis 7000 sichtbar.
Aber die größten Teleskope haben bereits
shundert Millionen entdeckt, und weitere
lMillionen werden sicher noch entdeckt
werden. Eine höchst überraschende neue
Entdeckung ist die des Astronomen Mr.
S. C. Chandler zu Boston. Derselbe
sand, daß der merkwürdige Stern Algol
im Sternbild des Perseus-, dessen Licht
fortwährend wechselt, einen dunklen
Mond ( Satellit) hat und sich selbst um
einen bis jetzt nicht sichtbaren Mittel
punkt bewegt.
Algol ist einStern zweiter Größe, und
einmal innerhalb 69 Stunden wird sein
Licht in einigen Stunden so geschwächt,
daß es etwa 20 Minuten lang einem
Stern vierier Größe anzuhören scheint.
Alsdann nimmt sein Schein wieder all
mählich zu, bis er seinen früheren Glanz
wieder erlangt hat.
Diese Licht-Abnahme verursacht einen
Mond, der in 69 Stunden den Stern um
kreist, während dieser selbst in der Zeit
von 130 Jahren sammt seinem Mond
einen nntz noch unbenierkbaren oder nicht
entdeckten Stern umkreist. Dieser wird
die-Sonne eines ungeheuren Sternsystems
sein, wozu der Algol gehört, aber nicht
etwa ein ansgebrannter tiörper, wie
Manche glauben, sondern nur ein allzu
weit entsernter, um fiir uns sichtbar oder
tleicht entdeckbar zu sein. Die weitere
Verbesserung der Fernröhre wird wohl
auch hierüber ausklären.
Tie Bestimmung dieser neuen unsicht
baren Central Sonne geht ans einer
smatlnsmatischen Berechnung hervor,
swelche ebenso merkwürdig ist, wie die
sEntdectnng desz Planeten Neptun in
slHiU durch den Astronomen Leberrier
izu Paris-, nach welcher der Astronom
sGalle zu Berlin den Planeten später
» wirklich auffinden konnte.
Neue Situcrgruven in (5oloradv.
Jn Colorado ist infolge grosser Sil
; her-Entdeckungen seit ein paar Monaten
fdie Stadt Creede gleichsam aus der Erde
!getoachsen, so daf; sie bereits 8000 Ein
ftoohner hat. Vor drei Monaten wohn
ten daselbst ZW Menschen· Man
kann sich leicht denken, toelch’ ein aufge
regter Streit dort beim Belegen von
Bauptätzen stattgefunden hat nnd noch
stattfindet. Wie in den ältesten Zeiten
derivestlichen Besiedelnngen, oder auch
toie noch neuerdings in Oklahoma, wurde
Besitzrecht nnd Befitznahme nur alle oft
mit der Biichse in der Hand geltend ge
macht. Ebenso toie in der Nähe des
Jiidianergisbietg, hat man auch hier über
sehen, einen ganzen Landstrich, dort ei
nein Staat, hier den benachbarten
Counties anzufiigen Derselbe ist 30
Quadratmeileisi groß, und drei benach
barte Counties streiten sich um dessen
Anschluß. Aber der Ort erkennt deren
Jnriediktion nicht an, will sich selbst
ständig verwalten und hat sich einen
eigenen Friedensrichter eingesetzt. Trotz
seiner stindheit als Stadt hatCreede doch
schon eleltrische Beleuchtung; seine
Hauptstrafze ist drei Sauares lang, mit
Gefchäftshäusern an beiden Seiten, und
Tag nnd Nacht wird an neuen Häusern
gebaut. Die Anlage von Wassertverken
steht bevor. Die Mineralschätze der
Umgegend an Silber und Kupfer sollen
grofzartig sein; man erwartet einen im
mer größeren Menschenzulans, sobald
nur die Berge schneefrei fein werden und
das Suchen (Prospeltion) nach Mine
ralien leichter wird. Bis zum nächsten
Juli erwartet man 25,000 Personen in
lder Schlucht beifammend zu sehen, und
z jetzt schon strömen sie von allen Seiten
Jherbei.
Passendee Geschenk. -—— Frau
A.: »Was hat denn Jhr Sohn, welcher
in der Waffenfabrik beschäftigt ist, Jhnen
zum Geburtstag geschenkt?«
. Frau B.: »Er schickte mir einen Re
:volver, weil er in der Fabrik Alles zum
iKostenpreis bekommt.«