Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, February 21, 1901, Image 10

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    J'y penso!
$mrtff. . Crmk Schtkig
Lko Habermann ift Junggksellk. Er
wird Kleiden, so lange er aus Erden
wandelt. Er ift ein geschworener Feind
der Zoologischen Gärten und vor allem
her lanaaelckwäniten Schaar der Affen.
uch das wird er bis zu seinem Lebens
ende bleiben. In einem zoologischen
art und aerade vor dem Affen
toatoiflon aino lein erster und einziger
schöner Liebestraum jah zu Ende
durch eigene Schuld und des Geschickes
Macht. Und er 1 yeuie mcqi nnmai
dose darüber. Um so sicherer aber bleibt
Hageftolz.
Zmanjig Jahre find schon darüber
tzerflofsen, ihm der vieior oas
nlfc rinnerunaSirisch. alS sei eS gestern
fchehen. SS war ja auch das einzige
retanik in seinem ganzen, ewig zwi
i&tn die vier Wandt seine Bureaus
eingekeilten Lebens.
Damals war Kanzleirath Haber
mann noch ein junger Expedient,
fleißig, weltunerfahren, von schönen
Träumen künftiaen Eheglückes erfüllt.
Wenn eS ihm nur nicht fo gänzlich an
Damendekanntschaften gefehlt hatte!
Da war eine TageS fein einziger
Freund Mullrich gekommen und hatte
ihn aufgemuntert:
.Komm mal mit in'n BeürkSderein.
wenn wir da wieder 'n Familienfest
haben. 'S find nette Bürgermadchrn
da. auch mit Pinke. DaS ift was für
solide Absichten. Und die haft Du ja.
Abgemacht also beim nächsten Feft
krieafte 'ne Einladung I'
Die Einladung kam. und. was noch
viel seltsamer war. auch Habermann
tarn. Er hatte sich stattlich herausge
putzt und machte eine ganz ansehnliche
Figur. Mullrich stellte ihn in ein
vaar tüchteraesegneten Familien vor
und Habermann, überall freundlich
ukaenommen. schwamm in einem
Meer von Wonne.
Am besten gefiel ihm die Grete
Dingel. die Tochter eine? behäbigen
SibläcktermeisterS. Blauäugig und
rundlich, war sie das. was man ein
niedliches Mädchen nennt. Als MS
Berliner Kind war sie nicht auf den
Kovk gefallen, und ein kleiner schnippt
scher Zug erhöhte noch ihren Nciz.
Habermann tanzte mit ihr alle Tänze.
die er konnte. DaS waren zwar nur
olka und ?!Saer chottisch. aber ste ge
nügten. um ihn der Schlächterfamilie
als einen .netten jungen Mann" er
scheinen zu lassen. Kurz, dieser Fami-
lienabend des Bezirksvereins verlief für
Labermann vrSchtig. und auch Grete
Dingel war von ihm befriedigt. Dieser
Herr Habermann war doch ein ansehn
licher junger Mann, dem die Ehrbar
keit auf der Stirn geschrieben stand
und Ervedient beim Magistrat, also
ein Beamter. In GretenS Phantasie
aber figurirte ein Beamter seit langem
als ersehnter .Zukünftiger".
,Du, Habermann, heute sind Din
gelS und die anderen im Zoologischen I'
kam eines Sonntags nach dem F,st--sbende
Mullrich auf Habermann'S
Stübchen gestürzt. Wehste mit?"
Der junge Expedient erröthete bis
unter die dunklen strähnigen Haare.
.Ja. War. kann ich denn das?"
Warum nicht? Wir schlangeln uns
an'n Tisch ran. gehen in den Musik
pausen mit den Mädchen zum Raub
thierhauS oder Affenhaus und verfallt
aen den Nachmittag famos!"
.Ich komme mit!" versicherte Haber
mann eifrig, denn die blonde Krete
war auch ihm in Sinn und Herz ge
blieben. .Natürlich, ich komme mit!"
Es war der erste sonnige Sonntag
im März, so schön, daß die Leute
draußen und die Muflker im Freien
spielten. In Greie Dingels Augen
leuchtete eS auf, als Mullrich mit
Hadermann an dem Tische erschien, den
ihre Eltern gemeinsam mit einer ande
n bekannten Familie, deren älteste
der .Schwärm' des Herrn Mullrich
war. besetzt hielten. Ohne Umstände
wurden ste zum Niederfttzen geladen,
und in HadermannS Innern jubelte
und fang es. War eS die Folge dieser
herrlichen Märzsonne ode Grete Diu
gelS appetitliche Nähe?
Die Eltern fanden eS ganz felbft
verständlich, daß die jungen Leute in
den Pausen deS Konzertes Promenaden
durch den ausgedehnten Park machten.
.Wohi.l darf ich Sie führen." fragte
Habermann die an seiner Seite einher
trippelnde Grete.
.Die anderen gehen nach dem Affen
hauS." lautete die Antwort. .Dahin
gehen wir immer. Im Raubthierhause
ift immer so'n starker Geruch, wissen
Sie. und bei den anderen Thieren, d,
ift'S dumm. Aber bei den Affen lacht
man. so drollig find die!"
DaS klang so ukwüchstg und naiv.
Habermann wurde daS Herz dabei
warm. So gingen Sie also zum
Affenhause.
.Ich kann fte alle gut leiden.' plau
terte hier Grete Dingel gesprächig wei
kr. .nur den einen großen Affen dort
icht. den Schimpansen! Den haff'
ich! Schon den Namen Haff' ich. Wenn
ich einen Menschen nicht leiden kann,
den schimpf' ich Schimpanse! Unser
Ältester Lehrdurich'. der immer so vor
laut ift. den heib' ich so. hat mich
bei Patern schon ein paarmal ver-
klaikcht. aber Bater yar geiaazi. uno
nun n-nnl er ihn selber so. wenn er
'mal was versieht. Schimpanse! Ein
greuliches Wort, wie?'
Habermann stimmte zu. Wenn Grete
dea Namen häßlich fand, dann war er
natürlich für ihn der Inbegriff alle
Scheußlichen. Schimpanftt Wayryas.
tig. wie konnte man nur ein menschen-
öhnlichl Geschöpf mit tolchem mm
klingenden Namen bezeichnen!
Eme ganze Weile brachten sie im
ffenhause zu. Gertt lachte viel, über
die drolligen Kapriolen der VierhZn
der. Wie munter daS klang! Hader
mann sühlte sich immer mehr in den
Bann deS hübschen Mädchens gezogen.
.Sie kommen doch gewiß zu dem
lebte WinterveranUaen in unserm
Berein?' fragte Grete Dingel, als fte
langsam wieder den Tischen ,u,chr,d
ten. .Sonnabend über acht Tage
Natürlich kommen Sie. Sie mügen
mitkommen!' '
.Würden Sie gern sehen?' wagte
badermann zu fragen, während sein
Her, im Sechsachteltakt pochte.
Grete belad sich anaeleaentlich die
Spitzen ihrer derben aber immerhin
noch zierlichen Stiefel.
.Ach. memetmegen kommen feie ja
doch nicht!' sagte fte in ihrer angebore
nen Evaschlauhcit.
.Und wenn ich nun Ihretwegen
käme?' wagte Hadermann zu flüstern,
dessen Herzschlag jetzt einem Trommel
Wirbel glich. Grete antwortete nicht,
fie warf ihm nur einen Seitenblick zu,
bei welchem eS ihm siedendheiß überlief.
und sprang dann ein paar Schritte
vorauf: .Da drüben ift Platz!"
?in der folgenden Nacht hatte Haber
mann einen seltsamen Traum. Grete
erschien mit verheißendem Lächeln vor
ihm. Aller allemal, wen er sehnsüch
tig die Arme ausstrecken wollte, um fte
an sich zu ziehen, drängte sich ein
scheußliches, langarmigeS Geschöpf mit
grinsendem Affengeflcht dazwischen
der Schimpanse aus dem Zoologischen
Garten. In Schweiß gebadet erwachte
Habermann am anderen Morgen, und
er ertappte sich, als er aus dem Bette
sprang, bei den Worten: .O. du
Schimpanse!"
Fest ftand eS bei Habermann, am
Sonnabend über acht Tage das Feft
mitzumachen. Bei demselben gab'S ge
meinsame Tafel, daS Couvert zu zwei
Mark fünfzig, und Ball. Natüilich
konnte keine andere wie Grete feine
Tischdame sein. Er fieberte, wenn er
daran dachte. Alle seine künftigen
Eheträume verschmolzen zu einer etn
zigen Gestalt, welche GreteS Züge trug.
Aber war auch sie ihm gut? Eiskalt
durchfuhr ihn der Gedanke an einen
Better GretenS. von dem ihm Mullrich
erzählt, einem jungen Fleischer, der sich
selbstsiändig machen wollte und .hinter
ihr her' war. Nein. daS konnte, durfie
nicht fein! In diesem Augenblick fühlte
er es, daß alle seine ZukunftSträume
ohne die blonde Grete zerfließen würden
in ein graues RichlS.
Ehe der Sonnabend herankam, offen
harte er sich seinem Freunde Mullrich.
.Hu!" meinte dieser. Wenn Du
nicht gleich mit der Thür ins Haus
fallen willst, sondern erft 'n biechen
sondiren, ob ste Dir gut ist. dann iß
mit ihr bei der Tafel ein Bielliedchen."
.WaS ift denn das?" erkundigte sich
Habermann eifrig.
Na. zum Nachtisch giebt s immer
Apfelsinen. Mandeln, Rosinen u id
Krachmandeln. Wenn eine davon recht
klappert, sind gewöhnlich zwei Kerne
darin. Die theilt man mit ner Dame.
und daS ist dann ein Blelliebchen.
Wenn man ihr wieder begegnet, muß
man sagen: .Guten Tag. Vielliebchen,"
und dann sagt fte: .Ich denke daran.
oder, wenn fte'S noch feiner machen
will, dann sagt sie's auf französtsch.
Und dann mußt Du ihr waS schenken.
oder wenn sie nicht antwortet, schenkt sie
waS. Na, und so'n Geschenk is ja
schon, wenn man'S richtig aussucht, 'ne
halbe Liebeserklärung I'
Habermann war ganz Ohr gewesen
Jetzt nickte er eifrig mit dem Kopfe
.Das, daS ift hübsch!" fließ er erregt
hervor. Aber." sagte er gleich darauf
bedenklich, wenn nun keine Krach-
mandeln mit zwei Kernen dabei sind?
Dann hilft man nach!" lachte
Mullrich. .Man kauft sich vorher 'ne
Düte beim Kaufmann und fteckt 'n
paar richtige in die Westentasche. DaS
ift doch kein Kunststück, die nachher unter
die anderen zu praküziren!
.Nein!" rief Habermann begeistert.
.So wird'S gemacht. Mullrich!"
Mit tausend frohen Hoffnungen
ging er auf den Ball. Allein seine
Freude erlitt einen argen Stoß, als er
bei Grete einen großen, starken, voll
mangigen Mann stehen sah. den sie als
ihren Better vorstellte. DaS war also
der angebende Fleischermeifter. der
.hinter ihr her" war. Stotternd brachte
er, als er fte einen Augenblick allein
sprechen konnte, seine Bitte vor, sie zu
Tisch führen zu dürfen.
Grete überlegte einen Augenblick.
.Mein Cousin hat mich schon darum
gebeten, aber ich hab'S ihm noch nicht
zugesagt. Ach waS." meinte sie gleich
darauf schnippisch .Ihn seh' ich ja olle
Tage. ES wird mir also eine Ehre
sein, Herr Habermann!"
Der junge Expedient ftrahlte, und
der Abend schien alle Wonnen für ,hn
in sich zu tragen.
Die einzelnen Gänge waren für ihn
Intereff'loS. Sein ganzes Interesse
konzentrirte ftch auf die GlaSaussütze
mit dem Deffert. Er manbverirte so
lanae. bis er einen in der Nähe stehen-
den zu ftch herangezogen hatte, während
er ftch wiederholt vergewinerte, da tn
seiner Westentasche noch die Nüffe steck
ten, die ihm der Krämer als .auf
bre und Seligkeit doppelte' vertauft
hatte.
Mit hochktopfkndem Herzen pellte er
endlich zu schicklicher Zelt an seine
!i'chnachbarin die Frage, ob fte mit
ihm ein Bielliedchen effea würde. Grete
Dingel stimmte mit gesenktem Kopf und
einem schwachen Enöthen zu.
.Wenn man blos welche mit doppel
tem Kern dabei pnd!" meinte sie.
Aber Hadermann sühlte ftch ftegeSge
wiß. Er hatte seine Reserve schon
unter diejenige praktizlrt. die er von
dem Aussatz aenommea und bot Grete
eine Naß: .Wollen wir die mal ver
suchen?"
Wirklich. Grete zeigte ein freudiges
Erschrecken, die Krachmandel zeigte zwei
ena aneinander schmiegte Kerne. Mit
einer wahren Beaeisterung aß Haber
mann den seinigen. Nun war nur noch
die Frage, wann und wo sah er Grete
wieder?
Auch auf die Frage ward ihm die
befriedigendste Antwort. Dingels waren
im .Zoologischen" abonnirt. Sie wür
den morgen dorthin bestimmt gehen
Ader aucd der Vetter würde da sein
DaS war ein Wermuthstropfen in
HadermannS Freudenbecher. Aderehe
der Ball vorüber war, hatte er einen
Plan gefaßt. Ehe er von Grete sich
verabschiedete, hatte er den Muth ih
zuzuflüstern:
.Ich komme morgen auch in d
Zoologischen Garten. Kann ich Sie
fehcni allein, um vier Uhr. im Affen
Hause?"
GreteS Antwort bestand in einem zu
sagenden Blick und in einem leisen
Druck ihrer Hand.
Selig ging Habermann nach HauS,
Wieder sühne ihn der Traumgolt an
die Stätte seines morgigen Rendezvous
Schließlich sah Habermann nur noch
lauter höhnisch griafcnde Affengestchter
Tann erft wich der Traum von ihm
und er schlief bis in den helllichten Mor
gen hinein.
Grete Dingel hatte sich am anderen
Nachmittag halb vier Uhr von ihren
Eltern und dem aufdringlichen Better
losgemacht, indem sie den Arm ihrer
Freundin nahm. Geschickt versetzte fte
diese im Menschengewühl am Raub
thierhause, wo gerade Fütterung war,
und lief allem zum Affenhaufe, wo si
bochklopsnrden Herzens ihren blonden
seladon erwartete.
Sie brauchte nicht lange zu warten
Da kam er schon; roth, aufgeregt, und
jetzt ftand er an ihrer Seite, und von
feinem Munde erklang eS stotternd:
. guten Tag. Vie Viel
liebchen!"
j'y penso!" sagte Grete laut
waurend sie errvlyend den iic zur
Seite wendete. O ja. ste wußte, was
sich bei einem Bielliedchen gehörte,
wenn auch da? ranzo i cve tn ihrem
Munde wenig parisertsch. sondern mit
echt berlinerischer Breite erklang
Entsetzt, mit aufgeriffenem Munde,
mit dunkelroth sich färbendem Besicht
starrte Habermann ste an, als sie sich
ihm halbverlegen wieder zuwandte,
noch einen wehmüthig-antlagenden
Blick warf er auf sie, dann wandte er
sich ohne Gruß ab, brach sich mit den
Ellenbogen Bahn durch die Menschen
und verschwand.
Verblüfft sah Grete ihm nach. Was
hatte er denn nur? So brüsk davon zu
laufen und fie stehen zu lassen, ohne
ein Wort? Sie wartete und wartete,
eine Blertelftunde, zwanzig Minuten
Habermann kam nicht wieder. Mit
Thränen deS AergerS in den Augen
ging auch sie endlich zum Tisch der
Eltern zurück, wo der Vetter Fleischer
sich aufS neue angelegentlichst um sie
bemühte.
Acht Tage waren vergangen. Da
kam Mullrich.
.Nun, darf man gratuliren?"
.Laß mich!" schrie Habermann.
Alle Weiber sind Schlangen. Auch
sie ist eme Schlange. Sie hat mit
mir gespielt, um mich tödtlich zu be
leidigen!"
Mullrich saß ganz verdutzt da. .Die
Grete Dingel? Aber wie ist das nur
möglich?"
Du sollst es hören! Also, soweit
ging alles gut mit dem Vielliebchen I
Wir verabredeten, uns am nächsten
Nachmittage ,m Assenbause zu treffen.
Ich treffe fte auch, gehe auf fie zu und
b.'grüße fte, .Guten Tag. Vielliebchei
.DaS war auch ganz richtig und
was tagte sie?"
Schimpanse!" schrie Haber-
mann kredsroth. Den Affennamen.
den fte am wenigsten leiden kann, den
gab ste mir! Schimpanse! Das
mrr. der ich mein Herzblut für fie ge
geben Hütte.. .."
Ein unartikulirtes Geräusch unter
brach den Erregten. Mullrich war auf
das feota getallen. kupferbraun im
Gesicht und strampelte mit Händen und
Füßen, wie ein Verrückter.
.Mensch!" chrie er endlich, in ein
dröhnendes Lachen ausbrechend.
.Mensch. Mensch!"
Starr sah Habermann auf den
Freund, der ob seines Unglücks Lach-
thränen vergoß, aber noch starrer wurde
er. als Jener unter unaufhörlichem
Lachen endlich hervorbrachte:
Nein, das ist zu toll! Mensch
Schimpanse! J'y penso
s ch t' P a n ß' hat sie gesagt. Das
heißt ja auf Deutsch Ich denke da
ran!" O, Du. Du Du S ch i m
panse Du!"
Bleich wie eine Blildsäule hatte
Habermann zugehört, aber zwei, drei
mal noch mußte Mullrich feine Erklä
rung wiederholen, ehe Habermann end
lich stöhnend begriff.
I '
.Heute noch muß ich zu ihr' rie
er. Nicht einen Augenblick
Da klopfte eS, und der Briefträger
trat ein,
Ein unverschlossenes ffouvert. zitternd
öffnete Hadermann daffelde. mit einem
Aus chrel sank auch er aus daS voph
nieder. Eine Berloduvgskarte: Grete
Dingel Clemens Hecker. daS war der
fflei chervetter!
Seit diesem Tage haßte Habermann
die Weiber und die Affen. Die letzte,
ren so sehr, daß er sich nie einen kaust,
auch figürlich nicht. Einen leisen Trost
gab ihm die Nachricht, daß Grete Din
gel ein Hauskreuz geworden sei. unter
dessen Last der Flcischervettcr oft schwere
Stunden verlebte
Kanzleirath Habermann ist ein fried
licher. stiller JunggeicHe geworden
Aergerlich wird er uur, wenn ihn
Jemand einladet, mit in den Zoolo
gischen Garten zu kommen.
Der zweite Schuß.
Von l ranket Puschkin.
1.
Ich war ein junger Husarenleutnant
und lag in einem lleinrusftschen Stadt
chen in Garnison. Wir Kameraden
amüsirten un miteinander, so gut es
in der einförmigen, kleinen Stadt ging
Die Regimentskameraden hielten treu
zusammen, und eS kam kein Civilist in
unseren Kreis mit Ausnahme eines ein
zigen. DieS war ein hagerer, etwa
finster aussehender Mann in der Mitte
der Dreißiger. Milow. so will
ich
unseren damaligen Kumpan hier nen
nen, war im Grunde schweigsamer
Natur, aber wenn er sprach, machte
gute Bemerkungen, wenngleich seine
Zunge ein wenig scharf war und keinen
zu schonen pflegte. Obwohl er in guten
BerhSltniffen zu leben schien, war seine
Wohnung höchst einfach möblirt. Sie
hatte aber einen eigenthümlichen
Schmuck. Die Wände der Zimmer
waren so von Kugeln durchlöchert, daß
fte den Bienenztllen ähnlich sahen. Wir
hatten bald erfahren, daß Milow durch
fortwährende Uebung im Pistolen
schtißen eine wunderbare Geschicklichkeit
erlangt hatte.
Eines Abends hatten wir, etwa ein
halbes Dutzend Offiziere, nach einem
Diner bei Milow. auf welchem dem
Champagner stark zugesprochen war,
Lust, ein Spiel zu machen. Milow,
der nicht gern spielte, ließ Karten brin
gen. Er wurde aufgefordert, die Bank
zu halten, legte einen Haufen Gold
stücke auf den Tisch, und das Spiel b
gann. An diesem Abend war ein un
ger Leutnant unter uns, der eben erft
ins Regiment getreten war. Er war
ebenso unbekannt mit MilowS Art. wie
mit der Wirkung deS Champagners,
den er allzu reichlich genossen hatte.
Ein vermeintlicher Rechenfehler, den
der Bankier nach des Leutnants sehr
unklarer Ansicht begangen haben sollte,
gab den Anlaß zu einem peinlichen
treit. Die durch Wein und Spiel
erhitzten Gemüther geriethen nein
ander, und da Miloms überlegene
Ruhe den jungen Leutnant nicht min
der ärgerte, als das Gelächter der
Kameraden, sobald Milow den Wüthen
den mit schlagender Ironie abfertigte,
so gerieth er außer sich. Er riß einen
silbernen Leuchter vom Tisch und schleu
derte ihn Milow inS Gesicht. Dieser
wich geschickt aus, aber bleich vor Zorn
pranq er auf und rief mit funkelnden
Augen: .Hinaus Knabe! Und danke
Gott, daß dies in meinem HauS ge
chehen ift."
Wir waren keinen Augenblick über
die Folgen dieser Scenen im Unklaren,
unser jüngster Kamerad, der mit der
Erklärung hinausgegangen war. daß
er zu jeder Satisfaction bereit fei, galt
uns als ein todter Mann. Als wir uns
am andern Morgen in der Reitbahn
trafen, war die allgemeine Frage nach
der Affaire des jungen Leutnants, als
dieser plötzlich erschien und unö sagte.
daß bis jetzt kein Kartelltrüger von
Milow bei ihm gewesen sei. Es der
gingen drei Tage, und die Sache blieb,
wie ste war. Der Leutnant lebte im
wer noch. Dieses Verhalten Miloms
war unS unbegreiflich, umfomehr. als
einer unserer Kameraden, der ihm ge
genllber wohnte, gesehen hatte, wie n
einen ganzen Vormittag lang eine
Kugel nach der andern in ein an die
Wand genageltes Kartenblatt schoß. Es
gab hier keinen Ausweg. Milow er
schien uns als feig und mit einem fol
chen Menschen konnte das OffijierscorpS
eines kaiserlichen Husarenregiments
nicht mehr verkehren.
Am vierten Tage nach dem verhäng-
nißvollen Spielabend fand ich, als ich
vom Ezercierplatz nach Hause kam,
einen Brief, auf dessen Adresse ich
MilowS Handschrift erkannte. Der
Brief enthielt nur einige Zeilen, in
denen mich Milow bat, ihn heute Abend
n einer wichtigen Angelegenheit zu be
uchen, ich würde ihn durch mein Kom-
men sehr verbinden. Anfangs zögerte
ch: der .Esprit de Corps" verbot mir.
mit diesem feigen Menschen irgend eine
Gemeinschaft zu haben. Allein meine
Neugier waS tonnte mir Milow
Wichtiges zu sagen haben sowie ein
gewiffes Mitleid mit dem Mann sieg
ten, und ich trat Abends, in der Hoff-
nung, von niemand gesehen zu werden.
bet Milow ein. Ich fand das Zimmer
völlig ausgeräumt. Am Boden standen
gepackte Koffer, und Milow trat mir
mit ernstem Gesicht entgegen.
Ich danke Ihnen." sagte er. .daß
Sie gekommen find. Wie Sie sehen
bin ich im Begriff abzureisen. ES wäre
möglich, daß wir unS nicht wieder
sähen, und darum möchte ich Ihnen
eine Erklärung über mein Verhalten
geben, daS Ihnen doch gewiß unde
greiflich erscheint. Die Meinung Ihrer
Kameraden über mich ift mir gleich
giltig: aber Sie habe ich lieb, und eS
müre mir schmerzlich, wenn Sie eine
falsche Meinung von mir behielten
Er schwieg, und ich wußte nichts zu
sagen. Ader ich setzte mich und hörte
ausmerksam zu. waS er mir mit
Iteilte.
.Sie wundern ftch." sagte er. daß
ich von jenem albernen Leutnant keine
SattSsacton verlangt habe, ftitauden
Sie mir, wenn ich an diesem Menschen
meine Satisfaction hätte nehmen lön
nen, ohne mein eigenes Leben aufs
Spiel zu fetzen, würde ich es gethan
haben.'
Verwundert sah ich Milow an
.So ift es,' fuhr er fort. .Ich
habe nicht das Recht, mich in Todes
gefahr zu begeben; denn eS find bei
nahe sechs Jahre her. seit ich eine Ohr
feige bekam, und der Mann lebt noch
heute.'
Meine Neugier war auf'S äußerste
gespannt. Und Sie haben ftch nicht
mit ihm geschlagen?'' fragte ich
.Ich habe mich geschlagen,' ant
wartete Milow. Und hier sehen Sie
ein Andenken an dieses Duell." Ernahm
aus einer Hutschachtel eine Mütze und
setzte fie auf. Etwa einen Halden Zoll
über der Stirn war sie. wie ich jetzt
sah. von einer Kugel durchbohrt,
Sie wiffen," erzählte er, daS ich
im fffschen Husarenregiment gedient
habe. Ich war em flotter O ftzier, ritt
trank und duellirte mich, wenn eS noth
that, mit den andern um die Wette
Da wurde ein junger Mann aus einer
reichen und vornehmen Familie zu uns
versetzt. Sein Name, sein liebenS
würdiges Wesen und wohl auch sein
Reichthum verschafften ihm sctnell Er
folge bei den Frauen. So näherte er
ftch auch einer Dame, die ich anbetete,
und ich begann allmählich zu fürchten,
daß ihr verz mir durch den neuen
Kameraden entfremdet werden könnte
Die Gelegenheit, ihn unschädttch zu
machen, fand ich bald. Auf einem
sommerlichen Ballfeft benahm er fich
gegen meine Herzensdame so zudr,ng
lich. daß er fich von mir die stärksten
Beleidigungen sagen lasten mußte. Wir
zogen die idaoel, wuroen aoer ge
trennt, um uns am nächsten Morgen
mit unseren Secundanten in einem
Wäldchen vor der Stadt wiederzu
sehen.
Ich war früher als mein Gegner auf
dem Platz. Endlich kam er mit lässigem
Schritt, lachend, mit seinen Zeugen
plaudernd, heran. Er war barhäuptig
und trug seine Mütze, die voller Kir
schcn war, in der Hand. Die Secun
danten maßen zwölf Schritte ab; er
hatte den ersten Schuß: er zielte lange
und durchschoß meine Mütze.'
Nun kam ich heran. Sein Leben
gehörte mir. Borher wollte ich mich
noch an seiner Todesangst weiden; aber
er ftand ruhig da, aß Kirschen aus sei
ner Mütze und schnellte mir die Kerne
vor die Füße. Diese unnatürliche Ruhe
brachte mein Blut in Wallung. Aber
plötzlich kam mir ein Gedanke, der
eines Teufels würdig war. Ich ließ
die Pistole sinken und sagte: Sie sind
rtzt nicht in der Laune, zu sterben, son
dern wünschen zu frühstücken. Ich will
Sie nicht stören. Sie stören mich
nicht." antwortete er. schießen Sie
nur zu. Dieser Schuß gehört Ihnen.
Ich werde aber auch zu jeder andern
Zeit zu Ihrer Bersügung stehen."
Dieses Wort befestigte meinen Ent
chluß. Ich erklärte den Secundanten.
daß ich heute nicht schießen würde.
Ich nahm den Abschied und zog mich
hierher zurück. Aber seit jener Zeit
habe ich keinen Tag verlebt, ohne
an meine Rache zu denken. Jetzt ist
meine Stunde gekommen. Soeben
schreibt man mir, daß jener Mann,
bei dem ich noch einen Schuß zugut
habe, sich in diesen Tagen mit einem
chönen. jungen Mädchen verhenathen
wird. Ich will doch sehen, ob er in
einem Lebensglück dem Tode ebenso
ruhig in's Auge blickt als damals beim
Kirscheneffen.'
Der Diener trat ein und meldete.
daß der Wagen bereit stände. Milow
reichte mir die Hand zum Abschied, und
ch erwiderte ftinen herzlichen Hände-
druck. Dann stieg er tn den Wagen,
und ich sah, daß er den Pistolenkaften
neben stch stellte. Die Pferde zogen an
und ich sah ihm, in ernstes Sinnen
versunken, noch lange nach.
2.
Mehrere Jahre waren seit dieser Zeit
dahingegangen. Ich hatte den Dienst
quittirt und lebte auf meinem Gute im
schen Gouvernement, als ich auf
meiner Re,e den rasen x. kennen
lernte, einen der reichsten GutSbefitzer
der Umgegend von Moskau. Ich wurde
chnell mit dem liebenswürdigen Manne
bekannt, und als er mich einlud, ihn
auf dem Schlosse zu besuchen, nahm ich
die Einladung mit Dank an. Seine
Gattin war eine der reizendsten
Frauenerscheinungen, di man ftch den-
ken konnte.
Ich wurde von dem jungen, glück-
chen Paare höchst freundlich empfan
gen und mußte mehrere Tage auf dem
Schlosse bleiben. Der Graf und ich
wurden immer vertrauter. Wir ritten,
jagten und schössen zusammen nach der
Scheibe. Der letztgenannte Sport gab
zu einem Gespräch Über gute Pistolen
schützen Gelegenheit. Mir siel hier na
türlich Milow ein. und ich schilderte
itzn, wie er jeden Vormittag seine Ku
geln in ein Kartenblatt schoß. Ich
mußte auch seine Art und seine Gestalt
sehr lebendig gemalt haben; denn der
Graf und die Gräfin, welche bei un
serem Gespräch zugegen war. merktu
fichtlich interessirt auf, als ich von ihm
erzählte.
.Seltsam.' sagte der Graf. .Und
wie dieß dieser geschickte Pistolen
schütze?' Ich nannte den Namen.
.Ah!" rief der Graf höchlichst über
rascht. Sie haben Milow gekannt?"
.Gewiß!" sagte ich; aber seit fünf
Jahren habe ich nichts von ihm gehört.
Kennen Sie ihn. Herr Graf?"
.Und wie ich ihn kenne!" rief er.
.Hat er Ihnen nie einen eigenthüm
lichtn Vorfall aus seinem Leben er
zählt?' Meinen Sie den Ball, auf dem er
von einem jungen Grafen eine Ohrfeige
bekam?'
.Denselben. Ich war dieser Graf.
Und wir haben unS noch später getrof
fen.' In großer Aufregung erhob sich
mein Gastgeber und sagte, indem er
auf ein Bild über seinem Schreibtisch
deutete:
.Sehen Sie bieg Bild S ift der
Beweis unseres letzten RencontreS."
Auch die Gräfin war in Erregung.
.Ich bitte Dich. Wassili, sprich nicht
von der Geschichte, es ist mir schreck
lich." .Ich muß eS erzählen," sagte der
Graf. .Ich bin es meinem Gast schul
big." Ich hatte inzwischen daS Gemälde be
trachtet. ES war eine Schweizer Land
fchaft; aber nicht der Gegenstand inter-
esfirte mich, sondern die zwei dicht neben
einander stehenden Kugeln, von welchen
das Gemälde durchlöchert war.
.Äie werden gleich hören," sagte der
Graf, woher diese Kugeln ftammeik.
ES war im ersten Monat meiner Ehe.
alS ich eines Abends nach Hause kam
und hörte, daß ein fremder Herr, der
seinen Namen nicht nennen wollte, in
meinem Arbeitszimmer auf mich war-
tete. Als ich eintrat, sah ich einen
Mann in bestäubten Reiselleidern om
Kamin sitzen. Er ftand auf und redete
mich mit heiserer Stimme an. .Er-
kennen Sie mich. Gras?" sagte er,
während seine Augen, unheimlich fun
kelnd. sich in die meinen bohrten.
Milow!" rief ich erschreckt aus. Ein
tiefes Entsetzen zitterte durch meinen
Körper. .Sie wissen." fuhr er fort.
daß mir noch ein Schuß gehört. Ich
bin gekommen, meine Schuld einzukas
ftren. Sind Sie bereit?" Und er zog
eine Pistole aus der Tasche. Ich hatte
mich endlich gefaßt. Schnell maß ick
die Mensur ad. stellte mich ihm gegen
über und bat ihn. nur rasch zu schießen.
vevor meine ffrau zurückkäme. Ich
stellte mich wieder dem furchtbaren
Feind gegenüber. Milow hob die Pistole
und zielte. Plötzlich aber ließ er den
rm sinken. .Ich kann auf einen Un
bewaffneten nicht zielen." sagte er, daS
st, als ob wir nicht ein Duell auskech-
ten. sondern als ob ich einen Mord be
gehen wollte. Losen wir darum, wer
den ersten Schuß hat."
So luden wir eine weite Biftole und
losten. DaS Loos entschied, daß ich zu
erft schießen sollte. Ich schoß, aber
meine Kugel ging fehl und traf das
Bild. daS Sie hier seilen. Tttbt war
Milow an der Reihe. Ich sah die
glühenden Augen vor mir und sah, wie
er lange auf mich iielte. Da öffnet
sich die Thür, meine Frau stürzte berein
und warf ftch an meine Bruit. ?t&
äßte mich schnell. .Liebes Kind."
agte ich, .stehst Du denn nicht, daß wir
unö einen Scherz machen? Du bist ja
ganz aufgeregt. Bitte, gebe und trinke
ein Glas Wasser. Tann aber komme
wieder, damit ich Dir einen alten Ka
meraden vorstelle.' Sie alaubte mir
nicht. .Sagen Sie. mein Herr." rief
sie. sich zu Milow wendend. es
wahr, daß dies ein Scherz ift?" Ihr
Herr Gemahl liebt die Scherze, grau
Kräsin," antwortete Milom. .Aus
scherz hat er mir eine Ohrfeige gege
den. aus Scherz eine Kuael durck meine
Mütze geschossen, und soeben hat er mich
wieder aus Scherz nicht treffen wollen.
Jetzt aber bin ich an der Reihe, einen
cherz zu machen." Und nackdem er
dies gesagt, hob er die Pistole und sing
an auf mich zu zielen.
Mein liebes Weib warf sick, ib, iu
Süßen. .Welche Schmach." riet ich
empört. Stehe auf! Und Sie. Grau
samer, hören Sie auf. eine verzweifelte
krau zu auaien. Wollen Sie nun end-
lich schießen aber nicht?" Er ließ die
Pistole sinken. .Nein." saate er. Atb
will nicht schießen, ick, bade meint
Satisfaction. Ich habe Ihre enlkek-
liche Angft gesehen und habe Sie ge-
zwnngen, noch einmal auf mich zu
chießen. DaS genügt mir." Obne
einen Gruß ging er hinaus. Aber in
der Thür drehte er sich um und schoß
seine Kugel dicht neben die meinige in
da? Bild. Dann war er verschwunden.
Meine Frau aber war ohnmächtig ge
worden.'
Der Graf schwieg. Dann umarmteB
er seine Frau, die sich liebevoll an setae
Schulter schmiegte.
Aon Milow hörte ich nichts mehr.
bis ich aus einem Zeitunasdricht er
u
fuhr, daß er als Anführer einer Frei-
willigeniazaar tm Kampfe gegen die
Türken gefallen war.
HF