Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, December 06, 1900, Image 9

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    i.
I
Einrichtung oder Nlord.
ut dsn Z!u'ichung'N cincl AmtSlichtni.
i'on V ( o cr b f o nt
Einige angenehme Jahr, Halle ich in
einer größeren Provinzialftadt als
Amtsrichter zugkdracht und einen mei
Nkn Nngungkn in jeder Beziehung
entsprechenden Wirkungskreis gefun
den. Eine derhältnikmäßlg geringe
Ursache führte eine vollständige Aende
rung herbei. Ein hoher Biinifterial
deamter traf auf unserem Gericht zur
Revision ein.
Bei der Pisitirung meine? Amtsbe
reiche? machte dieser hohe Herr mir
einen, wie sich später herausstellte völlig
unbegründeten Vorwurf, der mich so
schwer traf, daß ich mich dem hohen
Vorgesetzten gegenüber hinreißen ließ.
ES wurde gegen mich eine TiZ;ip!inar
Untersuchung eingeleitet, und das Er
gediiiß war: Strafversetzung nach einem
keinen, weit entlegenen Orte an der
polnischen Grenze.
Ich übergehe, wie schwer mir der Ab
schied aus meinem bisherigen WirkungS
kreise wurde, und theile mit. daß ich in
Mischlowitz so hieß der Ort meiner
neuen Bestimmung noch einige Tage
früher eintraf, als eS nöthig gewesen
wäre.
Die Rache des Ministerialdeamten
war eine vollkommene. Daß der Ort,
nach dem ich versetzt wurde, ein elendes
Nest sei, darauf war ich wohl gefaßt
gewesen. Aber auf der Reise schon
hörte ich. auf was für eine Weise der
Platz meines Amtsvorgängers leer ge.
worden sei. Offiziell hitie man mir
mitgetheilt, dieser sei gestorben. Nun
vernahm ich. daK er daS Opfer eines
Mordanfalle? geworden sei. Ein Bur
saV. der -meinem Amtsvoraänger die
(SAiith nn einer Verurteilung
zu
Iiisinfrieriner Gekänanißstrafe beimaß
halte ihn auf der Straße angefallen
und ihm eine arge Wunde beigebracht,
der der Amtsrichter nach einem langen
Krankenlager unterlag. Der Attentäter
war Zum Tode verurtheilt und bereits
hingerichtet worden. ' -
Schon war ich entschlossen, urnzu
kehren, und meine Karriere ganz aus zu
geben. Als ich jedoch aus den weitem
Berichten meiner Mitreisenden ver
nahm, daß der Gerichtsrath in Misch
lomitz ein allgemein beliebter und ge
achtet Mann, dort schon länger als
zwanzig Jahre wohne, und daß mein
dahingeschiedener Amtsvorgänger sich
durch sein hochmuthiges Betragen bei
der Bevölkerung verhaßt gemacht habe,
nahm ich mir fest vor, nicht die Flinte
feige inS Korn zu werfen, sondern
nach bestem Können mein Amt zu ver
walten. . . m a
. Mischlowitz hat zwei kleine Gast.
Höfe, einen polnischen und einen deut
fchen. Natürlich stieg ich in dem letzte
ren ab.
Ich kam am Nachmittage an und
glaubte, daß eS noch Zeit sei, meinem
Vorgesetzten, dem Gerichtsrath, einen
Besuch machen zu können. Die kon
ventionelle Besuchszeit war es ja nicht,
aber was sollte ich so lange allein in
. irtnnmoitWn Nette beginnen.
Ullll -
Die Ger'äMäthin, eine ehrwürdige
Dame mit freundlichen Gesichtszügen,
empfing mich auf'S liebenswürdigste
und sprach zuerst ihr Erstaunen dar
über aus, daß ich so früh angelangt
miir saften iTie erst Iwei Taae fvä
vi fnw.. - -1 e ,
ter erwartet, Herr Amtsrichter," sagte
sie. sonst hätten &te meinen Gauen
gewiß zu Hause getroffen. Er hat
nämlich seit mehreren Jahren die Ge
ricktsbalterei in Parluwitz üdernom
ntih ans diesem Grunde ist er
in jedem Monat mehrere Tage ab
melend."
Natürlich ließ ich mir von der alten
Dame alles erzählen, was über meinen
neuen Ausenthalt für mich Jntereffe
Dn Schicksal meines
IfUUlll ivilirn- - ' ' ,
AintsvorgängerS schilderte sie als eine
seltsame Ausnayme, wie t uuiy ,
jedem andern Orte vorkommen könne,
und suchte mir überhaupt jede Besorg.
u.& Aftmon
lUo
Sei es nun, daß ich meinen Besuch
nicht länger ausdehnen, el es, vag icu
x. :. .tTirt.hiiihin mar. meine neue
UtlCUO MHt." .
Amtswohnung es gab nämlich eine
solche in Mischlowitz-kennen zu lernen,
ich erklärte meine Absicht, die Wohnung
rU . . n .lu HlÜtMIIM 411
noch heute m wiaeniqiem
-wollen. , ,
Das trifft sich nun gerade schlecht,
tZ. x; K,vitsrätbin. .meine bei
den Dienstmädchen sind heute zu einem
großen Nationalfeft beurlaubt, das in
dem polnischen Gafthof stattfindet. Ich
selbst würde Sie gern begleiten, wenn
' . . i fc.I V.t MuFisitliaH
bet Arzt mir niqi oei vr ud.,.
fetter
Niemals würde ich das annehmen
a,. unterbrach sie lebhaft.
UIIUUIUI U" " ' ' ,t !
ich werde mich hier wohl gewiß nicht
verirren. ,
laArife e. .Sie können
das Haus hier vom Fenster aus sehen
,,v,kv ttnt wie Sie bemer
ken. die von dem Friedhof umgebene
Kirche. Auf der einen Seite deS Fried.
Hofes befindet sich das PfrhauS. auf
I . .:i.. hm N10N
der andern, ganz v
versteckt, liegt daS kleine Haus. daS
hnen künftig als Wohnung dienen
Sie übergab mir die Schlüssel und.
durch den aufgewelcyren vuc um,.,
r ,,N htm kleinen aufe zu.
lUJlU, V. rw -
Es muß gleich gesagt werden, daß es
einen unheimlichen Eindruck auf mich
machte. Schuld daran war in erster
:Linie die eingetretene Dämmerung,
Vtl
Jahrgang 21.
noch durch die herumstehenden Bäume
ii'ik das trübe Wetter verstärkt wurde.
und die Erwägung, daß mein Amts
Vorgänger in dielen Räumen woqen
l.i aus keinem SchmerzenSlager ge
legen hatte, bis ihn endlich der Tod er
löste.
Entschlo en öNnele icy vlk vaus
mrt und trat ein. Unheimlich wider
hallte mein Schritt auf den steinernen
Fliesen. Ich öffnete die nahetlegenoc
Zimmerthür und vesano micy in einer
Stube, deren kahle Wände mich tröst-
los anblickten. Ich trat an das Fen
fter. kein Mensch war aus der Strafe
zu erblicken. Ich stick die nahe Thür
auf und trat in ein hahcS saalartiges
Gemach. Trotz der zuneymenoen un
feUioit bemerkte sich sofort, daß es nicht
nam leer war. ?!N der einen Ecke stand
ein Behälter, der einem Sarge nicht
unähnlich war, und in der 'aye eines
Fensters lag etwas, das die Umrisse
eines menschlichen Körper? zu haben
schien.
Schon bei diesen ersten Wahrneh
mungen gerann mir das Blut in den
Adern. Mein erster Gedanke war. man
habe meinen todten Amtsvorgünger
hier vergessen, aber trotz allen Schreckens
knnnt? ick mir ins Gedächtniß rufen.
was mir sowohl die Eisendahnpassa-
giere, als auch die Genchisraimn von
her Nnrtlckaffuna der Leiche des Amts
richterS in feine Heimath erzählt hatten.
Ueber jede Art von Adergtauvcn suyiie
ich mich, selbst in diesem unheimlichen
Augenblicke, erhaben. Auch jetzt war
ich mir bewußt, daß alleS Unheil nur
von lebenden Menschen kommen könne.
Jedoch war dieser Gedanke nicht dazu
angethan, mich zu beruhigen. So
aufgeregt waren meine Sinne, daß sie
. ' " ? . . v . -L- xi
mir vor!piegetten, in oer eoviierung
fftmi bereits ein Plan, auch mich bei
Seite zu schaffen, geschmiedet worden
sein. .
Ich schwankte zwischen dem Entschluß,
mich wieder zu entfernen, und von der
GerichtSröthin begleitet, hier eine
gründliche Untersuchung vorzuneymen.
nd der Neuoier anderseits, bald zu er-
fahren, was hinter den geheimnißvoll
aussehenden Gegenständen neue. Me,e
Neugier , wurde noch unterstützt durch
fci, fwglnma, daß man meine Flucht
als Feigheit deuten könne, daß eS sich
. - L V- !X 1s. '111.
vielleicht herausneuen meroe. i, ane
mick diireb öllia barmlose Gegenstände
in's Bockshorn jagen lassen, und daß
dieses Debüt nicht geeignet sei. mir in
den Augen der BSvölkerung besonderen
Respekt zu verschaffen.
So biß ich denn die Zähne zusam
men, trat einige Schritte vor, holte ein
Feuerzeug auS der Tasche und zündete
eS an. Was ich in diesem Augendlule
empfand, weiß ich heute nicht mehr.
Ich sank nicht um. sondern blieb starr
ftfftm und dennoch muß ich mich in
einem ohnmachtühnlichen Zustand de.
funden haben. Was icy oa iay. war
nicht nur ein lebloser Körper es war
w ffftrner eines Lunaerickteten. Deut
lich sah ich den Rumpf in der Kleidung
eines ZuchthansstrSsUngs, icy iq oen
Kopf mit der Schnittfläche des HalseS.
an dem das angetrocknete Blut klebte,
und ich erblickte deutlich das verzerrte
Gesicht mit den weitgeöffneten Augen,
die kick mit einem entsetzlichen Aus-
druck auf mich konzentrirten. Ich
wollte hinaus, aber meine Füße waren
wie angeheftet, ich wollte rufen, aber
die Stimme versagte mir den Dienst.
AIS das Feuerzeug zur Hälfte nieder
gebrannt war, fiel es mir aus der
Hand.
In den wenigen Sekunden, in denen
es ausflammte, zog eine Wen nie ge
habter Empfindungen und schreckhafter
WIW dnrck meine Seele.
Ich weiß nicht, woher ich die Kraft
nahm, noch ein zweites Feuerzeug anzu
,nnden. Die niedriae Stirn, das bor
ftige schwarze Haar, die stieren Augen
" !' -r tVYI t
und der haldgeonnele '.'cuno Mil oen
hauerartigen Zähnen, jeder Theil des
abgeschnittenen Kopfes prägte sich mir
für immer und immer ein.
Auch den sargartigen Behälter nahm
ipfet in Augenschein. Ich bemerkte
jetzt, daß er eher die Form einer Truhe
IS die eines karges yane, oyne aoer
hiermit beruhigter zu werden. ES war
mir als müsse ieden Augenblick der
Deckel aufspringen, uni mir ein neues
Schreckensblld zu zeigen.
Endlich löste sich die Starrheit mei
ner Glieder. Gepackt von einem schüt
telndcn Entsetzen, ging ich Schritt für
Schritt rückwärts zur Thür, klinkte sie
auf, schloß sie draußen wieder zu, tastete
mich über den dunklen Flur, fühlte den
Griff der Hausthür in der Hand, öffnete
sie und war mit einem Sprunge in
freier Lufr.
Nun athmete ich auf. war aber nicht
im Stande, während deS Gehens über
daS Geschaute nachzudenken. Wie ich
mich zum Gafthof hinfand, weiß ich
heute noch nicht. Wahrscheinlich bin
Beilage zum Nebraska
ich auf die große Laterne zugeschritten,
welche vor dem Hause stand.
TaS Gastzimmer war leer. Wie der
Wirth mir später sagte, befand sich die
ganze Bevölkerung deS Ortes in dem
Wirthshaus, in welchem das National
fest gefeiert wurde.
Dem Wirth fiel gleich beim Eintritt
die Blässe meines Gesichtes auf. Auf
seine Frage, ob mir nicht wohl sei,
starrte ich ihn an, ohne zu antworten.
Erst als er feine Frage wiederholte, er.
widerte ich. ich fei noch von der Reise
angegriffen. Ich nahm ein Zeitung?,
blatt, da? auf dem Tische lag, und der.
suchte zu lesen. Die Buchstaben tanzten
mir vor den Augen. Fest auf daS
Blatt hinblickend, las ich plötzlich das
Wort: Hinrichtung". Ich bemühte
mich, die Stelle zu entziffern, und es
gelang mir endlich.
, Der Bericht handelte von der Hin
richtung deS Mörders meines Borgän.
gers, die am Morgen des vergangenen
Tages im Bromberg stattgefunden
hatte. Tle Mittheilungen, waren sehr
ausführlich. Zum Schlüsse hieß eS.
der Körper des Hingerichteten sei einem
Leichen Verbrennungsofen übergeben
worden, der für verstorbene oder gcrich
tete Verbrecher bestimmt sei. Durch
diesen Bericht wurde der erste Gedanke,
den ich mir über mein Erlebniß machte,
im Keime erstickt.
Ich hatte natürlich vermuthet, daß
der Todte, den ich in der Amtsmoh
nung gesehen hatte, der Hingerichtete
Verbrecher sei, wenn ich auch nicht im
geringsten hätte sagen können, wie er
dorthin gekommen sei. Ich beschloß
den Wirth zu fragen, und da er wohl
glaubte, es sei mir nur darum zu thun,
mir die Langeweile zu vertreiben, so
gab er bereitwillig Auskunft.
Kommen in dieser Gegend oft
Mordthaten vor?
Nicht daß ich wüßte. In den zehn
Jahren, in welchen ich hier ansässig
bin. ist mit Ausnahme des letzten nur
ein einziger Fall vorgekommen, der
allerdings eine sonderbare Borgeschichte
hat."
Bitte erzählen Sie.
Es war in dem Jahre, in welchem
ich hierher zog. Da kam eines Tages
ein Mann an. der sich hier in meinem
Gasthofe einlogirte. Er war erstmals
ein armer Ortsansässiger gewesen, der
schwand dann während des polnischen
Aufftandes und kehrte nun nach einer
Reihe von Jahren, wie es schien, wohl
habend zurück. Er erzählte, er sei in
Amerika gewesen und habe sich dort
eine Summe Geldes erworben. Die
Mischlowitzer aber, die ihm wie einem
tollen Hunde auswichen, erzählten ein
ander, daß er im polnischen Aufstande
den Verräth gespielt habe und daß
sein jetziges Vermögen der Sündenlohn
dafür sei. Plötzlich nun fand man
diesen Menschen eines Tages an einem
Baume der Chaussee erhängt vor.
Deutliche Anzeichen sprachen dafür, daß
es sich nicht um einen Selbstmord, son
dern um eine Art Lynchjustiz handelte.
Es wurde eine langwierige Unter
suchung eingeleitet, die aber nicht den
geringsten Anhalt für eine Anklage
gab. Die Verhöre verliefen ergcbniß
los. Es hätte sich wohl auch jeder ge
hütet, den Mund aufzumachen."
Aber in Mischlowitz kannte man
wohl den oder die Thäter?"
Der Wirth strich sich verlegen den
Bart.
Sie werden doch nicht glauben."
fuhr ich fort, daß ich Sie jetzt noch
ausforschen und den Angeber spielen
will? Ich habe gewiß keine Ursache, mir
von vornherein' die Gunst der Misch
lomitzer zu verscherzen."
Gewiß, Herr Amtsrichter, daran
habe ich auch nicht gedacht," betheuerte
der Wirth. Es ist allerdings ein
heikles Thema, aber wenn ich die Na
men auch nennen wollte, ich könnte nur
zwecklose Vermuthungen aufstellen.
Soviel habe ich nur gehört, daß sie hier
eine Art Vehmgericht haben sollen."
Ich horchte hoch auf. Mit einem
Schlage schien mir alles klar zu werden.
Sicher hatte es sich in meinem Falle
auch um ein solches Vehmgericht gehan
delt, und die verlassene Amtswohnung
war, da meine Ankunft erst später er
wartet wurde, zur Stätte dieser grau
sigen Justiz gemacht worden.
Eine auffällige Thatsache siel mir
noch nachträglich ein. Ich hatte in dem
Saale, weder in der Nähe des Leich
nams, noch an, anderer Stelle einen
Blutstropfen bemerkt. Aber das er
klärte ich mir gleich. Die Hinrichtung
oder der Mord war jedenfalls im
Hof oder im Garten geschehen. Später
war der Körper in den Saal gebracht
morden, in welchen man noch eine
Truhe hinein schaffte. Wahrscheinlich
sollte das Begräbniß noch in dieser
Nacht stattfinden.
Es wäre nun eigentlich richtig gewe
sen, daß ich sogleich die Ortspolizei "m
Bewegung gesetzt hätte. Aber dann
I 11
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Staats-Anzeiger.
hätte ich an der nächtlichen Erpedition
thcilnchmen müssen, und bei dem
bloßen Gedanken, den grausigen Leich
nam noch einmal wiederzusehen, der
spürte ich eine Anwandlung von Ohn
macht.
.Vehmgericht?" wiederholte ich. zu
dem Wirth gewendet, glauben Sie in
der That, daß es etwas Derartiges
giebt?"
.Behaupten kann ich eS natürlich
nicht." versetzte der Gefragte achsel
zuckend, aber als Gastmirth hört man
so mancherlei lind Thatsache ist, daß die
Leute hier mit ihren kleineren Streitig
keiten niemals vor Gericht kommen.
Es heißt, daß der alte Schulze von
Mischlowitz eine große Macht Über die
Bevölkerung ausübe und es ist eben
nur eine Sage daß er bei den hie
sigen Leuten selbst Macht über Leben
und Tod hat."
Ich fühlte mich nicht wohl und be
eilte mich, bald mein Lager aufzu
suchen. An Einschlafen war natürlich
nicht zu denken. Bald stand ich vom
Lager auf, um mich anzukleiden und
die Gendarmen aufzusuchen, die ich je
denfalls bei dem Feste, von welchem
Klänge und Rufe deutlich herüderschall
ten. finden müßte, aber gleich darauf
kehrte ich nach kurzer Erwägung wieder
auf mein Lager zurück. Bald verfiel
ich in eine Art Halbschlummer, in wil
chem die widrigsten Bilder vor meinem
Auge vorüberzogen, und ich erwachte
in Schmeiß gebadet. Erst gegen Mor.
gen gelangte ich zu einem festeren
ruhigen Schlafe und ich wachte auf.
als die Sonne bereits hell in das Zim
mer schien.
Ich sah nach der Uhr und erschrak.
In eineinhalb Stunden sollte der Zug
ankommen, welcher den Gcrichtsrath,
meinenVorgesetzten, zurückbringen sollte.
Ich hatte mir fest vorgenommen, den
alten Herrn auf dem Bahnhof zu em
pfangen. Mit meiner Toilette mich möglichst
beeilend, gelaugte ich noch zur rechten
Zeit zum Zuge. Ich sah, wie ein alter
Herr mit weißem Haar und freundlichen
Zügen aus demselben stieg und von der
Räthin bewillkommnet wurde. Nun
wollte auch ich hinzutreten, als sich ein
junger Mann hervordrüngte. welcher
von dem Gerichtsrath herzlich begrüßt
wurde und mit dem er einige Worte
wechselte. Dann erst gelangte ich dazu,
mich von der Gerichtsrüthin dem alten
Herrn vorstellen zu lassen. Er machte
mich dann seinerseits mit dem jungen
Manne bekannt, den er kurzweg als
Herrn Scholz aus Berlin bezeichnete.
Nun, wie weit sind Sie denn jetzt?"
fragte ihn der Gerichtsrath.
Vollständig fertig." erklärte Scholz
m befriedigtem Tone, ich beabsichtige,
morgen nach Berlin zurückzukehren.
Nochmals meinen herzlichsten Dank für
Ihre gütige Unterstützung, Herr Ge
richtsrath."
Nun." lächelte dieser, der größte
Theil Ihres Dankes gebührt eigentlich
dem Herrn Amtsrichter."
..Mir?" fragte ich erstaunt.
Allerdings. Ihnen! Ich muß Sie
noch um Entschuldigung bitten, daß ich
mir die Freiheit nahm, Herrn Scholz
Ihre Amtswohnung für einige Tage
zu überlassen. Er ist nämlich seines Zet
chens Bildhauer und hatte den ,Aus
trag, die Figur des zur Hinrichtung b
stimmten Mörders für das Berliner
Panoptikum in Wachs auszubilden
Er wünschte zu diesem Zwecke einen
ungestörten Raum, aber was ist Ihnen.
Herr Amtsrichter?"
Ich weiß in der That nicht wie ich
in diesem Augenblicke ausgesehen haben
mag und welche Laute aus meiner
Kehle drangen. Ich hätte zugleich
lachen und weinen mögen. Das war
also die Lösung des Räthsels, das mir
einen solchen Schrecken eingejagt hatte.
Einen Augenblick kämpfte ich mit
mir, ob ich stillschweigen oder beichten
solle. Ich zog es vor, die Geschichte in
humoristischem Tone zu erzählen, die
von beständigem Lachen meiner Zuhörer
begleitet wurde. Freilich erwähnte ich
nicht mit einem Worte, welche Angst ich
dabei ausgestanden hatte, sondern hob
meinen Eifer hervor, die Angelegenheit
kriminalistisch zu verwerthen. Ich habe
dann noch später mich bemüht, einen
solchen Eifer in allen meinen Amts
Handlungen blicken zu lassen, so daß
nach einigen Jahren meine Bemühun
gen, wieder an die alte Stelle meiner
Wirksamkeit zurückversetzt zu werden,
mit Erfolg gekrönt wurden.
Leutnant von ZNoltke.
Wie der große Dichter Friedrich von
Schiller, hat auch der große Schlach
tenlenker Helmuth von Moltke in der
Jugend mit bitterer Armuth kämpfen
müssen.
Der Vater des Fcldmarschalls. Fried
rich Philipp Viktor von Moltke, hatte
o. 29.
im Jahre 1806 bei der Plünderung
Lübecks durch die Franzosen und durch
Viehseuchen und eine Feuersbrunst aus
seinem Gute Augustenhof in Holstein
nicht nur sein ganzes Vermögen ver
loren. sondern auch einen großen Theil
des Vermögens seiner Frau, einer Toch
ter deS Geheimen Finanzraths Paschen,
und war wegen seines Ledensunterhal
teS gezwungen, in dänische Kriegsdienste
zu treten. Er konnte daher seinem
Sohne keine Zulage geben, so daß die
ser mit seiner geringen Leutnantsgage
auskommen mußte. Aber wie bei
Schiller führte diese schlechie finanzielle
Lage nicht zur Unzufriedenheit mit dem
Geschick und zur Selbstvcrditterung.
sondern hatte jene fast sprichwörtliche
Genügsamkeit und eine gesteigerte
Arbeitsamkeit zur Folge.
vast in jedem Briefe, den Moltke
mährend seiner Leutnantszeit an seine
Mutter schrieb, erwähnte er seine
pekuniären Verhältnisse. Oft spricht
er in scherzender Weise von dem lau-
gen Geldbeutel von schöner Taille, der
leider kein Beutel Geld ist." Glück-,
licherweise war Moltke nur kurze Zeit
aus das noch weniger als heute be
tragende LeutnantSgehalt angewiesen,
sondern hatte wegen feiner Tüchtigkeit
tast ohne Unterbrechung Kommandos.
die ihm eine ansehnliche monatliche Zu
läge einbrachten. So verfügte er wäh-
rcnd seines Kommandos zum topogra
phischen Bureau über 45 Thaler
monatliche Einnahme, eine Summe.
die ihm so hoch erscheint, daß er sich
monatlich fünf Thaler für seine Brüder
abziehen läßt, die noch nichts verdienen
Außerdem hatte dieses Kommando den
Vortheil, daß er oft längere Zeit auf
Gütern zubringen mußte, um die Ge
gend aufzunehmen. Hier erfuhr Moltke
die liebenswürdigste Gastfreundschaft.
Besonders reizvoll war für ihn der
Aufenthalt auf dem prächtigen Schlosse
des Grasen von Korspoth Schön
Briefe.
Moltke schreibt darüber an seine
Mutter:
Ach, es ist eine schöne Cache für so
einen armen Teufel, der sich zwischen
Geldmangel, Vorgesetzten. Dienstpflicht,
Gehorsam und wie die Uebel alle
heißen, die je der Büchse Pandorens entl
flohen, hcrumdrängen muß, so in eine
Lage zu kommen, wo all die klein-
lichen Verdrießlichkeiten des Lebens.
die zusammen das Unglück des Lebens
ausmachen können, aufhören, wo alles
schön, gefällig, reich und edel ist und
das Vergnügen Zweck sein darf, weil
selbst die Arbeit ein, Vergnügen ist, wo
die Kunst nicht die spärliche Würze des
Lebens, wo sie das Leben selbst ist, und
wo man leldst gefallend sich gefällt
So war Briefe ein warmer Sonnen
blick an einem finsteren Herbsttage
Wirklich kam ich mir vor wie am Hofe
von Ferrare, und wenn mir nicht alles
Tas (mische gefehlt, so wäre ich nur
auch vorgekommen, wie der gefeierte
Tasso."
Nicht so günstig in pekuniärer Be
ziehung war für Moltke die Komman-
dirung zum Generalstabe nach Berlin.
wenn sie natürlich auch in ideeller Be
kiehung für seine Zukunft entscheidend
war. In Berlin verschlangen die Pri
vatstunden. die er nahm, der reiche ge-
leuschattllche erleyr, das theuere Leben
viel Geld. Er klagt, daß er für ein
Zimmer, ohne Burschengelaß, an der
Friedrich- und Mohrenstraßen Ecke
acht, später neun Thaler bezahlen
mutzte.
Vor allem aber drückte ihn die noth-
wendige An chanung von zwei Pferden
60 Thaler hat er selbst dazu gespart.
50 Thaler betragen die Entschädigung?-
gelder. auu Thaler schießt ihm ein
Onkel vor. woher aber die noch fehlen-
den 1W Thaler nehmen?
Hier muß fein schriftstellerisches
Talent aushelfen. Er beginnt mit der
llebersetzung von Gibbons berühmter
Geschichte deS Verfalls und Umsturzes
oes römischen ikatterthums. einem
Werke von b'000 Seiten! Hierfür hat
ihm ein Buchhändler 500 Thaler
yonorar versprochen und weitere 250
Thaler, wenn 500 Exemplare verkauft
find. Mit ungeheurem Fleiße geht er
an die Riesenarbeit, hierzu die kargen
Mußestunden verwendend, um schließ-
tich von dem Berteger im Stich gelassen
zu werden, so daß, Moltke gezwungen
ist. ihn zu verklagen. Moltke muß froh
sein, da ein gerichtlicher Vergleich zu
Stande kommt, in welchem sich der
Buchhändler verpflichtet, an ihn 166
Thaler zu zahlen.
Nun hat Moltke die Pferde und da
mit eine neue Last auf sich genommen:
die Pferde wollen Futter, und das
Futter ist theuer, so daß es ihm. wie
er sich scherzhaft ausdrückt, fast geht wie
lomedcs. der von seinen eigenen Rof
fen gefressen wurde.
Auch ein anderes Unternehmen glückte
nicht recht. Am 15. Oktober 1832 war
die Grenze zwischen Holland und Bel
gien neu bestimmt worden, und schon
!m Tage Maer erschien in .
ninplaren eine Karte der laittof zum
Preise von drei ildergio'chtii. von
zwei .bedrängten OiNzieren' gezeichnet.
Und da will es der Zufall, daß zu der
selben Zeit ein ebenso seiner Spekulant
eine ebensolche, allerdings fthr unge
naue Karte herausgab, welche der ersten
große Konkurrenz machte. Die zu die
fem Unternehmen erforderliche Kennt
niß hatte sich Moltke bei den Studien
zu seinem litcrarifchen Erstlingswerke
.Belgien und Holland" erworben, wo
bei er nach seiner Schilderung über
1000 Seiten Quarr und an 400 n
ten in Oktav durchlesen und oft Bände
durchblättern mußte, um einen allge
meinen &tz aufzustellen, und fugte er
ironisch hinzu: Am Ende nimmt der
Leser einen Satz Über den Satz und lieft
ihn nicht."
Vielleicht noch mehr Muhe, als daS
Werk schreiben, machte ihm daS Be
streben, es möglichst vortheilhaft zu
verwerthen. Er schreibt darüber sehr
ergötzlich:
,?llle die Leiden eines ningen Au
tors, der um einen Verleger verlegen.
sind über mich gekommen. Durchdrun
gen von dem Werth unserer Arbeit, er
staunen wir. die Buchhändler von miß
lichen Konjunkturen, vom Darnieder
liegen deS Buchhandels reden zu hören,
dem wir eben durch unser Manuskript
einen neuen Aufschwung geben wollen.
Der Undank des Mannes, dessen Glück
durch unseren Aufsatz wahrscheinlich
gemacht ist, empört uns, und wir wür
den der Welt unser Licht vorenthalten,
wenn nicht ein ungestümer Schuh
macher, dem wir eine Schlafstelle in
unserem Gedächtnisse angewiesen, mit
wissenschaftlichem Eifer auf die Her
ausgäbe eines so ausgezeichneten Werkes
dränge, und sollte das Honorar auch
nur 3 Dukaten betragen."
Es war eine harte Schule, welche der
große Schlachtenlenker in seiner Jugend
durchmachen mußte. Vielleicht aber
hätte er ohne sie nicht die beispiellosen
Erfolge errungen, deren Früchte wir
heute genießen.
Zwischen Lipp' und KelcheSrand.
Unser Bürgerkrieg hat noch gar
manche denkwürdige Neben-Episoden
gehabt, die nicht zu den eigentlichen
Kriegsvorgängen gehören und wenig
bekannt sind. Von einer erschütternden
Episode dieser Art erzählt neuerdings
eine Mitarbeiterin einer unserer
Frauen-Zeitschriften, und die Geschichte
ist eines Plätzchens im Gedächtniß der
Nachwelt werth.
DerSchauplatz war daS Amtsgebäude
des Gouverneurs von Süd-Carolina,
und die Zeit nicht sehr lange vor Schluß
des Krieges. In jenem Gebäude sollte
die schöne Tochter des Gouverneurs
Pickens mit dem Confödcrirten-Leut
ant LeRochelle getraut werden. Am
Nachmittag vor dem Abend, auf wel
chen die Vermählungsfeierlichkeiten an
beraumt waren, begann die nördliche
Armee Columbia zu bombardircn, doch
ließ man sich dadurch keinen Augenblick
abhalten, die Vorbereitungen für die
Hochzeit fortzusetzen.
Genau zur angesagten Stunde wa
ren alle Hochzeitsgüfte versammelt, und
der Geistliche begann die Trauungs
Ceremonie zu vollziehen. Er hatte ge
rade die rechten Hände des schmucken,
glücklichen Paares in einander gelegt,
da gab es einen furchtbaren Krach!
Eine Kugel aus einer Kanone des
Feindes war in das Gebäude eingeschla
gen und platzte mitten in dem Trau-ungs-Zimmer,
ihre Verderbensboten
nach allen Seiten umherschleudernd!
Das ganze Haus bebte, die Wände
schwankten hin und her, die großen
Spiegel-Scheiben zersprangen, viele
Frauen wurden ohnmächtig, und Ge
schrei und Stöhnen erfüllte die blumen
duftbeladene Atmosphäre.
Das Allerschrecklichste aber wurde man
gewahr, als die erste Verwirrung sich
gelegt hatte.
Nur eine Person in der zahlreichen
Gesellschaft war tödilich getroffen,
und das war die liebreizende Braut
selbst! Sie lag theils auf dem Fuß
boden, theils in den Armen ihres
Bräutigams, eine Blume, die ein Wet--terstrahl
hoffnungslos geknickt hatte.
Auf ihrem, schon todtenblassen Antlitz
ruhte ein besonderer Schönheitsschim
mer, und ihr Brautkleid war von war
mem Blute getränkt, das einer großen,
klaffenden Wunde in der Brust ent
strömte. Ganz außer sich vor wildem Schmerz,
legte ihr BrÄutiaam die Sterbende aus
ein Sofa und flehte sie dann in allen
Ausdrücken der Zärtlichkeit an, die
Fortsetzung der Trauungs-Ceremonie
zu gestatten. Mit scbwaeber Ktimm,
erklärte sie sich hierzu bereit, und äh
rend sie nur noch stoßweise athmen
konnte, ihr Gesicht so weiß wie die Ca
melien ihres Braut-Bouquets war. und
das Blut noch immer aus ihrer Wunde
drang, murmelte sie ihr Ja" zu den
Worten deS Geistlichen und erhielt von
ihrem Neuvermählten den ersten Kuß!
Einen Augenblick noch. und Alles war
vorüber. Die Hochzeitsgesellschaft stand
in einem Tvölengemach.
Unter Magnolien wurde der fchöne
Leichnam begraben, und der Bräu
tigam kehrte zu seinem Regiment uiWirf ?
ein völlig gebrochener Mann. DaS ist
oer rieg.
Der Kluge ist auf eine Woche Leids
gefaßt, wenn er eine Stunde Glücks
genossen hat.
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