Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, November 22, 1900, Image 9

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Iniihl.
Mut 'p!!ovk oii IKoIife i ietni. J;o
! d t o d o r obaiiiic.
ES tojr zu (iiidt der siebziger Jahre,
bei leiestenhkit der großen Herbst
mandver in Brüh!, am Rhein. Im
Okfolfle deS Kaisers Wilhelm des Er
ften, daS ungemein zahlreich und glan
zend war, befand sich selbstveiftandlich
auch eneralseldmarschall Moltke.
Ter grejke Feldherr, der damals
schon sein 77. Lebensjahr zurücklegt
hatte, liebte eS. sich unerkannt unter
daS Volk zu mischen, und gar manches
hübsches lieschichtchen ist nach seinem
Tode inS Publikum gedrungen, welches
Zeugniß ablegt von seiner großen Ein
fachdeit und Herzensgute.
Brühl ist ein recht beliebter AuSflugS
vrt für die umliegenden Städte, und
namentlich von Bonn und Köln be
sucht man gern den prächtigen Park,
in welchem daS Schloß liegt, das im
Jahre 1728 vom Kurfürsten KlemenS
August erbaut und Augustendurg"
genannt wurde.
In jener Zeit, da die Manöver in
Brühl stattfanden, war das Städtchen
von gremden überschwemnit. die alle
den greisen Kaiser und seinen getreuen
Rathgeber sehen wollten.
Stundenlang standen die Menschen
vor dem Schlosse oder den Gebäude,
in welchen die hohen Herren Unterkunft
gefunden hatten. Ten alten Feld
marschall zu sehen, glückte aber nur
wenigen, denn ohne daß die meisten es
ahnten, war er gewöhnlich durch eine
Hinterpforte entschlüpft, oder, wie es
thatsachlich vorgekommen sein soll, er
drückte den Hut (Moltke trug gern
Civil, wenn er nicht im Dienste war)
tief in die Stirn und schlüpfte scheu,
verlegen durch die l5ingangsthür mitten
ins Publikum, das natürlich in dein
schüchtern auftretenden Männchen den
Gewaltigen nicht vermuthete und ihn
ruhig durchgehen ließ. Tas; derartige
Erlebnisse den Grafen höchlichst ergötz,
ten, wird man gern glauben.
Eines Tages, als der Dienst den
Feldmarschall nicht in Anspruch nahm,
unternahm er eine weitere Fußtour
nach der Ruine Mödling. weil man
ihm verrathen hatte, daß nicht allein
der Weg dorthin, sondern auch daS
ganze Mödlingthal entzückende land
fchaftliche Reiz- aufzuweisen habe.
Er war ein großer Freund der Natur,
einer der eifrigsten und aufrichtigsten
Bewunderer, und er genoß die ihn
umgebende Ruhe und Stille in vollen
Zügen.
Kein Blatt regte sich, über ihm
spannte sich ein wolkenloser, blauer
Himmel, da rechte Kaisermetter; neben
ihm lief geschwätzig der Mödlingerbach.
bald unter Gestrüpp verschwindend,
bald unverhüllt sich über blankem Kie.
sei hinwälzend, dem einsamen Man
derer nicht allein Unterhaltung gewäh
rend. sondern ihn auch mit seiner Kühle
labend.
So erreichte Moltke das gewünschte
Ziel.
Doch seltsam, dachte er, war außer
ihm in dieser Einöde noch ein anderes
lebendes Wesen? Klang es nicht, als
ob die alten Zeiten wieder erstünden,
jene Zeiten, da in den Burgverließen
die unglücklichen Gefangenen schmach
teten ?
Moltke besann ich nicht lange.
Leichtfüßig erklomm er die Ruine,
von Zeit zu Zeit innehaltend in seinem
Laufe, um zu horchen, auszukundschaf
ten, woher die Stimme oder waren
eS mehrere? kam.
Aber so sehr er sich auch anstrengte,
es wollte ihm nicht gelingen.
Ganz erhitzt, wollte er schon sein
fruchtloses Bemühen aufgeben, als er
deutlich eine leise, wehmüthige Melodie
singen hörte.
Wieder blieb er lauschend stehen.
Die Stimme klang jung und frisch;
es schien sogar, als würden ihr Zügel
angelegt, als bemühe man sich mit Ge
walt, die eigentliche Stimmung deS
Singenden zu verbergen. Dann und
wann war es dem aufmerksam Lau
schenken, als sei es Nixen-Gesang. so
neckisch und lieblich erklang es bis zu
ihm.
Moltke'S Interesse, aber auch seine
Neugier war erregt. Noch eifriger als
vorher machte er sich jetzt daran, das
Geheimniß zu ergründen, wäre aber
sicher ohne die ihm zutheil gewordene
Hülfe nicht ans Ziel gelangt.
Er hatte daS ganze Gemäuer, soweit
8 menschlichem Fuße zugänglich war.
abgesucht; die Stimme, ja. oft ein
unterdrückte? Lachen folgten ihm auf
Schritt und Tritt. Da noch eine Bie
gung und unter ihm lag. von dem
ungehindert hereindringenden Sonnen
licht überfluthet, ein unterirdischer
Raum, der nach den einzeluen Gitter
ftäben. die lose in den Luken hingen,
zu urtheilen, wohl als Gefängniß gk'
dient haben mochte. Libellen huschten
umher, auf dem abgebröckelten Mauer
werk faß ein Rothkehlchen und lugte
recht naseweis bald auf den unerwarte
' ten Eindringling, bald nach der Ge
ftalt hinüber, die sich'S auf einem mäch
tizen Felsblock ganz bequem gemacht
hatte.
Moltke ward durch des Thierchens
Gebühren erst aufmerksam. Um die
Gestalt sehen zu können, mußte er sich
weit vorbeugen. Darüber schien das
junge Wesen unten höchst belustigt,
denn eS rief: Obacht, mein Herr Rit.
terl Wenn man gekommen ist, eine Ge
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Jahrgang 21. Beilage zum Nebraska Ztaats-Änzeiger. No. 27.
fangene heimlich zu befreien, darf man
nicht so ungenirt zu Werke gehen !"
An der Stimme erkannte der Feld
marschall die geheimnißvolle Sängerin.
Auf ihren munteren Ton eingehend,
sagte er:
Heimlich, holde Dame? Wenn die
Böglein und Libellen unS zuschauen?"
Die sagen's aber doch nicht weiter!
Ach. wer Sie auch sein mögen, ich
schwärme gar zu sehr für die alten Zei
ten! Ihnen mutz ich's verrathen. Sie
haben ein so gutes, vertrauenerwecken
deS Gesicht!"
Sehr verbunden." erwiderte Moltke
mit einer tadellosen Verbeugung
von seiner Höhe herab. Um seinen
Mundwinkel zuckte es, aber er bezwäng
sich, mochte er doch das Zutraun, der
reizenden Kleinen nicht verscherzen.
Eine Kleine war es allerdings noch,
das sah er am besten, als sie aussprang,
und zu ihm eilte. Sie mochte kaum
1 Jahre zählen, ihr Gesichtchen hatte
noch einen sehr kindlichen Ausdruck,
den die frei herabhängenden blonden
Zöpfe noch erhöhten, und ihre blauen
Augen, die in ihrer dunklen Färbung
mit dem Himmel zu wetteifern schienen,
verriethen, daß sie noch nicht gelernt
hatte, ihre wahrsten und innersten Em
psindungen unter hohlen Phrasen zu
verbergen.
Mit einer Bewegung, die einer Für
ftin Ehre gemacht haben würde, lud sie
ihn ein. zu ihr herniederzusteigen. Da
ihm dies nicht so leicht von statten ging,
wie sie wollte, sprang sie daS Gerölle
empor und reichte ihm die Hand.
ES wäre freilich viel richtiger, Sie
führten mich, aber " sie verstummte
und wandte ihr Gesichtchen ab.
Aber bei einem so alten Knaben,
wie ich bin. wollen Sie eine Ausnahme
machen, nicht wahr?" lachte der Ge
führte, der eS sich ganz gern gefallen
ließ, von fo zarten Händchen geleitet zu
werden.
Das Mädchen erröthete und meinte
nach einer langen Pause:
So freilich hatte ich mich nicht aus
drücken wollen."
Und wie denn?"
Sie aber ließ nun seine Hand los.
eilte norwärtS zu dem Platze, den sie
vorher inne gehabt, legte das Moos,
welches ihr zum Sitz gedient, dichter
auf und bat ihn, es sich hier bequem zu
machen.
Als er nicht sofort ihrer Auffärbe
rung Folge leistete, rief sie lachend:
Sie müssen schon fürlieb nehmen,
denn so wie es der Kaiser im Schlosse
,u Brühl hat. kann ich es Ihnen freilich
nicht machen."
Der Kaiser?"
Ja der Kaiser und Bismarck und
der alte Moltke. Haben Sie den schon
gesehen? Ja? O, Sie Glücklicher!
Mama will nicht, daß ich nach Brühl
gehe, es seien" hier lachte der Schelm
höchlichst ergötzt auf ..zuviel Offiziere
da. Gelt daS ist drollig?"
Na, im Bilde kennen Sie ihn
doch?" fragte der Feldmarschall voller
Spannung.
Gesehen habe ich ihn wohl, aber ich
würde mir nicht zutrauen, ihn zu er
kennen. Da sagen die Menschen im
mer, er sei daran zu erkennen, daß er
keinen Bart trüge. Aber, du lieber
Himmel, andere Herren tragen auch
keinen. Dann müßten Sie auch Moltke
sein."
Bei diesen Worten lachte sie so herz
lich, so kindlich, daß der ernste Moltke
auch mit lachen mußte.
Sie haben recht, kleines Fräulein,
daran erkennt man den alten Moltke
nicht."
Aber woran denn?"
Das können Sie nur erfahren,
wenn Sie nach Brühl gehen. Sagen
läßt sich das nicht."
Gerade so sagt, mein Papa auch
immer."
Moltke unterhielt sich noch einige
Zeit mit dem lieblichen Backfisch, der
so zutraulich sich ihm genähert, und,
nachdem er noch erfahren, daß ihre An
gehörigen gar nicht weit entfernt seien
und sie dieselben in knapp zehn Minu
ten erreichen könnte, drängte es ihn
heimwärts, vielleicht hauptsächlich des
halb, weil eben diese Angehörigen ihn
erkennen und ihm seinen Spaß verder
den würden.
DaS Mädchen gab ihm ein Stück
Weges das Geleite, ihm alle kleinen
Sorgen und Kümmernisse verrathend.
Als sie schieden, meinte Moltke:
In Brühl werden wir uns doch
vielleicht wiedersehen. Wenn Sie nur
dann nicht thun, als hätten Sie meine
Bekanntschaft noch gar nie gemacht!"
Wo denken Sie hin? Sie sollen
mir im Gegentheil helfen, Moltke zu
sehen."
Dürfte schwer halten."
Ich merke schon, ich mutz mich nach
einen, anderen Ritter umsehen."
schmollte die Kleine, sich nach echter
Backfischmanier mit den Schultern hin
und hei drehend.
Wenn Sie mir versprechen, sich
durch gar nicht? verblüffen zu lassen,
dann "
Tann wollen Sie mir helfen?" ju
belte das Mädchen. Das ist hübsch
von Ihnen!"
Also auf Wiedersehen in Brühl,
kleinesBurgfräulein. das wimmert und
klagt und ehrbare Wanderer verführt,"
sagte der greise Feldherr.
Wie soll ich Sie aber erkennen und
wo Sie finden?"
Ich erwarte Sie am Bahnhof."
Abgemacht, Herr Ritter, hier schla
gen Sie in meine Rechte, und wehe
Ihnen, wenn Sie nicht Wort halten!"
Tas war das Letzte. waS Moltke von
dem übermüthigen Geschöpfchen hörte;
'denn kaum daß er ihre Hand berührt
hatte, flog sie den Weg zurück, den sie
eben gekommen waren.
ES war am Tage der Abfahrt der
hohen Herrschasten.
Tas Städtchen war von Fremden
überfüllt. Im Bahnhof war tein Plätz'
chen leer. Der absperrenden Schutz
Mannschaft dünkte es eine unauSführ
bare Aufgabe, das Publikum fernzu
halten. Bon fern und nah waren sie
herbeigeströmt, um den ehrwürdigen
Kaiser inmitten seiner Familie auch
der Kronprinz, seine Gemahlin und deren
älteste Tochter waren anwesend und
seine Getreuen zu sehen.
Ziemlich weit von allen anderen, an
einer Stelle, welche einen prächtigen
Ueberblick über das Ganze bot. von der
Thüre, durch welche die Herrschaften
auf den Perron treten mutzten, nur
durch einige Lorbeerbäume getrennt,
stand ein junges Mädchen, das durch
seine Lebhaftigkeit, sein liebes Geficht
chen und durch den Eifer, mit welchem
sie jeden Ankommenden musterte, aller
Umstehenden Interesse erweckte.
Dein Ritter hat Dich aber schmäh
lich im Stich gelassen. Lucy." neckte sie
ein älterer Herr, dessen Züge auffallende
Achnlichkeit mit denen des jungen Mäd
chenö verriethen.
Ach. Papa!"
Waren das wirkliche Thränen, die in
den lustigen Augen schimmerten? Wo
hin war Fräulein Luch's Schalkhaftig
keit? Wohin ihr Uebermuth und ihre
Sicherheit? ,
Berweht, alles zerronnen vor der Ge
wißheit. daß der Fremde, um den sie so
schwere Schelte hatte hinnehmen müs
sen. weil sie sich mit ihm so vertraut ge
macht, sie nur gefoppt hatte. Am lieb
sten wäre sie nach Haufe gegangen; sie
wollte gar nichts sehen, gar nichts
wissen und hielt sich des öfteren die
rosigen Ohren zu, als ihr Bruder, ein
Primaner, ihr diesen oder jenen Namen
nannte. Nein, sie wollte nichts wissen.
Da ging eine Bewegung durch die
harrenden Massen. Lucy und die Ihn
gen wurden noch etwas weiter borge
schoben. In demselben Augenblicke
trat Kaiser Wilhelm und mit ihm
Fürst Bismarck und Feldmarschall
Moltke durch den blumengeschmückten
Weg hinaus auf den Perron.
Luchs Augen erweiterten sich immer
mehr. Sie faßte krampfhaft nach ihres
Vaters Arm, so fest, daß dieser kaum
einen leichten Schmerzensschrei unter
drücken konnte.
Papa , Papa , wer ist der
Herr neben dem Kaiser?" fragte sie
athemlos.
Betrachte Dir den Mann nur ge
nau, das ist Moltke. den Du so gerne
sehen wolltest."
Moltke?" schrie nun Lucy auf und
erbleichte. Ihr Schrecken ward aber
noch größer, als der Feldmarschall, der
nahe genug war. um ihren Ausruf zu
vernehmen, auf sie zutrat und ihr
lächelnd beide Hände entgegenstreckte.
Nun, kleines Burgfräulcin, habe
ich nicht Wort gehalten?"
Lucy ward bald bleich, bald roth.
Excellenz!" stammelte sie.
Moltke aber lächelte nur, zog zwi
schert den Knöpfen seiner Uniform ein
Couvert heraus und übergab eS ihr mit
den Worten:
Hier haben Sie ein Bild vom alten
Moltke, der sich freute, im tiefsten
Walde versteckt ein Ritterfräulein zu
finden. Vergeben Sie mir das kleine
Verfteckspiel. aber ich brachte es nicht
fertig, durch Nennung meines Namens,
womit ich Ihren Wunsch allerdings am
raschesten erfüllt haben würde, die köft
liehen Augenblicke mir selbst zu schmä
lern." Papa, siehst Du nun, wer der
Fremde gewesen? Und Ihr habt mich
so hart darum angelassen," flüsterte
das hochbeglückte Mädchen, doch laut
genug, um von Moltke verstanden zu
werden.
Er drohte ihr lächelnd mit dem Fin
ger. Als er ihr nun zum Abschied die
Hand reichte, drückte sie rasch die frischen
Lippen darauf.
Ein lautes Bravo in ihrer Nähe
schreckte sie auf und rief ihr in's Ge
düchtniß zurück, wo sie weilte.
Wollte grüßte verbindlich lächelnd
noch einmal und trat dann zurück.
Lucy barg ihren Schatz auf ihrem
Herzen. Tas Uedrige hatte nun ihr
Interesse so ziemlich verloren.
Nur mit Mühe konnte sie sich zurück
halten, ihr Herzchen war so voll, es
drängte sie, ihren, inneren Jubel laut
Lust machen. Sie begrüßte es deshalb
als eine Wohlthat, als nun der Kaiser
einstieg und dabei ein nicht enden
wollendes Hurrah die Luft durchbrauste.
Dabei durfte sie ja einstimmen, ohne
aufzufallen, und so rief sie aus voller
Kehle mit.
Der Zug setzte sich langsam in Bc
wcgung. Nun war es dem Publikum
gestattet, hinauszutreten. Lucy machte
von dieser Erlaubniß sofort Gebrauch
und so gelang es ihr, noch einen Gruß
ihres Ritters zu erhalten.
Das zweite Gesicht.
Ans dem Reich des Uebersinnliche, Von
?)! a r y S u i e r.
Im vorigen Jahrhundert und selbst
noch bis zur Mitte dieses Jahrhunderts
erfreute sich der Wald- von Scnart
keines guten Rufes. In einer ichönen
Sommernacht des Jahres 1 791) fuhr
die von Paris nach Melun bcstiinmte
Post durch eine Eichenallee, die den
Wald in seiner ganzen Länge durch
schnitt und diese hundertjährigen Eichen
waren so dicht belaubt, daß die Land
straße völlig in Dunkel gehüllt war.
Die Rotunde und das eigentliche Ko'ipe
waren vollständig besetzt; im Innern
zwei Reisende und auf dem Deck ein
Tenorist aus der Provinz, der mit voller
Kehle ein Lied sang. Unter solchen
Umständen war es ausgeschlossen, daß
dem Wagen die geringste Gefahr drohen
konnte, und die Post fuhr deshalb -im
Schritt.
Als man Eorbcil erreichte, ließ der
Kutscher, wie es üblich, seine Pferde
eine schnellere Gangart einschlagen und
der Wagen rasselte über das Pflaster
der in tiefem Schlummer liegenden
Stadt. Man kommt zur Posthaltcrei,
wo umgespannt werden soll. Auf die
Aufforderung des Kutschers, der gar
nicht böse darüber ist, daß er sich ein
bischen auffrischen kann, steigen alle
Fahrgäste ab; man gähnt, starrt sich
gegenseitig an und zählt, ob auch noch
alle da sind.
Das ist aber merkwürdig," ruft der
Postillon, wo find denn meine beiden
Gaste, die im Innern gesessen haben?"
Beunruhigt Euch nicht, Schwager."
sagte der Tenorist, Eure Fahrgäfte
werden sich schon wieder finden; die
Wölfe haben sie nicht gefressen."
Na, gewiß nicht!" versetzte ein No
tar, der nach Melun fuhr; bevor wir
in den Wald fuhren, habe ich mich noch
aus dem Wagenschlag gebeugt, um
ihnen eine Prise Tabak anzubieten."
Man wartet. Der Postillon lamen
tirt, die Fahrgüste werden ungeduldig;
Niemand kommt! Nach einer Stunde
muß man weiter, ohne die beiden Män
ncr. die in so geheimnißvoller Weise
verschwunden waren, wieder gefunden
zu haben.
Einige Tage darauf benachrichtigte
die Polizei den Professor Mehul vom
Konservatorium, den berühmten Kom
ponisten von Joseph in Aegyptcn",
sein bester und ältester Freun) M
wäre seit dem Abend nicht wiedergesehen
worden, da er im Hof der Posthaltcrei
den Postwagen bestiegen hatte, um nach
Melun zu fahren. Diese Nachricht ver
ursachte dem berühmten Maestro einen
tiefen Kummer: er traf alle möglichen
Anstalten, um seinen Freund todt oder
lebendig wiederzufinden, doch alle seine
Bemühungen blieben umsonst. Dieses
seltsame Verschwinden bereitete dem
Künstler viele Sorge, und er vergaß
darüber Essen und Schlafen.
Eines Nachts wälzte er sich schlaflos
auf seinem Lager die Uhr der Kirche
von Saint-Roch. in deren Nähe er da
mals wohnte, hatte eben Zwei geschlagen
der Mond drang durch die Fenster
lüden, die Mehul offen gelassen hatte,
um frühzeitig aufzustehen, und warf
ein phantastisches Licht auf das Zim
mer, als der Musiker nicht weit von sei
nem Lager einen kleinen Buckligen mit
wildem Gesicht bemerkte, der in seinen
langen krummen Händen einen zusam
mengerollten Strick hielt.
Mehul reibt sich die Augen und rich
tct sich auf seinem Kissen auf, um sich
zu überzeugen, daß er nicht der Spiel
ball eines bösen Traumes ist; der Buck
lige steht zwei Schritte von ihm ent
fernt. und der Künstler will ihn eben
nach dem Grunde seines seltsamen Be
suches fragen; da plötzlich erstarrt ihm
die Zunge, die Haare sträubten sich ihm
auf dem Kopfe, ein kalter Fieberschauer
schüttelt seine Glieder; hinter dem Buck
1 ligen hat rr eben eine weiße Gestalt mit
undeutlichen Konturen erblickt, deren
erloschener Blick sich auf ihn zu richtn,
scheint, und dieses Phantom erkennt
Mehul; eS ist fein verschwundener!
Freund und Gefährte! j
In demselben Augenblick wird der
Mond von einer Wolke verschleiert, das
Zimmer wird dunkel, die Erscheinung
verschwindet! Umsonst kämpft Mehul
gegen die Furcht an; er wartet, er
lauert, von Neuem beschwört er das
düstere Bild hervor; kein übernatür
licheS Phantom stört ihn weiter in die
fcr Nacht, und gegen Morgen verfällt
er vor Müdigkeit in einen fieberhaften
Schlummer. Erst sehr spät erwacht er
und sucht feine Erinnerung zu sam
mein.
Ich habe gewiß nur geträumt,"
dachte er und llciocte sich an. um sich
nach der Komisch? Oper zu begebe,
wo eine Neueiiistudirung seiner Oper
Jrato" im Gange war. Das kommt
von einer firen Idee! Tas Hirn wird
schließlich Ichwach, und man kann die
Vision nicht mehr von der Wirklichkeit
unterscheiden. Aber doch wie deutlich
die Erscheinung war! Wie lebhaft die
Eindrücke dieses Traumes waren! Ich
hätte schwören möge, ich wäre wach
und sähe meinen armen Freund vor
mir, der mich traurig anblickte und mir
Znchen gab. Aber was wollte der
kleine Bucklige dabei? Ach waö, das
ist alles tolles Zeug: ich werde die Sin
nestauschung, die ich heute Nacht ge
habt, Niemandem, nicht einmal meiner
Frau, erzählen; man würde sich über
mich luftig machen und hätte Recht
Alles verwischt sich auf der Welt,
selbst die lebhaftesten Eindrücke; und
wenn Mehul auch noch manchmal an
seinen Freund dachte, so vergaß er die
Toppelcrscheinung. die ihn einen Au
genblick aufgeregt, schließlich doch.
Fünf Jahre verflossen. Der kaiser
liche Cäsar hatte sich die Krone Frank
reichs auf's Haupt gesetzt und man
feierte in öffentlichen Festen seinen
glorreichen Regierungsantritt. Mehul
hatte ebenfalls mit seiner Frau und
seinen Kindern wie ein guter Bürger
die Illumination der Champs-Elysees
bewundern wollen. Entzückt stand er
vor einer farbenprächtigen Fontäne auf
der Höhe des Rondells,' als er plötzlich
bemerkte, wie-Jemand vorsichtig die
Taschen seines Gehrocks befühlte. ' Mit
schnellem Griff packte er den Dieb bei
der Hand, drehte sich dann um und sah
sich einem kleinen buckligen Mann ge
genüber. Diese unangenehme Persön
lichkeit war ihm nicht unbekannt. Wo
hatte er diese Verbrecherphyfiognomie
und diese Gorillahände doch schon ge
sehen? Plötzlich ward es klar in seinem
Geiste und in feiner Uederraschung
hätte er den Dieb losgelassen, wenn die
Polizei ihn nicht selbst gefaßt hätte.
Zitternd begiebt sich Mehul nach der
nächsten Polizeiwache, um seine Er
klärung abzugeben. Dieser Mensch hat
ihn beftehlen wollen. Er könnte noch
mehr sagen, doch er wagt es nicht.
Konnte man denn einen Menschen, den
man nur einmal im Traum gesehen,
des Mordes anklagen?
Dabei ist die Versuchung aber sehr
stark, und aufgeregt von den Erinne
rungen, die dieses seltsame Abenteuer
auf's Neue in ihm wachgerufen, kehrte
er nach Hause zurück. Er legte sich zu
Bette, hatte aber nicht die mindeste
Schlaflust; mit zwei geöffneten Augen
liegt er da und überlegt; ein heftiger
Kampf spielt sich in seinem Innern ab.
Ob er nicht doch die Vision jener Nacht
einem Beamten anvertraut? Ob Traum
oder Vision, war diese Toppelerschei
nung, die er stets geheim gehalten,
nicht eine Warnung des Himmels? Wie
vor fünf Jahren bricht der Mond durch
die Fensterläden, und die Uhr der
nahen Kirche schlägt die zweite Stunde.
Gerade in diesem Aligenblick erscheint
wieder ein weißer Schatten in dem
Lichtkreis am Rande des Fensters.
Räche mich!" murmelt eine Grabes
stimme. Ja, mein treuer Freund, ich werde
Dich rächen, ich schwöre es Dir." ruft
Mehul und richtet sich auf seinem Lager
auf.
Diesmal zögerte er nicht mehr.
Schon am nächsten Tage begab r sich
zu früher Stunde zu dem Kommissär
des Champs-Elysces-Bezirks und er
zählte ihm rückhaltlos die seltsame
Bision. Der Beamte hätte jeden An
dern als Mehul. den kaiserlschen Ka
Pellmeister und genialen Musiker, dem
die große Oper schon mehr als einMei
sterwerk verdankte, abgewiesen; er hörte
ihn aufmerksam an und versprach, die
Enthüllungen, die er ihm gemacht, zur
Aufklärung des Geheimnisses zu be
nutzen. Zunächst ließ er den Buckligen
in strenge Einzelhaft bringen, und ein
sehr gewiegter Untersuchungsrichter
legte d,':n AilZlkla.'trn schirse Fragen
orr, l:C nnh!!u'fi,i:ut irr,:?, ein ichuld
bcivüßtl? ('!,!?!!!! i:: ?.uf:;:l)r lind
4u'itrinui;u, zu lc;.f 'ii.
TirsS Ä-rsahlt Hütte d;':: fleü'ihisch
ten E'.folg. und man brauchte nicht
uiilir als acht Zage, um dem buckligen
da? Oieheiiiiniß zu entlocken: er gestand,
oß er wiiklich der Mörder des Unglück
lichen M.. . war. Der Schurke hatte
unter der Revolution dcr Vereinigung
der Scharf chläger." jener Wegelage
rerbande angehört, die der Wohlfahrt?
ausichuß zu seinen Plänen benutzte,
um Ausstände zu entfesseln. Ter Sturz
deS .Regimes für Brüderlichkeit oder
Zod", hatte diesem ebrenwerthen Ci
toyeil" unerwünschte Mufe verschafft;
er hatte nicht die Absicht, fein alte?
Zchiitiderhandwerk wieder aufzuneh
men. sondern wollte lieber für eigene
Rechnung" arbeiten. Durch eine ge
schwützigcn Diener erfuhr er. daß M. ..
nach Melun fahren wolle, um dort
eine, Notar den Kaufpreis für ein
Landhaus auszuzahlen. daS er vor Kur
zciu erworben, und in dem er feinen
Lebeusabeiid zu beschließen gedachte.
Ter Scharsschläger" bcnutzle diese
Mittheilung und fand sich in dem Hofe
der Pofthalterci ein. um an demselben
Abend wie Mehul's Freund die Poft
nach Melun zu besteigen.
Er setzte sich dem arglosen Reisenden
gegenüber, der bald einschlummerte uud
wertete auf eine günstige Gelegenheit.
Mitten in, Walke von Senart benutzte
er die Dunkelheit der Nacht, die dicht
belaubten Bäume, das Knirschen der
Räder und die dröhnende Stimme deZ
Tenors, um dem Schläfer einen Strick
um den Hals zu legen und ihn zu er
drosseln, bevor der Unglückliche über
Haupt zu sich selbst kommen konnte.
Tann öffnete er den Wagcnschlag der
Post, stieß den Leichnam auf bie Land
straße. sprang zur Erde und schleppte
den Leichnam in das Gestrüpp, nachdem
er ihm eine Brieftasche mit Banknoten
geraubt. In der folgenden Nacht
kehrte er wieder mit einer Hacke und
Schaufel zurück, um ein Grab herzu
stellen, dessen Stelle er angab, und tat
man das Skelett des Reisenden fand.
Tie Geschworenen bewillig!? dem schür
tischen Ouasimodo keine mildernden
Umstände, und fo bestieg er, genau drei
Monate, nachdem er die unglückliche
Idee gehabt, Mchuls Taschen ausrüu
men zu wollen, das Schaffst.
Tas ist die wahrhafte'Gcschichte. wie
sie unS neulich der Enkel eines Mar
schalls von Frankreich erzählte, der sie
selbst von dem großen Künstler gehört
hatte. Die Skeptiker werden sagen,
die Musiker wären stark nervöse Leute
mit lebhafter Phantasie, und der Kom
ponift von Joseph in Aegyptcn" hätte
im wachen Zustande geträumt. Jeden
falls aber liefert die Anekdote einen sehr
interessanten- Beitrag zur Frage deS
zweiten Gesichts."
Moltke alS iuderfreuntz.
Bekanntlich liebte Moltke einsame
Spaziergänge in stillen, nur von wem
gen Menschen besuchten Wegen des
Thiergartens, und Mancher wird wohl
an ihm vorübergegangen fein, ohne in
dem in einfacher Generalsuniform Da
herkommenden den großen Schlachten
lenker zu erkennen. Auf einem solchen
Svaziergange begegnete ihm einst eine
Anzahl Knaben aus Moabit, die im
Thiergarten Soldat spielten. Die
Deutschen", die in der kurz zuvor ge--schlagenen
Schlacht" selbstverständlich
Sieger blieben, wollten unter Führung
ihres Hauptmanns" (zehnjährigen
Sohnes eines in Moabit wohnenden
Weinhändlers) ihre Quartiere" bezie
hen, als der Hauptmann" den Mar
fhall kommen sah und auch gleich er
kannte. Sofort ließ er seine Kom
pagnie" Halt machen, kommandirte:
Front, prüsentirt das Gewehr," trat
in strammer, soldatischer Haltung vor
und erstattete, seinen Degen" senkend,
die Meldung: Excellenz, wir haben
gesiegt, der Feind zieht sich zurück."
Ein freundliches Lächeln glitt über die
ernsten Züge Moltke's und dem Haupt
mann" auf die Schulter klopfend
sprach er: Brav, mein junger Freund,
Du sollst 'mal ein tüchtiger Soldat und
großer Mann werden." Dann schritt
er freundlich grüßend weiter, gefolgt
von einem weithin schallenden drei
maligen Hurrah, in das auch die zurück
kehrenden Franzosen", allen Patrio
tismus vergessend, begeistert einftimm
ten. Heute find die damaligen Kleinen
schon gereifte Männer, und Mancher
von ihnen nimmt an der Expedition
nach China theil. So ist bei ihnen auS
dem heiteren Spiele bitterer Ernst ge
worden. Bei dem Hauptmann" hat
sich dieProphezeiung aber nur theilweise
erfüllt. Ein großer" Mann ist er
wohl geworden, denn er mißt jetzt ziem
lich zwei Meter, aber Soldat war er
nicht. Trotzdem erinnert er sich gerne
dieser kleinen Episode aus der Kinder
zeit und freudige Begeisterung leuchtet
aus seinen Augen, wenn er sie Be
kannten erzählt.
In Streit.
Ach, was, Sie können unmöglich
viel Ehre im Leibe haben!"
Was, wie können Sie das sagen!"
Nanu, Sie sind eben zu mager!"
Schustnlehrlings-Bheit.
Lehrling (seine grundhäßliche Mei
fterin betrachtend): Sagen Sie mal,
Frau Meestern, wie oft find Sie auf
Schönheits-Konkurrenzen prämiirt wo
den!"