Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, July 19, 1900, Image 10

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M
rn ?!uelltbch.
Im Fcbrua? ISo9. am Vorabend
von Tankt Axollonia. schritt ein junger
kiger norddeutscher Abkunft. NamenZ
Ulrich Hellerling, mit seiner kleinen
Kapelle von einem vielbesuchten rheini
icken Z!uSguaSberae" zu Thal. Sie
kamen von einem auf halber Höhe be
Kgenen Wirthshaus, w sie der HauS
iochter im Auftrage ihreZ BrüutigamS
ein Ständchen gebracht hatten. Für
den . jungen Kapellmeister' war daS
ein ziemlich heikler Auftrag; denn er
hatte selber eine Zeitlang zu oen Hing
Se Rittern der schwarzäugigen Apol
lonia gehört. Nachdem sie ihm aber
den woblbabenden WirthSsohn auS dem
Städtchen vorgezogen, war er ihr mit
einer nicht seltenen Taktik gekränkter
männlicher Eitelkeit mit auerm Aus,
merksamkeiten gegen eine andere unter
die Augen gegangen. Xitt anoere.
ein blondes, stämmiges Kathrinchen,
wohnte gleichfalls in jenem WixthS
Haus, als Magd und Kellnerin. Sie
war aber eine arme verwaiste Nichte des
Wirthes und wurde also noch etwas
bissiger behandelt, als wenn sie ein
ganz fremdes Mädchen gewesen wäre.
Um so dankbarer und gläubiger, mit
einem angenehmen Beigefühl befriedig
ter weiblicher Rache, kam sie dem Ueber
läufer entgegen und heute, beim Frei
trunk. zu dem der Wirth die Kapelle'
nach vollbrachter That eingeladen, hatte
sie eine Anspielung deS Kapellmeisters
in einer Weise verstanden und beant
wortct. die einem gütigen Borspruch so
ähnlich sah wie ein Ei dem anderen.
Ter Beglückte aber stampfte hinter
seinen drei Kunstgenoffen her, schweig
sam und in einem fast bänglichen
Widerstreit der Gedanken. Er wußte
sich geliebt und durfte sich sagen, daß
auch seine Neigung für daS blonde
Kathrinchen schon etwas Ernsthafteres
geworden war, als ein bloßes Manöver
zum Aerger einer anderen. Hingegen
war eS doch eigentlich nicht die Partie,
von der er geträumt hatte, und über
Haupt kam er sich zum Ehemann auf
einmal noch viel zu jung und hoff
nungsvoll vor.
In solchen Gedanken, die ihn mehr
verwirrten, als der mäßig genossene
Wein, achtete er nicht so genau auf den
Pfad wie seine Gefährten. An der letz
ten Wegbiegung, als sie schon die ersten
Lichter deS Städtchens dicht vor sich
sahen, glitt der Kapellmeister auf einem
der rundlichen Pflastersteine aus, nahm
im hilflosen Vorwärtsrutschen noch die
. Baßgeige semeS Vordermannes mit.
rollte wider das haltlos morsche
Straßengeländer und mit diesem zehn
Schuh tief in einen Weinberg, wo er
bewußtlos Hegen blieb. Die Musiker,
ernüchtert durch den Schrecken, schafften
eine Bahre herbei und brachten ihn mit
Hülfe einiger Bürger in's Spital.
Aus diesem wurde er sechs Wochen
später entlassen, mit einer im ärztlichen
Sinne unbedeutenden Versteifung der
einen Hand, die ihn nur leider zu aller
Art Geigenspiel untüchtig machte, und
mit der dringenden Warnung, eS
wenigstens ein paar Jahre lang mit
keinem Blasinstrument zu versuchen, da
sich sonst bedenkliche Nachwehen ein
stellen möchten.
Das blonde Kathrinchen hatte ihn
besucht und gepflegt, so oft und so
lange es irgend abkommen konnte. ES
hatte mit Entschiedenheit erklärt, daß
es sich ihm jetzt erst recht verbunden
fühle und ihn nie verlassen werde; er
hatte es ganz anders lieben gelernt, als
zuvor irgend eine weibliche Bekannt
schaft seiner leichten Musikantenjahre.
Aber was konnte er ihr noch bieten?
und wie sollte er nur sich selber durch
helfen? Gelernt hatte er außer feiner
nunmehr für ihn unmöglichen Kunst
gar nichts. Er stand allein in der
Welt, und seine Ersparnisse waren so
gering, wie man es irgend von einem
fechsundzwanzigjährigen MusikuS er
warten kann. Selbst der dicke Bassist
wußte da keinen Rath. Er verzieh dem
.Kapellmeister' großmüthig den Unter
aana seines Instruments, Uch nan
altete saaar mit den1 beiden anderett
ritt hnnr .eite" sür den Verun
glückten Alsdann verliefen sie sich zu
ttm Kapellen". Tas blonde KatH
' rinchen aber trat eines Abends vor den
Verlobten im Auftrage deS Oheims
e schwarze Apollonta hatte eben vock
zeit gemacht mit der Frage, ob er es
einstweilen alS Efelsführer versuchen
wolle k
Damals besaßen noch zahlreiche Ein
wohner deS Städtchens je ein bis zwei
lei, die während der Tounstenzeit am
Fuße der Berge hielten, um unter Ob
Hut eines Führers Damen und Kinder.
auch wohl Holländer und andere des
Bergsteigens ungewohnte Herren in die
reineren Lüfte zu tragen. Der Führer
yatte des EfelS zu warten und unter,
wegS den Reifenden die Gegend zu er,
klaren. Dafür hatte er zwanzig Pro-
zent Antheil, was auf die Tour und
den E ei zwei bis vier Groschen aus
machte, und was die Reisenden über die
Taxe zahlten, gehörte ihm unverkürzt.
ES war scheinbar ein tiefer Sprung zu
diesem Amt von dem eines, Kapell
meisters', aber bei genauer Betrachtung
ließen sich vielleicht einige Aehnlichkeiten
herausfinden.
' Somit trat Ulrich Hellerling zu
Ostern feine neue Laufbahn an, als
Führer einer großen holländischen
Eselin, die auf den anmuthigen Namen
Amanda' hören sollte und unter
seinem Vorgänger recht ruppig gewor,
dcn war.
Die Geschichte eines 5ftlführers
linier seinen neuen S.'rufZgenoffkN
hatte er vorerst einen schwebn Stand.
Sie dielten als .Einheimische' zu
sammen und ließen keine (lezendeit
vorüber, ihn mit feinem früheren Be
ruf. seiner .feinen' Art und seinem
.Sonntaasdeut ch' zu hänseln, um so
besser fiel er vernünftigen Reisenden.
Sie bevorzugten ihn demgemäß, so daß
sich der Spott der .Kollegen' allgemach
in eine Art nachdenklichen Neid der
wandelte. Dazu trug aber auch sehr
der Wechsel in AmandaZ Aussehen und
Benehmen bei. Ter Esel besitzt in weit
höherem Grade als fein großer Vetter
die Fähigkeit, selbst bet dauernder i'tiii
bandluna nur .ftückweiS zu brechen
Er wird auch von der Mehrzahl seiner
Brotherren danach mißhandelt, um so
rücksichtsloser, da er ja so viel kleiner
ist als daS Pferd und m,t feinen zer
lichen vufen auch einen tiemen Ge
füblen nicht so vollwichtig Ausdruck zu
geben vermag. Ulrich Hellerlrng aber
war von HauS aus thierlied, und was
ihm an der Praxis der Eselpflege noq
abaina. wurde ihm von einer veige
bracht, die auf ihn und Amanda die
zartesten Hoffnungen setzte. Ehe der
Sommer verging, gab eS im ganzen
Gedira keinen zufriedeneren und folg,
lich einträglicheren Esel als Amanda;
und als de .Saison' geschienen hatte.
die Reisenden rar und die Esel billig
wurden, konnte Ulrich Hellerling nach
Kathrinchen? Plan den zweiten Streich
wagen. Während seine Kollegen'
ihren Sommerverdienft in Wirthshau
sern und KarnevalSveremen ausgaben,
kaufte er dem Oheim Amanda und
ihren Stallbruder Felix ab und spannte
sie vor ein Wägelchen, mit dem er einen
Botendienst nach einem benachbarten
Wmterkurort einrichtete, zweimal Iäg
lich hm und zurück. DaS graue Ge
spann bewährte sich auch in dieser neuen
Stellung. Anfangs der nächsten
son stand eS frisch und wohlgeputzt wie
der am Halteplatz ob dem Städtchen.
Ulrich Hellerling war nun Eselführer
auf eigene Rechnung, sogar schon mit
einem Stalliungen, und zugleich on3
ansässiger Eheherr. Sie hatten sich ein
kleines Anwesen an der Straße, unfern
der Wirthschaft deS OheimS gepachtet,
mit einer offenen Bude davor, in der
die junge Frau allerhand Andenken
verkaufte, Glasbecher, Rheinströme und
Eselchen auS Pappmaffe mit der Unter
schrift: So sehen wir zwei uns wie
der!" AIS aber das Ge chü t im besten
Gange war, versiegte der Strom der
Reifenden mit einem Schlage: der
große Krieg war ausgebrochen.
Bisher hatte Kathrinchen mit totib
lichem Scharfblick für alle kleinen und
heimlichen Vortheile die gemeinsamen
Unternehmungen geleitet. Nun sie aber
vor dem Gemaltsamen rathloS stand,
griff der Mann mit entschlossenem
Wagemuth ein. Wenn es für mich
und die zwei hier nichts zu verdienen
giebt, so ziehen wir eben mit. Wir
haben ja doch daS Wägelchen." Und
sie zogen alle drei" mit als fahrende
Hilfs und Feldkantine eines Batail
lonS auS der nächsten Garnisonstadt.
Amanda und Felix blieben im
Kriege. Ihr Führer kehrte im nächsten
Frühiahr in daS Häuschen am Berge
zurück, wo ihn nebst der erfreuten Gat
tm ein zwei Monate alter Stammes
erbe mit großer Stimmkraft begrüßte.
Aber auch er brachte außer schönen
Baarmitteln etwas ganz Neues mit:
nämlich ein Paar Esel von einer Rasse,
dergleichen man in dieser Gegend noch
nie erlebt hatte.
Die gesammte einheimische wachsen
nerschaft auf zwei und vier Beinen
schien sich in der Verachtung dieser
Neuheit einig. Selbst Frau Kathrinchen
betrachtete die beiden winzigen, schwarz
braunen Franzosen mit Kopffchütteln.
Aber ibr Gatte vertheidigte seine neuen
Reitthiere mit überlegener Ruhe.
Größer werden sie nicht mehr, aber sie
tragen ihren Menschen so gut wie die
großen holländischen Esel. Sie sind
nicht so pomadig, wie die, und auch
nicht so tückisch. UebrigenS heißen sie
Wörth" uns .Sedan". Das ist schon
allein Geld werth.'
Niemals hatte der ehemalige Musi
lUs?n Ton glücklicher getroffen. Die
franz0sii,a..kskschen wirkten mit dem
dreifachen Reiz berstetest,' Aus
ländischen und des Patriotlsmüi,.
Damen und Kinder wollten womöglich
nur auf ihnen reiten und photographirt
werden; Herren, besonders solche, die
nicht mit im Kriege gewesen waren
knüpften an ihren Namen und Anblick
gründliche Erörterungen über Schlach
tenpläne und belohnten daS fchmun
zelnde Nicken deS Führers mit reich
lichen .BourriquetS" bestätigten auch
tm übrigen den Scharfblick ihres Er
Werbers. Mit ihren winzigen Hufen
fest und elastisch wie Stahl, trabten sie
unter der gleichen Last mindestens so
sicher und wett über die felsigen Pfade.
wie ihre wohlbeliebten grauen Kollegen
aus der niederdeutschen Ebne. Vor
allem erwiesen sie sich frei von der
Neigung, unterwegs den tiefsten phllo,
sophischen Problemen achzuhändigen
und in solcher Vertieftheit plötzlich an
einem besonders schwindeligen Absturz
eben zu bleiben oder aber die Reiterin
hart gegen eine Felswand zu drücken.
was Ulrich Hellerling mit dem Aus
druck tückisch" bezeichnete, wo es doch
nur der Zug weltfernen Gelehrten
thumS war. der in jedem deutschen Esel
steckt. .Wörth" und Sedan" be
schränkten sich im Geiste ihrer Nation
auf die sogenannte praktische Lebens
Philosophie; sie dienten dem Augen
blick und wußten sich die Gunst ihrer
mehr oder minder schönen Mietherinnen
mit einem so zielbewußt aufmerksamen
und gefälligen Benehmen zu sichern, als
hätten sie die sämmtlichen maximeS et
reflexionS morales" ihres LandmannS
La Rochefoucauld unter den schwarzen
Lanaobren verstaut.
Nach drei Sommern verfügte Ulrich
Hellerling bereits über sieben .Bourri
quetS' nebst sechs Treiderjungen und
konnte eS verschmerzen, daß dieser und
jener kleine Konkurrent seine Idee
nachmachte und sich einen von den
neuen Eseln' anschaffte. ES war
da überhaupt eine Zeit allgemeinen
SpekulirenS und .Unternehmens',
Auch an Ulrich Hellerling trat die Ver
suchuna heftig und plötzlich heran,
gerade als man in dem inzwischen schon
käuflich erworbenen und stattlich er
eiterten Häuschen einen neuen Fami
lienzuwachS erwartete.
Er hatte persönlich mit seinen zwei
Stammeseln eine Gesellschaft aus den
Berg geleitet; denn eS war Hoch
saison', und übrigen? war er mit der
Zeit ein Fanatiker seines Berufe? ge
worden, wenn er nicht mindestens ein
paarmal deS Tages einen Esel ge.
trieben' hatte, fehlte ihm etwas an sei
nem Abendfrieden. , Jene Gesellschaft
kam auS der großen Stadt, deren
Riesendom man vom Perge am Hori
zont bläulich aufragen sieht. ES waren
ein paar Schauspielerinnen, ein alt
lich, als Lebemann bekannter Rechts
anwalt und ein jugendlicher Bank,
direktor, von dessen Börsenglück' man
Wunderdinge erzählte. Ulrich Heller,
ling dachte daran, als er mit seinem
Pärchen bergab wanderte. Fast weh
müthig überschlug er das Sümmchen,
das er und sein Kathrinchen bisher mit
so viel Mühe und Fleiß für die Kinder
erübrigt hatten. ES trug auf der
Sparkasse kaum zehn Mark lührllch
Aber man erzählte von Leuten, die mit
einer gleich geringen Einzahlung in der
Bank jenes Herrn im Handumdrehen
Hunderte von Mark gewonnen hatten .
Plötzlich blieb Sedan" stehen, die
klugen grauen Augen nach einem G?
aenftand richtend, der abseits im Gin,
fter lag. Ulrich Hellerling hob das
Ding auf; eS war eine Brieftasche mit
dem Namen deS BanldlreitorS, dick voll
großer Banknoten.
Die Herrschaften saßen droben beim
Sekt, als der Eselführer mit seinen
Eseln wiederkam und den Fund über,
reichte. Die Damen musterten den red,
lichen Finder ganz verwundert. Ter
Direktor überblätterte gelassen die kost,
baren Scheine und schob Ulrich Hellev
lina einen zu. So," sagte er, hier
sind zehn Prozent für Sie."
Ulrich Hellerling fuhr fast erschrocken
zurück. Dann faßte er sich ein Herz und
brachte stotternd eine Bitte vor.
'Mal wieder einer. " sagte der Rechts
anwalt trocken. Der Direktor aber
blickte Ulrich mit einem merkwürdigen
Ernst in's Gesicht. Hören Sie 'mal.
sagte er langsam, Sie sind ein ehr
llcher Kerl und haben Weib und Kmd.
Da will ich Ihnen doch noch einen Vor
schlag machen. Der Fünfhundertmark
schein gehört Ihnen, und hier haben
Sie noch zwei blaue dazu; aber mit der
Bedingung, daß Sie den Mammon
nicht in Papierchen" anlegen, wie Sie
da eben vorhatten. Bringen Sie ihn
auf die Sparkasse, oder kaufen Sie sich
meinetwegen Esel dafür, aber seien , Sie
selber keiner. Wollen Sie mir das
versprechen? Schön. Hier, trinken Sie
ein GlaS Sekt darauf, und nun
bleiben Sie ehrlich. Adieu, Herr Kol
lege!"
Als Ulrich Hellerling von dieser
Tour in sein Haus zurückkehrte', war
dort ein Töchterchen angekommen; und
als er sich nach mehreren Tagen von
diesem freudigen Ereigniß so weit er
holt hatte, um wieder aus die Gespräche
seiner Eselgäste zu achten, waren sie alle
nur auf ein Wort gestimmt. Vor die
sem einsilbigen Zauberworte Krach"
stürzte gleich vielen Wunderwerken der
Börsenbaukunft auch jene glückhafte
Bank mit erschrecklichem Lärmen zusam
men; ihr Direktor aber war mit dem
leichtenden Knall eines Revolverschusses
zurückgetreten , vier oder fünf Tage,
nachdem er den besten Rath feines Ban
kierlebens ertheilt hatte.
An den Rath haben wir unS gehal
ten.? saate mnr illricb Hllerlina. als
tcy etwa sechzehn Jahre fpättr 'w.'
und bei einer guten Erdbeerbowle feine
evensgejchichte kennen gelernt hatte.
Und wir sind dabei vorangekommen.'
Er durfte es sagen. Seit sieben Iah
ren besaß er mit seinem Kathrinchen
das Anwesen ihres OheimS. Sie hat,
ten es mit Weinbergen und allem son,
ftigen Zubehör den verschuldeten Erben
abgelaust und wieder m ein recht hüb
scheS Gasthaus verwandelt. Vor unfe,
rem schattigen Laubenfitz wogte prozes,
fionSdicht das Touriftenvolk bergan und
bergab, und die verschiedensten Dameu
koftüme schwankten farbenbunt auf dem
Rücken kleiner und großer Esel im Zuge
mit. Ulrich Hellerling besaß dieser an
genehmen Thiere zur Zeit gerade vier
zehn, für die er einen richtigen Marftall
am Fuße des BergeS, mit Futterboden,
Treiberwohnung je. gebaut hatte.
Wörth" und .Sedan' waren freilich
schon seit Jahr und Tag eingegangen.
Mit dem Wörth' hab' ich meine
letzte Tour gemacht." sagte Ulrich Hel
lerling leise. Die Frau strich ihm
über das Haar: Mein Mann hat jetzt
so viel daheim zu thun, und dann
ging eS ja auch nicht mehr wegen der
Fremden und wegen der Kinder."
TieS sagte sie erklärend zu mir. doch
eigentlich klang's wie beruhigendes Zu
litder.
ltcucr
ergeben. Ihr ohn hatte eben
daS Einjährigenzeugniß auf einer Real
schule erworben und war zur gründ
lichen Erlernung deS .modernen"
HotelbetriebeZ bei einem berühmten
Fachmann in Mainz eingetreten, und
die Tochter sollte im Herbst aus einem
MSdcheninstitut heimkehren.
.Nun soll ja auch nächstens eine
Zahnradbahn auf den Berg kommen f"
fragte ich.
.Ein Jahr oder zwei wird'S wohl
noch dauern.' erwiderte Ulrich Heller
ling fast fchwermüthig. .Die Trae
haben sie vorläufig abgemessen. Sie
geht der Länge nach durch meinen
Grundbesitz. Und unten, wo mein
Stall ist, da wollen sie den Bahnhof
hinhaben.'
Ein paar Jahre darauf wurde die
Bahn ausgeführt, und Ulrich Heller,
lind machte, wie ich zufällig hörte, ein
sehr gutes Geschäft dabei. Im nächsten
Jahre verheirathete sich seine Tochter
mit einem Ingenieur, der den Bau ae
leitet hatte. Kurz nach der Hochzeit
verkauften die Alten den Rest ihrcS An,
wesenS, um sich als Rentner in eine
Stadt zu verziehen, und ich hörte weiter
nichts mehr von ihnen.
Im vorigen September suchte ich zu
erst einen ftiben Berg auf, der etwa?
abseits vom Rhein über einem altfrün,
tischen Flecken liegt und seinen wohl
verdienten .Stern' einstweilen noch
nur in den mündlichen Reiseberichten
landeskundiger Fußwanderer führt.
Am Ausgang deS Fleckens, unter der
Thür eines hübschen Landhäuschens,
stand ein Mann in grüner Joppe, mit
grauem Knebelbart, und begrüßte mich
freundschaftlich. Es war Ulrich Heller,
ling.
Ich mußte nun hinein und mir von
ihm und dem gleichfalls schon recht
grau gewordenen Kathrinchen bei einem
Glase eigenen Wachsthums erzählen
lassen. Sie hatten sich hier niederge
lassen, weil es ihnen im Stadtleben
doch nicht heimelig werden wollte. Ter
Sohn war seit zwei Jahren Eidam und
Theilhaber eines tüchtigen Gasthofbe
sitzerS irgendwo an der Waterkant, und
der Tochter ging eS auch sehr gut
Sie lebte mit Mann und Kindern in
einer schlesischen Industriestadt, wo der
Mann Betriebsdirektor war, und
nächstes Frühjahr kommt sie mit den
Kindern wieder auf vier Wochen zu
uns."
Nun müssen Sie aber auch die
Amanda sehen," sagte Herr Ulrich zum
Schluß und führte mich zu einem hüb
schen. luftigen Stall, in dem ein großer
hellgrauer Esel seiner Herrschaft der
traulich entgegennörckfte.
Für die Gegend hier herum paßt
diese Rasse besser.", sagte Ulrich Heller
ling fast entschuldigend und strich der
neuen Amanda über daS wohlgepflegte
Fell. Sie hat jetzt faule Tage,
wenn unsere Enkelkinder hier sind,
giebt eS genug für sie zu thun. Nur
so ab und zu, wissen Sie, meine
Frau ist nicht mehr so gut zu Fuß, und
sie ist doch die Bergaussicht gewöhnt. . .
WaS meinst Du, Kathrinchen? Heut
wär' gerade noch so ein schöner Tag.
DaS heißt, wenn wir Sie nicht stören!"
Sie können mir kein größeres Ver
gnügen machen," versicherte ich. . So
stiegen wir alle drei oder vielmehr alle
vier den Hügel hinauf. Ulrich Heller
ling schritt in Führerhaltung vorauf
neben feiner Dame. Hin und wieder
erklärte er ihr die Aussicht, von der
eigentlich vor lauter Goldduft nichts
Bestimmtes zu sehen war und die sie
vermuthlich längst kannte, sie aber
hörte gefällig lächelnd zu; und ich sann
dem wundersamen Kreislauf eines Le
benstages nach, der sich mit dem
Traumspiel des Abends noch einmal
zur Arbeit des Morgens zurückverliert.
Das gefälschte Testament.
Kriminalskizze von R. d'Ary.
Ich war ein junger Advokat ohne
große Praxis, und konnte mir daher
meine Klienten nicht nach Wunsch aus
suchen.
Eines Tages wurde ich bet mMnem
Nachmittagsthee durch denDenerun
terbrochen. der mirnnVime meldete.
Rasch eilte iän mein Geschäftszimmer,
,Dort,!säs eine Frau, die sich bei meinem
i rrr i 11 - ..r x. . . r. r, , r
Elnirin eriraioacn eryoo. izco oai ne,
Platz zu behalten und fragte, womit ich
ihr dienen könne. Erst nach einer klei
nen Weile antwortete fie, und zwar in
einer erschreckten, nervösen Weise, daS
Zimmer mit ihren Blicken durchsuchend,
alS ob sie fürchtete, es fei noch sonst Je,
mand zugegen. Ich bemerkte, daß sie.
trotz ihrer soliden Toilette, nicht daS
Aussehen einer feinen Dame hatte; da
sie jedoch einen dichten Schleier trug,
konnte ich ihre Züge nicht unterscheiden.
wohl aber stahlen sich vereinzelte graue
Haare durch den Schleier.
Endlich begann sie: Ich bin Miß
Howard vom Graham Square, und
möchte bei Ihnen mein Testament
machen.'
Unwillkürlich fuhr ich auf, denn ob
gleich ich diese Dame nie zuvor gesehen,
war sie doch schon oft der Gegenstand
nachbarlicher Plaudereien und Klatsche
reien gewesen. Man sagte von ihr,
daß sie sehr vermögend sei, aber allem
Anschein nach hatte fie der Welt ent
sagt, denn seit fünf Jahren hatte sie sich
in ihrem Hause von der Welt abge
sperrt und sah Niemand als ihre Die
nerschaft. Meine Neugierde war des
halb durch den Gedanken gereizt, daß
ich bestimmt war, das Testament dieser!
sprechen, und der Mann nickte wii
excentrischen Alten zu machen. Indem
ich eine iitbtx zur Hand nabm, ersuchte
ich um genaue Legitimation und die
Details ihrer Entschließungen. Sie
gab diese und sprach:
DaS ist sehr einfach, ich wünsche,
bad mein ganze Vermögen auf Mr.
David Simpson in der Stafford Street
übergeht. Ich war niemals verheirathet
und ich will mein Testament derartig
abgefaßt sehen, daß alle Reklamationen
von Seiten etwaiger Verwandten abge
schnitten sind. Ich wünsche ferner.
daß Sie mein Testamentsvollstrecker
seien.'
Nachdem ich ihre Instruktionen notirt
hatte, fragte ich. wann eS ihr paffen
würde, daS Dokument zu unterzeichnen.
Wenn Sie eS bis morgen Abend
anfertigen könnten, würde ich dann
wiederkommen. Außerdem möchte ich
gern, daß ein Arzt zugegen wäre, als
Zeuge meiner Unterzeichnung. Ein
junger Doktor womöglich.
.Haben Sie sonst keinen Wunsch,
der im Testament erwähnt werden
soll?"
.Nein, nichts, sagte sie sich er
hebend, aber geben Sie wohl Acht, daß
es rechtsglltig alle Verwandten aus
schließt." Mit der Versicherung, daß
Alle? nach Wunsch geschehen würde.
half ich ihr in das Gab, welches auf
ne gewartet vane, vavel vemerlte ich,
daß sie beim Gehen leicht hinkte.
Das Testament arbeitete ich nach ih
ren Weisungen aus. Am nächsten
Abend kam sie mit ihren Zeugen, acht,
baren Bürgern, pünktlich wieder; da
der Doktor zugegen war, geschah die
Unterzeichnung sogleich, dann stellte
der Arzt ihr, wie sie verlangte, ein
Zeugniß auS. daß sie bei völliger Gei,
stesklarheit sei, und dieses wurde nebst
dem Testament in meinem feuerfesten
Schrank aufbewahrt,
Die ganze Geschichte war mir schon
entfallen, als mir eines schönen TageS
der zum Erben bestimmte Mr. Simp
son meldete, daß Miß Howard geftov
den sei.
Nach dem Begrübniß besprach ich die
Angelegenheit mit Mr. Simpson und
theilte ihm mit, daß er einziger Erbe
und ich Testamentsvollstrecker sei. Er
schien mir diese Nachricht sehr gleichgil
tig aufzunehmen, drückte aber den
Wunsch aus, daß Alles schnell realisirt
werde. Unsere Besprechung war sehr
kurz und ich empfand einen sehr starken
Widerwillen gegen diesen Mann, der,
wie ich erfuhr, bei der verstorbenen
Dame als eine Art Geschäftsführer fun
girt hatte. Meine Pflicht als Voll
ureaer totes legten Willens legte mir
das Annoncire,! ihres Todes in allen
Hauptblättern des Königreiches auf,
und etwas Neugierde, zu erfahren, wer
die Verwandten dieser Dame waren,
die fie so sorgfältig enterbte, war wohl
ein wenig mit im Spiele. Ich erreichte
meinen Zweck, denn im Laufe der näch
sten Tage machte mir em junger Herr.
Namens Edward Howard, seine Auf
Wartung, der sich mir als Neffe deS ver
ftorbenen Fräuleins Howard vorstellte.
Er war ersichtlich weit mehr über den
Tod femer Tante betrübt, alS über
feine Enterbung. Er theilte mir mit.
daß er gegen ihren Wunsch vor fünf
Jahren ein Weib heimgeführt habe; sie
hatte seine Frau nicht anerkennen wol
len, und obgleich er mehreremale Briefe
an sie absandte, erhielt er niemals eine
Antwort.
Einige Wochen später, als ich eines
Abends von einer Konsultation heim
kehrte, wurde meine Aufmerksamkeit
durch die Gestalt einer Frau, die vor
mir herging,' gefesselt. Sie eilte vor
wärt, als ob fie einer Beobachtung
entgehen wollte, aber in ihrer Haitun
und ihrem etwas hinkenden Gang I
w.:. m.ti. ik c
C11UU9 111 11 XIU!I!UC9. W3 1C ren
hellerleuchteten Theil der SMMgs,
nrie uno ricy ummanoieMiang es mir.
ihr Ge,,cht zu seyenMd plötzlich wußte
ico, wo oie oeianite Gestalt hinbringen.
war iissmich meine verstorbene
ueniin cik Soward.
Hierwar irgend etwas nicht in Ord
nu
Ohne Ueberlegen ging ich vorsichtig
inter ihr drein. Sie betrat nach kur
zer Wanderung die Office eines Hotels,
in dem ich nicht unbekannt war. Ich
hörte, wie sie sich nach Zimmer 13 er
kündigte, und folgte ihr nach oben.
No. 12 war ein kleiner Parlor nebst
Badezimmer. Ich schlüpfte hinein,
die Wände waren nicht dicht und zudem
führte von dem Badezimmer eine Thür
nach No. 13. Bei athemlosen Lauschen
konnte ich der Unterhaltung so einiger
maßen folgen.
, Bald unterschied ich drei Stimmen,
zwei männliche und eine weibliche.
Letztere erkannte ich zuerst, wenigstens
bildete ich mir ein, daß es die Stimme
jener Frau war, die vor emem Jahre
ihr Testament bei mir gemacht hatte.
Die Manncsftlmme war mir fremd.
die zweite aber war sicherlich Simpson'S
Summe, eme Entdeckung, die mich nun
nicht mehr in allzu großes Erstaunen
fetzte.
Die Wahrheit durchzuckte mein Hnn,
und ich erkannte, daß man mich zum
Werkzeug für eine der gewagtesten Be
trügereien gemacht hatte.
Ten ersten Satz, den ich deutlich ver
stand, sprach der Fremde: .Ich sagte
Euch ja, der junge Blair fei gerade der
rechte Mann für Euch. Tiefe jungen
Rechtsanwälte stellen keine vorsichtigen
Fragen, wenn sie nur ein Geschäft
machen können."
Gut. gut,' sagte S,mp,on. das ist
ja Alles glatt abgegangen; jetzt ist die
Frage, wie wir es anfangen, damit er
den Verkauf der Liegenschaften beschien
nige. ohne daß wir Argwohn bei ihm
erregen. Je rascher wir unS davon
losmachen, desto besser. Ich bin nur
froh, daß der junge Howard keine Nach
forfchungen machte. Aber EineS ist ge
reiß, wir müssen die Alte sofort auf
und davon schicken, oder man könnte sie
erkennen. Sie hat sich ja in letzter Zeit
kaum herausgewagt und ist deS Versteck
spielS fatt. Nicht wahr. Alte?"
.Ja. wahrhaftig!' war die Antwort,
ich möchte lieber heute wie morgen
fort. Ich wollte übrigens. Tu hättest
Tich mit der Hälfte der Erbschaft be
gnügt und dem Howard die andere
Hülste gelassen, wie daS Testament be
stimmte, statt dieses zu verbrennen und
mich zu Tem, was ich gethan, zu der
leiten."
.Spare Deine Reue Dir für eine
andere Gelegenheit auf. Alte; jetzt
hilft sie Tir nichts aber ich will
Dir etwas sagen, ich habe da eine
Idee '
Ich wartete nicht ab. welche Idee er
entwickeln würde, sondern verließ mit
aller Vorsicht meinen Lauschcrposten
und verständigte zunächst einen der
Hoteldetektives, das Trio in No. 13
nicht aus den Augen zu lassen, bis ich
zurückkehrte.
Tann setzte ich mich unverzüglich
mit Scotland Jard in Verbindung
und in weniger als einer Viertelstunde
waren schon zwei der gewiegtesten Be
amten zur Stelle.
Tie Vögel waren noch sämmtlich
im Nest. Im nächsten Augenblick be
fanden wir uns in No. 13. Lächelnd
und nickend sahen die Beamten sich
um. Tie Frau fiel in Ohnmacht.
Ohne Schwierigkeit versicherten wir
unS der Männer und eine halbe
Stunde später hatten wir fie wohlbe
halten auf Nummer Sicher. Ehe sie
in's Verhör kamen, lag die ganze Ge
schichte offenkundig vor unS da. Tie
Frau, welche bei mir die Rolle der
Miß Howard gespielt hatte, war deren
Haushälterin und die Mutter jenes
Simpson, zu dessen Gunsten sie das
Testament abfassen ließ. Ter andere
Mann ein Advokatenschreiber, der ihm
die ausführung solchen Planes plaufi
bel gemacht hatte. Die Zurückgezogen
heit Frl. Howard's und meine eigene
Unvorftchtizkeit hatten ihr Komplott
bald zum Reussiren gebracht, wäre mein
zufälliges Begegnen und Wiedererken
nen der Haushälterin nicht dazwischen
getreten. Alle Drei wurden zu Zucht
hausftrafen verurtheilt. Mir aber hat
der Fall eine Lehre für daS ganze Leben
gegeben.
Sin rührend Episode.
Eine rührende Episode auS der fran
zösischcn Revolution erzählt nach der
Berliner N. Z." Pro essor Dr. A.
Kleinschmidt im Juni.Hefte von Wester
mann'S Jllustrirten Teutschen Mo
natsheften". ES handelte sich um die
Schicksale der schönen Fürstin Rosalie
Lumbomirska. die sich in Paris 1793
durch zwei an die Dubarry gerichtete
Briefe verdächtig gemacht hatte und im -
Oktober deS genannten Jahres verhas
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ihrer i'haftung das ihr
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Wie sie zur H'lsüribre Kammerfrau
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nommenKsz französisch sprechen lernte.
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en und fragte fie, ob sie Liebe ge
sie, die Fürstin, hege, um ,hr
en Dienst zu erweisen. DaS Mäd
en kniete nieder und antwortete, sie
würde gern ihr Leben opfern. Rosalie
ließ fie auf 'das Kruzifix schwören, daß
sie ihren Willen vollstrecken wollte, flocht
ihr den Zopf auf. kämmte ihn. flocht
ihn wieder zu und steckte ihn mit Haar
nadeln um den Kopf auf; dann erin
nerte sie das Mädchen an ihren Eid und
forderte. eS mögs nach Polen reisen
und dem Fürsten Lubomirska erzäh
len, was sie hier soeben mit ihm ge
than habe; eS solle dann, ebenso wie
jetzt vor ihr, bor ihm niederknieen und
ihn bitten, er möge es kämmen, bis da
hin aber solle es seine Haare nicht an
rühren. Nachdem die Fürstin also ge
sprochen, gab fie dem Mädchen Reise,
geld und sagte: Hier ist Alles, was
ich Dir geben kann: zu mehr bin ick
nicht im Stande. Seit lange erhielt
ich kein Geld aus meinem Vaterlande.
Sieh' zu, daß eS Dir auf dem aan,en
Wege reiche. Rosalie entließ die Die
nerin weinend; diese zog in Bauern
kleidern zu Fuß davon, pasfirte unan
gefochten die Grenze und fühlte sich in
Deutschland fo sicher, daß sie Passanten
um einige Groschen bat. um bisweilen
zur Erholung ein Fuhrwerk ,u benuken.
Nach zwei Monaten erreichte fie Polen
und that ganz, wie ihr die Fürstin
befohlen hatte. Der Fürst flocht ihr
die Haare loS, da fiel ein Papier her
aus, das er aufgriff: er lag den In
halt, brach in Thränen auS und
schluchzte: ArmeS Kind!" Indessen
die polnischen Verwandten der Lubo
mirska konnten nichts ausrichten; die
Grenzen Fronkreichs waren geschlossen:
nach wiederholten Versuchen, einigen
Aufschub des über sie verhängten Ur.
theils zu erwirken, und nachdem fie noch
in der Eonciergerie alle Welt durch ih
Schönheit bezaubert hatte, bestieg die
Unglückliche am 14. Juni 1794. 26
Jahre alt. das Schaffst.
Alle Jahr zweimal nehm' ich e Bad.
ob ich's nöthig hab' oder nit!"