Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, June 21, 1900, Image 9

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profeffer Grobian.
i;B Slbfit Nvdtk.ch.
Meine auik Tante l'ene hatte nie
einen Arzt gebraucht und war d4 Jahre
alt. An diese Thatsache knüpfe ich keine
Bemerkung. Tante Lene hatte nun
aber seit einiger Zeit angefangen, über
ihr Gehör zu klagen, und seit Kurzem
klagte sie auch über Schmerzen im rech
ten Ohr. Ader einen Arzt wollte sie
nicht. Unter keinen Umständen. Sie
behandelte sich selbst mit allerlei Haus
nittel. Ader die halfen nichts, und die
Schmerzen nahmen zu. Ta faßten wir
Familienmitglicder einen Entschluß.
Ich sollte zu einem Spezialarzt gehen,
ihm die Art bei Leidens der guten
Tante Lene schildern, so gut ich konnte,
und dann um seinen Rath bitten. Er
konnte unZ auch gewiß einen Vorschlag
machen, in welcher Weise Tante Lene
am besten zu bewegen wäre, sich eventuell
iner Untersuchung zu unterwerfen.
AIS Spezialität, die weit und breit
bekannt war. wählten wir Professor
Grobian. Er hieß eigentlich ganz
anders; da er aber ebenso grob wie be
rühmt war. nein, noch viel gröber
so hatte man ihm jenen Namen zuge
legt.
Als ick oina ur 3eit keiner Evrech
stunden in die Wohnung des Professors
Grobian. Sein Wartezimmer war
voll von Menschen, und ich setzte mich
in eine Ecke. Mitten im Zimmer stand
in großer Mann in einer Art von
Dienerunisorm. der iedem Eintretenden
eine Nummer gab und ihn dabei ansah
als wäre es fein Tobseino
V V IVUIV V VH -VVVuvi
Nachdem ich eine kurze Zeit in der
Ecke gesessen hatte, kam der große Mann
: l Uiiit..UvU VtMlJt aiC 4 II
mit wüthenden Blicken auf mich zu
wies auf ein Paar recht schmutzige
Gummischuhe, die neben mir auf dem
Kukboden standen, und schrie mich an
.Herr, nehmen Sie die Gummischuhe
V , I T;. ..(.K..n viil in'i WClnri:
UU tvrg, JU iiyvitu uti 111 wuv.v
iimntei."
äraerte mich und beschloß, den
Mann wieder m äraern.
.Mein Herr." sagte ich also mit
sanfter und ruhiger Stimme, .mein
Herr, welcher Art auch die Stellung fein
mag. die Sie in diesem Hause ein
nehmen, gestatten Sie mir die höfliche
Bemerkung, daß meiner Ueberzeugung
nach Gummischuhe allerdings in's
Wartezimmer gehören."
.Nee. sag' ich Ihnen, die müssen
draußen gelassen werden auf'm Vor
platz. Berstehen Sie woll? Bringen
Sie die Schuhe raus!"
.Erlauben Sie, mein Herr
Och was, Sie !" Er kam dicht
an mich heran, trat mich auf den Fuß.
daß ich laut aufschrie, ergriff die
Gummischuhe und warf sie in einem
größeren Bogen auf den Vorplatz hin
aus.
Im selben Augenblicke flog die Thür
auf. die ins Sprechzimmer des Herrn
Professors führte, und ein am Ober
körper fast nackter Mann wurde in's
Sprechzimmer geschleudert. Ein Rock
und eine Weste flogen ihm nach. Der
Mann wimmerte kläglich, zog Rock und
Weste langsam an und suchte am Fuß.
boden umher. Dabei erzählte er.
' immer leise jammernd, er hätte eS so
auf dem Magen, und der Herr Pro
fessor hätte ihn untersuchen wollen, und
da . hätte er das Senfpflaster gesehen,
das er auf'm Magen trüge, und da
hätte der Herr Professor ihn so furcht,
bar angeschrien, was das wäre.
.DaS hat mir mein Hausarzt aufge
legt." hab' ich gesagt.
.Dann lassen Sie sich das erst von
Ihrem Hausarzt herunterreißen!" hat
Herr Professor gerufen, und dabei hat
r mich angepackt und mich so furchtbar
hinausgeworfen." .
.Machen Sie hier nicht so'n furcht
baren Radau!" herrschte der Mann in
der Dieneruniform den still jammern
den Patienten an. Was suchen Si
denn da auf'm Fußboden herum?"
.Meine meine Gummischuhe."
.Was, das sind Ihre Gummischuhe?"
Er kam wüthend auf mich zu; ich
brachte aber schnell meine Füße unter
dem Stuhl in- Sicherheit. Warum
haben Sie denn nicht gesagt, daß das
nicht Ihre Gummischuhe sind?" schrie
der Mensch mich an.
.Weil Sie nicht die Güte gehabt
haben, mich danach zu fragen, geehrter
Herr, und weil ich mir durch eine viel
leicht vorlaute Bemerkung nicht ein noch
größeres Maß Ihres Unwillens zuziehen
wollte."
Die Leute um uns her lachten, und
der Diener wendete sich in gesteigerter
Grobheit wieder dem hinausgeworfenen
Patienten zu.
.Ihre schmierigen Gummischuhe
; stehen draußen, aber das sage ich Ihnen,
wenn Sie wiederkommen"
.Ach nein, ich komme nicht wieder
,anz gewiß nicht."
' .Ist uns ia ganz egal, ob Sie wie.
verkommen oder nicht. Seien Sie so
gut und kommen Sie nicht wieder. Aber
wenn Sie wiederkommen, dann lassen
Sie Ihre schmierigen Gummischuhe
draußen auf'm Vorplatz stehn. Nu
reden Sie man nicht noch. IS ja gut.
Adieu. Nummer 26. Nanu? IS
mm 2 wobl ersoffen? Aha. Sie
Madame sind Nummer 26. Wollen Sie
jjiuvumv " " - ,
riich mal 'n bischen quick 'reingeh'n?
-i äT.. en-c.a lim.
Meinen wobl. Herr Professor hat sein
bischen Zelt gestohlen!
191111 .
yia& gut einftündlgem Warten kam
" . l m " .
q?ummer 41 an die Reihe. Das war
ich. Ich trat in das berühmte &p$
immer und sah mich sofort einem großen
o a i.i
Manne mit ungeheurem Knebelbarte
Ml
Jahrgang 21.
gegenüber. Einige Schritte hinter ihm
stand eine rodune ,rau in Kranken
wärterkleiduna. ohne Zweifel seine Ge
bilfin. -
WaS haben Sie?" fragte sehr kurz
der Professor.
.Erlauben Sie. Herr Profenor
.Erlaubt wird hier garnichtS. Ant
orten Sie tur, auk meine kraaen
Nase. Ohr oder Hals? Anderes behandle
ich nicht. Atio, was ist r
,Es bandelt sich um eine Ohrkrank
heit, aber " s
.Aha, endlich! Setzen Sie sich dahin
Da auf den Stubl. mm Donner !'
Noch ehe ich in dem Stuhl faß. hatte
mich die robuste Gehilfin schon beim
Kopf gefaßt und preßte ihn zusammen
wie mit einem Schraubftock.
.Ader, öerr Professor, ich bitte
Sie "
.Halten Sie den Mund!"
Jetzt sah ich plötzlich an der Stirn
vrs 31U(CV13 VlUfc fJiUIIIUIt
,en, und im selben Moment fühlte ich
ein Instrument in meiner Nase.
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k
Professors eine Flamme ausleuch
nocyenauswucys in ver 'Jiat.
.Davon hab' ich nie was bemerkt,
Herr Professor."
Aber ich. Da haben fett Schmer
ien
Nein, aan, gewiß nicht."
Da haben Sie Schmerzen! Zum
Donnerwetter!" Dabei schlug er mir
mit einer Art von Schlüssel heftig auf
den Nasenknochen.
Au, Au! Ja, jetzt hab' ich Schmer
zen."
Seh'n Sie wohl? Sie müssen in
meine Nasenklinik." Zugleich verspürte
ich jetzt auch eine Maschine im rechten
Qbr, von der aus sich der Strom iraend
einer Flüssigkeit zur Maschine in mei
ner Nase ergoß, wahrend tnmrnen vle
ses Stromes sich etwas wie eine eiserne
Walze schnell um sich selbst drehte. Es
war. als sollte mir zwischen Nae und
Ohr ein breiter Tunnel gegraben wer
den. DaS ist aber ein sehr unangeneh
meS Gefühl.
.Sitzen Sie still. Herr, wenn ich
Ihnen helfen soll!"
Ach. Herr Prosen or. nur em Wort.
meine alte Tante "
Da aina'S mir aber schlecht. Fast
brüllend führ der Herr mich an:
Zum Henker mit Ihrer allen Daniel
Pnffcn Sie sich meinetweaen von Sa
tans Großmutter behandeln, aber dann
kommen Sie nicht zu mir! Man mutz
sich ja verschiedene Sorten von Dumm
heiten gefallen lassen, aber wenn mir
Einer mit 'ner alten Tante kommt
Sie sollten sich was schämen!"
Der Herr Professor hatte bei diesem
Zornausbruche eine wüthende Hand
bewequng gemacht, und plötzlich suylle
ich einen heftigen Schmerz lm Ohr.
Ich schrie laut auf:
Da ist mir was im 4Jtjr enlzwei
gegangen!"
Die Maschine ward entfernt, und der
Professor sah mir mit dem Spiegel m's
Ohr.
..Na ia. Sie müssen nachher in
meine Ohrenklinik. Uebrigens liegt'S
bei Ihnen nicht im Ohr, sondern im
Gaumen."
Muß ich dann auch m Ihre Gau
menklinik ?"
Wird sich finden. ?!etzt antworten
Sie! Sind in Ihrer Familie Fälle von
Taubheit?"
,So viel lch weiß, nein, das veltzl
Antworten Sie kurz mit Ja oder
Nein auf meine Fragen. Ihre langen
Reden anzuhören, habe ich leine Zeit.
Also ist Taubheit in Ihrer Familie?"
Ja."
''Wer von Ihren Verwandten war
oder ist taub ?"
Jetzt oder nie. dachte ich.
.Meine alte Tante "
Sntrr. ick rufe meinen Öausknecht.
wenn Sie wieder mit Ihrer alten Tante
kommen."
,Die ist ja aber gerade taub; deßhalb
bin ich ja gerade hier." sagte ich so
schnell wie irgend möglich.
Was?!"
i " fufir ick basjia fort, .sie ist
84 Jahre alt. hört sehr schlecht und hat
starke Schmerzen im Uhr. (& will
aber durchaus keinen Arzt."
Und deßhalb stehlen tz?ie mir meine
Zeit?!" schrie Professor Grobian mich
an.
Ich konnte ja nicht zu Wort kom
men.
Machen Sie sich nicht lächerlich.
Aber Sau haben Sie. colonales
Schwein wenn'S nicht so kommt, wä
ren ldie nalurllq wieoer viel zu ipai
beraeiammert mit Ihren miserablen
Obren und Nasen, kommen ja immer
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zu spät, die Schafsköpfe
, rn E-n
Herr Professor." warf ich schüchtern
ein. .bisher yave ,q aver oocy ganz ge
I. ' ' ' , -
fünde Obren gehabt.
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Herr, werden Sie nicht grob. Wie
können Sie wissen, ob Sie gesunde
Ohren haben. DaS ist meine Sache.
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Und nun Schluß. Honorar 20 Mark.
fr&mrnfftiKiTfll
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Beilage zum Nebraska Staats-Anzeiger.
Kommen Sie übermorgen wieder.
Adieu."
Ader, Herr Professor, ich möchte
Sie doch dringend bitten, sich einmal zu
meiner Tante zu bemühen."
.Elende Quälerei! Frau Rösch, wann
kann ich?"
Tie Gehilfin blickte in ein große?
Buch auf dem Schreibtisch.
.Heute noch 8 Eonsultationen und 3
Operationen, morgen 9 Eonsultatio
nen und 4 Operationen, übermorgen 3
Consultationen also, Herr Professor,
übermorgen Nachmittags 21 Uhr."
.Also, Sie hören, übermorgen 2
Uhr. Schreiben Sie Namen und Woh
nung dort in daZ Buch."
Vielen Dank, Herr Professor und
noch eine dringende Bitte. ES ist eine
so, alte Frau sie hat nun mal die ge
miß so unmotivirte Abneigung gegen
Aerzte. Könnten wir nicht irgend eine
Ausrede gebrauchen?"
.'n Thierbändiger bin ich nicht. Das
machen Sie nur allein," sagte Professor
Grobian. ' '
Seine Gehilfin hielt schon seit meh
renn Minuten den Thürdrücker in der
Hand, mit dem sichtlichen Bestreben,
meinen Ausgang zu beschleunigen.
3ch aina nun nach vause und wir
hielten einen Familienrath ab, in wel
cher Weise Tante Lene am besten auf
die Consultation vorzubereiten sei. Wir
faßten die einfachsten und die abenteuer
lichsten Pläne, verwarfen sie aber alle
wieder. Wir waren zu fest überzeugt.
daß Tante Lene überhaupt aus gar
keinen Plan des . Professors ein
gehe,, würde. Wir beschlossen also,
ihr den Besuch des Professors gar
nicht vorher anzuzeigen und Alles
einem gluauchen isuraue zu uoer-
lassen. Auch der Familie, bei welcher
Tante Lene in Pension war, durften wir
nichts verrathen. Die Leute konnten
nicht schweigen, und Tante Lene würde
sicher nicht zu Hause sein, wenn sie die
Zeit des ärztlichen Besuche? erführe.
Unserem Familienplane gemäß degad
ich mich also etwa? vor der festgesetzten
Zeit vor die Wohnung Tante ene s.
Genau auf die Minute rollte der Wa
gen deS Professors heran. Wir betraten
zusammen die Wohnung. Frau Volten,
die Wirthin Tante Lene's, öffnete uns.
.Ihre Tante chläft," sagte sie zu mir.
Das schien mir schon der glückliche
Zufall zu sein, auf den wir gehofft
hatten.
Wäre eS nicht
möglich,
die alte
Herr Pro
Frau im
fessor. daß Sie
Schlafe "
Wollen sehen.
Wo ist sie?"
Frau Bollen," belehrte ich die Frau
vom Hause, der Herr Professor will
Tante Lene s Ohr mal untersuchen
Bitte, ganz leise."
Wir traten ganz leise in s Zimmer
Da saß die gute Alte in ihrem Lehnsessel
u.id hielt ihr Mittagsschiäschen.
Wird es so gehen?" fragte ich leise
Vielleicht. BringenSie eineLampe,'
sagte der Professor leise zu Frau Balten
'ne Lampe?! Was für 'ne Kämpen"
ne Petroleumlampe."
.'ne brennende Petroleumlampe?!"
Ja. ja."
Am hellerlichten Tag?"
Zum Donnerwetter, bringen Sie
eme vrennenoe Peiroieumlampe am
hellerlichten Taq. ja. ja, ja!"
Dann muß ich .aber er Petroleum
vom ramer volen.
Herrgott und dein Thierrelch ! Dann
holen Sie es vom Krämer, aber laufen
Sie!" ,
Da war Tante Lene aufgewacht und
blickte höchst verwundert auf ihre Gäste,
Ich eilte zu ihr und rief laut:
Tante Lene, hier , st em Doctor. Er
will dir nur 'mal eben in's Ohr sehen
Ohrsen ? Ohrsen? Ach, ist wohl
'n Sohn von dem atten Ohrsen in
Gremshagen?"
Er will dir 'mal eben in's Ohr
seh'n. eS ist ein Doctor.".wiederholte
ich noch lauter und schärfer.
Warum das denn?"
Weil du doch so viel Schmerzen im
Ohr hast."
Schmerzen? Bewahre, hab' ich nicht
mehr. Das war 'n kleines Geschwür, ist
gestern von selbst aufgegangen und nu
spritzt Frau Bolten immer mit'Kamillen
thee. Kamillenthee ist das Allerbeste.
Ich hab' gar keine Schmerzen mehr.
Ist Alles wieder gut. Ich brauch' keinen
Doctor!"
' Aber. Tante Lene, du kannst ja
nicht gut hören."
' Ach. ich höre ja immer zu. Und
wenn ich auch nicht immer Alles hör'
eS ist sehr gut, wenn man nicht
immer AlleS hört. Ich brauch' keinen
Doctor!"
Der Herr Professor hatte mit stark ge
runzelt Stirn zugehört. Jetzt näherte
er sich der alten Frau und fragte:
In welchem Ohr war denn das Ge
fchwür?"
Was sagt er? Von welcher Art das
Geschwür war?"
Nein." rief ich laut. .Herr Professor
fragt, in welchem Ohr du das Geschwür
gehabt hast r
Tantk Lene lächelte verschmitzt.
.DaS sag' ich nicht. Ich will keinen
Doctor. ..Kamillenthee ist besser."
Ich sah. wie deS Professors Gesicht
dunkelroth wurde, wie feine Stirnabern
anschwollen und wie er mächtig gegen
einen ZornauSbruch kämpfte. Ich sah
auch, wie er sich besiegte und sich schwel
gend zum Gehen wendete. Das rührte
mich und ich gewann den Mann ordent-
Ilch lieb in dem Augenblick.
.Tann brauch ich wohl teinPetroleum
zu holen?" fragte hämisch Frau Bolten.
Der Professor warf ihr einen vernich
tenden Blick zu und ging. Ich folgte
ihm an den Wagen.
..Herr Professor," sagte ich herzlich.
.ich bitte um Entschuldigung für die
alte Frau und danle Ihnen."
.WaS? Wofür?" unterbrach mich
barsch Professor Grobian. -
.Daß Sie sich so bezwungen haben
der alten Frau gegenüber."
DaS geht Sie gar nichts an. Frei
lich. man mußte überhaupt weniger
zuvorkommend fein. Adieu."
Ich komme also heute Nachmittags
in Ihre Sprechstunde, Herr Professor
Ja haben Sie denn noch Schmerzen
im Ohr?"
Schon viel weniger."
.Na, dann lassen Sie nur. Geh'n
Sie lieber zu Ihrer alten Tante; die
ist mir doch über!"
Aus dem Tagebuch eines
Todten.
Von einem
KriegZbenchierstatter,
Henna.
Hang
Es war nach der Schlacht am Spion
Kop, nach dem denkwürdigen Sturm
vom 24. Januar 190, als die Eng
länder mit entsetzlichen Verlusten auS
ihren festen Positionen von den stürmen
den Buren vertrieben wurden. Drei
Tage nach diesem Ereignisse erklomm
ich in Begleitung mehrerer Buren nach
mehrstündigem Ritt die Höhe. Ueber
all auf der Kuppe deS Berges, wo der
Kampf am heißesten geiobt hatte, lagen
noch die Leichen von Engländern, die
Zeichen der Verwesung, der Zerfetzung
tragend. Ein grausiges Bild inmitten
der stillen, friedlichen Landschaft. Ein
Graben, eine Schanze voll todter Eng
länder, die unbeerdigt den Zorn des
Himmels auf sich, auf ihre Führer, auf
die Anstifter all diesen Elends herabge
rufen zu haben schienen. Eine Gruppe
zog mich besonders an!
Ohne Stiefeln, die geleerten Taschen
heraushängend, unbelästigt von den
nach Beute suchenden Aasgeiern, die in
der Ferne frischere Opfer suchten, lagen
sie da. Der linke Arm des Einen wies
mit ausgestreckten Fingern zum Himmel,
als ob der Todte hätte anzeigen wollen,
daß es noch eine höhere Macht gebe, die
über die Geschicke der Menschen, über die
Zukunft Afrikas entscheiden könne, als
das mächtige England.
Hier gebe ich ein Bild der grausigen
Stätte, deren Erinnerung sich tief in
mein Gedächtniß gegraben hat. Da
lag ein junges Kerlchen von vielleicht 20
Jahren; sein Helm neben ihm. Fried
lich und still, mit einem Lächeln auf
den Lippen hatte er seine Reise nach
den besseren Jagdgründen angetreten.
Seine Hand umklammerte noch ein
kleines Buch, in rothes Leder gebunden.
Vom Lagerleben, vom Leben im Freien,
durch den Thau und Regen der letzten
Tage war es beschädigt. Ich nahm es
mit mir. um es meiner Sammlung von
Reliquien einzuverleiben. Auch das
Abzeichen seines Regiments JF mit der
flammenden Bombe und dem Adler
darauf, das Erkennungszeichen der
irischen Füsiliere, steckte ich zu mir. Nie
werde ich das Bild vergessen.
Der mit Gras bewachsene Boden war
zu steinig, die Zelt zu kurz; erneuerter
Kanonendonner ertönte in der Ferne,
die Position war zu unsicher. Wir
konnten ihn nicht bestatten.
Im Lager angekommen ich hing
unterwegs den traurigsten Gedanken
nach nahm ich das mit Staub be
deckte, mit Blut getränkte Büchlein zur
Hand. Mein todter Füsilier hatte es
in seiner Brusttasche getragen. Eine
Mauserkugel hatte ihn durch die Brust
getroffen, ein Granatsplitter m der
rechten Hüfte, Der Name, kaum zu
entziffern, schien I. Th.. .on Collings
zu sein. Kein Datum, nur Bruchstücke,
theils nur hingeworfene Sätze, theils
Erinnerung an die Belagerung von
Ladysmtth, bald mit Bleifeder geschrie
ben. in kleiner, einst deutlicher Hand
chrift, die ich in deutscher Uebersetzuna
wiedergeben will.
Meine arme, liebe Lulu! Wie ist
ihr der Abschied schwer geworden! Erst
in den letzten Tagen vor meiner Abreise
hat sie mir ihre Liebe gezeigt und be
yo
No. 5.
wiesen! ArmeS Mädchen! Sie hat
mir versprochen, in meiner Abwesenheit
stets meiner zu gedenken, und ihr
schwarze; Kleid erst bei meiner Heim
kehr mit den Farben der Jugend zu
vertauschen.
Schwarz schon erschien sie beim Ab
schied auf Waterloo Station. Wie der
Zug London verlassen hatte, schien alles
schwarz vor meinen Augen zu sein. Ob
wir uns je wiedersehen werden? Wie
schön und friedlich war doch die See
reise! Mit welchem Muthe zogen u,ir
hinaus in die Ferne. Wenn man, wie
ich bisher, nur ein kurzes Soldaten
keben gekannt hat, an die Gesellschaft
gewohnt ist, nur das Garnifonlcben
kennt, ist eS schwer in das Feld zu ziehen
und zu-scheiden!"
Jetzt kamen einige Blätter niit Blüt
spuren Überzogen, mit Blut getränkt.
Unleserlich waren sie. Dann Ein
tragungen ganz privater Natur; Geld
einnahmen. Gcldausgaben.
Dann: Ladysmith November '99.
.Warum nützen eigentlich die Buren
ihre Erfolge nicht aus? Warum ftür
men sie nicht? Sie sind ja in der
Uebermacht, sie haben weniger, aber
bessere Geschütze. Wir find müde vom
Wachen. Schlecht verpflegt, müde der
Belagerung.' Der erhoffte Ersatz kommt
nicht!
Ob Lulu noch an mich denkt?
In dem einzigen Briefe, der mich er
reicht hat, der mir nöch vor der engeren
Zernlrung von Ladysmith zugestellt
wurde, versicherte sie mich ihrer Zu
Neigung. Ewig würde sie meiner ge
denken; im Geiste wäre sie stets bei mir;
stets würde sie mir treu sein.
Früh, kurz nach 4 Uhr. sagten die
Kanonen sich schon guten Morgen.
Bang. bang, fizz, tönt es unaufhörlich
in meinen Ohren, eine schreckliche Sym
phonie. Von Zeit zu Zeit, in unserem
Thalkessel sah man hinter dem rothen
Gelände das häßliche Gesicht des aro
ßen Belagerungsgeschützes, Lang Tom,
auftauchen. Feuer ipeiend. wie die
Drachen der Kinderzeit: und dann sein
gräßlicher Gesana! Viel Schaden rick
tete er nicht an. und man gewöhnte sich
auch an seinen Aussehen und an seinen
Höllengesang. Sein Bruder hatte es
auf die Manchester in Zaesars Camv
abgesehen, ein anderer Verwandter
gleicher Sorte stand auf Bulwana Hill,
vielleicht mehr als 5000 Yards ent
fernt. Die kleineren Kanonen hätten
gern unserem Ballon und dem Lager
der Devons Schaden zugefügt, einige
beherrschten die Straße nach Helpma
kaar. Andere der französischen und
deutschen Sorte rnacls in Germanv:
ach. wie ich die Deutschen hasse, die den
Buren zu Hilfe kamen standen auf
Lombards Kop und auf den Hügeln
im Nordwesten. Die Kanone im
Westen beschäftigt sich nur mit unserem
iey.
Die kleinkalibriaen Geschütze aus
Lombards Kov. wahrscheinlich zwei
Maxims, die ganze Ketten von Shrap
neig verubersandten. waren mcdt ,u
sehen.
Erst kam das Gesckok. dann der
Knall. Woher haben die Buren ibre
militärische Taktik, woher nehmen sie
den Muth, die englische Armee, uns
Engländer, die Herren der West zu be
kämpfen? Sie müssen von fremden
Offizieren angeführt werden, von
foreign mercenaries'. die die in
ihrem eigenen geknechteten Lande er
lernten Kriegskünste aeaen Geld ver.
kauft haben.
Während des Bombardements sind
die Zivilpersonen meistenthells unter
der Erde, so daß außer für leerstehende
Gevaude. der Gefahr wegen verlailen.
für das Vieh und die nur seltenen Pas
santen keine Gefahr besteht. Das Vom
bardement ist eine recht unangenehine
Sache, besonders am Morgen, bis man
sich wieder an den Lärm und das Ge
räusch der platzenden Granaten gewöhnt
hat.
Wir sitzen hier, wie die Maus in der
Falle, in der belagerten Stadt Die
Vorräthe werden knapper, ein Drittel
der Leute liegt im Hospital oder ist todt,
wir leben schon von Pferden und Maul.
efeln. Ein großer Theil des Viehes ist
weggetrieben, weggeschossen oder un
brauchbar für die menschliche Nahrung.
So leben wir schlimmer als im Ge
fängniß; am Morgen, wenn kaum die
Sonne aufgegangen ist. blicken wir von
unserem Thalkessel auf nach dem Hügel,
ringe, der uns mit seinen eisernen Fang
armen zu erdrücken droht. Die Hügel
scheinen immer näher zu kommen.
Draußen aber ist der Krieg!
Auf der Welt ist aber noch Friede
und Liebe, nur nicht hier, nicht in
Ladysmith.
24. Januar früh 4 Uhr7
Seit zwei Tagen liege ich mit meinen
armen Leuten (3th) (wohl Regiments-
nummer?) in den Verschalungen aus
dem Spion Kop. ES ist mir so schwül
und baug um'S Herz. eS deschleicht mich
wie ein Vorbote großen Unheils. Noch
ein Schluck wird mich stärken und mir
Muth einflößen. Gibt eS ein Wieder,
sehen nach dem Tode? Tie alten Verse
HomerS, die ich als Junge in- der
Schule, im College zu Tundridge Wells
gelernt habe, kommen mir nicht aus
dem Sinn: .Einst wird kommen der
Tag, wo die heilige Jlioö hinsinkt.
Priamos Stadt und das Volk des lan
zentundigen Königs."
Ach der Durst!! Tie unerträgliche
Hitze. Tie Fliegen!
'Oood bye, Lulu,"
Tie letzten, ungefähr zehn. Worte
waren völlig unleserlich. ,
ffine denkwürdig ,
In einem italienischen Volkstheater
gab man jüngst, wie die römische
.Tribuna" erzählt, ein großes Historie
sches Schauspiel", in welchem ein König
die Thronrede verlesen sollte. Der
Hof. die Edelsten der Nation, die Ver
treter der Provinz und deS Heeres stan ,
den ernst und würdevoll auf der Bühne,
zu beiden Seiten deS Thrones, den Be
waffnete und Würdenträger umgaben.
Der König, mit dem langen, mit
Kaninchenfellen (HermelinJmitation)
gefütterten Purpurmantel" bekleidet,
durchschreitet die Bühne und steigt lang
sam und majestätisch die zum Throne
führenden Stufen empor. Alle ver
neigen sich, und der Ministerpräsident
überreicht ihm eine Papierrolle, die die
Thronrede enthalten soll. Unter dem
feierlichen Schweigen der Zuschauer ent
faltet der König die Rolle, betrachtet sie
und merkt, daß er leeres Papier in
der Hand hält. Der Requisiteur hatte
sich geirrt. WaS thun? Die Rede ist
sehr lang: es ist unmöglich sie mit Hilfe
des Souffleurs herzusagen; der Souf
fleur ist übrigens zu weit entfernt und
kann von dem unangenehmen Irrthum
nicht in Kenntniß gefetzt werden. WaS
thun? Durch den Kopf deS Königs geht
ein genialer Gedanke. Nachdem er
einen zweiten würdevollen Blick auf daS
weiße Papier geworfen, rollt er es wie
der zusammen, giebt eS dem Minister
Präsidenten und sagt mit befehlerischem
Tone: Lesen Sie!" Der Minister
Präsident wird durch diese unerwartete
Neuerung ein wenig auS der Fassung
gebracht; trotzdem nimmt er die Rolle
und entfaltet sie. Der kleine Scherz,
den sich der König erlaubt' hat. wird
ihm sofort klar; er rollt die Thron
rede" wieder feierlich zusammen, nimmt
einen prächtigen Missingorden von sei
ner Brust, legt ihn sammt der Thron
rede" zu den Füßen deS Königs nieder
und sagt mit großer Würde: Majestät!
da ich mit dem Inhalt der Thronrede
nicht einverstanden bin, gebe ich meine
Demission." Sprichts und verläßt die .
Bühne, ohne erst auf Antwort zu
warten.
Die dumme Deutschen.
Der kleine Herzog Heinrich von Bor
deaux. Enkel Karls des Zehnten von
Frankreich (geboren am 29. September
1320. gestorben als Graf von Cham
bord am 24. August 1833 in Frohs
darf bei Wien), war ein sehr lebhaftes
und geistig reges Kind. Nur die deut
fche Sprache war ihm zuwider. Warum
muß ich nur eigentlich Deutsch lernen?"
fragte er eines TageS feinen Lehrer,
Herrn Collard.
Weil zu Frankreich eine Provinz
gehört, in der deutsch gesprochen wird."
Wie ? Zu Frankreich gehört eine
Provinz, in. der deutsch gesprochen
wird ?"
Gewiß, gnädiger Herr, daS Elsaß."
Aber eS sind doch Franzosen und
sie sprechen trotzdem kein Französisch ?"
Diese Provinz kam erst unter Lud
wig dem Vierzehnten zu Frankreich.
vorher gehörte sie zu Deutschland."
Wie lange ist das her?"
Ungefähr hundertachzig Jahre." '
Der kleine Herzog brach in lautes
Gelächter aus. Ö, diese dummen
Deutschen! Sie gehören seit hundert
achtzig Jahren zu Frankreich und haben
in dieser langen Zeit noch nicht eiumal
granzö lsch gelernt! Aber ich will' es
sie schon lehren, wenn ich einmal König
bin!"
Er hat keine Gelegenheit gefunden,
diesen schönen Vorsatz auszuführen,
denn sein Großvater mußte bereits 1830
wieder vom Thron herabsteigen.
Zärtlicher Vater.
Ich kann trotz allen Bemühens nicht
herausfinden ob mein Sohn irgend eine
besondere Anlage oder Vorliebe zu etwas
hat. "
Philosoph: Welche Versuche haben
Sie gemacht, das zu erkennen?"
O. sehr verschiedene. Ich schenkte
ihm eine kleine Buchdruckpresse, eine
Dampfmaschine, einen hübschen Farben
kästen, eine Sammlung von Werkzeu
gen und noch andere sorgsam ausae-
wählte Dinge, um zu sehen, ob er
Neigung für die Literatur, die Me
chanik, für die Kunst, für ein Gewerbe,
oder für sonst etwas habe, und doch bin
ich jetzt in dieser Beziehung nicht klüger
als zuvor."
Was machte der Knabe denn mit
den Sachen?"
"Er hat sie alle miteinander zer
brachen."
Aha. ich verstehe. In dem Jungen
steckt ein späterer Mödelspediteur!.
Kurios.
Wenn sich Kinder um eine Birne
streiten, wird diese zum Zankapfel.
!
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