Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, May 24, 1900, Image 10

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    Der LiscnbahnrZubcr.
Humolttke vsn Franz W i ch m a n
Der Zug näherte sich einer Station
dtt rasselnde Tonner der Rüder wurde
leiser, und Frau von Eiscndurg konnte
sich in Folge dessen wieder verflandna,
machen.
.der beruhige Tich doch endlich,
Zllma. und mach' wieder ein freund
lickeS Ee icht!"
.Wenn man wie ein arme? Opfer
im Schlachtbank geführt wnd. Mama.
rief daZ junge Mädchen mit untev
drücktem Schluchzen, 10 kann man
doch nicht luftig sein und vergnügt aus,
sehen!"
Tie alte Tame schlug die Hände zu
sammen; sie wußte nicht, ob sie sich ür
aern oder lachen sollte.
.TaS ift doch zu toll, solch' ein AuS,
druck, wenn man aus dem Wege ist
seinen künstigen Gatten kennen zu lev
nen!"
.Aber ich will ihn ja gar nicht.
Mama."
Eben weil Tu ihn noch nicht kennst,
Nachher wirft Tu anders sprechen
Einen Mann mußt Tu doch einma
haben."
.Aber keinen solchen von bürger
licher Abkunft, der ftudirt hat und nicht
einmal Reserveoffizier ist.
.Tu weißt, wie Tein guter Vater
über diese Tinge dachte. Ter alte
Eschenmüller übrigens einer der reich
ften Fabrikanten im Lande war
PapaS bester Freund und hat ihm mit
Selbstaufopferung einmal aus einer
schlimmen Lage geholfen. Und da sie
Beide nur je ein Kind hatten, so war
der Wunsch wohl begreiflich, daß diese
einmal ein Paar werden möchten.
Tie Tochter schwieg einen Augen
blick, dann aber begann sie von neuem
mit weinerlicher Stimme: Aber wer
weiß denn, ob er mich überhaupt mag!"
.Um das zu erfahren, sollst Du ja
4en Herbst über zur Tante und m w
sellschaft ihn kennen lernen. Tu weißt
eS war der feste Wille der Bäter. daß
keinS der Kinder gegen seine Neigung
zu einer Heirath gezwungen werden
sollte. .
.Nun dann mag ich ihn eben nicht
und darum brauche ich auch nicht in
die Stadt."
.Du bist unverbesserlich ereiferte
sich Frau von Eisenburg, aber in Dd
nen Jahren spricht man viel in den
Wind, und ich für meinen Theil zweifle
gar nicht, daß Hans Dir gefallen wird.
Man hat la nur Gutes über ihn ge
hört. Ein in jeder Beziehung braver,
tüchtiger und hübscher junger Mensch,
der nach einem paar fröhlichen Univer
fitätsjahren sein Examen glänzend be
standen hat und nun in die Stadt zu,
rückkehrt, um demnächst daS ganze Ge,
schüft seines VaterS zu übernehmen
ich kann mir wahrhaftig keinen besseren
Mann für Dich denken."
Auf dem kleinen Bahnhof, vor dem
der Zug jetzt hielt, herrschte großes Le-
den und Getümmel. Ein Gesangvev
-ein mit Musik und Fahne in Begleit
tung zahlreicher Damen wartete "aus
dem Perron, um von einem Ausflug in
die Stadt zurückzufahren, 'Soldaten,
die in Urlaub heim kamen, und Bauern
die wegen deö nahen Festes in die
.Stadt wollten, bildeten eine dicht ge
staute Masse und begannen, ehe der'
Zug noch recht hielt, einen Sturmlaus
auf sämmtliche Wagen. In einem
Augenblick hatten sie alle CoupeS at
füllt, und als von der Kasse her noch
ein Nachzügler, ein bestaubter schmutz.
ger, junger Mensch schwitzend und
keuchend eintraf, war guter Rath
theuer.
Wohin wollen Sie denn?" schrie ihn
der Schaffner an.
.In die Stadt nach Lcuchtenfels."
Er rannte auf einen der letzten Wa
gen zu.
Welcher Klasse?" fragte der Schaff
er von neuem.
.Vierter'.'
Halten Sie, da stehen die Leute
schon auf der Plattform, da darf Nie
mand mehr hinauf. Warten Sie ein-
mal. vielleicht in der dritten."
Der Uebriggebliebene lief mit dem
'Schaffner die ganze Waaenreihe ent
lang. . Ter Beamte guckte in jedes
Abtheil. aber überall blickten spöttisch
lächelnde oder ärgerliche Gesichter her
aus. und überall wurde der Fremde
abgewiesen.
.Rücken's noch ein bischen zusam
men!"
.Fällt uns nicht ein."
Wir sitzen so fchon wie Heringe
drin." ,
Auf jede Ban! zehn, mehr ist vev
boten, mehr lassen wir nicht herein."
Der Schaffner wurde wüthend.
Himmel Herrgott, es ift ja schon lange
Zeit zur Adsayrr.
Mitnehmen müssen Sie mich; ich
habe bezahlt und bestehe auf meinem
Schein," sagte der Fremde energisch.
Der Beamte schaute einen Augen
blick verzweifelt umher. Dann sagte
er entschlossen:
Kommen Sie nach vorn. In der
zweiten Klasse muß eS noch gehen; ich
kann mir nicht anders helfen. Ah, da
ift ja noch ein fast leeres Coups!"
Fräulein Alma, die bei dem Lärmen
und der tragikomischen Scene neugierig
binausgeschaut hatte, fuhr mit dunkel,
rothem Kopfe vom Fenster zurück:
Mama, um GottcS Willen, der Mensch
kommt hierher!" r. .
Auch die alte Tame erhob sich ein
wenig entrüstet, als der Kopf des Schaff,
ers in der geöffneten Thür erschien.
.Sie wellen doch nicht hier den
den "
.Bedaure. aber es geht nicht anders
Sie haben kein TamencoupS. und hier
ist noch Pla."
.Mama, das ift ja entsetzlich!" ftü
fterte Alma ganz uußer sich und nahe
an die Mutter hindrängend, .ich fürchte
mich zu Tod; ein Mensch aus der vier
ten Klaffe!"
.Still, um Gotteswillen, es ist doch
auch ein Mensch, und wenn er Tich
hört, können wir erst recht Unannehm
lichZeiten haben," beschwichtigte' Frau
von Eisenburg, die Stadt ift ja nicht
mehr weit, und eS wird doch nicht ge
rade ein Betrunkener oder Spitzbude
fein."
Tod), doch, Mama, ganz schrecklich
sieht er aus. als ob er die Nacht im
Freien geschlafen Hütte. Kein anftün
diger Mensch fähtt doch in vierter
Klasse."
Sie kam nicht weiter, denn inzwischen
hatte der schreckliche Mensch auf den
Wink des Schaffners keuchend den bt
zeichneten Wagen erreicht. Schon gellte
von der Maschine her ein schrilles Psci
fen, eine dunkle Masse flog herein, sie
schwer auf die weichen Polster nieder,
die Thür wurde dröhnend zugeschla
gen, und fort rasselte und donnerte der
Zug.
Alma war ängstlich bis an das ent
gegengcsctzte Ende deS CoupS gerückt
und ihre Blicke hingen mit schreckhaftem
Ausdruck an dem Fremden. Um sich
gegen die von dem Proletarier verun
reinigte Luft zu schützen, zog sie ihr
seines nach Feau d .Lsoagne duften
deS Batisttaschentuch hervor und preßte
es krampfhaft ans Gesicht. Ihre Phan
taste spielte mit den schrecklichsten Bil
dern.; Dieser grüßliche Mensch, der
sich den Schweiß von der Stirn wischte
und ganz außer Athem keuchte und
stöhnte, war gewiß ein Verbrecher, der
soeben eine schwarze That begangen
oder aus dem Zuchthaus entsprungen
war. Richtig, letzt ließ er schon den
Blick feiner tiefschwarzen Augen von
der Mutter zu ihr herübergleiten. Eine
fürchterliche Angst befiel sie. Wenn sie
nur die Mama warnen könnte! Konnte
der Unheimliche nicht einen tückischen
Ueberfau auf die beiden einzelnen
schutzlosen Damen planen? Aber sie saß
zu weit entfernt von der Mama ur.d
wagte sich wie gelähmt nicht von der
telle zu rühren. In den Zeitungen
stand so oft von Eisenbahnattentaten.
Und hier war ja die Gelegenheit so
günstig. Eme halbe stunde lang gab
eS keine Station mehr, und gerade hier
führte die Bahn durch öde, unbebaute
Strecken flachen Landes, das mit feinen
weiten Heiden, den düsteren Föhren
waldern und mit trüben, moorigen
Wasserlachen einen grenzenlos traun
gen und einsamen Eindruck machte.
Plötzlich wurden Almas Augen groß
und starr vor schrecken. Auch Frau
von Elsenburg rückte em wenig deun
ruhigt zur Seite.
Ohne den bereits gefaßten Argwohn
wäre den Damen die verdächtige Be
wegung vielleicht entgangen, denn
chembar achtlos zog der Fremde, in
dessen Gesicht sich eine hochgradige Un
ruhe ausprägte, ein winzig kleines,
geschliffenes Fläschchen aus der Tasche.
uchte es mit der Hand'zu verdecken und
entfernte heimlich den Glasstöpsel ba
von.
sofort verbreitete sich ein widerwär
tig durchdringender Geruch in dem
CoupS, und der unheimliche Mensch
machte eine hastig heftige Bewegung.
wie wenn er sich aus die Insassen stür
zen wollte, als der laute Schrei der
jungen Tame an sein Ohr schlug
Mama, Mama, um Gottes Willen
ein Räuber!"
Auch die alte Dame sprang kreischend
auf und flüchtete sich nach der anderen
eite zu ihrer Tochter.
Mit blitzschneller Geistesgegenwart
aber hatte Alma schon die Nothleine er
aßt und riß aus Leibeskräften daran.
Im selbenMomente ertönten drei scharfe,
chrille Pfiffe, die Bremsen fetzten ein,
und mit einem harten Stog nach rück
wärts stand der Zug.
Ter überraschte Verbrecher war blaß
geworden. Aber Sie werden doch
nicht ich habe ja nur " stammelte
er; aber ehe er den Satz vollenden
konnte, rissen schon Schaffner und Zug
führer mit bestürzten Gesichtern die
Wagenthür aus.
Hier ist das Nothfignal gegeben!
Was ift passtrt ?"
Ohne zu antworten, sprangen Wut
ter und Tochter, sobald sie den Ausgang
offen sahen, mit lautem Aufschrei ins
Freie.
Em Verbrecher, ein Räuber, ein
Mörder!" rief Alma. Er hat uns
narkotifiren wollen."
Da sehen Sie noch das Fläschchen.
fügte Frau von Eisenburg hinzu. f
Die Beamten, die m der That das
Corpus delicti in der Hand des
Fremden erblickten, warfen sich, ehe
der Unhold sich zur Wehr fetzen konnte,
über ihn und rissen ihn aus dem Wagen.
Meine Herren, Sie werden doch
einem ehrlichen Menschen glauben,
der "
Aber das entrüstete Personal, das
sich jetzt vollzählig vor dem Wagen ein
fand, ließ ihn nicht zu Worte kommen.
Unter den drohenden Blicken, dem zor
nigen Gemurmel der in Schrecken und
Neugier ebenfalls ausgestiegenen Pas.
agiere schrie der Zugführer ,hn an:
Man wird Sie bis zur Stadt isoll
ren und telegraphisch die Bahnhofs.
Polizei in Kenntniß setzen. Marsch,
fort mit Ihnen!"
Ter Verbrecher wurde unter den
Flüchen und Verwünschungen der
Menge inS ArreftantencoupS geschleppt
und nur mit Müde ließen sich die zu
Tod erschrockenen Tomen bewegen, ihre
Plätze wieder einzunehmen.
Erst bei der Ankunft in der Haupt
ftadt hatte sich Alma so weit erholt, daß
sie eS wagte, wieder aus. dem Fenster zu
schauen.
Sich nur. Mama, da steht schon
die Polizei und erwartet ihn."
.Wahrhaftig! Aber weißt Tu. Kind
beinahe thut er mir leid.
.Ter schändliche Räuber?"
,O. er machte doch einen so guten
Eindruck. Tu ftecktcft mich ja an mit
Tciner Angst; aber ich kann mir gar
nicht recht denken, daß er wirklich ein
Verbrechen vorhatte.
TaS werden wir ja gleich erfahren
Mama. Ta haben sie ihn schon und
führen ihn auf daS Bahnhofswacht
lokal."
.Vielleicht braucht man gleich jetzt
unser Zeugniß. Wir wollen wenig
ftenS warten, bis der Polizist wieder
herauskommt," meinte Frau von El
senburg.
Ja, ja, wissen müssen wir, was mi
dem Menschen geschieht."
AIS sich daS Getümmel aus dem
Bahnsteig ein wenig verlaufen hatte,
faßten die beiden Damen vor der Pou
zeiwache Pofto. jeden Augenblick ge
wärtig. dag man heraustreten und nach
ihnen uchen werde.
Jetzt öffnete sich wirklich die Thür,
und der Polizist, der vorher den Arre
stanten in Empfang genommen hatte,
trat kopfschüttelnd und mit , ärgerlicher
Miene heraus.
SiehstTu.Mama," flüsterte Alma
er ift ganz wüthend über den abscheu
lichcn Räuber." Und sich schnell ein
Herz fassend, trat sie auf den Beamten
zu und fragte: UmS Hlmmelswillen
mein Herr, sagen Sie, ift es ein schlim
mer Verbrecher, dem wir noch glücklich
entronnen sind ?"
Ter Polizist schaute noch ärgerlicher
auf: Ah so, sie sind es. die die Fest,
nähme dieses Herrn veranlaßten ?"
Dieses Herrn Spitzbuben, m." bt
merkte Frau von Eisenburg, indignir
über die sonderbare Bemerkung. Was
für eine Strafe erwartet den Schände
lichen ?"
strafe erwartet nur sie, er
widerte der Beamte in keineswegs
freundlichem Tone, weil Sie unbe
sonnen und ohne Grnnd auf offener
Strecke einen Zug zum Halten gebrach!
haben."
Die beiden Damen standen mit offe
nein Munde da, ohne sich fassen zu Im
nen. Was? Ist denn der Mensch kein
Verbrecher?" kam es endlich tonlos und
leinlaut von ihren Lippen.
Herr Eschenmüller ift der Sohn
eines der angesehensten Bürger unserer
Stadt und wurde bei seinem Eintritt
von dem wachthabenden Polizeiofsizier
ofort erkannt. Eben erzahlt er lachend
den Hergang der Sache. Wenn Sie
sich nicht geniren, meine ,Tamen, kön
nen Sie ja eintreten; man wird sich
ohnehin Ihre Adresse notiren wollen."
Hans Eschenmüller?" schrie Frau
von Eisenburg auf. als ob sie auf glü-
hende Kohlen getreten wäre.
Und der führt vierter Klasse '."ffrief
Alma, die Hände in fassungslosem Er
staunen ringend.
Ter Polizist, der mehr zu thun hatte.
als den verblüfften Damen Rede zu
liehen, hatte sich inzwischen mürrisch
und ohne Gruß entfernt. Die Auf
lärung aber kam von einer anderen
Seite.
Erscheint Ihnen das so schrecklich,
mein Fräulein?" sagte die wohlklm
gende Stimme eines Mannes hinter
ihnen. Es ist zwar sonst nicht meine
Gewohnheit, in dieser Klgsse zu fahren;
heute aber hatte ich einen besonderen
Grund, der vielleicht auch Ihre Bil.
Iigung finden dürfte."
Frau von Eisenburg suchte sich zu
a en: O bitte, entschuldigen Sie nur.
es ift uns ja schrecklich, daß gerade wir
aber wie konnten wir ahnen "
Hans Eschenmüller verbeugte sich mit
dem vollendeten Anstand eines Welt
mannes. Pardon, meine Damen, die
Pflicht, Verzeihung zu erbitten, ist ja
durchaus auf meiner Seite. Ich habe
Ihnen einen natürlich gänzlich imbe
absichtlgten Schrecken eingeflößt. .Hät
ten Sie mich nur einen Augenblick zu
Worte kommen lassen "
Sie wollten uns also nicht narkotl
siren?" fragte Alma, die plötzlich Muth
gewann und den jungen Mann zum
ersten Mal mit anderen Augen, wenn
auch immer noch em wenig mißtrauisch,
betrachtete.
Er brach in helles Lachen aus und
richtete den aufleuchtenden Blick seiner
dunklen Augen mit offenbarem Wohl
gefallen auf die schöne Fragerin.
Nein, mein Fräulein, viel eher Hütte
mir diese Gefahr gedroht durch Ihre
Nähe. Ich leide bisweilen an Herz.
lopfen, und die Aufregung, in der ich
auf den Bahnhof kam. sowie Ihr An
blick riefen das alte Uebel wieder hervor.
Darum griff ich nach dem Aetherfläsch.
chen, das ich für solche Fälle immer bei
mir trage."
- Frau von Eisenburg wollte ihn mit
euerrothem Kopfe unterbrechen, aber
er machte eine bittende Bewegung, ihn
ausfprechen zu lassen: Ich bin Ihnen
volle Aufklärung über den seltsamen
Vorfall schuldig; vor allem bezüglich der
vierten Klasse," wendete er sich mit
etwas spöttischem Lächeln an das junge
Mädchen. Sie sind wohl noch nie in
die unglückliche Lage gekommen, kein
Geld mehr zu besitzen, meine Damen?
Tie Beiden sahen ihn mit ungläudi
gem Staunen an. Wie konnte der
Sohn des reichen Fabrikanten Eschen
Müller in Geldverlegenheit gerathen?
Sie müssen wissen, meine Damen
heute ift mir beim Radfahren ein Mal
henr pasflrt. Kurz vor der Station
Weißkirchen, wo ich den Zug erreichen
wollte, überfuhr ich auf der steil adsal
lenden Straße einen zu spät bemerkten
armen, alten Mann. Mein Rad ging
in Trümmern, und meine Kleidung
gewann durch den Sturz auch nicht ge
rade. Tas schwerhörige, bedauern-
werthe Opfer deS Zusammenstoßes, daS
zum Glück nur unbedeutend verletzt
war. erfüllte mich mit solchem Mitleid
daß ich den ganzen Inhalt meiner Bör
in seine Tasche entleerte. Zu spät siel
eS mir ein. daß ich mich damit auch der
Möglichkeit zur Heimfahrt beraubt
hatte. Doch nein, kurz vor dem Bahn,
Hof machte ich die freudige Entdeckung,
daß ich noch so viel hatte, um mir ein
Billet vierter Klasse löfen zu können
TaS Ucbnge wlgen Sie."
Auch auf Fraulein Alma's Wangen
brannte letzt eine helle Röthe; ohne es
recht zu wissen, streckte sie dem jungen
Manne die Hand hin: Sie haben schön
und edel gehandelt. Können ie mir
meine Thorheit verzeihen?"
Wenn sie mir zur Erinnerung an
den komischen Vorfall die Ehre Ihrer
Bekanntschaft schenken wollen.
D alte Dame nannte einen Namen
der ihn betroffen zurückfahren ließ
Wie. S sind Frau von Elsenburg
die Wittwe deS besten Freundes meines
VaterS. von dem mir dieser so oft er
zählte r
Und das ist meine Tochter Alma
die schon lange darauf gefreut hatte, im
Laufe des Winters Ihre Bekanntschaft
zumachen"
Aber Mama!"
TaS ist ja köstlich. " rief Hans Eschen
müller, schneller, besser und amüsanter
hätte eS sich jedenfalls nicht machen
lassen!"
TaS glaube ich auch," flüsterte Alma
ihrer Mutter zu. und Tu hattest ganz
recht vermuthet. Herr Eschenmüller ist
wirklich ein sehr liebenswürdiger
Mensch."
Und letzt gestatten die Damen, daß
ich sie sofort meinem Vater zuführe,
Also wirklich das Weib deS Räu
bers?" sagte ein Jahr später der alte
Herr belustigt, als Alma am Arm des
jungen Gatten freudestrahlend vom AI
tare zurückkehrte.
Die lunqe Frau nickte mit schelmi
schem Lächeln. Ich hatte doch recht
geahnt, Schwiegerpapa, ein Räuber
war er, aber ein Herzensräuber!"
Grauenhaft.
Eine kvIode ant dem deutlch!ranzdsilchen firieg. Aus
dem Nachlaß uy de Mauvastant'i, Ueber
setzt von Xlice Kern,
Langsam senkte sich die laue Nacht
herab.
Die Damen waren im salon zurück
geblieben; die Herren, rücklings auf
Gartenstühlen sitzend, rauchten vor der
Thüre und bildeten einen Kreis um
einen runden Tisch, der mit Tassen und
kleinen Gläsern beladen war.
Man hatte eben von einem schreck
lichen Unfall gesprochen, der sich gestern
zugetragen hat. Zwei Männer und
drei Frauen waren vor den Augen der
Gäste im Flusse ertrunken.
General G. bemerkte:
Ja, solche Ereignisse sind erschüt
ternd, aber sie find nicht grauenhaft
Grauenhaft, dies alte Wort will viel
mehr sagen als schrecklich, entsetzlich
Ein fürchterliches Ereigniß wie dieses
erschüttert, verwirrt, bestürzt, es ist
nicht grauenhast.
Um das Wort Grauenhaft" zu tx
offen, bedarf es mehr als einer Ge
mütherschütterung, mehr als des An
blicks eines schrecklichen TodeS; es ge-
hört dazu ein geheimnißvoller Schauer,
oder die Empfindung von etwas Un
natürlichem, etwas Gräßlichem, das
plötzlich und unvermuthet vor die Seele
ritt. Ein Mensch, der stirbt, und
wenn auch unter den tragischsten Ver
Hältnissen, erweckt kein Grauen. Ein
Schlachtfeld ist nicht grauenhaft, Blut
st nicht grauenhaft, die scheußlichsten
Verbrechen sind selten Grauen erregend.
Ich will em Beispiel aus meinem
eigenen Leben anführen, daS mir den
Begriff dieses Wortes unauslöschlich in
die Seele schrieb.
Es war während des Krieges von
870. Wir zogen uns gegen Pont Aude
nier zurück, nachdem wir kurz vorher
Rouen verlassen hatten. D,e Armee.
ungefähr 20.000 Mann stark 20.000
Mann im Rückzüge begriffen, dcmorali-
!irt, aufgelöst, erschöpft, sollte sich bei
Havre wieder sammeln.
Die Erde war mit Schnee bedeckt. Die
Nacht brach herein. Man hatte seit
gestern nichts gegessen. Man flüchtete in
Eile die Preußen waren nicht weit
entfernt.
Ueber der weiten eintönigen Land
chaft der Normandie, unterbrochen nur
hie und da von den Schatten der Bäume,
die die einzelnen Bauernhöfe umgaben,
wölbte sich ein schwarzer, schwerer.
unheimlicher Himmel.
Man hörte im trüben Schimmer der
Dämmerung nichts als das verworrene,
dumpfe und doch über alle Maßen laute
Getöse der marschirenden Truppen: ein
endloses Gestampfe, vermischt mit dem
Geklapper der Blechdosen und dem Ge- i
rassel der Säbel. Tie Mannschaft ge.
beugt, gebückt, schmukiig. oft sogar ur
lumpt, schleppte sich fort im Schnee mit
langen, müden chritten.
Tie Haut der Hände fror an die Ko
den der Gewehre, denn es war entsetzlich
kalt in jener Nacht. Oft sah ich. wie
ein armer Teuf.'l seine schuhe auszog
um barfuß zu gehen, so sehr schmerzte
daS schuhwerk: und m jedem Fußstap.
fen ließ er Blutfpuren zurück. Tann
nach kurzer Zeit, fetzte er sich, um für
einige Minute auszuruhen er erhob
sich nie wieder! Jeder, der sich fetzte
war ein dem Tode geweihter Mann.
Wie viele dieser armen, erschöpften
Soldaten haben wir hinter uns zurück
gelassen! Sie hofften Alle, wieder nach
zukommen, sie wollten nur ihre steifen
Glieder etwas ausruhen! Doch kaum
hörten sie auf. sich zu bewegen, schien
auch daS beinahe erfrorene Blut in ihren
Adern zu stocken und eine unüberwind
liche Müdigkeit nagelte sie an die Erde
fest,' schloß ihnen die Augen, lähmte in
einer Secunde dielen uverarveneten
menschlichen Mechanismus. Und sie
sanken m sich'zusammen, die Stirn au
den Knieen, ohne jedoch zur Erde fallen
zu können, denn ihre Rücken, ihre Glie
der wurden bewegungslos, hart wie
Holz, unmöglich, sich zu biegen oder zu
strecken.
Und wir Anderen, widerstandSsäh
ger, wir gingen weiter. Obgleich gefro
ren bis in'S Mark, niedergebeugt von
Gram und Verzweiflung, und gelähm
insbesondere von dem abscheulichen G?
fühl der Hülflosigkeit, deS Elendes, des
Todes, deS Nichts, trieb unS eine
gehklmnißvolle Macht weiter, welter
hinaus in diese Nacht, diesen Schnee,
in dieses kalte, todtbringende Eisfeld
Ta bemerkte ich zwei Gendarmen
welcheeinen kleinen, sonderbar aussehen
den Mann am Arme hielten alt,
ohne Bart, von wirklich befremdendem
Aussehen, sie suchten einen Offizier,
da sie glaubten, einen Spion gefaßt zu
haben.
Tas Wort Spion" verbreitete sich wie
'ein Lauffeuer unter den Leuten und man
umringte sofort den Gefangenen. Eine
tlmme rief:
Schießt ihn nieder!"
Und diese Soldaten, welche vor 6r
mattung beinahe umfielen, welche sich
nur aufrecht halten konnten, indem sie
sich auf ihre Gewehre stutzten, überkam
plötzlich jene unbändige, bestialische
Wuth, die, die Menge zum Gemetzel
treibt.
Ich wollte sprechen, ich war damals
Bataillonschef. aber man hörte nich
mehr auf den Vorgesetzten, -t man hätte
mich selbst erschofien.
Einer der Gendarmen sagte mir
Schon seit drei Tagen folgt er uns,
Er fragt Jedermann um Auskunft über
die Artillerie." . J
Ich versuchte dieses Wesen auszufra
gen:
Was macht Ihr? Was wollt Ihr?
Warum folgt Ihr der Armee?" ,
Er stotterte einige Worte in einem
unverständlichen PatoiS.
ES war wirklich eine seltsame Erschei
nung mit den geraden Schultern, tücki
chen Augen, und so verwirrt, daß ich in
der That selbst nicht mehr zweifelte, daß
s ein Spion sei. Er schien sehr alt und
chwächlich zu sein. Er konnte mir nicht
gerade in die Augen sehen, zeigte eine
untcrwurngeMlene. mit halb dummem.
halb listigem Ausdruck.
Die Leute um uns riefen:
An die Mauer! An die Mauer!"
Ich fragte die Gendarmen:
Bürgen Sie für , den Gefangen
nen , 7
Ich hatte noch nicht ausgesprochen, als
ein fürchterlicher stoß miai niederwarf.
und einen Augenblick später sah ich. wie
die Wüthenden den Mann erfaßten, zu
oven warfen, wie fie aus ihm herum
traten, ihn auf dem Wege hin und her
rrtcn und an einen Baum warfen.
Mehr todt als lebendig fiel er in den
Schnee.
Und sofort wurde er erschossen. Die
Soldaten feuerten, luden von Neuem
und schössen wieder und wieder mit
thierischer Wuth. Sie schlugen auf em
ander los, um zuerst an die Reihe zu
lommen, gingen um die eiche herum.
wie man um einen Sarg geht, den man
mit geheiligtem Wasser besprengt, und
chosscn immer und immer wieder.
Aber plötzlich ertönte der Ruf:
Tie Preußen! Tie Preußen!"
, Von allen Richtungen hörte ich das
ungeheure Getöse einer vom Schrecken
erfaßten Armee in wilder, verzweifelter
Flucht.
Die Furcht hatte auch die Schießenden
gepackt und auch sie versuchten sich zu ret
ten und verschwanden im Dunkel der
Nacht.
Ich allein blieb bei der Leiche und den
zwei Gendarmen, die ihr Pflichtgefühl
zurückhalten schien.
Sie hoben dies zerschlagene, zerfetzte.
blutende Stück Fleisch auf.
Man niuß ihn untersuchen." befahl
ich und gab ihnen eine Schachtel Streich
Hölzer, die ich in dcrTasche hatte. Eincr
der Soldaten leuchtete dem andern. Ich
and zwischen Beiden.
Ter Gendarm, der den Körper unter
uchte, sagte:
Bekleidet mu blauer Blouse, weißem
Hemd. Hosen und Schuhen."
Tas erste Stretchholz war erloschen.
Man zündete ein zweites an. Ter
Mann fuhr fort, indem er die Taschen
ausleerte:
..Ein Messer, ein karrirtcs Taschen
tuch. eine Tabaksdose. Bindfaden, ein
Stück Brot."
Tas zweite Streichholz erlosch. Man
zündete das dritte an. Ter Gendarm,
nachdem er lange die Kleider uutcrsucht
halte, erklärte:
.TaS ift Alles."
.Zieht ihn aus." erwiderte ich.
Wir finden vielleicht etwas am nackten
Körper."
Und damit beide Gendarmen zu glei
cher Zeit Hand anlegen tonnten, keuch
tett ich ihnen selbst.
Ich sah im flackernden, rasch wieder
erlöschenden Licht der Streichhölzer ein
Kleidungsstück nach dem anderen aus
ziehen und diese blutende, todte, aber
noch warme Masse entblößen:
Und plötzlich hörte ich Einen der
Zwei stammeln:
.Mein Gott, Major. es ist eine
Frau!"
Ich vermag Ihnen nicht zu beschrci
den. welch unheimliches Gefühl mein
Herz durchbohrte. Ich konnte es nicht
glauben und kniete nieder in dem
Schnee vor dieser formlosen Gestalt,
um zu sehen eS war eine Frau!
Tie zwei Gendarmen, ganz betroffen,
warteten, daß ich etwas äußere. Aber
ich wußte nicht, was zu sagen, was zu
vermuthen.
Ta sprach der Eine langsam:
.Vielleicht suchte sie ihr Kind. daS bei
der Artillerie diente, und von welchem
sie keine Nachricht hatte."
Und der Andere antwortete:
Vielleicht ja schon möglich."
Und ich. der ich gewiß schon entsed
liche Tinge gesehen hatte ich weinte!
Ur,d fühlte ange ichtS dieser Todten, in
dieser eiskalten Nacht, in Mitten dieser
öden, dunklen, endlosen Ebene, vor '
diesem Geheimniß, vor dieser ermorde
ten Unbekannten die Bedeutung des'
Wortes :.Grauenhaft".
TaS ist, was uns neulich General G.
erzählte.
Die That eines Bernhardiner
Hundes.
Ansän Avril wütbete in maritim
Gegenden Böhmens heftiges Schnee
treiben. In einem solchen bat sich nun
folgender Vorfall abaesvielt: Der Be.
zirksarzt auf dem Hradschin zu Prag
Tr. B. Blusilcek kaufte vor etwa eben
Monaten einen reinblütigen jungen
ernyarvlnervund. In der Nacht vom
Freitag zum Samstag wüthete in Prag
ein furchtbarer Schneesturm. -Der
Hund, der zwar erst neun Monate alt. .
aber ungewöhnlich groß und entwickelt
ift. äußerte in den Abendstunden große
Unruhe, und ie bektiaer der Sturm
wüthete, desto größer wurde die Unruhe
des Hundes, der sich nicht von der Thür
rührte. Tr. Klufäcek glaubte, der
öund warte auf den amIShnttthen
Abendspaziergang, und ging daher mit
ihm gegen öz Uhr Abends auf die
Gasse. Kaum hatten sie die Thür
chweue überschritten, so ri firf, her
Hund los und lief sammt der Leine in
oer, Aicvtung gegen das ehemalige
Strahöwer Thor. Alles Rufen und
Pfeifen blieb vergebens, der Sunh rnnr
und blieb verschwunden. Herr Tr.
Klusäcek konnte sich das Beginnen des
onsl so folgsamen Thieres nicht erklü
ren. In Begleitung dreier Personen
begab er sich dann auf die Suche nach
dem Hunde. Im dem sckrecklicken
Schneesturm wateten sie mehr als eine
Stunde lana durch die Sckrncemassen
hinter dem Strahöwer Thore, kehrten
dann aber ermüdet und obne Krkola
zurück. Als sie zur neuen Landwehr
kaserne kamen, vernahmen sie hinter
sich Hundeaebell. und bald haraui
zeigte sich auch der Bernhardiner, der
auf Tr. Klusücek Zueilte, sieb aber
wieder umwandte und heftig bellend in
oer Richtung gegen den ehemaligen
Militärfriedhof lief. Zeitweise blieb
er stehen und- wartete, bis ibn ?v
Klusäce! und dessen Begleiter einhol '
ren. scgiiefziich blieo der Lund bei
treschowiti neben der Strake stkbn.
vrana dort in die aan, ,ermiblt?n
Schneewehen und bellte heftig. Als
i. luiacek und dessen Begleiter zur
Stelle kamen, bot kick ibn?n ! w,
raschendeS Sckausviel. inmitten her
Schneewehen lag ein Mensch halb der
cyunei. er unglückliche wurde so
ort auS seiner schrecklichen Laae hefreit
UNd in das Nächste ras netmnen mn
er von Klusücek nach halbstündiger Be
muyung zum Belvubtsem gebracht
wurde. In dem Manne wurde der
Musikant B. Zelenka aus der PAartn
erkannt, der. des Nachts aus Prag
oeimicyrend, unterwegs von der Straße
abgeirrt und in die tiefen Schneewehen
gestürzt war. wo er sicherlich ,u rund.
gegangen wäre, wenn ihn der Hund
nicyi aufgefunden hätte.
Fleischbeschau d,tT Wilden.
Ein enalischcö Ebevaar unternimm
in einer ercentriscken Laune in, Ris-
nach dem Innern Afrika's. Sie ge
rathen zu den Menschenfressern, werden
gefangen, 'isolirt und scharf beobachtet.
Ter Häuptling läkt kick tüalick 9Wit
erstatten und erführt dabei merkwür.
dige Tinge. Der schlichte Sinn deö
Kannibalen empört sich bei der Mitthci
lung. daß die Frau Abends ihre Zähne,
ihre Haare fortlege und daß ihre ganze
Erscheinung überhaupt auf Täuschung
berechnet sei. .Am ackt,,
der Häuptling die Fremden und eröff
nct ihnen: Ihr wißt, daß Ihr dazu
bestimmt ward, uns al Nakr ,..
dienen. Aber ich will Gnade iwf,
lassen, Ihr sollt nicht aufaeoessen wr.
den. Tu. Mann, bist hei nnh rnrtrtft
wandern, wohin Du willst. Tie Frau
nvcr oicivr vier und wird nach den
sitcnacn Gcsckcir' niifr Pmitvs w,
Nahrungsmittcl.Verfälfchuna bestraft
werden."