V (Dberamtnunns Rnecht. Ttudie von W l h c 1 m Z d) 0 c r. Eines Morgen? hieß e. baß der nrühzug ihn gebracht habe, nämlich QderamtmannS jüngsten Knecht, einen Knaben von vierzehn Jahren, desien Eintreffen der .Alte" im Hinblick auf den wachsenden Leutemangel mit Unge duld erwartet hatte. Nun war er glück lich da. der kleine Ost-Elbier. Und der Oberamtmann, über dessen freund licheS. bartloses Gesicht ein Lächeln deS Wohlbehagens glitt, rieb sich die Hände. .Nur eines soll mich wundern, wie lange wohl diese Nummer vorhalten wird! 'S ist nun der siebente Junge! Sieben ist eine ungerade Zahl." ' Taß der Fremdling, der als Ochsen Inecht fürs Vorwerk bestimmt war. unter dem Tache deS Hofmeisters, fei neS künftigen Pflegevaters und Herrn, nicht auf Rosen gebettet sein würde, wußte ich längst. Freilich, der siebente Junge! Armer kleiner Schelm! Nie hab' ich wie mein stark gläubiger Oberamtmann. bei dem ich die Land wirthschaft erlernte, der Wunderkraft der Zahlen vertraut. Ich pflege allein auf ein ehrliches Gesicht hin Schlüsse ,u ziehen. Und darum nahm . ich den Burschen mit theilnehmender Aufmerk samkeit aufS Korn, sobald er mir Nach mittags beim Pflügen mit seinen Ochsen entgegenkam. Zunächst besah ich ihn mir wie eS der Zufall fügte von der Seite. Ein strammes Bürfchchen. zwar etwas ge 'drungen. aber kräftig gebaut! Dann rief ich ihn an und blickte ihm ins Ge sicht. Ein frisches Antlitz! Zwei hell bewimperte, tiefblaue Augen schauten zu mir auf. Guten Tag. mein Junge!" Strahlend zog er die Mütze vom Kopfe. Du mußt die Leine so fassen!" Wahrend dem drehte ich ihm das Seil um die Hand. 1 ..Dank!" Dem Jungen hätte ich sein Danke" mit einem nicht minder warmherzigen .Ist gern geschehen" gelohnt, wäre nicht der grobschrörige Hofmeister plötz lich wie ein Ungewitter mit der Frage zwischen uns gefahren: Was iS denn nu all wieder los? Hebt der Aerger von vorne an? Der Junge is auch in Allem verdreht! Der Pommer. der fremde Strolch, soll seine Arbiet thun, wie 's hier zu Lande Mode is!" . Da schwoll mir die Zornesader.' Was noch Niemand gewagt haben mochte: meine Worte richteten sich drohend gegen ihn. Schweigen Sie! Ich sage dem Jungen Bescheid!" Dann beugte ich mich über den Pflug und verlängerte die Kette. AIS ich aufsah, blickten mich die Augen des Knaben treuherzig an. Ich 'will'S schon lernen, ich will mir alle Mühe geben!" Eine Blutwelle trieb ihm die Wangenrüthe bis unter das kurz geschorene Blondhaar. Der Hofmeister lachte, doch sein Lachen verzog sich zu staunendem Grin seit, als ich. wenn auch mühsam, so dock freundlichen Tones erklärte: Hören Sie. der Junge will's lernen: Haben Sie Geduld! Hier geb' ich Ihnen einen Thaler!" Dvs Schicksal deS gutwilligen Bur fchen machte mich besorgt. Es that mir weh. ihn so jung von Vater. Mut ter und Geschwistern fern zu wissen. Sechs unglücklichen kleinen Land streichern war schon vom Hofmeister das Fell gegerbt worden. Diesem freundlichen Kinde sollte, nein, durfte kein Leid geschehen. Ich nahm mir vor. um das zu verhindern, meinen ganzen Einfluß geltend zu machen. Bereits Abends brach ich für den neuen Ankömmling eine Lanze, so daß der Oberamtmann schmunzelnd meinte: Da bin ich doch gespannt! Ihr Schütz ling muß ja ein wahrer Ausbund von Tugend lein! In jedem Augenblick kann er kommen, denn ich habe ihn hierher bestellt. Ä)er Junge soll mir seine Papiere bringen." Kaum warm diese Worte gesprochen, als nach einem lauten Herein!" die Person meiner Sorge zwischen Thür und Angel sichtbar wurde. Komm näher. Junge!" Der Alte", dessen hohe Gestalt vor dem Schreib tische stand, hielt die Lampe empor. Komm näher-fo!Du schaust gerade in die Welt, Ludwig Saberski!" Während dem klopfte er ihm wohlwol lend die Wangen. Wenn's so in Deinem Herzen aussieht, werden wir gute Freunde sein. Wo wo haft Du die Papiere?" i Hier! und Vater läßt Sie viel mals grüßen!" Staunend lasen die Augen des OberamtmannS in den Zügen deS fremden KindeS. Auch er hatte ja einen Sohn ein Kind! Du hast wohl einen guten Vater?" Ja. und eine Mutter! Die hat ge weint, als ich ging. Aber ich ach was! ich hab' nicht in der Stadt blei ben wollet. Auch ist'S den Eltern lieber fo. Wir sind ja vom Lande! Und bei den vielen Kindern Vater verdient in der Fabrik mehr!" So, in der Fabrik verdienen!" Mißtrauisch lugten die kleinen grauen Augen deS OberamtmanneS zu mir herüber. Wenn Du bei uns ausge lernt und Dich gekräftigt hast, willst Du wohl auch in die Fabrik?" Nein, ich bleibe beim Herrn, und wenn der Herr mich behalten will , immer!" 'derMenfchensi'ächt durch die Straßen Du Jahrgang 20. AuS den Auaen deS autbeniaen Mannes brach ein heller Strahl. Mordsiunae. Tu! Vorläuna aut. wir werden ja sehen!" nun gieb mir die Hand! Hau Tlcy lapseri" Ludwig SaberSki machte Kehrt. Die Thür schloß sich hinter ihm. Tonnerwetter noch 'mal! Wenn der Hofmeister, der schändliche Kerl, mir auch diesen Jungen verdirbt, 'runter mit ihm vom Hofe! Heute heute noch soll er'S zu hören bekommen!" Damals dem guten Alten ich hätte ibm die Rechte schütteln mögen wieder und immer wieder. Die Zeit vergeht, zumal wenn )t arbeitsreich ist. schnell. Meine Tage aus dem eichenbeschatteten GutShofe waren gezählt. Ter letzte Tag kam und mit ihm der letzte Austrag, oen icg im Namen deS OberamtmannS ausm führen hatte. Er galt unserem Stadt buben, der während der vernonenen Wochen ein wackerer Bauernbub' gewor den war. D Hofmeister und sein träaes. mü rischeS Weib', dem selber Kinder fehl ten, hatten zwar hin und wieder über den Jungen, der'S viel zu gut bei ihnen habe, gebrummt, aver aus urcgt vor dem Gutsherrn eS nie gewagt, ihm grundlos etwas am Zeuge zu flicken. In gehobenster Stimmung über mein Gott und Menschen wohlgefälliges Merk ftavfte ick durch den Wald. Gleich hinter ihm fand ich meinen Schützling beim Dungfahren allein be schästlgt. Sckon von weitem grüßte er. da er mich nahen sah Ludwig," hub ich an. ich gehe nun kort. Aber uvor komme ich. Dir ü sagen, daß der Herr Oberamtmann mir versprochen hat. Dich über's Jahr auf das Hauptgut zu nehmen. Dann sollst Du nicht mehr mit Ochsen, dann sollst Du mit Pferden ackern. Hälft Du'Dich gut, so wird der Herr Dich zum Kutscher machen. Und später, wenn Du einen kluaen Kovf hast, kannst Du auch Hofmeister werden. Dicke Freudenthränen drangen oem Jungen während meiner verheißungs vollen Worte in die Auaen. Ich will mir alle Mühe geben!" Das erwarte ich von Dir. und yan Du einmal tu kluaen. so aeü zum Herrn. aber beklag Dich nicht bei den Knechten. Unter ihnen ist manch einer, oer die Prügel, die der Hofmeister austheilte, verdient haben mag. Versprichst Du mir das?" Die breite, schwielige Rechte des Bur schen lag kurz in der meinen. Leb'' wohl. Ludwig Saberski!" Er stand wie gebannt. Noch einmal, - während ich ging, sah ich mich nach ihm um und nickte. Da sckwana er die Peitsche. Ein lau ter. weithin schallender Jauchzer erfüllte die Luft. Dreimal zwölf Monde! Und ein jedes Jahr grub mit rauher Hand seine Zei chen tief in meine zuckende Seele. Der Schluß deS ersten Jahres brachte mir die Nachricht vom plötzlichen Ableben des OberamtmanneS. der Anfang deS zweiten den Kummer, ihm infolge an derer Pflichten das letzte Geleit nicht ge ben zu können, und endlich der Schluß des dritten, den. der mich beinahe am tiefsten schmerzte. Ich hatte die Einladung angenom men. Der Sohn des OberamtmannS empfing mich an der Bahn und fuhr mich im schnellsten Trabe bei Lebzei ten des Alten hatten die Pferde zur Ab kühlung kurz vor dem Hofe stets Schritt gehen müssen bis dicht vor's Haus. Hier begrüßte mich sein Weib. Und mit dem ersten Blick übersah ich's: ein reiches, vornehmes Modepüppchen aus der Stadt, das Kleid von Seide. Bril lanten an Ohren und Fingern. Eber hardt sprach in dem Tone jener Herren, die nach zurückgelegter militärischer Dienstzeit mit Vorliebe den Reserve leutnant markiren. Welch' anderer Geist war in's Haus meines schlichten, menschenfreundlichen Obermann's ge zogen! In strammer Haltung empfin gen Hofmeister und Knechte Eberhard's scharfe, kurz gehaltene Befehle. Abends saßen wir vor der Thür bei sammen. Da faßte ich mir ein Herz und that die Frage, die mir wie Feuer auf der Seele brannte. Gnädige Frau, was macht Ludwig?" Ludwig? Wen wen meinen Sie?" Nun, Ludwig Saberski!" Sa Saberski? Hab' ich nie ge hört!" DaS ist der Kleinknecht, den Ihr Herr Schwiegervater " Kleinknecht! Ja. aber, mein Lie ber.' glauben Sie denn, daß ich mich um meines Mannes Knechte quäle? Genug, wenn die Mamsell mir ihren Aerger um die Mägde klagt!" So ah. so Verzeihung!" Ter Athem ging mir schneller. Eberhard, welche auch Skandinavier. Deutsche SnmiagsgG. Beilage zum Nebraska Staats-Anzeiger. erinnerst Tu Tich nicht des freundlichen Burschen, ben Tein Vater fo h,ch hielt, daß " Allerdings, mit Ludwig Saberski kannst Du Wiedersehen feiern!" fiel der Hausherr mir schnarrend in die Rede. Dreistes, unverschämtes Subjckt! Aber, daß mein Vater von ihm gehal ten hätte. kolossal! Aeh erinnere mich flüchtig: bald nach Vaters Tode war er 'mal da. beschwerte sich über den Hofmeister. Hinaus aus der Stube geflogen ist er! Fehlte nicht diel so hätte ich ihm mit der Reitpeitsche ein? vor die Hosen verfetzt! Doch zu Be fehl. gern lass' ich ihn holen!" Hier jetzt? Nein!" entgegnete ich. auf's höchste erregt. Mensch Men schenkind, waS hast Du aus meinem, aus Deines VaterS Schützling gemacht?" Nichts, tein Gefühl der Schonung, hielt mich davon zurück, ihr wie ihm meine Meinung zu sagen. Allmählich erfuhr ich, daß Ludwig, seit man die Ländereien des Vorwerks in Weide gelegt hatte, als Pferdeknecht auf dem Haupthofe diente. Im Stalle fei er derjenige, der die anderen Leute rebellisch mache. Als Busenfreund habe er Schäfers Max, einen finstern, heim tückischen und unheimlichen Gesellen. Was nützte mir alles Reden! Wir drei verstanden uns nicht. Besser machen? Ja. besser machen! Aber Ludwig ging mir scheu aus dem Wege, als ich am folgenden Morgen Miene machte, ihn. da er die Pferde über den Hof führte, anzureden. Mittags glückte eS mir. Ich Über raschte ihn im Stalle. Bei meinem Eintritte sprang er vom Strohlager auf. Dunkle Röthe überzog sein hübsches Ge sicht, in dem mir nur eines fremd war, der trotzige, unschöne Zug um die Lip pen. Ludwig, na. wie geht es Dir?" Da zog er die Hände langsam aus den Hosentaschen, in die er sie lrampf haft vergraben hatte. Junge, nun nun gieb mir Rechen fchaft!" Zum ersten Mal traf sein Blick den meinen, doch es war ein Blick, der mir sagen sollte: WaS willst Du von mir? Woher nimmst Du Dir das Recht, mich so was zu fragen?" Ludwig." begann ich gleich uner bittlich. als ich damals zu .Dir kam. um Abschied zu nehmen, bersprachst'Du mir. Dich gut zu halten." Versprechen versprechen? Ja, der sprachen hat man mir genug, gehalten gar nichts! Kaum war der Alte todt ging's los! Erst ertrug ich's lamms geduldig. Dann wollt' ich mich be klagen beim Herrn! Aber der: Lüg ner!" schrie er, drohte, mich zu prügeln und und Schläge kriegt' ich schon ge nug! Geflucht, gebissen und um mich geschlagen hab' ich o. so 'ne Wuth! bis der Hofmeister mürbe war und nein, ich nicht! Unter die Leute gebracht hab' ich 's und zum Schäfer! Wär' ich klug gewesen, so hätt' ich 's nicht er tragen 'Aber aber der todte Herr! Ich konnte nicht fort! Ich weiß nicht warum, Jch-blieb!" , Ludwig!" Beide Hände hielt ich ihm da entgegen, doch er stieß sie von sich, rauh, lachend, wild. Ludwig!" Noch einmal bat ich ihn dringend. Ich machte ihm keine Vorwürfe. Ich be schwor ihn nur. sich zu ändern, wieder der alte freundliche Bursche zu werden. Achselzuckend wandte er sich ab. klopfte seinen Schimmel und pfiff ein Lied. Entmuthigt ging ich. dabei trotzdem gewillt, mein Heil von neuem bei ihm zu versuchen. Am anderen Morgen war er fort und fort mit ihm sein Freund, der Schäfer. Mein Schrecken war groß. Ich be stürmte den Erben des verstorbenen alten Freundes: Der Mensch geht unter! Laß ihn zurückbringen! Benach richtige die Polizei!" Will mich schwer hüten! Viel Scheererei und wenig Wolle!" - Und dabei blieb es. Seitdem vergingen Jahre. Das Haus in der Heine sah ich nicht wieder. Die Gedanken an unliebsame Menschen soll man aus der Seele thun. An Lud wig Saberski dachte ich oft Und dann kam ein Tag. an dem ich unter einem gedämpften Aufschrei wie der und wieder in die Zeitung starrte. Raubmord auf der Heer straße bei Morgengrauen ster bend fanden.. .. Thäter vom Opfer erkannt Ludwig Saberski nicht ge ständig." , Vor meinen Blicken tanzten die Buchstaben. Die einzenen Gegenstände im Zimmer wichen von ihrem Platze. Saberski Ludwig Saberski!" Zit ternd griffen die Hände gegen die heiß brennende Stirn. Grundaiitiger Him mel, das war ja nein! i3"af best: Am 13. Mai durch. Schon ein paar Stunden spater be fand ich mich auf der Bahn. Durch einen mir befreundeten Herrn unter den Stadtvätern erreichte ich den Zutritt zum Gefängnisse, in dem Saberski. mein Ludwig SaberSki, waS ich vorher genau in Erfahrung ge bracht hatte, als Mörder, als leug nender. steckte. Als ich die Zelle betrat, hockte er da, ein graues Häuflein ErdenjammerS, den Kopf dicht über die Kniee gebeugt. Wie ein scharf geschliffener Stahl schnitt mir der. Anblick ins Herz. Leise nannte ich seinen Namen. ' Da jlrhob er sich mühsam. Sein einst s frisches Gesicht war bleich. Wankenden Ganges erreichte er mich. Ich ich bin" neben mir glitt er zu Boden .Z ' . Meine Hand half ihm auf. Langsam geleitete! ich ihn bis an die Bank. Jammernd ließ er sich vor mir nieder und barg sein Haupt ganz fest in mei nen Schooß. WaS ich ihm damals gesagt habe? Heute ich erinnere mich dessen nicht mehr. WaS ich behalten habe, das ist die ganze traurige Geschichte eines der fehlten,' jungen Lebens. Mit dem Schäfeß auf und davon! Mit dem Schäfer in neue Dienste getreten! Durch ihn immer weiter auf Abwege gerathen.! Und da da war's geschehen bei Vater und bei Muttrr! duich den andern und nicht durch, ihn! Ludwig SaberSki hatte deu Mörder an der That hindern wollen. Aber unsägliches Ver hängniß! Ter Sterbende hatte in ihm seinen Mörder zu sehen erklärt. Kein Ausweg, keine Rettung! Niemand, der den Worten deS Verzweifelnden Elau ben schenkte. ' Ich streichelte dem Unglücklichen wie einem Kinde die Hand. Da drückte er mir die Rechte, führte sie, bevor ich ihn daran hindern konnte, gegen die Lippen und schluchzte herz brechend: Herr, großer Gott Sie glauben mir?" Jch-glaube!" - ' AlleS umsonst. Optimist und Schwärmer bin ich genannt worden. Die Richter sie haben sich von der Unschuld des Berurtheilten nicht über zeugen lassen. Die letzte Vergangenheit ist wider ihn aufgestanden und mit ihr das furchtbar folgenschwere Wort des Todten: Er ist's!" Und dann, schon wenige Monde spä ter, in der Frühe vor Sonnenauf gang, da haben sie ihn hinausge führt.... Schuldig wer? Unseliger Mann, vergieb! Archibald Korbes beim Einzugs der deutschen Truppen in Paris. Der jetzt verstorbene englische Kriegs korrespondent Archibald Forbes, der bekanntlich ein wahrer Meister in fei nein Berufe war, wohnte als Bericht erstatter der 'Londoner Daily News" dem Einniarsch des siegreichen deutschen Heeres in Paris bei und hatte an jenem denkwürdigen Tage ein Abenteuer zu bestehen, das ihm fast das Leben ge kostet hätte. Nach seiner packenden und anschaulichen Weise schildert er seine Erlebnisse am 1. März 1871 sowohl im zweiten Bande seines Buches My Experiences k the "War between France andGermany", wie in feinen Memories and Studies of War and peace". Als ForbeS während' deS Einzuges der deutschen Truppen in die französi sche Hauptstadt die Champs . Elysees entlang ging ritt an ihm der Krön Prinz von Sachsen mit seinem Stäbe vorbei. Der englische Kriegsberichter statier war viele Wochen hindurch sein Gast gewesen und grüßte deshalb selbst verständlich den deutschen Feldherrn, der ihn zu sich heranwinkte, ihm zum Gegengruß die Hand schüttelte und einige Worte mit ihm wechselte. Es fehlte jedoch nicht viel, so wäre ihm diese Auszeichnung seitens des Kronprinzen theuer zu stehen bekommen. Der Vorgang war natürlich nicht un bemerkt geblieben, um so weniger, da ihm der Adjutant seines hohen Gönners in dessen Auftrage noch eine Mitthei lung machte. Bald sah er sich von einer wüthenden Menge umringt, die ihn für einen Spion hielt und nicht allein mit Drohungen und Schmähun gen überschüttete, fondern auch auf schlimmere Weise mißhandelte, nach dem sie ihn aus dem Bereich der deut fchen Truppen geschleppt hatte. Man riß ihm buchstäblich die Kleider vom Leibe und bearbeitete ihn mit Fäusten und Füßen. Er wehrte sich, so gut er konnte, hielt sich jedoch für verloren, als der Ruf ertönte: In die Seine mit ihm!" Vergebens wandte er sich an nennungsdelret noch nicht. No. 7,2. einen Offizier der Nationalgarde um Schutz gegen den rasenden Mob; der uniformirte Herr lachte ihn aus und kehrte ihm den Rücken zu. Ter englische Korrespondent wurde jetzt zu Boden ge morsen und über das Straßenpflaster geschleift. Sein Leben verdankte er wohl nur einer Abtheilung National gardisten. die ihn mit ihren Bajonnet ten aus den Händen der Straßenhelden befreiten und zur Sicherheit nach der nächsten Polizeiwache geleiteten. ForbeS kam hier in einem bejam mernSmerthen Zustande an: blutend und mit zerrissenen Kleidern. In der Gesellschaft einer betrunkenen Frauens Person, eines Blusenmannes, der eineS DiebstahlS beschuldigt wurde, und eineS Individuums, das angeblich emem deut fchen Soldaten einige Cigarren ver kauft hatte, konnte er über fein Schicksal nachdenken. Am unangenehmsten war ihm der Verlust feines Notizbuches, in welchem er seine Beobachtungen beim Einmarsch deS deutschen Heeres verzeich net hatte. Plötzlich stürzte Jemand mit dem triumphirenden Rufe: Hier haben wir den Beweis, daß der Gefangene ein schändlicher Spion ist!" in die Polizei wache, mit dem Notizbuch des Bericht erstatters in der einen Hand und dem unteren Theile eines RockeS in der ande ren. Forbes hätte den Patrioten" umarmen mögen und bot ihm in der Freude seines Herzens ein Fünffranken stück an, das auch von Jenem nicht aus geschlagen wurde. Unter der Eskorte einer Abtheilung Nationalgardisten mit aufgepflanztem Seitengewehr führte man dann den vermeintlichen Spion durch mehrere Straßen nu. dem Bureau eines richter lichen Beamten, der ihn sofort in Frei- heit setzte, nachdem er mit Hilfe seiner Schwester, die der englischen Sprache mächtig war, die Echtheit der ihm vor gelegten Legitimationspapiere über allen Zweifel festgestellt hatte. Er borgte dem fremden Berichterstatter sogar einen alten Rock, und seine Menschenfreund liche Schwester wies ihm ein Zimmer an, in welchem er sich vom Blut und Straßenschmutz reinigen konnte. Da draußen die Menge noch immer wüthend nach dem Verräther" schrie, so geleitete die menschenfreundliche französische Dame Forbes persönlich durch eine Sei tethür nach seinem nahegelegenen Ho tel. wo er sich für ihre Güte revanchiren konnte. Unterwegs hatte sie ihm ge klagt, daß sie mit ihrem Bruder, der seit einem halben Jahre keinen Franken Gehalt gezogen habe, während der schwe ren Zeit der nun ja erst beendeten Be lagerung fast verhungert sei. Der Ver treter der Daily Nvs" gehörte mit zu den offiziellen Spendern des söge nannten dcra angalais", von wel chem ein Theil in seinem Hotel aufge speichert war, und ließ nun für seine hilfsbereite Beschützten einen großen Korb mit Lebensmitteln vollpacken, aus welchem unter anderen begehrenswer then Dingen eine Hammelkeule, Ge flügel. ein Laib Brot und Gemüse her vorblickte. Beim ungewohnten Anblick dieser Herrlichkeiten war die vor Ent behrungen völlig erschöpfte Pariserin einer Ohnmacht nahe; erst ein Thränen- flrom oer freudigsten lleberraschung verschaffte ihr Erleichterung. Nachdem Forbes sich umgekleidet am, oegao er nq wieder nach dem Konkordienplatz. wo ihm die Lage dro hend erschien, da der Pöbel die Geduld der Baiern auf eine harte Probe stellte. Von dort eilte der englische Berichte? statter nach der Madeleine, wo ein Hundekarren, vor welchen ein kräftiges Pferd gespannt war. auf ihn wartete. Vor sechs Uhr mußte er sich außerhalb des Weichbildes von Paris befinden. Es wurde deshalb in scharfem Trab ge fahren, aber der, Kutscher wurde aus Angst vor den Drohungen und Ver wünschungen, welche die argwöhnische Menge dem seltsamen Gefährt nach sandte, schließlich so ängstlich und nervös, daß Forbes es für gerathen hielt, selbst die Zügel in die Hand zu nehmen. Ein Preuße! Ein Preuße! Nieder mit dem Preußen!" scholl es gellend aus vielen Kehlen hin ter ihm her bis er glücklich durch das geöffnete Thor von St. Ouen in's Freie gelangte und Margency erreichte, von wo er dank der freundlichen Er laubniß des Generals von Schlottheim den Telegraphen des dortigen Haupt quartiers benutzen durfte. Ohne einen Augenblick zu verlieren, jagte Forbes dann nach St. Tenis. um den Zug nicht zu verpassen, der um 9 Uhr von Paris nach Calais abging. Er schrieb beständig im Eisenbahnwagen und in dem für ihn gecharterten Dampf schiff, das ihn über den Kanal brachte. In der Frühe des folgenden Tages kam er in den Redaktionsräumen der Daily News" mit seinem ausführlichen Bericht über den Einmarsch des siegreichen deut schen Heeres in die französische Haupt, stadt und über seine persönlichen aden- I abwartend vergalten, aver plogiicy ram i teuerlichen Erlebnisse deS vorausgegan genen TageS an. Für diesen Bericht wurde iofori eine zweite Auslage der Zeitung gedruckt, die gegen 8 Ubr Mor zenS in den Straßen London! ausze rufen werden konnte. Uebermüde von den fast Übermensch liche Anstrengungen der letzten Tage, legte Forbes sich im Zimmer des Her ausgeder! der Taily New," auf den Boden nieder und schlief bis zum Abend. Tann kehrte er nach Paris zurück. iit Vntfttyung der Rull. Tie Annehmlichkeit der Tezimalrech nung ist jedem Einzelnen bekannt, und der kleinste Schuljunge weiß eZ schon zu schätzen, wenn in seiner Rechenaufgabe recht viele Nullen vorkommen. Man wird sich daher vielfach in dem Glauben befinden, daß eine fo bequeme Einrich tung im Zahlensystem von ältester Zeit an bestanden haben müsse, und doch ist diese Meinung durchaus falsch. Die Alten kannten natürlich ebensogut wie wir eine Zahl zehn" und eine Zahl hundert", aber sie kannten nicht die Null, und daher konnten sie aucheinen Gebrauch von der Dezimalrechnung machen. So erstaunlich es uns, die wir an diesen wichtigen Bestandtheil unserer Ziffern gewöhnt find, erscheinen mag, so ist die Null doch eine verhält nißmüßig neue Erfindung, wenigstens für die europäische Kultur. Das philo sophische Genie der Hindus in Indien, vielleicht befruchtet von der kaufmän nifchen Veranlagung der Chinesen, ver fiel zuerst darauf, ein Zeichen für das Nichts, für das. was nicht exiftirt zu er finden. Bei den genannten beiden Völ kern findet sich in dem 6. Jahrhundert n. Chr. die erste Erwähnung eines be stimmten Zeichens zum Ausdruck der Dezimalordnung, und schon jene erste Null hatte eine runde Form, die an unser heutiges Schriftzeichen erinnert. Durch die großartigen 'Seereisen der Araber nach Indien und bis nach China wurde die neue und praktische Einrichtung nach dem Westen verpflanzt und mag im 11. oder 12. Jahrhundert zuerst nach Europa gekommen sein. Vor dieser Zeit war eS also ganz un möglich, ein Dezimalsystem auSzurech nen, und damals konnte man auf die Eintheilung der Längenmaße nach dem Muster unseres Meters oder nach der Eintheilung der Gewichtsmaße nach dem Muster des Kilogramms nicht ver fallen. Es dauerte auch noch eine ge räume Zeit, ehe man diese wichtige Consequenz aus dem Besitz der Null zog, denn erst im Jahre 1670 soll ein bekannter Astronom aus Lyon, NamenS Mouton. zum erstenmal auf die großen Vortheile der Dezimaltheilung hinge wiesen haben. Jetzt ist diese bereits so populär geworden, daß sie sich unzwek felhaft binnen kurzer Zeit diejenigen Länder der bewohnten Erde, wo sie bis her noch nicht angenommen war, er obern wird. Wenn dann auf der gan zen Welt nach Zehnern, Hunderten und Tausenden gemessen werden wird, dann ist es wohl auch an der Zeit, die Ge schichte der Null zu schreiben, dieses eigenartigen Zahlzeichens, das gerade dadurch weltbeherrschend geworden ist, weil es eine Bezeichnung für das Nichts bedeutet. Die Ldyffee ei Pariser Straften jungen. , Der 16jährige Tischlerlehrling Niko laus Roucamps stand eines ÄbendS, als er aus der Werkstätte in die Woh nung seiner Eltern heimkehrte, vor dem offenen Laden eines Obsthändlers und bewunderte eine Ananas. Plötzlich überkam ihn ein unbezwingliches Ver langen, mit allen Zähnen in die schöne, goldfchimmcrnde Frucht hineinzubeißen und er nahm die Ananas. Zum Un glück hatte ihn ein Schutzmann beobach tet, der ihn auch sofort verhaftete. Jung-Nikolaus wurde zu drei Monaten Gefängniß verurtheilt. Ein ander Mal hatte er an einem Sonntag mit drei Kameraden zu lange getrunken, sie der säumten den Zug. Auf der Straße sahen die Burschen einen Gemüsewagen ohne Kutscher, bestiegen in ihrer Wein laune das Gefährte, um nach dem äch sten Bahnhof zu fahren. Ein Gendarm hielt sie an, führte sie zur Polizei und da Nikolaus schon eine Ananas gestoh len hatte, nahm das Gericht versuchten Diebstahl an und verurtheilte ihn zu zwei Monaten Gefängniß. Zum drit ten Male begegnete Nikolaus einem Zellengenossen feiner letzten Strafhaft, der ihm einen Einbruch in einer Kirche vorschlug. Nikolaus lehnte ab, wurde aber gleichwohl einige Tage darauf auf Anzeige seines ertappten und verhaf teten Kameraden wieder verhaftet. Alle Unfchuldsbetheuerungen des zweimal Vorbestraften blieben vergeblich. Niko laus wurde zu acht Jahren Bagno ver urtheilt und nach Guyana transportirt. Tort aber überkam ihn die Sehnsucht, noch einmal seine Eltern und seine Schwester zu sehen, er flüchtete auf einem englischen Packetboot und kam nach Paris. Tiefes Mal war NikolquS für immer nach Guyana verbannt, wenn die Polizei ihn erkannte. Zwölf Tage wurde Nikolaus im Elternhause verborgen gehalten. Dann übergab er seinem Vater die ersparten 800 Francs, nahm von den Seinen Abschied für immer und stellte sich dem Polizeiprä' sidcntcn. Diese Geschichte rührte selbst die Herzen der alten Kriminalisten. Man hat Nikolaus nicht inö Gefängniß geschickt, sondern ihn als Schreiber einst weilen im Polizeipräsidium intcrnirt bis zu seiner Begnadigung. wniup