Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, May 17, 1900, Image 10

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    Das Glück von 21Iona:o.
Erzählung aui der teqknwart. Von
Her
verl van w i n o e n.
So ahnungslos wie jener Mann, der
nach cricko ging und unter die Ran
der fiel, m ich an einem angenehm
warmen Märzmorgen. von Mentcme
kommend, in Monte Curlo ein. Ta
erging es mir wie so unendlich dielen
andern, die Geldgier oder Leichtnnn
. oder Harmlosigkeit in das große Neg
treibt, das an der allcrgiinftigsten
Stelle der schönen Riviera für die Gim
vel beider Welten aufgeftcllt ist. Ein
angenehmer ElückZfall hatte mir er
laubt. nach mehreren Jahren sehr ange
ftrengter und nervenzerreibender Arbeit
einen ganzen Winter in Italien zu vev
bringen. Sizilien, Neapel. Rom.
Florenz? Und nun. da die Sehnsucht
nach dem deutschen ftrühling mich mäch
tig zurückzog, zum schönen Beschluß von
Genua aus die Fußwanderung mit
leichtem Gepäck, aber leidlich gefülltem
Beutel und aller Sorgen ledig, m ge
muthlichem Bummeltempo die Riviera
entlang.
In Monte Carlo wollte ich natürlich
nicht spielen. Nur einmal iu die Spiel
Hölle hineingehen.
.So was muß man gesehen haben."
Denn so einen Schnack oder irgend ein
Sprichwort hat man ja immer zur
Hand, wenn man einen Unftnn machen
will. Außerdem: Mich kriegt die Bank
nicht; ich sehe mir ja nur den Scherz
an, spielen thu' ich überhaupt nicht
und wenn ich schon spiele ich bin ja so
kaltblütig."
Und so weiter.
Ich war also im Kasino. Mir im
ponirte die Sache ganz und gar nicht.
Die hohen Säle mögen ja prächtig aus
gestattet fein, mir machten sie einen
öden und gleichgültigen Eindruck. Die
Croupiers saßen wie verschlafen da, die
Spieler an den Roulettetischen machten
gelangweilte Gesichter. Es lagen keine
Goldhaufen umher; die meisten setzten
mit Fünffrankenthalern.
Keine Leidenschaft. Keine Verzweif
lung. Kein ruinirter Spieler, der hin
ausschleicht, den Bankerott im Blick,
den Tod im Herzen, den Revolver in
der Rocktasche.
Ich blieb bei dem Roulettetisch stehen.
Was die ganze Geschichte bedeutete,
konnte ich nicht verstehen. Tie Num
mein, das erschien ja ziemlich einfach.
Aber die Spieler schoben ihre Einsätze
auch an den Rand der Zahlenreihen,
fetzten das Geld auf den Strich zwischen
zwei Nummern, auf das Kreuz zwischen
vier Nummern. Ich hatte von alle em
keinen Begriff.
Da vor mir sah ich ein größeres
Feld, das durch einen rothen Tuchfleck
kenntlich gemacht war. Das war doch
zweifelsohne Rouge.
So was mutz man mitgemacht
haben." Also 'rauf mit einem Fünf
frankenstück.
Wie ich mein Geldstück hinlegte,
drängte sich ziemlich rücksichtslos ein
junger Engländer oder Amerikaner an
mir vorbei, die Hand voll von Gold
fluaen gauend, die er uoer den ganzen
Tisch weg auf alle möglichen Nummern
vertheilte. Dann klapperte die Elfen
beinkugel in die Maschine hinein, der
Croupier rief eine Zahl aus. Die
ganze Menge von Gold und Silber
verschwand von den Zahlen, von den
Rechen der Croupiers eingezogen.
Doch einige Stücke und kleine Häuf
cyen waren liegen geviieoen, und nun
wurden mehrere Goldäulen dem Eng
lünder zugeschoben. Wieder begann et
seine Goldstücke auszustreuen. Nach
dem dritten Coup hatte er einen ganzen
Berg von Gold vor sich liegen. Also
doch ein bißchen, wie man in Romanen
7 n rtr"l x- L. i F
lies!! viaa) oem sunnen lioup yane er
nicht einen einzigen Louis mehr. Er
fluchte, einige der Spieler lächelten,
und er verschwand.
Mich hatte der kleine Vorfall unwill
kürlich ein wenig interesstrt. und ich
hatte an meinen eigenen Einsatz gar
nicht mehr gedacht.
Plötzlich hörte ich einen Zuruf, der.
wie es schien, mir galt:
La rnasse est.ä vous, mon
sieur!"
Diese Anrede kam don dem am unte,
ren Ende des Tisches sitzenden Croupier,
oer loeoen eine alle warne Mit einer
wahren Galgenvisage verhindert hatte,
sich deS ihr nicht gehörenden, auf dem
rothen Feld liegenden Geldes zu be
mächtigen. Es waren mehrere Silber-
stücke und sogar ein Häufchen Gold.
Richtig, Roth hatte fünfmal hinter
einander gewonnen, wie mir nachträg
lich ein Blick in die Aufzeichnungen
eines vor mir sitzenden Spielers be
ftältgte..
Aus meinen fünf Franken waren
hundertundsechzig geworden. Schleu-
nigft nahm ich den Betrag an mich.
und es war höchste Zeit gewesen; die
schwarze Farbe gewann, und alles
Geld wurde vom rothenFeld eingezogen
Tie Wahrheit zu sagen, ich fühlte
mich durch diesen gewinn von hundert
fünfundfünfzig Franken innerlich sehr
gehoben und kam mir als em sehr ge
riffener Spieler vor, obgleich ich doch
eigentlich ganz bewußtlos den Gewinn
gemacht hatte.
ES war erst halb ein Uhr Mittags.
Ich beschloß daher, im Restaurant
deS Hotel de Paris ein Frühstück nach
allen Regeln der Kunst einzunehmen,
daS ich mir fonft, meinen Verhältnissen
nach, nicht hätte leisten können. Mich
kostete ja heute daS Geld nichts.
Als ich hinausging, hörte ich, wie
ein Deutscher zu einem andern sagte:
.Der Tag fangt gut an: gleich die erste
Taille am Trente-et-Quarante kostet
mich zwanzigtausend Franken, zwei
Drittel meines ganzen Spielver
mögens." Sein Begleiter erwiderte
achselzuckend: Mir hat's die Bank
billiger gemacht, sie hat mich nur auf
fünf LouiZ eingeschätzt: allerdings
waren hundertundzmanzig Franken all
mem Hab und Gut.
Ich dachte so bei mir selbst: Ansän
ger! ihr könnt eben nicht spielen!
TaZ Frühstück war gut gewesen.
ich hatte dazu eine ausgezeichnete
lafcbe Champagner von Aq getrun
ken. sunen. wie man ihn leider m
Teutschland gar nicht mehr bekommt.
wo der entsetzliche Extra Try grassirt.
Der starke Mokka, das .Supplement",
in einem Gläschen uralten, öligen Cog
nacS bestehend, die blauen Wolken einer
gigantischen Garcia, einer wahren
Festrüb?" daS alleS hatte mich in
wohligste Stimmung versetzt. Ein
fürstliches Trinkgeld belohnte den lie
benswiirdigen Ganymed, der mich mit
einem huldvollen: "An revoir, My
lord!" verabschiedete.
In meinen Taschen verblieben nach
der kavaliermäßigen Extravaganz dieses
Frühstücks von dem Spielgewinn noch
reichlich hundert Franken.
Draußen lachte die Sonne am blauen
Himmel, die Berge lagen im Duft, die
Blumenbeete leuchteten fo bunt wie
möglich, die Palmen wiegten leise ihre
Wedel.
Und ich ging in's Kasino.
Natürlich nicht, um zu spielen. Gott
bewahre! Nur zum Abschied noch schnell
einen Blick hineinthun.
Die Luft m den Spielsälen war in
zwischen entsetzlich schlecht geworden.
Die Tische waren dicht umringt; kaum
konnte man zwischen den Schultern und
Gesichtern der drei Reihen von Spielern
hindurch das Spiel verfolgen.
Plötzlich hörte ich neoen mir eine
fette Stimme in deutscher Sprache sagen
Nee, nu sehn Se doch blos mal an
jetzt is 's dritte Dutzend siebzehnmal
schon nich' rausgekommen. Ta müßte
man doch mal mit n unfer rangehen
Ich sah, wie der Sprecher und noch
ein andrer Herr jeoet ihr Silberflück
auf ein kleines, mit 12D bezeichnetes
Biere unten am rothen Feld schoben
ies ichien mir gewii ermaßen ein
Fingerzeig zu fein. Ich legte einen
Louis mit hinzu.
Jetzt pel die Kugel.
V mgt - quatre, noir, pair et
passe!" verkündigte der Croupier.
Sehn Se, beinah! Bierundzwanzig
ist rausgekommen; mit fünfundzwanzig
hätten wir schon gewonnen gehabt
Na.noch einmal mit Muth und Kraft
Ich setzte ebenfalls noch einmal
zwei Louis.
Und dann noch einmal wieder
zwei Louis. Die hundert Franken, der
Rest des Gewinns, waren weg.
Ich wandte mich um und wollte weg
gehen. Da schoß es mir durch den
Kopf: Tie SechZunddreißig wird her
auskommen!
Ich nahm meine Brieftasche heraus,
Einen Hundertfrankenschein nochmal
aut's letzte Dutzend!
Dann zweihundert Franken. Tann
dreihundert. Tann vierhundert.
Das letzte Dutzend kam nicht. Mein
Geld war hin.
Ich stocherte im Portemonnaie
herum. Zwei Goldstücke und ein bis
chen Silber und Kupfer waren noch
darin. Die zwei Louis auf die Sechs
unddreißig das könnte alles wieder
einbringen notabene, wenn sie käme
Ach Unsinn. Ich schob daS Porte,
monnaie in die Tasche zurück.
Da rief der Croupier:
Trente - six, rouge, pair et
passe!"
Ich ärgerte mich schmählich.
Dann verspielte ich noch eines von
meinen beiden Zwanziqsrankenstücken
Dann ging ichauf's'Telegraphenamt.
Ich depeschirte an einen Onkel in
meiner Vaterstadt bei dem ich einiges
Geld stehen hatte: Ganzes Reisegeld
verloren. Sofort telegraphisch tausend
Francs poste restante Monte Carlo
So! ES war drei Uhr. Um neben
konnte ja wohl das Geld da sein.
Um, echs war ich wieder auf dem
Postamt. Geld war nicht da. bloß ein
Telegramm vom Onkel: Nach Monte
Carlo keinen Pfennig!"
Der Onkel telegraphirte am nächsten
Tage das Geld nach Nizza, wohin ich
es erbeten hatte. Unschuldvolles Ge
müth eines deutschen Kleinstädters! So
bald ich das Geld hatte, fuhr ich nach
Monte liarlo zurück, unterwegs siu,
dirte ich verschiedene Systeme, unfehl,
bar an der Roulette zu gewinnen, die
ich für fünf Franken mir gekauft hatte
Ich glaubte zwar nicht daran, daß man
wirklich mit einem Anfangskapital von
yundertundsünfzig Franken in zweiund
mnnig agen eine Million gewinnen
könnte. Ich ersah aber aus den
Schriftchen die Einrichtung der Rou-
leite, welche Sätze man machen kann,
und welche Gewinne für die verfchie
denen Chancen ausbezahlt werden.
An diesem Abend gewann ich meine
taufend Franken vom Tage vorher zu
rück und noch fünftausend dazu.
Aha, du dummer, alter Onkel du!
Mit den siebentausend Franken, die
ch in der Tasche hatte, gedachte ich mir
nun ein kleines Vermögen zu erwerben.
Ich wollte noch vier Wochen in Monte
Carlo bleiben, vorsichtig spielen und
jeden Tag mein Vermögen um zwei
taufend Mark vermehren. Am Ende
eines Monats würde ich fünfundscchzig
tausend Mark besitzen. , Davon würde
ich vierzigtaiisend in dreiprozentiger
Reichsanlcihe bei der Reichsbank depo
nircn und die Depotscheine meinem
guten Onkel übergeben na, der
würde ein Gesicht machen! Mit den
sünfundzmanzigtausend aber würde ich
ein Jahr lang reisen in aller Behag
lichkeit, ohne auf den Groschen zu sehen.
Etwa fünftausend Mark würde ich ja
wohl übrig behalten. Damit wollte ich
dann wieder nach Monte Carlo gehen.
Und so weiter! Fünf Jahre wollte ich
so leben. In fünf Jadren kann man
die ganze Welt sehen. Nach fünf Iah
ren würde ich. einschließlich der aufge
laufenen Zinsen, etwa eine Viertelmil
lion besitzen. Man muß bescheiden sein;
mehr wollte ich vom Glück nicht verlern
gen. In fünf Jahren würde ich drei
unddreißig alt sein. Tann wollte ich
mir ein Häuschen und einen Garten
ten kaufen, irgendwo in einer schönen
Gegend in Teutschland, mit Bergen,
Wald und Wasser. Und in dem Hause
würde ich all die Erinnerungen von mei
nen Reisen aufstellen: bunte Stoffe und
Waffen, Muscheln und fremdartiges
Hausgeräth und Photographien. Und
so groß sollte das Häuschen sein, daß es
noch Platz hätte für einen zweiten
Menschen, einen recht lieben, eine Sie.
Und noch für kleine neue Menschen,
wenn der liebe Gott sie uns bescheercn
wollte.
Und eine richtige deutsche gute Stube
sollte in dem Hause sein. Und über
dem Sofa an der Wand in einem drei
ten goldenen Rahmen ein Bild vom
Fürsten von Monaco, aüch von der
Frau Fürstin ein Bild, falls es eine
gäbe, worüber ich im Augenblick nicht
unterrichtet war.
Denn von Monaco sollte 1a all dieses
Glück, all diese Zufriedenheit kommen
Die nächsten vierzehn Tage spielte ich
fast ununterbrochen. Mittags um zwöl
war ich schon im Kasino, und um Mit
ternacht verließ ich ihn erst, wenn am letz
ten Roulettetisch der Croupier verkündet
hatte: "Messieurs, a la uerniere
Ich aß nicht mehr ordentlich; es gab
Tage, an denen ich nur eine Kleinigkei
am Büffet des Kasinos zu mir nahm
Ich schlief auch nicht gut; kaum war ich
eingeschlummert, so begann im Traum
die Roulette sich zu drehen.
Ich erwachte, der Schmeiß rann mir
über das Gesicht, und ich griff voll
Angst nach der Brieftasche, die neben
meinem Bett auf dem Nachttischchen lag
Die Brieftasche war beruhigend voll
Denn ich gewann fortwährend. E
ging zwar nicht so programmmäßig
wie ich es mir ausgedacht hatte: jeden
Tag sünfundzwanzighundert Franken
Einmal, am vierten oder fünften Tag,
war ich 'sogar bis auf fünfhundert
Franken herabgekommen. Von da an
aber gewann ich unaufhörlich, und nach
vierzehn Tagen verfügte ich über drei
unddlerzigtausend Franken, die ich in
schönen glatten Tausendern in der
Brieftasche immer bei mir trug.
Am sechzehnten Tage meines Aufent
Haltes in Monte Carlo es war ein
Montag gewann ich am Vormittag
gleich in der ersten halben ' Stunde
sechstausend Franken, mehr, als ich
sonst je an einem Tage erspielt hatte.
Ich ging einen Augenblick m die An
lagen, und als ich von der Terasse aus
das Meer und die herrliche Landschaf
vor mir ausgebreitet sah, kam mir der
Gedanke, auf ein paar Tage die dum
pfen Spielsäle zu meiden und mir einen
Ausflug nach Nizza und Cannes und
den Lerinischen Inseln zu gönnen.
Verdient hatte ich es wohl, ich hatte ja
heute schon mehr als das doppelte Ta
gesprogramm absolvirt. Und in der
Tasche fünfzigtausend Franken!
Nicht doch, es waren ia nur neun,
undvierzigtausendfünfhundert! '
Nun die kleine Differenz werden wir
ja bald voll haben! Und ich ging eilends
ins Kasino zurück. Ich ließ mir nicht
einmal Zeit, den Hut in der Garderobe
abzunehmen, sondern nahm ihn unter
den Arm und ging durch die Roulette
säle hindurch geradewegs an den ersten
Trente-et-Quarante-äusdl.
Zehn Minuten darauf stürmte ich
durch die Palmenallee meinem Hotel zu
Stumpfsinnig murmelte ich mechanisch
immer wieder eine alberne Studenten
redensart vor mich hin: Erstens
omnit es anders, zweitens als man
denkt.
Das Geld war im Kasino ge
blieben.
Als ich an den Tisch getreten war.
hatte Roth siebenmal hintereinander
geschlagen. Ich ging mit fünfhundert
Franken auf Schwarz, dann mit tau
end. dann mit zweitausend. Dann
wurde ich ungeduldig. Der Hut ge
nirte mich. Da ich ihn unter den Arm
eingeklemmt hatte, konnte ich die Scheine
chlecht aus der Brieftasche hervorholen.
Ich warf dreitaufend Franken auf den
Tisch, dann immer wieder sechstausend
auf Schwarz.
Und immer, immer, immer von der
monotonen, gleichgültigen Stimme des
Croupiers: "Rouge gagne."
In fünf Minuten hatte die Bank
mich erledigt.
Vollständig, gründlich, für immer.
Denn daS stand für mich fest: So
fort im Hotel die Rechnung bezahlen,
abreisen und niemals wiederkommen.
Niemals!
Zu allem Pech stellte sich heraus, daß
die Wochcnrechnunz im Hotel, die ich
noch zu begleichen hatte, meine Baar
schaft noch um ein Geringes überstieg
Reisegeld mußte ich doch auch etwas
haben nun. da war also nichts zu
machen, ich mußte noch ein paar Tage
in Monte Carlo bleiben. Ich traf also
mein Abkommen mit dem Wirth, be
zahlte ihm dorläusig die Hälfte seiner
Rechnung, womu er gern zufrieden
war. und wartete nun. bis Geld auZ
Teutschland einträfe.
An den Onkel hatte ich nicht telegra,
vhiren oder schreiben können. In dem
Uebermuth meines SpielerglückZ hatte
ich ihn täglich auf Postkarten angeulkt.
TaS schien ihm nicht sehr imponirt zu
haben.
Ich hatte deshalb an daS Bankhaus
schreiben müssen, bei dem mein kleines
Vermögen deponirt war. Telegraphisch
war das natürlich nicht zu erledigen
Trei bis vier Tage mußte ich also war
ten, bis mein Brief angekommen, war
Dann würde ich eine telegraphische An
Weisung erhalten. Und dann würde
ich abreisen. Sofort. Nach Teutsch
land! Und ohne Aufenthalt unter
wegS!
ES war merkwürdig, wie wohl ich
mich jetzt fühlte, wo ich 'all daS Leid
wieder los war und mit den paar LouiS
in der Tasche in der Welt herumstieg.
Ich schlief vorzüglich in meinem breiten
französischen Himmelbett. Essen und
Trinken schmeckten mir, und niemals,
beuchte mir. hatte die Sonne schöner
geschienen als auf diesem wunderbaren
Fleckchen Erde. So lange ich spielte,
war ich nicht über den Kasinogarten
hinausgekommen; kaum daß ich zuwei
len von der immer menschenleeren Ter
raffe aus einen Blick über das Meer hin
geworfen hatte. ?!nn streifte ich nach
Herzenslust in den Bergen und am
Meere umher.
Inzwischen waren schon fünf oder
sechs Tage vergangen, seitdem ich den
Brief an meinen Bankier abgesandt
hatte, und es beunruhigte mich, daß
keine telegraphische Postanweisung kam.
Es war mir fast, als ob Kellner und
Portier in meinem Hotel mich etwas
sonderbar von der Seite ansähen. Ich
depeschirte und erhielt sofort zur Ant
wort:
Senden in's Ausland nicht tele
graphisch. Erbetenes unterwegs."
Na, dann mußte es ja bald kom-
men.
Wirklich kam es schon am nächsten
Vormittag, gerade als ich beim Früh,
stück saß. und der es mir brachte, war
kein andrer als mein Onkel.
Mit der Vertilgung eine.r vortreff
lichen Languste in Remoulade beschäf
tigt. hatte ich plötzlich das Gefühl, daß
mich Jemand, scharf fixire. Ich blickte
auf. und da stand er an meiner Seite
in seiner ganzen Größe. Breite und
Dicke. Nach allen drei Richtungen
leistete er ganz Ansehnliches. Aus dem
breiten, rvthen Gesicht blickten die
blauen Augen mit einem Ausdruck, ge
mischt aus Zorn, Gutmüthigkeit und
unendlicher Ueberlegenheit, der mir von
früher her sehr gut bekannt war, auf
mich herab. Was nun kommen würde,
wußte ich ganz genau, und richtig,
unbekümmert um die andern Gäste
legte er sofort los mit seiner Bären
stimme:
Na. nu sag blos mal. mein Jung.
was machst D hier für n dummen
Kram! Bischen in Monte Carlo den
russischen Fürsten spielen, was? Bis die
Moneten alle waren! Menschenslmd
was denkst Tu blos, ganz Klütendor
steht Deinetwegen auf'm Kopf! Ich als
Dein lelbastiger Onkel konnte die
Fragerei nicht mehr aushalten. Darum
bin ich mit Tille ausgekniffen. Nu sind
wir also hier in Monte Carlo. Na,
denn wollen wir man erst mal 'n bischen
was frühstücken."
Hinter dem Onkel kam jetzt wie eine
chmucke Brigg hinter einem Vorgebirge
e,ne Tochter Mathilde zum Bor chern,
die mich mit vieler Freundlichkeit, aber
auch mit ein wenig Schelmerei im Blick
begrüßte. Es war mir nicht angenehm.
gewissermaßen wie ein auf einem Dum
menjungenstreich ertappter und ausge
scholtener Schüler vor ihr zu stehen
Denn sie war es ja gerade, die in jenen
Träumen vom Häuschen mit der guten
Stube die zweite Hauptrolle gespielt
hatte. Ich raffte daher all meinen
Mannesstolz znsammen und erwiderte
dem Onkel in möglichst kühlem und
höflichem Ton:
Ich danke den ttlutendoriern tut die
freundliche Theilnahme, die sie meinen
Angelegenheiten widmen. Wurdest du
es aber nicht für vai ender rinden, mir
auch guten Tag zu sagen, ehe du früh
tückst? Außerdem könntest du mir gleich
das Geld geben. Das hast du ja doch
wobl mitacbracht?"
..Jawoll. das hab' ich. Na, nu sei
man bloß nicht so ungemüthlich." Ta
bei reichte er mir seine Hand hin, indem
er sich behaglich am Tisch niederließ, an
dem auch Mathilde schon Platz genom
men. Kellner, bringen Sie mal schnell
ne Flasche guten Rothwem mit drei
Gläsern und dann zwei Portionen
Beefsteak ä la Meyer! Nicht zu wenig
Kartoffeln bei. hören Sie?"
Der Kellner machte em elwas er
aunteS Gesicht, da er wahrscheinlich
von dieser norddeulscyen elliaiee
noch nie etwa? gehört hatte. Schließ
lich ließ sich dann mein guter Onkel.
nachdem der Kellner ihm ein Dutzend
Gerichte mit lauter zwölfsilbigen fran
ösifchen Namen vorgeschlagen hatte, die
' Yi: w. Lui.n.
er aue mn einer vame ocs yumnni
Mißtrauen? anhörte, durch mein Zu
reden vewegen, es auch mit einem
Dejeneur. wie es das Hotel um diese
Tageszctt in vorzüglicher Zubereitung
bot. zu versuchen.
.ieh sol Na. nu will ich dir man
erst mal dein Geld geben. Hier. Sechs
hundertundzwanzig Francs, das macht
fünfhundert Mark. Der Bankdirektor
hat eS mir selbst so gegeben
Tanke! Ader weißt du. etmaS
komisch finde ich cS vom Bankdirektor.
daß er das Geld nicht an mich schickt.
sondern eS dir mitqicdt,
Ja, mein Lieder, daran bin ich
schuld. Ich habe eS ldm so vorge,
schlagen. Ter Glaube an deine Tugend
ist in Klütendorf bedenklich gcschwun
den. Erst erzählten sie von dir. du
hättest hier eine Million gewonnen.
Aber wie kommen die Menschen nur
aus io etwas?
TaS kommt von deinen Postkarten
an mich. Die lesen natürlich die Post
beamtcn und der Briefträger und daS
Dienstmädchen. Auf ein paar Nullen
mehr kommt es doch den Leuten bei sol
chen Gelegenheiten nicht an. Und was
dann noch an der Million fehlte. daS
haben sie einfach damgelogcn. Na.
warum nicht? So 'n Thema hatten sie
doch in Klütendorf schon lange nicht
mehr gehabt. Als dann drei, vier Tage
lang keine Postkarten mehr von dir
kamen, verbreitete sich mit Blitzesschnel
ligkeit das Gerücht, du hättest die Mil
lion wieder verspielt und dein bißchen
Vermögen noch dazu. Und dann hüt
test du dich selbst abgemeuchclt. Ob
mittels Revolver. Gift oder Mittel
mcer. darüber stritten sie sich noch.
Das ist ja nett von ihnen. Schließ
lich muß ich ihnen noch dankbar sein.
daß sie das Aufhängen vergessen
haben."
Ach so, nein, das haben sie nicht,
Aufgehängt haben sie dich natürlich
auch. Schließlich wurde mir die Sache
zu dumm, als sie sogar ins Wochenblatt
kam "
So?"
., ja, und sogar mit Einzelhei
ten. Da rückte ich erst dem Nachbar
Zeitungsmann aufs Dach und sagte
ihm ganz gehörig meine Meinung
Dann ging ich auf die Bank, ich habe
ja Generalvollmacht von dir. und er
kündigte mich, ob du wirtlich dein
Guthaben abgefordert hättest. Ta war
gerade dein Brief angekommen. Nun,
geärgert hatte ich mich in Klütendorf
ja gerade genug. Das Wetter war
auch so ein richtiges deutsches Früh
lingswetter mit Schnee und Hagel,
Tille konnte etwas frische warme Luft
auch nicht schaden. Kurz, ich faßte
schnell meinen Entschluß und sagte
dem Direktor, ich wollte Dir daS Geld
ftlvt dringen, weil ich mit meiner
Tochter ohnehin nach der Riviera
reiste. Er fand das ja auch sehr ver
nunsllg uno vor allen Gingen viel tche
rer."
, Wieso. Ich denke die Post ist doch
recht zuverlässig?"
Ja. das wohl; aber wer konnte
wissen, ob du dieses Reisegeld nicht
wieder am grünen Tisch verheertest.
Danke für daS hübsche Kompliment,
Nun ja, man hat schon Beispiele er
lebt. Du konntest ja auf den Gedan,
ken kommen, die Million zurückgewin
nen zu wollen. Na. einerlei, nun sind
wir hier. Heute wollen wir uns die
Gegend hier ein bischen ansehen. Am
besten ist es, wenn du uns gleich in die
Räuberhöhle hinüberführst; denn das
ist ja wohl eure Hauptfchenswürdigkeit
hier. TaS mutz ich sagen: Neugierig
bin ich mächtig darauf und Tille wohl
jedenfalls auch, was?"
Ach nein. Papa, ich mag so etwas
gar nicht sehen. Tie Gesellschaft soll
ja so sehr gemischt da sein. Ich möchte
viel lieber, wenn wir mit Vetter Ar,
thur unter den Palmen spazieren gin
gen
Mich, lieber Onkel, bitte ich eben
falls zu entschuldigen. Ich habe mir
das Wort gegeben, niemals wieder
einen Fuß in jenen sogenannten Tem,
pel des Glücks zu setzen. Wenn du
durchaus hineingehen willst, so rathe ich
dir, laß mir deine Brieftasche hier.
Mathilde und ich wollen sie sehr sorg
fällig spazieren führen."
Tu bist ja recht gütig. Aber, mein
Junge, nun will ich dir mal was sagen:
Senator Friedrichen aus Klütendorf
braucht keinen Vormund.
Und mit einem hoheitsvollen Blick
auf uns Beide entfernte er sich, mit
schweren Schritten dem Kasino zuwan,
delnd.
Wie wohlthuend war mir das mun,
tere Geplauder und fröhliche Lachen
meiner hübschen Cousine! Was mir
in dem halben Jahr im welschen Land
an holder Weiblichkeit nahe gekommen
war, hatte ich so ziemlich aus meine
Wirthinnen beschränkt. Die waren
eine
wie d,e andere gcwe en: chwarz
unu uuu uuv 1 wiiM hui wuuuuuy i K
schnatternd. Nun hörte ich wieder
und
aelb und fett und unermüdlich
langentbehrte liebliche Laute von frischen
rothen Lippen, helle blaue Augen blick-
ten mich an. und aus blondem Haar
umwehte mich leise ein süßer Mädchen
duft. Des protzigen Glanzes der Kasino-
Parkanlagen war sie bald überdrüssig.
DaS ist alles wie die Schaufenster'
auslage eines Blumengeschäfts für
reiche Leute." meinte sie. Und dann
' ui :B
nn, adln rtiriit? e N !I o n i.
denn nickt bier in der Näbe etmaS
richtiges ErüneS und richtige bunte
Blumen?"
i.a juant q sie yliillUs UN oen zer-
e " , ! . ; X. f:. f. t v ...
Husteten, blumcnüb.rsxonnenkn. griin
beschatteten Klippenrand von Monaco.
Hier saßen wir lange schweigend
auf einer Steinbank und blickten hin
aus in die unermeßliche, majestätische
Größe des stillen, kaum bewegten
Meeres.
UnS war feierlich zu Muthe.
Tann, unwillkürlich angetrieben, be
gann ich mit halblauter Stimme von
meinen thörichten Spiclerphantasien ihr
zu beichten. AllcS. alles, sagte ich ihr.
auch daS vom Häuschen und der guten
Stube und der lieben Sie. Und als
ich geendet, lag ihr blonder Kopf an
meiner Brust. Ich zog sie schweigend
empor und küßte sie als meine Braut.
Unbeschreiblich glücklich waren wir.
Ter gute Onkel, der inzwischen ohne
fein Wissen zum Schwiegervater avan
cirt war. empfing uns in sehr schlechter
Laune.
,Was sind das doch für unzuverlüs.
nfle Menschen, die jungen Leute in jetzU
er eu, z.'aen ne mich alten Mann
den ganzen geschlagenen Nachmittag in
e,em von allen guten Geistern verlas
enen Aeji allem k"
Aber ich denke, so für ein paar
Stunden ist ist es doch ganz nett hier.
Ta sind doch die Palmen und andere
seltene Gewächse und die schöne Aus
ficht, und dann warft du ja doch auch
im Kasino, wo eS so sehr interessant ist."
Ja. das war ich! Höre. du. das
Spielen soll ein Vergnügen sein? Nicht
ein Bischen!"
Ja. hast du denn gespielt?"
Natürlich! Was sollte ich denn an
derS anfangen? Ihr kamt ja gar nicht
wieder, und keine Menschenseele wußte,
wo ihr hinwart. Ich sage dir. vor
mir selbst hab ich mich geschämt wie
ein Pudel, ich alter Kerl. Und Blut
habe ich dabei geschwitzt. BiS AllcS
alle war! Ta hatte doch die liebe
Seele Ruhe. Kinder, wo kriegen wir
nun man bloß das Reisegeld für uns
beide her?"
Ja. siehst du lieber Onkel und
Papa, so ist eS hier; der eine verliert
und der andere aewinnt. ?ch babe mir
heute Nachmittag diese kleine Braut ge
Wonnen. Und wenn du ein lieber Nava
bist und uns erlaubst, daß wir zum
vdt hcirathen, dann will ich dir auch
0a !nei,egeio innen!
Tiefer Tag endete noch sehr der
gnügt. Anfangs war. der gute alte
Senator etwas bedrückt. Ich diagno
stizirte, datz sich bei ihm eine moralische
Rede, wahrscheinlich über das Laster
des Spiels, die er mir am Vormittag
hatte halten wollen, versekt bätte.
Meine Vermuthung war richtig. Und
nachdem er auf allgemeines Verlangen
diese Rede, zu der er selbst ein gesundes
Beispiel abgab, gehalten hatte, wurde
die Stimmung sehr animirt. Es wurde
viel Champagner getrunken. Auch der
freundliche Hotelwirth, der mir so
muthig Speise und Trank auf Pumv
verabreicht hatte, nahm an unserm klei
nen Feste theil.
Mit dem Reisegeld begann es schon.
bei dem fortgesetzten Durst, den wir, und
besonders der junge Schwiegerpapa ent
wickelten, etwas windia aus,usebcn.
Ich äußerte fo etwas zu meiner Braut.
Tie aber antwortete mit einem sehr
schlauen Lächeln:
..Hab' nur keine Anast. Als USaba
mir sagte, daß wir nach Monaco woll.
ten. dachte ich fo bei mir selbst: Monte
Carlo? wer weiß? Und da nahm ich
zur Vorsicht meine Sparbüchse mit.
Hier hast du das Geld; eS sind dreihun
dertMark."
Am nächsten Taae reisten wir nfi.
Der Gastwirth meinte, als wir ihm
zum Abschied die Hand schüttelten, fel
ten führe von Monte Carlo eine Gesell
schaft in so fröhlicher Stimmung ab.
Nun sitzen wir alle in JfflfitenöorF.
.rr enaior 1 1 BUkaermei ter nrmnr
srr ! n m , ...
oen und hat an Umfang und Würde
noch erheblich zugenommen. Ich wirke
dort in kleinem Kreise, zufrieden meine
Psiicyl lyun zu dürfen, an der Seite
meiner guten ftrau Matbilde. q
eigenen vauscyen yat es noch nicht ge
, .." "'
langt; wir fühlen uns aber in unserer
engen !viletyswohnung wohl. Zwar
haben wir nicht einmal eine gute Stube,
aber ein herrliches großes Sofa steht in
unserm gemüthlichen Fomilienzimmer
an ocr Ä?ano. AIS Wir es einr hM
sagte ich halb im Scherz zu meiner rau:
Was meinst du. wäre da mrf,t
in, iiyuner Piag. UM Die Bilder von
TJ.x cnt.i- l .
oem ur,ienpaare von Monaco aufzu
hängen?" 13
Ach nein, ach nein!" saate fip na,
uHiuiiy. ,ey! mir yaven ja dort
Glück gefunden, und die Stelle, die alte
Steinbank hoch über dem Meer, nmfi
hui:j. r:.ti . . '.
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,."u" ÜD" denke, wie
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mer. bethörter Men
jcyen haben diese beiden auf ihr Gewis
,en geiaoen. wie viele Tllnni i,
wie viel Blut!"
Ueber dem aroßen Sasa frnf
die vier Bilder unserer lieben Eltern
angebracht. Freundlich blin - ,,k
unser stilles Glück. ' '
Und wenn meine ftrau nnfm tn;.
nen .sein Schlummerlied finat. dann
Ä' Ul9 "ien die guten alten Ge
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er große Ehrgeiz liegt in unserer
eele. der kleine wird durch die Ersolae
irntd.d. -..v. . '
umuiue erregt.
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