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About Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901 | View Entire Issue (Nov. 9, 1899)
5 t Gegen den Strom. Novelle von Gerhard Kalter. Tr neue Hm AmtSrichtrr.Wknde born hatte sich schon recht gut in den Städtchen eingewohnt. Und er gefiel auch gut. Ter alte, etwa? exclusive Stammtisch im .Schwarzen Baren", der ihn, wie alle Reueintretenden. zuerst mit vorsichtiger Zurückhaltung beobach tet und behandelt hatte, war mit ihm zufrieden, und wurde eZ immer mehr. Und daZ war entscheidend für die gesell schaftlicht Stellung eine? Fremdlings. Ter Amtsrichter war ein guter Kamerad, konnte hübsch anschaulich erzählen, stand feinen Mann vor dem Schoppen und hatte ausgezeichnete Manieren. Nur eine Eigenthümlichkeit hatte er. Er ging gern allein spazieren und wußte mit großer Eeschicklichkeit sich ihm etwa aufdrängendes Geleit abzuwehren. TaS war eine zwar unbegleifliche, aber immerhin verzeihliche Schrulle. Seine Abendfpaziergänge nahmen mit Vor liebe die Richtung nach der Waffer mühle", in der gleichzeitig eine kleine Gaftwirthschaft betrieben wurde. Da saß er beim Sonnenuntergang unter der blühenden Linde und unter den Ahornbäumen, aß sein bescheidenes Abendbrod und ging 'bann in den Schwarzen Bären" zum fröhlichen Umtrunk. .Nun sagen Sie mir doch 'mal," be gann eine? Abends der Provisor, dem die Haare immer zu Berge standen, warum gehen Sie denn immer gerade hinaus? Da ist ja alltags kein Mttsch zu finden. Im SchüßenhauS zum Beispiel, da haben Sie doch Leute um sich!" Die will ich vielleicht gar nicht," antwortete der Amtsrichter, bequem zu rückgelehnt; ich bin nun einmal solch ein Einspänner. Wer sagt Ihnen übrigens, daß ich da Niemand treffe ? Heute gerade habe ich dort eine fehr intereffante Bekanntschaft ge macht. Plötzlich erschien auf der Bild fläche eine junge Dame, die nicht zu verachten war. Sie kam offenbar auS der Badebude, die da oben am Strom erbaut ist " Gehört dem Pfarrer von Buchen Holm!" warf der Sanitätsrath ein. Stimmt!" fuhr der Amtsrichter fort; es war auch die Pfarrerstochter, wie mir der alte Schulz nachher fagte; aber Donnerwetter, meine Herren, so 'was sieht man nicht oft!" Ja, ist vom Seminar zurückgekom men und unterrichtet jetzt dort an der Dorfschule!" bemerkte der Rechtsanwalt lässig; versprach schon damals ein hüb fcheS Mädel zu werden! War aber sonst ein rechter Grasaffe." Wieso denn?" fragte der Amtsrich ter aufmerksam. Hochmüthig und kalt, hielt sich für 'waS Besonderes!" brummte der Rechts anmalt. Fritz, einen neuen Schoppen! Komme Ihnen meinen Rest!" So? Hochmüthig? Na, den Eindruck machte sie bei mir nicht. Sie grüßte mit tadelloser Freundlichkeit zurück, aber wie eine Dame grüßt. Und Sie hätten sie nur 'mal sehen sollen, mit dem dunkelschwarzen gelösten Haar und mit den großen, stillen, tiefliegenden Augen in dem schönen, weißen Gesicht: ich sage Ihnen das Urbild einer reizen den Hexe!" Nun, Ihnen scheint sie'S ja schon angethan zu haben; dann gebe ich Jh nen nur den guten Rath: Thue Geld in Deinen Beutel!" Aber die Kartoffeln werden zu Hause kalt und ich muß gehen. Nein, mem lieber Herr Richter, die edelsten Gefühle sind nichts ohne ein gutes Butterbrod! Guten Abend, meine Herren! Der Amtsrichter sah ihm finster nach. Am nächsten Abend traf er wieder mit der schonen Psarrerstocyter zu)am men. Sie saßen bei Tisch nebcnew ander. Er aß seine Schinlensemmcl und sie eine Schale dicke Milch, und beide sahen auf den im Glanz der sin kenden Sonne wie flüssiges Gold dahin rieselnden Fluß. Zwischen ihnen flog eine Biene summend hin und her und schwenkte in tadellosem Bogen bald um fein, bald um ihr Gesicht. Oben in den Krohcn der Bäume rauschte leise der milde Abendwlnd. DaS Fräulein stand auf und ging. Eine große, schlanke, feine Gestalt. Ds lange, dunkle Haar floß ihr ge Lssilet über die Schultern. Der Amts richter grüßte kavaliermäßig. Die dankte wieder mit der anmuthigen Freundlichkeit, die ihm am Tage vorher so gut gefallen hatte. Da glitt ihr das rothe Tuch von der Schulter und fiel zu Boden. , v Blitzschnell sprang Herr Wendehorn zu und nahm es auf. Sie lachte ihm freundlich zu Über prächtigen, weißen Zähnen, und eine wohlklingende Stimme dankte ihm. Er sah ihr der funken und bezaubernd nach. Dies Mal erzählte er den Herren im Bären" nicht von seiner Begegnung. Und sie trafen sich jeden Abend und wurden mit einander bekannt. Er hatte sich in zwangloser Weise vorgestellt und nach einigen Abenden gebeten, sich an ihren Tisch fetzen zu dürfen, nachdem er ihr in einem verzweifelten Kampf mit einer Biene, die entschieden feind selig gegen Fräulein Ursula auftreten wollte, ritterlich und sieghaft beige standen. Nachher gingen sie ein kleines Stück Weg zusammen bis zum Kreuzweg. Ich führe zur Zeit allein HauS in der Pfarrei: meine Eltern sind auf drei Monaß in Tirol und ich habe meine I A Jahrgang 20. Schularbeit. Da sitze ich lieber am Abend nach dem Bade dort am Mühl wehr und verzehre mein Adendbrod, als allein in dem großen Hause oder in der dichten, luftlosen Laube von Pfei fenkraut." Der Kreuzweg war da. Er grüßte wie vor einer Prinzeß. Und sie wurden näher bekannt. Sie stimmten in so mancher Anschauung zu sammen. Und sie freuten sich beide auf die Abendstunde. Der Amtsrichter hatte sich eine Cigarre angezündet und blies behaglich die blauen Wölklein in die lindenblüthenduftige Luft. Wissen Sie auch, meine Gnädige, daß man Sie für hochmüthig hält ?" sagte er im Lause deS Gesprächs. Sie lachte ein wenig und lehnte sich zurück im Stuhl. Ihr Haar fegte bei nahe den Boden. Ich wüßte nichts, was mir gleichgültiger wäre, als solche Leutemeinung. Ich habe natürlich keine Neigung, mich mit Grete und Stine zu duzen, und Ihre Gentlemen in Ihrer guten Stadt da drüben imponiren mir auch nicht." Ist es nicht gefährlich für ein junges Mädchen, sich so über die Meinung der Leute hinwegzusetzen?" fragte er mit fast besorgtem Ton. Sie warf den feinen Kopf stolz zurück und sah ihn an mit eigenartig leuchten dem Blick: Ich thue eS aber!" sagte sie und reichte ihm die Hand zum Abschied. Er neigte sich tief darüber: Jawohl! Ein gefunder Fisch schwimmt auch gegen den Strom!" DaS Bild des eigenartigen Mädchens in ihrer stolzen, fast herben jungfräu lichen Art ließ ihn nicht wieder. Die Verhältnisse, in denen sie lebten, waren zu klein, als daß ihr Verkehr unbemerkt geblieben wäre. Im Bären" fingen die Anspielungen an häufiger und un verkennbarer zu werden. Mein gnädiges Fräulein Ursula," sagte er eines Abends, ich lege mein Geschick in ihre Hände! Die braven Leute fangen an, auf unsere Kosten ei nen Roman zu dichten. Ich halte eS für meine Pflicht, einer Dame, die ich verehre, das zu fagen. Befehlen Sie, daß ich fortbleibe? Dann kreuze ich ihren Weg nicht wieder!" Sie lachte wieder heiter und herzlich. Sie wissen ja. wie ich über die Leute und ihr Reden denke. Es würde mir leid thun, sehr leid, wenn Sie meinet wegen diesen Platz am Wehr meiden wollten!" Jetzt lachte er auch und hielt ihr die große, ehrliche Hand über den Tisch hin: Sie sind ein junges Heldenweib! Das mag ich leiden!" Sie berührte seine Hand leicht mit den Fingerspitzen. DaS Leben ist ja an sich ernsthaft genug." sagte sie. da hat es keinen Zweck, auch noch allerlei lustige Dummheiten tragisch zu neh men." Er sah ihr tief in die dunklen Augen: Wissen Sie, wie Sie jetzt aussehen ? Wie die Hexe auf dem Gemälde von Gabriel Max!" Sie stand auf und schaute ihn heiter an. Gut, daß wir nicht dreihundert Jahre früher geboren sind! Dann hätten Sie mich vielleicht in eigener Person zum Scheiterhaufen verurtheilt. Gott befohlen! Aber widerrufen hatte ich nichts!" Sie nickte ihm zu und ging, stolz und frei. Er sah ihr lange nach. Am nächsten Morgen fehlte sie. und am folgenden auch. Und wie sie am dritten Tage nicht da war, da nagte die Qual um sie an seinem Herzen. Tu hast sie vertrieben mit deinem dummen Gerede!" sagte er sich und hielt den Kopf schwer aufgestützt und starrte in's rinnende und rauschende Wasser. Und die verzehrende Gluth, von der Ursula im Scherz gesprochen, brannte nun in seinem Herzen. Da drüben in Buchenholm sieht's ja traurig aus!" sagte der Sanitätsrath am Stammtisch und stieß mit dem Amtsrichter an. Wieso denn?" fragte er gespannt. Wissen Sie's nicht? Da ist der Typhus in ganz bösartiger Weise aus gebrochen!" Donnerwetter noch 'mal!" fuhr Wendeborn in die Höhe. Ueber die Gesichter ging ein Lachen. Nun. man sachte!" beruhigte ihn der Arzt, so lange die Leute in solcher Pflege sind, hat's keine Noth! Alle Welt. ich hätte das dem Mädel nicht zugetraut, und was jemals gegen sie ge sagt ist, das nehme ich hier ausdrücklich zurück." Wen meinen Sie denn?" , fragte Wendeborn schnell. Nun natürlich Ihre Freundin, die Pfarrerstochter!" sagte der Sanitäts rath ernsthaft. Ist ja ein halb Jahr lang Johanniter Schwester gewesen, und nun geht sie von HauS zu Haus I als der gute Geist von Buchenholm und j MU So Beilage zum Nebraska Staats-Anzeiger. scheut vor nichts zurück. TaS gefällt niir!" Nun, dann nehme ich den Gras äffen" auch zurück !" siel der Rechtsan walt ein. Ehre, wem Ehre gebührt; soll leben, die schöne Ursula!" Die Krüge klirrten zusammen, nur der Amtsrichter faß tief in Gedanken da und biß auf seinen Schnurrbart. Und nun fuhr er auf und trank seinen Krug aus bis auf den Grund. Am folgenden Tage brachte der Ge richtsdiener dem Amtsrichter einen Brief. Eine schöne, ausdrucksvolle Damen Handschrift stand auf der Adresse. Drinnen stand geschrieben: Sehr geehrter Herr Amtsrichter! Die alte Greth Dorth Miesenholzen möchte, am Typhus erkrankt, ihr it ftament machen und bittet Sie, bald' möglichst herauszukommen. Mit vov züglicher Hochachtung Ursula PeterS Sofort einen Wagen! Und ich ließe den Referendar Aberkorn bitten, als Gerichtsschreiber mitzukommen!" rief er, erregt aufspringend. ES war ein heißer Tag. In der Hütte der alten Greth Dorth standen alle Fenster offen. Am Fenster stand im hellen Kattunkleid und blüthenweißer Latzschürze die Pfarrerstochter. Jhr Ge sicht war blaß und dunkle Ringe lagen unter den tiefen Augen. Der Wagen hielt. Die Herren vom Gericht traten em. Tief neigten sie sich vor dem biet' chen, jungen Mädchen, die dem AmtS richter die zarte Hand bot. Im Wand' bett stöhnte die Alte. Es muß schnell gehen." sagte Uv sula, sonst verliert sie wieder die Be' r. h liiliiuiiy. I Aber es dauerte ziemlich lange. Die Alte besaß mehr, als einer geglaubt hatte. Zuletzt zog sie den Amtsrichter dich an sich heran: Sei saall dat nich hören! Dat Frölen dor fall hunnert Mark hebben tau ehre Utstüer; sei hett nix un kann dat bruken. So'n Engel gifft'S nich wedder, un fei hett veel in mi olle Fru dauhn! Schwiewen Sei man!" Dem Amtsrichter brannten die Au gen. Und das Herz brannte ihm auch, wie er auf das schlanke, schöne Mäd chen sah, die todtmüde in dem großen, alten, zerrissenen Lehnftuhl zusammen gesunken war. Fahren Sie zurück, Kollege, ich gehe zu Fuß!" sagte er zu dem Referendar, Er blieb allein im Zimmer mit der Sterbenden und der Schlafenden. Von fern her , rauschte das Wasser über's Wehr, da, wo er Ursula kennen gelernt hatte. Und eine Biene war durch'S Fenster geflogen und zog ihre Kreise um das geneigte Haupt der Müden. Der Amtsrichter trat hinzu und der jagte die Biene. Lange sah er hinab auf das Mädchen. Ihr weißcS Gesicht sah so ernsthaft aus. Ihre rothen Lip pen waren ein wenig geöffnet über den schimmernden Zähnen. Da beugte er sich über sie. tiefer und tiefer, bis feine Lippen auf den ihren lagen. Sie fuhr auf und sah mit todtmüden Augen auf tyn: Ursula." sagte er, und legte den Arm um ihren Nacken, was die Leute fagen, das gilt Dir gleich; gilt's Dir auch gleich, was Dein Liebster Dir sagt? Der sagt: Ursel, ich liebe Dich!" Und der bittet: sei mein, Du Liebliche, tolze. Getreue! Sie lehnte das Haupt an feine Schul ter. Draußen rauschte das Wasser am Wehr. Ein Duell. Ton Mar Baltke. Er studirte Jurisprudenz in Berlin und war erst im dritten Semester und doch gehörte er schon zu den besten sraziagern unierer ervlndung mein lieber, treuer Leibfuchs Attila. Das Selbstbewußtsein, ein fast unbesiegli cher Gegner zu sein, hatte aber leider eine andere unangenehme Eigenschaft im Gefolge: Attila rempelte gern Men schen an, und wo sich ihm irgend ein Anlaß bot, einen Streit zu provoziren, da hätte er es für eine Schande gehal ten. fein säuberlich vorüber zu gehen. Eigentlich hieß er Siegfried Hauer; auch dieser Name wäre vielleicht für ihn schon Kneipname genug gewesen, aber wir hatten es doch vorgezogen, ihn, der das streitsuchende Wort stets wie eine Geißel schwang, Attila zu tau fen. Es war an einem Junitag, etwa Vormittags elf Uhr, da schlenderte ich Arm in Arm mit Attila durch die Luisenstraße. Plötzlich preßte er mei nen Arm. Siehst Du den Hohenprie sterdort?" Ein lana ausaescbossener Mensck kam uns entgegen. Ein röthlichblon der. spitzgefchorener Bart bedeckte sein Kinn, der Hut schien eine hohe Stirn ZU verdecken. Den Mund hatte rr in wenig geöffnet, wie ein Mensch, du Ar eine große körperliche oder seelische Qual fühlt, und seine Backenknochen traten darum etwas hervor; feine Augen hatten etwas Starres. Geistadwesen deS; sein langsamer Gang war un gleichmäßig, gleich als ob er die Macht über seinen Willen verloren hätte. Als er näher kam, richteten sich seine Augen auf unS. und doch hätte ich schwören mögen, daß er unS nicht sah. Attila ließ meinen Arm loS: Mein Herr. Sie haben mich fixirt! Ich bitte um Ihre Karte!" Der Fremde, dessen Blick trotz oder vielleicht gerade wegen des Stumpfen etwas von dem eines GeifterbannerS hatte, blieb stehen. Ohne ein Wort zu sagen, langsam und immer noch wie geistesabwesend holte er auS seiner Brufttasche eine kleine goldgeränderte Karte und Schrieb: Dr. Mittel, Al mlllstraße 40." Dann reichte er sie mei nem Freunde. Ich werde Ihnen meinen Sekun' danten morgen früh um zehn Uhr fen den!" sagte Attila mit scharfschneidl gem Tonfall und überreichte seine Karte. Dr. Wittek nahm sie, streckte sie. ohne sie zu lesen, gleichgiltig in die Brufttasche. und ohne daß sich seine starren Züge im Geringsten verändev ten, ging er mit ebenso ungleichmäßi gen Schritten, wie er herangekommen war, weiter. Weißt Du, Attila," sagte ich nach einer längeren Mltzbilligungspause, der Mensch war entweder bezecht oder geistesgestört!" Na. das kannst Tu ja morgen sehen. wenn Du mir den Gefallen thust, mit ihm die näheren Bedingungen für unser Duell zu vereinbaren. Du kannst die Zeit a auf Sonnabend früh um sie den Uhr ansetzen. Den Ort kennst Du ja wohl?" Leider ja!" Leider," höhnte er. Am folgenden Morgen stand ich pünktlich um zehn Uhr früh vor dem Haufe Alwinstraße 46. Es war ein eigenthümliches Gebäude, das halb wie eine Kaserne, halb wie eine Villa aus sah. Ich klingelte dem Portier. Was ist das für ein Haus?" Das ist das Sanatorium des Herrn Dr. Oppmger." Können Sie mir vielleicht sagen, ob hier ein Dr. Wittek wohnt?" Jawohl, der ist gestern Vormittag um elf Uhr gestorben." Ich gehöre weder zu den Abergläu bischen, noch den Aengstlichen, aber ich muß gestehen, als ich diese Worte hörte, überlief mich doch ein gelinder Schauer. Gestern früh um elf Uhr waren wir ja gerade dem fremden Herrn mit den stie ren Augen begegnet. Sie sind wohl ein Verwandter des Verstorbenen?" fragte der Portier, der mein plötzliches Verstummen anders deutete. Jawohl," fagte ich rasch entschlaf sen. Kann ich den Todten vielleicht noch einmal sehen? Ja freilich, das können Sie, er liegt gleich hier in der veichenhaue des Sa natoriums. Bitte, einen Augenblick zu warten." In etwa zwei Minuten kam der Portier aus seiner Loge heraufgestie gen mit einem großen Schlüsselbund Er winkte mir, ihm zu folgen. Wir gungen durch einen dunklen Gang, dann schloß er eine Thür aus. ' Ein Zittern überlief mich, und ich fühlte, wie ich kalkweiß wurde. Schnell mußte ich mich gegen den Thürpfosten lehnen. Da lag der Mann, den wir gestern getroffen hatten. Die hohe Stirn, der röthlichblonde, fpitzgeschorene Bart, der halbgeöffnete Mund, die vorstehenden Backenknochen, und durch die nicht ganz geschlossenen Lider blick ten die Augen stier hervor, fast so wie gestern. Ja, ja," fagte der Portier, als er meine Erregung sah, es ist schwer. einen lieben Verwandten verlieren zu müssen. Und er war ein so lieber Herr. der Herr Dr. Wittek. daS sagte mir der Wärter, der feit der letzten Woche Tag und Nacht nicht von feinem Bett gewichen ist, und das fagte auch das Mädchen, und das sagte auch der Herr Dr. Oppmger. Und nun mußte er so früh davon, und er hat es selbst nicht geglaubt ganz kurz vor feinem Tode hat er immer noch von Aufstehen und Spazierengehen gesprochen." Ich drückte dem redseligen Alten schnell ein Geldstück in die Hand und suchte eiligst eine Droschke zu erreichen. Lachend erwartete MlchAtnIa: Nun, was macht Dein Geistesgestörter?" Da sah er mem verstörtes Gesicht. Er hat Dich wohl angesteckt?" Mensch. Attela, was haft Du ge than! Der D. Wittek ist gestern früh um elf Uhr, genau zur Zeit, wo wir ih trafen, in Oppingers Sanatorium. Alwinstraße 46, gestorben. 4. agM y NA. 25. Du bist wohl verrückt?" Nein, aber nahe daran. ES ist ein Ernst, den ich in seiner Sonderbarkeit selbst noch nicht begreife." Attila sah mir prüfend in's Gesicht. Ein Irrthum ist nicht möglich." fuhr ich fort, ich habe den Verstorbenen selbst gesehen. eS ift der Herr, den wir gestern getroffen haben." TaS muß ich erft selbst gesehen haben!" lachte Attila wieder auf. Meinetwegen, aber ich komme nicht mit. Ich werde Dich hier erwarten." Attila ging, und ich blieb in einer Sophaecke sitzen, unfähig, etwas zu den ken oder zu thun. Eine Stunde war vergangen. Da kam eine Droschke vorgefahren. Schwer fällige Schritte, begleitet von schlürfen den, näherten sich der Thür. Der Droschkenkutscher stützte Attila, der sich willenlos seiner Führung hingab und mehr gezogen wurde, als er selber ging Ich brachte ihn schnell zu Bett. Schon phantasirte er heftig. Der Arzt wurde gerufen. Es schien ihm schwer, eine Diagnose zu stellen. Es scheint ein starkes Nervenfieber im Anzug zu fein," sagte er mit be deutlichem Kopfschütteln, nachdem er PuIS und Athemzüge gezählt hatte. Ich wich nicht vom Bett meines Freundes. Ter Sonnabend graute Je später es wurde, desto aufgeregter wurde er. Tie Uhr schlug Sieben. Da fuhr er wild im Bett auf: Ha, Du! Du willst mit mir fechten? Warte nur, elender Geselle, da da hast Du eins auf Deinen dürren Backenknochen! Da da noch eins! Aber was klapperst Du so? Ah, Elender, wo hast Du plötzlich Deinen Schlüger? Was? Mit der Sense willst Du fech ten? Du grinsendes Scheusal, ich will aber nicht unterliegen, ich will nicht, will nicht! Ah. siehst Du. der traf, haha, der saß. oh oh oh!" Unverständlich murmelnd, sank er erschöpft in die Kissen zurück. Der Arzt kam. Er fühlte seinen PuIS. Hm. die Krisis ist vorüber. Er wird wieder gesund werden. Hat doch eine zähe Natur, der Kerl!" Ein Jahr etwa war vergangen. Ich war nach einer kleinen Provinzialstadt gekommen. Um die Langeweile des Kleinstadtlebens zu tödten. las ich das Lotalblättchen. Plötzlich fuhr ich auf: Da stand ganz groß und deutlich: Wie der zurückgekehrt! Dr. Wittek." Was hatte das zu bedeuten? Wie der zurückgekehrt? Etwa aus dem Jen seits? Kommen denn auch Todte wie' der? Ich sah den Adreßkalender nach und fand: Dr. Wittek. pratl cher Arzt. Königstraße 11. Sprechstunde von 8 bis 1 und 4 bis 5 Uhr. Die Uhr war eben halb Fünf. Ich warf mich in eine Droschke und fuhr nacy der önigltraße. Ein Diener öffnete mir. Ist Herr Dr. Wittek zu Hause?" Ja. er ist gestern von Berlin zurück gekehrt und hat feine Praxis wieder aufgenommen." Ich mußte kurze Zeit im Vorzimmer warten. Dann öffnete sich die Thür, und ich stand dem Arzt gegenüber. Es war wirklich der Fremde von damals. Freilich war der starre Ausdruck der Augen einem freundlichen, vertrauen erweckenden Lächeln gewichen, und die Backenknochen stachen nicht mehr so geisterhaft hervor. Womit kann ich dienen?" sagte er, micy mit einer verbindlichen Handbe wegung zum Sitzen einladend. Ich kämpfte eine gewiß berechtigte Befangenheit nieder. Ich bitte sehr um Verzeihung. Sie kommen eben von Berlin zurück. Habe ich Sie nickt im Juni vergangenen Jahres dort in der Luistnstraße getroffen?" Im Juni vergangenen Jahres?" wiederholte er nachdenklich, das kann schon sein." Wohnten Sie damals nickt Alwin straße 46, das ist das Sanatorium von Dr. Oppinger. Ja. ricktia. ick hatte damals gerade die Depesche be kommen, daß mein Bruder, der Ober lehrer am dortigen Luisengymnasium war, lebensgefährlich erkrgnkt sei. Als ich an das Krankenbett trat und sah. daß menschliches Können nichts mehr ausrichten konnte, ging ich hinaus auf die 'Straße, um feinen Todeskampf nicht mit ansehen zn müssen." Ich erzählte in kurzen Worten den Grund meines Kommens. So so," sagte Dr. Wittek. .nun weiß ich doch, wie damals jene Karte: Siegfried Hauer, ftud. jur., in meine Brufttasche gekommen ist. Ich habe mir lange vergeblich den Kopf darüber zerbrochen. Nun. und wie geht eS Ihrem Freund Attila?" Danke, er verspricht, ein tücktiaer Jurist zu werden. Aier er schlägt sich nicht mehr." Ter verkannt Tn I. Ein amüsanjer Vorfall spielte sich vor Kurzem in Rouen in Frankreich ab. Ta befindet sich die Zentrale einer woblthatigcn Gesellschaft, die eS sich angelegen sein läßt, abgelegte Klei dungsstücke reicher Leute zu sammeln und unter die Armen zu vertheilen. Ter Verein besteht erst seit einem Jahre, hat aber schon unendlich diel Gu tcS gestiftet. Heruntergekommene Etel lungsuchcnde beiderlei Geschlechts, die ihres schäbigen äußeren Menschen wegen kein besseres Engagement mehr finden, wenden sich selten vergebens an die ftetS Vorrath bergenden Garderobenschränke dieses Oeuvre de Charii6. Sie wer den anständig ausftaffirt und erlangen dann bald passende Beschäftigung. Bei der letzten Vertheilung männlicher Klei dungsstücke war ein sehr reduzirt aus sehender junger Mann, der einmal bessere Tage gekannt haben mochte und höhere Bildung, sowie gute Manieren, zu besitzen schien, so glücklich, in den Besitz eines kompletten AnzugeS zu ge langen, dem man eS kaum anmerkte, daß er schon getragen war. Rock und Beinkleid saßen, als wären sie in einem erstklassigen Schneideratelier speziell für ihn gearbeitet worden. UeberdieS hatte der großmüthige Geber dem tadel losen Habit Schuhe. Hut und andere Akzessiorien des Gentleman hinzugefügt, und mit deren Hilfe verwandelte sich der glückstrahlende Empfänger in weni gen Minuten in einen ganz flotten Ka valier. Sich überaus elegant dünkend, schlenderte er die Rue Jeanne d'Arc entlang, als plötzlich wie ein Wirbel wind eine junge Frauensperson hinter ihm her stürmte und sobald sie ihn er reicht hatte, mit dem Schirm eine ge hörige Tracht Prügel auf den Ueber raschten herabregnen ließ. Zornige Vor würfe unfeine große Auswahl von Schimpfworten sprudelten dabei auS ihrem Munde. Der Ueberfallene wehrte sich natürlich seiner Haut, so gut eS gehen wollte, und das Ende vom Liede war, daß beide Personen nach dem nächsten Polizeibureau gebracht wurden. Hier stellte eS sich heraus, daß nur die feinen Sachen des jungen ManneS an allem Schuld waren. Die tempera mentvolle Schöne hatte in ihm ihren treulosen Liebsten zu erkennen geglaubt, , der sie vor wenigen Wochen verlassen hatte und spurlos verschwunden war. Den Anzug nebst allem Zubehör er klärte sie mit Bestimmtheit für daS einstige Eigenthum ihres flatterhaften Adonis. SchneUigkeit ds BogelftugS. Bezüglich der Schnelligkeit des Fluge? der Vögel herrschen selbst unter erfahre nen Naturforschern sehr verschiedene An sichten. Leider stützen sich die Urtheile aller dieser sich widersprechenden Sach verständigen in der Hauptsache nur auf Berichte über den Flug von HauS oder Brieftauben; gerade diese sind aber keineswegs die schnellsten unter unfern, beschwingten Freunden. Sie besitzen freilich hervorragende Eigenschaften in Bezug auf Ausdauer und einige neuere Beobachtungen über deren Flug von den Schetlandsinseln bis London haberr erwiesen, daß die Tauben 16 Stunden , lang eine mittlere Fluggeschwindigkeit von 59 Kilometer in der Stunde ent wickelt hatten. Das ist aber nicht die höchste erzielte Leistung, denn Brieftau den haben die Strecke von Spaa nach Paris (402 Kilometer) schon binnen fünf Stunden (also durchschnittlich 80.4 Kilometer in der Stunde) zurückgelegt. Auf kürzere Entfernungen bringen es Tauben unzweifelhaft auf 125 bis 160 Kilometer in der Stunde, das können sie aber nur 1j bis höchstens 3 Kilo meter weit aushalten. 43 bis 65 Kilo meter in der Stunde sind für eine Taube, die einen ganzen Tag lang un terwegs ist, schon eine recht gute Mit telleistung, dabei fliegt sie etwa 8 bis 10 Stunden, die übrige Zeit kommt auf Futtersuchen, Trinken und Aus ruhen, denn ein so langer Flug ist mit außerordentlicher Anstrengung der knüpft. Bei einem ununterbrochenen Fluge von zwölf Stunden verliert em solcher Vogel ein Drittel seines Ge Wichts, da sich im Körper entwickelnde hohe Wärme den Schwund der Gewebe beschleunigt. Verschiedene angesehene Ornithologen behaupten übrigens, daß viele der Zugvögel, die im Frühling zu uns zurückkehren, mit der Geschwin digkeit von 240 Kilometer in der Stunde flögen. l?igenthümliche Stiefel. Die Pehuentschen, ein Stamm der Pampasindianer in dem südamerika nischen Steppentiefland, tragen große Stiefel von ganz eigenthümlicher Be schaffenheit. Der Pehuentsche nimmt von deren beten oder erlegten wilden Pferden nämlich zwei Beine, deren vorsichtig ab gelöste Haut er sich über die Füße bis zu den Knieen hinauf anzieht und zwar, wenn die Haut noch geschmeidig ift. Die menschliche Ferse kommt gerade da hin. wo die Kniebeuge des PferdeS war, daS übrige des FelleS wird nach dem Fuße zurechtgefchnitten und in der Form eines Schuhes genäht. Dieser Stiefel verläßt den Fuß des Pehuent schen nicht eher, weder bei Tag noch bei Nacht, als bis er durch einen neuen ersetzt werden muh. Anfangs, solange die Haut noch weich ift, sitzt der Stiefel etwas lose am Fuß. später aber, ge trocknet, legt er sich ganz knapp an das Bein. t