Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, September 21, 1899, Image 9

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    Sie weiß sich zu Keifen.
(Hui dem ngll'chkN )
JA wußte im Poraus. wie ti tom
. OTfn uürb," sagte flirt. Mynton.
Ihr könnt eS bezeugen, Mädchen, daß
Ich eS vom Anfang an voraussagte.
Sie ist nicht kräftig genug, um in
einem Laden zu stehen; im Hause ift sie
jU nichts nutze, und nun liegt sie uns
zur Last durch ihre Krankheit, und
Niemand weiß, wie lange diese dauern
wird. Dazu haben wir eine Doktor
Rechnung zu erwarten, gar nicht vom
Apotheker zu sprechen, und Mynton'S
Vehalt ist gerade jetzt wegen der schlech
ten Zeiten herabgesetzt, und "
.Still, Mama!" sagte Angelina
Mynton. indem sie ihren Zeigefinger
warnend erhob. .Sie kann Dich
hören."
' Und so war es. Der Nebel, welcher
Phöbe Clissold'S Geist umnachtet hatte,
schwand allmählich: die Worte, welche
ihr zuerst wie das entfernte Summen
eines Bienen SchwarmeS geklungen
hatten, nahmen deutliche Gestalt an.
.ES thut mir sehr leid, Tante
Mynton sagte sie. Ich will mich
bemühen. Euch keine Last zu sein.
Wirklich," fuhr sie fort, indem ein
schwache? ' Lächeln um ihre Lippen
spielte, .ich fiel nicht absichtlich in
Ohnmacht; aber im Laden war es so
heiß und die Ventilation so schlecht
wenn ich um einige Tropfen Wasser
bitten dürfte."
Phöbe Clissold war mit neunzehn
Jahren Waise geworden. Ihr nächster
Verwandter ein, Bruder ihrer der
storbenen Mutter war in einer Bank
in New York angestellt, und zu ihm
hatte sie ganz natürlich ihre Schritte
gelenkt. ES war ihm gelungen, ihr
eine Stelle in einem großen Galanterie
aeschäft zu verschaffen, und hier hatte
sie im ersten Vierteljahr diese schwach
volle Niederlage erlitteu.
.Sie kann die vielen Stunden Arbeit,
ganz von der frischen Luft abgeschnit
ten, nicht vertragen," meinte Dr. Falk
ney. .Viel Bewegung und Luft sind
ihr durchaus nöthig. Die jetzige Lebens
weife kann sie nicht aushalten."
Bewegung in der freien Luft?"
wiederholte MrS. Mynton, deren Herz
durch jahrelange Entbehrung und an
gestrengte Arbeit bitter geworden war.
.Aber, Dr. Falkney, wir haben nicht
Pferd und Wagen, und Zeit, um im
Park spazieren zu gehen, haben wir
auch nicht. Frische Luft! Wir wohnen
m einer Micths-Wohnung, die Schlaf
zimmer werden mit Gas erleuchtet und
durch den Schornstein gelüftet und dem
ift nicht abzuhelfen, scheint mir."
Dr. Falkney schüttelte den Kopf.
.Langsames Gift," sagte er. ..für,
ein Mädchen wie sie." Phöbe, welche
im Nebenzimmer auf dem Sofa lag
und langsam an einem Paar Strllm
pfen für den jüngsten Mynton strickte,
hörte dies Alles und überlegte, was zu
thun fei,
.Hier möchte man mich am liebsten
loS Mn," dachte sie traurig. Ich bin
ein unnützer Esser, und Dr. Falkney
sagt, ich darf nicht mehr in den Laden
zurückkehren, die Frage ist: Was soll ich
thun? Bewegung? Frische Luft Tante
Mynton hat recht, dieser Luxus scheint
nicht für mich da zu sein."
Als sie so dalag, beobachtete sie
Angelina Mynton. welche versuchte,
ihren vorjährigen Strohhut mit einem
drei Ellen langen erdbeerfarbenen seide
nen Bande und einem Bouquet gelber
Primeln zu garniren.
Es war deutlich zu sehen, daß Ange
lina keine Putzmacherin war. Sie
drehte das Band nach allen Seiten; sie
brachte die Primeln erst auf einer Seite,
dann auf der andern an und schleuderte
endlich Hut, Band und Blumen mit
einem Ausruf der Verzweiflung von
sich.
Häßliches, altes Ding!" rief sie
aus, .ich kann nichts daraus machen."
Pböbe legte ihr Strickzeug beiseite.
.Gieb eS mir!" sagte sie. Einige zier
llche Schleifen, ein geschicktes Anbringen
der mißhandelten Primeln, und Phöbe
,zKte den Hut den bewundernden
Blicken Angelinas.
Me gefällt er Dir jetzt?"
,Oh, reizend!" rief sie voll Bewunde
rung aus. .ES ift gar nicht wie der
selbe Hut. Wie hast Du es angefangen.
ÄSbe?"
2jch weiß nicht," antwortete Phöbe.
.Ich habe immer meine eigenen Hüte
'und die von meiner Mutter garnirt; es
macht mir Spaß."
.Du solltest Putzmacherin werden."
agte Angelina, .aber," fragte sie sich
erinnernd hinzu. .Dr. Falkney sagt,
Du darfst Dich nicht in einem Laden
einschließen, und eine Putzmacherin
sann sich auch nur wenig Bewegung in
.der frischen Luft machen."
Ja." stimmte Phöbe seufzend bei.
Doktor Falkney war ein ruhiger,
-wortkarger Junggeselle von vierzig
Jahren. Er hatte zehn Jahre lang
an demselben Ort seinen Beruf aus
geübt und nie empfungen. daß ihm
etwas fehlte. Aber an diesem frischen
Frühjahrsmorgen saß er nachdenklich
in seinem Arbeitszimmer, indem er
daS große Skelett, das hinter einem
Gazevorhang in der Ecke aufgestellt
war. aufmerksam betrachtete und dabei
mit dem Lineal auf dem Tisch klopfte.
Ihre Augen gleichen denen eines
aufgescheuchten Rehes," sagte er zu sich
selbst. .Und eine so sanfte, liebliche
Stimme! Sie schwatzt nicht, wie ihre
Eousinen. Sie spricht in einer ruhigen
. Weise, die dem Ohr wohl thut. Und
,
T
M SmnkagsgA
Jahrgang 20. Beilage zum Nebraska Ttaats-Anzeiger. No. Ist.
sie steht so ganz allein in der Welt!
Ja, ich will sie hcirathen. wenn sie mich
mag."
Wenn Dr. Falkney einmal einen
Entschluß gefaßt hatte, zögerte er nicht
lange mit der Ausführung desselben;
darum ging er noch am selben Nach
mittag zu Mrs. Mynton und verlangte
Miß Clissold zu sehen.
.Wissen Sie nicht, daß sie fort ift?"
sagte Mrs. fliynton, die wie immer
mit Strümpfestopfen beschäftigt war.
Fort?" fragte Dr. Falkney erstaunt
.und wohin?"
Es ist die merkwürdigste Sache der
Welt," erwiderte MrS. Mynton, wir
wissen es selbst nicht unö'ich bezweifle,
daß sie es selbst weiß. Sie sagte, sie
wollte ihre Vorschrift befolgen, Dok
tor."
Meine Vorschrift?"
Bewegung und frische Luft hatten
Sie ihr vorgeschrieben, wie Sie Sich
erinnern werden. Sie sagte, nach
einigen Wochen würde sie zurückkom
men und uns mittheilen, wie es ihr ge
gangen."
Dr. Falkney's pechschwarze Augen
brauen zogen sich zusammen."
Und Sie ließen sie fortgehen?" sagte
er. So jung, so hübsch und so uner
fahren! Wo waren Ihre mütterlichen
Gefühle. Mrs. Mynton?'
Ich weiß nicht, waS die mütterlichen
Gefühle hierbei zu thun haben." sagte
Mrs. Mynton etwas beleidigt. Sie
ist ja nicht mein Kind, nur die Nichte
meines ManneS. Und ich habe selbst
vier Töchter, für die ich verantwortlich
bin; außerdem habe ich keine Autorität
über Phöbe Clissold."
Sie mögen recht haben," antwor
tete Dr. Falkney. Aber ich hoffe, sie
kommt bald wieder."
Phöbe hatte einen Entschluß gefaßt.
Ich will versuchen zu haufiren."
sagte sie zu sich selbst. .Einen Theil
meiner Waaren trage ich auf dem Arm.
den andern im Kopf."
Am selben Tage, als Mrs Perkin
gerade den Mittagstisch deckte, klopfte
Phöbe Clissold an ihre Thür.
Mein Gott!" rief die Frau des
Pächters aus. indem sie vor Erftau
nen beinahe ihre größte blaugeränderte
Schüssel fallen ließ, sind Sie das.
Phöhk?"
Ja," nickte Phöbe. Wie gut Ihr
Mittagessen riecht, Mrs. Perkins! HUH
nerpaftcte? dachte Ich es mir nicht! Und
ein Pudding! MrS. Perkins, darf ich
bei Ihnen zu Mittag essen?"
.Sie sind willkommen," sagte die
gute Frau. Aber ich dachte, Phöbe,
Sie wären zu Ihren Verwandten nach
New Vrk gegangen, Sie haben Sich
doch hoffentlich nicht mit ihnen ent
zweit?" Oh nein," sagte Phöbe. Ich ent
zweie mich nie mit Jemand, Mrs.
Perkins. Aber ich muß mich selbst er
nähren. Onkel Mynton ist nicht reich,
und ich kann ihm nicht zur Last fallen.
Ich versuchte daS Leben in einem Laden,
aber ich schien nicht kräftig genug zu
sein. Darum mußte ich etwas Anderes
probiren. Nun bin ich eine herum
reisende Putzmacherin."
Was?" rief Mrs. Perkins aus, die
Theebüchse hoch über der glänzenden
Theekanne haltend.
Phöbe deutete auf den leichten Korb
an ihrem Arm.
In diesem Korbe," sagte sie lachend,
sind drei Abtheilungen. Die eine ist
voll von den modernsten Hut-Fassons,
ganz eng zusammen gepackt; die zweite
enthält Blumen, und die dritte Bänder
von allen Farben. Sie kaufen Ihren
Frühjahrshut bei mir. nicht wahr,
Mrs. Perkins?"
Na. wie glücklich sich das trifft!"
sagte Mrs. Perkins. Morgen wollte
ich mir einen kaufen!"
,, .Sie werden mit mir ebenso zufrie
den sein, wie mit einer anderen Putz
macherin." sagte Phöbe. .Und ich will
auch billig sein. Versuchen Sie es mit
mir, mehr verlange ich nicht."
.Das will ich thun," sagte die gute
Dame. Sie waren immer geschickt
mit der Nadel. Das Mittagessen ist
fertig, und ich werde Mr. Perkins
rufen. Setzen Sie Sich, Phftbe, und
nehmen Sie vorlicb, wie Sie es sin
den."
Nach dem Essen arbeitete Phöbe
fleißig an dem neuen Hut für Mrs.
Perkins. Scharlachrothe Mohnblumen,
schwarzseidenes Band und der in Puffen
gezogene, schmarzseidene Hut entzückte
die gute Frau vollständig.
.Noch nie habe ich einen hübscheren
Hut besessen." sagte sie. , .Acht Dol
lars? Natürlich will ich Ihnen 'acht
Dollars bezahlen!" Ich hatte mich auf
zehn vorbereitet, und dieser ift hüb
scher, als ich ihn wo anders bekommen
hätte."
Dieser Erfolg entschädigte sie einiger
maßen für das Kritisiren und Handeln
von Seiten Mrs. Deacon Roots, die
im Nebcnhausc mit ihren drei Töchtern
wohnte. Phöbe mußte die Familie für
sechsundzwanzig Dollars mit Hüten
versehen, wovon kaum ihre eigenen
Ausgaben gedeckt wurden.
Dann packte sie wieder ihren Korb
und begab sich von Neuem auf den Weg
unter den blühenden Bäumen und auf
den schattigen Wegen, wo das Gras mit
den goldigen Blüthen des Löwenzahns
wie besät war.
.Dr. Falkney hatte recht," sagte sie
zu sich selbst. Luft und Bewegung
sind mir nothwendig. Ich bin ein ganz
anderer Mensch geworden nur thut
eS mir leid, daß ich Dr. Falkney's
freundliches Gesicht nie mehr wieder
sehen werde!" Nur einen Augenblick
lang schimmerte das , ferne Blau deS
April-Himmels durch einen Nebel von
hervorbrechenden Thränen. Wie thö
richt ich bin!" dachte Phöbe.
Dann klopfte sie bei Mrs. Parthan
an und fragte, ob sie das Neueste in
Frühjahrshüten zeigen dürfte. Die
frischen, glänzenden Bandrollen, die
zarten Rosen und Narzissen, die hüb
schen Fassons in Stroh und Spitzen,
und Phöbe's natürliches Talent im Zu
sammenstellen aller dieser Herrlichkeiten,
erwies sich bei der Landbevölkerung als
unwiderstehlich, und in Kurzem hatte
Phöbe ihren ganzen Vorrath ausver
kauft und kehrte mit einer beträchtlichen
Summe als Reinertrag nach der Stadt
zurück.
Dies," sagte sie freudig zu sich
selbst, will ich Tante Mynton geben
für die Ausgaben, die ich ihr verur
sacht habe."
Als sie über die Straße ging, um sich
nach dem düsteren, rothen Gebäude zu
begeben, wo Mynton'S zusammen mit
einem Dutzend anderer Familien wohn
ten, hielt Jemand plötzlich sein Pferd an
mit dem Rufe: Wollen Sie überfahren
werden Phöbe?" Sie sah auf. es war
Dr. Falkney.
.O, Doktor," rief sie ftrahclnd, ich
habe Ihre Vorschrift befolgt, und Sie
können Sich kaum denken, wie gut es
mir gethan hat!"
Der Doktor sah ebenso glücklich aus
wie sie selbst. Ich werde heute Abend
zu Ihnen kommen," sagte er.
Wieder eine Vorschrift?" fragte.
w-.iu
vyone.
Und dann dachte sie mit plötzlichem
Srröthen daran, daß sie seine Rechnung
noch nicht bezahlt hatte
Aber jetzt kann ich sie bezahlen!"
dachte sie, als sie seinem davonrollenden
Wagen nachblickte. Wenn seine Sprech
stunden anfangen, will ich zu ihm gehen.
Ich will nicht warten, bis er mir seine
Rechnung bringt."
Zu Dr. Falkney's Ueberraschung war
sein erster Patient an diesem Nachmit
tag Phöbe Clissold.
Doktor," sagte sie, ich bin gekom
men, ' um meine Rechnung zu bezahlen
mit selbstverdientem Gelde."
Habe ich sie Ihnen geschickt?"
fragte er.
Nein. Aber"
.Auch beabsichtige ich nicht es zu
thun!" erklärte er. Phöbe, ich denke
daran, mir einen Compagnon zu neh
men." Dann wird Ihr Compagnon gewiß
darauf bedacht sein, alle die alten
Schulden einzutreiben," sagte sie, mit
dem Kopf nickend.
Das weiß ich nicht. Ich denke an
einen Compagnon für's Leben, Phöbe
nicht an einen für meine Praxis
und der Compagnon, den ich haben
will, bist Du mein liebes Wäschen!"
Dies klang vielleicht etwas unbe
stimmt, ober sie verstand es augenblick
lieh. Ihre Wangen rötheten sich; ihre
langen braunen' Augenwimpern senk
ten sich.
Soll es heißen Dr. Falkney und
Frau, mein Liebling?" sagte er, ihre
Hand in die seine nehmend.
?!etzt kamen andere Patienten, und
nach dem einen Blick in ihre nußbrau
nen Augen wurde Dr. Falkney von
nem Zweifel gequält.
.Dies war das Ende von Phöbe's
Putzgeschäft. Aber ich werde mich
stets glücklicher und unabhängiger
fühlen," sagte sie, nun ich weiß, daß
ich mir selbst mein Brod verdienen
kann."
ZU viel Glück.
Von Ludmig Ganghofe r.
Zu höchst im Dorfe, auf einem aus
dem sanft geneigten Berggang vor
sprengenden Grashügel, den nur
wenige Obstbäume beschatteten, stand
sein kleines Häuschen. Innerhalb der
vier rissigen Wände gab es nicht viel des
Sehenswerthen; ein wahrer Schatz an
Reichthum und Schönheit aber war die
Aussicht, die man von der Hausbank
über das liebliche Waldthal, über den
tiefblauen See und das am Ufer freund
lich hingclagerte Torf mit seinen weiß
blinkenden Häusern genoß. Um die-
ser Aussicht willen stiegen die Som
mergäfte gern zu dem kleinen, hochge
legenen Häuschen hinauf. Und wenn
der Naz nicht grade auf der Wände
rung war. dann machte er gern den
Wirth und bot seinen Gäften ein GlaS
Geißmilch zur Erfrischung an. Fragte
man ihn, waS man für den Trunk zu
bezahlen hätte, dann drehte er den
Rücken und brummte: Ah, lassen S'
mich aus, was wird's denn kosten."
Doch wehe dem Gast, der nach diesen
Worten nicht auf den Einfall kam, ein
ausgiebiges Trinkgeld auf die Haus
dank oder auf das Gesims des immer
offenen Fensters zu legen. Ihm wußte
der Naz mit seiner gewetzten Zunge gar
Übel zuzusetzen.
Denn auf das Geld ging er aus.
Wo eS nur auf eine Meile weit einem
Groschen zu riechen gab, da war der
Naz gleich unterwegs. Das war ihm
nun freilich nicht zu verdenken. Denn
der Verdienst, den sein .Geschäft" ihm
abwarf, hätte kaum die Mäuse in sei
nem stillen,z einsamen Hause ernährt.
Unser Naz. . . ., seinen vollen Namen
habe ich niemals nennen hören, zuwei
len nur geschah es. daß er zum Unter
schied von irgend einem Namensbruder
der Glaser-Naz" genannt wurde ,
unser Naz also war wohlbestellter
Glasermeister für das Dorf und eine
weite Umgegend: an die vier Stunden
hätte er wohl wandern dürfen, um
einem Concurrenten in's Gehege zu
kommen. Daraus mag auch zu schließen
sein daß sein Geschäft alles Andere
eher war, als eine Goldgrube. Was
Wunder also, daß innerhalb der zwan
zig Jahre, seit denen Naz die Gläserei
betrieb, im Dorfe und all den umlie
genden Gehöften kein noch so häßliches
Dirnlein sich gefunden hätte, das der
Versuchung, Frau Glasermeisterin zu
werden, nicht leichten Herzen? entron
nen wäre.
Einsamkeit zehrt. Und da der Naz
auch außerdem wenig zu beißen hatte,
so wurde mit der Zeit aus dem heiteren
Burschenein zaundürres, eingetrocknete?
Männlein mit einem welken, furchigen
Gesicht,' daS schon ein recht greisenhaf
tes Ansehen zeigte, obwohl der Naz die
Fllnfzig noch lange nicht erreicht hatte.
Die saure Gurkenzeit feines Geschäftes
tvtt er Winter. Vom ersten Schnee
fall bis zum letzten . Thauwettertag
brauchte der Naz keine Hand zu rühren.
Die Leute im Dorfe lieben es nicht, im
Winter ihre Zimmer zu lüften, denn
die Ofenwärme hat flinke Füße. Und
wo die Fenster nicht ftrabbizirt werden,
da zerschlägt man wenig Scheiben.
Und wenn das Unheil dennoch einmal
ein Fenster klirren machte, dann wur
den die Sprünge mit Papier verklebt,
da? that schon Dienste bis zum Früh
jähr. Wenn aber der Föhn die-Berge frei
geblasen hatte vom drückenden Schnee,
und die Zeit der Märzenftürme vorüber
war, dann kam für den Naz eine harte
Zeit. Da mußte er an jedem grauenden
Morgen die schwere Glaskraxe auf den
Rücken nehmen und über hohe Berg
Pässe aus und einwandern, um in den
weit zerstreuten Gehöften die Schäden
zu heilen, die Winter und Föhn unter
den Fensterscheiben angerichtet. Ein
schwerer, saurer und dabei recht kärg
licher Verdienst.
Aber je knapper dem Naz die Freu
den des Lebens zugeschnitten waren, um
so bockbeiniger ward seine Zuversicht,
daß auch ihm noch einmal bessere Tage
blühen müßten. Wenn er, mit seiner
centnerschweren Kraxe beladen, in der
brennenden Sonne über rauhe Wege
dahinstolperte, war es ihm wohl zu
verzeihen, wenn er von angenehmeren
Zeiten träumte, von einem sorglosen
Alter, von einem Schäfchen im Trocke
nen," und wenn er sich sonst noch mit
allerlei freundlichen Luftschlössern die
Mühsal erleichterte.
Und wer weiß, ob seine bescheidenen
Träume sich nicht in Wirklichkeit ver
wandelt hätten, wenn das Glück nicht
über ihn hergefallen wäre, jäh und ver
wirrend, wie ein Unglück.
Es war an einem Abend im Hoch
sommcr. Zwei Damen faßen vor dem
Häuschen des Naz und schlürften die
frische Geißmilch. Wir müssen eilen,"
meinte die Eine, hinter den Bergen
steigt es ganz finster herauf, 'wir be
kommen vor Nacht noch ein sehr schweres
Gewitter!"
Gewitter! Der Klang dieses Wortes
goß einen hellen Glanz über das Ge
ficht des Naz.
Sich nur, sagte die andere Dame,
die Wolken nehmen eine so seltsam
gelbliche Farbe an. Das pflegt auf
Hagel zu deuten."
Hagel." Dieses Schlagwort" zau
berte einen ganzen Sonnenaufgang
über die Züge des Naz. 'Was für ge
wohnliche Menschenkinder eingezogener
Lotteriegewinn ist, das ungefähr be
deutete ein ausgiebiger Hagelschauer
für den Glaser-Naz. 'Er achtete kaum
mehr deS freundlichen Grußes, mit dem
sich die beiden Damen entfernten.
Breitspurig stellte er sich unter die
Hausthür und blickte den dick aufstei
genden Wolken mit so freundlichen
Augen entgegen, wie ein Hirte seinen
fetten Schafen. Und je finsterer der
Himmel wurde, desto heller stieg die
Hoffnung im Herzen deS Naz empor.
Als die ersten schweren Tropfen fielen,
trat er in sein Stäbchen und schloß alle
Scheiben. Er war mit diesem Geschäfte
noch kaum zu Ende, da begann schon
der Regen niederzuklatschen, schwer und
grau.
Raz wanderte von einem Fenster zum
andern und blickte erwartungsvoll zu
den wirbelnden, fahl gefärbten Wolken
empor. Der erste Blitzstrahl zuckte nie
der gegen den See, und ein raffelnder
Donnerschlag machte die Lüfte beben
und alle Fensterscheiben zittern. Das
Klirren des Glases schien Musik in den
Ohren des Naz, denn ein vergnügtes
Schmunzeln spielte über seine welken
Lippen. Nun plötzlich hob er den Kopf
mit einer Bewegung, als möchte er die
Ohren spitzen. Es klang und klirrte
seltsam aufeinander dann jählings
wurde die dämmernde Abendluft ganz
weiß vom dicht fallenden Hagel. Als
die erste Fensterscheibe zerschmettert in
die Stube fiel, rieb sich Naz vergnügt
die Hände und lachte! So is' recht!
Nur einig'haut, daß Alles kracht! Nur
einig'haut! Einig'haut!"
Es war, als hätte der böse Geist des
Unwetters diese Worte vernommen und
als wollte er so recht nach der Meinung
des Naz sein unheimliches Geschäft er
füllen. Denn rings um das Haus
herum erhob sich ein Knattern und
Prasseln, ein Schmettern und Dröh
nen, ein Toben und Stümen, daß ein
abergläubisches Gemüth hätte fürchten
können, das Ende der Welt sei gekom
men. In allen Häusern des Dorfes, in
allen Gehöften weit umher, mochte wohl
in dieser sturmvollen Stunde Schreck
und bange Sorge die Gemüther der
Menschen bedrücken. In der Seele des
Naz aber herrschte heller Jubel. Und
als unter der schlagenden Wucht des
Hagels, der in wallnußgroßen Körnern
und in ungeheuren Massen fiel, eine
Fensterscheibe um die andere, bis auf
die letzte, zerschmettert vor den Füßen
deS Naz auf den Dielen klirrte, da
überkam ' ihn ein völliger Freuden
rausch. Er sprang und tanzte wie ein
Narr in der Stube umher und schrie
und lachte: Jetzt krieg' i' Arbeit!
Kruzitürken! Däs giebt aber z'schaffen!
So is Reckt! Nur einig'haut! Einig'
haut!"
Durch die zerschlagenen Fenster
peitschte der Sturm den Hagel in die
Stube, daß der graue Bretterboden
weiß übersät wurde. Aber darum
kümmerte sich der Naz nicht mehr, Er
begann die Arbeit. Hinter dem Ofen
schleppte er seinen ganzen Glasvorrath
zusammen und machte einen Ueber
schlag. Für etwa hundert zerschlagene
Scheiben mochte wohl sein Vorrath
reichen und vierzig ' Pfennig reiner
Gewinn an jeder Scheibe das waren
vierzig Mark an sicherem Profit! Für
;den Naz das große Loos!
Das Ungestüm der Freude machte
seine Hände zittern, die Erregung
machte ihn hastig und so geschah es,
daß eine der großen Glasscheiben in
Scherben ging. Nur erklaßte und un
ter wirrem Stottern las er die Stücke
zusammen. , Das waren ja schon vier
Fensterscheiben weniger. Und wenn der
Hagclsturm an jedem Hause gewüthet
hatte, wie am Hause des Naz. dann
wären wohl mehr als hundert Scheiben
zerschlagen, mehr als zwei-, drei, vier
hundert, mehr als tausend! Was gab
es da zu verdienen! Aber woher ! Und
woher die Zeit. Eine halbe Stunde
für jedes Fenster mit vier Scheiben ge
rechnet und wenn er vom frühen
Morgen bis zum späten Abend schaffte,
volle fünfzehn Stunden das machte
etwas über hundert Scheiben jeden
Tag! Aber der Weg von einem Haus
zum anderen kostete wieder Zeit, werth
volle Zeit! Und die Leute würden mit
ihm reden, ihm vorjammern, ihn
stören in der Arbeit! Nein, er durfte
nicht mehr als achtzig Scheiben rechnen
auf jeden Tag. Und wenn es tausend
Scheiben einzuschneiden gab vierhun
dert Mark Gewinn an tausend Schei
bcn, ein Vermögen! Da hätte er
schwere Arbeit durch vierzehn Tage!
Würden denn die Leute sich so lange
gedulden? Würden sie nicht aus der
nächsten Stadt einen Glaser" kommen
lassen? Nein, nein, das thäten ihm die
Leute doch wohl nicht an, sie waren
ihm ja gut, er war ja ein Kind des
Dorfes! Das dürfen sie nicht es war
ja sein Recht, es war sein Glück! Aber
woher das Glas nehmen, das Glas,
das Glas-.
Es wurde dem Naz ganz wirr im
Kopfe. Wo er hingriff mit seinen
Händen, zerdrückte er eine Scheibe, m
er hintrat mit seinen Fußen, da gab
eS Scherben und dann, noch ehe das
Unwetter zu Ende war. in sinkender
Nacht, rannte er aus dem Hause
rannte durch alle Straßen deS Dorfes,
und als er Haus um HauS kaum
mehr eine einzige unversehrte Fenster
scheide fand, da lachte er. und lachte,
lachte.
Die Leute, die ihn sahen und erkann
ten. riefen ihm jammernd zu: .Nazi
Nazi, da schau. döS Unglück. Alles is
hin. Alles. AlleS! Komm nur gleich
in aller Früh. gelt, komm' aber nur
gleich!"
Er aber rannte davon und lachte nur
und lachte, so daß ihm die Leute kops
schüttelnd nachschauten: .Was hat r
denn, der Naz, was hat er denn?"
Am anderen Morgen gab es eine
förmliche Wallfahrt nach dem Häus
chen deS Naz. Jeder rief seinen
Namen, Jeder wollte ihn und seine
Arbeit zuerst haben. Im Häuschen
aber blieb Alle? stille. Und als die
Leute schließlich in ihrer Ungeduld die
Thür eindrückten, fanden sich Scherben
überall umher. Und vom Geländer der
Treppe, die zum Bodenraum empor
führte, hing ein regungsloser Körper
nieder.
Naz hatte sich erhangt. Das Glück,
das ihm der Sturm gebracht, war zu
groß für ihn gewesen.
Manch ein Leser mag zu dieser
Geschichte ungläubig den Kopf fchüt
tcln. Und ich gebe zu, die Geschichte
erscheint unwahr und unmöglich. Aber
daS Leben erlaubt sich zuweilen solch
einen verrückten Einfall; denn diese Ge
schichte hat sich vor Jahresfrist zu
Tegernsee in Baiern wirklich ereignet.
ebendigbkgrabtnwerde der"
reis.
Der grausame Gebrauch. Greise, die
erwerbsunfähig sind, lebendig zu be
graben, um sich der Last ihrer Ernäh
rung zu entledigen, liegt in Deutsch
land noch nicht so weit zurück, als wohl
vielfach angenommen wird. Dafür
spricht wenigstens eine gräflich Mans
fcldsche Aufzeichnung, der Folgendes
zu entnehmen ist. Im Jahre 1322
fuhr eine Gräfin v. Mansfeld, geb.
LÜchow, durch die Lüneburger Heide,
um ihre Verwandten in Lüchow zu be
suchen. In einem Walde, weit ab von
menschlichen Wohnungen, vernahm sie
nebst ihrer Begleitung ein Klagen und
Hülferufen. Sie befahl, nach der Rich
tung zu fahren, aus der die Stimme
gehört wurde. Als mit dem Wagen
nicht mehr weiterzukommen war, be
auftragt? sie einen Diener, zu Fuß die
Richtung zu verfolgen und zu ermifV
teln, was vorliege. Derselbe kam mit
der Meldung zurück, die Klagctöne
kämm von einem alten Manne, oer ge
fesselt unter einem Baume liege, und
der Sohn des Hauses werfe eine Grub
aus, um feinen Vater zu begraben.
Da begab sich die Gräfin mit Beglei
tung selbst nach dem Orte, und sie
machte dem Sohne Vorwürfe wegen
seines grausamen unchristlichen Unter
nehmens: Gnädige Frau, was soll ich
thun? Ich habe eine zahlreiche Familie.
Meine Kinder schreien nach Brod, und
ich kann mit meiner Frau trotz allen
Fleißes und aller Entbehrungen ihren
Hunger nicht stillen. Soll ich diesen
den nothdürftigen Bissen vor dem
Munde wegnehmen, um den Alten zu
ernähren, der nicht mclir im Stande
ist, sich nützlich zu machen, der nicht nur
meiner Familie, sondern auch sich zur
Last lebt? Richtiger ist es doch, diesen
aus dem Leben zu schaffen, um die
Kinder zu erhalten!" Die Gräfin ant
wartete, die Noth entschuldige ein so
unmenschliches Verfahren nicht. Es
gebe ja wohlhabende, reiche Leute, die
gern geholfen haben würden. Der
Sohn entgegnete: Die Reichen haben
kein Erbarmen, und die Armen haben
mit ihrer eigenen Noth zu viel zu thun,
um helfen zu können. Darauf gab die
Gräfin dem Sohne eine Summe, ge
bot, dem Greise die Fesseln abzuneh
men und die Grube zuzuwerfen. Dann
versprach sie noch, in Lüchow Anord
nung zu treffen, daß dem Alten ferner
geholfen werde, wenn es noth thue,
und sie hat, wie der Bericht bekundet,
nicht nur dieses ihr Wort gehalten,
sondern auch dafür gesorgt, daß be
sannt werde, wozu es führe, wenn die
glücklich gestellten Menschen sich nicht
um die Noth ihrer armen Mitmenschen
kümmerten.
Der Erfinder des Hammerklavterö.
Aus Nordhauscn wird geschrieben:
Zweihundert Jahre waren am 10.
August darüber vergangen, daß der
Erfinder des Hammermechanismus im
Klaviere, Christian Gottfried Schröter,
dessen hiesiges Wohnhaus eine vom
wissenschaftlichen Vereine gestiftete Ge
denktafel schmückt und nach hier auch
eine Straße benannt ist, zu Hohenstein
in Sachsen geboren wurde. Schröter's
epochemachende Erfindung füllt in das
Jahr 1717. Da er jedoch mit ihr nicht
hervortrat, kam ihm 1719 Chriftofati
in Venedig zuvor. Das Modell Schrö
tcr's wurde dem sächsischen Hofe 1721
vorgeführt, diente aber erst seit 1730
bei Fertigung von Pianofortes zum
Muster, und zwar in der berühmten
Werkstätte Gottfried Silbcrmanns in
Dresden. Am Gedenktage wurden in
unserer Stadt, in welcher' Schröter von
1732 bis 1780 als Organist an der
Hauptkirchc thätig war, Compositionen
desselben öffentlich vorgeführt.